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April • Neverending Story

Sie war hochgewachsen. Hübsch. Kurzes, schwarzes Haar, das wild von ihrem Kopf stand, ein Lachen, das durch die ganze Sporthalle schallte, und in ihren Augen lag eine Wildheit, die Tsuyuha vom ersten Augenblick an faszinierte.

Ezaki Kaori war alles, was Tsuyuha nicht war, angefangen von dem hochgewachsenen Körper bis hin zum unbeirrbaren Selbstvertrauen und dem unerschütterlichen Talent, ihr Team mitzureißen, egal, was sie tat – und sie war der Grund, weshalb sie überhaupt bei Seijohs Volleyballclub geblieben war.

 

Eigentlich war es nur Neugier gewesen, die sie den Flyer hatte behalten lassen, den Seijohs damaliges Managerinnenteam ihr am Schuljahresbeginn in die Hand gedrückt hatte.

Dass sie einen Sportclub wollte, war für Tsuyuha außer Frage gewesen – sie kam von einer winzigen Mittelschule ohne jegliches Angebot, wo sie als Mädchen ernsthaft nur Tennis hatte belegen können, was sie kaum gereizt hatte, abgesehen davon, dass es zur Bewegung taugte. Sie wollte Mannschaftssport. Basketball? Schwimmen? Lacrosse?

Sich vornehmend, sich die Clubs der Reihe nach einmal anzusehen, begann sie mit Volleyball – und blieb dort.

Das herzliche Lachen, das sie enthusiastisch willkommen hieß, und Augen, die sie an einen strahlenden Sommertag im Wald erinnerten, nahmen sie sofort gefangen, noch bevor es ihr bewusst wurde. Nach weniger als zwei Monaten war aus der ursprünglichen Neugier eine so tiefe Leidenschaft geworden, dass sie an ein Leben ohne ihr neues Team gar nicht mehr denken wollte.

 

Zwei Jahre war das jetzt her.

 

Zwei Jahre, seit Tsuyuha, damals noch scheu und sichtbar kleiner als heute, in die Sporthalle getreten war, um dem ersten Clubtreffen des Jahres beizuwohnen. Zwei Jahre, seit sie das erste Mal die waldgrünen Augen mit den Sonnensprenkeln gesehen hatte.

 

Jetzt stand sie vor dem dritten ersten Clubtreffen des Jahres ihres High-School-Lebens, doch im Gegensatz zu damals war sie nicht eine der letzten, die die Sporthalle betrat, sondern die erste. Die Sporthalle war erdrückend groß, so leer wie sie war, und Tsuyuha hatte den Eindruck, sie könne in den Fußstapfen versinken, die ihre Vorgängerinnen ihr hinterlassen hatten.

„Du schaffst das“, hatte Ezaki ihr noch letzte Woche beim Kaffee gesagt, zuversichtlich und optimistisch, wie sie immer gewesen war. In dem Moment hatte Tsuyuha es ohne Diskussion geglaubt, und auch jetzt wurde es leichter, wenn sie nur daran dachte, wie sonnenstrahlengesprenkelte Augen sie aufmunternd angesehen hatten, stolz, und ein bisschen sentimental. Als wüsste Ezaki noch ganz genau, was für ein stilles, behutsames Ding Tsuyuha in ihrem ersten Jahr gewesen war. (Wahrscheinlich wusste sie es wirklich noch.)

Sie holte tief Luft, straffte die Schultern.

„Ich bin Captain!“, verkündete sie der leeren Halle laut. Ihre Worte hallten kraftvoll von den Wänden wider, so viel lauter, als sie vor einer Ewigkeit mal gedacht hätte, dass sie werden könnten. Sie grinste wild.

 

Es war nicht, als wäre sie erst seit gestern Captain. Die Drittklässler im Vorjahr waren nach der Inter High zurückgetreten, wie so oft. Aber es war einfach etwas anderes, die gleichen alten Gesichter zu führen, die man schon seit gut eineinhalb Jahren kannte, als sich auf neue Gesichter einstellen zu müssen. Erst jetzt fühlte sich der Captainsmantel wirklich schwerwiegend an. Bald würden die neuen Erstklässler kommen. Bald war es ihr Job, auf die Neulinge zuzutreten, zu strahlen, charismatisch und stark zu sein, und ihre Leidenschaft für Volleyball anzufachen.

