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Die Wander-Geisha

von

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Shirakawa-Go

Erst spät am übernächsten Tag begegneten sie zum ersten Mal wieder irgendeiner Menschenseele. Ein Glück, daß sie auf der Feier im letzten Dorf genug Lebensmittel gehamstert hatten. „Hallo, Wanderer. Woher und wohin?“, grüßte Ryuka den mit einem Bündel beladenen, einsamen Reisenden, der ihnen entgegen kam. Der Fremde hatte ein freundliches Mondgesicht und ein schmieriges, altes Stirnband um den Kopf gebunden, das früher sicher mal weiß gewesen war.

„Aus Shirakawa-Go, Herr“, gab der mit einer höflichen Verbeugung zurück. „Ich gehe in den Norden, um einen Verwandten zu besuchen.“

„Dann beeile dich. Auf dem Bergpass hat bereits der Schnee eingesetzt“, warf Zaku von der Seite ein. „Gib auf dich Acht, daß du nicht verloren gehst.“

„Danke. Ich will es beherzigen.“

„Wie weit noch bis Shirakawa-Go?“, wollte Ryuka wissen.

Der Wanderer schaute nach dem Stand der Sonne. „Hm, vor Einbruch der Dunkelheit erreicht ihr es bestimmt noch, wenn ihr jetzt keine längere Rast mehr macht.“

„Okay.“

Der Fremde deutete auf die weiße Tengu-Maske, die Ryuka wie immer um den Bauch gebunden trug. „Seid ihr Theater-Leute?“

„Wir waren es. ... und werden es hoffentlich auch bald wieder sein.“

„Das sind schlechte Zeiten für Jungs wie euch“, raunte der Mann mit gedämpfter Stimme, als erzähle er ein Geheimnis. „In Shirakawa-Go ist Gold aus dem Tempel der Kunstgöttin aufgetaucht. Man sagt, der Tempel sei zerstört worden. Diese Göttin hat uns verlassen und wacht nicht mehr über die Ihren.“

Ryuka musste mit einem Schmunzeln kurz wegsehen, weil er dem Blick des Wanderers nicht mehr standhalten konnte. „Ich bin ganz zuversichtlich, daß sie noch mit uns ist. Seid unbesorgt. Aber habt trotzdem Dank für die Warnung.“

Zaku selbst lächelte nur wissend in sich hinein, sagte aber nichts.

„Glaubst du, der, der das Gold nach Shirakawa-Go gebracht hat, ist noch im Dorf?“, fragte Ryuka an ihrer Stelle nach.

„Wohl kaum. Mit diesem fluchbeladenen Gold wollen wir nichts zu schaffen haben. Wer weiß, was dem geschieht, der es annimmt. Wir wollen nicht den Zorn der Götter auf uns ziehen. Der Mann wird inzwischen wohl weitergezogen sein, um es wo anders zu veräußern.“

„Hast du mit ihm gesprochen? Weißt du, wie er aussah?“

„Gesprochen habe ich mit ihm nicht. Aber gesehen hab ich ihn wohl. Ich saß eines Abends im Gasthaus, um meinem zänkischen Weib zu entgehen – das ist schon eine Woche her – und habe einen Sake getrunken, da kam er herein und fragte den Wirt, ob er wisse, wo man das Gold eintauschen könnte. Ob er im Dorf jemanden wüsste, der es haben will. Er hatte ein sehr markantes Gesicht. Ihr würdet ihn erkennen, wenn ihr ihn sehen würdet. Er hat eine sichelförmige Narbe von der Stirn, um das rechte Augen herum, bis zum rechten Wangenknochen.“ Der Fremde zog beim Reden die Linie mit dem Zeigefinger in seinem eigenen Gesicht nach, um die Lage zu verdeutlichen.

Ryuka nickte. „Vielen Dank für die Information. Dann wollen wir diesem Herrn mal besser aus dem Weg gehen, falls wir ihm begegnen, was?“, wollte er an Zaku gewandt wissen und rüffelte sie näckisch mit dem Ellenbogen.

