Zum Inhalt der Seite

Wo du Zuhause bist

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

In der Hobbithöhle

Da stand Anna nun also – vor Bilbos Grundstück und wagte noch immer keinen Schritt nach vorn, wenngleich sie mittlerweile einen guten Grund hatte, den Hobbit zu belästigen. Und belästigen war das richtige Wort. Aber sie würde sicher kein so schlechter Gast sein wie die Zwerge. Vielleicht sollte sie ihn doch ganz unauffällig warnen? Nein, damit machte sie sich bestimmt nur verdächtig. Sie mischte sich besser nicht ein, obwohl sie sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Im Film war es witzig anzusehen wie Bilbo auf den lustigen Haufen Zwerge reagierte. Nicht auszudenken wie es erst sein musste wenn es leibhaftig vor ihr passierte.

Stark sog Anna die frische Luft um sich herum auf, schulterte nochmals ihre Habe und tat den ersten Schritt auf den Zaun zu. Es war an der Zeit den berühmten Hobbit kennenzulernen – oder in dem Fall er sie. Wann genau hatte sie angefangen an all das hier tatsächlich zu glauben? Ratlos legte sie den Kopf schief als sie die kleinen Treppenstufen nahm. Seit sie sich im Auenland befand, wirkte alles plötzlich so anders. So real. Auch wenn Gandalf ein sehr guter Anhaltspunkt dafür war, dass sie sich in Mittelerde befand und die Reise, die sie aus dem Buch und Filmen kannte, gerade wirklich stattfand, fehlte es noch an weiteren Beweisen. Hier war aber der größte, den sie sich hätte vorstellen können. Bilbo Beutlin, vor dessen grüner Haustüre sie nun stand und sich dabei fast an der kleinen Lampe darüber den Kopf stieß. Kurz holte sie nochmals tief Luft, bevor sie an die kleine Türglocke links von ihr läutete. Es dauerte auch nicht lang, da öffnete Bilbo seine Haustüre. Ihm stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben.

„Oh “, verließ es Bilbos Mund. „Ihr seid es“ Mit dieser seltsam gekleideten Frau hatte er nicht gerechnet. Dennoch begann er freundlich zu lächeln als er sich an seine Manieren erinnerte. Wie unhöflich von ihm sie in dieser Art zu begrüßen! „Guten Morgen. Was kann ich für Euch tun?“

Anna öffnete schon ihren Mund, doch nichts kam heraus. Nervös lächelte sie den Hobbit an, dessen Augenbrauen fast unter seiner lockigen Haarpracht verschwanden. Was wollte sie gerade sagen? Ihr Herz tat einen heftigen Sprung. Anna sortiere nochmal ihre Gedanken um sich zu beruhigen. In einem mal blies sie die übrige Luft aus ihrer Lunge. „Gandalf hat mich hier stehen lassen“, presste sie dann heraus und kratzte sich an linken Wange. „Weil …“ Unsicher lachte sie leise. Lügen war noch nie ihre Stärke gewesen. „Weil er mich auch für dieses Abenteuer begeistern wollte, aber keinen Erfolg hatte. Da meinte er, ich solle bis morgen auf ihn warten, damit er mich wieder nach Hause schicken kann“, ratterte sie demnach ehrlich hinunter. Im Grunde war alles richtig was sie da sagte, auch wenn sie ein paar Details ausließ. Zumindest schien sie Bilbos Neugier geweckt zu haben, da er nun mehr fragend als verwirrt drein blickte. „Und ich muss sagen, dass ich hier niemanden kenne... außer Euch... Und Münzen habe ich auch keine... und Gandalf hat mein Pferd mitgenommen.“

Es dauerte keine Sekunde ehe Bilbo das Gesagte kombinierte. Sie suchte bei ihm eine Unterkunft für die Nacht. Wie konnte dieser Zauberer diese Frau so gleichgültig zurücklassen? Ohne Münzen, ohne ihr Pferd und ohne sichere Zuflucht? „Und ich war immer der Meinung Zauberer seien anständig“, sagte Bilbo enttäuscht. Dabei sprachen all die Erzählungen von einem freundlichen, zuvorkommenden Gandalf. Obwohl er zugeben musste, dass das Zusammentreffen vor wenigen Momenten auch nicht sehr erfreulich war. „Dann kommt doch herein. Bitte!“, bot Bilbo der jungen Menschenfrau an als er schon zur Seite trat. Einen Gast hatte er schon lange nicht mehr bewirtet. Zumal dieser Gast sicher eine interessante Geschichte zu erzählen hatte. Nicht, dass es Bilbo neugierig machte...

„Danke!“ Annas Gesicht hellte sich auf und von Ehrfurcht erfüllt, betrat sie gebückt das Haus, musste dann aber glücklich feststellen, dass sie hineinpasste ohne sich im Inneren weiterhin zu bücken. Nein, es war sogar reichlich Platz über ihrem Kopf. Endlich zahlte es sich aus, dass sie nicht ganz so groß geraten war. Breit lächelnd musterte sie vom Licht durchflutete Eingangshalle. Ein kleiner Korb mit Äpfeln stand direkt links neben ihr bereit. Hier fand man selbst an der Haustür etwas zu Essen, stellte sie schmunzelnd fest.

„Wollt Ihr einen Tee? Ich habe gerade einen Kessel aufgesetzt“, meinte Bilbo freundlich und schloss die Haustüre. „Und etwas Kuchen?“

„Da sage ich bestimmt nicht nein. Sehr gern, Herr Beutlin. Ah ja, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Anna Schubert. Aber Ihr könnt mich ruhig Anna nennen.“, sagte sie als sie sich weiter gespannt umsah. Eine große Truhe war zu ihrer rechten und keinen Schritt weiter war die große Garderobe, an der ein paar Jacken und Mäntel hingen. Genauso wie im Film! Fast hätte sie vor Freude aufgequiekt, doch konnte sich eben noch beherrschen. Sie verhielt sich viel zu auffällig. Mit einem kleinen Husten versuchte sie es zu überspielen. Es war nur das Haus von Bilbo. Nur... Bilbo. Ja, nur dem berühmten Hobbit und Held ihrer Kindheit.

„In diesem Fall bin ich Bilbo, Frau Anna.“, entgegnete er lächelnd und sah wie ihre Mundwinkel sich weiter nach oben zogen, sodass ihre Zähne hervorblitzten. Oh, so weiße Zähne hatte er noch nie gesehen!

„Könnte ich vielleicht Eurer Badezimmer benutzen, Bilbo?“ Anna zwinkerte dem kleinen Mann zu, den sie beim Starren erwischte und gleich ganz rot um die Nase wurde.

„S-Sicher doch. Ihr findet es gleich hier vorn links in der Halle. Die geschlossene Tür auf der rechten Seite“, beschrieb der Hobbit den Weg. „Ihr könnt Eure Habseligkeiten an der Garderobe aufhängen. Später zeige ich Euch euer Zimmer für die Nacht.“ Bilbo blinzelte verlegen, ehe er sich dann räusperte, sich entschuldigte und sich daran machte in seine Küche zu gehen, um alles für seinen Gast vorzubereiten.

Anna nickte nur, entledigte sich ihrer Jacke, die sie an die Garderobe hing, ihrer Schuhe, die voller Dreck waren und ihren Rucksack samt Bogen und Köcher darunter abstellte. Befreit von dieser Last, rollte sie einmal mit den Schultern. All das den ganzen Tag mit sich herum zu tragen war anstrengend. Während sie sich mit der rechten Hand notdürftig die linke Schulter massierte, ging sie weiter barfuß den Gang entlang. Ein leises „Wahnsinn...“ konnte sie sich nicht nehmen lassen. Dicke Wurzeln säumten den Flur als Pfeiler und verflochten sich in der Mitte der Halle zu einem schönen Muster an der Decke. Die Hobbits hatten eindeutig Stil. An jeder freien Wand befanden sich Möbelstücke. Ein kleines Regal, auf dem allerhand an zusammengerollten Papier lag oder Bücher standen. Oder kleine Beistelltische, auf denen entweder Porzellan stand oder ein Teller voller Essbares. Direkt schnappte Anna sich einen Keks von einem Silberteller und fand sogleich die Tür, die sie vom Badezimmer trennte. Mit dem Keks im Mund, öffnete sie die Türe, trat abermals gebückt ein und seufzte erleichtert auf. „Dem Himmel sei Dank! Eine echte Toilette! Und ein richtiges Waschbecken!“ Ohnehin war es ziemlich modern. Die Hobbits verstanden eindeutig mehr von Hygiene als die Menschen. Obwohl sie zugeben musste, dass Bilbo einer der reichsten Hobbits war. Vielleicht waren die Menschen auch nicht so weit hinter her, nur eben zu arm um es sich zu leisten. Schulterzuckend warf sie diese Gedanken fort und schloss hinter sich die Türe.

Bilbo hatte den Tisch in der Küche reichlich gedeckt und saß ungeduldig auf seiner Bank. Je mehr er darüber nachdachte, wer die Frau war und woher sie kam, desto aufgeregter wurde er. Natürlich hatte er schon ein paar Menschen gesehen! Aber diese Frau konnte er nicht einordnen. Ihre Kleidung war sonderbar, auch sprach alleine ihr Umgang etwas aus, was der Hobbit nicht kannte. Ihre Geschichte war sicherlich spannend! Und darauf freute sich Bilbo insgeheim, obwohl er es nie zugeben würde. Als die Menschenfrau dann schließlich aus der Osthalle in die Küche kam, stockte ihm der Atem. Seine Augen nahmen die Größe seiner Teller an. Sofort hob er beschämt seine seine Hände vors Gesicht und wandte sich leicht ab. Warum trug sie nur ihr Unterhemd?

Irritiert blinzelte Anna. Was hatte Bilbo denn? Unschlüssig setzte sie sich dem Hobbit gegenüber auf die Bank, der es tunlichst vermied sie anzusehen und verzweifelt versuchte etwas anderes mit seinem Blick zu fixieren. „Was ist denn?“ Sie hatte doch nur noch ihr Gesicht gewaschen und ihre Haare wieder in Ordnung gebracht. Denn die ganze Zeit auf dem Pferderücken tat ihrer Frisur eindeutig nicht gut, vor allem beim Galopp.

„I-Ihr... Ihr tragt nur ein Unterhemd.“, brachte er heraus.