Das war die große Hürde ihres High-School-Lebens. Eine würdige Nachfolge zu sein für die Mädchen, die vor ihr hier gestanden und gekämpft hatten. Eine würdige Nachfolge für Ezaki sein, damit sie in zwei Wochen, wenn sie sich wieder einmal draußen in der Stadtmitte trafen, immer noch verkünden konnte, dass sie stolz war.

 

Mitten in ihre Gedanken hinein öffneten sich die Türen zur Sporthalle, um die ersten Spielerinnen einzulassen. Bekannte Gesichter, die Tsuyuha über die letzten beiden Jahre viel zu liebgewonnen hatte. Die anderen Drittklässlerinnen, Startaufstellung wie Ersatzbank gleichermaßen. Überpünktlich, wie immer. Wie immer fanden sie sich in Kleingrüppchen ein, um zu plaudern, bis das Training losging. Wie immer waren es die Reste der Startaufstellung, die sich in Tsuyuhas Richtung begaben.

Neu war lediglich, dass Nozomi schrill kreischte bei ihrem Anblick.

„Deine Haare!!!“

 

Pünktlich zum neuen Schulclubjahr hatte Tsuyuha es gestern erst abschneiden lassen. Seit sie denken konnte, war es lang gewesen. Beim Sport eine Pest, weil es schwer gewesen war und der Pferdeschwanz immer wild hin und her schlenkerte, aber sie hatte es behalten wollen. Gewohnheit. Es war ein Teil von ihr gewesen.

Und dann, plötzlich, hatte sie es nicht mehr gewollt.

Die Vorstellung, als Captain vor den anderen Mädchen zu stehen, vor den kleinen Erstklässlerinnen, die zweifelsohne mit ihren ganz eigenen Erstklässlersorgen und –Ängsten kommen würden, wie das immer so war, die scheu im Angesicht all der neuen Senpai wurden, und dann diesen strengen Pferdeschwanz zu tragen, hatte sie abgeschreckt. Objektiv wusste sie, dass es Blödsinn war, aber Captain-Sein verband sie viel zu deutlich mit Dingen, die von einem strengen Pferdeschwanz kaum weiter entfernt sein könnten.

 

Also hatte der Pferdeschwanz weichen müssen.

 

Jetzt war ihr Haar kurz und wild und stand in alle Richtungen ab, wenn sie sich einmal zu oft hindurchraufte, und sah sie in den Spiegel, entdeckte sie zumindest einen leisen Nachhall dieser Wildheit, die sie dazu gebracht hatte, am Ball zu bleiben, obwohl die ersten Monate in einer neuen Sportart oft frustrierend gewesen waren. Das Lachen ihres Captains hatte es alles wert gemacht – der Muskelkater vom harten Training, die Erschöpfung und Frustration, wenn einfach nichts so laufen wollte, wie Tsuyuha es wollte, die Tränen nach verlorenen Spielen.

Sie grinste, fuhr sich mit einer Hand durch das Haar. Es war immer noch ein fremdes Gefühl, wie es kurz über ihre Finger kitzelte, aber Tsuyuha mochte es.

„Sieht gut aus, oder?“

 „Ja schon, aber–! Tsuyuha!“

Nozomi schüttelte ungläubig den Kopf. Sie winkte wild in die Richtung ihrer Klassenkameradin Mari, die gemächlich hinter ihr her trottete. Sie betrachtete Tsuyuha eingehend, als sie angekommen war, dann schüttelte sie den Kopf. In ihrem Mundwinkel lag ein Lächeln, das von sentimentalen Tränen kündete, ein Anblick, der Tsuyuha grinsen ließ. Es war vertraut geworden. Gewohnheit. Die grellblauen Augen des Mischlingsmädchens fixierten sie wieder, musterten ihre neue Frisur noch einmal, schienen in ihrem Gesicht etwas zu suchen. Dem zufriedenen Ausdruck nach zu schließen, den Mari zur Schau trug, als sie mit einem amüsiert-gerührten Schnauben den Blick abwandte, fand sie es.

 

„Die grünen Augen fehlen.“

 

Nozomi verstand erst jetzt. Riesige Augen starrten Tsuyuha wieder an, ihr Mund war zu einem hübschen, runden O verzogen.

