Zum Inhalt der Seite

Urlaubsreif

Seto x ?
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Danke für die aufmunternden Kommentare zum letzten Kapitel.
Dank einer kleinen Nachtschicht gestern von drei Stunden, wurde der Freitag tatsächlich fertig. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

20.2. Freitag

Das erste was er sah, als er die Augen öffnete war rot. Irgendetwas konnte nicht stimmen, da war er sich sicher. Vorsichtig hob er die Hand, um sich die Augen zu reiben, spürte aber statt Haut etwas anderes weiches, das anscheinend über seinem Gesicht lag. Verwirrt hob er es an und konnte schlagartig besser sehen. Die Morgensonne hatte bereits das Wohnzimmer geflutet und beschien nun auch ihn, wie er verdutzt zu dem roten Schal hinauf blickte. Hatte er den nicht zu den Pantoffeln im Flur getan? Auf jeden Fall sollte er ihn dem Hotelmanager zurück geben, bevor er Samstag wegfuhr. Der Gedanke an den Blonden ließ in mit einem Seufzen tiefer in sein Kissen fallen. War der Vortag tatsächlich real gewesen? So ganz konnte er das nicht glauben. Sein erster Kuss. Stolz erlaubte er sich ein breites Grinsen. Es wurde ja auch langsam Zeit mit 28. Da konnte sein Hündchen ihm noch so sehr vorwerfen, er sei gefühlskalt und würde nie jemanden abbekommen, der ihn wirklich liebte. Triumphierend ging er ins Badezimmer und duschte bei angenehmen Temperaturen, während er sich ausführlich um die Befriedigung seiner körperliche Bedürfnisse kümmerte. Und am Nachmittag würde der Chef wieder zu ihm kommen. Konnte dieser Tag noch besser sein? Einzig die Tatsache, dass es sein letzter Tag war, trübte seine gute Laune etwas.

Frisch geduscht stand er vor dem Kleiderschrank und betrachtete das an Wäsche, was noch sauber war. Er wollte gut aussehen am Nachmittag, aber nicht unbedingt so wirken als hätte er sich extra herausgeputzt. Sonst konnte man ja sonst was über ihn denken. Letzten Endes entschied er sich für ein blaues Hemd und legte noch ein hellgraues für den nächsten Tag zur Seite. Dann schmiss er den Koffer auf das bereits gemachte Bett und verstaute die restliche Kleidung, die er nicht mehr brauchen würde darin. Die übrige Zeit des Tages war ihm viel zu kostbar, als dass er sich später mit Kofferpacken aufhalten wollte. Ausnahmsweise mochte er seinen eigenen Ordnungswahn. Die Schmutzwäsche der letzten zwei Wochen war bereits ordnungsgemäß verstaut.

Nachdem er damit fertig war, ging er hinüber in die Küche und machte sich neben dem Kaffee eine große Schüssel Cornflakes. Das Zeug war zwar ungesund, aber es ging wesentlich schneller als erst in der Küche anzufragen und bereits beim ersten Blick nach draußen an diesem Morgen hatte er gewusst, dass er unbedingt nach draußen wollte. Rasch spülte er ab und ließ alles wieder in die Schränke verschwinden. Ein Lächeln huschte kaum merklich über seine Lippen bei dem Gedanken wie wohl seine Angestellten auf ein solches Verhalten seinerseits reagieren würden. Und erst Mokubas Blick!

Zufrieden summte er vor sich hin und zog sich die Wanderstiefel und den Wintermantel an. Er hatte noch knapp drei Stunden bis zum Mittagessen und nichts würde ihn davon abhalten sie an der frischen Luft zu verbringen. Da sagte noch mal einer er sei ein ewiger Stubenhocker, der nur seine Arbeit kenne! Er nahm den direkten Weg vor zum Strand und blieb erst stehen, als die langsam auf den Sand zurollenden Wellen keck seine Sohlen umspülten. Der Anblick des Meeres war unglaublich. Kein Anzeichen mehr davon, dass es die letzten Tage bleigrau gewesen war. Jetzt funkelte es nämlich in den schönsten Blautönen und sah eher nach Sommer denn nach Februar aus.