Es brauchte einen Moment, ehe sie begriff. Diese Art von Kleidung fiel hier natürlich auf. Das Tanktop war sicher nicht der Inbegriff von Tugend im Mittelalter. Auch wenn es keinen Ausschnitt gab, wo man ihr hätte eh nichts abgucken können, waren ihre Arme komplett frei, genau wie ihr Hals. Anna lächelte entschuldigend. Es war nicht ihre Absicht Bilbo zu verunsichern. … Obwohl sie zugeben musste, dass sie seine Reaktion witzig fand. „Nein, das ist kein Unterhemd“, begann sie beschwichtigend. „Wo ich herkomme, ist das völlig normal. Ihr könnt ruhig herschauen.“

„Wo Ihr herkommt?“, vorsichtig richtete Bilbo seine Augen wieder auf die junge Frau, die ihn sanft anlächelte und die Tasse vor ihr in die Hand nahm. Ihm fielen gleich zwei Dinge verblüfft auf. Ihre Arme waren voller Farbe und ihre Ohren waren mit vielen Metallringen verziert, welche vorher durch die Haare verdeckt gewesen waren.

„Ja“ Anna nahm einen kleinen Schluck vom Tee, der nicht nur herrlich duftete sondern auch genauso schmeckte. Wohlig seufzte sie auf. Was waren das für Kräuter? „Gandalf hat mich aus meiner Welt geholt.“, meinte sie als sie wieder vom Tee aufsah und bemerkte wie Bilbo erneut mit großen Augen starrte. Kam er immer noch nicht über ihre Kleidung hinweg? Mentale Notiz an sie selbst: Niemals wieder ein Tanktop anziehen, oder immer etwas drüber.

Für einen Moment war sein Kopf wie leer gefegt, ehe seine Stirn immer tiefere Falten zog. Eine andere Welt? Das verstand er nicht. „Was meint Ihr damit? Eine andere Welt?“

„Gandalf wollte Unterstützung für sein Abenteuer. Und schon bin ich hier in Mittelerde gelandet“, versuchte sie zu erklären. „Mittelerde ist nicht meine Welt. Ich wurde auf der Erde geboren. Da gibt es nur Menschen. Keine Hobbits, keine Zauberer, keine Elben...“

Wie außergewöhnlich! Und Bilbo dachte schon von alles einmal gelesen zu haben. Gespannt nahm er einen Keks von dem Teller auf dem Tisch und begann daran zu knabbern. „Das bedeutet, Ihr kennt hier in Mittelerde niemanden, Frau Anna?“ Die Vorstellung sie sei nicht von hier - nicht von Mittelerde - war ihm fremd. Dennoch schien sie aufrichtig zu sein. Und jeder erkannte sofort, dass sie nicht von hier war.

„Richtig. Und Gandalf bringt mich wieder in meine Welt.“

„Warum wollte Gandalf Euch für dieses Abenteuer, wenn Ihr wieder zurück in Eure Welt wollt?“, fragte er aufmerksam nach.

„Weil ich nicht wusste, dass ich geholt werde. Ich weiß nicht, warum es mich getroffen hat, aber ich will nicht mit auf dieses Abenteuer.“

„Warum wollt Ihr Euch nicht anschließen?“

Prompt verschluckte sich Anna an ihrem Tee. Hustend stellte sie die Tasse ab. Wie sollte sie das beantworten? Besser sie hielt es oberflächlich. Was wäre, wenn sie Bilbo sagte, es sei so gefährlich und das seine Entscheidung beeinflusste? Hier fing es schon an! Anna musste höllisch aufpassen was sie sagte. Hoffentlich verplapperte sie sich im Laufe der Zeit nicht... „Ich... denke nicht, dass das eine gute Idee wäre.“, setzte sie mit kratziger Stimme an und hustete noch einmal. „Ich bin für diese Reise überflüssig. Gandalf ist anderer Meinung, aber ich bin mir sicher, dass ich unnütz bin.“ Und da sah sie, wie sich langsam ein Lächeln in das Gesicht von Bilbo stahl.

„Gandalf holt sicherlich nicht leichtfertig jemanden aus einer anderen Welt hierher. Ihr müsst wichtig sein. Ihr solltet mehr Vertrauen zu Euch haben.“, sagte Bilbo ehrlich als er spürte, wie warm seine Wangen und Ohren wurden. Er räusperte sich. „Ich hingegen bin nur ein Hobbit. Hobbits sind nicht für Abenteuer gemacht. Warum hinaus in die weite Welt, sich in Gefahren stürzen, wenn man sicher und entspannt seine Abende lesend vor dem Kamin verbringen kann. Ja, mit Abenteuer hat man nur Ärger. “

Anna betrachtete das Gesicht von Bilbo genau. Er war ein schlechter Schauspieler. Selbst wenn sie nicht wüsste, dass er voller Tatendrang war, sprachen seine Augen etwas ganz anderes. Sie leuchteten bei dem Wort Abenteuer. Er gestand es sich einfach nur nicht ein. Versuchte sich auf die normalen Standards eines Hobbits herab zuspielen. Aber er war anders. Kein gewöhnlicher Hobbit. Das sah er auch auf dieser Reise zum Berg ein. Milde lächelte sie den kleinen Mann an. „Wenn Ihr das zu mir sagt, wie könnt Ihr dann so sicher sein, dass dieses Abenteuer nichts für Euch ist? Immerhin ist er auch zu Euch gekommen“, argumentierte sie. „Hobbit hin oder her. Ihr macht doch eine sehr gute Figur.“ Es dauerte keine Sekunde. Bilbos Ohrenspitzen und Wangen nahmen einen dunkelroten Farbton an. Der Hobbit hüstelte angespannt und wich kurz ihrem Blick aus. Da hatte sie ihn mit dem Kompliment ganz schön erwischt. Er war wohl nicht an Komplimente gewöhnt. Schade eigentlich. Er hatte sie ganz eindeutig verdient.

„Kuchen. Wollt Ihr welchen?“, fragte Bilbo aus heiterem Himmel und griff schon nach dem Korb, in welchem die runden kleinen Kuchen lagen und hielt ihr diesen hin.

Lachend griff sie nach einem und beobachtete weiter Bilbos Regung. Er war von der kleinen Bewunderung vollkommen aus der Bahn geraten. Wirklich süß. Warum hatte er eigentlich keine Frau? Obwohl wenn sie es richtig betrachtete, kam eine normale Hobbitfrau nicht in Frage. Wie denn, wenn er so anders war?

„Wenn... Wenn ich fragen darf. Was ist das auf Euren Armen?“

Überrascht zog sie eine Augenbraue an. Wieder das Thema mit ihren Tattoos? „Das sind nur Tattoos. In meiner Welt normal“ Normal war in dem Fall relativ. Viele verurteilten einen trotzdem sofort. Dabei besaß sie nicht einmal anstößige oder zweifelhafte Tattoos. „Habe auch eins auf dem Rücken.“

„Faszinierend!“, meinte Bilbo mit leichter Begeisterung. Er war ein Blumenliebhaber und erkannte daher leicht die Azaleen, Rosen und Orchideen die überall auf ihren Armen erblühten. „Sind auf Euren Rücken auch Blumen?“

„Nein, da sind Schmetterlinge und ein großer Kirschblütenzweig.“

„Sehr passend.“, meinte er mit einem Nicken, zog dann aber seine Augenbrauen immer höher als sie immer schelmischer grinste. Direkt rutschte er mit einem unangenehmen Gefühl auf seinem Sitz hin und her.

„Wollt Ihr es sehen?“, fragte sie locker und erntete prompt die größte Schamröte, die sie je in ihrem Leben gesehen hatte. Es sah fast so aus als fing Bilbo jeden Moment Feuer. Immer wieder öffnete er seinen Mund und schloss ihn kurz darauf wieder. Er schien nicht zu wissen, was er darauf antworten sollte. Anna brach in Gelächter aus, das ihn augenscheinlich verwirrte. „Nur ein kleiner Scherz, Bilbo. Kein Grund zur Sorge, weiter ziehe ich mich nicht aus. Versprochen.“, lachte sie noch immer halb, was ihn nur bedingt beruhigte. Ihm war das Thema sichtlich unangenehm, weshalb Anna beschloss es zu wechseln. Immerhin wollte sie es sich nicht mit Bilbo verscherzen. „Erzählt mir doch etwas von Eurer Familie und dem Auenland.“, schlug sie schließlich mit einem versöhnlichen Lächeln vor.
 

Bilbo hatte eine ganze Menge zu erzählen, weshalb sie einiges kennenlernte, das ihr bis Dato unbekannt war. So waren die Erzählungen über seine Mutter Belladonna Tuk und dem alten Tuk die spannendsten. Und er schien immer mehr aufzutauen und sich in ihrer Gegenwart zu entspannen. Als es schließlich Mittag wurde stoppten seine Kurzgeschichten. So half sie Bilbo beim Kochen, was sich aufs Schneiden von Gemüse beschränkte. Eine gute Köchin war sie nie gewesen. Wenn es etwas zu Essen gab, war es Magnus der gerne kochte – und sie natürlich immer davon profitierte.

Magnus. Wenn sie an ihren besten Freund dachte, schloss sie für einen Moment ihre Augen. Sie vermisste ihre Welt und all die Personen, die ihr am Herzen lagen. Wie ging es ihrem Onkel? Wie ging es Magnus? Oder ihrer Freundin Miriam, mit der sie eigentlich nächste Woche einen Filmabend machen wollte. So schnell würde sie ihre Freunde nicht wiedersehen, das stand fest. Zumindest laut Gandalf. Vielleicht konnte er sie doch eher heimschicken, aber ließ sich lieber damit Zeit. Warum auch immer. Obwohl ihr schon ein Grund einfallen würde, wieso dieser raffinierte Zauberer das Ganze aufschieben würde! Ja, vielleicht wollte der alte Sack sie ja hierbehalten.

