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More Than A Feeling

28 Gefühle
von

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Nervosität

Die Geschichten, die ihr Großvater ihr erzählt hatte waren oft schaurig gewesen. Er hatte gerne alles ausgeschmückt und je öfter er seine Geschichten erzählt hatte, desto wilder wurden seine Fantasien. Wenn er vom Krieg erzählte, war die Kriegsverletzung seines Freundes ein Schuss in das rechte Bein. Bei der nächsten Erzählung war das Bein bis zum Knie weg gesprengt worden. Sie hatte seinen Geschichten immer gerne gelauscht, wusste aber nie was wahr und was erfunden wahr. Vielleicht war es genau das, was seinen Erzählungen den besonderen Kick gab.

In dem Haus ihres Großvaters gab es diesen Raum. Wenn ihre Geschwister und sie bei ihm waren, war der Raum immer abgeschlossen. Immer. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass jemals irgendwer in diesem Raum gewesen war. Natürlich war das ein gefundenes Fressen für vier kleine Kinder gewesen. Unbedingt hatten sie in diesen Raum einbrechen wollen. Es hatte unzählige Versuche gegeben, doch nie war es ihnen auch nur annähern geglückt. Auch als sie Teenager waren, war die Neugier groß gewesen und sie hatten sich etwas geschickter angestellt, hatten es aber trotzdem nie geschafft.

Der Grund für ihre Neugier war eigentlich ganz einfach gewesen. Als ihr ältester Bruder ihren Großvater einmal gefragt hatte, wieso der Raum immer abgeschlossen war, erzählte er ihnen, dass sich darin ein sagenhafter Schatz verbarg. Natürlich wollten sie diesen Schatz unbedingt sehen, doch ihr Großvater hatte nie nachgegeben und hielt den Raum fest verschlossen. Jedes Mal, wenn sie bei ihm waren, erzählte er ihnen eine andere Geschichte über den Raum. Sie erinnerte sich noch gut daran, als er ihr auf einem Spaziergang einmal weiß machen wollte, dass sich hinter der Tür ein Zauberwald befand, in dem es Feen und Hexen gab. Als sie älter wurden, hatte er oft von wahnwitzigen Foltergeräten gesprochen, die sich darin befinden sollten.

Auch wenn es sie wirklich oft gestört hatte, dass er nicht mit der Sprache raus rücken wollte oder sie und ihre Brüder den Raum betreten durften, hatte sie jedes Mal mit Spannung darauf gewartet, was er sich dieses Mal hatte einfallen lassen. Je älter sie wurden, desto düsterer wurden seine Geschichten. Aus dem Märchenland von damals, war ein finsterer Bunker geworden, in dem während des Krieges viele Menschen gestorben waren. Aus dem Bunker wurde ein Bombenloch. Sie erinnerte sich noch genau, als er in seinem abgewetzten Sessel gesessen und sie alle vier nach der Reihe gemustert hatte. »Ihr wollt doch nicht in ein dreißig Meter tiefes Bombenloch fallen? Wer sollte euch daraus wieder hervor holen? Die Tür bleibt zu«, hatte er damals gesagt und insgeheim in sich hineingegrinst.

Sie wusste gar nicht mehr was dieser Raum in all den Jahren schon alles verborgen hatte. Granaten, die (noch) nicht hochgegangen waren. Ein wilder Löwe, der jeden anfiel, sobald er die Tür auch nur einen Zentimeter weit öffnete. Das Grab ihrer Großmutter. Alle Gräber der Familie. »Und wenn ihr die Tür öffnet, werden sie aus ihren Särgen aufstehen und euch aufessen«, hatte er ihnen beschworen und dabei warnend seinen knorrigen Zeigefinger gehoben. Sie musste zugeben, dass dies die schlimmste Vorstellung von allen war. Ihr war inzwischen klar, dass ihr Großvater einfach nur eine ziemlich ausgeprägte Vorliebe für Gruselgeschichten gehabt hatte, doch wenn sie - so wie jetzt - vor dieser Tür stand, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Vielleicht war doch etwas Wahres dran? An den Geistern, Dämonen und Zombies, von denen er so oft gesprochen hatte.
 

