Zum Inhalt der Seite

More Than A Feeling

28 Gefühle
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Scham

Seine Situation war nicht gerade das, was er als optimal bezeichnen würde. Er war von seiner alten Schule geflogen und seine Mutter hatte ihm für mindestens den Rest seines Lebens Hausarrest erteilt. Er hatte Mist gebaut, das war ihm inzwischen klar geworden und wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, würde er es ändern, aber das war ihm leider nicht möglich. Nach der ganzen Sache redete die halbe Stadt über ihn und seine Mutter wurde entlassen. Sie musste sich einen neuen Job suchen, was bedeutete, dass sie umziehen mussten. Vielleicht wäre so ein Neuanfang gar nicht schlecht, hatte sie gesagt. Für sie beide.

Er war immer noch nicht begeistert von der Idee, aber er konnte nicht wirklich etwas dagegen einwenden. Immerhin hatte seine Mutter schnell eine neue Arbeit und eine neue Wohnung gefunden. Er würde eine neue Schule besuchen und alles schrie nach einem perfekten Neuanfang. Zumindest bis zum Abend vor seinem ersten Schultag. Er hatte bisher ein paar Bekanntschaften geschlossen, von denen er sich gerade mal so die Namen merken konnte. Aber es reichte um den ersten Schultag als Neuling zu überstehen. Das zweite Semester würde beginnen, was bedeutete, dass es nicht allzu lange dauerte, bis die Sommerferien vor der Tür standen. Das war im Moment seine einzige Motivation.

Als er an seinem letzten Abend in Freiheit seinen Computer einschaltete und seine social media Accounts checkte, wäre er beinahe vom Sessel gekippt. Er hatte unzählige Benachrichtigungen und wusste eigentlich überhaupt nicht wie ihm geschah. Es stellte sich heraus, dass seine ›Freunde‹ an seiner alten Schule furchtbar peinliche Bilder und noch peinlichere Geschichten und Gerüchte auf sein Profil gepostet hatten. Er war den ganzen Tag nicht online gewesen und hatte es nicht früher bemerkt. Seine neuen Bekannten allerdings schon. Er hatte keine Ahnung wie das passieren konnte, doch inzwischen war er wohl schon das Gespött an seiner neuen Schule.

Auch wenn er wusste, dass es nicht die beste Idee war, begann er die Kommentare unter den Beiträgen zu lesen. Ja, er hatte viel Blödsinn angestellt, aber war das ein Grund ihn so bloßzustellen? Es war ziemlich erschreckend, was die Menschen über ihn sagten. Sie beschimpften und beleidigten ihn. Machten sich über ihn lustig. Am liebsten wäre er im Boden versunken. Er hatte wirklich gehofft, dass er hier neu anfangen konnte; hatte den Worten seiner Mutter vertraut, dass ab jetzt alles besser werden würde. Er hatte geschworen sich zu ändern und nichts mehr zu tun, das ihn oder sie in Schwierigkeiten brachte. Und jetzt … schien alles zusammenzubrechen.

Über eine Stunde las er Beiträge, Kommentare, Beleidigungen und Spott. Sie zogen über ihn her, als würden sie ihn kennen und genau wissen wieso er was gemacht hatte. Sie hatten keine Ahnung. Und doch trafen ihn die Worte, die da standen mehr, als er wollte. Er schämte sich für das was er getan hatte. Für das, was seine sogenannten Freunde über ihn verbreiteten, auch wenn es nicht stimmte. Er schloss seinen Laptop und ließ sich auf sein Bett fallen. Er fühlte sich, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. Am liebsten würde er sich unter seiner Decke vergraben und nie mehr darunter hervor kommen. Er hatte keine Ahnung, wie er je wieder einem Menschen unter die Augen treten könnte. Er hatte keine Ahnung, was seine Mutter sagen würde, wenn sie von den Gerüchten erfuhr. Kurz überlegte er, ob er ihr sagen sollte was passiert war, doch er hatte Angst sie noch mehr zu enttäuschen, als er es ohnehin schon getan hatte.