„Ich fass es nicht. Ich brauch ein Foto! Jetzt! Gestern! Das muss ich ihr unbedingt zeigen!“

„Kein Handy beim Training“, kommentierte Tsuyuha trocken. „Außerdem sieht sie es demnächst eh.“

Nozomis Mund verzog sich zu einer Schmollschnute. Ob wegen der obligatorischen Erinnerung an das Handyverbot, das sie gern einmal vergaß, oder weil Tsuyuha ihr die Genugtuung nahm, die neue Entwicklung weiterzutratschen, das sei einmal dahingestellt. Was es war, Nozomis Schmollen machte Tsuyuha keine Sorgen – sie kannte ihre Freundin. Sie ließ sich viel zu schnell ablenken, um lange böse zu sein.

Und genau so kam es – kaum, dass die nächsten Mädels eintröpfelten, wirbelte sie schon herum, um jedem, der davon hören und nicht hören wollte, von Tsuyuhas neuer Frisur zu erzählen.

Als hätte man die übersehen können.

 

Aufgestachelt von Nozomi war das Theater trotzdem größer als nötig, und es dauerte nicht lange, bis das halbe Team sich um Tsuyuha geschart hatte, um wild auf sie einzureden, ihren neuen Haarschnitt zu komplimentieren, und noch einmal Nozomis Geschichte zu hören, wie es zu der neuen Frisur gekommen war – und, natürlich, Bestätigung zu suchen, dass das auch wirklich stimmte.

Besonders Hayashi, ihre winzige Libero, hatte einen Narren an der neuen Frisur gefressen; sie hing auf Tsuyuhas Rücken, um überhaupt bequem hoch genug zu kommen, um das kurze, wirre Haar nach Herzenslust noch mehr zu zerzausen, während sie wiederholt verkündete, wie unglaublich cool sie jetzt aussah. (Diskutabel, ob das ein Kompliment war, Hayashis Geschmack war beizeiten etwas eigenartig, und das nicht nur, wenn es um seltsame Snacks ging.)

 

Bis Hayashi endlich von ihr abließ, sah sie zweifelsohne aus wie eine explodierte Klobürste auf Beinen.

Sie konnte nicht viel dagegen tun, also ließ sie es bleiben, konzentrierte sich lieber darauf, sich endlich aufzuwärmen. Bis die Erstklässler endlich kamen, war die Halle schon erfüllt vom Lärm eines trainierenden Volleyballteams. Mädchenstimmen, die durcheinanderriefen, Bälle, die auf den Boden klatschten… Tsuhaya hätte die aufgehenden Türen überhört, hätte sie im Augenwinkel nicht die Bewegung gesehen.

Es waren eine Hand voll Mädchen. Nicht so viele, wie Tsuyuha sich gewünscht hätte, aber mehr, als sie gefürchtet hatte. Kunterbunt und unterschiedlich, wie es sich gehörte, aber allesamt sahen sie im Angesicht der neuen Umgebung eher zögerlich aus. Eine von ihnen stach ihr besonders ins Auge – hochgewachsen genug, um jetzt schon vielen Senpai allein in dem Bezug den Rang abzulaufen. Stellte sie sich gut an, sie konnte mühelos in die Startaufstellung kommen. Große, neugierige Augen, eine kindliche Frisur, die so gar nicht zu ihrem hochgewachsenen Körper passen wollte, und da war Unsicherheit in der Art, wie sie sich bewegte. Unsicherheit, Vorsicht, Scheu – ein leiser Zweifel, dass sie hier wirklich richtig war.

Ein Kopf weniger, und es hätte ein Bild aus Tsuyahas Vergangenheit sein können.

Sie erinnerte sich an wildes Haar und Augen wie ein Sommertag im Wald, an ein Lachen, das die ganze Halle erfüllte, und an die kräftige Stimme, die ihr sofort das Gefühl gegeben hatte, dazu zu gehören.

Maris Hand stieß ihr sanft in den Rücken. Tsuyuha lachte, und die ganze Sporthalle füllte sich mit dem Laut, während sie auf die Neulinge zuging, die sie mit großen Augen, teilweise unverhohlen vorsichtig, musterten.

 

„Willkommen beim Seijoh-Mädchen-Volleyballclub! Los, kommt rein, vom Staunen und Herumstehen werdet ihr auch nicht warm!“



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