Ihr Großvater war in einem hohen Alter gestorben. Sie und ihre Brüder hatten die Beerdigung so schön gestaltet, wie sie es nur konnten. Auch wenn ihr Großvater definitiv nicht ganz richtig im Kopf gewesen war, hatten sie ihn alle geliebt. Die Ausflüge zu ihm waren immer etwas Besonderes gewesen. Er hatte sie zu etwas Besonderem gemacht mit seinen Geschichten, wilden Theorien und abschreckenden Erzählungen, was den Raum betraf.

Jetzt standen sie alle vier vor der Tür. Es hatte etwas Verbotenes ihr so nah zu sein, hatte er ihnen doch oft genug eingeredet, dass sie qualvoll an Lungenkrebs sterben würden, würden sie die Luft ganz in der Nähe der Tür einatmen. Der alte Mann hatte auf jeden Fall gewusst, wie man Kinder verschreckte.

Ihre Hand zitterte etwas, als sie ihrem ältesten Bruder den Schlüssel reichte, den sie gefunden hatte. Es musste der Schlüssel zu dem Raum sein, denn sie hatte ihn noch nie gesehen und das obwohl sie jeden Quadratzentimeter des Hauses gesehen hatte. Es war beinahe so, als wäre der Schlüssel in dem Moment aufgetaucht, als ihr Großvater gestorben war. Vielleicht lag doch etwas Magie in der ganzen Sache? Auch wenn sie schon lange nicht mehr an Hexen und Feen glaubte, war das alles doch mehr als seltsam.

»Okay. Sollen wir?«, fragte ihr Bruder leise und sie konnte hören, wie seine Stimme leicht zitterte.

Ihnen allen stand die Anspannung und Nervosität ins Gesicht geschrieben. Sie würden das Geheimnis des sagenumwobenen Raumes endlich lüften und bisher war noch bei keinem Aufregung eingetreten. Die Geschichten waren alle tief in ihrem Unterbewusstsein verankert und es fühlte sich einfach verboten an, sich dem Raum zu nähern und dem Ältesten von ihnen dabei zuzusehen, wie er den Schlüssel in das alte Schloss steckte.

Ein nervöses Kribbeln breitete sich in ihrer Magengegend aus. Sie wusste nicht, was sie gleich erwarten würde. Vielleicht würde ihnen wirklich etwas entgegen springen und sie alle töten? Gespannt beobachtete sie, wie ihr Bruder den Schlüssel drehte und es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Ihr Herz hämmerte so fest gegen ihre Brust, dass sie sicher war, es würde bald herausspringen. Ihre Hände begannen zu schwitzen und sie begann wie automatisch ihre Finger durchzukneten. Als ihr Bruder den Schlüssel bis zum Anschlag gedreht hatte, biss sie sich so fest in die Unterlippe, dass es schon schmerzte. Ihr Herz pochte viel zu laut und viel zu schnell und als er nun die Tür aufstieß, musste sie sich zusammenreißen um nicht zu schreien. Instinktiv riss sie die Arme hoch um sich zu schützen … doch da war nichts.

Sie warf ihren Brüdern kurze Blicke zu und sie schienen genauso überrascht zu sein. Sie alle waren leichenblass und dem Ältesten von ihnen zitterten immer noch die Hände. Nacheinander betraten sie den Raum. Er war kahl und leer. Bis auf die vier schönen Boxen, die in der Mitte des Raumes standen. Davor lag ein Zettel in der krakeligen Handschrift ihres Großvaters. Darauf stand:

»Ihr neugierigen kleinen Biester habt wirklich damit gewartet, bis ich sterbe. Mein Geist wird euch nun jedes Mal heimsuchen, solltet ihr das Zimmer je wieder betreten - ihr wolltet ja nicht hören.«

»Er hatte immer schon einen recht eigenartigen Humor«, meinte einer ihrer Brüder nachdem er den Zettel vorgelesen hatte und nun die Kisten begutachtete.

