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Unwritten

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Zehn Jahre später • Epilogue

Die alte Eiche stand im Garten von Tsuyuhas Elternhaus. Sie hatten sich damals darauf geeinigt, weil es der Platz gewesen war, der sich am Bequemsten wieder erreichen ließ. Die Plastikbox mit dem Geschenkpapier im Inneren war schmutzig und erdverkrustet, aber sie war immer noch luftdicht verschlossen, als Hayashi sie aus dem kleinen Erdloch hob, das sie gerade gebuddelt hatte. Sie grinste hoch in die Runde, ehe sie mit ihrem Handrücken das Haar aus der Stirn wischte und damit eine Spur Erde dort verteilte. Mit dem schelmischen Grinsen war es nicht schwer, die Jugendliche von damals in ihrem Gesicht wiederzufinden.

„Hab sie!“

Mit einem schwungvollen Hopsen kam sie mit ihrem neuen Schatz auf die Beine. Gut gelaunt präsentierte sie die Kiste einmal reihum, ehe sie sie Nagisa in die Hände drückte – vermutlich deshalb, weil es überhaupt erst ihre Idee gewesen war. Tsuyuha fand das nur fair.

 

Zehn Jahre war es her, dass sie sie vergraben  hatten. Eine Zeitkapsel, gefüllt mit allem, was ihnen damals eingefallen war. Tsuyuha erinnerte sich nicht  mehr wirklich, was sie damals hineingeworfen hatte. Ein Foto des Teams. Einen Brief an ihr zukünftiges Ich. Aber was stand darin? Wie viele Jugendträume und Wünsche würde sie gleich wiederfinden, um festzustellen, dass sie alle nicht in Erfüllung gegangen waren?

Und dass es okay war.

Sie lächelte, sah in die Runde der jungen Frauen, die sich allesamt um die Box scharten.

 

Sie hatten sich verändert.

 

Einige, wie Tsurumori, hatte Tsuyuha wirklich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen – außer auf Fotos, denn immerhin in Kontakt geblieben war sie mit allen Mädchen von damals. Nozomi und Mari hatte sie am Häufigsten wiedergesehen, und trotzdem stellte sie fest, dass Nozomi wieder einen neuen Haarschnitt hatte, und der Pullover, den Mari trug, musste auch neu sein. Tsuyuha erinnerte sich, dass sie letztens von einem Einkaufstrip erzählt hatte.

Sie, die sie vor zehn Jahren zusammengekommen waren, um die Box hier unter der alten Eiche zu vergraben, waren allesamt zurückgekehrt. Trotzdem hatte die Gruppe sich zu damals verändert: Nagisa hatte eine Freundin mitgebracht, die Tsuyuha bisher nur aus Erzählungen kannte. Mari einen Ehemann, den sie immerhin schon ein paar Mal getroffen hatte. Nozomis Tochter baumelte an ihrem Handgelenk und beäugte mit großen, neugierigen Kinderaugen das Geschehen.

 

„Seid ihr bereit?“, fragte Nagisa leise. Sie klang nervös; so ganz hatte sie das nie abgeschüttelt.

„Schon seit Jahren!“, rief Hayashi lachend. Auch die anderen bestätigten, und so öffnete Nagisa die Kiste, hielt sie dann in die Mitte ihres kleinen Kreises, damit jeder hineinsehen konnte. Bunte Briefumschläge, ein paar Fotos, ein geknüpftes Armband. Es war nicht viel, das in ihrer persönlichen Schatztruhe war, aber es war persönlich, und das reichte, damit Tsuyuha das Herz krampfte. Sie traute sich kaum, hineinzugreifen, um ihren marineblauen Umschlag herauszuholen, tat es schließlich aber doch, nachdem Nozomi lachend ein rosa Ungetüm von Briefumschlag aus der Box zog.

„Sieht nach Liebesbrief aus“, spottete Hayashi amüsiert, die mit Argusaugen verfolgte, wer sich an der Box bediente. Nozomi sah sie grinsend an und wedelte mit dem Umschlag herum.

„Fast! Ist das gleiche Papier wie die Briefe an Oikawa damals. Das letzte Mal, das ich das Zeug benutzt habe!“

„Stimmt, du hast ihn ja aufgegeben.“

Mari klang, als hätte sie es ernsthaft vergessen. Nozomi sah sie gespielt empört an, dann lachte sie aber wieder und zuckte lässig mit den Schultern.

„Er hätte mich ohnehin nicht wertschätzen können, Mari.“

Tsuyuha grinste, als sie sah, wie ihre alten Kameradinnen Blicke austauschten, die ganz klar sagten das haben wir dir schon immer gesagt.

 

Jede von ihnen angelte einen Brief aus der Box. Hayashi sah verwirrt aus, als sie einen cremefarbenen Umschlag herausholte, auf dem ganz klar ihr Name stand, und auch Han beäugte ihren Umschlag kurz verdutzt. Dann tauschten sie Blicke und grinsten, irgendein Geheimnis zwischen ihnen, das Tsuyuha nicht verstand. Aber sie sahen glücklich aus. Hand in Hand, seit sie angekommen waren.

