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Changing the Game

von

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Part 3

Er saß stumm neben ihr, bis der Abend dämmerte und er sich schließlich mit schmerzenden Knien wieder erhob.

Im Keller entdeckte er die Schatulle, sowie eine komplizierte Apparatur, die Hope um sie herum aufgebaut hatte.

Shay beschloss, auf Nummer sicher zu gehen, und alles zu vernichten.

Er legte mehrere Feuer, erst im Keller, dann in den oberen Stockwerken, bis schließlich der Großteil der Möbel in Flammen stand. Später konnte er Achilles immer noch erzählen, dass das Feuer bei seinem Kampf mit Hope ausgebrochen war.

Er nahm die Schatulle an sich und kletterte aus einem der Fenster hinaus auf die Straße. Während er zur Morrigan zurückkehrte, blickte er sich kein einziges Mal um.

 
 

~*~

Boston, September 1759

 

„... Shay!“

Er blinzelte. Jemand sprach mit ihm. Für einen Moment wusste er nicht mehr, wer, geschweige denn, wo er sich im Augenblick befand.  Langsam hob er den Kopf.

Haytham saß ihm gegenüber, und er erwiderte seinen Blick mit einer Mischung aus Verärgerung und... Sorge? Der Templer musste ihn schon mehrfach angesprochen haben, doch Shay hatte seine Stimme nicht gehört.

„Was um alles in der Welt ist los mit dir?“, fragte Haytham. „Erst hättest du fast einen Spion der Assassinen zu unserem Treffpunkt geführt, weil du nachlässig warst, und nun muss ich mich ständig wiederholen, weil du mir nicht zuhörst. So kenne ich dich gar nicht!“

Shay schloss die Augen.

„Können wir... für einen Moment über etwas anderes reden, als den nächsten Mord?“, fragte er leise.

Er hörte, wie Haytham ein Schnauben von sich gab. Dann knarrte sein Stuhl, als der andere sich zurücklehnte.

„Na schön“, meinte der Templer nach einer Weile. „Sprich.“

Shay öffnete wieder die Augen, doch er sah Haytham nicht an, sondern blickte stattdessen aus dem Fenster.

„Als wir hiermit angefangen haben... damals, nach unserem ersten Treffen...“ Er stockte und suchte nach den richtigen Worten. „Ich hatte damals noch Hoffnung.“

Er sah aus dem Augenwinkel, wie Haytham fragend eine Augenbraue hob, doch der Templer unterbrach ihn nicht.

„Ich wusste, dass die Aufgabe, die vor mir lag, nahezu unmöglich war, doch ich war überzeugt, dass ich sie bewältigen würde, wenn ich mich nur auf das Wesentliche konzentrieren und dabei stets an mich selbst glauben würde.“

Shay sah den anderen Mann an.

„Mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher.“

Haytham erwiderte seinen Blick mit regloser Miene.

„Gewiss, ich habe viel erreicht“, fuhr Shay müde fort. „Aber ich habe auch unterschätzt, wie viel Kraft es mich kosten würde. Und ich weiß nicht, ob ich noch genug übrig habe für das, was noch vor mir liegt.“

Wieder senkte sich Schweigen über sie.

Schließlich begann Haytham zu sprechen.

„Du wusstest von Anfang an, dass dein Vorhaben Opfer fordern würde“, sagte er ruhig. „Dass es diejenigen das Leben kosten würde, die dir nahestanden. Glaub mir, ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man–“

„Einen Teufel wisst Ihr!“ Shay sprang auf und stützte die Hände auf die Tischplatte, während er wütend auf den anderen hinabsah.

„Vorsicht, Shay...“, sagte der andere leise, doch Shay ignorierte die Warnung in seiner Stimme.

„Was wisst Ihr schon davon, wie ich mich fühle?!“, rief er. „Wie ich mich gefühlt habe, als ich gezwungen war, auf Liam zu schießen? Als ich Adéwalé an Euch auslieferte? Oder als ich der Frau, die ich liebte, eine Klinge in den Bauch stieß und dabei zusah, wie sie starb...?“

Er gab ein verächtliches Schnauben von sich.