Zaku schenkte ihm ein humorloses, eingefrorenes Grinsen. „Wenn du das sagst ...“
 

Tatsächlich erreichten sie Shirakawa-Go mit dem letzten Sonnenstrahl und machten sich, nachdem sie ein geeignetes Plätzchen gefunden hatten, sogleich an den Aufbau ihrer Zelte, solange es noch nicht gänzlich dunkel war.

„Das Dorf ist zu still“, bemerkte Ryuka unzufrieden. „Hier brauchen wir nicht auftreten. Das wäre vergebliche Mühe.“

„Wieso?“, fragte Zaku unwissend nach.

„Erfahrungswert. Es wird keiner kommen, um uns zuzuschauen. Wenn sie uns nicht schon beim Aufbau der Zelte und der Bühne belagern, dann kommen sie auch nicht, um sich unsere Vorführung anzusehen.“

„Aber wir haben nichts zu essen mehr“, stellte Zaku klar. „Wenn wir nicht spielen, kriegen wir auch keine Lebensmittel. Wir haben unsere Vorräte auf der dreitägigen Reise hier her restlos aufgebraucht. Wir haben nicht mal mehr einen Krug voll Wasser.“

„Tja. Und dabei wird es heute auch bleiben“, brummte O-Shikara hinnehmend. Es schien, als hätte er solche Situationen schon mehr als einmal erlebt. Sowas kam halt vor, wenn man als Vagabunden-Gruppe quer durch das Land zog. Da hatte man eben nicht immer was zu essen.

„Ich habe aber Hunger!“

„Dann geh betteln“, schlug Ryuka humorvoll vor und ging weiter, um Stoffplanen vom Karren zu holen, die er zum Aufbau der Zelte brauchte. Dabei sank seine heitere Laune plötzlich sichtlich. Er murmelte irgendwas davon, wie eiskalt das Flusswasser um diese Jahreszeit schon war, so daß Baden und Wäschewaschen zur Qual wurden.

Zaku zog ein betrübtes Gesicht, während sie ihm hinterher schaute. Wenn sie selber hungern und im eiskalten Wasser baden musste, hatte sie wenig Probleme damit. Da stand sie drüber. Aber sie wollte nicht, daß Ryuka hungern und frieren musste. Inzwischen mochte sie den jungen Chef der Theater-Truppe verdammt gern, ganz unabhängig davon, daß er als Bühnendarsteller ohnehin unter ihrem Schutz stand und sie sich um sein Wohl zu sorgen hatte.
 

Es dauerte nicht lange, bis Zaku sich alleine im Gasthaus einfand. Es hatte ein wirklich eisiger Wind eingesetzt, der sie am ganzen Körper schlottern ließ, so daß sie gründlich durchgefroren war, als sie durch die Tür stolperte.

„Meine Güte!“, machte der Wirt, ein kahlköpfiger, dicklicher Mann im mittleren Alter, erschrocken und eilte ihr entgegen. „Wo kommst du denn her, um so eine Zeit und bei so einem Wetter?“

„V-Von draußen ...“, bibberte sie, in dem scheinbar kläglichen Versuch, einen Rest Humor zu bewahren. Die Kälte machte ihr nichts aus. Aber wenn sie als normalsterblicher Mensch durchgehen wollte, musste sie anderen Menschen Glauben machen, daß sie sehr wohl fror. Also trainierte sie mal ein bisschen ihr schauspielerisches Geschick.

„Setz dich ans Feuer, Mädchen. Ich mach dir einen heißen Tee. Der geht auf´s Haus, so wie du aussiehst.“

„Das ist zu liebenswürdig. Danke.“ Zaku schaute sich um. In der kleinen Spilunke saß nur ein Dauergast am Tresen, ansonsten war hier alles leer. Die Gäste waren wohl entweder schon heim gegangen, oder kamen erst noch. Das konnte man um so eine komische Tageszeit schlecht sagen.