Stundenlang lag er da, den Blick starr an die Wand gerichtet. Er wusste nicht was er tun sollte. Alles in ihm hatte sich zusammengezogen und er würde nicht mal mehr sein eigenes Spiegelbild ertragen können, so sehr schämte er sich. Schämte sich für Dinge, die er teilweise nicht einmal getan hatte. Alleine die Vorstellung, dass irgendjemand glauben könnte er hätte es getan, bescherte ihm schon Albträume. Gerne würde er sich einreden, dass morgen die Welt schon anders aussehen würde. Dass alles halb so schlimm war. Doch er wusste es besser. Es war mehr als schlimm. Es wäre wirklich von Vorteil, wenn sich der Boden unter seinen Füßen auftun würde, damit er dort hineinspringen und nie mehr auftauchen konnte. Er hatte sich schon auf den Neuanfang gefreut, wollte alles tun um seine Mutter stolz zu machen. Und jetzt war er wirklich das dumme Neue, der sich anpinkelte und heimlich in der Nase bohrte. Er hatte sich wirklich vor dem Status der Neue gefürchtet, doch das war noch schlimmer. Er kniff die Augen fest zusammen und hoffte, dass das alles nur ein Albtraum war. Wie sehr wünschte er sich, dass die Nacht nie vorübergehen würde - er wollte sich nicht den Blicken und dem Getuschel aussetzen müssen. Er schämte sich in Grund und Boden und ärgerte sich gleichzeitig darüber, dass er gedacht hatte, wirkliche Freunde zu haben. Und er hatte gedacht ein Neuanfang wäre einfach - er war eines besseren belehrt worden.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  konohayuki
2017-07-23T14:09:14+00:00 23.07.2017 16:09
Ich bin gespannt, wie du das Thema Scham angegangen bist.

>[...]und seine Mutter hatte ihm für mindestens den Rest seines Lebens Hausarrest erteilt.
Fühlt sich das nicht immer so an? Aber was zur Hölle hat er denn gemacht, dass seine Mutter ihren Job verloren hat? Das muss ja schon sehr gravierend gewesen sein.

>Aber es reichte um den ersten Schultag als Neuling zu überstehen.
Da fehlt ein Komma vor dem "um".

>Das zweite Semester würde beginnen[...]
Er geht doch noch zur Schule, oder? Müsst es dann nicht Halbjahr sein?

>Als er an seinem letzten Abend in Freiheit seinen Computer einschaltete und seine social media Accounts checkte[...]
Müsste man nicht die "Social-Media-Accounts" dann so durchkoppeln Social Media groß schreiben?

>Er war den ganzen Tag nicht online gewesen und hatte es nicht früher bemerkt. Seine neuen Bekannten allerdings schon.
Na super. Was für - mit Verlaub - Arschlöcher sind diese "Freunde" denn? Alter. Grausam. Aber Kinder/Jugendliche können in der Hinsicht ja wirklich grausam sein ...

> Ja, er hatte viel Blödsinn angestellt, aber war das ein Grund ihn so bloßzustellen?
Eben. Hat zwar nicht jeder eine Phase, in der da wirklich gravierende Dinge passieren, aber so bloßgestellt zu werden hat dann auch niemand verdient.
Vor allem hängt da ja nicht nur er dran, das ist ja auch die Sache.

> Am liebsten würde er sich unter seiner Decke vergraben und nie mehr darunter hervor kommen.
Müsste "hervorkommen" hier nicht zusammengeschrieben werden?

>Er hatte sich wirklich vor dem Status der Neue gefürchtet, doch das war noch schlimmer.
Sehr bezeichnender, eindringlicher Satz.

Ein sehr aktuelles Thema, das du hier gewählt hast. Was deinem Protagonisten hier passiert - und was ja auch Kindern/Jugendlichen/Erwachsenen tatsächlich passiert - macht mich wütend. Das Kapitel ist mir echt nahe gegangen.

Liebe Grüße,
kono
Für mehr Kommentare auf Animexx



Zurück