„Ihr habt keine Ahnung, wie ich mich fühle“, sagte er und wandte sich ab. „Und ich bezweifle, dass es Euch bei all den Plänen, die Ihr im Laufe der Jahre geschmiedet habt, je interessiert hat...“

Haytham bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die es Shay nicht ermöglichte, Luft zu holen, bevor sich eine Hand um seine Kehle schloss und der Templer ihn mit seinem ganzen Körper gegen die Wand drückte.

„Ich habe genug Menschen in meinem Leben verloren, dass ich weiß, wie sich Verlust anfühlt, also spar mir dein Selbstmitleid“, sagte Haytham kalt. „Du kannst von Glück reden, dass ich dich genug schätze, dass ich dir für deine Unverschämtheit nicht die Zunge abschneide.“

Der Griff des Templers um seinen Hals war zu fest, als dass Shay ihm eine wütende Anwort hätte entgegenschleudern können, darum begnügte er sich damit, den anderen hasserfüllt anzufunkeln.

Doch Haytham ließ sein Blick völlig kalt. Stattdessen lockerte er nach einer Weile wieder seinen Griff, und Shay holte keuchend Luft.

„So viel Wut“, sagte Haytham leise. „So viel Anspannung...“

Er musterte ihn nachdenklich. „Und kein Ventil, um sie loszuwerden.“

Shay wurde plötzlich bewusst, wie viel Wärme der Körper des anderen ausstrahlte, der sich noch immer gegen ihn presste.

Er leckte sich über die Lippen.

Und während seine Augen Shays Zunge folgten, veränderte sich plötzlich etwas in Haythams Blick.

„Sag mir, was du brauchst, Shay...“, murmelte er so dicht an seiner Wange, dass dieser die Wärme seines Atems spüren konnte.

Und Shay wollte ihm nachgeben, wollte mehr als alles andere, dass Haytham die Kontrolle ergriff, und ihm endlich gab, wonach er sich sehnte... doch gänzlich kampflos wollte er auch nicht aufgeben, dafür war sein Stolz zu groß.

Anstatt Haytham also eine Antwort zu geben, überbrückte er das letzte Stück zwischen ihnen und biss ihn in die Unterlippe.

Doch der erhoffte Wutanfall blieb aus. Stattdessen leckte sich Haytham nur das Blut von der Lippe und lächelte.

„Habe ich es mir doch gedacht...“

 

Zärtlichkeit war das letzte, was Shay in diesem Moment wollte – und es war zu seiner Erleichterung auch nicht das, was er bekam.

Haythams Hände waren rau, als sie seine Hüften packten und ihn unsanft auf den Tisch hoben. Shay legte mit einem Keuchen den Kopf in den Nacken, als der andere kleine Bisse auf seinem Kinn und seinem Hals verteilte, bevor er sich vorbeugte und ihm in die Schulter biss – nicht fest genug, um die Haut zu durchdringen, doch mit genug Kraft, dass man das Mal noch Tage später sehen würde.

Als Shay jedoch seinerseits versuchte, den anderen zu beißen, griff Haytham mit einer Hand in seine Haare und zog seinen Kopf schmerzhaft nach hinten. Shay versuchte mit beiden Händen, seinen Griff zu lockern, doch der Templer war unnachgiebig. Während Shay noch versuchte, sich zu befreien, öffnete Haytham mit der freien Hand geschickt die Knöpfe und Schnallen von Shays Jacke und streifte sie ihm wenig später von den Schultern. Für sein Hemd, das danach folgte, hatte er jedoch weniger Geduld und zerriss es kurzerhand mit einem kräftigen Ruck.

Shay suchte verzweifelt nach etwas, woran er sich festhalten konnte, und schloss seine Finger schließlich um die Hinterkante des Tisches, während Haytham, der noch immer an seinen Haaren zog, abwechselnd an der Haut seines Oberkörpers saugte oder hineinbiss. Es tat weh, doch es war kein Schmerz, der ihn kontrollierte, sondern der im Gegenteil etwas Befreiendes an sich hatte.