Der Wirt hechtete hinter seinen Tresen und holte heißes Wasser von der Kochstelle, um ihr einen Grünen Tee aufzubrühen. „Bist du alleine, Kind?“

Zaku nickte. „Ich bin eine Wander-Geisha.“

„Ah ja. Und was führt dich ausgerechnet in unser kleines Dorf?“, hakte er nach und stellte ihr die Kanne und das Trinkschälchen hin. „Nur auf der Durchreise?“

„Um ehrlich zu sein, suche ich jemanden. Einen Mann mit einer sichelförmigen Narbe im Gesicht. Er verkauft Tempelgold und soll hier durchgekommen sein.“

Der Wirt verzog das Gesicht, als hätte er keine schöne Erinnerung an den Kerl. „Ja, ich entsinne mich. Der ist hier gewesen. Aber der ist leider schon weitergereist.“

Zaku nahm einen Zug von dem heißen Teeschälchen. „Tja, nicht zu ändern. Dann muss ich ihn weiter suchen. Sie wissen nicht zufällig, wohin er wollte, oder?“

„Nein.“

„Schade.“ Zaku nippte wieder am Tee und ließ den Blick schweifen. Aber das hatte sie ja beinahe erwartet. Der Wanderer hatte schließlich das gleiche gesagt.

Der Wirt wischte sich die Hände an einem Putztuch ab, dessen Zipfel er sich in den Gürtel gesteckt hatte, so daß es immer griffbereit an ihm herab baumelte. „Kann ich dir sonst noch irgendwie weiterhelfen, Kind?“

Sie neigte nachdenklich den Kopf. „Ich könnte wirklich dringend Arbeit brauchen. Wissen Sie vielleicht jemanden, der Verwendung für die Dienste einer einfachen Geisha hat?“

Er bedachte sie mit einem abschätzenden Blick und runzelte die Stirn. So 'einfach' sah sie gar nicht aus. Ihre Kleidung war zu sauber und zu neu, ihre Frisur zu perfekt, ihre Schminke zu akribisch und zu aufwändig. Sie war eindeutig mehr als eine verkleidete Vagabundin. „An welche Art von Dienst denkst du denn genau?“

„Zur Not an alle.“

„Wie du meinst.“ Er wandte sich zu seinem Tresen um und stieß einen lauten Pfiff aus. Sekunden später öffnete sich dahinter eine unscheinbare Schiebetür und ein hageres Männchen kam heraus. Allem Anschein nach war er hier angestellt, wohl um die benutzten Reis- und Trinkschälchen aufzuwaschen.

„Ja?“

„Ichigo, lauf doch mal rüber zu Herrn Kana und sag ihm, daß nette Gesellschaft da ist, die er sich dringend mal ansehen sollte.“

„Jawohl“, machte das drahtige Männchen und eilte davon. Als er zum Haupteingang hinaus verschwand, fegte ein kalter Wind in das Gasthaus.

Der Wirt schauderte. „Verdammisch, es wird bald Winter. Viel Zeit, den Kerl mit der Narbe zu finden, hast du nicht mehr“, machte er Zaku klar. „Nimmst du heute Nacht hier bei mir Quartier?“

Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Nein. Ich komme anderswo unter.“

Er brummte verstehend und verkrümelte sich dann.
 

Zaku sah sich interessiert um, als sie in das große, luxuriöse Haus hereingebeten wurde. Das Zimmer, das sie betrat, war riesig, komplett mit wertvollen Strohmatten ausgelegt, hell erleuchtet und behaglich ausgeheizt. Im hinteren Teil saßen zwei pompös gekleidete Herren an einem niederen Tisch, die aßen, tranken und lachten. Das waren sichtlich reiche Leute, wohl hohe Verwaltungsbeamte, wurde Zaku klar. Kein Wunder, daß sie sich die Dienste einer Geisha leisten konnten.