Bilbo bemerkte ihren wachsenden Unmut, welcher sich in ihrem Gesicht offenbarte, weshalb er sich entschied ein weiteres Gespräch aufzunehmen. Denn bisher wusste er noch gar nichts von ihr. Somit wandte er sich ihr vom Herd ganz zu und bedachte sie mit einem warmen Lächeln. „Erzählt doch etwas von Eurer Familie, Frau Anna.“

Verwundert über seine Worte, blickte sie von ihrem Schneidebrett geradewegs in das freundliche Gesicht des Hobbits auf. Sie verzog ihren Mund. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe kein gutes Verhältnis zu meinen Eltern.“

„Oh“, machte Bilbo. „Das t-tut mir leid. Ich wollte nicht -“

„Nein, nein! Schon gut. Das könnt Ihr nicht wissen“, beschwichtigte sie ihn direkt und seufzte anschließend auf. Da er ihr so viel von sich erzählt hatte, wollte sie nicht unfair sein. „Ich bin nicht gerade das, was man in meiner Welt normal nennt. … Was nicht heißt, dass es schlecht ist. Nur meine Eltern haben ein bestimmtes Bild von einem Menschen und ich bin eben genau das Gegenteil. Meine Vorlieben, mein Aussehen, meine Arbeit...“, begann sie nachdenklich, musste dann aber leise kichern. „Oh, ich weiß noch genau das Gesicht von meinem diktatorischen Vater als ich mein erstes Ohrpiercing hatte. Er ist ausgerastet. Hat einen ganzen Monat nicht mit mir gesprochen und mich ignoriert. Meine Mutter ist da ähnlich. Oder sagen wir eher, sie hängt an meinem Vater. Alles was ihm gefällt, gefällt ihr auch. Außerdem ist sie sehr religiös. Vielleicht ist das auch der Grund, wieso sie so an ihm hängt. Sie will eine gute Christin sein. Was das genau damit zu tun hat, weiß ich nicht, aber sie beteuert, dass eine gute Christin ihren Ehemann in allen Dingen unterstützt. Auf die Frage ihn, was dann mit mir wäre, fand sie aber keine Antwort. Ich habe es gehasst jeden Sonntag in die Kirche zu gehen um an der Messe teilzunehmen. Also so gesehen... was meine Eltern angeht, gibt es nicht viel zu sagen. Bin sofort mit 18 ausgezogen.“

Bilbo verstand weniger als die Hälfte von dem was sie sagte, hörte ihr jedoch aufmerksam zu. Es war ihr anzusehen, dass es schmerzlich war darüber zu sprechen. Weshalb er dazu lieber keine Fragen stellte. „Gibt es sonst niemanden in Eurer Familie?“

„Doch“, sagte sie sofort mit einem strahlenden Lächeln. „Meine Tante und meinen Onkel. Es war genau das, was ich brauchte. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn sie nicht gewesen wären. Ich war für sie wie eine Tochter, die sie nie hatten.“ Ihre Mundwinkel senkten sich und sie schluckte. Ihre Tante war unfruchtbar gewesen. Ein genetischer Defekt, der in der Familie weiblicher Seite lag. Doch das würde sie Bilbo sicher nicht sagen. Gezwungen lächelte sie Gedanken fort. So gesehen war das gesamte Familienthema eine schlechte Idee. „Wie wäre es, wenn wir uns doch lieber über etwas anderes unterhalten?“

Ihr gequälter Ausdruck schockte Bilbo, nickte jedoch zur Verständigung. Er würde aus voller Höflichkeit und Respekt sicherlich nicht noch einmal nach ihrer Familie fragen. „Wie sieht Eure Welt denn aus? Wenn Ihr in Eurer Welt nur Menschen leben ist es doch sicherlich eine sichere Welt?“

Nachdenklich presste sie die Lippen aufeinander. Wo sollte sie anfangen? Das würde ein langes Gespräch werden. „Tja, die Menschen sind sich selbst der größte Feind. Es wäre schön, wenn alles so friedlich wie bei den Hobbits wäre. … Wir sind viel fortgeschrittener als ihr hier lebt. Kriege finden überall statt. Es geht immer nur um Macht. Selbst unser Planet... ich meine die Natur... leidet darunter. Tiere sterben aus, weil wir uns so weit ausbreiten“

„Das ist ja entsetzlich! In Eurer Welt will ich nicht leben.“

Laut seufzte Anna auf. „Ja, das wäre kein Ort für Euch. Obwohl Euch bestimmt ein paar Dinge gefallen würden.“ Da dachte sie an die moderne Küche. Die Hobbits waren auf die lokalen Gemüse und Früchte beschränkt. Ihre Welt hatte zugriff auf alles. Bananen aus den Tropen? Kein Problem! Konnte man im nächsten Supermarkt kaufen. Gab es hier überhaupt Bananen? Hier hatte sie ein Thema gefunden, was Bilbo interessierte.
 


 

Es stellte sich heraus, dass Bilbo keine Ahnung von Bananen, Kiwis, Kokosnüssen, Ingwer und noch vielen weiteren Arten von Obst oder Gemüse hatte. Und er brannte förmlich darauf mehr darüber zu erfahren. Vor allem über das Thema Schokolade konnte er nicht genug wissen und so kam es, dass sie die nächsten Stunden alle möglichen Fragen über Essen und dessen Herkunft beantworten musste. Ja, die Hobbits waren ein sehr verfressenes Volk.

Als es allmählich dunkel wurde, half sie Bilbo die Kerzen in seinem Haus anzuzünden. Wie eigenartig es gewesen war. In ihrer Welt war ein Schalter alles was sie von Dunkelheit und Licht trennte. Genau wie ein Schwert hier über Leben und Tod entschied.

Alles in einem war es ein wundervoller Tag. Bilbo war ein sehr netter kleiner Kerl, den sie gleich in ihr Herz geschlossen hatte. Doch wen wunderte das? Schon im Buch und Film mochte sie ihn. Jetzt nachdem sie das Vergnügen haben durfte ihn persönlich kennenzulernen, noch mehr. Der Gedanke ihn in ihrer Welt nicht mehr besuchen zu können, versetzte ihr einen Stich in der Brust. Diesen Teil von Mittelerde würde sie sicherlich sehr vermissen – schon jetzt.
 

Am nächsten Tag fühlte sie sich gut ausgeruht und das Aufwachen in einem fremden Zimmer war weniger schockierend. Wenn sie aber eines bemängeln konnte, war es die Größe des Bettes. Zwar war sie von Natur aus ein Seitenschläfer und zog die Beine an, aber das war für ihren Geschmack etwas zu knapp am Bettrand gewesen. Für Hobbits hingegen war es sicherlich mehr als Übergröße und außerdem wahnsinnig weich. Ob Kissen, Decken oder die Matratze selbst. Ein gemütliches und verfressenes Völkchen...

Trotz dem super Start in den Tag, saß sie auf dem Bettrand, rieb sich den Schlaf aus den Augen und stieß die Luft aus. Heute würden die Zwerge auf der Matte stehen. Natürlich machte ihr Herz einige aufgeregte Hüpfer, denn die Zwerge kennenlernen war auch wieder etwas Unvergessliches. Aber sicher waren die meisten gegen sie. Es war einfach logisch, dass sie keinen Fremden mitnehmen wollten. Besonders keinen, der nicht mit auf die ganze Reise ging. Zudem war sie eine Frau. Frauen waren nicht dafür gedacht auf eine Reise zu gehen. Oder ein Abenteuer zu bestreiten, was sie ja abgelehnt hatte. Obwohl das Gesicht von Thorin bestimmt lustig gewesen wäre, wenn sie sagte, sie gehe mit auf die Reise. Oder wahrscheinlicher wäre es, er hätte einfach nur gestarrt und ein „Nein.“ so deutlich ausgesprochen, dass selbst jeder aufkommender Gedanke, dagegen etwas zu sagen, sofort geflüchtet wäre. Oh ja, Thorin konnte sehr bestimmend sein. Aber musste er das nicht auch? Sie wäre nur ein weiteres Maul zu stopfen und auf dem man aufpassen musste. Wieder ganz zu schweigen von dem Thema Frauen und Abenteuer. Waren Zwerge in diesem Fall nicht sogar noch schlimmer? Soweit sie noch wusste, gab es nicht sonderlich viele Zwergenfrauen. Dass sie diese hüteten wie einen Schatz war abzusehen. Und jeder wusste wie Zwerge in Verbindung mit Schätze waren. Da gab es in keinem Fantasybuch einen Unterschied. Erstaunlich eigentlich. Sie alle glichen sich extrem. Doch Anna zuckte mit den Schultern. Sie kam ja nur ein Stück weit mit und sie stand bei Gandalf in der Verantwortung. Nichts womit sich einer der Zwerge beschäftigen müsste. Lieber sollte sie die Gesellschaft von 13 Zwergen genießen. Lachend stand sie auf. Ja, sie mit insgesamt 15 Männern unterwegs. Das wurde bestimmt ein lustiges Unterfangen.

Nachdem sie zu ihrem Tanktop noch eine Sweatjacke darüber zog, verließ sie mit ihren Pflegeartikeln bewaffnet das kuschelige Gästezimmer. Auf dem Weg dorthin lief sie Bilbo, mit einem Korb verschiedener Gemüsesorten in der Hand, über dem Weg, der sie mit einem großen breiten Lächeln und einem „Guten Morgen, Frau Anna“ begrüßte ehe er ziemlich beschäftigt wirkend seinen Weg fortsetzte. Fragend blickte sie dem Hobbit hinterher. Der Korb voller Gemüse war sicher nicht zu einem Spaziergang mitgenommen worden.

Schnell wusch sie sich ihre Haare mit ihrem Shampoo, machte eine Katzenwäsche, putzte sich ihre Zähne und ging mit dem Handtuch auf dem Kopf wieder zurück zu ihrem Zimmer. Ohne Fön dauerte es einige Zeit bevor ihre langen Haare trockneten, also entschied sie sich dazu einen einzelnen dicken Zopf zu flechten, der ihr anschließend mittig bis zur Hüfte herunter reichte. Was ihre Haare anging, war sie sehr eigen. Keiner durfte ihr mit einer Schere kommen, es sei denn es gab einen wichtigen Grund. Dementsprechend besaß sie keine ausgefallene Frisur, sondern hatte sie so belassen, wie sie sie schon als kleines Mädchen trug – sehr lang und natürlich gewachsen. Lächelnd dachte sie an ihre Tante zurück. Sie hatte ihr immer die Haare geflochten und es ihr auch beigebracht. Sicher war das der Grund, warum sie die Haare nie schneiden ließ. Ihre Tante liebte lange Haare. Es war immer schön gewesen, wenn ihre Tante ihr liebevoll die Haare kämmte. Anna hatte das Gefühl geliebt zu werden und fand dort die Geborgenheit, die ihr sonst bei ihren Eltern fehlte.
 