Haytham ließ sich viel Zeit, während er Stück für Stück tiefer sank und Shay dabei ausgiebig mit Lippen und Zähnen quälte, bis sich der Brustkorb des anderen Mannes rasch hob und senkte und feine Schweißtropfen über seine Stirn perlten.

„Haytham...“, flüsterte Shay schließlich, und es musste etwas in seiner Stimme gewesen sein, das den anderen schließlich aufblicken ließ. Haytham schenkte Shay ein kurzes Lächeln, dann lockerte sich sein Griff in seinen Haaren endlich und er ließ die Hände auf Shays Gürtel sinken. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen zog er ihn Zentimeter für Zentimeter durch die breite Schnalle und ließ ihn schließlich achtlos auf den Boden fallen. Ebenso langsam öffnete er dann die Knöpfe von Shays Hose, wobei er dem anderen einen Blick zuwarf, in dem so viel Hitze lag, dass Shays Atem stockte.

Haytham spuckte in seine Hand, dann griff er ohne Zögern nach Shays mittlerweile fast schmerzhaft harter Erregung. Shays Augen fielen zu und sein Mund öffnete sich zu einem wortlosen Ruf.

„Sieh mich an“, sagte Haytham leise, und sein Tonfall war so befehlend, dass Shay sofort wieder die Augen öffnete. Er starrte ihn mit leicht geöffneten Lippen an, während Haytham ihn langsam, aber unnachgiebig auf den Höhepunkt zutrieb.

Sieh mich an!“, wiederholte Haytham, als Shay es schließlich nicht mehr aushielt, und seine Augen sich gegen seinen Willen schlossen, während er die ersten Wellen des Orgasmus herannahen spürte.

„Ich kann nicht...!“ Vehement schüttelte er den Kopf, doch Haytham griff einmal mehr in seine Haare.

„Doch, Shay“, sagte er rau. „Du kannst.“

Und er zog so kräftig an seinen Haaren, dass es dem anderen die Tränen in die Augen trieb.

Shay riss die Augen auf.

Haytham erwiderte mit grimmiger Zufriedenheit seinen Blick, dann beschleunigte er die Bewegungen seiner Hand und sagte:

Komm.

Und als Shay schließlich kam, waren seine Gedanken für einen kurzen, wunderbaren Moment wie leergefegt, und all seine Probleme lagen in unendlich weiter Ferne.

 

Haytham zog ihn danach in seine Arme und küsste seine schweißnasse Haare, während Shays Atem sich langsam wieder beruhigte und sein Bewusstsein allmählich ins Hier und Jetzt zurückkehrte.

„Besser?“, fragte Haytham schließlich leise.

Shay lehnte erschöpft die Stirn gegen die Schulter des anderen und lächelte schwach.

„Besser“, sagte er.

 

Shay zog sich wieder an, so weit es sein ruiniertes Hemd zuließ, dann bestellten sie etwas zu essen und zu trinken.

Der Raum roch zweifellos noch immer nach Sex, doch als die Wirtin ihnen schließlich ihr Essen brachte, verzog sie keine Miene, sondern stellte das Tablett nur wortlos auf den Tisch, bevor sie wieder ging.

Während sie aßen, entspannte sich eine lockere Unterhaltung, die nichts mit Templern oder Assassinen zu tun hatte. Stattdessen erzählten sie sich Begebenheiten aus dem Leben, das sie führten, bevor sie in den ewigen Krieg zwischen dem Orden und der Bruderschaft hineingezogen worden waren.

Shay erinnerte sich an seine Jugend in New York, in der er und Liam Mitglieder einer Straßenbande gewesen waren und oft Prügel von gegnerischen Banden eingesteckt hatten, während seine Tante jeden Abend vor Verzweiflung die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hatte, als sie seine blauen Flecke sah. Er erzählte von der Mutter, die bei seiner Geburt gestorben war und die er nur aus den Erinnerungen seines Vaters kannte – der, um seine Familie zu ernähren, wochenlang auf See fuhr und dabei seinen Sohn oft zurücklassen musste.