Jede war für einen von ihnen bestimmt. Sie nahm ihre entgegen und erneut begann ihr Herz schneller zu schlagen. Was wohl darin war? Wäre das nun die Rache dafür, dass sie eingebrochen waren? Obwohl man es ja nicht wirklich einbrechen nennen konnte, wenn man einen Schlüssel benutzte…

Mit zitternden Händen öffnete sie die Kiste und darin erwartete sie etwas, mit dem sie nie gerechnet hätte. Hunderte Briefe, die ihr Großvater an sie geschrieben hatte, Fotos von ihren Ausflügen mit ihm und alte Zeichnungen, die sie ihm geschenkt hatte. In den Deckel der Box hatte er in großen Lettern »Ich liebe dich« gekritzelt. Sie war gerührt und schockiert zur gleichen Zeit. All die Jahre hatte er für sie vier Erinnerungen gesammelt, war an Briefen gesessen, weil er genau gewusst hatte, dass sie nach seinem Tod die Frechheit besaßen in den geheimnisvollen Raum einzudringen. Er hatte seine vier Pappenheimer wohl doch besser gekannt, als er je hatte zugeben wollen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  konohayuki
2017-04-29T20:07:47+00:00 29.04.2017 22:07
Hallöchen :)

Ich muss gestehen, ich war schon länger nicht mehr hier zum Kommentieren ... die Uni rief. Nervosität ist gerade so ein Ding, das ich lieber ausblenden würde ...

>Sie hatte seinen Geschichten immer gerne gelauscht, wusste aber nie was wahr und was erfunden wahr.
Da hat sich ein kleiner Tippfehler eingeschlichen, das "wahr" am Ende des Satzes sollte ein "war" sein. Der Großvater klingt aber nach einem guten Geschichtenerzähler! Und wenn man mitraten muss, ob etwas nun wahr ist oder nicht, hat das doch immer seinen Reiz.

Die Sache mit dem Raum ... ich glaube, ich bin etwas Krimiserien geschädigt, aber ich dachte sofort an ein fürchterliches Geheimnis hinter der Tür. Aber vielleicht ist es ja doch der Schatz, den der Großvater verspricht?

>Ein wilder Löwe, der jeden anfiel, sobald er die Tür auch nur einen Zentimeter weit öffnete.
Das ist wirklich sehr subjektiv, aber ich hätte glaube ich statt "Ein wilder Löwe" hier "Einen wilden Löwen" geschrieben. Das klingt in meinen Ohren schöner in der Aufzählung.

>Und wenn ihr die Tür öffnet, werden sie aus ihren Särgen aufstehen und euch aufessen
Die Familienmitglieder sind also alle Zombies? :D Fand ich sehr amüsant.

> An den Geistern, Dämonen und Zombies, von denen er so oft gesprochen hatte.
Auch wieder sehr subjektiv, da hätte ich glaube ich auch ein Fragezeichen statt einem Punkt gesetzt.

> Sie würden das Geheimnis des sagenumwobenen Raumes endlich lüften und bisher war noch bei keinem Aufregung eingetreten.
Ich glaube, nach so einer Vorbereitung auf den Raum, wäre ich auch mehr nervös als aufgeregt. Oder eine Mischung aus beidem.

Das Ende ist ja so goldig. DAS nenne ich mal einen Nachlass. Ach, da geht einem das Herz auf. Wirklich.
Eine sehr schöne Art, das Gefühl umzusetzen und in eine positive Richtung zu drehen. Ich bin begeistert.

Liebe Grüße,

kono
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