Ganz vorsichtig, um reagieren zu können, falls er doch nicht sicher stehen sollte, hob Seto den rechten Fuß soweit an, dass er in mit den Händen erreichen konnte. Er öffnete den Schuh, zog ihn aus und ließ auch den Socken folgen. Als er ihn wieder abstellte fühlte er, dass es doch noch kühl im Jahr war und die erste Berührung mit dem Wasser strafte die sommerliche Ansicht Lügen, doch für ihn gab es jetzt kein zurück mehr. Und so wurde auch der linke Fuß dieser Prozedur unterworfen. Sobald er vollständig barfuß auf dem Sand stand, krempelte er noch kurz die Hosenbeine fein säuberlich nach oben und ging dann los Richtung Norden, die Stiefel an den verknoteten Schnürsenkeln tragend. Den südlichen Teil des Strandes kannte er bereits.

Durch den ersten Einschnitt im Wald zu seiner Linken konnte er ein weiteres Ferienhaus sehen, dass er für Nummer 3 hielt und nicht weiter beachtete, doch beim zweiten geriet er kurz ins Stocken. Von der Seeseite her, war das Hauptgebäude noch ein bisschen beeindruckender mit seinen insgesamt 4 Stockwerken, den beiden großen Balkonen und dem davor gelegenen, momentan leeren Swimming Pool. Kahle Flächen und solche, die durch schwere Jutestoffe geschützt waren, verrieten, dass Matt wohl einiges im restlichen Jahr zu tun hatte, schließlich bedurfte das alles intensiver Pflege. Zu lange wollte Seto sich aber auch nicht aufhalten und genoss die Sonne, die seinen Rücken wärmte. Er ging exakt am Flutsaum entlang, mal einen mal beide Füße leicht im Wasser und stellte erfreut fest, dass ihm die Kälte relativ wenig auszumachen schien. Wenigstens dafür waren all die kalten Duschen gut gewesen. Der nasse Sand fühlte sich seltsam an und gab manchmal stärker unter ihm nach als er erwartete, doch irgendwie machte es sogar Spaß. Enttäuschung machte sich kurz auf seinem Gesicht breit, als nach etwas mehr als einer Stunde sich seine Uhr meldete. Das war das erste mal seit Urlaubsbeginn, dass er die Weckfunktion nutzte und eigentlich hatte er keine Lust darauf, jetzt umzudrehen, tat es aber trotzdem.

Nach den nächsten 10 Schritten, war sie jedoch vollkommen verflogen und machte einem anderen Gefühl Platz, bei dem Setos Herz immer wieder kleine Hüpfer machte. Das war nicht mehr normal. Vielleicht sollte er in Domino einen Kardiologen aufsuchen und sich durchchecken lassen. Nicht, dass das noch was Schlimmeres war und er für längere Zeit in der Firma ausfiel. Ob sich das Hotel auch als Kurort für Herzkranke eignete? Die tiefe Wintersonne blendete etwas und schien Gefallen daran gefunden zu haben mit den Wellen zu spielen. Für einen kurzen Moment konnte sich Seto vorstellen wie es hier im Frühjahr oder Sommer sein musste. Der Wald saftig grün, der Strand nur ein schmales Band, das ihn vom tiefblauen Ozean trennte. Er mit einem guten Buch im Liegestuhl sitzend oder am Wasser entlang laufend, so wie jetzt, dann allerdings in Badehose und ins Gespräch vertieft mit dem Chef. Er sah bestimmt gut aus in Badehose, da musste er sich nichts vormachen. Schließlich hatte er am Dienstag genug von ihm gesehen, um das sehr genau beurteilen zu können. Ausnahmsweise ließ er diese Gedanken zu und schlenderte gemütlich zurück.
 

Am Haus kam er zeitgleich mit Yuki an, die gerade klopfen wollte. „Das kannst du dir sparen“, sagte er ihr, als er zu ihr trat.

Erschrocken zuckte sie zusammen und fuhr herum. „Oh, guten Tag!“ Ihre Laune hatte sich offenbar deutlich gebessert. „Ja, scheint so. Aber“, sie musterte ihn kritisch von oben bis unten, „ich sollte Ihnen zumindest etwas aus dem Flur holen, damit Sie saubere Füße haben, bevor Sie wieder reingehen.“

Damit hatte sie wohl Recht. Seine Füße waren bis über den Knöchel nass gewesen, als er dem Meer endlich den Rücken zudrehte und Richtung Haus ging, was der feine Sand gleich ausgenutzt hatte, um diese zu panieren.

„Warten Sie kurz hier.“ Flink schloss sie auf und kam nur Augenblicke später mit einem kleinen, grauen Handtuch wieder, das sie ihm reichte, und Pantoffeln, die auf der Türschwelle landeten.

