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Isolation

Keith x Lance
von

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Isolation

Keith ist kein besonders großer Fan von Berührungen.
 

Vielleicht liegt das daran, dass er jahrelang alleine in der Wüste gelebt hat, oder daran, dass seine Mutter ihn verlassen hat und sein Vater nicht unbedingt der Typ für knuddeliges Verhalten gewesen ist. Vielleicht hat er Shiro ein oder zwei Mal umarmt, oder ihm auf die Schulter geklopft, aber abgesehen davon braucht Keith dringend einen Sicherheitsabstand von anderen Menschen.
 

Und Aliens.
 

Da viele Aliens andere Kulturen haben als Menschen, ist es schon häufiger vorgekommen, dass Keith sich für eine Mission von fremden Aliens anfassen lassen musste. Eine Hand auf der Stirn als Begrüßung, Schultern aneinander pressen als Zeichen der Wertschätzung… er hat auch mehrere Umarmungen über sich ergehen lassen, einmal sogar von einer Botschafterin mit sechs Armen.
 

Das sind Erfahrungen, auf die Keith gut und gerne verzichten könnte, wenn es nach ihm ginge. Und was all diese Dinge angeht, gibt es jemanden in seinem Team, der ebenfalls ein Alien sein könnte, wenn es um kulturelle Unterschiede geht. Und Keith denkt dabei nicht an Coran und Allura, die dankenswerterweise Sicherheitsabstand halten und nicht dauernd jeden anfassen, der sich in ihrer unmittelbaren Nähe befindet.
 

Nein.
 

Es geht um Lance.
 

Lance könnte genauso gut ein Alien mit sechs Armen sein, wenn es nach Keith geht, weil Lance nämlich keinerlei Probleme damit hat, Leute anzufassen. Er macht es ständig. Es ist so, als würde er Berührungen atmen. Dauernd klopft er Hunk auf den Rücken, umarmt ihn, wuschelt Pidge durch die Haare, bufft Coran mit einer Schulter, fordert Shiro zu High-Fives oder etwas, das er ‚brofist‘ nennt, auf, und manchmal versucht er es auch bei Allura, aber Keith hat die Vermutung, dass selbst jemand wie Lance seine Grenzen kennt.
 

Am Anfang hatte Keith keinerlei Probleme damit. Keith war nämlich von Lance‘ komischem Bedürfnis – alles Lebende dauernd anzufassen – ausgeschlossen.
 

Lance hatte sich in diese ganze Rivalitätssache hineingesteigert und so getan, als wäre Keith so etwas wie sein Erzfeind. Keith fand das damals schon lächerlich und das hat sich nicht wirklich geändert. Die Wahrheit ist, dass er eben einfach der bessere Pilot ist, aber Lance dafür andere Qualitäten hat.
 

Er versteckt die zwar ziemlich gut, aber Keith weiß, dass sie da sind. Theoretisch.
 

Jedenfalls ist Keith solange in Sicherheit gewesen, wie Lance ihn als seinen schlimmsten Alptraum angesehen hat. Und dann ist alles den Bach runter gegangen, als Keith irgendwann gemerkt hat, dass Lance und er vielleicht Freunde sein könnten.
 

Diese Erkenntnis allein hat ihn mehrere Wochen an Schlaf gekostet – und da Keith ohnehin sehr selten schläft, hat er ein paar Wochen so gut wie gar nicht schlafen – weil er keine Ahnung hat, wie Freundschaften funktionieren und noch viel weniger weiß er, wie eine Freundschaft mit Lance funktioniert, der sehr spezielle Dinge von Leuten zu erwarten scheint.

Dinge, die Keith ihm wahrscheinlich nicht geben kann.
 

Weil er das emotionale Einfühlungsvermögen einer Backsteinmauer hat.
 

Das größte Problem an dieser komischen Wir-könnten-vielleicht-Freunde-sein-Situation ist, dass Lance angefangen hat, Keith anzufassen.
 

Es geht los mit Schulterklopfen, wenn eine Mission gut gelaufen ist. Dann grinst Lance ihn schief an und Keith starrt auf die schwitzigen Haarsträhnen, die auf Lance‘ Stirn kleben und auf das Grübchen in Lance‘ linker Wange und Lance haut ihm kumpelhaft die Hand auf die Schulter und sagt »Gute Arbeit, mulletman«, bevor er sich in Richtung seines Quartiers aufmacht, um baden zu gehen.
 

Wenn Keith wütend ist und sein Temperament mit ihm durchgeht, legt Lance ihm eine Hand auf den Arm und Keith ist dankbar, dass er fast immer seine Lederjacke trägt, weil Lance sonst seinen nackten Unterarm berühren würde und Keith nicht weiß, was er damit anfangen soll.
 

Womöglich würde er implodieren.
 

Als er Lance bewusstlos in den Armen gehalten hat, hat er nicht darüber nachgedacht, dass er gerade jede Menge Körperkontakt ausgesetzt ist. Er hat andere Dinge im Kopf gehabt. Aber die Tatsache, dass Lance sich angeblich nicht daran erinnert, hat ihn empört. Warum, weiß er nicht so genau.
 

Er wiederholt den Moment ungefähr hundert Mal in seinem Kopf und erinnert sich daran, wie es sich angefühlt hat, jemanden so im Arm zu halten. Es ist seltsam, weil es Lance war. Und Lance hat seinen Anzug getragen, also war es nicht so, dass man besonders viel… Haut oder Körperwärme hätte spüren können.
 

Einen winzigen Moment lang hat Keith Angst gehabt, dass Lance sterben könnte.
 

Ok, vielleicht war es mehr als ein winziger Moment. Und als Lance aus der Heilungskapsel ausgestiegen ist, hat Keith den absurden Impuls gehabt, ihn zu umarmen. Was absolut wahnsinnig ist. Schwachsinnig. Unlogisch. Und kein bisschen typisch für Keith.
 

Sie haben sich nicht umarmt. Auch wenn alle anderen Lance umarmt haben – sogar Allura. Lance hat einen dummen Spruch darüber gerissen und schief gegrinst und Allura hat empört geschnaubt, aber sie hat ihn trotzdem erleichtert angelächelt und Lance hat wahnsinnig glücklich darüber ausgesehen, dass ihn so viele Leute umarmt haben.
 

Wahrscheinlich würde er nicht so glücklich aussehen, wenn Keith ihn umarmt.
 

Manchmal, wenn Lance sich neben ihn setzt, dann sitzt er so dicht bei Keith, dass ihre Schultern sich berühren. Ab und an sogar ihre Knie. Einmal ihre Schenkel.
 

Es ist nicht so, dass Keith akribische, mentale Listen darüber führt, wie oft Lance ihn wo berührt. Aber es ist so ungewohnt für ihn, dass sich jedes einzige Mal in sein Gehirn einbrennt. Und in seine Haut.
 

Seine Haut erinnert sich definitiv an jede einzelne Berührung. Und das sogar an Stellen, an denen gar keine Haut in Kontakt zu Lance‘ Händen gekommen ist.
 

Gestern hat er gleichzeitig mit Lance nach einem Nachschlag beim Abendessen gegriffen und ihre Fingerspitzen haben sich berührt. Keith könnte schwören, dass sich Elektrizität entladen hat, als das passiert ist, aber Lance hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt, ihn einfach angegrinst und ihm dann den Großteil der letzten Portion weggegessen, weil Lance ein unaushaltbarer Armleuchter ist, den Keith nicht leiden kann.
 

Kein kleines bisschen.
 

Und wenn er sich vorstellt, dass Lance ihn so umarmt, wie er Hunk ungefähr zehn Mal am Tag umarmt, dann liegt das nur daran, dass er in seinem Leben wahrscheinlich nicht oft genug umarmt worden ist.
 

Eine Tatsache, die er niemals zugeben würde.
 

Irgendwann hat er mal gelesen, dass menschliche Babies daran sterben können, wenn man sie nicht genug anfasst. Selbst wenn sie ausreichend Nahrung und Schlaf und frische Windeln bekommen. Keith fragt sich, ob das für Erwachsene auch gilt und wie lange man ohne Berührungen leben kann, ohne irgendwann wahnsinnig zu werden.
 

Lance hat jedenfalls eine ziemlich gute Größe für Umarmungen. Er ist ein bisschen größer als Keith – etwas, an das Lance ihn gerne erinnert, als würde es irgendetwas darüber aussagen, wer von ihnen der bessere Pilot ist – und Keith stellt sich manchmal vor, wie er seine Wange ganz genau gegen Lance‘ Schulter legen könnte.
 

Aber diese Vorstellungen sind nichtig, weil Lance ihn nicht umarmt. Niemals.
 

Also katalogisiert Keith weiterhin jedes Schulterbuffen, jede Handberührung seiner Arme, sogar jeden spitzen Ellbogen, der sich in seine Rippen bohrt.
 

An einem Tag, den Keith sich als Sonntag vorstellt, weil er sich schon beim Aufwachen so fühlt, als könnte es ein Sonntag sein, passiert etwas Ungewohntes. Er sitzt beim Frühstück, löffelt lustlos ein paar Löffel grünen Schleim in seinen Mund und schaut nur kurz auf, als Lance hereinspaziert kommt – so wie üblich, mit seinen langen Beinen und Armen, einem übertriebenen Gähnen und Haaren, die ein wenig von seinem Kopf abstehen, als hätte er die ganze Nacht auf derselben Seite geschlafen.
 