„Herr Kana, hier ist der Besuch, den ihr zu sehen gewünscht habt“, kündigte ein Diener Zaku an und trat beiseite, um sie einzulassen und den Blick auf sie freizugeben.

Einer der Männer, der sich eindeutig angesprochen fühlte und sich dadurch als besagter Herr Kana zu erkennen gab, winkte Zaku näher. Er machte sich nicht die Mühe aufzustehen. „Komm näher, lass dich ansehen!“, verlangte er, ohne zu grüßen.

Das machte ihn jetzt nicht direkt sympathisch, dachte Zaku, kam der Aufforderung aber trotzdem mit einem professionell-freundlichen Lächeln nach. „Es ist mir eine Ehre, daß Ihr mich empfangt, Herr.“

„Wie nennst du dich?“

„Aiko, mein Herr“, gab Zaku zurück. Einerseits, weil Geishas nie unter ihrem echten, bürgerlichen Namen auftraten, und andererseits weil sie auch keine große Lust verspürte, diesem Flegel ihren wahren Namen zu verraten.

„Gesehen hab ich dich hier noch nicht. Wo kommst du her?“

„Aus dem Norden. Ich bin eine Wander-Geisha, Herr.“

„Alleine?“

„Nun ... nicht ganz. Ich reise in Begleitung einer fahrenden Theater-Truppe.“

Herr Kana verzog skeptisch das Gesicht.

„Aber ich arbeite stets allein“, fügte Zaku also schnell an, damit er nicht glaubte, sein Haus würde im nächsten Moment von einer ganzen Gruppe Männer belagert sein.

„Achso, dann ist es gut. Na dann ... du hast kein Musikinstrument, wie ich sehe!?“

„Oh doch, habe ich!“ Zaku holte aus dem Nichts ihr Shamisen herbei und nahm am Tisch Platz, um es auszupacken und zum Spielen vorzubereiten.

„Wie!?“, machten die beiden Männer verwirrt.

Zaku lächelte. „Der Kimono einer Geisha birgt viele Mysterien“, erklärte sie nur geheimnisvoll und gewollt zweideutig.

Herr Kana klatschte laut in die Hände, da erschien der Diener wieder in der Tür und fragte nach dem Begehr. „Hol mir einen Sack Reis herbei!“

Das Mädchen musste aufpassen, nicht allzu perplex auszusehen. Ein ganzer 5-kg-Sack Reis war verdammt viel Kapital für die Dienste einer amüsanten Gesellschaft. Das würde ihr Auskommen über etliche Tage, vielleicht Wochen hinweg sicherstellen. Sie hatte sofort den Eindruck, daß er mehr als nur Musik und Tanz von ihr wollte, wenn er so viel zu zahlen bereit war. „Ihr ... Ihr seid zu großzügig“, murmelte sie vorsichtig.

Herr Kana grinste nur schief. „Ich bin zuversichtlich, daß du es wert bist. Spiel schon, Mädchen!“, trug er ihr mit Deut auf die dreiseitige Gitarre auf.

Zaku deutete zustimmend eine Verbeugung an und begann zu spielen.
 

Chirobi hing bäuchlings über einer leeren, umgekippten Tonne und rollte darauf vergnügt immer hin und her. Die Tonne war so groß, daß sie nicht mit allen vier Pfoten auf den Boden kam. Entweder die Vorder- oder die Hinterbeine hingen immer in der Luft. Also wippte sie fröhlich immerzu vor und zurück.

O-Shikara lächelte amüsiert. „Wir sollten dir das Laufen auf der Tonne beibringen. Das kommt bestimmt gut.“

„Equilibristik ist für einen Bären sicher schwer“, warf Ryuka nachdenklich ein. Aber an sich fand auch er die Idee reizvoll.

„Was ist Equilibristik?“, wollte Yoji wissen. Als Neuzugang wusste der Junge natürlich noch lange nicht alles, was es zu wissen gab.

„Alles, was mit Balance-Sachen zu tun hat. Auf einer rollenden Tonne zu laufen ist immerhin einfacher als auf einem Ball. Die Tonne kann dir im Gegensatz zum Ball nur in eine Richtung wegrollen.“

„Chirobi, lass mich mal auf das Ding drauf!“, verlangte O-Shikara und scheuchte den Panda von der Tonne herunter. „Ich zeig dir, wie das geht. Yoji, halt mal fest, damit ich auf die Tonne hoch komme, ohne mir die Ohren zu brechen.“

„Nagut, dann übt ihr mal euer Tonnenlaufen. Ich geh derweile Zaku suchen. Sie hätte längst wieder da sein sollen“, kündigte Ryuka an und schlang sich einen dicken Überwurf um die Schultern.

„Yoji, was hältst du davon, wenn du auf den Schultern des Bären stehen und balancieren würdest?“, schlug der Muskelprotz noch vor, dann war Ryuka außer Hörweite.
 

Nachdem sie einige Lieder für die beiden Männer gespielt hatte, legte sie das Shamisen zur Seite und versuchte die Männer in unterhaltsame Gespräche zu verwickeln, denn das war es, was Geishas für gewöhnlich taten. Aber die beiden hatten kein Interesse daran, daß sich eine Frau in ihre Unterhaltung einmischte. Herr Kana befahl ihr nur gebieterisch, weiter zu spielen.

Zaku nickte leicht und holte die Bambusflöte aus ihrem Ärmel. „Steht euch der Sinn danach, zur Abwechslung einmal einem anderen Instrument zu lauschen?“

Der andere Mann erhob sich schwerfällig vom Boden. „Es ist spät. Ich denke, ich sollte eure Gastfreundschaft jetzt so langsam nicht mehr weiter strapazieren. Ich empfehle mich, Kana-san.“

„Dann sollte ich wohl besser auch gehen“, meinte Zaku vorsichtig.

„Nein-nein, du bleibst noch ein bisschen, schönes Kind. Spiel für mich weiter. Spiel! Ich bin gleich wieder da. Ich verabschiede nur eben meinen Gast.“

Mit mulmigem Gefühl hob Zaku also die Flöte an die Unterlippe und spielte in den leeren Raum hinein, wo keiner ihr mehr zuhörte, nachdem die beiden Männer ihn plaudernd verlassen hatten. Der Diener, der sie vorhin schon ins Haus gelassen hatte, nutzte die Zeit, um den verlangten Sack Reis herein zu schleppen, hielt sich aber ebenfalls nicht unnötig lange auf, um ihrer Musik zu lauschen.

Sie spielte beinahe drei Lieder durch, bis Herr Kana sich wieder blicken ließ. Diesmal hatte er eine Zofe mit einem Koto dabei. „Ich habe eine wundervolle Idee“, kündigte er an und wies der betagten Frau mit einem Wink einen Platz am Tisch. „Tanze ein bisschen für mich. Meine Kammerzofe wird für die nötige Musik sorgen.“

Zaku zog unmerklich eine Augenbraue hoch, weil sie nicht recht wusste, was sie davon halten sollte, gab dem Wunsch aber nach und erhob sich. Sie ging in ihre Ausgangspose, eine geschlossene Tanzhaltung, wartete darauf, daß die Melodie einsetzte und begann dann erstmal mit ein paar unspezifischen Bewegungen, die alles und nichts sein konnten, bis sie sich in die Stimmung und das Tempo eingehört hatte. Ein langsames, anmutiges Lied. Sie entschied, daß hier der 'Balz der Kraniche' gut passte, der diesem epischen Werk gerecht werden würde. Eine Weile tanzte Zaku elegant und überaus grazil vor sich hin. Das Tanzen machte ihr ja viel Spaß, aber die immer anzüglicher werdenden Blicke, die sie gelegentlich von Herrn Kana auffing, gefielen ihr umso weniger.