„Was gibt es denn heute?“, setzte Seto das Gespräch fort, während er hochkonzentriert versuchte den Sand wieder los zu werden.

„Steak mit Ofenkartoffeln und Erbsengemüse“, antwortete sie knapp. Ihrem Blick war anzumerken, dass sie seine Technik noch nicht für ausgereift hielt.

„Hat Shin seinen Schneidewahn überwunden?“

„Keine Ahnung. Er ist noch unterwegs. Hans hat gekocht und der setzt zum Glück noch gern seine Zähne ein. Den Rest bekommen Sie alleine hin, oder? Dann könnte ich versuchen mit den anderen zu essen.“

„Ja, das schaffe ich. … Und danke für die Lektüre. Sie war sehr aufschlussreich.“

„Freut mich zu hören. Guten Appetit.“ Im Gehen drehte sie sich noch einmal um und hob kurz die Hand zum Abschied. Sobald sie außerhalb seiner Sichtweite war, bemühte er sich seine Füße endlich sauber zu bekommen, was ihm so ganz aber nicht gelingen wollte. Resigniert schlüpfte er in die Pantoffeln und betrat das Haus. Die Kiste mit seinem Mittagessen stand auf der Stufe zum Wohnzimmer und wurde von ihm in die Küche verfrachtet, bevor es weiter ins Bad lief, wo er vorsichtig mit dem Brausenkopf den restlichen Sand entfernte. Danach holte er seine Schuhe in den Flur und gönnte sich endlich das Steak. Eigentlich mochte er es nicht, wenn er nicht bestimmen konnte, wie gut sein Fleisch durch war, aber Hans verstand wirklich etwas von seinem Fach und anscheinend war die Transportmethode doch ausgeklügelter als er bisher gedacht hatte, denn das Fleisch zerfiel fast von selbst und war genau richtig temperiert. Wenn er Yuki richtig verstanden hatte, würde vermutlich auch der Chef noch im Hauptgebäude essen. Hoffentlich kam er danach bald zu ihm.

Bevor er mit dem Abwasch begann, machte er sich Musik an und versuchte mitzusummen. Dann ließ er das Wasser ein und machte sich an den Teller.

Mit einem lauten Platsch fiel das Messer wieder ins Wasser, als ihn plötzlich jemand umarmte und einen Kuss auf die Wange drückte.

„Ich hoffe ich bin nicht zu früh“, säuselte eine Stimme in sein Ohr, die dafür sorgte, dass sich seine Nackenhaare aufstellten.

„Äh, nein. Sind Sie nicht. ... Ich esse nur ziemlich langsam.“ Woher kam diese plötzliche Aufgeregtheit?

„Dann mache ich mich mal nützlich, damit Sie schneller hier fertig sind.“

Seto passte es gar nicht, wie sich die Arme wieder von ihm lösten und ihr Besitzer nach einem Geschirrhandtuch suchte. Er sollte ihn lieber noch so halten! In seinem Inneren grummelnd fischte er das Messer wieder aus dem Wasser und schrubbte es wiederholt gründlich ab. Konnte sein Verstand sich nicht einfach mal beherrschen? Eine Berührung und er wurde vom äußerst erfolgreichen Jungunternehmer zu einem verliebten Teenie! Wie? Ver … Verliebt? Nein, er sah das rational. Er war definitiv nicht verliebt. Wo käme er denn da hin. Hier ging es einfach nur darum, dass er sich, aber hauptsächlich seinem Körper, ein paar neue Erfahrungen gönnte. Basta!

„Kann ich das Messer haben? Es sollte mittlerweile sauber sein“, unterbrach der Chef seine Gedankengänge. Sachte entwand er es Setos Händen, auf denen es plötzlich zu kribbeln begann. Schnell schnappte er sich den nächsten Gegenstand im Spülbecken und fing wiederum an diesen blank zu schrubben. Es war der letzte gewesen. So legte er ihn zur Seite und ließ das Wasser ab. Er wollte gerade die Hände ausschütteln, um sie etwas zu trocknen, doch der andere kam ihm zuvor und wickelte sie in das Geschirrhandtuch ein. „Würde es Ihnen gefallen Ihre Revanche für Montag zu erhalten, nachdem wir gestern nicht mehr dazu kamen?“

„Hört … Hört sich gut an.“ Seit wann war seine Stimme zu unsicher? Um es zu überspielen flüchtete er sich ins Wohnzimmer, entschied sich um und ging hinüber ins Schlafzimmer, wo zusammengefaltet der Schal auf der Decke lag. Er kehrte schnell zurück und hielt ihn dem Chef entgegen, der bereits wieder im Sessel saß und ihn interessiert mit den Blick folgte.