Haytham wiederum erzählte von seiner Kindheit in London und von dem Herrenhaus, in dem er aufgewachsen war, von seiner Mutter, die er vergöttert hatte, und seinem Vater, der viele Geheimnisse hatte. Er erinnerte sich an die vornehme Londoner Gesellschaft und die zahllosen Theater- und Opernbesuche, zu denen sein Vater ihn und seine Halbschwester mitgenommen hatte. Und er erinnerte sich an die herablassenden Bemerkungen der Lords und Ladys, die seinen Vater hinter vorgehaltener Hand oft als „neureichen Kriminellen“ beschimpft hatten.

Als sie ihre Mahlzeit schließlich beendet hatten und sich wieder Schweigen über sie legte, wollte keiner von ihnen als erstes aufstehen, um zu gehen, so wie sie es zu dieser späten Stunde für gewöhnlich taten.

Schließlich sah Shay zu dem anderen Mann hinüber, in dessen Blick eine Vielzahl von Emotionen aufflackerte, von denen sich jedoch keine wirklich durchzusetzen vermochte. Und er wusste, dass es kein Zurück geben würde, als er aufstand und Haythams Hand nahm, um ihn zum Bett zu führen.

 

Dieses Mal war es langsamer, intimer; die Notwendigkeit, zum Höhepunkt zu kommen, war nicht mehr da, so wie noch wenige Stunden zuvor. Dieses Mal konnte Shay sich ganz auf alle Sinne konzentrieren, und er genoss es sehr, als Haytham ihn zum ersten Mal küsste. Erst nur auf die Lippen, dann nach und nach am ganzen Körper, und besonders auf die Stellen, wo er Shay zuvor gebissen hatte, so als wollte er sich für seine Rücksichtslosigkeit zuvor entschuldigen.

Sie verbrachten Stunden damit, den Körper des anderen mit Händen und Lippen kennenzulernen, und als Haytham schließlich in ihn eindrang und ihn mit gemächlichen, kontrollierten Stößen auf den Höhepunkt zutrieb, war Shay bereits im Halbschlaf, und es dauerte lange, bis sich wieder die köstliche Spannung aufgebaut hatte, die seinen Körper kurz vor dem Orgasmus erfasste. Als er schließlich kam, zog Haytham ihn an sich und hielt ihn fest, als wollte er sich nie wieder von ihm lösen.

Shay atmete mit einem Seufzen aus und vergrub das Gesicht an der Schulter des anderen.

Und während er langsam in den Schlaf driftete wurde ihm bewusst, dass vielleicht doch noch nicht alle Hoffnung verloren war.

 
 

~*~

Davenport, März 1760

 

Es ist so weit, dachte Shay. Der Moment ist gekommen.

Er stand auf dem Deck der Morrigan und sah zu dem großen Anwesen hinüber, in dem Achilles auf ihn wartete. Er trug die weißen Roben eines Meisterassassinen, die sein Mentor ihm nur wenige Monate zuvor für seinen Einsatz im Kampf gegen die Verräterin Hope Jensen und die Sicherstellung der Schatulle verliehen hatte.

Liam, der neben ihm stand, warf ihm einen kurzen Blick zu.

„Bist du sicher, dass du das durchziehen willst?“, fragte er.

Shay dachte für einen Moment an die Gesichter all jener, die er in den letzten Jahren verloren hatte, und an den Brief, der in der Innentasche seiner Robe steckte, und der Worte der Ermutigung von Haytham enthielt.

„Ja“, sagte er dann. „Ich bin mir sicher.“

Liam nickte, und Seite an Seite gingen sie von Bord.

Niemand hielt sie auf, als sie den Pfad zum Herrenhaus hinaufschritten, doch viele, die ihnen begegneten, blieben stehen und sahen Liam mit einer Mischung aus Erstaunen und Verachtung nach.

Mehrere Assassinen folgten ihnen, während sie die letzten Stufen zum Haus hinaufstiegen, doch keiner wagte es, sie ins Haus zu begleiten, als Shay schließlich die Tür öffnete.