Als Anna die Küche betrat, wusste sie gleich warum Bilbo den Korb herum getragen hatte. Auf dem ganzen Tisch verteilt lagen verschiedene Gemüsesorten, standen Gewürzdosen und ein Bilbo davor, der die Ärmel hochkrempelte. „Bilbo? Was wird das hier?“

Überrascht wandte sich der Hobbit um. Er hatte sie gar nicht kommen hören. „Ich bitte um Verzeihung. Aber Ihr habt mich gestern sehr inspiriert und so konnte ich vor dem Schlafengehen an nichts anderes denken! Da dachte ich, ich könnte ein neues Gericht ausprobieren“, sagte er voller Ehrgeiz und Vorfreude. „Und... wenn Ihr nichts dagegen habt, könntet mir vielleicht dabei helfen?“

Leise kicherte Anna während sie ihren Kopf schüttelte. „Ich kann doch gar nicht kochen. Das wisst Ihr doch.“ Sie wollte ihm das Kochen nicht verderben. Wirklich nicht.

„Nicht doch, Frau Anna! Vielleicht ein paar weitere Anregungen und eine helfende Hand, wenn es Euch nichts ausmacht?“, fragte er hoffnungsvoll.

Mit einem Lächeln im Gesicht seufzte sie kurz. Wie konnte sie dem begeisterten und glücklichen Gesicht nein sagen? „Okay, gut. Aber ich kann nichts versprechen!“ Und Bilbo machte das Unmögliche möglich – er lächelte noch glücklicher als zuvor.

„Vorher aber setzt Euch ins Esszimmer. Ich habe das Frühstück für Euch dort hingestellt.“

„Esst Ihr nicht mit?“

„Oh, nein, entschuldigt. Ich hatte bereits schon mein zweites Frühstück!“

Lachend ging sie ins Esszimmer. Hobbits und ihr Essen. Und so genoss sie in dem, noch leeren, Esszimmer ihre frischen Eier mit Speck und das wohl erst heute frischgebackene Brot. Gott, eine Woche länger und bei den Massen an Essen wäre sie bei ihrer Rückkehr kugelrund.
 

Der Abend rückte näher. Und je mehr er das tat, desto unruhiger wurde sie. Bilbo war schon ganz außer sich vor Sorge, wenn sie sich fast zum dritten mal mit dem Messer schnitt oder sie beinahe das gute Geschirr beim Stolpern fallen ließ. Auch als sie ihm im Garten half die Blumen pflegen, köpfte sie beinahe einer seiner Lieblinge. So entschuldigte sie sich zunehmend und setzte sich lieber in seine Stube vor dem Kamin und las ein Buch, das Bilbo ihr zum Zeitvertreib gab während er Besorgungen machte. Es verwunderte sie nur wenig, dass das Buch von Elben handelte.

Die Sonne wich dem Mond und so wusste sie: Gleich war es spätestens soweit. Das war alles woran sie noch dachte. Wie konnte sie nur so nervös sein? Was war an den Zwergen so anders, dass sie so dermaßen aus der Rolle fiel? War es die damit immer näher rückende Reise? Oder die Reaktion der Zwergenmeute? Vielleicht beides? Oder wie müsste sie sich verhalten? Gerade bei den Zwergen gab es große Unterschiede was das Verhalten und vor allem die Toleranz anging. Anna war ohne Zweifel nervös. Und eines stand fest: Langsam wurde sie verrückt vor lauter Warterei.

„Frau Anna. Geht es Euch nicht gut?“ Diese Frage stellte er ihr schon über dem gesamten Tag verteilt und nun in der Küche nach dem Abendmahl ein weiteres mal. Ihre Unsicherheit löste in ihm selbst Unruhe aus. Sie blickte oft zur Haustüre und hatte etwas im Blick, das pure Erwartung ausdrückte. War es nur wegen dem Zauberer? „Ist es wegen Gandalf?“

„Jain...“, antwortete sie knapp und konnte ihr Beinwippen nicht mehr zurückhalten.

„Was bedeutet 'Jain'?“, fragte er mit angezogenen Augenbrauen. Das Wort hatte er noch nie zuvor gehört.

„Unwichtig.“, winkte sie eilig ab. Sie hatte das Gefühl ihr Brustkorb platzte gleich; sie wollte losbrüllen, sich gleichzeitig die Haare ausreißen. Alles, damit diese Quälerei ein Ende fand. „Ich werde wahnsinnig!“, platzte es aus ihr heraus. Wann kam Dwalin denn? Es war schon die Sonne untergegangen! Und Bilbo hatte sogar schon seinen Fisch mit Kartoffeln gegessen! Hier hätte dieser Zwerg schon aufkreuzen müssen! Zumindest nach dem Film. Im Buch wäre er schon am Nachmittag dagewesen. Und das war der Punkt! Schon seit Mittag saß sie auf heiße Kohlen. Wenn er nicht bald hier eintraf, dann... Hatte sie vielleicht schon jetzt, mit was auch immer, die Zukunft verändert? Nein, oder? Und wenn doch?! Wieso sollte das Einfluss haben? Ihr Kopf war auch kurz davor zu explodieren.

Bilbo zuckte bei ihrem Ausbruch zusammen. „F-Frau Anna! W-Warum? Wie kann ich Euch helfen?“

Und das Warten hatte ein Ende. Die Türglocke läutete und sie wäre fast in Ohnmacht gefallen, so stark stieg weiter ihr Stresspegel an. Ihr Herz überschlug sich gefühlte dutzende male. Der Zwerg stand endlich vor der Tür, was auch eine Erleichterung war, dennoch mischte sich jetzt noch Freude unter all dem Durcheinander, das sich in ihrem Kopf sammelte. Was sollte sie tun? Was sagen? Das war schon bei Bilbo eine kleine Überwindung gewesen. Aber sogar ihrem damaligen Schwarm höchstpersönlich gegenüberstehen? Zumindest ging sie mittlerweile schwer davon aus. Gandalf und Bilbo sahen haargenau so aus wie im Film. Kein Grund noch etwas anderes anzunehmen. Hilflos lachte sie leise.

Bilbo hingegen wusste nicht wohin mit sich und blickte von seiner Haustüre wieder zu seinem Gast. Frau Anna stand abrupt auf, sodass er erneut zusammen zuckte. Wollte sie Gandalf die Türe öffnen?

„Ich gehe nochmal kurz ins Bad, ja?“, sagte sie aufgewühlt und flüchtete kaum einen Wimpernschlag später mit hastigen Schritten.

Bilbo blieb verdutzt zurück. Was hatte sie denn? Somit reichlich verwirrt ging er zur Haustüre um sie Gandalf zu öffnen – doch wen er vor sich sah, ließ ihn irritiert blinzeln. War das ein Zwerg? Ein ziemlich großer Zwerg noch dazu, der einen sehr ernsten Eindruck vermittelte, wenngleich auch etwas einschüchternd.

„Dwalin. Zu Euren Diensten.“, sagte er mit einer kleinen Verbeugung.

„Oh... Bilbo Beutlin, zu Euren.“ Kaum hatte er das gesagt, trat der große Zwerg an ihm vorbei in die Eingangshalle, ganz als wäre es vollkommen normal und erwartet. „Kennen wir uns?“, fragte er konfus. Der Zwerg unterbrach kurz mit dem Mustern der Umgebung und bedachte ihn mit einem kurzen aber fragendem Blick.

„Nein“, sagte er. „Wohin, Kleiner?“ Dwalin zog sich den braunen Umhang von seinen mit Fell besetzten Schultern, während er sich weiter umsah, jedoch keinen anderen außer den Hobbit ausmachen konnte. „Ist es hier unten?“

„Ist was wo unten?“, fragte Bilbo immer entsetzter. Was suchte dieser Zwerg hier in seinem Haus? Plötzlich bekam er den Umhang des Fremden zugeworfen, den er auffing.

„Das Abendessen“, antwortete Dwalin unbeeindruckt von dem Verhalten des Hobbits und erspähte die Küche, auf die er zuging. „Er hat gesagt, es gibt zu Essen. Und zwar reichlich.“

„Hat... Hat er gesagt? Hat wer gesagt?“ Seine Fragen gingen ins Leere, da der Zwerg bereits in seine Küche gestampfte. Was ging hier vor sich?
 

Schon zum dritten Mal füllte sie ihre Lungen bis zum Anschlag mit Luft, ehe sie den Türknauf in die Hand nahm. Anna musste durchatmen. Es war nur Dwalin. Gleich käme Balin und auch der ganze Rest. Das war absolut kein Grund sich wie eine Verrückte aufzuführen. Sie benahm sich wie ein Teenager. Aber zum Teufel nochmal … sie war in Mittelerde! Wovon sie als Kind träumte, es einmal zu sehen. Und sie befand sich am Anfang ihrer Lieblingsgeschichte. Wie verhielt man sich da? Gab es da irgendwelche Richtlinien? War das mal wem passiert? Interessante These eigentlich. Und sie hatte wirklich angefangen an all das hier zu glauben! Das war es. Es war real. Und endlich an der Zeit dem Ganzen die Stirn zu bieten. Sonst war sie doch auch kein Feigling! Schließlich konnte sie soweit die Zeit genießen. In einem mal schluckte sie hart. Wenn das hier alles real war, konnte sie doch nicht so blind sein und die Augen vor dem Schicksal der drei Zwerge verschließen. Oder? Sie waren lebendig. Hatten Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle, genau wie sie. Wenn sie wirklich der Schlüssel zu ihrem Überleben war, wie konnte sie so Egoistisch sein? Sich einfach in Bruchtal eine schöne Zeit machen, in dem Wissen, dass diese drei kleinen Männer den Tod fanden. Anna fasste sich an den Kopf und stöhnte auf. Nein, sie würde ihre Meinung nicht ändern. Nein. Sie gehörte hier nicht her. Das war nicht ihre Welt. Nicht ihr Zuhause.

Mutig öffnete sie die Türe und lauschte zunächst. Nichts war zu hören. Nicht ein Wort wurde gesagt. Ob sie Dwalin jetzt essend in der Küche vorfand? Zumindest aß er nicht die Portion von Bilbo – die hatte dieser ja schon verputzt. Einen Moment zögerte sie, bevor sie ganz aus dem Bad trat und sich in den Seiteneingang zur Küche stellte. Ihre Atmung setzte aus, ihr Herz kam aus dem Rhythmus und ihr Mund wurde trocken. Da saß niemand anderes als Dwalin und biss vom übrig gebliebenem Brot ab. Er sah ganz genauso aus, wie sie schon befürchtet hatte. Der vergleichsweise große Zwerg mit seiner kreisrunden Glatze, auf der sich die Kriegertattoos befanden. Sein mittellanger, gerader Bart war schmucklos, ebenso seine Haare. Dafür hatte er Piercings an seinem Ohr das sie von seiner Seite sah und plötzlich zuckte. In einem mal wandte er sich um und sein stechender Blick traf auf den ihren. Wie vom Blitz getroffen erstarrte sie. Seine Augenlider öffneten sich weit. Doch das änderte sich kaum eine Sekunde später und er zog seine Augenbrauen zusammen.