„Oh, hier hatte ich ihn gelassen.“ Bedächtig nahm er ihn entgegen und fuhr mit der Hand darüber. „Vielen Dank. Das hätte ganz schön Ärger gegeben, wenn der nicht mehr aufgetaucht wäre.“

Setos Augen weitete sich. „Von wem denn?“

„Meiner Tante. Das war ein Geschenk von meiner Tante zu unserem ersten Weih... dem ersten Weihnachten nach der Geburt meiner Cousine und meines Cousins.“ Irgendetwas an seiner Formulierung ließ Seto aufhorchen, doch er konnte nicht genau bestimmen, was es war. „Selbstgemacht?“

„Ja. Sie wurde irgendwie häuslich während der Schwangerschaft. Und seitdem sind die meisten Sachen, die ich von ihr bekomme, in der Regel rot. Seltsamerweise findet sie, dass ich mich sonst immer zu trist kleide.“

Seto nahm auf dem Sofa Platz und musterte ihn kurz kritisch. „Vielleicht macht sie das auch einfach nur, weil Ihnen rot sehr gut steht?“, warf er in den Raum. Erst dann fiel ihm auf, dass man die Äußerung auch falsch verstehen konnte. Auf der Suche nach etwas anderem, griff er sich die weißen Go-Steine und schob dem Chef die anderen hin. „Was ist nun mit meiner Revanche?“

„Mit dem größten Vergnügen.“
 

Zwei Stunden später starrte Seto verdattert auf das Brett. Diesmal hatten sie tatsächlich auszählen müssen, um den Ausgang der Partie zu bestimmen, aber auch das hatte nichts am Ergebnis geändert. Aber wie ging das? Er hatte sich doch die anderen Partien angesehen und Gegenstrategien entwickelt, wenn sie nicht bereits notiert waren. Es konnte einfach nicht sein, dass er schon wieder verloren hatte – wenn auch dieses mal deutlich knapper als zuvor.

„Wenn Sie weiterhin so finster drein schauen, bekommen Sie noch Falten auf der Stirn“, neckte ihn der Chef. Er meinte es freundlich, dass sah er in seinem Blick, obwohl ihm der leichte Hüpfer seines Herzens nicht gefiel, den es beim Anblick seines Lächelns machte. „Aber wenn es Sie beruhigt. Sie haben diesmal schon deutlich besser gespielt. Anscheinend hatten Sie nur in der Zeit davor zu wenig Gelegenheit zum Spielen. Möchten Sie die Partie durchsprechen oder reicht Ihnen etwas anderes, um wieder runter zu kommen?“

Den letzten Teil brachte er so schelmisch hervor, dass Seto tausend Dinge in den Kopf schossen, mit denen er von der Partie und seiner erneuten Niederlage abzulenken wäre. Ein melodisches Summen vertrieb minimum die Hälfte davon. „Was ist das für ein Lied?“

„Kelly Clarkson – Can I have a kiss. Nicht wirklich das, was ich sonst höre, aber Martine hat ihre CDs quasi non-stop hoch und runter laufen lassen, während wir die ersten beiden Häuser eingerichtet haben.“

„Und“, wollte Seto wissen, „können Sie einen Kuss haben?“

„Kommt ganz darauf an.“

„Worauf denn?“

„Ob Sie sich küssen lassen?"

