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Lilienkampf

von

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"Eher krepiere ich!"

Das mit der Ruhe wurde dann wohl doch nichts. In der Nacht kam ungefähr jede Stunde eine Schwester herein, um meine Werte zu überprüfen und stellte mir belanglose Fragen. Warum auch immer, mich hatte es schließlich an der Brust erwischt und nicht am Kopf.

So wie es kommen musste, blieb ich also fast die ganze Nacht wach. Gründe gab es verschiedene und es fühlte sich an, als wären es unzählige. Unglücklicherweise spielte auch Tim eine Rolle. Dieser Idiot hat es wirklich geschafft sich in mein Gehirn einzunisten und sich dort einen Platz zu stehlen.

Schließlich brachte ich doch noch eine schlaflose Nacht hinter mich, bis es um acht endlich Frühstück gab. Ich freute mich eigentlich immer auf die Essenszeiten. Zwar ist das Mahl hier unglaublich widerlich und miserabel, aber es ist immerhin die einzige Abwechslung am Tag.
 

Der Tag zog sich vor sich hin. Ich hatte das Gefühl, er würde niemals enden. Ich wusste nicht warum, aber ich war auf der Hut. Zwar starrte ich aus dem Fenster, um die dunklen Wolken zu beobachten, die meine Gefühlslage exakt widerspiegeln, dennoch war meine Konzentration auf die Tür gerichtet. Vielleicht auch deswegen, weil ein Besuch der Ärztin oder von... oder wenn ein neuer Patient ins Zimmer gebracht werden würde, die einzige Abwechslung war.

Einmal dachte ich wirklich, dieser Unfall hätte bleibende Schäden hinterlassen, denn es gab einen Moment, es war nur ein Bruchteil einer Sekunde, in dem ich mir erhofft hatte, Tim würde kommen. Er könnte mir wenigstens Gesellschaft leisten und ich wäre nicht so allein, dachte ich. Aber als ich das realisierte, schüttelte ich den Kopf. Niemand konnte mich sehen, oder hätte meine Gedanken nur hören können, aber es gab mir das Gefühl, den Gedanken weg zu schütteln und so nie gehabt zu haben.

Ich nahm es ihm übel, mir das Leben gerettet zu haben. Er hatte kein Recht dazu. Er hätte mich vorher fragen können. Und ja, ich weiß, wie bescheuert sich das anhört. Aber ist doch so. Es ist so ähnlich, wie bei den Menschen, die Suizid begehen wollen. Wenn sie jemand findet, respektiert das keiner und holt den Krankenwagen, aber den Auslöser dafür merkt keiner und es interessiert sie auch nicht. Aber sie müssen damit ja auch nicht leben, sondern denken nur daran, dass sie ein Leben gerettet haben. Juhu.
 

Es klopfte an der Tür und unwillkürlich begann mein Herz schneller zu schlagen. Natürlich deswegen, weil ich in Gedanken versunken war und zusammen zuckte. Mein Blick ging zur Tür und ich sah, wie die Ärztin eintrat. Auf sie hatte ich auch gerade eine Null-Bock-Einstellung. Aber wie gesagt, ich wusste, dass ich nicht um dieses Gespräch herumkommen würde.

„Du weißt warum ich hier bin“, Fing sie an, bevor sie die Tür überhaupt richtig geschlossen hatte und schließlich irgendetwas in der Akte nachschaute, welche offensichtlich meine war.

„Sie können sofort wieder gehen, es wird keinen Unterschied machen“, versuchte ich sie loszuwerden und kreuzte die Arme vor der Brust zusammen, als wäre ich ein beleidigtes Kind. Allerdings bekam ich dafür sofort die Rechnung, denn das Ziehen zwang mich dazu, die Arme wieder zu lösen.

„Wir haben auf dem CT gesehen, dass sich erneut Flecken auf der Lunge gebildet haben – Du musst sofort einen neuen Chemo-Zyklus durchführen“.

„Wie ich Ihnen bereits sagte, ich werde keine neue Chemo machen! Ich mach da einfach nicht mehr mit!“ schrie ich sie beinahe schon an. Die Wut stieg in mir hoch. Warum konnte es keiner verstehen? Niemand fragt, wie man sich bei einer Chemo fühlt, geschweige denn, wie es einem dabei geht. Aber zwingen wollen sie einen trotzdem immer.

„Ich habe dir die Papiere schon mitgebracht. Wenn du diese unterschreibst, können wir sofort anfangen“, antwortete sie ruhig, ohne auch nur auf meine abwertenden Worte einzugehen.

„Hören Sie mir nicht zu? Ich mach keine Chemo mehr! Eher krepiere ich!“.

„Genau das wirst du, wenn du nicht bald zur Vernunft kommst“.

„Nennen Sie mir einen, nur einen vernünftigen Grund, warum ich noch einmal diese Scheiße durchmachen sollte!“, fragte ich sie schließlich. Und ja, ich gebe zu, ich war gespannt, was sie darauf antworten würde, denn ich hatte ja selbst keine Antwort parat. Allerdings schwieg sie daraufhin. Hab ich es doch gewusst.

Doch versuchte sie mich weiter davon zu überzeugen, eine weitere Therapie durchmachen zu müssen. Aber ich machte ihr deutlich, dass sie mich gegen meinen Willen nicht therapieren konnten, schließlich sei ich Volljährig und sie könnten mich nicht zwingen.