„Und wer seid Ihr?“, fragte er schroff. Mit einer Frau hatte Dwalin nicht gerechnet. Zumindest keiner Menschenfrau, die, wenn er ein zweites mal hinsah, sehr eigenartig gekleidet war. Etwas sagte dem Krieger, dass an der Sache was nicht stimmte. Was tat sie hier? Oder hatte er sich doch in dem Hobbit getäuscht? Eine menschliche Ehefrau hätte er dem Hobbit nicht zugetraut.

Anna schluckte hart, konnte aber so eben ein kleines Lächeln herauspressen. „Anna Schubert.“

Die Theorie mit der Frau vom Hobbit entfiel, da sie nicht den gleichen Nachnamen trugen. Doch was suchte sie dann hier? Ein sehr ungutes Gefühl und beunruhigender Gedanke machte sich breit. „Dwalin. Zu Euren Diensten“, stellte er sich schließlich selbst mit einem Nicken vor. „Was macht Ihr hier?“

„Das... ist ein bisschen kompliziert“, antwortete sie steif und kam vorsichtig ein paar Schritte näher. Ein kurzer Blick auf Bilbo, der sich neben dem Herd auf seine Bank gesetzt hatte, schaute ebenso interessiert wie Dwalin.

„Ich höre.“

Sein fordernder Ton ließ sie etwas zusammenschrecken. Selbstverständlich musste es Dwalin sein, der als erstes auf der Matte stand. Verflucht seist du Tolkien! Nervös setzte sie sich dem Krieger gegenüber und verscheuchte den gewaltigen Frosch in ihrem Hals. „Das ist alles Gandalfs Schuld“, begann sie und konnte prompt sehen wie die Augenbrauen von Dwalin hochschossen. „Ich komme aus einer anderen Welt und er hat mich hier geparkt. Ich begleite ihn ein Stück auf der Reise. Nur solange bis wir an einem Ort sind, an dem er mich beruhigt zurücklassen kann.“ Seine unmittelbare Reaktion zeigte ihr deutlich, was er von dem Gesagten hielt. Er verschränkte seine mächtigen, breiten Arme vor der Brust und bedachte sie mit einem harten Blick, der sie zehn Köpfer kleiner machte.

„Mit auf die Reise? Was wisst Ihr darüber?“

Jetzt bloß nichts Falsches sagen! Es bildeten sich die ersten Schweißperlen auf ihrer Stirn. Könnte sie Dwalin überhaupt mit einer Lüge täuschen? Ein Versuch war es wert, oder?„Uh... nicht viel.“

„Ihr lügt.“, verließ es gefährlich leise seinen Mund, was sie sofort schlucken ließ. „Ich frage noch einmal. Und dieses mal antwortet Ihr besser ehrlich, Mädchen. Was wisst Ihr?“, kam es so scharf von ihm, er hätte damit Stahl schneiden können.

Okay, das ging schnell. Sie hatte das Gefühl wenn sie jetzt nur eine falsche Bewegung machte, wäre sie ihren Kopf los. Und den wollte sie eigentlich noch behalten. Aus den Augenwinkeln sah sie wie Bilbo entsetzt starrte. Die Luft in seiner Küche war stickig geworden. „Alles? Ich meine!“, berichtigte sie sich schnell als das Gesicht vom Zwerg nur dunkler wurde. „Nicht wirklich 100 Prozent alles. Theoretisch gesehen wirklich nur Stücke hier und da. Ich weiß, dass Ihr auf eine Reise geht und na ja... Gandalf... Ja, der nimmt mich ein Stück mit. Weil er kann mich jetzt nicht nach Hause schicken kann. Ich bin nur seine Begleitung! Ehrlich! Fragt ihn selbst.“ Mit einer vorsichtigen Handbewegung wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Das alles war schwerer als gedacht und wenn das so weiter ging, brauchte sie gleich nach dem Verhör noch eine Dusche. Und das war nur Dwalin. Wie sollte das erst mit Thorin laufen? Ja, vor dem hatte sie gehörigen Respekt.

„Das werde ich tun. Und bis dahin werdet Ihr in meinem Sichtfeld bleiben. Habt Ihr verstanden?“

„Ja.“, piepste sie und strich gedanklich gleich den Duschgang. Großer Herrgott im Himmel, sie war auf einem Minenfeld! Und sie konnte es dem Zwerg nicht einmal übelnehmen. Natürlich war er misstrauisch … und bewaffnet bis auf die Zähne. Eigentlich hatte sie auf eine kurze Freundschaft mit Dwalin gehofft. Aber spätestens jetzt waren alle Hoffnungen panisch aus dem Fenster geflohen. Ja, geflohen war das richtige Wort – sie wäre am liebsten hinterher gesprungen. Denn dieser Zwerg machte keine Scherze.

Dwalin seufzte schließlich und schüttelte leicht seinen Kopf. Eine körperliche Gefahr ging von der Menschenfrau nicht aus. Wenn er sie nur ansah hatte er schon die Befürchtung sie kippte um. So dünn und leicht wie ein Blatt im Wind. Definitiv keine Kämpfernatur. „Das wird ihm nicht gefallen...“

Sofort wusste Anna von wem Dwalin sprach. Natürlich wird es Thorin nicht gefallen! Und all den anderen auch nicht! Aber was sollte sie tun? Sie wollte nach Hause und der sicherste Ort war nun einmal Bruchtal – und das lang auf dem Weg. Außerdem wollte sie wirklich keinen Ärger verursachen, weshalb sie lieber schwieg als ihren Mund aufzureißen.

Das Interesse von Dwalin schien sich tatsächlich nur auf ihr Hiersein zu konzentrieren, weshalb er keine weiteren Fragen stellte. Schade eigentlich, sie hätte ihn gern besser kennengelernt, wagte es aber nicht ihm Fragen zu stellen. Aber vielleicht kam die Zeit noch. Ein paar Wochen würden sie immer noch miteinander verbringen. Somit beobachtete sie nur wie er schweigend weiter aß, immer mit einem wachsamen Blick auf sie gerichtet.

Die Spannung war dem Zerreißen nahe. Keiner sagte etwas. Weder Bilbo noch sie trauten es sich zu bewegen, was insbesondere Anna zu Herzen nahm. Als es dann ein weiteres mal klingelte, atmete sie erleichtert auf da sich die Aufmerksamkeit der beiden Männer auf die Tür richtete. Nach einem kleinen, aber ausdrucksstarken Hinweis, Bilbo solle doch die Tür öffnen gehen, tat er dies auch und Anna hörte dem kurzen Gespräch zwischen Balin und Bilbo zu. Fast hätte sie gekichert, doch starb es auf halbem Weg in ihrer Kehle. Dwalin beobachtete sie mit seinem durchdringenden Blick genau. Er schien etwas in ihrem Gesicht lesen zu können, doch dann stand der Krieger vor ihr auf, verließ die Küche und begrüßte seinen Bruder herzlich im Nebenzimmer, das sie weiter angespannt verfolgte. Balin sah genauso aus wie in den Filmen. Sein weißer, langer, ebenso schmuckloser Bart reichte ihm weit über seine breite Brust und endete in einer kleinen Welle nach oben. Sein Alter war in seinem von Falten gezeichneten Gesicht gut zu sehen, ebenso die Weisheit, die er damit zum Ausdruck brachte. Seltsamerweise fiel ihr jetzt erst auf, dass Balin gar kein Oberlippenbart unter seiner dicken, langen Nase besaß. Auf so kleine Details hatte sie irgendwie nie geachtet. Als sein Blick dann auf sie fiel, hielt er in seinen Bewegungen inne. Balins Augenbrauen wanderten zuerst fast bis zu seinem Hinterkopf, ehe er sie wieder zusammen zog. Ganz offensichtlich dachte er angestrengt nach was sie hier zu suchen hatte, ganz genau wie sein Bruder zuvor – nur nicht so bedrohlich. Anna stand auf und ging vorsichtig zu dem alten Zwerg, der noch immer intensiv nachzudenken schien. Jetzt fiel ihr erst der Größenunterschied auf. Dwalin war nur minimal kleiner als sie, aber Balin doch schon ein gutes Stück mehr.

„Mein Name ist Anna Schubert. Uh.. Zu Euren Diensten, Herr B-“ Das B schluckte sie im allerletzten Moment herunter. Beinahe hätte sie seinen Namen ausgesprochen! Da fing es schon an. Wenn sie aufgeregt war, neigte sie zum Plappern. Aber zu ihrem Glück verstand es keiner der Männer wirklich. Balin begann mild zu lächeln, womit ihre Anspannung etwas fiel. Ein Segen. Balin war viel umgänglicher als sein Bruder Dwalin.

„Balin. Auch zu Euren Diensten, Fräulein Schubert.“, sagte er freundlich mit einer kleinen, aber eleganten Verbeugung. „Wenn Ihr mir die Frage erlaubt. Was sucht Ihr an diesem Abend bei unserem Gastgeber?“

„Euren … Euren Gastgeber?“, fragte Bilbo aus dem Hintergrund, das offenkundig von jedem ignoriert wurde.

„Das... ist eine lange Geschichte, Herr Balin.“

„Das Mädchen hier behauptet, sie käme mit auf die Reise.“, mischte sich Dwalin ein und erntete prompt einen fragenden Blick von Balin.

„Mit auf die Reise?“, wandte er sich an die junge Menschenfrau, die entschuldigend lächelte und mit den Schultern zuckte. „Wie kommt es dazu?“

„In einem Wort: Gandalf. Der ist alles Schuld.“

In der Tat erklärte es viel. Dennoch längst nicht alles. Was für einen Grund könnte Gandalf haben eine junge Menschenfrau mit auf diese gefährliche Reise zu nehmen? Doch viel wichtiger war die Frage: Was würde Thorin von dem Ganzen halten? Schwer seufzend blickte er seinen Bruder an. „Das wird ihm nicht gefallen.“ Dwalin, mit verschränken Armen vor der Brust, nickte entschieden dazu.

Anna unterdrückte ihr Kichern eisern. Balin hatte genau dasselbe, in genau derselben Art gesagt. Als sich der kleinere Zwerg sich ihr wieder zudrehte, sie von oben bis unten musterte, zog er eine Augenbraue an.