Er zeigte sich von der reizvollen Darbietung äußerst angezogen. Schließlich stand er auf und kam mit herüber, wodurch er Zaku in ihrem Tanz unterbrach. „Darf ich um einen Tanz bitten, meine Schöne?“, schnurrte er zudringlich und schloss sie fest in seine Arme.

Zaku keuchte ein schockiertes „Was!?“ und versuchte sich zu wehren, konnte sich in dem derben Klammergriff aber kaum bewegen.

Herr Kana rang sie zu Boden und begann sich hemmungslos am Obi ihres Kimonos zur schaffen zu machen.

Zaku keuchte völlig überfordert auf, als sie plötzlich schon halb ausgezogen war.

Die Kammerzofe brach ihr Lied ab, stand auf, nahm ihr Koto und verließ mit einer Verbeugung den Raum. Statt Zaku zu helfen, ging sie weg und ließ ihren Herrn ungestört fortfahren.

„Also ... ich darf doch bitten!“, jappste Zaku und strampelte.

„Komm schon, tu doch nicht so, als würdest du das nicht kennen! Wozu bist du sonst hier?“, gab er nur humorlos zurück und drückte sie rücklings zu Boden ...
 

„Ich bin sehr zufrieden. Deine zickige Art gefällt mir. Komm wieder!“, trug Herr Kana ihr auf, als er das Mädchen eine halbe Stunde später samt ihrem Sack Reis vor die Tür warf. So schwungvoll, daß sie strauchelte und auf den Knien im Matsch landete. Dann knallte die Schiebetür hinter ihr zu und sie saß in der eiskalten Nacht auf der Straße. Ihr Atem stieg stoßweise in dicken, weißen Kondenswölkchen empor und sie hatte Wasserränder in den Augen.

Der junge Mann, dem sie bei ihrer Bruchlandung direkt vor die Füße gefallen war, blieb erschrocken stehen. „Zaku, ich hab dich schon überall gesucht!“, meinte er und griff nach ihr, um ihr hoch zu helfen. „Ist alles in Ordnung bei dir?“

Zaku konnte nur mit einem kurzen Blick registrieren, daß es tatsächlich Ryuka war, dann musste sie beschämt wegsehen.

Ryuka musterte sie eingehend von oben bis unten. Die Festbeleuchtung des reichen Hauses bot ihm auch hier draußen noch genug Licht dafür. Sie war halb ausgezogen, hatte ihren Kimono nur flüchtig zusammengerafft. Ihre Haare hingen in wirren Strähnen herunter. Ihre Schminke war teils verschmiert. „Hast du etwa mit ihm geschlafen?“, wollte er fassungslos wissen. Nach einer freiwilligen Aktion sah ihm das nicht aus.

„Ja.“

„Geschäftlich!!!???“, hakte er ungläubig nach.

„Na, aus Spaß bestimmt nicht.“

„Warum tust du sowas?“

„Wir brauchen Essen. Ich kann euch nicht hungern lassen.“

„Bist du bekloppt? Zaku, du bist doch kein Freudenmädchen! Du bist eine Göttin! Wie kannst du dich zu so schmutziger Arbeit herablassen!?“

„Mir egal“, murmelte sie leise und wich seinem Blick weiter aus.

„Oh Mann ...“ Ryuka zog sie an sich und schloss sie fest in die Arme. Er musste selber erstmal tief durchatmen. „Für eine Gottheit bist du echt furchtbar unvernünftig“, seufzte er. Er strich ihr zärtlich die Haare glatt, um sie und sich selbst zu beruhigen. Dabei schielte er aus dem Augenwinkel auf den Sack Reis. Für einen Sack Reis hatte sie das getan! Unglaublich. Er musste ein Kopfschütteln bewusst unterdrücken.

„Ryuka?“, nuschelte sie nach einer Weile wehleidig.

„Hm?“

„Kommst du mit mir ins Onsen?“

„Bitte!?“ Er schob sie auf Armlänge von sich, um ihr ins Gesicht sehen zu können.