Sie trafen Achilles in seinem Arbeitszimmer an, die Schreibfeder in der Hand.

Er nickte Shay erfreut zu, doch als sein Blick auf Liam fiel, war sein Gesicht mit einem Mal wie versteinert.

„Shay“, sagte er mit tonloser Stimme. „Was hat er hier zu suchen?“

„‚Er‘ hat einen Namen“, brummte Liam, während er die Arme vor der Brust verschränkte. „Und kann für sich selbst sprechen.“

Achilles ignorierte ihn.

„Was hast du dir dabei gedacht, diesen Verräter hierher zu bringen?“, fragte er Shay außer sich vor Wut. „Hast du völlig den Verstand verloren?!“

Doch Shay ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Um ehrlich zu sein war es Liam, der auf mich zugetreten ist und mich gebeten hat, ihn hierher zu bringen“, entgegnete er. „Die Templer wollen uns einen Vorschlag unterbreiten.“

„Einen Vorschlag“, wiederholte Achilles mit hohler Stimme.

„Ganz recht“, sagte Liam. Er zog ein Schriftstück aus seinem Ärmel und hielt es Achilles hin.

Dieser nahm es langsam entgegen und faltete das Papier auseinander.

„Nach dem Tod unserer Verbündeten, Hope Jensen, haben wir jegliche Aktivitäten eingestellt, die den Assassinen schaden könnten“, erklärte Liam, während Achilles still das Abkommen las. „Unser Großmeister ist schon seit längerem der Meinung, dass wir mehr erreichen könnten, wenn wir unsere Differenzen beseitigen und zusammenarbeiten würden – insbesondere angesichts der Revolution gegen die Briten, die immer unausweichlicher scheint und zweifellos in den nächsten Jahren ausbrechen wird.“

Achilles beendete seine Lektüre und ließ die Papiere sinken.

„Du sprichst von ihr, als wärt ihr nie Freunde gewesen“, sagte er, ohne Liam dabei anzusehen.

„Ich habe ihren Tod ebenso bedauert, wie jeder einzelne Assassine“, entgegnete Liam leise. „Doch was geschehen ist, ist geschehen. Wir können nur hoffen, dass die Zukunft besser wird.“

„Und jetzt haben wir eine Chance, gemeinsam darauf hinzuarbeiten“, fügte Shay hoffnungsvoll hinzu.

Achilles sah sie einen Moment lang wortlos an. Dann ließ er den Brief zu Boden fallen und trat mit dem Fuß darauf.

„Niemals werde ich das unterschreiben“, sagte er mit kalter Stimme. „Niemals.“

Er wandte sich an Shay. „Wie kannst du nur so naiv sein zu glauben, dass die Templer irgendetwas anderes wollen, als Kontrolle über die Kolonien und die Macht, die die Schatulle ihnen verspricht? Hast du denn gar nichts aus den letzten Jahren gelernt?“

„Doch, Mentor“, entgegnete Shay. „Ich habe gelernt, dass ein Einzelner weniger schafft, als eine Gruppe, die zusammenarbeitet. Das habt Ihr mich damals ganz am Anfang gelehrt. Habt Ihr das schon wieder vergessen?“

„Ich kann mich noch an die Lektion erinnern“, warf Liam ein. „Ich war dabei.“

„Meine Antwort bleibt ‚nein‘!“, rief Achilles. „Und jetzt geht mir aus den Augen, alle beide. Glaub mir, dieser Tag wird für dich Konsequenzen haben, Shay. Und solltest du–“ Er deutete auf Liam. „–noch ein einziges Mal den Fuß in dieses Haus setzen, werde ich dich eigenhändig töten!“

Liam schüttelte nur den Kopf.

„Wir waren einst Freunde, Achilles“, sagte er leise. „Ich sah zu Euch auf, wie zu einem Vater. Doch jetzt... Jetzt seid Ihr nur noch ein verbitterter alter Mann. Ihr enttäuscht mich.“

Er wandte sich zum Gehen. Shay folgte ihm.