„Ihr seid nicht von hier, nehme ich an?“

„Oh, wenn Ihr wüsstet.“, sagte sie schief lächelnd, was die Neugier des Zwerges weiter zu wecken schien. Er bot ihr mit einer einladenden Geste an sich in den Sessel vor dem prasselndem Kamin zu setzen, was sie gleich tat. Er nahm gegenüber platz.

„Wir haben noch etwas Zeit, bevor der Rest eintrifft. Ich würde mich geehrt fühlen, Eure Geschichte zu hören, Fräulein Schubert.“

Sie hätte Balin dafür küssen können. Er war ein viel netterer Zwerg als sie ihm zunächst zugetraut hatte. Somit entspannte sie sich sichtlich in dem Sessel.

„Den Rest? Welcher Rest? Nein, sagt nicht, da kommen noch mehr!“, sagte Bilbo entsetzt, stieß aber wieder auf Taube Ohren. Dachte er zumindest, bis Dwalin zu ihm trat. Endlich würde ihm jemand seine Fragen beantworten!

„Wo gibt es hier etwas zu trinken?“
 

Als Dwalin mit Bilbo aus dem Zimmer verschwand, legte Anna auch gleich los. Dass sie aus einer anderen Welt kam, Gandalf sie herholte, damit sie sich eigentlich der Reise bis zum Erebor anschloss und dass sie abgelehnt habe. Natürlich ließ sie das wichtige Detail aus, dass sie bereits wusste wie die gesamte Reise ausging. Hier beherzigte sie gern den Ratschlag von Gandalf. Keiner durfte wissen, dass sie die Zukunft kannte. Balin hörte ihr bis zum Ende geduldig und sehr aufmerksam zu, ohne sie auch nur zu unterbrechen. Er überlegte für einige stille Sekunden sichtlich, ehe er sich räusperte.

„Ihr sagt, Gandalf habe Euch hierher gebracht, damit Ihr Teil der Unternehmung werdet.“, wiederholte Balin die sinngemäßen Worte der jungen Frau, die kurz nickte. Allerdings bevor er seine Gedanken weiter sortieren und Fragen dazu stellen konnte, öffnete sie hastig ihren Mund.

„Technisch gesehen, ja. Also er ist Schuld warum ich hier bin. Aber die Valar haben mich hergebracht.“ An dieser Stelle öffneten sich die Augen des alten Zwerges so weit, dass Anna Angst bekam sie würden jeden Moment aus seinem Schädel herausspringen. Sollte sie das mit den Valar lieber für sich behalten? Gandalf hatte nichts in der Richtung gesagt. Verflucht sei der alte Kerl! Wo war er, wenn man ihn mal brauchte? Er hätte ihr am besten ein paar Regeln aufschreiben sollen.

„Bei Durins Bart...“, sagte er ungläubig. Wollte diese Menschenfrau ihm wirklich weiß machen, dass die Valar sie geschickt haben? Konnte er das glauben? Ihre Geschichte war ohne die Valar schon sehr außergewöhnlich und schwer zu glauben. „Die Valar haben Euch gesandt?“ Sollte dies wirklich der Fall sein, wovon er nicht ausging, Mahal stehe ihm bei. Das alles entwickelte sich in eine Richtung, das über seinem Verstand hinaus ging.

„Ich denke schon... laut Gandalf“, sagte sie verunsichert. „Vielleicht solltet Ihr Gandalf das alles selbst fragen. Er hat mir selbst nur das gesagt. Und ja, ich kann es auch kaum glauben. Warum ich? Das ergibt doch gar keinen Sinn.“

Abwesend nickte Balin. Er würde Gandalf fragen. Der Gedanke, dass die Valar eingriffen, beunruhigte ihn zutiefst. Es war nicht sonderlich üblich, dass sie sich einmischten. Und was konnte dieses Menschenmädchen ändern? Sie war eindeutig keine Kämpferin. Was war also ihre Aufgabe? Und was bezweckten die Valar mit dieser Handlung? Wie wichtig war Erebor? Sicherte diese junge Menschenfrau die Zukunft des Erebors? Würde ohne sie die Unternehmung fehlschlagen? Ein mehr als erschreckender Gedanke. Oder sie wurde nicht von den Valar geschickt und der Feind war an dieses Werk beteiligt. Eine Ablenkung. Besaß sie einen Beweis, dass sie von den Valar gesandt wurde? Reichte das Wort von Gandalf aus? Es viele Fragen, die eine Antwort bedurften.

Anna überließ Balin seinen Überlegungen. Man konnte deutlich sehen, wie es in ihm arbeitete. Ihm gefiel es sicherlich genauso wenig wie ihr. Aber er musste sich keine Sorgen machen, hatte sie ihm doch gesagt, dass sie nur ein Stück mit kam. „Herr Balin“, sprach sie ihn an, was einen Moment brauchte, bevor es zu ihm durchdrang und er reagierte. „Keine Sorge. Ich sagte bereits, dass ich nur eine kurze Zeit mitreise. Ihr braucht also keine Sorge haben. Sobald wie möglich lädt Gandalf mich an einem sicheren Ort ab, wo ich dann auf seine Rückkehr warte. Macht Euch also keine unnötigen Gedanken.“ Sie wollte ihn beruhigen, ihm zeigen, dass sie keine Bedrohung war. Und auch, dass alleine Gandalf für sie verantwortlich war.

„Ich fürchte, Fräulein Schubert, so einfach ist das nicht“, begann er mit einem Seufzen. „Selbst wenn Ihr von den Valar geschickt wurdet, und auch wieder zurückreisen möchtet, wisst Ihr viel über unser Ziel. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine kluge Vorgehensweise wäre Euch mit so viel Wissen zurückzulassen. Ihr könntet dem Feind in die Hände fallen.“ Er musste sich dringend mit Thorin über diese neue Entwicklung beraten.

Geschockt riss sie ihre Augen auf. Was? Hatte sie Balin eben richtig gehört? Die Zwerge waren vielleicht gar nicht dazu bereit sie zurückzulassen, weil sie zu viel wusste? Dabei hatte sie doch nur gesagt, sie wüsste wo deren Ziel lag und sie nur ein Stück mit käme. Nicht ein Wort über all die Gefahren auf dem Weg. Reichte das schon aus? Aber sie würde ihren Mund halten. Enttäuscht senkte sie ihre Schultern. Natürlich. Keiner vertraute ihr. Wie konnte sie so dumm sein? Wieso sagte sie dem Zwerg auch, dass sie wüsste, dass sie nach Erebor gingen? Daran hätte sie eher denken sollen. Wo waren ihre Gedanken gewesen? Schon war es passiert. Sie hatte etwas gesagt, das sie nicht sollte. Ein kleiner Fehler und setzt saß sie ganz tief in der Scheiße. „Ich... ich möchte wirklich nicht Teil der Unternehmung werden. Das ist zu gefährlich. Ich will einfach nur nach Hause. Niemand wird von eurer Reise erfahren. Wirklich. Bitte.“

Erneut stieß Balin schwer die Luft aus. Die junge Frau sah ihn verzweifelt an. Ihre Augen sprachen eindeutig für ihre Ehrlichkeit, doch konnte er diese heikle Entscheidung nicht treffen. Thorin war für die Unternehmung verantwortlich. Sein Wort entschied über ihr Schicksal. „Es liegt nicht in meiner Macht das zu entscheiden, Fräulein Schubert.“

Anna biss sich so stark auf ihre Unterlippe, dass sich der typische metallische Geschmack in ihrem Mund ausbreitete. Sie war dazu verdammt mit auf diese Reise zu gehen. Thorin würde ihr niemals genug vertrauen, sodass er sie zurück ließ. Aber ihr Mitkommen würde doch auch Gefahr bedeuten? Man müsste sie beschützen. Vielleicht,... ja vielleicht, hätte sie doch noch eine Chance zurück zu bleiben. Wie sehr sie sich schon jetzt auf das Gespräch mit Stinkstiefel Thorin freute – sie hätte auf der Stelle in Tränen ausbrechen können.

Dwalin ließ sich etwas Zeit, bevor er wieder in die Stube ging, in welcher sich sein Bruder stark den Kopf zu zermartern schien. Auch Sorge spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Das war kein gutes Anzeichen. „Bruder“, sprach er Balin an, der über die junge Menschenfrau hinaus zu ihm sah. „Auf ein Wort.“ Sofort stand Balin auf, entschuldigte sich bei dem Menschen und folgte Dwalin in den Gang, der zum Vorratsraum führte. Jetzt war es an der Zeit für ein paar kleine Antworten.
 

