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Christmas Crush

[Secret Love]
von

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Als Takeda endlich nach Hause kam, war er völlig erschöpft. Immer wieder sah er Mizukis trauriges Gesicht vor sich – und auch die seltsame SMS von Hirakawa spukte ihm noch immer im Kopf herum. Er fühlte sich, als wäre jeder Muskel in seinem Körper verspannt.

„Bin wieder zu Hause…“

Sobald Takeda sich im Flur die Turnschuhe von den Füßen gestreift hatte, schlurfte er mit hängenden Schultern in die Küche hinüber, wo seine Mutter gerade eifrig dabei war, das Abendessen vorzubereiten.

„Es gibt Shabu Shabu, Schatz!“, rief sie auf ihre übliche, ein wenig zu schrille Art und Weise, sobald sie Takedas Schritte hinter sich wahrnahm. Erst dann wandte sie sich zu ihm um und runzelte die Stirn. „Wo hast du denn Ryo gelassen?“

Völlig perplex starrte Takeda sie an: „Wieso?“

„Er hat vorhin angerufen und gesagt, dass er dich von der Arbeit abholen will“, gab seine Mutter mindestens genauso erstaunt zurück.

Takedas Herzschlag beschleunigte sich. Hirakawa hatte ihn abholen wollen? Heute schon?

In Takedas Kopf drehte sich alles. Es war, als wäre er mit einem Mal in eine Traumwelt abgeglitten. Hirakawa konnte ihn unmöglich zusammen mit Mizuki gesehen haben – so viel Pech konnte ein Mensch alleine doch gar nicht haben.

„Ich rufe ihn an“, sagte Takeda rasch und rannte zum Telefon im Wohnzimmer hinüber. Er musste es herausfinden – und zwar sofort. Der Fernseher im Wohnzimmer war eingeschaltet, doch Takeda würdigte dem Nachrichtensprecher, der gerade für morgen und übermorgen weiteren Schnee ankündigte, keines Blickes. Mit hämmerndem Herzen riss er das schnurlose Telefon von der Station und wählte Hirakawas Handynummer.

'Bitte, geh ran.'

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis es endlich in der Leitung klickte. Takeda wollte schon erleichtert aufatmen – doch es war nur die Mailbox. Er hatte sich nichts zurechtgelegt, was er sagen konnte, doch er sprach trotzdem auf das Band: „Ähm, hier ist Takeda. Ruf mich zurück, wenn du das hier hörst, okay?“

Dann legte er auf.

Im Laufe des Abends versuchte er weitere unzählige Male Hirakawa auf dem Handy zu erreichen – ohne Erfolg. Entweder konnte oder wollte Hirakawa nicht mit ihm sprechen. Vermutlich letzteres. Und Takeda hatte keine Ahnung, wo er in Tokyo untergekommen sein konnte. Seine alte Wohnung war längst gekündigt und von anderen guten Freunden oder Verwandten wusste Takeda nichts. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als es weiter auf Hirakawas Handy zu versuchen.

Als schließlich die Nacht hereinbrach, starrte Takeda noch immer auf das Display seines Handys. Jede Sekunde, jeden Augenblick hoffte er, es würde sich aufhellen und eine Nachricht von Hirakawa verkünden. Doch nichts geschah. Es war, als hätte Hirakawa ihn aus seinem Leben verbannt – gestrichen wie einen Fehler, den man nicht wiederholen wollte.

Bei diesem Gedanken schloss sich eine eiserne Faust um Takedas Herz, als wollte sie es erdrücken. Er war allein. Die Einsamkeit hüllte ihn ein und zog ihn mit sich hinab in einen bodenlosen Abgrund. Er war allein.
 

***
 

Hirakawa starrte auf sein Handy. Zwölf verpasste Anrufe. Der letzte gestern Abend um 23 Uhr 37. Danach nichts mehr. Vermutlich war Takeda gerade auf der Arbeit. Vielleicht hatte er aufgegeben.

Ganz langsam und vorsichtig, als könnte er es zerbrechen, wischte Hirakawa über den Touchscreen seines Handys und rief die Mailbox ab.

„Ähm, hier ist Takeda. Ruf mich zurück, wenn du das hier hörst, okay?“

„Wo bist du gerade? Ich muss mit dir reden.“

„Hirakawa, bitte geh ran!“

Langsam ließ Hirakawa das Handy sinken und den Blick aus dem schmalen Fenster der Dachkammer schweifen. In der Ferne konnte er die Spitze des kleinen Tempels sehen, den Takeda und er jedes Jahr zusammen besucht hatten, als sie noch Kinder gewesen waren. Der Anblick weckte Erinnerungen. Erinnerungen an eine Zeit, in der noch alles einfach war.

Hirakawas Fingerspitzen berührten die Fensterscheibe - dort, wo die Spitze der Pagode hinter den Bäumen hervorblitzte.

In ihm war alles still.
 

***
 

Scherben.

Die Tasse war Takedas Hand entglitten und einmal vom Boden abgeprallt, als wäre sie auf wundersame Weise heil geblieben, dann aber doch in tausend Teile zersprungen.

Sofort ließ sich Takeda auf die Knie sinken, um die Scherben hinter der Theke aufzulesen. Zum Glück war die Tasse leer gewesen.

„Ist alles okay bei dir?“

Mizukis besorgte Stimme in seinem Rücken ließ Takeda zusammenfahren. Sofort schlug sein Herz einen schnelleren Takt an. Sie mochte ihn – das hatte sie ihm gestern Abend gestanden. Er musste sich zusammenreißen – zumindest ihr gegenüber.

Doch schon war Mizuki um ihn herum getreten und ging ihm gegenüber in die Hocke, um ihm mit den Scherben zu helfen. Ihr Gesicht war so nah – viel zu nah.

„Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht nicht geschlafen“, fuhr sie fort, da er nicht antwortete und begann die restlichen Scherben mit dem Handfeger aufzulesen, den sie mitgebracht hatte.

Takeda hielt mitten in der Bewegung inne. Tränen begannen sich in seinen Augenwinkeln zu sammeln. Er konnte sie nicht zurückhalten. Es war ihre Schuld – weil er sich in ihrer Nähe sicher fühlte.

Ohne darüber nachzudenken lehnte er den Kopf gegen ihre nur wenige Zentimeter von ihm entfernte Schulter. Er konnte spüren, wie sich ihr Körper unter der Berührung versteifte.

„Takeda“, begann sie hilflos. In ihrer Stimme schwangen Überraschung und Widerwille.

Es war nicht fair von ihm, sich bei ihr auszuweinen, Takeda wusste das. Und doch konnte er sich einfach nicht zurückhalten. Es war so angenehm, so leicht.

„Ich glaube, er hat uns gestern gesehen“, brachte er schließlich leise hervor und löste sich von Mizuki. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen.

„Wer?“, fragte sie zaghaft, als wollte sie ihn nicht verschrecken. „Dein Freund?“

Takeda nickte leicht. Die Scherben die er noch immer hielt, schnitten in seine Handflächen, doch er spürte es kaum.

„Gib das her!“, schimpfte Mizuki plötzlich resolut und warf die Scherben zu den anderen auf ihre Müllschaufel. Dann stand sie auf und entleerte sie in den Mülleimer unter der Theke.

Einen Augenblick lang schwiegen sie beide. Dann fragte Mizuki, Takeda noch immer den Rücken zugewandt: „Liebst du ihn?“

„Ja“, gab Takeda so leise zurück, dass er das Wort selbst kaum hören konnte. Und doch schien es bis zu Mizuki durchgedrungen zu sein, denn sie lachte leicht.

„Das war schnell.“

Sie hatte Recht. Takeda hatte nicht eine Sekunde über seine Antwort nachdenken müssen – obwohl er nicht wusste, ob er sich je wieder mit Hirakawa versöhnen würde. Obwohl er Mizuki mochte und sie nicht verletzen wollte. Bei allen widersprüchlichen Gefühlen, die in den letzten Tagen von Takedas Herz Besitz ergriffen hatten – an dieser einen Sache gab es keinen Zweifel: Er liebte Hirakawa. Ein Leben ohne ihn konnte er sich nicht vorstellen. Er konnte sich nicht vorstellen, ihn zu verlieren. Seinen kühlen Blick nie wieder auf der Haut zu spüren, das Glänzen in seinen Augen zu sehen. Sein leises Lächeln... Sich nie wieder mit ihm zu streiten, mit ihm zu lachen, ihn zu lieben und ihn zu hassen.

Ganz langsam stand Takeda vom Boden auf und zog sein Handy aus seiner Hosentasche. Noch einmal wählte er Hirakawas Nummer, wartete das verzweifelte Klingeln ab. Dann endlich meldete sich die Mailbox.

Takeda holte tief Luft. Dann sagte er: „Ich liebe dich, du Idiot!“
 

***
 

Das Herz Schlug Takeda bis zum Hals. Die Pagode des kleinen Tempels seiner Kindheit ragte über ihm auf. Er war allein, umringt von Fremden, die mit fröhlichen Gesichtern auf dem Weg zum ersten Tempelbesuch im neuen Jahr waren. Es war der erste Januar.

Mit zum Zerreißen gespannten Nerven sah Takeda suchend nach links und rechts. Er musste hier sein. Er musste einfach. Takeda konnte spüren, dass sonst irgendetwas zwischen ihnen zerbrechen würde – etwas, das sich niemals reparieren ließe.

Noch einmal warf er einen Blick auf sein Handy – doch kein verpasster Anruf und keine Nachricht verkündete, dass Hirakawa versucht haben könnte, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Eine eiserne Faust klammerte sich um Takedas Herz und nahm ihm den Atem. Vielleicht war es bereits zu spät.

Ganz langsam hob Takeda den Kopf und blickte zu den Stufen empor, die zum Tempel führten. Wie oft war er sie an Hirakawas Seite hinauf und wieder hinab gestiegen? Wie oft hatten sie hier gemeinsam das neue Jahr begrüßt, für die Erfüllung ihrer Wünsche gebetet und zusammen gelacht? Beinahe war es Takeda, als würde er Hirakawa noch immer bei dem Brunnen am Fuße der Treppe stehen und auf ihn warten sehen.

Takeda blinzelte. Es war keine Einbildung. Dort, an den Pfosten des Brunnendachs gelehnt, stand er, die Hände in die Taschen seines schwarzen Schurwollmantels geschoben, und starrte zu ihm hinüber: Hirakawa.

Einen Augenblick lang war Takeda wie erstarrt, unfähig sich zu zu bewegen. Dann, ganz langsam, trat er auf Hirakawa zu. Vorsichtig, als wäre er ein Geist, der sich genauso schnell wieder in Luft auflösen konnte, wie sie erschienen war. Er konnte spüren, wie sein Herz hart gegen seine Rippen schlug, sein Kopf war völlig taub. Er konnte einfach nicht begreifen, was er sah - auch dann nicht, als er endlich stehen blieb, nur eine Armlänge von Hirakawa entfernt.

„Ich wusste, dass du kommst.“

Als Hirakawas leise Stimme zu Takeda hinüber wehte, durchfuhr ihn ein kalter Schauder. Er war es wirklich – er war es wirklich.

Takeda konnte spüren, wie sich Tränen in seinen Augenwinkeln sammelten. Tränen der Erleichterung, der Freude, der Reue. Gefühle, die Takeda unmöglich in Worte fassen konnte. Er tat noch einen weiteren unsicheren Schritt auf Hirakawa zu – dann fiel er ihm um den Hals, drückte sich an seine Brust und weinte, weinte all die in seiner Brust gefangenen Gefühle in die Welt hinaus. Und Hirakawa hielt ihn fest – wie ein Anker, der ihn davor bewahrte, davon zu treiben.

Kein Wort entrang sich Hirakawas Lippen. Es gab keine Fragen, keine Anschuldigungen. Da war nichts als dieses tiefe Einverständnis, das Takeda einhüllte, bis seine Tränen schließlich versiegten.

Erst dann erhob Hirakawa erneut die Stimme. Die Augen über Takedas Kopf hinweg auf ferne Straßenschlucht geheftet, sagte er:

Nenshiaisatsu

sabishii watashi ha

iro ni naru



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