An der Tür hielt Liam noch ein letztes Mal inne. Und während er Shay einen Blick zuwarf, den dieser nicht zu deuten wusste, sagte er: „Kein Wunder, dass Hope euch verraten hat.“

Shays Augen weiteten sich.

Er drehte sich um, doch es war bereits zu spät. Achilles hatte nach der Pistole gegriffen, die auf dem Schreibtisch lag, und bevor Shay einen Schritt auf ihn zu machen konnte, hatte er bereits den Abzug gedrückt.

Der Schuss hallte so laut in Shays Ohren wider, dass er für einen Moment taub war.

Er konnte nicht hören, was Liam sagte, doch er sah den roten Fleck auf seiner Brust, der langsam immer größer wurde. Dann brach sein Freund zusammen.

Sofort war Shay an seiner Seite und presste verzweifelt ein Stück Stoff auf seine Wunde, das er von seiner Robe abgerissen hatte. Doch Achilles hatte gut gezielt und Shay wusste, dass sein Freund nur noch wenige Momente zu leben hatte.

„Du verdammter Idiot“, murmelte er, während ihm Tränen in die Augen stiegen. „Wieso musstest du ihn nur provozieren...?“

„Um dir... zu helfen“, wisperte Liam so leise, dass nur Shay es hören konnte.

Doch bevor der andere etwas entgegnen konnte, kniete zu seiner großen Überraschung Achilles neben ihm nieder.

Ein Ausdruck tiefen Grams hatte sich auf seine Züge gelegt und seine Hände zitterten so sehr, dass ihm die Pistole aus den kraftlosen Fingern glitt.

„Es tut mir leid“, murmelte er.  „Es tut mir so unendlich leid...!“

„Es ist... gut“, erwiderte Liam mit schwachem Lächeln und griff nach Achilles‘ Hand. „Ich war da- davon überzeugt, Ihr könntet... über Euren Schatten springen...“

Er holte rasselnd Luft. „Ich habe mich geirrt.“

„Oh, Liam...!“, schluchzte Achilles und hielt sich eine Hand vor den Mund.

Shay wusste nicht, ob er ihn jemals hatte weinen sehen, doch in diesem Moment konnte der alte Mann seine Tränen nicht zurückhalten.

Und auch Shays Sicht verschwamm immer mehr, und wütend blinzelte er die Tränen fort.

Schon einmal hatte er geglaubt, seinen Freund verloren zu haben, doch dieses Mal wusste er, dass es endgültig war. Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte.

„Weine nicht, Shay“, flüsterte Liam. „Du hast es bald... geschafft.“

Er drückte ein letztes Mal Shays Hand.

Dann schloss er die Augen und lag still.

 

Als Achilles einige Tage später mit müdem Gesicht und gebrochenem Herzen verkündete, dass er als Anführer der Bruderschaft zurücktrat und Shay sein Nachfolger sein würde, herrschte eine seltsame, doch nicht unangenehme Stimmung unter den Assassinen. Viele von ihnen trauerten Achilles als Mentor nach, doch sie alle hatten mittlerweile häufig genug mit Shay zusammengearbeitet, dass sie der Zukunft trotz allem optimistisch entgegensahen.

Er und Achilles begruben Liam auf der Klippe über der Bucht, und in den ersten Wochen kam Shay fast jeden Tag für mehrere Stunden hierher und starrte blicklos auf das Meer hinaus.

Liam hatte Recht behalten – Shay hatte es geschafft. Er wünschte nur, sein Freund hätte nicht so einen hohen Preis dafür bezahlen müssen.

Für eine Weile lebte Achilles weiter in seinem Haus über der Bucht, doch nach ein paar Monaten verschwand er plötzlich, ohne eine Spur zu hinterlassen. Shay hatte keine Ahnung, wohin er gegangen war, doch er vermutete, dass Haytham seine Finger mit im Spiel hatte. Die Schatulle hatte er dabei unberührt zurückgelassen, was die ganze Sache nur noch verdächtiger machte, doch falls die Templer damit zu tun hatten, dann blieb es ihr Geheimnis.