Seto konnte kaum so schnell schauen, wie der andere um den Tisch herum war, neben ihm auf dem Sofa wieder saß, eine Hand in seinem Nacken platzierte und ihn zu sich zog, bis er bequem an seine Lippen kam. Leider brachte das Seto etwas aus dem Gleichgewicht, der prompt zur Hälfte auf seiner Brust lag und das erste Mal wirklich seine Augen wahrnahm. Aus der Nähe betrachtet waren sie keineswegs so dunkel wie er bisher angenommen hatte. Wieso hatte er das zuvor nie getan? Natürlich waren sie von einem dunklen Braun, aber es lag eine Wärme in ihnen, die ihm den Atem raubte. Dafür spürte er den des Chefs, der im Zeitlupentempo die letzten Zentimeter zwischen ihnen überwand. Krampfhaft versuchte Seto seine Augen offen zu behalten, um weiterhin sein Gesicht genau betrachten zu können, doch je fordernder der Kuss wurde, desto schwerer fiel es ihm, bis er schließlich nachgab. Sein gesamter Blutkreislauf widersetzte sich ihm und lief auf Hochtouren. Er hasste den Gedanken, dass seine Wangen vermutlich genauso sehr glühten wie sie sich anfühlten, aber diesen Kuss hasste er nicht. Langsam wurde er mutiger und fuhr vorsichtig mit der Hand in die Haare des anderen. Er spürte irgendein Pflegeprodukt, das sie vermutlich an ihrem Ort halten sollte, was dringend notwendig erschien. Es reizte ihn, ihre ordentliche Lage zu zerstören, um zu sehen wie er wohl ohne diese strenge Frisur aussah, die die Belastung der letzten Tage immer relativ unbeschadet überstanden hatte.

Währenddessen interpretierte der Hotelmanager sein Verhalten richtig, setzte ihn wieder auf und schwang ein Bein über ihn, sodass er nun rittlings auf ihm saß und von oben in sein Gesicht schaute. Seto musste den Kopf stark in den Nacken legen, um die Berührung ihrer Lippen fortbestehen zu lassen, jedoch besaß er nun einen Vorteil gegenüber seiner vorherigen Position. Er hatte beide Hände frei. Eine davon beließ er in den blonden Strähnen, während die andere neugierig den Körper des Größeren erkundete. Als er die Knopfleiste des Hemdes spürte hielt er kurz inne und öffnete seine Augen vollständig. Der Kuss war unterbrochen, der Chef hatte sich wieder aufgerichtet und bot einen Anblick, den Seto nicht erwartet hatte. Die Haare hingen ihm wild zerzaust ins Gesicht, aus dem ihm ein glasiger Blick begegnete, seine Atmung ging schwer und offensichtlich war er nicht mehr wirklich in der Lage zu sprechen, denn er nickte nur kaum merklich, um die stumme Frage zu beantworten.

Setos Hände zitterten leicht vor Erregung bei dem Versuch die Knöpfe zu öffnen und dann wurde er noch nicht einmal für seine Mühe belohnt. Unter dem schwarzen Hemd, kam ein ebenso schwarzes T-Shirt zu Tage.

„Das ist beim Tragen angenehmer“, wurde auf seinen irritierten Blick erwidert, „hat aber zugegebenermaßen in gewissen Situationen seine Nachteile.“ Im nächsten Moment flog das Hemd unachtsam auf den Boden, gefolgt vom T-Shirt.

Doch Seto konnte diesen neu gewonnenen Anblick nicht lange genießen, sondern sog überrascht die Luft ein, als sich sanfte Küsse seinen Hals entlang nach unten arbeiteten. Wer hatte den Ameisen erlaubt wiederzukommen? Mit geübten Händen legte der andere sich nun stückweise den Weg frei bis zur Mitte seiner Brust und fuhr nun mit der Hand über die Stellen seiner Haut, die er nicht aktuell mit seinen Lippen liebkoste.

Das lockerte auch die letzte Sicherung bei Seto, der, den Chef halb auf seinen Knien sitzend, Anstalten machte sich zu erheben. Augenblicklich wurde seinem Wunsch nachgekommen und etwas verwirrt zu ihm gesehen, da sie nun beide standen. Bestimmend griff Seto nach seiner Hand und zog ihn quer durch den Raum zum Schlafzimmer und dort auf das Bett. Blitzschnell lag er über ihm und verwickelte ihn erneut in einen Kuss, wobei er langsam seinen Körper an dem des Hotelmanagers rieb. Zufrieden stellte er fest, dass dessen Hose wohl demnächst etwas zu eng werden würde, wenn sie es nicht schon längst war. Leicht löste er den vollen Körperkontakt, um dem entgegen zu wirken. Kurz sehnte er sich dessen Wärme zurück, aber er hatte ein höheres Ziel, dessen Ergebnis sogar noch erstrebenswerter war. Nur wieso musste es so schwer sein, einen Gürtel, den man nicht selbst anhatte, zu öffnen? Endlich hatte er es geschafft, mit halber Konzentration, denn er versuchte mittels des Kusses von seinem Vorhaben abzulenken und die ihn streichelnden Hände förderten sie auch nicht besonders. Knopf und Reißverschluss waren vergleichsweise geringe Hürden. Siegesgewiss kniete er sich hin, fuhr mit den Händen unter Hose und den Bund, den er darunter spürte und zog beides erwartungsvoll auf sich zu.