„Wir haben genug Reis, um den Eintritt ins Badehaus bezahlen zu können und danach immer noch Essen genug für uns alle zu haben. Lass uns heute Abend ein heißes Bad nehmen, allesamt. Ich finde, wir haben es verdient, nach allem, was passiert ist. Verdient, und nötig.“

Ryuka überlegte einen Moment zu lange. „Es ist dein Reis. Du hast dich hart dafür geschunden. Also entscheidest du, was damit zu tun ist. Wenn du uns dafür ins Onsen schleppen willst, wäre es wohl unhöflich von uns, das abzulehnen“, entschied er dann aber doch stoisch.

Sie streckte beide Arme nach ihm aus, schlang sie um seinen Oberkörper und schmiegte sich wieder eng an. Wortlos.

Unglaublich, wie zart und zerbrechlich so eine Göttin sein konnte, dachte Ryuka in diesem Moment. Fast schon hilflos. Er hatte sich ja noch nie einen Kopf darüber gemacht, wie die Gottheiten wohl waren, körperlich und psychisch gesehen. Aber so hier hatte er sie sich definitiv nicht vorgestellt.

„Falls es dich beruhigt, das war nicht das erste Mal, daß ich mich mit einem Menschen eingelassen habe.“

Ryuka zischte leise. „Was soll mir das jetzt sagen? Das du weißt, was du tust?“

„Das du nicht eifersüchtig sein brauchst.“

„Was!?“

„Ich weiß, das dein Drang, mir ein schönes Leben zu machen, stärker geworden ist, seit du weißt, wer ich wirklich bin.“

„Und ist das verwerflich?“

„Im Gegenteil. Ich weiß es zu schätzen.“ Sie knuddelte sich noch etwas fester an. „Aber trotzdem, halte dich nicht an der falschen Annahme fest, daß du mich niemals kriegen könntest, während dieser Kerl mich haben durfte. Für einen Sack Reis!“

Ryuka schoss eine leichte Verlegenheitsröte ins Gesicht. Er hatte solche Gedanken in der Tat gehabt. Und sicher war es aussichtslos, das vor einer wahrhaftigen Gottheit abstreiten zu wollen. „Du bist ein Teil meiner Theater-Truppe, Zaku. Wenigstens für den Moment. Ich würde mich um jeden meiner Leute so sorgen. Nicht nur um dich.“

„Ich weiß.“

Ryuka schüttelte nun doch den Kopf, ohne selber richtig zu wissen, worüber. Wahrscheinlich über die gesamte Situationen an sich. „Du bist echt komisch, Zaku. Ich meine, für eine Gottheit bist du so unglaublich irrational. So menschlich. So ... keine Ahnung was.“

Zaku lächelte leicht. Auch wenn er das in dieser engen Umarmung nicht sehen konnte, in ihrer Stimme würde er dieses Lächeln hören. „Sprichst du uns Gottheiten etwa alle Gefühle ab? Wir haben auch Empfindungen. Wir können lieben und hassen, wie ihr. Wir sind barmherzig und machen uns Sorgen, aber wir sind bisweilen auch parteiisch und nachtragend. Wir können grausame Sadisten sein, sicher. Und wir können uns manchmal auch völlig unlogisch benehmen. Wir sind nicht perfekter als ihr Menschen es seid.“

„Aber ...“, wollte Ryuka irritiert wissen, „was unterscheidet die Götter denn dann von den Menschen?“

„Das gleiche, was die Fürsten von den Untertanen unterscheidet : sie herrschen.“

„Mehr nicht?“

„Ihr seid Götterkinder. Was soll euch Menschen denn da groß von uns Gottheiten unterscheiden, außer daß wir die Älteren sind?“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das hab ich nicht wirklich geschrieben. XD
Der klägliche Versuch, dem Erotik-Wunsch meines Wichtelkindes etwas entgegen zu kommen. Aber ausführlicher ging es wirklich nicht. Ihr kennt mich ja. :D Komplett anzeigen

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