Und vielleicht war es auch das Beste so.

 

In seiner Befugnis als Anführer der Bruderschaft schloss Shay nun offiziell den Waffenstillstand mit den Templern, für den er und Liam so hart gearbeitet hatten.

Viele Assassinen waren nicht begeistert, als Shay ihnen von dem Abkommen erzählte, und manche kehrten der Bruderschaft den Rücken und wurden nie wieder gesehen. Die meisten fanden sich jedoch mit der Zeit damit ab, und bald herrschte eine friedliche Koexistenz zwischen beiden Gruppen, die keiner mehr missen wollte. Shay verstand sich sogar so gut mit dem Templer, den er als Gist kennengelernt hatte, dass er ihm eine Stelle in der Mannschaft seines Schiffes anbot – und die der andere nur mit Freuden annahm.

Shay und Haytham trafen sich weiterhin im Geheimen, fernab von Templern und Assassinen, wo sie unerkannt waren. Dort besprachen sie nicht nur zukünftige Operationen, sondern lernten sich mit den Jahren auch auf eine Weise kennen, die sie sowohl als Freunde, als auch als Liebhaber unzertrennlich machte.

 
 

~*~

Cambridge, Massachusetts , Juli 1775

 

„General Washington, Sir! Entschuldigen Sie die späte Störung! Da sind zwei Männer, die Sie sprechen möchten. Sie sagen, es wäre von großer Dringlichkeit!“

Washington blickte auf.

„Danke, Hamilton.“

Der General bedeutete seinem jungen Mitarbeiter mit einem Nicken, dass er gehen konnte, und erhob sich dann von seinem Stuhl.

Die Männer, die eintraten, waren ihm nicht bekannt. Der eine trug einen Dreispitz und hatte langes, mit grauen Strähnen durchsetztes Haar, das im Nacken zusammengebunden war. Seine grauen Augen sahen sich aufmerksam im Zimmer um, bevor sie sich schließlich auf Washington richteten.

Der andere Mann trug seltsame Roben von strahlendem Weiß, die in der Dunkelheit zu leuchten schienen. Sein Haar war ebenfalls von erstem Grau durchsetzt, doch sein Blick war nicht minder scharf und wachsam, als der seines Begleiters.

„Wer seid Ihr?“, fragte der General. „Und was ist von so großer Dringlichkeit, dass es nicht bis morgen warten kann?“

„Verzeiht“, sagte der Mann mit dem Dreispitz und deutete eine Verbeugung an. „Mein Name ist Haytham Kenway. Mein Begleiter ist–“

„Shay Cormac“, stellte der andere Mann sich vor und verbeugte sich ebenfalls kurz. „Wir sind die Anführer zweier Gruppierungen, die in diesem Krieg bislang Neutralität bewahrt haben. Doch da wir mittlerweile ebenfalls ein Interesse daran haben, die Briten in ihre Schranken zu weisen, haben wir beschlossen, Euch unsere Unterstützung anzubieten.“

„Unsere Leute haben viele... sehr spezielle Fähigkeiten“, fuhr Kenway fort. „Sie sind geübt in Spionage und Kampf auf engstem Raum, und beherrschen eine Vielzahl unterschiedlichster Waffen.“

Der General sah nachdenklich von einem Mann zum anderen.

Dann sprach er:

„Nehmen wir an, ich wäre an einer Zusammenarbeit interessiert... was für Forderungen habt Ihr in Bezug auf Ausrüstung oder Bezahlung?“

„Eine Bezahlung wird nicht nötig sein“, sagte Cormac. „Wir haben unsere eigenen Ressourcen. Das gleiche gilt für Waffen und sonstige Ausrüstung.“

Washington hob verwundert eine Augenbraue. „Es gibt nichts, was Ihr im Gegenzug wollt?“

„Was wir wollen, ist Freiheit, nicht nur für die Kolonien, sondern für alle Unterdrückten und Versklavten, die in ihnen leben“, sagte Cormac.