Doch bevor er nur einen kurzen Blick auf den Inhalt seiner Bemühungen erhaschen konnte, drehte sich seine Welt. Er lag plötzlich auf dem Rücken, die Arme beinahe schmerzhaft auf seinen Bauch gepinnt und sah verständnislos nach oben. Oh ja, der Chef konnte wild aussehen, doch das hier war anders als Seto es sich gewünscht hatte. Die ihm entgegenschlagende Wut war selbst für ihn, an dem normalerweise Gefühle andere abperlten, greifbar.

„Nein.“ Es war kaum mehr als ein Flüstern, doch so deutlich und bestimmt, dass Setos Ohren klingelten. Aber er wäre kein Kaiba, wenn er sich damit einfach abwimmeln ließe.

„Was, nein?“

„Nein zu dem, was Sie offensichtlich vorhatten.“ Es war keinerlei Stimmung daraus zu lesen.

„Und woher wollen Sie wissen, was ich vorhatte?“, schmiss ihm Seto trotzig entgegen.

„Weil es eindeutig war.“

Der Griff um seine Arme lockerte sich ein wenig, der Blick wurde sanfter.

„Es fällt Ihnen wahrscheinlich schwer das zu verstehen, daher bitte ich Sie mir einfach nur still zuzuhören. Ich hatte genug Beziehungen und sonstige … Aktivitäten“, die Art wie er es aussprach, ließ keine Zweifel zu, welcher Art diese gewesen waren, „um zu wissen, dass Sie mit mir schlafen wollen.“

Seto gefiel es gar nicht, dass seine Absichten so leicht zu durchschauen waren.

„Damit wir uns richtig verstehen“, fuhr der andere fort, „ich will hier nicht Ihre Gefühle verletzen und unter anderen Umständen wäre ich mehr als versucht, einfach dort weiter zu machen, wo wir aufgehört haben – Sie haben nämlich für meinen Geschmack eindeutig noch zu viel an. Aber Sie sind mir einfach noch zu grün hinter den Ohren.“

Seto wollte protestieren. Er und grün hinter den Ohren? Was bildete sich der Typ eigentlich ein? Er war einer der einflussreichsten Männer Japans, lenkte die Schicksale unzähliger Menschen und … hatte null Erfahrung, wenn es um Sex ging. So wartete er einfach, was noch kommen würde.

„Mir geht es einfach darum, dass Sie diese Erlebnisse mit der richtigen Person teilen. Einer Person, an der Ihr Herz hängt – nicht nur Ihr Körper. Und nein, ich bin das nicht – ganz egal, was Sie im Moment glauben sollten. Dafür kennen Sie mich noch nicht gut genug. Oft wird zwar das Gegenteil behauptet, aber es macht sehr wohl einen Unterschied, ob es einem nur um das Körperliche geht oder darum, dem Menschen, den man liebt so nahe zu kommen, wie es auf physischer Ebene nur geht. Haben Sie das verstanden?“

Seto, immer noch leicht benebelt von seinen eigenen Hormonen, nickte langsam. Es missfiel ihm zutiefst eine solche Abfuhr erhalten zu haben, auch wenn er vermutlich Recht hatte. Was war nur in ihn gefahren, dass er jegliche Vernunft über Bord geworfen hatte?

Der Chef war inzwischen aufgestanden und hatte begonnen sich anzuziehen, während er weiterhin auf dem Bett saß. Jetzt würde er bestimmt gleich aus dem Haus verschwinden und ihn allein lassen als Strafe für sein unüberlegtes Verhalten. Aber wie war das? Er hätte gerne weiter gemacht. Dann lag es wirklich nur ein seiner Unerfahrenheit. Das ließe sich ändern. Es würde zwar zeitintensiv werden neben seiner Arbeit und gegebenenfalls auch ins Geld gehen, aber es würde nicht lange dauern und er hätte dieses Problem beseitigt und dann könnte er ja noch einmal schauen, ob man ihm so leicht widerstehen konnte.

