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Unwritten

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November • Turn The Page

Als Kind hatte sie ein Lieblingslied gehabt, das im Wesentlichen den Weg nach Nimmerland beschrieb. Rechts am zweiten Stern vorbei, und dann weiter bis zur Morgendämmerung… irgendwie so war es gewesen. Es war eins der wenigen Dinge, die sie aus der alten Heimat mitgenommen hatte, als sie nach Japan gezogen war, und jetzt dachte sie mehr denn je daran, wie schön es wäre, ewig jung zu bleiben.

Selbst ein Peter Pan zu sein.

Drei Jahre High School waren einfach weit entfernt davon, genug zu sein. Wie sollte man denn alles erreichen, was man wollte? Freunde. Liebe. Erfolg. Gute Noten. Irgendetwas litt doch immer! Und es gab so vieles, an dem sie nicht einmal selbst Schuld waren, wenn es nicht klappte.

Sie hatten wieder verloren.

Halbfinale. Wieder nicht genug.

 

Nächstes Jahr. Würde das helfen? Wenn sie noch ein Jahr mehr hätte…

 

Seufzend sah sie hinauf in den Himmel, trüb von Wolken, dunkel, obwohl es noch zu früh für den Sonnenuntergang war. Irgendwo da oben war er, dieser zweite Stern, und wenn sie ihm folgte… würde sie ihr persönliches Nimmerland finden können? Ein ewiges High-School-Leben.

 

Es war nicht  nur der Volleyball.

 

Allgemein fühlte María sich nicht, als wäre sie bereit fürs Erwachsenwerden. Studium. Eigene Wohnung. Berufsleben. Raus aus dem gewohnten Umfeld, weg in die Fremde. Neue Menschen, neue Freunde, alte Freunde verlieren, wie es schon mit Ende der Mittelschulzeit gewesen war.

Es war in Ordnung gewesen.

Aber dieses Mal – sie wollte nicht, dass es vorbeiging. Am Ende der Mittelschule war sie aufgeregt gewesen und hatte das neue Leben kaum erwarten können.

Diesmal wollte sie lieber einem Stern ins Nirgendwo nachjagen, als den finalen Schritt durchs Schultor zu tun.

 

„Es macht keinen Sinn, noch im Club zu bleiben, oder?“

 

Tsuyuha unterbrach die Stille, die seit gefühlter Ewigkeit auf ihnen gelegen hatte. Sie saßen auf einer Bank auf dem Schulhof, weil sie trotz wegen Renovierungen ausfallendem Training noch nicht hatten nach  Hause gehen wollen. Mit nichts als ihren Gedanken als Beschäftigung hatte die kürzliche Niederlage sie schnell wieder eingeholt, war kurz Gesprächsthema gewesen, ehe sie alle drei in den dunklen Ecken ihres Verstandes verlorengegangen waren, jede zweifelsohne schlussendlich mit den gleichen Sorgen beschäftigt.

„Nope“, gab Nozomi zurück. Sie schnaufte, streckte die Beine aus und lehnte sich zurück, dass sie beinahe hintenüberfiel. Sie blies die Wangen auf wie ein trotziges Kleinkind. „Aber ich will bleiben. Wir gehen doch früh genug! Es sind nur noch ein paar Monate, und–“

„Ich möchte auch bleiben“, gestand María. Sie hob die Schultern. Selbst wenn es keinen Unterschied machte. Sie erreichten dieses Jahr eh nichts mehr. Aber die Mädels im Team, die waren mehr als Teamkameraden. Sie waren Freundinnen.

 

Und zu bleiben war ein bisschen wie ein eigenes, persönliches Nimmerland. Solange sich nichts änderte, konnte sie immer noch hoffen, dass das Ende niemals kam. Noch ein bisschen weglaufen vor dem Erwachsenenleben, das sie nicht wollte und das sie ängstigte.

 

Eine Weile kehrte die Stille wieder. Dann begannen die Überlegungen. Wie lange man sich an sie erinnern würde? Wie viele Jahre würden vergehen, bis niemand mehr da war, der auch nur ihre Namen kannte? Drei Jahre. In drei Jahren waren auch die aktuellen Erstklässler fort, die letzten Zeugen ihrer Existenz, und damit würden sie verschwinden, wie schon Generationen von Senpai vor ihnen verschwunden waren.

Es war ein trauriger Gedanke. Einsam. Erdrückend. Ernüchternd, irgendwie. Es war der Lauf der Dinge. Sie selbst waren nicht besser. María hatte gerade noch Email-Kontakt mit einigen Ehemaligen, manchmal telefonierte man, aber darüber hinaus? Selbst Ezaki hatte sie seit deren Schulabschluss nur noch drei Mal privat gesehen, obwohl sie ihnen immer sehr nahe gestanden hatte. Es war einfach so. Es war normal. Es konnte nicht einfach bleiben, wie es war. Sie würden sich weiterentwickeln, verändern, auf neuen Pfaden wandern, statt sich ewig im Kreis zu drehen.

María mochte Kreise.

 

Zweiter Stern rechts, weiter bis zur Morgendämmerung. Und die Straße, die würde sich dann von selbst finden.

Wenn es doch so einfach wäre…

 

Würden sie in ein paar Jahren wirklich noch hieran zurückdenken? An ihr altes Team? Die Leute, mit denen sie heute noch lachten und weinten? War das Vergessen nicht letztlich etwas Gegenseitiges? Nozomis jammernde Gedanken waren deprimierend ernüchternd. Sie hatte Erinnerungen an ihre Mittelschulfreunde. Maximal losen Kontakt. Aber es war nichts, das ihr heute noch viel Wichtigkeit hatte. In ein paar Jahren… Sie schüttelte den Kopf. Schüttelte den Gedanken ab und konnte ihn trotzdem nicht ganz loswerden.

„In ein paar Jahren“, griff Tsuyuha den Gesprächsfaden wieder auf, statt ihn fallen zu lassen. Sie stand von der Bank auf und baute sich vor ihren Freundinnen auf. Mit ihrem selbstbewussten Lächeln hatte sie gerade wieder eine erschreckende Ähnlichkeit zu Ezaki.

„In ein paar Jahren kehren wir zurück. Nicht so recht hierher, aber zum Team. Ist das nicht etwas? Und klar, dann sind wir andere Menschen, und haben uns verändert, aber dann können wir immer noch aufarbeiten und aufholen und Freunde sein! Das ist genug.“

Sie grinste breit, und ihre Augen funkelten. Wie Sterne. Nozomis Lachen, das laut den trüben Novembertag erhellte, war wie die Morgendämmerung nach einer langen, dunklen Nacht.

Die Straße war eine einfache, mit Geschenkpapier ausgekleidete Plastikbox. María stimmte in Nozomis Lachen mit ein, ignorierend, dass ihr Tränen in die Augen stiegen.

Es war okay.

 

Sie hatte ihr persönliches Nimmerland schon längst.



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