„In den Menschen, die in diesem Land leben, steckt so viel Potential“, fügte Kenway hinzu. „Es ist unser Wunsch, dass sie den Gedanken der Aufklärung weitertragen und eine Nation aufbauen, die ein Vorbild für alle anderen sein wird.“

„Ich verstehe.“ Washington nickte. „Das sind die Dinge, für die auch wir kämpfen.“

Der General überlegte für einen Moment, dann winkte er ihnen schließlich, sich mit ihm an den Tisch zu setzen.

„Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass wir nicht dringend Unterstützung brauchen“, sagte er. „Nun gut, Ihr habt mein Interesse geweckt. Erzählt mir mehr.“

Kenway lächelte.

„Mit Vergnügen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Snowshoe
2016-05-01T17:27:17+00:00 01.05.2016 19:27
Woah, in diesem Kapitel ist soviel passiert, und ich hab jedes Wort davon genoßen :)
Shays Stimmung zu Beginn ist genauso, wie ich sie beim Spielen empfunden habe, die hast du echt super getroffen. Ebenso sein Wutausbruch und Haythams gefährliche Ruhe sind nachvollziehbar und typisch für die beiden Charaktere.
Wie du Haytham als dom zeigst...genial, so stellt man sich den Großmeister vor *lach* Schön fand ich auch, dass sie danach beim Essen privat gesprochen haben und so die Vertrautheit zwischen den Beiden greifbarer wird. Ohne hätte die Sexszene danach nicht so richtig gewirkt, finde ich.
Und Liam...immer muss er sterben, der arme Kerl. In deiner Story ist er mir wesentlich sympathischer, da ist er ein aufrichtiger, loyaler Freund bis zum Ende. Und bewirkt damit auch noch, dass die Templer und Assassinen sich (zumindest in Amerika) nicht mehr bekriegen :) Gist ist jetzt auch endlich auf der Morrigan, wo er hingehört XD
Da ich gerade eh von amerik. Geschichte geflasht bin, hat mich das Ende mit Washington sehr gefreut, umso mehr, dass auch Hamilton einen Auftritt hatte :3
Eine wundervolle Story mit interessantem Plot und dazu auch noch so einem schönen Schreibstil, was will man mehr?! ^-^
Antwort von: Morwen
02.05.2016 21:49
Es passiert wirklich eine Menge, das ist wahr. Das ist mir später auch aufgefallen. u_u
Im Nachhinein denke ich, dass der FF fünf- bis sechstausend Wörter mehr bei gleichem Plot gutgetan hätten, einfach um die Stimmung noch ein bisschen mehr zu entfalten. Ich hetze mit dem Erzählen immer so, das ist ein Problem, an dem ich echt noch arbeiten muss. *hust* xD
Darum hatte ich auch Sorge, dass die Tatsache, dass sie ÜBERHAUPT Sex haben, völlig unlogisch und aus der Luft gegriffen scheint, obwohl es für mich in dem Moment total Sinn gemacht hat... aber ich kann es wie gesagt selbst schwer einschätzen. Darum danke für die liebe Worte! Das beruhigt mich etwas. :)
Haytham ist für mich definitiv der Dominantere, und ich finde ihre Dynamik generell so toll und interessant, ich möchte fast noch mehr solche Szenen zwischen den beiden schreiben. Hm... xD
Dass Liam sterben würde, wusste ich ehrlich gesagt bis zum Ende nicht. Umbringen wollte ich ihn eigentlich nie, aber dann hat es an dieser Stelle einfach so gut gepasst, dass ich es dann doch gemacht habe. Ich bin ein furchtbarer Mensch. xD *hust*

Oh, du auch? Ich bin ja seit "Hamilton" hin und weg von dem Thema. :D
Wobei ich mich seit AC III schon etwas dafür begeistert habe... aber "Hamilton" hat mich dann endgültig in das bodenlose, schwarze Loch der Obsession fallen lassen... ja, ja. xD

Danke schön für deine Kommentare & liebe Grüße! :D
Morwen~


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