Verdammt! Wem wollte er hier eigentlich etwas vormachen? Wenn er schon so anfing, würde er tatsächlich immer von Männern umgeben sein, die nicht ihn, sondern seinen materiellen Wert liebten. Konnte er das wirklich ertragen? Nein, konnte er nicht, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Es bestand natürlich die Chance, dass es dem Hotelmanager tatsächlich um ihn ohne all das ging, aber nur an ein paar Amok laufender Hormone wollte er sein Glück nicht hängen. Dabei formulierte sich in seinem Kopf eine Frage.

Schnell sprang er auf, den leichten Schwindel ignorierend, und lief zum Flur, um den anderen noch abzupassen, fand ihn jedoch leer vor. Dafür hörte er Geräusche aus der Küche und sah nach.

„Was tun Sie hier?“, wollte er entgeistert wissen, sobald er den Chef erblickte, der verschiedene Käsesorten auf einem großen Teller anrichtete.

„Uns eine kleine Stärkung zum Abendessen vorbereiten. Der Wein ist bereits im Dekanter.“

Fassungslos starrte Seto ihn weiterhin an. „Nein, ich meine allgemein. Ich dachte, Sie wären gegangen, nachdem...“

Leicht beunruhigt erwiderte er seinen Blick und antwortete: „Ich glaubte, wir hätten noch ein bisschen Redebedarf. Aber ich kann Sie natürlich auch in Ruhe lassen.“ Er ließ alles stehen und liegen und wahr bereits fast an Seto vorbei, bis dieser endlich wieder reagierte.

„Nein, bleiben Sie“, zaghaft blickte er dem anderen ins Gesicht, „bitte. Ich habe in der Tat noch einige Fragen.“

Erleichtert sah er, wie er sich umdrehte und sich wieder seiner Arbeit widmete. „Was wollen Sie denn wissen?“ Der restliche Käse wurde Stück für Stück drapiert.

„Wenn es nicht zu persönlich ist“, fing Seto an. Seit wann scherte er sich um so etwas? Aber er wollte eine ehrliche Antwort, da musste er nun einmal vorsichtiger zu Werke gehen. „Hatten Sie Ihre ersten Erfahrungen mit so jemanden, wie Sie es mir geraten haben?“

„Ganz ehrlich? Nein. Ich hatte zu viel getrunken – war nicht wirklich gut drauf damals – und hab mich abschleppen lassen von jemanden, der mich ein bisschen an die Person erinnerte, in die ich damals verliebt war. Das Gefühl selbst damals war berauschend, doch am nächsten Morgen habe ich mich noch elender gefühlt als davor. Kein Filmriss, kein Kater. Nur ein ganz klassischer One-Night-Stand. Weil ich wusste, dass das mit mir und meinem Traumpartner eh nie etwas werden würde, ging es dann eine Weile so weiter. Später dann kamen ein paar Beziehungen – sind alle aus dem gleichen Grund gescheitert. Sie alle sagten mir, ich würde an dieser einen Person noch hängen, die ich sowieso niemals würde haben können. Alles kaputt wegen etwas vollkommen Unerreichbaren. Ist das nicht komisch?“ Energisch landete das Käsemesser im Bergkäse.

Seto konnte nur seinen Rücken sehen und erkannte dennoch, wie sehr ihn das mitnahm. Aber wie verhielt man sich normalerweise in einer solchen Situation? Er hatte es nie gelernt und war nun völlig überfordert damit. Immerhin verstand er jetzt, weswegen er ein verletztes Ego hatte, anstatt sich im Bett zu vergnügen. Würde er es jemals schaffen über sein Hündchen hinweg zu kommen?
 

Das restliche Gespräch war deutlich heiterer. Nach einer Weile hatte sich der Chef soweit beruhigt, dass der sich mitsamt Käseteller Seto wieder zu wenden konnte. Sie hatten eine Flasche schweren Rotweins geleert, dazu den Käse gegessen und zunächst über Science-Fiction-Literatur geredet. So erfuhr Seto auch, dass er alle Bücher im Regal bereits selbst gelesen und für das Haus ausgesucht hatte. Angesprochen auf die unterste Reihe, lachte er laut auf. „Was denken Sie wohl, weswegen sie da stehen?“, antwortete er schlicht und zwinkerte ihm zu.

Seto konnte sich ohrfeigen dafür, dass er sich selbst verraten hatte. Aber das Zursprachebringen dieses Themas barg seine Vorteile. Er erfuhr, wo Mann in Europa und den USA gut weggehen konnte, um unbehelligt zu feiern und Leute kennen zu lernen, ohne dass diese gleich erwarteten, mit ihm in der Kiste zu landen. Es war definitiv zu spät, um seine sexuelle Orientierung ihm gegenüber noch leugnen zu können. Anschließend verloren sie sich in einer Mischung aus Möbeln, Musik, den Schwierigkeiten des Managements und dem Anblick des Meeres.