»Jo, mulletman«, sagt er. Keith schnaubt.
 

»Ich hab doch gesagt, hör auf mich so zu nennen«, grummelt er. Lance lässt sich neben ihn auf den Stuhl fallen und nimmt sich eine Schüssel grünen Schleim. Irgendwo weiter hinten im Raum hocken Hunk und Pidge und beratschlagen aufgeregt über irgendeinen seltsamen Scanner, den Pidge zusammengebastelt hat. Keith versteht kein Wort und er macht sich nicht die Mühe nachzufragen.
 

Wenn Genies miteinander reden, sollte man sich besser raushalten, um seine Gehirnwindungen zu schonen.
 

»Gehst du nach dem Frühstück trainieren?«, will Lance wissen. Sein Ton ist betont lässig. Keith runzelt die Stirn und sieht ihn an. Lance hat ein wenig grünen Weltallschleim im Mundwinkel, den Keith sehr bewusst nicht anstarrt.
 

»Klar«, sagt er. Lance grinst.
 

»Cool. Ich komm mit.«
 

Keith hebt eine Augenbraue und sieht, dass Lance‘ Wangen ein wenig rot werden.
 

»Was!? Dieser wunderschöne Körper braucht Training, damit er auch weiterhin so wunderschön bleibt!«, sagt Lance, verdreht übertrieben die Augen und deutet mit seinen langen Zeigefingern seinen Brustkorb hinunter. Keith schnaubt noch mal und wendet sich wieder seinem Frühstück zu.
 

»Solang du mir nicht im Weg bist«, meint er. Lance murmelt etwas Spanisches, das Keith nicht versteht, aber er fragt auch nicht nach. Wahrscheinlich war es irgendeine Beleidigung. Sie schaffen es, sich den Rest des Frühstücks nicht zu beharken, bis Keith schließlich aufsteht und sich auf den Weg zum Trainingsraum macht.
 

Lance geht neben ihm her und streckt seine Arme über den Kopf.
 

»Ha, wenn wir Nahkampf trainieren, kann ich dir zeigen, wie viel besser ich geworden bin«, meint Lance und sieht bei dem Gedanken daran, es Keith so richtig zu zeigen, bestens gelaunt aus. Keith schnaubt.
 

»Ich trainiere seit Jahren fast jeden Tag, Lance. Deine Spaghettiarme sind keine Herausforderung für mich«, meint er.
 

»Hey! Ich hab keine Spaghettiarme!«
 

»Ach nein?«
 

»Nein! Guck dir das an! Das nennt man einen Bizeps! BI-ZEPS!«
 

»Sieht ziemlich mickrig aus.«
 

Und so geht es den Rest des Weges weiter und Keith ist zufrieden. Mit Lance zu streiten ist bekanntes Territorium. Währenddessen muss er sich keine Gedanken über Berührungen und Umarmungen machen und darüber, dass sich Lance‘ Körpernähe zu Keith innerhalb der letzten Wochen um fast 100% erhöht hat.
 

Ihm wird erst klar, was Training mit Lance bedeutet, als sie sich beide aus ihren Jacken schälen und Lance ein helles Shirt entblößt, das einen starken Kontrast zu seiner braunen Haut darstellt. Keith selbst trägt ein schwarzes, ärmelloses Oberteil. Sie streifen ihre Schuhe ab und Keith bemüht sich, nicht auf Lance‘ Oberarme zu starren, die zugegebenermaßen nackt nicht ganz so sehr nach Spaghetti aussehen, wie unter der komischen Jacke, die Lance immer anhat.
 

»Willst du zum Aufwärmen mit dem Simulator anfangen?«, fragt er unsicher. Er trainiert normalerweise alleine. Wenn er mit Lance Nahkampf üben soll, heißt das, dass sie… sich anfassen werden. Jede Menge sogar. Keith wird trotz der leichten Bekleidung ziemlich warm und das Training hat noch nicht mal angefangen.
 

Lance zuckt mit den Schultern.
 

»Mach dein Ding, mulletman«, sagt er. Keith knurrt angesichts des Spitznamens, sagt aber nichts weiter und aktiviert die Simulation, die er normalerweise für Nahkampf benutzt. Auf Level sechs.
 

»Die Simulation startet in drei, zwei, eins…«, ertönt die altbekannte Stimme des Computers und Keith achtet nicht mehr auf Lance, sondern begibt sich in eine defensive Position. Im nächsten Moment erscheinen zwei Trainingshologramme und Keith genießt die Art und Weise, wie sein Körper darauf reagiert.
 

Es ist wie nach Hause kommen.
 

Die Bewegungen sind alt bekannt, er weiß genau, was er zu tun hat. Kein Hinterfragen, kein Zweifeln, kein Grübeln darüber, ob er etwas falsch macht. Seine Muskeln summen zufrieden unter seiner Haut, während er Schlag für Schlag, Tritt für Tritt gegen das Hologramm richtet.
 

Erst, als neben ihm ein angestrengtes Geräusch ertönt, wird er abgelenkt und wirft einen Blick hinüber zu Lance.
 

Lance ist in der Tat besser geworden, aber da Lance am Anfang kaum Level eins der Simulation geschafft hat, ist Level sechs für ihn offenbar bereits zu viel des Guten. Keith verkneift sich ein Grinsen und duckt sich, damit sein Hologramm ihm keinen Tritt verpassen kann.
 

»Na, Schwierigkeiten, Mr. Möchtegern-Ninja?«, ruft Keith.
 

Lance wirft ihm einen sauren Blick zu und die Ablenkung kommt ungünstig, denn das Hologramm platziert einen präzisen Tritt gegen Lance‘ Brustkorb. Lance fliegt rücklings durch den Raum und kracht auf den Boden.
 

»Computer, beende die Simulation!«, sagt Keith hastig und geht zu Lance hinüber, der jetzt alle Viere von sich gestreckt auf dem Rücken liegt und aus dem letzten Loch pfeift. Sein Gesicht sieht aus, als hätte er Schmerzen.
 

»Na, bereust du schon, mit mir trainieren zu wollen?«, fragt Keith. Lance sieht ihn missgelaunt an. Keith zuckt innerlich zusammen. Ihn selbst beruhigt das Gezeter von Lance immer, weil er genau weiß, wie es funktioniert und was von ihm erwartet wird. Lance sieht nicht so aus, als wäre Keith‘ Kommentar irgendwie beruhigend gewesen.
 

Keith streckt probehalber die Hand aus, um Lance aufzuhelfen und erst einen Moment später wird ihm klar, was das bedeutet. Lance zögert, dann greift er nach der Hand. Keith trägt immerhin seine fingerlosen Handschuhe, aber trotzdem berühren sich ihre Finger. Lance‘ Griff ist fest und seine Hände sind sehr warm, wohingegen Keith meistens kalte Finger hat.
 

Wenn er bedenkt, dass sein roter Löwe Feuer und Lance‘ blauer Löwe Wasser symbolisieren soll, scheint da irgendwas falsch gelaufen zu sein.
 

Als Lance seine Hand loslässt, kribbelt Keith‘ Haut, als würde sie die Berührung zurückholen wollen. Lance hat bereits ordentlich geschwitzt und seine braunen Haare kleben ihm an der Stirn. Keith beobachtet einen Schweißtropfen, der an seiner Schläfe herunterläuft, an seinem Kiefer herabtropft und in seinem Kragen verschwindet.
 

»Sicher, dass du es mit mir probieren willst? Ich bin bei Level acht angekommen. Das war Level sechs«, sagt Keith. Er versucht, nicht allzu großspurig zu klingen, aber letztendlich ist es egal, wie er es sagt. Es geht bei Lance nur darum, dass Keith ihm gerade zu verstehen gegeben hat, in etwas besser zu sein als Lance.
 

Und Lance kann es nicht leiden, wenn Keith irgendwas besser kann als er.
 

Keith versteht nicht, warum das so ein großes Ding ist, aber Keith versteht viele Dinge nicht und er hat schon vor einiger Zeit aufgehört, sich über diese Sachen den Kopf zu zerbrechen.
 

Es macht ihn ja doch nur unglücklich und manchmal wütend.
 

»Lass uns anfangen«, sagt Lance. »Oder hast du Schiss?«
 

Keith schnaubt. Dann hebt er seine Hände und beugt seine Knie ein wenig. Lance spiegelt seine Bewegung und Keith gibt keine Vorwarnung, bevor er zuschlägt. Lance ist schneller, als er gedacht hätte, aber nicht schnell genug für Keith. Er pariert die ersten zwei Schläge, aber vergisst vor lauter Konzentration auf Keith‘ Arme, dass es auch noch zwei Beine gibt, auf die er achten muss.
 

Mit einem gezielten Tritt zieht Keith Lance die Beine weg. Lance strauchelt und flucht und Keith grinst einen Moment lang zufrieden, dann stellt er fest, dass Lance anders kämpft, als Keith es erwartet hat und sich schlichtweg an Keith festhält. Lance‘ Gewicht zieht ihn nach unten und sie stolpern übereinander und Keith landet mit voller Wucht auf Lance.
 