Eine weitere Schweigeminute trat ein und ich hoffte sie somit endlich davon überzeugt zu haben, dass sie mich in Ruhe lassen soll.

„Was ist mit Tim?“ fragte die Ärztin auf einmal und mein Blick, der zwischenzeitlich wieder zum Fenster gewandert war, schellte wieder zu ihr. „Ist er nicht ein Grund weiter zu machen?“

„Tim ist ein Junge der mir fälschlicherweise das Leben rettete – nicht mehr!“.
 

Im nächsten Moment hörte man ein Klopfen und die Tür öffnete sich. Tim trat herein.

Und schon hatte ich bereut diesen Satz gesagt zu haben. Also nicht direkt bereut, es war mehr ein Gefühl von peinlich berührt oder so etwas in der Art. Jedenfalls hat es sich komisch angefühlt. Ob er mich gehört hat?

Die Ärztin warf mir noch einen letzten bösen Blick zu, der definitiv auf zwei Gründen basierte. Zum einen, weil ich die Chemo nicht machen wollte. Zum anderen, weil ich so abfällig über Tim sprach, obwohl er es nur gut meinte. Dann verschwand sie endgültig aus dem Zimmer.
 

Ich schaute zu Tim, dass erste Mal nicht mit einer Abfälligkeit, wie ich sie von mir gewohnt war. Ich war mir nicht sicher, ob er es hörte und ob er deswegen sauer wäre. Bei dem Gedanken wir mir ganz mulmig. Obwohl nein. Soll er doch gehen, dann bin ich ihn zumindest los. Doch ich sah keine Wut. Seine Augen drückten Trauer und Angst aus. Aus dem Gesicht war sämtliches rot verschwunden.

„Du musst einen Chemo-Zyklus durchführen?“ fragte Tim ungläubig, aber dennoch besorgt. Seine Stimme war leise und zitterte ein wenig. Wahrscheinlich begreift er erst jetzt, warum ich eigentlich im Krankenhaus liege. Und zwar nicht nur, wegen diesem Angriff.

Allerdings war ich mehr überrascht über die Frage, zwecks der Chemotherapie, anstatt, dass er auf die unschönen Worte meinerseits reagierte. Also entweder hatte er sie wirklich nicht gehört, oder ihm war die Feststellung, dass ich Krebs habe, doch wichtiger.

„Selbst wenn, werde ich es nicht tun“, antwortete ich wieder in meinem gewöhnten Tonlaut und es erschreckte mich beinahe selbst, wie kalt und herzlos mir diese Worte über die Lippen kamen.

„Warum..?“ Tims Stimme wurde leiser. Das Rau, was ich sonst eigentlich sehr angenehm fand, wurde zu etwas erstickendem, was mir Angst machte. Ich merkte, dass er mich nicht verstehen konnte – aber das konnte keiner.

„Weil ich keinen Grund dazu habe!“, antwortete ich schneller und lauter als gedacht. Und nun zum aller ersten Mal trafen sich unsere Blicke. Ich wandte meinen nicht ab, während er auch nur still saß und mir aufmerksam zuhörte. Ich spürte auf einmal einen Schmerz in der Brust, der definitiv nicht von der Wunde ausging. Er war innerlich und tat weh, obwohl man es nicht sah. Ja, zum ersten Mal tat es mir weh zu sagen, dass ich nicht mehr kämpfen wollen würde. Ich merkte auf einmal, wie sehr ich den Kampfgeist verloren hatte, dass ich mich dem Tod gerade auf dem Präsentierteller servierte. Dass ich mein Leben wegwerfe und wisst ihr was? Es machte mich wütend.

„Wenn du es nicht tust, stirbst du!“ versuchte er mich noch einmal zu überreden. Ich hörte ihm die Verzweiflung an, aber ich konnte und wollte das alles nicht mehr hören.

„Hast du nichts zu tun? Du sitzt täglich bei mir, kennst mich nicht… aber willst mir vorschreiben wie ich zu leben habe? Du hast keine Ahnung, warum ich mich so entscheide. Denkst du, ich würde mein Leben beenden wollen, wenn ich keinen Grund dazu hätte? Lass mich einfach in Ruhe, kapiert!“
 

Ja ich war wütend. Wütend auf Tim. Dass er mich so fühlen lies, dass er mich dazu brachte, an meiner Entscheidung zu zweifeln. Dass er mir vorschreiben wollte, eine Chemotherapie zu machen, obwohl er keine Ahnung hatte, wie sich so etwas anfühlt. Noch immer waren meine Gesichtszüge verhärtet, aber als ich genau realisierte, wurden sie weich und das Gefühl von Schuld überkam mich. Ich wusste, dass es nicht fair war mit ihm so zu reden, aber keiner konnte meine Entscheidung akzeptieren und verstehen. Niemand versuchte es auch nur und das war hauptsächlich das, was mich störte. Würde jemand versuchen sich in meine Lage zu versetzen, würden sie sich vermutlich genauso entscheiden. Und wenn nicht, wäre es mir auch egal, aber sie können meine Entscheidung wenigstens nachvollziehen.

Tim war von meiner Reaktion wohl genauso überrascht, wie ich. Denn sein Körper verfiel für ein paar Sekunden in eine Schockstarre und seine Augen, die bis eben noch zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen waren, weiteten sich. So blieb auch der Mund leicht offen stehen. Bevor ich noch irgendwie hätte reagieren können, hatte Tim seine Sachen gepackt und war aus der Tür verschwunden.



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