Es war spät, als sie sich schließlich erhoben. Es schien ein stilles Abkommen zwischen ihnen zu bestehen, die unsichtbare Grenze, die sie am frühen Abend zwischen sich gezogen hatten, nicht mehr zu überschreiten, dennoch bot Seto an, dass der Chef über Nacht bleiben konnte. Zu seiner großen Verblüffung stimmte er zu.

„Aber nicht, dass Sie mitten in der Nacht auf blöde Gedanken kommen!“, warnte er lachend und strich sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Sie hatten sich nicht mehr vollständig bändigen lassen und Seto fiel auf, dass er so deutlich besser aussah. Jünger, lebensfroher.

Aus dem Badezimmerschrank wurde eine weitere Decke und ein Kopfkissen gezaubert und zum Bett getragen. Seto verschwand mit seinem Pyjama wiederum dort, zog sich um, putzte sich die Zähne und musterte sich kurz streng im Spiegel. Zwar wollte er ihn nicht verführen, doch es konnte ja nicht schaden, den ein oder anderen Knopf oben offen zu lassen.

Barfuß, seine getragenen Sachen unter dem Arm kehrte er zurück und gönnte sich den Anblick, den der Chef mittlerweile bot. Er trug nur noch das T-Shirt und Unterhosen und stand im Licht der Nachttischlampe – den Rest hatte er bereits ausgeschaltet – vor dem Bücherregal. Viel zu schnell fuhr er mit dem Kopf herum und fragte: „Ist das Bad jetzt frei?“ Auf Setos Bestätigung hin, verschwand er ebenfalls kurz dort und schlüpfte im Anschluss auf seiner Seite des Bettes unter die Decke neben Seto.
 

Das Licht war schon eine Weile aus, als Seto leise sprach: „Wissen Sie was seltsam ist?“

Die sofortige Antwort verriet, dass der andere ebenfalls noch nicht am Einschlafen war. „Nein, was denn?“

„Sie sind der Erste neben meinem kleinen Bruder, der mit mir in einem Bett schläft.“

„Gut zu wissen. Dann werde ich heute Nacht ganz besonders darauf achten, dass Sie sich nicht zu breit machen.“

Seto wollte bereits Einspruch erheben, aber das leise Lachen zu seiner Linken war Indiz genug dafür, dass die Bemerkung ein Scherz gewesen war.

„Zumindest hoffe ich, dass Sie danach nicht für alle Zeiten abgeschreckt sind und niemanden mehr bei sich schlafen lassen“, folgte die Korrektur kurze Zeit später.

„Ich denke kaum. Schließlich sollte diese eine Person, die für mich richtig ist, nicht immer das Weite suchen müssen, nur weil ich schlafen will, wenn ich sie denn endlich gefunden habe.“

„Dann drücke ich Ihnen Daumen. Gute Nacht.“ Damit war es von der anderen Seite des Bettes ruhig.

„Gute Nacht.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Alistor
2020-08-13T19:18:25+00:00 13.08.2020 21:18

Du schaffst es richtig gut, Setos Nervosität darzustellen. Die Aufgeregtheit und wieder das geknutsche

Er übernachtet bei ihm? Im selben Bett? Nachdem Seto zu weit gegangen war
Das hätte ich nicht erwartet, ist aber erfreulich

Von:  Onlyknow3
2015-08-24T17:27:30+00:00 24.08.2015 19:27
Tja Seto nicht jeder will gleich ins Bett und Sex haben, da bist du zu weit gegangen. Bin gespannt ob Seto dahinter kommt am nächsten Morgen wer da neben ihm liegt. Was ich aber eher vermute ist das Joey das weite sucht, bevor Seto erwacht eben um sein Geheimnis noch länger zu wahren. Schade das es nur noch ein Kapitel gibt, hoffe aber das es eine Fortsetzung geben wird. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  flower_in_sunlight
25.08.2015 09:33
Hast du meine Notizen geklaut? ;-)
Antwort von:  Onlyknow3
25.08.2015 09:40
Nee, war nur Intuition, irgendwie war das voeher zu sehen, das Joey so bedacht darauf war sein Geheimnis zu wahren.

LG
Onlyknow3


Zurück