Lance wird die Luft aus den Lungen gepresst, als Keith‘ Gewicht auf ihm landet. Keith wird plötzlich klar, dass Lance‘ sehr warme Haut direkt an seiner ist. Das lenkt ihn dermaßen ab, dass Lance es schafft, sie mit einem Ruck herum zu drehen, sodass Keith nun auf dem Rücken liegt, mit einem breit und zufrieden grinsenden Lance über ihm. Lance‘ Schenkel drücken Keith‘ Beine gegen die Matten auf dem Boden und seine langen Finger halten Keith‘ Handgelenke fest.
 

Er starrt Lance‘ Grübchen an. Dann seine sehr blauen Augen. Lance‘ Finger an seinen Handgelenken brennen sich in seine Haut und Keith spürt eine heftige Hitzewelle in sich aufsteigen. Er merkt, wie er rot wird und bringt alles an Muskelkraft auf, um sich und Lance herumzurollen, aber Lance kennt so etwas wie Intimsphäre nicht, wickelt seine Arme um Keith, als wäre er sein persönliches Kuschelkissen und sie rollen einen halben Meter weit, bevor Keith vor lauter Überforderung aufgibt und sich von Lance löst, um hastig aufzustehen.
 

Lance liegt immer noch keuchend auf dem Boden, aber er grinst breit und seine Augen funkeln.
 

»Ha!«, sagt er und streckt eine Faust in die Luft. Keith verschränkt die Arme vor der Brust und will Lance gerade mitteilen, dass seine bescheuerte Krakentaktik eine Beleidigung für professionellen Kampfsport ist, als der Alarm ausgelöst wird und Alluras Stimme aus den Lautsprechern hallt.
 

»Paladine, macht euch auf den Weg zu euren Löwen! Wir werden angegriffen!«
 

Keith ist beinahe froh über die Ablenkung und er sprintet Lance voran in Richtung Hangar. Jetzt ist nicht die richtige Zeit darüber nachzudenken, dass seine Haut immer noch von so viel Körperkontakt kribbelt.
 

Keith würde nicht unbedingt sagen, dass er sich an den Körperkontakt mit Lance gewöhnt – dafür ist hat er zu viel Zeit seines Lebens ohne Berührungen verbracht. Aber im Lauf der nächsten Wochen zuckt er nicht mehr über jede Fingerspitze an seinem Arm zusammen, auch wenn er weiterhin intensiv darüber nachdenkt, wie so eine richtige Umarmung von Lance sich anfühlen würde.
 

Hunk muss es wissen. Er ist der Empfänger von 99,9% aller Umarmungen, die Lance jemals verteilt und es kommt nicht selten vor, dass die beiden aneinander gekuschelt auf irgendeiner Sitzoberfläche eindösen, als wäre es das normalste auf der Welt, seinen Kopf auf Hunks Schulter zu legen und ordentlich darauf zu sabbern.
 

Keith ist dankbar für Pidge, die von einem dieser Moment ein Bild gemacht hat. Er verbringt mehrere Tage damit, Lance mit seinem Gesabber im Schlaf aufzuziehen und es ist die perfekte Gelegenheit davon abzulenken, dass er nachts wach liegt und darüber nachdenkt, wie es sein muss, wenn Lance auf seiner Schulter einschlafen würde.
 

Es ist ein Zeichen von Vertrauen.
 

Man schläft nicht auf Leuten ein, denen man nicht bedingungslos vertraut. Und man umarmt sie nicht, wenn man sie nicht wirklich gut leiden kann.
 

Vielleicht ist Keith dann einfach nicht in der Position erwarten zu können, dass Lance jemals auf ihm einschläft oder ihn umarmt.
 

Er windet sich darum herum, über die Ursache für all diese Lance-bezogenen Fragen nachzudenken. Keith hat die dunkle Vermutung, dass ihm eine Entdeckung der möglichen Ursache nicht gefallen würde und wer ist er, wenn nicht der Meister der Verdrängung von unliebsamen Gedanken.
 

So ist er bisher mit allem ganz gut zurechtgekommen – mit dem Rauswurf aus der Garrison, mit der Tatsache, dass seine Mutter ihn verlassen hat… Keith kann nicht behaupten, dass seine Taktik ihn bisher im Stich gelassen hat. Also bleibt er dabei und ignoriert die Knoten, die in seinem Gehirn entstehen, wenn er sich zu lange über Lance und seine Umarmungen Gedanken macht.
 

Zumindest, bis sie bei den Kolina’ar landen, um sie für die Initiative gegen die Galra zu gewinnen.
 

Allura erteilt dem Team ein Briefing, während sie sich der Oberfläche des hauptsächlich mit Grüntönen überzogenen Planeten nähern.
 

»Die Kolina’ar haben eine faszinierende Kultur und sind ausgesprochen gastfreundlich, es ist allerdings absolut wichtig, dass niemand im Team sich in irgendeiner Art und Weise berührt, während wir dort sind. Solches Verhalten wird als ausgesprochen unhöflich empfunden. Also keine Umarmungen, kein Schulterklopfen, keine ‚High-Fives‘.«
 

Keith weiß, dass es nicht möglich ist, Anführungszeichen zu hören, aber er könnte schwören, Allura schafft es mit ihrer Betonung. Ihr Blick ruht auf Lance, der sich kurz umsieht, als gäbe es sonst noch jemanden im Team, der andauernd irgendwen mit seinen Krankenarmen betatschen muss, als würde sein generelles Wohlbefinden davon abhängen.
 

Tut es womöglich auch.
 

»Hey! Warum starren alle mich an?«, fragt er und verschränkt die Arme vor der Brust.
 

»Ist nicht böse gemeint, Buddy, aber du bist einfach ein sehr taktiler Mensch. Was super ist! Du weißt, ich liebe deine Umarmungen!«, erklärt Hunk mit beschwichtigenden Gesten und als würde Lance dringend beweisen wollen, warum Alluras Blick absolut berechtigt war, bappt er sich an Hunks Seite, als wäre Hunk ein riesiger Magnet.
 

Allura seufzt, während die beiden sich zur Feier ihrer großartigen Freundschaft umarmen.
 

»Genau deswegen starren wir alle«, sagt Keith ungerührt und deutet auf Hunk und Lance. Hunk sieht schuldbewusst drein und macht einen Schritt zur Seite. Lance schiebt die Unterlippe vor und verschränkt erneut seine Arme vor der Brust.
 

»Wir können nicht alle Roboter sein, Mr Grumpypants!«
 

Keith holt gerade Luft, um sich zu wehren, als Shiro einschreitet.
 

»Das reicht. Lance, es ist wichtig, dass diese Mission erfolgreich ist. Ich bin sicher, dass du es für ein paar Tage schaffst, deine Hände bei dir zu behalten, während Allura sich um die diplomatischen Verhandlungen kümmert.«
 

Keith feixt zufrieden in Lance Richtung. Lance sieht resigniert aus und nickt mit zusammengepressten Lippen, ohne auf Keith zu achten.
 

Ha!
 

Allein dafür, dass Lance Keith als Roboter bezeichnet ist, ist Keith schadenfroh darüber, dass Lance sich bei dieser diplomatischen Mission winden wird, während es Keith schlichtweg schnurz sein wird, wenn niemand ihn anfasst – weil er nämlich keinerlei Wert darauf legt, angefasst zu werden.
 

Lance kann ihn mal kreuzweise.
 

Wie es sich herausstellt, sieht man Lance schon nach wenigen Stunden an, wie sehr ihn die Anweisung von Allura anstrengt. Keith‘ Augen kleben schon die ganze Zeit an Lance – wann immer er sich erlauben kann, schaut Keith zu ihm hinüber und verkneift sich ein Grinsen, weil Lance so unglücklich und schlecht gelaunt aussieht, als hätte man ihm gesagt, er dürfte bis ans Ende seines Lebens nicht mehr mit Mädchen reden.
 

Keith bemerkt, dass Lance seine Arme und Hände absichtlich dicht bei sich behält. Er gestikuliert kaum, wenn er redet, verschränkt beinahe ununterbrochen die Arme, als würde es ihn große Anstrengung kosten, nicht alle zwei Minuten die Hand auszustrecken und irgendjemanden zu berühren.
 

Hunk, in all seiner grenzenlosen Unterstützung von allem, was Lance tut, hat sich schon die ganze Zeit extra von seinem besten Freund ferngehalten, damit dieser nicht in Versuchung kommt. Aber das scheint Lance nur noch unglücklicher zu machen.
 

Nachdem das erste diplomatische Treffen vorbei ist, verschwindet Lance so hastig auf seinem Zimmer, als würde ein Schwarm uldirischer Hornissen hinter ihm herjagen – eine Erfahrung, die Keith und Hunk vor zwei Wochen machen mussten und die Keith nur ungern wiederholen würde.
 

Hunk sieht Lance mit einem kläglichen Gesichtsausdruck nach, folgt ihm aber nicht und macht sich mit hängenden Schultern auf den Weg zu seinem eigenen Zimmer. Keith fragt sich, ob es nicht prinzipiell ok wäre, wenn die beiden sich hinter verschlossenen Türen umarmen, aber er hat keine Ahnung, wie diese ganze Sache funktioniert.
 

Und eigentlich interessiert es ihn auch nicht besonders.
 

Er verschwindet in sein Zimmer und schlägt im Vorbeigehen Corans Angebot aus, ihm »spannende Dinge« über die Kolina’arische Botanik zu erklären.
 

Sie haben ein paar Stunden bis zum Willkommensbankett und Keith achtet nicht weiter auf die Kleidung, die man in seinem Zimmer für ihn bereitgelegt hat und lässt sich ein Bad ein. Keith kann nicht behaupten, dass er ein großer Freund von Entspannungsmethoden ist, die nicht damit zusammenhängen, auf Hologramme oder Trainingsdummies einzudreschen, aber selbst er kann ein heißes Bad zu schätzen wissen.
 

Vor allem, wenn er sich nachher wieder mit Lance‘ kläglichem Gesichtsausdruck herumschlagen muss. So schlimm ist es doch wirklich nicht, für ein paar Tage niemanden anzufassen. Lance übertreibt maßlos.
 

Das Bankett findet in einer runden Halle statt, die ganz und gar in Grün dekoriert ist – wie Coran ihnen zischelnd mitteilt, ist Grün eine heilige Farbe für die Kolina’ar und wird vor allem für besonders feierliche Anlässe verwendet. Keith findet es ein bisschen affig, die Farbe Grün für heilig zu erklären, wenn sämtliche Bewohner des Planeten grünlich-schuppige Haut haben, aber er äußert sich nicht dazu und versucht angesichts der Speisen nicht das Gesicht zu verziehen.
 

Das auf seinem Teller sieht nämlich eindeutig lebendig aus. Nach Würmern, um genau zu sein.
 

Die Kolina’ar haben an der Seite ihrer runden, flachen Gesichter kleine Tentakel und schlitzartige Pupillen. Sie machen beim Essen Geräusche, die Keith mit einem Gummistiefel vergleichen würde, der gerade aus einer besonders tiefen Matschpfütze gezogen wird. Es ist insgesamt eines der eher unangenehmeren Bankette, die er miterleben musste, auch wenn er natürlich insgesamt kein Freund solcher Veranstaltungen ist.
 

Allura scheint ganz in ihrem Element zu sein. Sie schafft es nicht nur, diese fürchterlichen Geräusche beim Essen zu imitieren, sondern auch mit einer Eleganz die ihnen aufgetischten Würmer zu essen, die sogar ein Mitglied des hohen Rates dazu bewegen, sie für ihre fehlerlosen Tischmanieren zu loben.
 

Lance sitzt zwischen ihm und Pidge – Keith kann nur vermuten, dass das strategisch geplant war, weil Lance ihn und Pidge am wenigsten wahrscheinlich anfassen würde. Zumindest in der Theorie. Keith fragt sich, ob die anderen vielleicht nicht gemerkt haben, dass Lance in den letzten Wochen doch recht häufig seine Hand nach Keith ausgestreckt hat.
 

Aus unerfindlichen Gründen ist Keith sich Lance‘ Nähe hyperbewusst. Jedes Mal, wenn Lance seine Hand Richtung Tisch ausstreckt, um irgendein Kraut auf seinen Teller zu laden, denkt Keith, dass er jeden Augenblick Keith‘ Arm oder seine Hand streifen könnte. Lance‘ Stuhl steht recht nah an dem von Keith. Theoretisch könnten ihre Knie sich berühren, wenn Lance zu ausladende Bewegungen macht.
 

Aber auf Lance‘ Gesicht hat sich der Ausdruck verbissener Konzentration breit gemacht, der Keith verrät, dass Lance unter keinen Umständen der Buhmann dieser Mission sein möchte. Und Keith merkt auch, dass er geradezu darauf wartet, dass Lance es so richtig versemmelt.
 

Aber es passiert nicht.
 

Es passiert nicht während des Banketts, oder am nächsten Tag während ihrer Rundführung durch das Heiligste, oder am Tag darauf, oder am Tag danach, als sie sich die umliegenden Gärten ansehen und Allura über eine Wurzel stolpert. Die Sache ist die – man sieht, wie Lance‘ Körper automatisch reagiert. Es geht ein Ruck durch ihn, als würde er die Arme nach Allura ausstrecken wollen, um sie zu stützen.
 

Keith sieht, wie Lance sich auf die Unterlippe beißt und seine Arme an seinen Körper drückt, als würde er sie dort gerne fest tackern. Allura fängt sich selbst und entschuldigt sich bei ihrem Führer und Keith‘ Augen kleben an Lance‘ Rücken. Letztendlich holt er auf und geht neben Lance her.
 

Wenn er ein kleines bisschen weiter nach rechts gehen würde, würden ihre Hände sich vielleicht berühren. Oder ihre Schultern.
 

Lance weicht ein bisschen zur Seite und starrt stur geradeaus.
 

Er hat die ganzen letzten Tage kaum geredet oder dumme Witze gemacht, als müsste er alles an Energie darauf verwenden, niemanden anzugrabbeln. Keith versteht das nicht.
 

Keith spürt Ärger in sich hochsteigen, weil Lance ihm ausweicht, obwohl das von Lance der taktisch kluge Zug ist. Es ist bekloppt, sich in diese Sache reinzusteigern. Es ist ja nicht so, als würde Keith wirklich wollen, dass Lance versagt und so die Mission gefährdet. Generell wünscht Keith Lance nicht, dass er Dinge falsch macht.
 

Aber die Tatsache, dass Lance so kläglich aussieht, als gäbe es nichts Schlimmeres, als niemanden anzurühren, obwohl Keith mehrere Jahre so gelebt hat, kommt ihm vor, als würde Lance Keith für bescheuert erklären. Was er nicht wirklich getan hat.
 

Keith sollte einfach aufhören, über Lance nachzudenken.
 

Aber es geht nicht. Und als er abends im Bett liegt und erst nach drei Stunden verärgerten Grummelns und Grübelns einschläft, hat sein Unterbewusstsein auch noch die Nerven, ihn von Lance träumen zu lassen.
 

Es ist einer von diesen Träumen, die Keith nur ausgesprochen selten hat und meistens beinhalten sie gesichtslose junge Männer, die Keith kein großes Kopfzerbrechen bereiten. Er weiß, dass er Männer mag. Und es ist ihm zwar jedes Mal ein bisschen peinlich, wenn sowas passiert, aber das ist nichts gegen den absoluten Horror, den er empfindet, als er am Morgen aufwacht und sich an Lance‘ Hände erinnert, die ihn im Traum überall berührt haben.
 

Überall.
 

Und jetzt ist seine Unterwäsche feucht und klebrig und Keith würde vor Scham am liebsten sterben, weil er solche Träume über Lance definitiv nicht gebrauchen kann.
 

Er schafft es den ganzen Tag über nicht, Lance in die Augen zu sehen, aber Lance ist wahrscheinlich so mit seinem eigenen Elend beschäftigt, dass er es ohnehin nicht bemerkt. Das hofft Keith zumindest.
 

Shiro wirft ihm mehrfach fragende Blicke zu, aber Keith ignoriert sie so gut er kann und hofft, dass der Aufenthalt auf diesem elenden grünen Planeten sich endlich dem Ende zuneigt. Aber sie haben noch mindestens drei Tage vor sich, weil irgendein astronomisches Ereignis stattfinden soll, dass sie sich ansehen müssen. Zumindest findet das der hohe Rat.
 

Keith denkt sich im Stillen, dass er sehr wahrscheinlich auf dieses Ereignis verzichten kann, aber er sagt es nicht laut, um nicht Shiros enttäuschten oder Alluras strengen Blick auf sich zu ziehen.
 

Nach dem Abendessen ist Keith der erste, der sich vom Tisch verabschiedet, weil er schon wieder direkt neben Lance gesetzt wurde und diese unmittelbare Nähe seine Haut zum Kribbeln und sein Herz zum Hämmern bringt. Die Scham angesichts seines Traums ballt sich wie eine heiße Faust in seinen Eingeweiden zusammen und wenn er etwas schneller geht als sonst, dann ist es der Panik geschuldet, dass irgendwer ihn fragen könnte, was genau eigentlich in ihn gefahren ist.
 

Die ganze Zeit hat Keith sich über Lance lustig gemacht und die Augen verdreht, weil Lance so elend aussieht – einfach nur, weil er für eine läppische Woche niemanden antatschen darf. Und jetzt hat Keith das Gefühl, er müsste bei jeder Bewegung von Lance die Luft anhalten, weil die Hand des anderen ihn ja vielleicht versehentlich streifen könnte.
 

Keith dreht definitiv durch.
 

Statt sich darüber zu freuen, dass Lance ihn eine ganze Woche nicht anfassen darf, schreit sein ganzer Körper danach, endlich wieder eine Hand auf dem Rücken zu haben, einen Arm um die Schultern gelegt, einen einzigen Finger, der seinen Handrücken versehentlich streift, wenn sie beide nach derselben Schüssel beim Abendessen greifen.
 

Er würde das nie laut zugeben. Nie.
 

Aber wenn er sich vorher schon ab und an einmal gefragt hat, wie eine Umarmung von Lance wohl sein mag, dann ist er jetzt geradezu besessen von dem Gedanken. Er lässt sich ein Bad ein, sobald er sein Zimmer erreicht hat und fragt sich, ob er aus der morgigen Besichtigung der Tempelstätten fliehen kann, wenn er so tut, als hätte er eine Magenverstimmung. Er rupft sich gerade das grüne – und welche Farbe sollte es auch sonst haben – Oberteil aus luftigem Stoff über den Kopf, als es an seiner Tür klopft.
 

»Was?«, fragt er und er hört selber, wie unfreundlich er klingt. Er hofft, dass es nur Pidge ist – die würde sich an seinem Ton sicherlich nicht stören und lediglich die Augenbrauen hochziehen. Aber natürlich hat er kein Glück und seine Tür gleitet beiseite.
 

Da steht Lance, ebenfalls komplett in Grün gekleidet. Seine Robe hat eindeutig Ähnlichkeit mit einem Kleid und Keith würde gerne Witze darüber machen und angesichts der Tatsache jubilieren, dass er einfach nur eine Tunika und eine weite Pluderhose tragen musste. Aber die Wahrheit ist, dass Lance schlaksige Gestalt in dieser Robe ausgesprochen… elegant aussieht.
 

Ein Wort, das Keith definitiv noch nie mit Lance in Verbindung gebracht hat.
 

Jetzt lehnt Lance im Türrahmen, als wäre er wirklich genauso lässig, wie er gerne tut, wenn er irgendwelche hübsche Alienfrauen sieht. Keith würde ihm gerne eine reinhauen. Aber weil er das nicht begründen könnte, lässt er es. Außerdem wäre es nicht wirklich fair, weil Lance ihm zumindest theoretisch gar nichts getan hat.
 

Abgesehen davon, dass er Keith‘ sorgfältig aufgebaute Mauern mit einem Bulldozer eingerissen hat und jetzt fühlt Keith sich nackt und fern von sich selbst und als würde er krepieren, wenn nicht bald jemand eine Hand auf seine Schulter legt.
 

»Jemand hat mir geflüstert, dass du eine Badewanne in deinem Zimmer hast«, sagt Lance, als wäre das eine angemessene Erklärung dafür, wieso er Keith‘ Zimmer betritt.
 

»Ich weiß nicht, was das mit dir zu tun hat«, murrt Keith ungehalten. Ihm ist beinahe schmerzlich bewusst, dass er oben ohne ist. So viel Angriffsfläche für Hände.
 

»Du solltest teilen lernen, mulletman. Manche Leute sagen, dass das eine Tugend ist«, erklärt Lance. Keith schnaubt.
 

»Nein danke. Geh bei Hunk baden.«
 

»Hunk schläft schon.«
 

»Dann geh zu Pidge.«
 

»Pidge hat auch keine Badewanne.«
 

Keith sieht Lance säuerlich an.
 

»Lance, ich weiß nicht, was du willst«, sagt er abweisend.
 

»Deine Badewanne!«
 

»Bullshit! Du wolltest die letzten Tage auch keine Badewanne!«
 

»Ich habe eine sorgfältig ausgearbeitete Hautpflegeroutine, die in den letzten Tagen schon sehr gelitten hat! Wenn ich noch länger ohne Bad und eine anständige Maske auskommen muss–«
 

»Lance…«
 

»…ich meine, wieso kriegst du eine Badewanne und ich–«
 

»Lance!«
 

Lance verstummt. Keith will sauer auf ihn sein, weil er genervt ist und weil Lance einfach hier rein marschiert ist, als hätte er irgendein Recht dazu, aber die Wahrheit ist, dass Lance bei genauerem Hinsehen irgendwie ein bisschen verloren aussieht und sich etwas in Keith zusammenzieht, wenn er Lance anschaut – seine Arme sind weiterhin dauerhaft verschränkt und er sieht kleiner aus als sonst.
 

»Von mir aus nimm die blöde Badewanne. Aber wehe du singst!«
 

Dass Lance angesichts seiner Worte so verdattert aussieht, gibt Keith den Eindruck, dass Lance vielleicht eigentlich gar nicht wirklich wegen der Badewanne hergekommen ist, aber er fängt sich schnell und grinst Keith breit an. Er entknotet sogar seine Arme.
 

Keith schnaubt und wendet sich ab. Er hört, wie Lance sich auf den Weg ins angrenzende Bad macht, wo das heiße Wasser bereits seit ein paar Minuten einladend auf ihn gewartet hat. Das Rascheln von Kleidung, Wasserplätschern und ein sehr zufriedenes Seufzen sagt ihm, dass Lance in der Badewanne versunken ist.
 

Keith versucht, sich keine genaueren Gedanken darüber zu machen, dass Lance nackt ist. Er weiß nicht so richtig, was er jetzt mit sich anfangen soll, immerhin wollte er eigentlich baden. Er steht unschlüssig in seinem Zimmer und seufzt leise.
 

»Hey Keith! Du solltest mir Gesellschaft leisten! Aber mach die Augen zu!«
 

Keith gibt ein Geräusch von sich, dass genauso gut von einem sterbenden Reh hätte kommen können. Nicht, dass er schon mal ein Reh beim Sterben zugehört hat, aber so in etwa muss es sich anhören.
 

»Tchk«, macht er und fährt sich mit den Händen über das Gesicht, als könnte er so die Röte wegwischen, die sich dort breitgemacht hat.
 

»Hör auf deine Stirn zu runzeln und komm rein!«
 

Keith starrt auf die offene Tür, dann holt er tief Luft und betritt das Bad. Er schließt sofort die Augen und schiebt sich an der Wand entlang, bis er bei dem kleinen Hocker ankommt, der dort steht. Er kommt sich blöd vor, dort mit geschlossenen Augen und lediglich mit einer Hose bekleidet zu sitzen, während Lance seine Badewanne missbraucht.
 

Es ist eine sehr große Badewanne und Keith‘ Gehirn serviert ihm den Gedanken, dass er prinzipiell durchaus mit in die Badewanne passen würde.
 

Ugh.
 

»Dieser Planet muss doch der Himmel auf Erden für dich sein«, sagt Lance über das Wasserplätschern hinweg. Keith lehnt sich gegen die Wand und verschränkt die Arme vor seiner nackten Brust. Er fragt sich, ob Lance ihn gerade ansieht, aber er hält die Augen fest geschlossen. Das fehlte ihm gerade noch, dass er seinem Unterbewusstsein mehr Stoff für furchtbare Träume anbietet.
 

»Alles ist grün und es gibt Würmer zum Essen, wieso sollte das der Himmel auf Erden für mich sein?«, gibt er ungnädig zurück. Lance gluckst leise.
 

»Ah, ja. Ich hab vergessen, dass du Wüste und tote Tiere bevorzugst«, gibt er zurück und Keith hört das Grinsen in seiner Stimme. »Ich meinte, weil niemand sich anfasst. Ist das nicht voll dein Ding?«
 

Ah.
 

»Du meinst, weil deine Krakenarme sich ausnahmsweise mal von mir fernhalten?«, fragt Keith.
 

Stille antwortet ihm. Er runzelt die Stirn und fragt sich, was los ist, also öffnet er die Augen und sieht durch den leichten Nebel im Raum Lance an, dessen Gesicht bis zum Mund im Wasser versunken ist. Das, was Keith von seinem Gesicht noch sehen kann, sieht… traurig aus? Abweisend?
 

Lance bemerkt, dass Keith die Augen aufgemacht hat und taucht ein Stück auf.
 

»Ist ja nicht so, als wärst du hilflos und hättest mir nicht sagen können, dass es dich stört«, sagt Lance und seine Stimme ist gepresst und klingt überhaupt nicht nach Lance. Keith merkt, dass er irgendetwas falsch gemacht hat – er hat gerade etwas richtig versaut, aber wie immer kann er seinen Finger nicht so recht darauf legen, was genau es ist und er hat keine Ahnung, wie er es kitten soll.
 

Warum ist Freundschaft so schwierig?
 

Vielleicht liegt es auch an ihm. Vielleicht fehlt ihm ein Gen, das man braucht, um erfolgreich Freundschaften zu knüpfen und dann auch am Leben zu erhalten. Wundern würde es ihn nicht. Es ist ja nicht so, als hätte er nicht schon sein Leben lang das Gefühl gehabt, dass irgendwas mit ihm nicht stimmt.
 

»Ich– es macht mir… nichts aus–«
 

Lance schnaubt und erzeugt dabei Blasen auf der Wasseroberfläche.
 

»Ok, schon verstanden.«
 

»Nein, ich–«
 

Keith rauft sich die Haare.
 

»Es stört mich nicht! Ich bin es nur nicht gewöhnt. Es war nicht so ge– Ugh.«
 

Lance‘ Augen haben dieselbe Farbe wie das Badewasser, in dem er schwimmt, da die Badezimmereinrichtung im Gegensatz zu fast allem anderen auf diesem Planeten nicht grün ist. Keith fühlt sich durchleuchtet und unwohl in seiner Haut und er würde gerne aufstehen und gehen, aber dann ist Lance sicher noch saurer auf ihn und abgesehen davon, dass Keith echt nicht gut auf Lance zu sprechen ist, will er auf keinen Fall, dass Lance ihm wegen irgendetwas böse ist.
 

Wenn er einen Tag in seinem Leben ohne dämlichen, inneren Konflikt leben könnte, wäre ihm durchaus geholfen. Aber vermutlich ist es ihm nicht gegönnt.
 

Keith beschließt, dass es mit geschlossenen Augen besser ging und klappt seine Lider fest zu. Dann versucht er auszusehen, als wäre ihm diese ganze Unterhaltung total egal, aber er weiß nicht, ob es ihm gelingt. Lance schweigt eine ganze Weile, was für ihn eher ungewöhnlich ist. Keith bemüht sich, nicht allzu viel in die Stille hinein zu interpretieren.
 

»Ich hab fünf Geschwister«, sagt Lance schließlich mitten in die Stille hinein. »Und meine Oma wohnt bei uns zu Hause. Und zwei meiner Tanten wohnen nur ein paar Häuser weiter und ich habe acht Cousins und Cousinen und meine ältere Schwester Isabella war schwanger, als wir... Das Haus war immer voll und irgendein Kind baumelt immer von deinem Bein und irgendwer rempelt dich immer an, wenn du vorbei gehst und–«
 

Er bricht ab und seufzt.
 

Keith hat seine Hände zu Fäusten geballt und lauscht so andächtig, als könnte er so genau herausfinden, was er am besten sagen soll. Er ahnt dumpf, wohin dieser Monolog führen wird, aber er weiß nicht, ob er bereit ist, es zu hören.
 

Lance erzählt ihm gerade etwas Wichtiges. Etwas, das er vielleicht nicht jedem erzählen würde. Etwas, das vielleicht so eine Art Geheimnis ist. Wie Freunde es sich erzählen.
 

»Ich vermisse sie alle. Sogar Mateo, der mich regelmäßig vollgesabbert hat und Lucia, die mir mal so doll ins Bein gebissen hat, dass ich einen kreisrunden Abdruck hatte. Und im Schloss ist es immer still und es sind so wenig Leute und niemand baumelt von meinen Beinen oder wuschelt mir durch die Haare oder rempelt mich an und es ist so scheiße
 

Lance zischt das letzte Wort und dann hört man wieder ein paar Blubberblasen und Keith fragt sich, ob Lance einfach komplett untergetaucht ist.
 

Sein Herz fühlt sich an wie in Beton gegossen – ein hässlicher, grauer Klumpen zwischen seinen Rippen.
 

Lance erzählt nicht weiter und er sagt nicht, was genau es für ihn bedeutet, hier auf diesem Planeten festzustecken, wo er nicht mal jemanden spielerisch anrempeln darf – die letzten Fäden, die ihn an sein zu Hause knüpfen und an seine Familie. Körperkontakt ist Lance‘ Art und Weise, seine Wunden zu versorgen und seine Heimat am Leben zu halten.
 

Und Keith vergisst manchmal, dass die anderen ihre Heimat vermissen, weil er selbst sich dort ohnehin nie zugehörig gefühlt hat. Auf ihn warten nicht fünf Geschwister und Eltern und eine Oma und viele Cousins und Cousinen, die von seinen Beinen baumeln wollen. Auf ihn warten lediglich Wüste und Einsamkeit.
 

Es geht Lance miserabel, weil er seine Familie vermisst und die Tatsache, dass er hier niemanden anrühren darf, erinnert ihn noch mehr daran, als ohnehin schon.
 

Eigentlich hätte Keith sich das denken können, aber er ist wirklich, wirklich schlecht mit Menschen. Meistens muss man ihm Dinge direkt ins Gesicht sagen, damit er sie versteht. Subtile Hinweise funktionieren bei ihm nicht.
 

Er fühlt sich wie ein Arschloch.
 

»Wenn wir hier fertig sind, kann ich dich ja ordentlich anrempeln«, sagt Keith.
 

Wow.
 

Er ist der Meister des Tröstens, der König der aufmunternden Worte. Vielleicht sollte er sich einfach in die Badewanne stürzen und dort in aller Ruhe ersaufen, damit er nie wieder sowas Dummes sagen kann. Aber er hört ein Schnauben und dann ein Plätschern und Keith öffnet probehalber die Augen, um zu sehen, ob Lance sich jetzt verabschiedet, weil Keith einfach so bekloppt ist…
 

Aber nein. Lance hat seine Hände auf den Badewannenrand gelegt, der Keith am nächsten ist, und sein Kinn darauf abgestützt. Und er mustert Keith aus seinen sehr blauen Augen, die definitiv amüsiert Funkeln. Keith ist sich sicher, dass er knallrot im Gesicht ist und hofft, dass er das darauf schieben kann, wie warm und neblig es hier drin ist.
 

Er wartet darauf, dass Lance sich über ihn lustig macht, aber Lance schaut ihn einfach noch einen Moment lang an, dann grinst er breit.
 

»Deal!«
 

Lance sieht merkwürdig glücklich aus, als ob Keith irgendwas Tiefgründiges gesagt, das ihm sein Heimweh tatsächlich etwas erleichtert. Wenn Keith wüsste, wie Menschen funktionieren, dann wäre sein Leben so viel leichter.
 

Sie starren sich über den Badewannenrand hinweg an und Lance ist nackt und nass und Keith erinnert sich plötzlich an seinen Traum und macht ein komisches Geräusch irgendwo in seiner Kehle und steht auf.
 

»Ich bin… ich muss… bleib da nicht ewig drin, ich will auch noch baden!«, stammelt er, bevor er den letzten Teil heraus blökt und dann rauscht er hastig aus dem Bad und macht die Tür hinter sich zu.
 

Ugh. Lance und sein dämliches Grinsen und seine viel zu blauen Augen und seine bekloppte braune Haut und seine unerwartete Offenbarung…
 

Keith ertappt sich bei dem Gedanken, auch die Namen von Lance‘ anderen Geschwistern wissen zu wollen. Außerdem würde er gerne Lance‘ Grübchen küssen. Und am allerliebsten möchte er sich von seinem kleinen grünen Balkon stürzen, um diese furchtbaren Gedanken abzuschalten, weil sie ohnehin nirgendwo hinführen, weil Lance auf Frauen steht und weil er Lance ist und Keith sich nicht so fühlen sollte.
 

Nicht, wenn es um Lance geht.
 

Es dauert noch ganze zehn Minuten, bis Lance sich aus Keith‘ Badewanna bequemt und seine braunen Haare kleben ihm feucht in der Stirn und er trägt seine dämliche Robe wieder.
 

»Glaubst du, die überwachen unsere Zimmer, um zu sehen, ob wir uns gegenseitig hinter geschlossenen Türen begrabbeln?«, fragt er nachdenklich und Keith‘ Herz macht einen heftigen Satz in seiner Brust. Er versucht so normal wie möglich weiter zu atmen.
 

»Wahrscheinlich«, sagt er so lässig wie möglich und verschränkt die Arme vor seiner nackten Brust. Lance seufzt und zuckt mit den Schultern.
 

»Ja, wahrscheinlich geht man besser auf Nummer sicher«, meint Lance und geht Richtung Tür. »Danke fürs Bad, mulletman.«
 

»Hör auf mich so zu nennen.«
 

»Wenn du meinst, Mr. Grumpypants.«
 

»Ugh.«
 

Lance lacht und dann ist er verschwunden. Keith hört ihn draußen auf dem Gang pfeifen, als wäre seine Laune jetzt in der Tat viel besser als vorher. Keith hat wirklich keine Ahnung, wie genau Lance‘ Gehirn funktioniert, aber er hat auch keine guten Chancen es mit viel Grübeln herauszufinden, also geht er ins Bad und lässt neues, heißes Wasser einlaufen.
 

Keith hat dankenswerterweise keine weiteren Träume von Lance. Das hilft ihm zwar nicht unbedingt bei seinen obsessiven Gedanken darüber, von Lance auf irgendeine Art und Weise angefasst werden zu wollen, aber es ist definitiv eine Verbesserung. Lance sieht beinahe etwas weniger schlecht gelaunt aus, während sie die nächsten Tage fünf weitere Sitzungen des hohen Rates sowie mehrere Besichtigungen von kulturell wichtigen Stätten durchleiden müssen.
 

Allura sieht aus, als wäre sie ganz in ihrem Element und Coran ist sehr interessiert an allem, was die Kolina’ar ihm zu erzählen haben, aber Keith ist sich sicher, dass die beiden die einzigen sind, die so empfinden. Pidge leidet wegen des Mangels an Computertechnologie, Lance leidet wegen der mangelnden Umarmungen, Hunk leidet, weil Lance leidet – und weil das Essen schlichtweg furchtbar ist – und sogar Shiro sieht aus, als wäre sein Lächeln diese Tage eher fest getackert, als ehrlich gemeint.
 

Wenn Keith ehrlich mit sich selbst ist, ist das lang erwartete astronomische Ereignis in der Tat beeindruckend. Es ist ein Meteoritenschauer und es ist nicht der erste, den Keith jemals in seinem Leben gesehen hat, aber er hat eine andere Qualität, weil er inmitten der anderen Paladine steht und zum Himmel aufschaut und wenn er das ganze Grün um sich herum ignoriert, könnte man fast meinen, dass er inmitten der Wüste steht und zum Himmel aufsieht und sich wünscht, dort oben statt hier unten sein zu können.
 

Und sein Wunsch ist in Erfüllung gegangen, wenn auch nicht unbedingt so, wie er es sich vorgestellt hatte.
 

Die Kolina’ar um ihn herum beugen die Knie und strecken die Arme zum Himmel aus und Keith ist sich nicht sicher, ob das von ihnen auch verlangt wird, aber da Allura es nicht tut, lässt Keith es ebenfalls bleiben – nicht, dass er an ihrem letzten Tag noch irgendjemanden tödlich beleidigt.
 

»Es ist wirklich faszinierend, der Meteoritenschauer hängt sehr eng mit den Fruchtbarkeitsritualen der–«
 

Keith schaltet seine Ohren ab, sobald er Coran das Wort Fruchtbarkeitsritual sagen hört und starrt konzentriert nach oben in den Himmel, der immer noch von jeder Menge Sternschnuppen übersät ist.
 

Lance steht direkt neben ihm und Keith mustert ihn kurz so unauffällig wie möglich. Lance’ Mund ist leicht geöffnet, er hat den Kopf in den Nacken gelegt und die Sternschnuppen spiegeln sich in seinen beknackten, blauen Augen wieder. Keith denkt kurz darüber nach, alles über den Haufen zu werfen und ihn zu würgen, einfach weil Lance in Ermangelung eines angemesseneren Wortes wunderschön aussieht und Keith damit nicht gut umgehen kann.
 

Er hat anscheinend doch mehr Selbstdisziplin, als er dachte, denn er schafft es sich zusammenreißen – auch als Lance den Kopf dreht und ihn breit angrinst, auch als Lance so nah an ihm vorbei geht, dass sich ihre Schultern beinahe berühren und auch noch, als Lance eine theatralische Bemerkung darüber macht, dass dies die schlimmste Mission sei, auf der sie je waren.
 

Keith hat das Gefühl, dass seine ganze Haut unter Spannung steht, als sie sich endlich, endlich vom hohen Rat verabschieden. Es ist lächerlich. Alles, was er gesagt hat, ist, dass er Lance anrempeln würde. Das ist einer Umarmung nicht mal ansatzweise ähnlich, aber die Anspannung im Angesicht einer baldigen Berührung macht ihn nervös. Und zappelig.
 

»Alles in Ordnung?«, will Shiro von ihm wissen, als sie das Schloss betreten und sich hinter ihn die riesige Hangarluke schließt.
 

»Jap«, sagt Keith. Shiro glaubt ihm nicht, aber er kommentiert die Lüge nicht weiter.
 

Sobald die Kolina’ar außer Sicht sind, stöhnt Lance angestrengt und dann wirft er sich geradezu in Hunks Arme. Hunk gibt ein Schnaufen von sich und lacht. Er drückt Lance an sich und dreht ihn mehrmals im Kreis, was Lance zum Giggeln bringt.
 

Pidge verdreht die Augen, aber sie lässt sich von Lance durch die Haare wuscheln und beschwert sich nicht einmal, als Lance auch sie umarmt. Sogar Allura lässt sich widerstandslos von Lance drücken. Bei Shiro bringt Lance nur ein sehr unbeholfenes Schulterklopfen über sich, dafür umarmt er Coran, der merklich erstaunt aber nicht unzufrieden darüber aussieht.
 

Keith spürt förmlich, wie sich Spannung in ihm aufbaut. Pidge und Hunk machen sich gemeinsam auf den Weg Richtung Küche – Pidge, weil sie in Gesellschaft basteln will und Hunk, weil er laut seiner eigenen Aussage irgendwas kochen will, dass sich nicht mehr bewegt, wenn es auf dem Teller landet.
 

»Prinzessin, ich denke, wir sollten noch einmal die wichtigsten Eckpunkte der Vereinbarung durchgehen, bevor wir uns auf den Weg nach Makkledoria machen«, erklärt Coran und streicht sich über den Schnurrbart. Allura nickt und die beiden fangen an zu diskutieren und Keith beschließt, dass er unmöglich der letzte sein kann, der geht und er flieht geradezu aus dem Raum und macht sich auf den Weg zu seinem Zimmer.
 

Was hat er erwartet? Dass Lance sich in seine Arme wirft, weil er alle anderen auch umarmt hat? Als ob. Lance und er umarmen sich nicht und wieso sollte so eine seltsame Mission das ändern?
 

Als er Schritte hinter sich hört, ist er sich einen Moment lang sicher, dass es Shiro sein muss, der noch mal nachfragen will, was genau eigentlich los ist, aber eine Hand legt sich auf seine Schulter und Keith würde gerne auf das Leben seiner Mutter schwören, dass er nicht nach Luft schnappt, aber es wäre gelogen.
 

Er hält abrupt inne und Lance holt mit ihm auf.
 

»Jo, mulletman. Du hast vergessen mich anzurem– Uff.«
 

Keith ist sich nicht sicher, wieso genau sein Körper beschlossen hat, ihn dermaßen zu verraten, aber sein Gehirn ist nicht in der Lage, das genauer zu analysieren, denn er hat gerade Lance umarmt. Mitten im Gang.
 

Keith ist nicht gut in Umarmungen, weil er sie nicht gewöhnt ist. Er ist wahrscheinlich viel zu steif und ungeschickt und wer weiß schon, was man am besten mit seinen Händen macht – sie zu Fäusten zu ballen scheint ihm irgendwie nicht die richtige Methode zu sein.
 

»Das ist eine ungewöhnliche Art, jemanden anzurempeln«, sagt Lance und seine Stimme ist merkwürdig heiser.
 

»Halt die Klappe!«, blafft Keith in Lance‘ Schulter. Lance gluckst leise und dann erwidert er die Umarmung. Seine elenden Spaghettiarme wickeln sich um Keith‘ und seine Hände kommen auf Keith‘ Rücken zum Liegen. Lance hat wirklich eine gute Größe für Umarmungen – Keith kann sein Gesicht direkt an seiner Schulter vergraben. Sein Herz hämmert so fest gegen seine Rippen, dass es nicht verwunderlich wäre, wenn Lance es spüren kann. Zwischen sie passt nicht mal mehr ein Blatt Papier.
 

»Keith?«, fragt Lance ganz leise an seinem Ohr, aber Keith will nicht antworten. Er kann wahrscheinlich auch gar nicht antworten – was würde er sagen? Statt zu sprechen verkrallt er seine Hände in Lance‘ Jacke, damit der Volltrottel ja nicht auf die Idee kommt, ihn loszulassen.
 

Wie tief er gesunken ist. Wow.
 

Lance scheint die Botschaft zu verstehen, denn er gibt ein leises, zufriedenes Seufzen von sich und drückt Keith noch ein wenig fester an sich. Lance ist warm und er riecht nach Pfirsichshampoo und nach irgendetwas, das ganz speziell Lance ist.
 

»Hey mulletman?«
 

Keith grummelt gegen Lance‘ Schulter.
 

»Kann ich mit zu dir ins Zimmer kommen?«
 

»Hmpf.«
 

»Heißt das ja?«
 

Keith nickt kaum merklich. Er weiß, dass er aussehen muss, wie eine Tomate. Mit einem Ruck löst er sich von Lance, weil er Angst hat, dass er sonst vielleicht dort in Lance‘ Armen festwachsen könnte und er marschiert in Richtung seines Zimmers, ohne Lance anzusehen. Lance folgt ihm anscheinend bestens gelaunt. Er summt etwas, das Keith nach all den Monaten mit ihm als Beyoncé identifizieren kann und hat nicht einmal die Luft übrig, um Lance‘ Musikgeschmack zu kommentieren.
 

Sobald seine Tür hinter ihnen beiden zugegangen ist, klebt Lance an ihm, als gäbe es kein Morgen und Keith gibt ein Geräusch von sich, das definitiv kein schmachtendes Seufzen ist. Nope. Lance schiebt eine Hand in Keith‘ Nacken und streicht über sein Haar und Keith ist sich sicher, dass er jeden Augenblick in Flammen aufgeht.
 

Keith hört selbst, wie schwer er atmet und er weiß, dass er es total ruiniert hat. Alles. Er hat sich Hals über Kopf in Lance verknallt und Lance–
 

»Hey Keith? Kann ich dich küssen?«
 

Hä?
 

Keith zieht den Kopf zurück, knallrot im Gesicht und mit weit aufgerissenen Augen. Lance sieht erstaunlicherweise genauso aus und nicht so, als würde er sich über Keith lustig machen wollen.
 

»Ich– was?«
 

Lance sieht aus wie ein panisches Kaninchen. Seine Augen huschen zu Keith‘ Mund hinunter und Keith fragt sich, wie viel Innendruck seine Rippen noch verkraften können, bevor sie gesprengt werden.
 

»Ah, vergiss es, ich… ha–«
 

Keith beschließt, dass Lance ein Volltrottel ist und dringend aufhören sollte zu reden.
 

»Ok«, sagt er laut. Lance blinzelt, wird noch ein wenig dunkelroter im Gesicht und leckt sich nervös über die Lippen. Keith folgt der Bewegung mit den Augen und sein Magen macht einen Salto.
 

»Ok?«
 

»Komm schon, Frachterpilot.«
 

Keith hat keine Ahnung, was in ihn gefahren ist, aber Angriff ist ja bekanntlich die beste Verteidigung und etwas in Lance leuchtet auf, was Keith sagt, dass er irgendwas richtig gemacht haben muss und im nächsten Moment vergraben sich Lance‘ Hände in seinen Haaren und dann hat Keith ein Paar trockener, weicher Lippen auf seinem Mund und sein Gehirn ist komplett leergefegt.
 

Fuck.
 

Keith hat noch nie jemanden geküsst und so wie es sich anfühlt, hat Lance ihm diesmal etwas voraus, denn die Art, wie seine Zunge über Keith‘ Lippen streicht, fühlt sich sehr gekonnt an. Seine Knie werden weich und er krallt sich an Lance‘ Jacke fest, ehe er den Mund öffnet und Lance‘ Zunge entgegen kommt.
 

Lance macht ein Geräusch, das Keith der Ohnmacht nahe bringt. Er muss Lance noch viel näher sein, er braucht mehr Körperkontakt.
 

Sein Atem geht mittlerweile stoßweise, während Lance ihn weiter küsst und immer und immer wieder seine Lippen auf die von Keith presst.
 

Keith gibt ein absolut peinliches, wimmerndes Geräusch von sich und löst sich dann hastig von Lance, um nach Luft zu schnappen. Lance schaut ihn aus verhangenen Augen an und leckt sich erneut über die Lippen.
 

»Das wollte ich schon ne ganze Weile machen«, gesteht Lance heiser und fährt sich peinlich berührt durch die Haare. Keith‘ Magen hat sich offiziell in Brausetabletten aufgelöst. Er kann weder denken noch sinnvolle Sätze bilden.
 

»Wa– wieso? Frauen?«
 

Lance muss lachen, weil Keith so einen Unsinn brasselt und er streckt die Hand aus, um Keith über die Wange zu streicheln. Sein Daumen streift Keith‘ Unterlippe und Keith Lippen öffnen sich unweigerlich ein wenig. Er kann ganz genau sehen, wie Lance‘ Pupillen sich weiten.
 

Scheiße.
 

Lance zuckt mit den Schultern, scheint aber verstanden zu haben, was Keith sagen wollte, denn er antwortet und sieht dabei angemessen verlegen aus.
 

»Ich wusste vorher auch nicht, dass ich anscheinend in mehrere Richtungen schwinge.«
 

Vorher. Vor Keith.
 

Keith hält die Luft an.
 

»Heißt das… ich hab jetzt Erlaubnis, meine Krakenarme einzusetzen?«, will Lance wissen und er sieht ein wenig unsicher aus. Keith gibt ein Grollen von sich und presst seine Lippen erneut auf die von Lance, schlingt seine Arme um ihn und drückt ihn gegen die geschlossene Tür. Lance seufzt zufrieden in den Kuss und fährt mit einer Hand unter Keith‘ Shirt. Es ist, als hätte jemand Keith einen elektrischen Schlag verpasst.
 

»Also… ja?«
 

»Vorher auch schon«, murmelt Keith.
 

»Was?«
 

»Deine Krakenarme! Waren vorher auch schon ok!«, blafft er. Lance lacht leise.
 

»Ok.«
 

Sie schweigen einen Moment lang und Keith hat Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, dass er jetzt ein bisschen versteht, was Lance in der letzten Woche gefühlt hat. Er war isoliert und hat sich allein gefühlt. Und jetzt, mit Lance‘ Händen auf Keith‘ Haut und in seinen Haaren und mit Lippen auf seinen fühlt Keith sich definitiv weniger allein.
 

Weniger isoliert.
 

»Ich werde sie auch weiterhin beim Training einsetzen«, warnt Lance. Keith schnaubt in seine Halsbeuge, dann zieht er Lance mit sich Richtung Bett.
 

»Vielleicht gewinne ich, wenn ich erst mal all deine erogenen Zonen gefunden habe«, überlegt Lance laut und Keith verschluckt sich fast an seiner eigenen Spucke. Er fragt sich, wie um alles in der Welt er sich in jemanden wie Lance McClain hat verlieben können.
 

Aber wahrscheinlich ist es nicht so verwunderlich, wenn jemand es schafft, dass man sich in seiner Isolation weniger allein fühlt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Shizukami
2020-10-25T15:55:53+00:00 25.10.2020 16:55
Kieth: "Lance,ich weiß nicht was du willst." Lance :"deine Badewanne" eh das war so geile der Moment das ich lachen musste. Aber muss sagen deine ff ist echt schön und süß geschrieben. Aber das Ende hat leider Kliff Hänger wo man gerne mehr lesen wollte wie es im Bett weiter ging. ;)
Von:  -Sasa-chan-
2018-09-04T20:29:33+00:00 04.09.2018 22:29
Ahhhhh the feeels!! Ich danke dir für diese, und auch für die Coffeeshop FF *_*
Ich bin momentan noch mehr in der Klance Hell als zuvor schon und kriege kaum genug fanwork, jedes Bild ist ein Strohhalm an den man sich klammern möchte ;-;
Und da ich Voltron auf englisch schaue, bin ich dem deutschen Fandom eher skeptisch gegenüber.
Aber dein Schreibstil ist der heilige Gral, deine FFs geben mir das Life das ich brauche *___*
Danke für diese tollen Geschichten, ich geb mir jetzt gleich noch Nummer Drei :D

LG Sasa
Antwort von:  Ur
05.09.2018 17:48
Aww, vielen Dank! Ich freu mich sehr, dass dir die Geschichten gefallen haben <3 Ich les auch vor allem Englisches, weil die deutschen FFs mit selten gefallen D: Ist leider in vielen Fandoms so mittlerweile.
Antwort von:  -Sasa-chan-
05.09.2018 22:38
Jaaa und wie ;v;
Stimmt, da kann ich nur zustimmen...
Ich habe auch früher deutsch geschrieben und gelesen, aber irgendwie ist englisch einfach besser >.<
Von:  cielsmelancholy
2018-06-23T00:23:18+00:00 23.06.2018 02:23
Ich mag deinen Schreibstil sehr sehr gerne. Ich mag, wie du Dinge beschreibst - in diesem Fall vor allem die Gefühle und Gedanken von Keith. Seine Gedankengänge sind einfach oft so unbeholfen und absurd, was es unglaublich süß macht.
Ich fand's schön, wie er Lance die ganze Zeit beobachtet und bemerkt hat, wie unwohl er sich fühlt und wie er dann immer mehr gemerkt hat, wie sehr ihm selbst auch diese kleinen Berührungen fehlen.
Und ich liebe das Ende! Weil es einfach so nachvollziehbar ist. Beide haben es unsagbar vermisst, den jeweils anderen zu berühren und können nun auch ihre Gefühle nicht mehr zurückhalten. Hach, das ist so schön. <3

Danke, dass du mir mit deinen Geschichten die letzten beiden Tage verschönert hast. :)

Liebe Grüße
cielsmelancholy
Antwort von:  Ur
23.06.2018 08:02
Ich freue mich, dass ich dir zwei Tage verschönern konnte :) Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, alle drei Geschichten zu kommentieren, das ist total lieb <3
Antwort von:  cielsmelancholy
23.06.2018 12:22
Sehr sehr gerne. :) Und ich bin froh, dass ich in den anderen Kommentaren nicht noch mehr zu 6. Staffel geschrieben und dich gespoilert hab, normalerweise bin ich da vorsichtiger. xD Guck sie dir lieber schnell an, bevor's zu spät ist und du doch noch gespoilert wirst, sie ist so gut. :)
Antwort von:  Ur
23.06.2018 12:23
Im Moment hab ich leider keine Zeit, aber mir stören spoiler auch nicht, also keine Sorge ;)
Antwort von:  cielsmelancholy
23.06.2018 12:24
Ah ok, dann geht's ja. :) Dann wünsch ich dir noch ein angenehmes Wochenende. <3
Von:  DarkRapsody
2017-10-30T15:30:21+00:00 30.10.2017 16:30
Wuha deine FF ist so gut geschrieben, dass man mitfiebernd und quietschend vor dem Bildschirm mitliest (zumindest reagiere ich so :3) Das Genre Fluff habe ich bisher noch nicht gelesen weshalb ich mir dachte mal hereinzulinsen. Gut, da kann ich mir nun auch vornehmen was über Voltron zu schreiben, dank der guten inspirierenden FF!
Grüße, DarkRapsody <3

Antwort von:  Ur
30.10.2017 16:33
Vielen Dank für den lieben Kommentar :) Ich freu mich, dass du dich inspiriert fühlst - es gibt ja leider kaum FFs zu Voltron hier auf Animexx! Viel Erfolg beim Schreiben ^-^


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