Anna massierte sich ihre Schläfen und schloss ihre Augen. In was für ein Schlamassel hatte sie sich da eben gebracht? Egal wie oft sie sich jetzt dafür verfluchte, es brachte im Endeffekt nichts. Gesagt, war gesagt. Sie war ein optimistischer Mensch. Kein Grund, jetzt schwarz in ihre Zukunft zu blicken. Wenn da nur nicht der minimale Gedanke an Folter und Tod wären! Wie man es nur drehte und wendete... sie war in einer Zwickmühle. Hoffentlich konnte sie Thorin davon versichern in Bruchtal zu bleiben. Genau. In Bruchtal. Wenn das diese Version von Thorin war, hasste er die Elben. Keine sehr gute Voraussetzung für ihren Erfolg ihn zu überzeugen. Sie bei den Elben lassen? Im Vertrauen sie würde keinem was erzählen? Ja, das klang absolut nach Thorin. Deprimiert lehnte sie ihren Hinterkopf auf den Sessel. Was machte sie jetzt? Und was, wenn sie wirklich mit musste und sie Dinge veränderte, die man nicht verändern durfte? Die Sorge hatte sie bereits Gandalf gesagt. Aber der war ja sicher, sie würde das alles schon schaffen. Am liebsten hätte sie jetzt ihren Frust heraus geschrien. Plötzlich klingelte es wieder an der Tür. Nein, sogar zwei mal. Kurz verwirrt, blinzelte sie und blickte zur Tür. Wer kam jetzt noch einmal an? Ach ja, richtig. Die zwei Todgeweihten, deren Schicksal sich nicht veränderte, weil sie lieber nach Hause wollte. Ihr Magen verdrehte sich. Wie sollte sie ganz besonders diesen beiden gegenüberstehen? Vorher hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet. Aber was, wenn sie die Reise über die beiden als gute Freunde gewann? Was im Grunde gar nicht abwegig war. Fíli und Kíli gehörten zu den offenherzigsten Zwergen. Ganz besonders Kíli, wenn man an die erfundene Elbe Tauriel im Film dachte, in welcher er sich verliebte. Sollte sie also lieber Abstand nehmen? Ginge das überhaupt? Eigentlich wollte sie die beiden auch gern kennenlernen. Wie jeden Zwerg, um genau zu sein. Aber die beiden waren ein lustiges Duo, das man einfach kennenlernen musste. Somit beobachtete sie mit einem kleinen Lächeln, wie Bilbo quasi mit den beiden Brüdern an der Tür kämpfte. Bilbo war aber natürlich erfolglos, sodass sie den ersten Blick auf einen der Brüder werfen konnte. Kíli kam wie selbstverständlich ins Haus gestürmt, gefolgt von Fíli, der sogar erhaben hinein stampfte als ob ihm das Haus gehörte. Hier wieder keine Überraschung. Der jüngere Kíli besaß wie im Film auch kaum mehr als Stoppeln in seinem doch eher schmalen Gesicht, das von seinen langen, offenen, braunen Haaren umrandet war. Wenn man die Größe, die auch für einen Zwerg schon beachtlich war, und auch die riesigen Ohren außer Acht ließ, machte er eher den Eindruck er sei ein Mensch. Sein kaum älterer Bruder Fíli hingegen besaß deutlichere Merkmale eines Zwerges. Vier geflochtene Zöpfe baumelten in seiner langen goldenen Mähne und natürlich die zwei kleinen geflochtenen Zöpfe, die seitlich an seinem Mund hingen. Mit deutlich mehr Bart, auch an seinem Kinn und Wangen, hatte er auch eine breitere Nase zu verzeichnen. Fíli war im Gegensatz minimal kleiner als sein Bruder. Als Bilbo mit den Waffen von Fíli beladen wurde, hörte Anna wie Kíli durchs Haus ging. Er hatte sie in der Stube noch nicht entdeckt, was aber jeden Moment der Fall war, da er schon um die Ecke in den Raum blickte. Seine Augen wurden groß, bevor ein riesiges Grinsen von Ohr zu Ohr losbrach.

„Fíli, sieh nur, eine Frau!“, stieß er aus und kam der Frau, welche in dem kleinen Sessel saß, näher. „Ihr müsst dann Frau Beuteler sein!“, meinte er mit Begeisterung und verbeugte sich tief. „Kíli, zu Euren Diensten.“

Anna blinzelte zwei, drei mal. Nahm Kíli gerade tatsächlich an, dass sie die Frau von Bilbo war? Sah sie wie ein Hobbit aus? War ihm überhaupt aufgefallen, dass sie ein Mensch war? Ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, brach sie in einem Mal in Gelächter aus, das den Zwerg vor ihr offensichtlich kurz verwirrte, ehe er danach, jedoch unsicher, weiter grinste. Fíli, von dem Trubel angelockt und offenbar soweit entwaffnet, trat ebenfalls in die Stube. Sein Ausdruck jedoch zeigte mehr Überraschung als bodenlose Begeisterung. Er schien ihre Erscheinung genauer zu studieren. Ja, er war eindeutig der ältere Zwerg.

„Meine... Meine Frau?!“, rief Bilbo, der alles mit angehört hatte. Entrüstet von dieser Annahme, folgte er dem blonden Zwerg in seine Stube, mit noch immer dem Waffenstapel in den Händen vor sich.

„Du hast Recht, Bruder“, merkte Fíli an. „Fíli, zu Euren Diensten“, stellte sich Fíli mit einer Verbeugung vor und musterte die seltsam aussehende Frau vor sich abermals. Sie war kein Hobbit. So dünn, groß und ohne Haare an ihren schmalen, nackten Füßen. Für eine Elben trug sie zu viel Ohrschmuck und besaß auch keine typischen spitzen Ohren, was nur einen Schluss zuließ: Sie war ein Mensch. Fíli bezweifelte daher stark, dass es sich um die Frau Bilbos handelte. Was tat sie also hier? Von einer Frau war nie die Rede gewesen.

„Ich bin nicht Bilbos Frau. Obwohl das gar nicht so übel wäre“, begann sie mit einem Grinsen und einen kurzen Blick auf Bilbo, der schockiert und peinlich berührt über das Ganze versuchte Worte heraus zu bringen, aber nur seinen Mund öffnete und schloss, um anschließend hoch rot die Stube zu verlassen. Anna hob sich aus dem Sessel und überragte Kíli nur leicht in ihrer Größe. Mit einer Verbeugung sagte sie: „Anna Schubert. Auch zu Euren Diensten.“

„Was für ein seltsamer Name“, sagte Kíli direkt verwundert und kassierte daraufhin sofort von seinem Bruder einen Schlag auf den Hinterkopf. Mit einem leicht verärgerten Gesicht rieb er sich die schmerzende Stelle, während er seinen Bruder ansah. „Was?“ Fíli blickte ihn tadelnd an.

„Wie benimmt man sich einer Frau gegenüber?“

„Immer freundlich und zuvorkommend sein“, beantwortete er selbstsicher die Frage. Seine Mutter war sehr darauf bedacht gewesen ihm das beizubringen. Aber das war er doch gewesen? Schulterzuckend blickte er seinen Bruder fragend an.

„Entschuldigt das Benehmen meines Bruders, Fräulein Schubert. Er ist -“

„Nein, nein. Alles gut!“, unterbrach sie den blonden Zwerg mit einem breiten Lächeln. Die beiden waren genau so, wie sie es sich vorgestellte. „Aber bitte tut mir beide einen großen Gefallen.“ Prompt blickten sie beide Augenpaare neugierig an.

„Alles, Fräulein Schubert.“, sagte Kíli umgehend mit seinem breiten Grinsen ungeniert. Neben sich hörte er seinen Bruder leise aufstöhnen.

„Nennt mich Anna, ja? Vergesst das mit dem Fräulein hier und da. Einfach nur Anna.“, sagte sie freundlich, was ihr ein größeres Grinsen von Kíli einbrachte und von Fíli einen verwunderten Blick.

„Seid Ihr Euch sicher? Das wäre respektlos Euch gegenüber.“ Fíli war tatsächlich mehr als verwundert. Es gehörte sich nicht eine Frau so persönlich anzusprechen. Aber wenn diese, ohnehin schon eigenartige, Frau darauf bestand? Unsicher kratzte er sich am Kinnbart. Sie unterschied sich deutlich vom Rest der Frauen, die ihm bisher über dem Weg gelaufen waren. Sein Bruder schien in jedem Fall begeistert von dem Vorschlag.

„Wenn sie darauf besteht, kann mal wohl nichts machen, oder nicht Bruder?“, meinte Kíli mit einem Seitenstubser an Fíli, jener langsam aber entschieden nickte. Er mochte diese verwunderliche Frau jetzt schon.

„Richtig, Bruder. Wenn sie das so will, werden wir wohl eine Ausnahme machen müssen.“, stimmte Fíli mit ein.

Und das erste mal seit Fíli die Tür herein gekommen war, lächelte er breit, sodass sogar seine geflochtenen Zöpfe an den Mundwinkeln etwas baumelten. Sein Bart war wirklich witzig. Amüsiert kicherte sie über die beiden Brüder. „Da das geklärt ist. Hätte ich da noch eine klitzekleine Frage.“

„Was denn?“, fragte Kíli interessiert.

„Seid ihr beiden immer so charmant?“, fragte sie mit einem frechen Lächeln, woraufhin der braunhaarige Zwerg kurz lachte und der blonde zu grinsen begann.

„Natürlich“, meinte Fíli mit einem Zwinkern. „Obwohl ich eindeutig der attraktivere bin.“

Anna konnte keinen Lacher unterdrücken, besonders nachdem Kíli seinen Bruder schief von der Seite anblickte. „Wirklich? Wer hat das gesagt?“, entgegnete sie belustigt und erhielt einen gespielten schmerzvollen Gesichtsausdruck vom blonden Zwerg, der zum Bestärken noch seine Hand vor die Brust legte.

„Eure Worte schmerzen mich.“

„Ihr werdet es überleben.“, meinte sie schulterzuckend und mit viel Mühe nicht erneut loszulachen, was Kíli jedoch tat, welcher seinem Bruder kurz seine Hand auf die Schulter legte.

„Hast du gehört, Fii? Du wirst es überleben.“, wiederholte Kíli die Worte der jungen Frau und schwellte seine Brust an. „Damit steht wohl fest, wer der eindeutig attraktivere ist.“

Anna zog ihre Augenbrauen an und begann sich angestrengt umzusehen. „Ja? Wo ist er denn?“ Fíli lachte sofort auf und Kíli zog enttäuscht eine Schnute. Doch mit einem harten Klaps von Fíli auf dem Rücken seines Bruders, welcher daraufhin kurz mit seiner Balance kämpfte, begann auch er langsam zu grinsen. Es sah ganz danach aus als habe sie gerade Freundschaft mit beiden geschlossen. Anna musste kichern.

„Fíli, Kíli“, mischte sich die raue Stimme von Dwalin ein, jener von der Küche aus in die Runde blickte. Sein Rundblick blieb kurz an der Menschenfrau hängen, die sofort verstummte. „Steht hier nicht so herum und helft mit. Wir müssen noch Platz schaffen.“

„Dwalin!“, rief Kíli freudestrahlend und verbeugte sich noch kurz vor Anna, ehe er zum alten Krieger ging, ihn begrüßte und ihm anschließend folgte.

Seufzend beobachtete Anna das Geschehen, wunderte sich jedoch einen Augenblick, da Fíli seinem Bruder nicht folgte. Mit einem prüfenden Blick konnte sie direkt feststellen, dass er sie nachdenklich anblickte. Was hatte er denn? „Hab ich was im Gesicht?“

„Nein, verzeiht.“, antwortete er. „Ich frage mich nur, was Ihr hier macht, wenn Ihr nicht die Frau vom Hobbit seid.“

Oh, da war ja noch was. Die Antwort, sie sei hier um unter anderem sein Leben zu retten, wäre sicher die falsche. „Das besprecht Ihr besser mit Balin. Der ist im Bilde. Und auch nebenan,... so nebenbei.“, sagte sie leise. Die Fragerei würde an diesem Abend kein Ende nehmen. Aber sie konnte es keinem verübeln. In jedem Fall schien sie das Interesse bei dem blonden Zwerg geweckt zu haben, so wie er sie mit seinen blauen Augen ansah.