Es hatte keine von ihnen verwundert, als sie ihre Beziehung verkündet hatten.

Es hatte noch weniger verwundert, dass sie seit inzwischen mehr als neun Jahren einfach zusammengeblieben waren, trotz teilweiser Fernbeziehung.

 

Fotos wurden herumgereicht. Alte Bilder aus der High-School-Zeit, über die man heute lachte, weil man als Teenie eindeutig andere Vorstellungen von hübsch gehabt hatte. Das strubbelige, kurze Haar… Tsuyuha hatte verdrängt, wie wild sie damals ausgesehen hatte. Nagisas Haarspangenfimmel. Tsurumoris kleinmädchenhafte Zöpfe, die so gar nicht zu ihrer hochgewachsenen Gestalt gepasst hatten.

Das Armband wurde von Nagisa an ihre Freundin weitergereicht mit einem Blick, der noch mehr Geschichten erzählte, die Tsuyuha nicht verstand.

 

Wenn sie ihre Briefe gelesen hatten, würden sie gemeinsam in ein Lokal gehen, etwas essen, trinken, und über all die kleinen Geheimnisse reden, an die sie sich jetzt wieder erinnerten. Aufholen, was in den letzten Jahren passiert war. Es war in Ordnung, wenn sie jetzt nicht alles verstand – später würde sie schlauer sein.

Tsuyuha lächelte, öffnete behutsam ihren Briefumschlag.

 

 
 

***

 

 

Das war es. Was sie gewollt hatte. Icchan und ihre Teamkolleginnen auf einem Haufen. Hotarus Herz raste vor Glück, während sie mit feuchten Augen zusah, wie ihre ehemaligen Teamkameradinnen über ihren Briefen brüteten. Das Armband an Icchans Handgelenk war alt und abgegriffen, hatte seine Leuchtkraft längst verloren, und war trotzdem so viel schöner, als es je gewesen war. Endlich war es da, wo es hingehörte.

Sie hatte wirklich alles erreicht, was sie hatte erreichen wollen. Erst war sie Icchan auf dem Spielfeld gegenübergestanden. Dann war sie in einem Team mit ihr gewesen, und inzwischen wohnten sie in einer WG und waren ohne jede Diskussion unzertrennlich. Über Telefonate und Chats gehörte Icchan längst zu ihrer alten Clique.

Und jetzt auch offiziell.

Die losen Fäden waren verknüpft, wie das Armband, das nach all den Jahren endlich wieder zusammengebunden worden war.

 

Eine Zeitkapsel war eine großartige Idee gewesen. Und es hatte so viel besser geklappt als erwartet. Manchmal hatte Hotaru sich gefragt, ob sie in zehn Jahren überhaupt noch nah genug zusammenstehen würden.

Sorgen, die unbegründet waren, offensichtlich. Sie waren alle noch da. Ihre Gruppe hatte Zuwachs bekommen, und würde sicher auch weiterhin Zuwachs kriegen. Sie hatten alle ihr eigenes Leben, und trotzdem waren sie noch ein Teil des jeweils anderen.

„Sie sind wirklich toll“, murmelte Icchan ihr amüsiert zu, riss sie aus ihren Gedanken. Hotaru zog irritiert die Nase kraus, verwirrt, wo das nun herkam. Sie begriff es erst, als sie auf ihren eigenen Brief hinuntersah, den sie ohne ihn zu lesen längst aufgefaltet in den Händen hielt.

Sie hatte ihn damals an Icchan adressiert.

 

Sie lachte verlegen, aber glücklich. Drückte Icchan den Brief in die Hand, der eigentlich ohnehin mehr ihr als Hotaru selbst gehörte.

 

„Ja, das sind sie.“

 

 
 

***

 

 

Liebe Ricchan!

 

Habe ich es dir inzwischen gesagt? Ich hab mir vorgenommen, es dir zu sagen. Wenn ich es nicht getan habe, bin ich ein größerer Feigling, als ich gedacht hätte.

Aber du bist trotzdem noch bei mir, nicht wahr?

Wow, zehn Jahre! Kaum zu glauben, dass du es noch einmal so lange mit mir aushalten wirst! Aber es ist ein toller Gedanke. Ich freue mich drauf. Hatten wir Spaß? Ich hoffe, wir hatten Spaß. Und ich hoffe, ich hab nicht noch mehr Schuhe verloren?

Auch wenn der Tag super war.

Aber ich hab ganz schön Ärger bekommen! Hab ich dir das eigentlich erzählt? Ich glaube, ich hab’s verpeilt. Na, jetzt weißt du es!

…Hm.

Weißt du, eigentlich ist’s mir auch egal, wenn ich noch tausend Mal Schuhe verloren habe. Solange du dabei warst.

 

Eigentlich bin ich mir auch sicher, dass ich es dir gesagt habe. Aber sicher ist besser. Und ich will es dir nochmal sagen. Und nochmal. Und nochmal. Ich hoffe, ich sage es dir oft genug!

 

Ich liebe dich, Ricchan.



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