„Dürfte ich Euch trotzdem eine Frage stellen?“

Einen Moment zögerte sie. Vielleicht wollte er es doch lieber von ihr selbst hören? Doch wie oft müsste sie es dann noch am Abend wiederholen? Aber sie wollte ihm gegenüber nicht unhöflich sein. „Sicher. Raus damit.“

Angesichts ihrer eigenartigen Ausdrucksweise, lächelte Fíli leicht. Diese Menschenfrau stammte offenkundig nicht von hier, was auch das Gespräch von eben zweifellos bewiesen hatte. Wenngleich ihre Kleidung zuvor genug Indiz gewesen war. „Ihr stammt nicht von hier“, sprach er seine Gedanken und das Offensichtliche aus. „Daher meine Frage. Woher kommt Ihr?“

„Das ist gar nicht so einfach zu beantworten...“, setzte sie an. „Ich komme aus einer anderen Welt. Mittelerde ist nicht mein Zuhause, sondern ein Ort, den man die Erde nennt.“

„Tatsächlich?“, fragte Fíli wirklich verwundert. Mit dieser Antwort hätte er niemals gerechnet. „Wie seid Ihr hierher gelangt?“

„Das wäre dann schon die zweite Frage.“, meinte sie mit einem kleinen Lächeln, das sich direkt auf ihn übertrug. Sie wollte wirklich nicht unhöflich sein, aber sie musste ihre Geschichte mindestens noch einmal vor Thorin erzählen, daher beendete sie lieber hier die Fragen. „Ihr werdet auf alle Fragen eine Antwort bekommen, versprochen.“ Auf ihren Worten hin schien er kurz zu überlegen.

Fíli nickte letztlich zu ihren Worten. Auf ihre Geschichte war er gespannt. „Wenn Ihr mich dann entschuldigt.“ Wie sein Bruder zuvor, verneigte er sich knapp und verließ die Stube in Richtung Küche.

Anna kratzte sich an der Schläfe, während sie das Treffen der beiden Brüder gedanklich wiederholte. Es war kein Wunder gewesen, dass sie sich auf Anhieb mit ihnen verstand. Und hier lag irgendwie das Problem. Wenn sie sie nicht mögen würde, würde es ihr einfacher fallen sie ihrem Schicksal zu überlassen. Aber sie mochte die beiden wirklich gern - jetzt sogar noch viel mehr. War sie also herzlos, dass sie nach wie vor nach Hause wollte? Ihr Wegbleiben war eine Garantie für deren Tod. Und keiner dieser beiden hatte so früh den Tod verdient. Was sollte sie tun? Sie bekam es mit der Angst zu tun. Weglaufen und wegsehen? Oder für deren Überleben kämpfen? Heldenhaft Seite an Seite mit den Zwergen in die Schlacht ziehen, ausgerüstet mit einer stylischen Rüstung, um schließlich die royale Familie mit einem Badass-Move zu retten? Der Lacher blieb ihr im Halse stecken. Das war keine Fantasie. Kein Vielleicht und Wenn. Sie würde in den Krieg ziehen. Das war Fakt. Vorausgesetzt sie überlebte den Weg bis dort hin, was an sich schon gefährlich genug war. Ja, sie konnte wirklich sterben. Aus. Ende. Vorbei. War sie also bereit für diese Zwerge ihr Leben zu riskieren? In der Hoffnung auch nur einen einzigen zu retten? Oder sogar das Schicksal ganz Mittelerde zu gefährden, wenn sie es versuchte? „So ein verdammter Scheißdreck! Danke, Gandalf!“, rief sie wütend und verzweifelt zur Decke hinauf. Und selbst wenn sie sich doch umentschied, was immer mehr der Fall zu sein schien, das Problem mit Thorin blieb. Würde er sie überhaupt akzeptieren? Ihr vertrauen? Einer Menschenfrau... die klein und dünn noch dazu war. Was könnte sie schon beitragen? Außer natürlich Unruhe unter seinen Männern säen und sie ablenken. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, mehr als ein bisschen Bogenschießen riss es nicht heraus. Ihr Nutzen lag also gegen Null – mit der Tendenz in den Minusbereich zu rutschen. Da es auch nicht in Frage kam ihm zu sagen, was sie bereits alles – ja wirklich alles – wusste, blieb ihr nur die Hoffnung auf ein Wunder.

Anna atmete einmal tief durch. Ein Schritt nach dem anderen. Sie würde so oder so eine Weile mit den Männern reisen. Und wahrscheinlich wurde sie sogar dazu gezwungen mitzureisen. Zumindest laut Balin. Vielleicht aber ergab sich eine Chance sich zu beweisen... Kopfschüttelnd vergrub sie ihr Gesicht in ihre Hände. Wirklich? Sie war ernsthaft soweit über ein Mitkommen nachzudenken? Wieso musste sie die Zwerge auch kennenlernen? Als fiktionale Figuren ließen sich ihre Schicksale deutlich besser ignorieren.

„Frau Anna?“, sprach Bilbo die junge Frau vorsichtig an. Sie wirkte äußerst zerstreut und sogar verzweifelt.

„Hm?“, machte sie als sie ihre Hände herunter nahm. Bilbo stand ihr gegenüber und trug einen besorgten Gesichtsausdruck.

„Ihr wirkt niedergeschlagen.“

Müde lächelte sie. „Das könnt Ihr laut sagen.“

Verwirrt legte er seinen Kopf schief und blinzelte vermehrt. Worauf wollte sie hinaus? „W-Warum sollte ich das tun?“ Diese Worte schienen ihre Laune schon aufzuheitern, da sie belustigt lächelte.

„Schon gut. Das ist nur eine Redewendung“, meinte sie abwinkend. „Lasst mich Euch einen Tipp geben, Bilbo.“ Er blinzelte einen Moment nur, ehe er nickte. „Lasst Euch nicht zu sehr von den Zwergen ärgern. Vertraut mir, wenn ich Euch sage, dass am Ende alles gut ausgeht.“ Und das konnte man bis zum Schluss der Reise so stehen lassen, was Bilbo jedoch nicht verstehen konnte. „Und wenn ich Ihr wärt, würde ich all meine Spitzendeckchen verstecken gehen. Wer weiß schon, was die Zwerge damit alles so anstellen.“ So überließ sie dem Hobbit seinen Gedanken, dem das Fragezeichen dick und fett im Gesicht stand und ging in Richtung ihres Zimmers. Fíli und Kíli lächelten ihr im Gang zu, die gerade ein Fass mit sich trugen. Balin und Dwalin standen im Esszimmer diskutierend und bemerkten ihren Rückzug nicht. Alles was sie jetzt wollte, waren noch ein paar ruhige Minuten bevor die Hölle losbrach.

Die Ankunft der restlichen Zwerge war so laut, dass Anna es noch bis in ihr Gästezimmer hörte – und das lag am anderen Ende der Hobbithöhle.
 

„Wo ist sie?“, fragte der Zauberer, nachdem er die junge Menschenfrau nicht entdecken konnte und unterbrach somit den Wutschwall an Worten vom kleinen Hobbit. Bilbo holte ein paar mal hörbar Luft und blickte Gandalf verwundert an. Hörte ihm an diesem Abend keiner zu?

„Im Gästezimmer. Frau Anna fühlte sich nicht wohl“, beantwortete er die Frage wahrheitsgemäß. „Das arme Ding wurde regelrecht verhört, Gandalf. Dieser... Dieser große, ungehobelte Zwerg hat sie sehr eingeschüchtert. Jawohl, sogar ich bekam Angst“, fuhr er ernst fort und räusperte sich. „Was hat das alles zu bedeuten?“

„Mein kleiner Freund, das werdet Ihr schon bald erfahren. Wir werden ihr noch etwas Zeit geben, bevor wir sie dazu holen.“, sagte Gandalf eindringlich.

„Gandalf.“

Überrascht zog der Angesprochene seine Augenbrauen an. Balin stellte sich neben den Hobbit, dem er leicht zunickte. Bilbo allerdings wurde abgelenkt als er sah, wie ein Zwerg einen Stuhl aus einem anderen Zimmer holte. Sofort stürmte der Hobbit panisch los und ließ Gandalf mit Balin in der Halle zurück. Der Zauberer konnte deutlich die Sorgen und Fragen in dem Gesicht des alten Zwerges erkennen. Trotz dem Trubel um sie herum, wurde die Stille zwischen ihm und dem Zwerg laut. „Ihr wisst Bescheid.“, stellte Gandalf fest und durchbrach die schwere Luft. Balin nickte langsam, aber bestimmt.

„Ist es wahr? Ist dieses Menschenmädchen von den Valar gesandt worden?“, fragte Balin konzentriert und erhielt zögerliches Kopfnicken des Zauberers. Wie er befürchtet hatte. Das Mädchen hatte die Wahrheit gesprochen. Das Ausmaß ihres Daseins übertraf somit weit seinen Verstand. „Wisst Ihr warum?“

„Das vermag nicht einmal ich zu wissen“, begann Gandalf. „Sie ist aus einem mir unbekannten Grund hier und wird hier ihre Bestimmung finden.“

Balin runzelte die Stirn. Ihre Bestimmung? Was hatte eine junge Menschenfrau mit den Angelegenheiten der Zwerge zu tun? Noch dazu aus einer anderen Welt? „Thorin wird es nicht gutheißen...“

„Das muss er auch nicht“, sagte Gandalf unbeirrt. „Er muss es nur akzeptieren und er wäre ein Narr ihre Hilfe abzulehnen. Sie wird es schwer genug haben. Ich hoffe allerdings auf starke Verbündete.“ Der Zauberer gab dem alten Zwerg einen Blick, den dieser mit hochgezogenen Augenbrauen sofort verstand.

„Da bestünde nur ein Problem. Das Fräulein schien nicht bereit zu sein.“

„Alles kommt zu gegebener Zeit“, entgegnete er ohne Zweifel. Aber ein wenig nachhelfen konnte nie schaden. „Kíli. Fíli“, rief Gandalf in das Chaos, das sich in der Nebenhalle abspielte. Es dauerte nur wenige Augenblicke, ehe die beiden Köpfe zu sehen waren. Die Zwergenbrüder gesellten sich mit einem Lächeln dazu.

„Ja?“, fragten Fíli und Kíli im Chor. Der Zauberer räusperte sich und konnte kein Lächeln verbergen.

„Habt ihr schon unseren reizenden Gast kennengelernt?“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück