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Alle Wege führen nach Rom

von

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Die Glocken von Notre Dame

I.

In der hinteren Eckes des riesigen Salons steht ein Stuhl. Klein und verloren wirkend, neben einer riesigen Säule aus rotem Marmor, welche sich lang zur Decke reckt. Der Stuhl, zart und kunstvoll verziert durch filigrane Holzarbeit, gleicht einer Insel in einem tosenden Meer. Ein Meer aus schwarzgekleideten Männern und Frauen. Ihr Stimmengewirr erfüllt den Raum. Es dringt bis in alle Ecken und Spalten. Wie eine hohe Woge ansteigend, dann zu einem leisen Zischen abfallend, monoton und einschläfernd. Ab und zu trägt das Meer eine einzelne schwarze Welle an die Insel. Eine Welle aus tröstenden Worten und einem mitfühlenden Gesicht. Doch die tröstenden Wellen berühren die Insel nicht. Es hat sich zu einem Ort aus gähnender Leere und Trauer gemacht.
 

"Juliette, das Kind macht mir Angst. Sie sitzt immer noch völlig reglos auf ihrem Stuhl."

"Sie blinzelt nicht einmal."

"Sie sollte etwas essen! Claude? Claude? Wo steckt dieser Nichtsnutz von einem Diener? Ich habe ihn doch vorhin mit der Biskuitplatte gesehen. Claude?"

"Hör mit deinem Essen auf, Rose! Das legt sich nur auf die Taille und das Kind braucht ihre schmale Taille noch."

"Ein Stück Kuchen hat noch keinem geschadet und das Kind braucht etwas für die Seele! Mein Engel komm, hier iss etwas!"

"Geh mit deinem Kuchen weg! Sie braucht etwas frische Luft."

"Ach Juliette! Die Sonne ruiniert nur ihren Teint."

Für Lady Juliette war essen lediglich ein Brennstoff, kein Balsam für die Seele. Der enorme Taillenumfang ihrer Schwester Rose zeugte davon, dass diese Essen als Balsam für einfach alles benutzte.

Die beiden Matronen, anmutend wie zwei gackernde Hühner, umkreisten Renée's Insel. Renée seufzte. Vor zwei Stunden war Francois's Sarg der Erde übergeben

worden. Mit seiner leblosen Hülle lag, tief im dunklen Erdreich vergraben, ihr Herz, zerschunden und nutzlos.

Sie wünschte, ihre beiden Tanten würden einfach explodieren und in abertausend kleinen Teilchen davon wehen oder wenigstens der Kronleuchter würde sie treffen. Immerhin durchdrang das penetrante Gezänk und die Vorstellung, wie Lady Rose üppige Gestalt wegpuffte, die Mauer der Lethargie, welche Renée umgab. Doch das riesige Loch in ihrer Brust konnten sie nicht füllen.

Renée seufzte erneut. Auch dieser Tag würde vorbei gehen. Obgleich dies keinen Unterschied machte. Alle Tage waren gleich, erfüllt mit Schmerz und Trauer.

"Tante Juliette?"

Ihre beiden Tanten, selbsternannte seelische Stützpfeiler ihrer Nichte, schoben und schubsten sich ihn Renée's Blickfeld.

"Ja, mein Kind? Willst du an die frische Luft? Wir bleiben auch im Schatten!"

"Willst du Kuchen mein Kind? Soll ich dir ein Glas Wein holen?" Lady Rose rieb sich die Seite, welche schmerzhaft Lady Juliette's Ellenbogen zu spüren bekommen hatte.

"Oder etwas Obst, ein paar Pralinen, etwas Salat ...?"

"Wie können wir dir helfen?"

"Ich möchte gern etwas allein sein."

Die Gesichtszüge der Beiden rutschten merklich tiefer.
 

Der Tag ging vorbei und die Dunkelheit vertriebt das Licht. Im Schloss wurde es langsam ruhig. Der Wind kräuselte leicht die Oberfläche im Parkteich, die Vögel steckten ihre Köpfe unter das bunte Gefieder, die Köchin scheuchte ihren dicken Kater aus ihrem Bett, der Butler überprüfte ein letztes Mal die Fensterläden. Renée schloss die Augen. Aus ihrer Erinnerung stieg Francois totenblasse Gestalt auf. Eingeschlossen in einem massiven Eichensarg, vergraben im tiefen, kalten Erdreich. Heerscharen von Würmern bahnen sich ihren Weg zu dem kalten Körper. Renée öffnete ihre Auge. Die Vorhänge bewegten sich gespenstig im Wind und warfen unheimliche Schattenbilder an die Wand. Ihre Augenlieder schlossen sich wieder, aber die Bilder kamen, erdrückend lebendig und unausweichlich.

Ihre nackten Füße tapsten leise über den Marmorfußboden, als Renée zu ihrer Zimmerflut zurückschlich. Vorsichtig balancierte sie eine Tasse Milch in ihrer Hand. Sie hielt inne, als sie Stimmen am Ende des Flures vernahm. Aus dem Arbeitszimmer ihres Onkels drang sanfter Lichtschein auf den Flur. Sie erkannte die tiefe Bassstimme ihres Onkels. Auch die zweite Stimme, in welcher ein ständig nörgelnden Unterton mitschwang, war ihr nicht unbekannt.

"Wie lange muss ich noch warten, Vermont?"

Von ihrem Platz aus, konnte sie mühelos das Gespräch mitverfolgen.

"Ein Jahr müsst Ihr Euch schon gedulden, Charles. Auch wenn sie nur verlobt waren. Aber was ist schon ein Jahr? Renée ist dann 17. Noch jung genug für Euch, aber schon weiter zur Frau erblüht. Und dann werde ich sie Euch zur Frau geben."

"Was wird die zukünftige Braut dazu sagen?"

"Es ist nicht von Belang, was sie dazu sagen wird. Ich bin ihr Vormund und sie hat sich meinen Wünschen zu beugen. Sie hat ein volles Jahr Zeit sich mit diesen Gedanken anzufreunden."

Das hässliche Lachen von Charles d'Estcount kroch schaudernd an Renée's bloßen Beinen hoch. Das ständig schmerzhafte Gefühl der Trauer in ihrem Herzen, wurde von blankem Entsetzten verdrängt. Sie sah wie die Tür sich öffnete und Stimmen sich ihr näherten, aber sie konnte sich nicht bewegen. Erstarrt blickte sie den Männer entgegen.

"Renée?" Die gierigen Augen d'Estcount glitten über den jungen Körper, kaum verhüllt durch den dünnen Stoff des Nachthemdes. Seine wulstigen Lippen teilten sich zu einem verheißungsvollen Lächeln.
 

Schwer Atmend lehnte sich Renée an die geschlossene Zimmertür, aber die Erinnerung an d'Estcounts Augen blieb. In Gedanken spürte sie schon die Hände, die sie grob berührten und Schauer des Ekels liefen ihr in Wellen über den Rücken. Angstvoll hörte sie die Stimmen der Männer über den Flur wandern. Instinktiv stemmte sie sich hinter die Kommode, um diese vor die Tür zu schieben. Sie konnte Charles d'Estcount nicht einfach aussperren, doch diese Nacht wollte sie daran glauben. Ihre Füße rutschten nach hinten, während sie versuchten Halt zu finden, sie drückte mit aller Kraft, ihre Arme schmerzten, Schweiß perlte ihre Stirn herunter, aber die Kommode bewegte sich nicht einen Zentimeter. Frustriert trat sie gegen die Kommode und zuckte angesichts des Schmerzes im Fuß zusammen. Entkräftet sank sie auf den Boden und weinte vor Wut. Wie sollte sie sich gegen den ganzen Mann wehren, wenn sie nicht einmal diese lächerliche Kommode bewegen konnte?

Im Schatten der Truhe hockend, den Kopf in den Armen vergraben, fand sie am Morgen schließlich die Zofe.

"Mademoiselle?" Vorsichtig stupste Sophie ihre Herrin an. "Mademoiselle?" Renée schreckte auf und rieb sich die verquollenen Augen. Die Morgensonne warf ihre sanften Strahlen in das Zimmer und vertrieb alle Geister der Nacht.

"Aber nicht doch, Mademoiselle. Ihr habt doch nicht die ganze Nacht auf dem Boden verbracht? Ihr verkühlt Euch noch. Kommt ich suche Euch Eurer gelbes Tageskleid heraus!"

"Sophie? Ist mein Onkel schon beim Frühstück?" Sophie stockte in ihrer Betriebsamkeit.

"Ich ... ich weiß nicht, Mademoiselle?"

Ihr bäuerliches Gesicht zeigte Spuren von Furcht. Sobald etwas Sophies Verantwortungsbereich übertraf, fühlte diese sich hoffnungslos überfordert.

"Suche mir das gelbe Kleid heraus!" Sophie Züge glätteten sich erleichtert.
 

Das Klappern ihrer Absätze hallte auf den blanken Marmorfliesen nieder. Schwere, verzierte Eichentüren öffneten sich, Zimmer reihten sich an Zimmer. Die hohen Fensterbögen gaben den Blick auf die Parkanlage frei.

"Bonjour, Onkel Vermont." Renée's Onkel saß in seine Morgenzeitung vertieft am Frühstückstisch. Er nickte ihr kaum merklich zu. Außer einem unauffälligen Diener, dessen Erscheinung mit der Holzverkleidung verschmolz, war niemand anderes anwesend.

"Onkel Vermont?" Eine hochgezogene, finstere Augenbraue des Angesprochenen erschien über dem Zeitungsrand.

"Ich möchte ... ich will ..., bitte verheiratet mich nicht mit Charles d'Estcount!"

Sein unnachgiebiger Blick nagelte sie auf ihrem Stuhl fest. Das Klicken des Uhrenpendels schallte rhythmisch durch die Stille.

"Charles d'Estcount hat den Status, das Ansehen und das Vermögen, um dir ein guter Ehemann zu sein."

"Aber ..."

"Der Ehevertrag ist schon unterzeichnet worden," unterbrach er sie.

"Aber ich liebe ihn nicht, ich mag ihn nicht einmal."

"Liebe? In unseren Kreisen hat Liebe mit einer Ehe nichts zu tun. Ich bin dein Vormund und du wirst mir den Respekt zollen, der mir gebührt, indem du meine Entscheidungen respektierst."

Renée presste ihre Lippen zu einen dünnen Strich zusammen und ballte die Hände, unter dem Tisch versteckt, zu Fäusten. Ihre Tränen hob sie sich für die Einsamkeit auf.
 

"Ach, diese Sonnenstrahlen. Kind, ziehe den Hut tiefer ins Gesicht! Wir wollen doch keine Sommersprossen bekommen. Komm, komm!" Renée bekam einen sanften Schub von ihrer Tante. Laufburschen, Bedienstete, Geschäftsmänner und geschwätzige Frauen eilten die Allee entlang. Die Sonne spiegelte sich in den Schaufensterscheiben der Geschäfte. Kutscher bahnten sich brüllend ihren Weg. Lady Juliette neigte majestätisch ihr Haupt, als ein Bekannter sich grüßend den Weg zu ihnen bahnte. Ihre Turmfrisur wippte schwungvoll in ihre Ausgangsposition.

"Tante Juliette, hier wohnt der Anwalt, der die Angelegenheiten von Francois' Familie klärt."

"Komm weiter, Renée, mit Advokaten verkehren wir nicht!"

"Bitte, Tante Juliette. Ich muss wissen, ob er etwas über den Verbleib des Amuletts weiß, dass ich Francois geschenkte habe."

"Gut, bleib hier! Ich werde nachfragen. Bleibe aber im Schatten!" Ihre Tante seufzte resigniert. "Oh, Sophie, dort sehe ich Gräfin Boninet. Gehe rasch rüber und frage ihre Zofe aus, woher sie diese gefärbten Straußenfedern hat! Na, geh schon!" Juliette d'Herblay wedelte ungeduldig mit der Hand, so dass sich die Sonnenstahlen ihn ihren Ringen brachen und rauschte die Treppen hinauf, zum Büro eines der verhassten Advokaten.
 

Mit einem Male war Renée allein. Unbekannte Gesichter rannten an ihr vorbei. Eine alte Postkutsche bog in die Straße ein. Die riesigen Räder wirbelten den Straßenstaub auf. Schnaubend kamen die Pferde vor Renée zum Stehen. Ihre Nüster stießen heiße Luft aus, die großen, feucht glänzenden Leiber hoben und senkten sich. Die Farbe blätterte schon an den Wagenwänden ab, das Federgestell quietschte verrostet, das Gepäck der Reisenden stapelte sich ungesichert auf dem Dach. Dann öffnete sich die Tür und gab Renée den Blick in den dunklen Innenraum frei.

Ihr verlorenes Herz kehrte aus dem Grab zurück und schlug nun laut und heftig.

Drei Stockwerke über ihr sprach ihre Tante, mit gutgemeinter Arroganz zu dem Anwalt.

Wenn sie jetzt in diese Kutsche stieg, konnte sie nie wieder zurückkehren, aber Renée achtete nicht darauf, ihr Herz war zu verletzt.

Diese Kutsche konnte sie wegtragen. Weit weg von Charles d'Estcount, mit seinen gierigen Augen und den groben Händen.
 

*****

II.

Die riesige Postkutsche rumpelte über Frankreichs gröbste Schlaglochstraße und schüttelte seine Insassen kräftig durch. Die vergangenen Jahrhunderte hatten der Straße arg zugesetzt. Nichts erinnerte mehr an die alte römische Fernstraße, über die Legionen von Soldaten in geordneten Reihen Gallien überrannt hatten. Bäume im saftigen Grün des Frühlings vermischten sich mit dem Gelb der weizenreichen Felder und dem Braun der vorbeiziehenden Häuser. Zum wiederholten Male rollten die Räder durch ein metertiefes Schlagloch. Das Fahrgestell knirschte und ächzte wie die Gelenke einer alten Frau. Das Gepäck polterte auf dem Wagendach seinen eigenen Rhythmus. Mit jedem Schlagloch hüpften die bunten Farbkleckse der Landschaft für kurze Zeit aus Renée's Blickfeld. Ihre Hände krallten sich um die Sitzkante. Weiß stachen die Handknöchel hervor. Ihre Zähne schepperten bei jedem weiteren Loch aufeinander. Durch die Wucht des Aufpralls wurde sie von ihrer linken Sitznachbarin gegen den rechten Fahrgast gedrückt. Renée saß eingekeilt zwischen den beiden korpulentesten Fahrgästen. Der beleibte Mann zu ihrer Rechten begrüßte ihr unfreiwilliges Entgegenkommen mit einem beglückten Lächeln und rollte genüsslich mit den Augen. Bisher nur an die gefederten und elegant geschnitten Kutschen ihrer Familie gewöhnt, war dies Renée's erste Reise in einer Postkutsche. Sie hoffte nur, dass ihre neugewonnene Erfahrung nicht in einem Straßengraben oder vor der rauchenden Pistole eines Räubers endete.

Seit Francois' Beerdigung hatten sich die Ereignisse einfach überstürzt. In den endlose Minuten ihrer Reise realisierte sie ihr vorschnelles Verhalten. Ihr wurde bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, welches Reiseziel die Kutsche ansteuerte.

Verzweifelt sah sie sich in der Kutsche um. Wieder wurde sie gegen den Mann gedrückt und erntete sein Wohlwollen. Unbehaglich sah sie zu der linken Dame. Diese schlummerte vor sich hin. Das gewaltige Doppelkinn ruhte auf der mächtigen Brust. Ihre Nasenflügel blähten sich. Ihr Blick glitt zu dem Priester, welcher steif und sittsam ihr gegenüber saß.

>DU SOLLST DEINEN VATER UND DEINE MUTTER EHREN....< Renée zuckte zusammen. Ein gewaltiger Zeigefinger schallte ihr mahnend durch den Kopf. Ihr Eltern waren ihre Tante und ihr Onkel. Nie hatte sie deren Entscheidungen angezweifelt. Als letzter Passagier saß ihr eine gepflegte Dame mittleren Alters gegenüber. Verschwörerisch zwinkerte sie Renée zu und rollte gespielt genervt, über die anderen Insassen mit den himmelblauen Augen. Renée lächelte ihr zutraulich zu. Mittlerweile hatte die Kutsche die Stadt Pontoise erreicht und hielt für geraume Zeit, um die Pferde auszuwechseln. Die müden und durchgerüttelten Passagiere konnte sich die Beine vertreten oder eine Kleinigkeit essen.
 

Die Nachmittagssonne stand hoch am Zenit und erwärmte den kleinen Platz vor dem Gasthof. Reisende gingen ein und aus, Pferde standen, umschwirrt von Fliegen und Staub an der Tränke. Hühner liefen gackernd und unkoordiniert zwischen Menschen und Pferde umher. Renée stand abseits von allen im Schatten. Ihr fehlte die Selbstverständlichkeit, mit der sich andere Reisende bewegten. Im Schatten gedrückt, fühlte sie sich unsicher und fehl am Platz. Wann immer die große Vordertür aufschwang, wehte ihr der Geruch von Essen in die Nase und ihr Magen gab grummelnd seine Anwesenheit preis. Beklommen dachte sie an die geringe Summe, die sie zur Verfügung stand. Ihr Magen würde noch lange weiterprotestieren müssen.

"Ist das nicht ein herrliches Blau am Himmel?" Unbemerkt war die vornehme Dame aus der Kutsche neben sie getreten. Ihr hübsches Gesicht strahlte Renée unaufdringliche Freundlichkeit entgegen.

"Ich bin Madame Roque." Sie streckte ihr die weiß behandschuhte Hand entgegen.

"Renée d'H ... Renée!" Wie um die Pause zu fühlen, meldete sich Renée's Magen wieder zu Gehör. Sie wurde rot und versuchte verlegen im Schatten des Gebäudes zu verschwinden. Solche Geräusche waren nicht gerade en vogue für ein junge Adlige. Ihre Gesprächspartnerin lachte leise und winkte sie mit sich ins Wirtshausinnere.

Bald saßen beide an einem Tisch, versorgt mit etwas Brot, Käse, Oliven und Wein.

"Danke." Renée knetete verlegen ihre Hände. "Darf ich Euch etwas fragen?"

"Natürlich."

"Wo .. wo fährt die Kutsche hin?" Madam Roque sah das junge Mädchen verdutzt an, sie lachte wieder leise.

"Mein liebes Kind, wie könnt Ihr nur in eine Kutsche steigen, ohne das Reiseziel zu kennen? Wir werden heute Nacht Paris erreichen." Madam Roque sah aus, als wüsste sie genau, wie junge Mädchen dazu kommen.

"Paris?" wiederholte Renée mit großen Augen.

"Das Herz Frankreichs. Ich nehme an, da Ihr nicht einmal Euer Reiseziel kennt, dass es eine äußerst überstürzte Abreise war? Den Grund sehe ich in Euren Augen. Kindchen, warum schimmert in diesen großen schönen Augen soviel Traurigkeit?"

"Ich wollte nur fort von zu Hause. Ich sollte verheiratet werden, aber ich will nicht heiraten. Nicht diesen Mann," fügte Renée trotzig hinzu. Madam Roque lächelte wissend.

"Genügend finanzielle Mittel scheinen Euch auch nicht zur Verfügung zu stehen, habe ich Recht?"

"Nein. Aber ich könnte etwas Schmuck verkaufen."

"Lasst mich Euch Eurer annehmen, meine Liebe. Die Händler würden Euch nur hereinlegen und wer weiß, wo Ihr heute Abend landen werdet. Ihr findet bei mir eine Bleibe, bis sich etwas besseres für Euch angefunden hat!"

"Ich danke Euch Madam. Ihr wisst gar nicht, wie sehr ich Euch danke. Vielen Dank, Madam."

Madam Roque lächelte gütig. "Ihr braucht mir nicht zu Danken. Wir werden diesen traurigen Blick aus Euren Augen vertreiben." Renée schwieg. Die Trauer in ihrem Herzen, welche sich in den Augen wiederspiegelte würde für lange Zeit niemand vertreiben können.
 

Schwarze Finsternis schlich durch Paris, während die Kutsche das westliche Stadttor passierte. Mit mürrischer Miene winkte der Torwächter die Reisenden durch das Tor und zog sich gleich an seine wärmenden Feuerstelle zurück. Dumpf hallte das Rattern der Räder durch die nächtlichen Straßen. Spärlich beleuchteten Fackeln die verwinkelten Gassen. Eine Gruppe Männer zog lärmend, im Rausch des Weins, an der Kutsche vorbei. Schier endlos schaukelte die alte Kutsche durch die dunklen Straßen. Mit einem müden Schnalzen brachte der Kutscher seine Pferde zum Stehen. Ungeduldig drängte er seine Passagiere zum Aussteigen. Soweit es noch eine Steigerungsform gab, ließ die Sehnsucht nach der heimischen Strohmatratze, den Mann noch finsterer wirken.

Madam Roque seufzte zufrieden und winkte Renée zu, ihr zu folgen. Von der Schönheit und den Wundern der Hauptstadt war in diesem Stadtteil nicht viel zu sehen. Renée war es gleich. Müde und verspannt von der Fahrt folgte sie ihrer Wohltäterin, in der Hoffnung sich bald in einem Bett wiederzufinden. Vor ihnen tauchte die Rückseite eines großen Gebäudes auf. Madam Roque schnurrte zufrieden wie eine Katze, als sie sich der Hintertür näherten.

Warmes Licht und Stimmengewirr drangen in die dunkle Gasse, als sie die Tür öffnete.

"Bleibt hier stehen! Ich komme gleich wieder." Mit diesen Worten ließ Madam Roque sie alleine. Renée strich den schweren Samtstoff ihres Kleides glatt und sah sich um. Viel war nicht zu sehen. Sie stand an der Hintertreppe des Hauses und konnte lediglich einen Blick in die Küche werfen. Wie versprochen kaum kurz darauf Madame Roque in Begleitung eines gedrungen Mannes zurück. Madam Roque schubste sie sanft dem Mann entgegen "Gehe mit dem Monsieur mit!" Sein Blick verschlang sie regelrecht.

"Bist du wirklich noch Jungfrau, oder hat dich Madam angewiesen eine zu spielen? Aber egal, du bist hübsch." Ein dreckiges Lachen begleitete ihn. Entsetzt starrte Renée ihn an, dann irrte ihr Blick zu Madame Roque.

"Wie könnt Ihr es wagen? Madame Roque, ich verstehe nicht?"

"Zier dich nicht, Schätzchen! Was glaubst du, wo du ohne mich gelandet wärst? In der übelsten Gosse. Ihr verzogenen und verhätschelten Gänschen habt nicht einmal einen Hauch Ahnung, wie es außerhalb eurer Schlösser aussieht. Hier bekommst du wenigstens ein Bett und die reichsten Männer dieser Stadt zwischen die Beine, als irgend einen dreckigen Bauerntrampel." Dienstbeflissen schubste sie Renée wieder dem Mann entgegen. Dieser packte hart ihr Handgelenk und zerrte sie mit sich.

"NEEIN." Sie versuchte sich mit aller Kraft am Treppengeländer festzuhalten. Ihre Finger rissen sich an den Splittern des Holzgeländers blutig. Unnachgiebig zog er sie weiter in die zweite Etage. Je mehr sie sich wehrte, desto dreckiger klang sein Lachen. Er umfasste ihre Taille und schleppte sie ins Zimmer. Sein Atem ging stoßweise und seine Erregung war jetzt deutlich zu spüren.

"NEEIN." Helles Mädchenlachen und tiefes Männergelächter übertönten Renée' s verzweifelte Schreie. Wie ein Puppe wurde sie aufs Bett geschmissen. Der Stoff ihres Kleides riss, als sie versuchte sich zu wehren. Er stöhnte lustvoll und leckte sich gierig die fleischigen Lippen. Angestrengt versuchte er die vielen Rockbahnen hochzuschieben. Derart damit beschäftigt, die strampelnden Beine festzuhalten, bemerkte er nicht, wie der schwere Kerzenhalter auf seinen Hinterkopf niederschlug. Schwarze Finsternis hüllte ihn ein. Sein Kopf kippte in Renée' s Schoß und dunkles Blut färbte das spärliche Haar am Hinterkopf rot. Keuchend ließ sie den Kerzenhalter fallen. Sie schupste angewidert den leblosen Männerkörper von sich weg und verließ gehetzt das Zimmer. Mehrere Prostituierte und Kunden aus dem Weg schupsend, stolperte sie auf die Außentreppe herunter zur Tür hinaus. Sie rutschte auf der abfallübersäten Straße aus. Stimmen schienen näher zu kommen. Benomme rappelte sie sich auf und rannte verzweifelt durch die Straßen dem Glockengeläut von Notre Dame entgegen.
 

******

III.

Düster ragten die alten Mauern Notre Dames vor ihr auf. Abschreckend blickten die hässlichen Wasserspeier auf sie herab. Im schattenreichen Licht der Nacht wirkten ihre steinernen Gesichtszüge gespenstig lebendig. Nur mit Mühe ließ sich einer der großen Torflügel öffnen. Erschöpft lehnte Renée sich an das kalte Holz. Ihre Lungen brannten vom ungewohnten Laufen und ihr Körper schmerzte von den harten Griffen ihres Peinigers. Die groben Hände hatte rote Spuren auf ihrer Haut hinterlassen. Zaghaft ging sie weiter ins Gebäudeinnere. Mahnend sahen die Heiligenfiguren auf die nächtliche Besucherin. Sie kauerte sich zaghaft in eine der hinteren Sitzbänke. Trocken saßen unterdrückte Schluchzer in ihrer Kehle und die Augen brannten von den ungeweinten Tränen. Ihr Blick richtete sich anklagend auf den gekreuzigten Gottessohn am Altar. Duzende Kerzen umhüllten die Statur mit ihrem Licht.

"Francois." Ihre Stimme hallte laut wieder, im leeren Gotteshaus. Renée' s Stimme stockte bei seinem Namen und wurde brüchig. Warum hatte er sie so früh verlassen? Das war nicht gerecht. Jetzt kamen die Tränen. Sie weinte nicht nur um Francois, sondern auch um sich selbst. Sie schlang die Arme um die Brust und wiegte sich langsam vor und zurück. Tränen flossen ihr über das Gesicht und heftige Schluchzer schüttelten ihren Körper. Sie ließ es zu, ein letztes Mal schwach zu sein und versuchte nichts zurückzuhalten. Die Zeit verlor an Bedeutung, bis sie einschlief.
 

Stimmen drangen durch das Traumgewebe der Schlafenden. Erschrocken versuchte Renée ihre Umgebung zu erfassen. Licht strahlte durch die bunten Glasbilder der Kathedralefenster und zauberte bunte Bilder auf den Boden. Sie duckte sich vor den Stimmen in die Holzbank. Unbemerkt beobachtete sie die beiden Männer, welche im Mittelgang an ihr vorbei schritten.

"Ihr solltet aufpassen, D'Treville! Der Kardinal hält noch immer seine Hand über unseren König und benutzt schamlos den Namen Gottes. Ihr solltet Konflikte mit ihm meiden, auch wenn Ihr der Kapitän der Musketiere seid!"

"Ich weiß, Pater Raphael. Und Ihr solltet aufpassen, dass niemand Eure Reden hört!" erwiderte der Angesprochene.

Pater Raphael lächelte schalkhaft. "Dem Kardinal ist meine Meinung über ihn nicht unbekannt. Aber nun müsst Ihr mich entschuldigen! Ich muss die Andacht einläuten." Mit einem Nicken entfernte sich der Pater. Kapitän d'Treville setzte sich in einen der Holzbänke und ließ seine Gedanken schweifen.

"Kapitän d'Treville?"

Renée fand ihren Hals an der scharfen Spitze eines Dolches wieder. Sie wagte es nicht auszuatmen.

"Mädchen, du solltest das nicht noch einmal machen! Der Letzte, der sich an mich heranschlich, hat jetzt ein Ohr weniger."

"Tut .. tut mir leid. Ihr seid doch Monsieur d'Treville? Der Kapitän der Musketiere?"

"Ja, Mademoiselle, der bin ich."

"Ihr wart befreundet mit meinem Vater, André d'Herblay. Erinnert Ihr Euch? Ich weiß, dass Ihr zusammen mit ihm gedient habt."

D'Treville betrachtete verwundert die kleine Mademoiselle d'Herblay, in ihrem zerrissenen Kleid und der zerkratzten Haut. Die großen blauen Augen, André's Augen, blickten ihn ängstlich suchend an.

"Du .. Ihr seid André's Tochter?"

"Renée d'Herblay."

"Als ich Euch das letzte mal sah, da wart Ihr gerade ..." D'Treville verschwand in der Vergangenheit. "Euer Vater starb in meinen Armen, nachdem er im Gefecht tödlich getroffen wurde." Renée nickte betrübt.

"Meine Mutter starb kurz darauf an einer schweren Krankheit. Ich wurde von Vaters Bruder und seiner Frau aufgezogen."

D'Treville erinnerte sich vage an Vermont d'Herblay, als unangenehmen und engstirnigen Menschen. Das genaue Gegenteil vom warmherzigen André d'Herblay.

"Warum seid Ihr nicht bei Eurem Onkel und wer hat Euch so zugerichtet?" Renée erklärte es ihm. Das Glockengeläut tönte durch das nachdenkliche Schweigen der Beiden.

"Bitte helft mir, Kapitän!"

"Wobei?"

"Ich will Rache!" antwortete Renée schlicht.

"Rache?" D'Treville sah sie überrascht an. "Ihr solltet brav zu Eurem Onkel zurückkehren! Das solltet Ihr machen! Euer zukünftiger Ehemann wird schon gut für Euch sorgen."

"Ja, dass kann ich mir bildlich vorstellen," antwortete sie finster.

D'Treville wedelte unwirsch mit seiner Hand.

"Er ist bestimmt entzückt eine so hübsche Braut zu bekommen."

"Hübsch? ... Was bringt mir das? Bisher wurde ich nur gedemütigt. Aber ich lasse mich nicht mehr wie Ware behandeln. Nie wieder will ich den Männern unterlegen sein. Nie wieder sollen sie das Recht haben mich zu unterdrücken. Und ich werde mit dem Mann beginnen, mit dem alles anfing. Ich will Rache an dem Mörder von Francois. Doch dafür brauche ich Eure Hilfe."

"Meine Hilfe?"

"Eine Bande, die angeführt wurde von einem Mann namens Kamel, soll für seinen Tod verantwortlich sein. Die Musketiere hätten die Möglichkeit, diesen Mann zu finden."

"Wie stellt Ihr Euch das vor? Wollt Ihr, dass ich meine Männer auf ihn hetze?"

"Nein, ich selbst will ihn töten."

"Ihr, als Frau wollt ihn töten?"

"Nein, ich will keine Frau mehr sein."

"Also wollt Ihr Euch als Mann verkleiden und zu den Musketieren gehen? Könnt Ihr überhaupt fechten?"

"Nein."

"Die Musketiere sind keine Teegesellschaft. Mädchen, dort sind die besten Kämpfer des Landes vertreten. Wollt ihr die Feinde des Königs mit Eurem Fächer in die Flucht schlagen? Der König wird entzückt sein, eine Frau unter seiner Elitegarde zu haben." D'Treville stoppte seinen Sarkasmus angesichts ihres Gesichtsausdrucks.

"Bringt es mir bei!"

Er starrte sie an und suchte den Wahnsinn in ihren Augen. Resigniert seufzte er. "Kommt mit!"
 

D'Treville trat durch den kleinen Torbogen in den schattigen Innenhof. Kletten rankten sich am bröckligen Außenputz entlang die Fassade hoch. Enrico de las Ferras gab gerade einem seiner Schüler Fechtunterricht. Der lange drahtige Italiener deckte seinen Schüler mit langen, schnellen Attacken ein. Nur mit Mühe konnte der junge Mann seine Deckung aufrecht erhalten. Sein Hemd klebte schweißnass an seinem Rücken, während sein Lehrer selbst in der gnadenlosen Mittagssonne nicht den geringsten Schweißtropfen zeigte.

"Enrico!" D'Treville winkte seinen alten Freund zu sich. Enrico de las Ferras war mittleren Alters und hatte das gute Aussehen und den Charme, der Italienern gemeinhin zu eigen war.

"Enrico, du musst mir einen Gefallen tun. Ich habe hier eine junge Dame, die du unterrichten musst!"

"Hast du gesterrrn zuviel Wein getrrrunken d'Trreville?"

"Nein, es ist anders als du denkst. Das Mädchen möchte Rache an ihren toten Verlobten nehmen. Sie scheint verzweifelt und, dass ist das schlimmste, zu allem entschlossen zu sein. Ich habe eingewilligt, ihr eine Verkleidung als Mann schaffen und ihr das Kämpfen beizubringen. Sie will den Musketieren beitreten."

"Wieso schickst du sie nicht nach Hause?"

"Ich fürchte, sie würde sich eher etwas antun, als nach Hause zurückzukehren. Ich war mit ihrem Vater sehr gut befreundet. Ich kann es ihm gegenüber nicht verantworten, wenn sich seine Tochter aus Verzweiflung vom nächstbesten Kirchenturm stürzt."

"Willst du sie wirrrklich bei den Musketierrren aufnehmen?"

"Natürlich nicht! Ich habe nur zum Schein eingewilligt. Hör zu! Ich möchte, dass du ihr beibringst wie ein Junge zu sein und sie soll das Kämpfen bei dir erlernen. Aber! Ich möchte, dass du sie hart rannimmst. Härter als jeden anderen deiner Schüler. Sie soll derart erschöpft sein und an ihre Grenzen gelangen, dass sie freiwillig aufgibt und nach Hause geht."

"Bene, brrring sie herrr! Ich werrrde sie auf dem Zahnfleisch krrrieschen lassen."

"Warte kurz!" De las Ferras betrachtet die junge Frau, die auf ihn zukam. Er runzelte missbilligt die Stirn. Wie sollte er aus diesem Geschöpf einen Mann machen? Alles an ihr schien zart und schmal zu sein. Hinzu kamen blondes Haar und eine Haut wie Porzellan.

"Mademoiselle d'Herblay, dies ist Signore de las Ferras. Er wird Euch unterrichten. In einem Jahr werde ich Euch gegen einen meiner Musketiere antreten lassen. Besiegt Ihr diesen, werde ich Euch als Musketieranwärter aufnehmen." Mit diesen Worten überließ Kapitän d'Treville Renée ihrem neuen Lebensabschnitt.
 

*****

IV.

"Die Haarrre müssen abgeschnitten werrrden. Diese Haut brrraucht Farrrbe. Der Oberrrgörrperrr muss abgebunden werrrden. Wirrr brauchen anderrre Kleidung." De las Ferras umkreiste seine Beute und ließ nichts unkritisiert.

"Oh, diese Hände. Zu weich." Angewidert ließ er Renée's Hand fallen. "Die Fingerrrnägel müssen kurrrz sein. Knapperrr sie ab!"

"Ich soll meine Fingernägel abbeißen?" Jetzt war es an Renée die Miene angewidert zu verziehen. An den Nägeln zu knappern, war reinste Blasphemie an ihrer Erziehung.

"Bon Appetit! Jungen knapperrrn mit Frrreuden an Fingerrrnägeln. Du bist jetzt ein Junge!

"Signore? Das Haar noch kürzer schneiden?" Die Köchin des de las Ferras Haushaltes strich mit Bedauern die losen Haarsträhnen glatt.

"Si Si, Giselle rrrunter mit den Haarrren!" 17 Jahre Pflege und intensive Bürstenstriche durch Sophie gesellten sich zu den Küchenabfällen auf den Bodenfliesen.

"Das soll ich anziehen? Das sind doch nur Lumpen?" Sie hob den braungrauen Stoffhaufen mit spitzen Fingern hoch.

"Glaube mir, du wirrrst keine Seidenkleiderrr brrauchen, wenn du den Boden schrrrubbst!"

"Ich soll den Boden wischen? Aber Ihr sollt mir das Kämpfen beibringen."

"Mein Kind, nichts ist umsonst in dieserrr Welt. Du wirrrst arrrbeiten müssen. Fürrr meine Dienstleistung, fürrr deine Unterrrkunft, fürrr dein Essen und ..." de las Ferras Lächeln wurde eine Prise hinterhältiger " ... fürrr diese LUMPEN. Und jetzt beweg deinen kleinen Hinterrrn und wisch auf!"

Missmutig kniete Renée auf dem Küchenboden und schwang den Wischlappen über die Fliesen. Stechende Schmerzen fuhren durch ihr Rückrat und ihre Knie waren schon seit geraumer Zeit taub. Die ungewohnt grobe Kleidung scheuerte auf ihrer Haut. Das laugenhaltige Wasser hatte ihre sorgsam gepflegten Fingernägel in wunde Schlachtfelder verwandelt.

"Was machst du da?" Drohend ragte Signore de las Ferras über ihr auf.

"Ich wische den Boden, wie Ihr es verlangt habt."

"Du besprrrenkelst ihn mit Wasserrr, mehrrr aberrr auch nicht! Strrreng dich an!"

Der Rest des Tages zog sich in endlosen Qualen dahin. Das Putzen des Küchenbodens war nur der Anfang in de las Ferras Arbeitsliste. Erst als sich die Dunkelheit über die Straße legte, durfte sie ruhen. Müde und am Rande der Erschöpfung schleppte sie sich zu ihrem neuen Lehrmeister.

"Kann ich ein Bad nehmen?" Sie war zu müde, um ihre Stimme fest klingen zu lassen.

"Natürrrlich, im Badehaus! Wie jederrr anderrre auch!"

"Aber dann sieht mich jeder." Sie war zu müde, um richtig zu widersprechen.

"Dann musst du drrreckig bleiben! Du kannst bei den anderen Knechten auf dem Dachboden schlafen." Sie war zu müde, um richtig zu schlafen. Enrico de las Ferras lehnte sich gemütlich in seinem Sessel zurück und griff zu seinem Buch. Kleine Flammen knisterten heimisch im Kamin. Neben ihm stand ein großer Krug mit gekühltem Bier.

"Die anderen Knechte lassen mich nicht oben schlafen. Sie sagen ich stinke."

"Sie haben rrrecht. Schlafe im Stall!" sagte er, ohne von seinem Buch aufzusehen. Unbemerkt beobachtete er die kleine Gestalt, welche sich mit hängenden Schultern nach draußen schleppt und Mitleid durchflutete sein Herz. Er seufzte. Bald würde sie aufgeben. Es war das Beste so.
 

Renée lag zusammengekrümmt im Stroh und fühlte sich erbärmlich. Sogar die Pferde hatten etwas gegen ihre Anwesenheit. Zusammengedrängt, leise wiehernd, einer Verschwörung gleich, standen sie dicht beieinander. Renée hatte geglaubt, mit ihrer Flucht aus dem Bordell sei das Schlimmste überstanden. Dabei ging die Hölle erst jetzt richtig los. Sie konnte sich nicht entsinnen, sich je so elend gefühlt zu haben. Alles in ihrem Körper schmerzte. Die Haut, der gnadenlosen Sonne ausgesetzt, spannte sich verbrannt um die Knochen. Die Strohhalme stachen durch die durchlässig gewebte Kleidung und kratzten ihren Rücken schorfig. Sie wünschte, sie könnte aufstehen und wieder nach Hause zurückkehren. Konnte Charles d'Estcount schlimmer sein? Ja, und schon allein ihr Stolz verbot es ihr, nach Hause zurückzukehren. Größer wog allerdings die Tatsache, dass ihre Beine sie nicht einmal mehr zur Tür getragen hätten, geschweige denn, in die Nacht hinaus.

Es sollten noch weitere schlimme Nächte und noch albtraumhaftere Tage folgen. De las Ferras wurde nicht müde, ihr die niedrigsten und zehrmürbesten Arbeiten zuzuteilen. Renée schien es, als wäre sein Repertoire an Grausamkeiten und Demütigungen ihr gegenüber schier unermesslich. Zu den widerwärtigsten Hausarbeiten, schleppte sie Kolonnen an Wassereimern und Holzstapeln ins Haus, bis es schien, als würden ihre Arme aus den Gelenken reißen. Sie wurde zu endlosen Botengängen abkommandiert, die nur im Eiltempo zu schaffen waren. Ganz Paris blieb sie als keuchender Botenjunge in Erinnerung. Weiterhin konnte Reneè sich nicht richtig Waschen, war alleine und schleppte sich zum Schlafen in den Stall, wo sie einsam Nachts unter Muskelkater und endlosen Krämpfen litt. Aber für nichts auf der Welt würde sie zurückkehren.
 

"Die Winde ist kaputt, ich kann den Eimer nicht mehr aus dem Brunnen hochziehen." Renée kniff die Augen zusammen, um Signore de las Ferras Gesichtsausdruck im blendenden Sonnenlicht ausmachen zu können. Es war ein wunderschöner Sommertag. Vögel zwitscherten fröhlich ihr Lied und die Sonne wärmte die Seelen der Pariser.

"Kletterrre hinab und mit vollem Eimer wiederrr zurrrück!" De las Ferras hatte unnahbar die Arme vor der Brust verschränkt.

"Waaas? Ich falle höchstens rein und breche mir den Hals."

"Nicht, wenn du es rrrichtig machst."

"Aber ..." Wieder eine neue Gemeinheit. Renée griff zögernd nach dem Seil und hangelte sich hinab. Der Weg zum Grund erschien ihr endlos. Glitschig, dunkelgrün schimmernd und kalt erstreckte sich der Brunnenschacht in die Tiefe. Der Geruch von Moder und Fäulnis stieg ihr entgegen. Das Sonnenlicht war nur noch ein weitentfernter gelber Kranz am oberen Ende. Endlich traf sie auf Wasser. Vorsichtig suchte sie Halt auf einem Steinvorsprung und stützte sich an der feucht-glitschigen Wand ab. Den Eimer zu füllen, grenzte an einen halsbrecherischen Balanceakt. Mühevoll hievte sie den vollen Eimer hoch und sah sich einem neuen Problem gegenüber. Wie sollte sie mit einer Hand den Seilenstrang hochklettern. Sie hatte weder genügend Kraft in den Armen, noch in den Beinen, um sich einarmig, belastet mit dem Gewicht des Wassereimers, hoch zu hangeln.

"Ich schaffe es nicht. Signore de las Ferras? Hört Ihr, ich schaffe es nicht."

Das Sonnenlicht verschwand, als de las Ferras Kopf die Öffnung verdeckte.

"Du kommst nurrr mit vollem Eimerrr aus dem Brrrunnen!" brüllte er hinab.

"Ich habe doch gesagt, ICH SCHAFFE ES NICHT."

"Und ich habe gesagt, du kommst nurrr mit vollem Eimerrr hoch!" Seine Stimme klang messerscharf

"Fein!"

"Fein!" brüllte er zurück.

"Wisst Ihr was, ich bleibe hier unten. Ich habe es satt von Euch herumgescheucht zu werden und Euer Freund d'Treville ist um keinen Deut besser. Ich sage Euch, was Ihr seid ..."

Ihr Beschimpfungen verhallten als ungehörtes Echo im Brunnenschacht. De las Ferras war schon längst nicht mehr auf dem Hof.

Die Zeit verstrich und die Sonne wanderte am Himmelszelt. Nur spärlich drang Licht in den Brunnenschacht. Auf dem Hof verlief das Leben in seinem gewohnten Rhythmus, nur hier stand die Zeit still. Renée fror mittlerweile erbärmlich und zeterte leise vor sich hin. Wieder verdeckte ein Kopf die Sonnenschreibe an der Brunnenöffnung.

"Warum sitzt du im Brunnen, Junge? Und fluchst schlimmer, als eine ganze Piratenflotte?" Eine unbekannte Stimme hallte zu ihr hinunter.

"Rebellion."

"Rebellion?" fragte der Unbekannt zurück.

"Ist eine lange Geschichte. Wer seid Ihr? Ich kenne Euch nicht."

"Mein Name ist Athos. Ich bin Musketier und suche Signore de las Ferras."

Ein Musketier? Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

"Weißt du, wo er ist?"

"Nein, er war nicht geruht, mir hier unten Gesellschaft zu leisten," brüllte Renée bockig zurück.

"Willst du nicht hochkommen?"

"Nein!"

"Nein? Dann noch viel Spaß dort unten. Salute." Es war besser, wenn sie kein Musketier zu Gesicht bekam. Immerhin sollte sie gegen einen von ihnen kämpfen. Bloß, wie es aussah würde sie gar nicht dazu kommen. Bis her hatte sie nicht einmal eine Waffe zu Gesicht bekommen, geschweige denn in der Hand gehalten. Heiße Wut loderte in ihrem Inneren auf.
 

Enrico de las Ferras sah auf seine nassen Füße hinunter. Rasch breitete sich die Wasserlache um den Stuhl herum aus. Wenn er den Fuß bewegte, quietschte das angesammelte Wasser in seinem Schuh. Er bewegte unbehaglich seine durchnässten Zehen.

"Sehrrr schön! Du hast es geschafft. Aberrr du hättest die Schuhe verrrschonen können. Sie wurrrden extrrra angeferrrtigt." Renée sah ihn wütend an. Sie bereute es nicht im Mindesten, ihm den Eimer Wasser über die Füße gekippt zu haben.

"Was kommt als nächstes? Soll ich mit verbundenen Händen die Seine entlang schwimmen? Wann werdet Ihr mir endlich kämpfen beibringen. Ich habe genug davon Euren Diener zu spielen. Wochenlang habt Ihr mich nur als Sklave missbraucht. Ihr hattet doch nie vor, mir das Fechten beizubringen!" De las Ferras betrachtet ihren Ausbruch ungerührt.

"Bist du unzufrrrieden mit meinen Lehrrrmethoden?" Er lächelte sarkastisch, dann nahm unsanft ihre Hand.

"Das sind Hände, mit denen ich etwas anfangen kann. Sie sind nicht mehrrr weich und zerrrbrechlich. Sie haben Horrrnhaut und Kraft." Er packte ihren Arm.

"Das sind Arrrme, mit denen ich etwas anfangen kann. Sie haben Muskeln. Vorrrher hätte dich derrr errrste Windhauch überrr die Strrraße wehen können."

"Ihr habt trotzdem kein Recht, mich so zu behandeln. Ich bin immer noch eine d'Herblay."

"Warrrum glaubst du, lass ich dich durrch die Strraßen rrrennen, warrum musst du Wasserrreimerrr schleppen, warrrum den Hühnerrrn nachjagen? Ich habe für solche Arrbeiten genügend Knechte." Er schüttelte sie.

"Damit du Krrraft, Schnelligkeit, Ausdauerrr und Rrreaktion lerrrnst. Sieh dirrr deine Arrrme an! Das sind Muskeln!"

"Aggh, das sieht ja ecklig aus!" fasziniert und zugleich angewidert beugte Renée ihren Arm und ließ immer wieder die Muskeln vorschnellen.

"Morrrgen wirrrst du einen Degen in deinerrr Hand halten. Die Zeit ist rrreif."

Renée betrachtete immer noch hypnotisiert ihren Oberarm und beugte ihn fortwährend, als sie den Stall ansteuerte.
 

*****

V.

D'Treville zügelte sein Pferd. Wärmend blies er sich seinen heißen Atem in die eisigen Hände. Der kalte Wind fand seinen Weg durch seine Kleidung. Langsam tappte der schwarze Araberhengst durch den niedrigen Torbogen. Sein Reiter musste sich bücken, um unbeschadet auf den Hof zu gelangen. Die Stimme seines Freundes hallte ihm entgegen. De las Ferras Anweisungen schnitten durch die eisige Kälte des Wintermorgens. Sein italienischer Akzent rollte das langgezogene "r" in seinen Befehlen auf und ab.

"Die Beine weiterrr auseinander, damit du sicherrrerrr stehst. Die Schulterrr höherrr. Ich sagte die Schulterrr höherrr. Si, noch höherrr. Und Angrrriff!"

Sein Degen folg seinem Schüler entgegen. Es folgte eine rasche Angriffswelle, die den Jungen viel zu schnell entwaffnete. Enrico de las Ferras unterbrach seine Lehrstunde und begrüßte seinen Freund freudig.

"D'Trrreville, schön dich zu sehen. Du trrrinkst doch einen Schluck Wein mit mirrr? Ich habe einen ausgezeichneten Jahrrgang im Keller. Giselle, wo steckst du? Giselle?" Genervt steuerte de las Ferras in Richtung Küchentrakt. Gleichgültig glitt D'Trevilles Blick zu dem schmächtigen Jungen. Trotz des Schweißes auf seiner Stirn, stand der Junge frierend, seinen Degen schutzsuchend an sich geklammert, auf dem Hof.

"Mademoiselle d'Herblay?" Dem Kapitän quollen die Augäpfel aus den Höhlen. Fassungslos glitt sein Blick von dem geschlechtslosen, in grobe Kleidung gehüllten Körper zu dem spitzen Gesicht.

"Bonjour Kapitän. Seid Ihr zufrieden mit dem, was Euer Freund aus mir gemacht hat?" Sie hob höhnisch eine Augenbraue.

"Nun ja ... für eine Frau hält Euch so schnell keiner mehr und wie ich sehe, seid Ihr eifrig beim Fechtunterricht."

Renée lachte trocken. "Es hat lange genug gedauert." D'Treville überging die letzte Bemerkung.

"Sagt, welchen Namen hat Euch Enrico gegeben? Er wird Euch kaum bei Euren Mädchennamen rufen." Sie zuckte gleichgültig die Schultern.

"Beweg deinen kleinen Hintern oder Avanti. Sucht Euch einen aus!" Signor de las Ferras kehrte zurück. Triumphierend hielt er eine Weinflasche hoch.

"Geh den Stall ausmisten! Los beweg deinen kleinen Hinterrrn!" Ungeduldig wedelte er mit seiner Hand Renée fort.

"Sie hat noch nicht aufgegeben." D'Treville wandte sich nachdenklich an seinen Freund.

"Si, und ich warrr wirrrklich grrrausam. Es brrricht mirr das Herrrz. Seit kaum einen Monat lasse ich sie das errrste Mal in einem rrrichtigen Bett schlafen. Gegen wen willst du sie kämpfen lassen?"

"Ich denke, ich werde sie gegen Athos antreten lassen."

"Athos? Sie wirrrd keine Chance haben. Athos besiegt selbst mich."

"Ja, und nachdem was ich gesehen habe, ist sie sehr schlecht."

"Was verrrlangst du nach nur einem Jahrrr? Kommst du nun mit ins Warrme oderrr willst du einen alten Mann hierrr drrraußen frrrieren lassen?
 

*****

VI.

Stolz betrachtete Enrico de las Ferras sein Sorgenkind. Der immerwährende Schmutz war von Giselle heruntergeschruppt worden. Noch immer glühte die Haut rot, von ihren Bürstenstrichen. Unter den Schmutz war wieder Weiblichkeit hervorgetreten, aber sein Schützling würde sich schon zu behaupten wissen. Das halblange Haar glänzte im satten Goldton in der Sonne. Die blauen Augen strahlten ihn fest und wissend an. Renée war ihm näher ans Herz gewachsen, als gut für ihn war. Ein Teil seiner Zuneigung steckte in den neuen Kleidern, die sie für das bevorstehende Duell trug. Nichts verriet den langgestreckten, schlanken Frauenkörper unter dem teuren dunkelblauen Stoff. Er litt innerlich bei den Gedanken, sie in einen ausweglosen Kampf zu schicken. Gegen Athos konnte sie nicht gewinnen. Dieser war schon ein ausgezeichneter Fechter gewesen, als er vor ein paar Jahren nach Paris kam und hatte seine Kunst inzwischen um ein vielfaches verfeinert. Trotzdem unterließ er es nicht, noch letzte Anweisungen und Hilfestellungen zu geben.

"Denke darrran, was ich dirrr beigebracht haben! Die Beine weit genug auseinanderrr, um einen sicherrren Stand zu haben! Den Arrrm auf Schulterhöhe beim Angriff! Verrrsuche die nächsten Züge deines Gegnerrrs vorrraus zu ahnen!" Mit Sorgenfalten auf der Stirn strich er den blütendweißen Kragen seines Schülers glatt. Er trat abrupt zurück und ließ sie los.

"Nun geh schon!" Vor lauter Rührung bekam sie noch einen väterlichen Klaps auf den Hinterkopf.

Verwirrt stolperte Renée ins Freie. Und Sie hatte immer gedachte, Ekelpaket de las Ferras könne sie nicht leiden. Mit gemischten Gefühlen machte sie sich auf den Weg. Staub wirbelte unter ihren Füßen auf, als sie festen Schrittes in Richtung Louvre steuerte.
 

Vor Renée erstreckte sich der langgezogene Komplex der Königsresidenz. Im Herzen des Louvre lebte die Welt der Höflinge für sich. Adlige, Günstlinge, Heerscharen von Dienern, Zofen und Pagen erfüllten den Palast mit Leben. Noch ahnte niemand, dass der folgende König, getrieben von der Angst vor der Pariser Bevölkerung, das kleine Jagdschloss in Versaille vorziehen würde. Sie näherte sich nun dem Quartier der Musketiere. Leicht schlug ihr der Degen bei jedem Schritt gegen das Bein und erinnerte sie an ihr Duell. Stramm und unbeweglich stand ein Wachsoldat in Musketieruniform am Torbogen zum Innenhof. Das Silberemblem auf seiner Uniform leuchtet in der Mittagssonne. Kein Gesichtsmuskel bewegte sich.

Sie schluckte schwer. Der Kloß in ihrem Hals wollte gar nicht mehr rutschen. Als sie den Hof betrat standen schon mehrere duzend Musketiere stramm aufgereiht und blickten ihr entgegen. Kapitän d'Treville kam auf sie zu. Seine Miene blieb ausdruckslos.

"Dann kann es ja losgehen. Seid Ihr bereit?" Renée nickte schwach als Antwort.

"Ich darf Euch Euren Duellpartner vorstellen. Athos!" D'Treville winkte einen seiner Musketiere aus der undurchdringlichen Männerwand. Ihr Gegenüber war Mitte 20, groß und gutaussehend. Die intelligenten Augen musterten sie. Renée wünschte sich nur noch ganz weit weg. Sie war so weit, wieder in den Brunnenschacht zurück zu klettern. Zeit zur Flucht blieb ihr jedoch nicht. Athos zückte seinen Degen und ging in Kampfstellung. Schon erfolgte der erste Angriff. In letzter Sekunde und mehr instinktiv wich sie seiner Degenspitze aus. Sie versuchte sich nur noch auf den Kampf zu konzentrieren. Renée spannte ihre Körper an und beobachtete jede noch so kleine Regung ihres Kontrahenten, um seine Angriffe voraus ahnen zu können. Athos griff wieder an. Obwohl es offensichtlich war, dass er nur ein Teil seines Könnens in die Angriffe legte, wehrte Renée seinen Degen nur mit Mühe ab. Sie wich seinen Degenstößen mehr aus, als diese zu beantworten oder geschweige denn selbst anzugreifen. Bald rann ihr der Schweiß über die Stirn und der rechte Arm erlahmte. Sie musste sich zwingen ihre Bewegungen kontrollierter und mit weniger Kraftaufwand durchzuführen. Ihr Gegenspieler täuschte einige Finten vor. Seine Bewegungen wurden schneller. Renée drehte sich um ihre eigene Achse, um seine Angriffe mit mehr Schwung zu parieren. Nun trieb Athos sie in die Enge. Unausweichlich schränkte er den Bewegungsspielraum ihrer Waffe ein. Mit einer schnellen Attacke, keilte er ihren Degen fest. Sie hatte nicht mehr genügend Kraft ihn ihrem Arm, um seine Waffe fortzustoßen.

"Eure Degenführung zeigt Signor de las Ferras Hand." Er lächelte. Renée entwirrte ihren Degen mit mehr Glück als Verstand. Ihre Gesichtszüge waren zu angespannt, um zurück zu lächeln.

"Was war das? Auf keinen Fall etwas aus Signor de las Ferras Lehrprogramm."

"Rebellion."

"Rebellion?" Athos Augen wurden groß, ein verschmitztes Jungenlächeln stahl sich auf sein Gesicht.

"Der Junge aus dem Brunnen. So siehst du also bei Tageslicht aus."

Renée erstarrte. Das konnte nicht wahr sein. Diese Art von Humor konnten sich nur die Schicksalsgötter einfallen lassen. Dann flog ihr Degen in hohem Bogen durch die Luft und ließ sie schutzlos zurück, ausreichend an ihr Nichtskönnen erinnert.
 

Athos trat zurückhaltend in den Hintergrund. Renée ging müde auf ihren am Boden liegenden Degen zu. Niemand sagte etwas, während sie ihre Waffe aufhob und mit einem letzten Blick auf d'Trevilles unnahbares Gesicht vom Hof trottete. Deprimiert ließ sie sich am Ufer der Seine nieder und beobachtete das träge dahinfließende Wasser. Kinder spielten unweit der Brücke im Flusswasser.

Ein kühlender Schatten breitet sich über sie aus. Renée hob den Blick zu seinem Eigentümer. Der Mann war Anfang 20, mit einer Statur hoch mal breit und hinsichtlich seiner Uniform, ein Musketier. Ein freundliches Grinsen lag auf seinem gutmütigen Gesicht.

"Das lief ja nicht sehr gut."

"Das ist heute nicht mein Tag," erwiderte Renée murmelnd.

"Vielleicht doch. Ich soll dir vom Kapitän ausrichten, dass du als Musketieranwärter aufgenommen wirst." Erstaunt und fassungslos hob sie den Blick.

"Aber wie? ... ich habe das Duell doch verloren? Ziemlich kläglich sogar."

Der Riese hob die breiten Schultern.

"Wie auch immer. Und ich soll dir sagen, dass du ab jetzt Aramis heißen sollst!" Sein Lächeln wurde eine Spur breiter. "Ich heiße übrigens Porthos. Heute schon was gegessen ...?"
 

Der Kapitän trat an seinen Musketier heran.

"Und?"

"Er ist sehr unerfahren! Seine Degenführung ist unzulänglich! Seine Technik ist lückenhaft! Er hat kaum Kraft!" Athos zählte Renée' s Unzulänglichkeiten an seinen Fingern ab. "Er lässt sich leicht ablenken!" Die Finger seiner linken Hand gingen ihm aus.

"Aber?"

"Aber, er kämpft mit Köpfchen. Er denkt erst, dann handelt er. Er beobachtet seinen Gegner genau. Er ist sehr flink und er kann improvisieren. Ich denke, den Rest kann er noch lernen."

D'Treville nickte zustimmend.

"Ich werde ihn aufnehmen."

"Soll ich ihm bescheid sagen?"

"Nein, ich habe Porthos zu ihm geschickt. Die Dokumente liegen schon beim König."

"Dann wolltet Ihr ihn von Anfang an aufnehmen? Auch wenn er schlecht gekämpft hat?"

"Ja, weil er äußerst willenstark ist, genau weiß, was er will und dafür kämpft. Er kämpft bis an seine Grenzen und noch weiter. Im Gegensatz zum Fechten, kann man das nicht erlernen. Und er hat Enrico de las Ferras besondere Schule überstanden." D'Treville grinste zufrieden. "Außerdem ist er dickköpfig, dass gefällt mir."

"Ja, ich weiß. Ein REBELL!" Jetzt war es an Athos zu grinsen. D'Treville sah ihn fragend an.

"Übrigens wusstet Ihr, dass seit neustem Rebellionen von Brunnenschächten aus geführt werden?"

Gott schütze die Königin

I.

In der hinteren Eckes des riesigen Salons steht ein Stuhl. Klein und verloren wirkend, neben einer riesigen Säule aus rotem Marmor, welche sich lang zur Decke reckt. Der Stuhl, zart und kunstvoll verziert durch filigrane Holzarbeit, gleicht einer Insel in einem tosenden Meer. Ein Meer aus schwarzgekleideten Männern und Frauen. Ihr Stimmengewirr erfüllt den Raum. Es dringt bis in alle Ecken und Spalten. Wie eine hohe Woge ansteigend, dann zu einem leisen Zischen abfallend, monoton und einschläfernd. Ab und zu trägt das Meer eine einzelne schwarze Welle an die Insel. Eine Welle aus tröstenden Worten und einem mitfühlenden Gesicht. Doch die tröstenden Wellen berühren die Insel nicht. Es hat sich zu einem Ort aus gähnender Leere und Trauer gemacht.
 

Vermont d'Herblay näherte sich seiner Nichte. Mit großen, weit ausholenden Schritten durchquerte er den Saal, ohne sicher zu stellen, ob ihm sein Freund Charles d'Estcount weiterhin als Schatten folgte. Charles d'Estcount tat es und trug dabei auf seinem feisten Gesicht ein Lächeln, dass bei Menschen mit angenehmeren Charakterzügen starke Übelkeit auslöste. Renée d'Herblay saß regungslos auf ihrem Stuhl, versunken in Trauer. Der Schmerz über den Verlust ihres ermordeten Verlobten, saß tief in ihre Seele. Nun ruhten seine sterblichen Überreste im tiefen Erdreich. Mit der Selbstgefälligkeit, das Gefühl von Überlegenheit schon in die Wiegen gelegt bekommen zu haben, bauten sich beide Männer vor ihr auf.

"Monsieur d'Estcount, darf ich Euch meine Nichte vorstellen? Renée d'Herblay." Sie wurden ignoriert. Vermont räusperte sich gereizt.

"Renée, Charles d'Estcount."

Juliette d'Herblay kam zur Unterstützung ihres Mannes heran.

"Liebes, Monsieur d'Estcount ist sehr angetan von dir."

"Mademoiselle, ich bin ein Bewunderer Eurer Schönheit." Renée hob ihr blutleeres Gesicht. Die Augen waren geschwollen und rotgerändert vom ständigen Weinen. Das Salz der Tränen hatte rote Flecken auf den blassen Wangen hinterlassen.

"Ähm ... Ihr seht hinreißend aus." Ihre Augen blickten glanzlos und trüb zu ihm auf.

Lady Juliette kicherte nervös und zehrte ihre Nichte aus dem Stuhl. Für die beginnende Transaktion war Renée in ein neues Trauerkleid aus üppiger Atlasseide gekleidet worden. Wenn sie sich bewegte knisterte es und schien zu flüstern. Dieses schlecht inszenierte Trauerspiel in 3 Akten war, wenn auch völlig unpassend für eine Beerdigung, nichts anderes als Brautwerbung. Wobei von Werbung, um das Wohlwollen der Braut ohnehin nicht gesprochen werden konnte. Der erste Akt, die Unterzeichnung des Ehevertrags, war schon längst abgeschlossen. Einfühlsamkeit und Rücksicht waren keine von Vermonts Stärken, aber wer mit Reichtum, Titel und Privilegien geboren wurde, benötigte diese Eigenschaften nicht.

Renée war zu sehr in ihrem Leid gefangen, um sich für das Gebärden der drei älteren Personen zu interessieren. Sonst hätte sie vielleicht aufbegehrt und sich zu Wort gemeldet, natürlich mit einer Spur von Gehorsamkeit in ihren Worten. Sie wusste, was sich für eine Mademoiselle d'Herblay gegenüber ihrem Vormund gehörte. So aber ließ sie alles an sich vorüber ziehen, ohne zu begreifen.
 

Das sanfte Licht der Kerzenleuchter spiegelte sich im Silber des Bestecks. Das Porzellan glänzte satt an seinen polierten Rändern. Ohne die Miene zu verziehen, trug der Diener dienstbeflissen Renée' s unberührtes Essen ab. Die Teller klirrten leise ineinander, ohne die vornehme Stille des Dinners zu stören. Die Dienerschaft des Hauses d'Herblay brachte mehr Mitgefühl für die Trauer der kleinen Herrin auf, als dessen Verwandtschaft. Als wiederholter Gast im Schloss, saß ihr Charles d'Estcount gegenüber. Er unterhielt sich ausschließlich mit dem Hausheeren. Nur seine kleinen Schweinsaugen saugten sich an ihrer Gestalt fest. Sein Blick war verheißungsvoll. Vor dem Grund seiner häufigen Besuche konnte sich selbst Renée nicht mehr verschließen. Übelkeit stieg in ihr hoch. Zum Glück verlangte die Etikette, dass sie nur anwesend war. Nicht, dass sie sich am Gespräch beteiligte. Sie hielt die Augen sittsam gesenkt und verbarg ihr Unbehagen. Das Menü zog sich endlos dahin. Die Stunden verstrichen, bis sich die Männer in den blauen Salon zurück zogen und Renée erlöst war. Müde schlich sie die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinauf und ließ sich auf das Bett fallen. Sie rollte sich auf die Seite, zog die Knie an und schlang die Arme um ihren Körper. Ihr Blick ging ins Leere und sie überließ sich ihrer Trauer. Es klopfte leise an der Zimmertür. Zaghaft drückte sich Sophie durch den Türspalt und sah besorgt auf ihre junge Herrin nieder. Sie knetet unbehaglich die Hände.

"Es ist noch Honigkuchen vom Nachmittag übrig geblieben. Ich hole Euch ein Stück." Renée schüttelte stumm den Kopf.

"Ich hole Euch ein Stück und Ihr esst es, wenn Euch danach ist! Ihr habt kaum etwas zu Abend gegessen." Sophie überging den Einwand ihrer Herrin und verließ rasch den Raum. Mit einem vollbeladenen Tablett trat sie den Rückweg an. Sie konnte gerade noch ein Stück Kuchen retten, bevor die Knechte über den Rest herfielen. Die Milch schwabte gefährlich in ihrem Becher. Angespannt versuchte Sophie ihre Schritte vorsichtiger zu lenken, als unvermittelt neben ihr die Tür aufgestoßen wurde und Charles d'Estcount auf den Gang trat. Er tat dieses Rückwärts und direkt in die unglückliche Sophie hinein. Das Tablette wurde der Zofe aus der Hand gestoßen und die Milch ergoss sich über d'Estcounts Brokatweste. Entsetzt beobachtete sie, wie die weiße Flüssigkeit über den Seidestoff lief. Sprachlos starrte sie ihn an. D'Estcounts Züge verfärbten sich dunkelrot. Blau pochten die Adern an seinen Schläfen. Aus seiner Kehle erklang ein tiefes Grollen. Er packte Sophies Oberarm und drehte ihn ihr auf den Rücken. Wimmernd ging sie in die Hocke. Seine Hände umspannten wie Krallen ihren Arm und drückten zu. Er holte aus und traf ihr Gesicht. Er schlug nicht mit der flachen Hand zu, sondern mit ganzer Kraft und geballter Faust. Befriedigt wischte er sich ihr Blut, am Rock der am Boden liegenden Zofe ab. Eilig verließ er das Haus. Benommen rappelte sich Sophie auf und hob die Scherbenreste vom Boden. Lautlose Tränen liefen über ihre Wagen.
 

"Sophie, wer war das?" Aufgeregt lief Renée hinter ihrer flüchtenden Zofe hinterher.

"Sag mir doch, was passiert ist! Wer hat dir das angetan?" Sophie eilte den Gang entlang und verschloss weiterhin Mund und Ohren vor Renée's Fragen. "Sophie?" Sie schüttelte stumm den Kopf.

"Was ist das für ein Lärm hier draußen?" Wütend trat Vermont d'Herblay aus seinem Arbeitszimmer und baute sich aufgebracht vor den beiden Frauen auf.

"Renée mäßige dich!" Sein Blick glitt zu Sophie. "Sophie, hätte dich nicht Monsieur d'Estcount für deine Unschicklichkeit bestraft, dann hätte ich es getan. Pass in Zukunft gefälligst besser auf!"

"Sophie? Monsieur d'Estcount war das?" Fassungslos sah Renée von dem gefühlskalten Gesicht ihres Onkels zu der jungen Dienerin. Lautlos bat diese ihrer Herrin zu schweigen. Mit raschelnden Röcken eilte sie den Flur hinunter. Wortlos drehte Renée sich herum und lief in ihre Gemächer zurück. Sie war viel zu aufgebracht, um mit ihrem Onkel vernünftig reden zu können. In ihrem Zimmer setzte sie ihre Wanderung fort, bis der Teppich sich an den Enden kräuselte. Wie konnte D'Estcount es wagen, sich an den Bediensteten des Hauses d'Herblay zu vergreifen. War die Vermählung mit ihr schon so weit zwischen den beiden Männern abgesprochen? Wie konnte er Sophie so etwas antun? Was würde er ihr, Renée antun? Was tat man ihr an? Tränen liefen über ihre Wangen. Ärgerlich wischte sie diese fort. Sie hatte lange genug geweint. Während sie sich in ihrer Trauer vergrub, bestimmten andere über ihr weites Leben. Doch das würde sich jetzt ändern. Ihr Herz raste schmerzhaft in ihrer Brust. Zu tiefst besorgt ging Renée zu Bett, ohne in der Nacht Schlafen zu finden.
 

Als der Morgen anbrach und das Schloss zum Leben erwachte, hatte sie über alles sorgfältig nachgedacht. Der Zufall wollte es, dass Renée zu sehen bekam, wie grausam d'Estcount sein konnte. Sie würde nicht mehr den Weg des geringsten Widerstands gehen und das tun, was andere von ihr verlangten. Sie musste sich selbst beweisen, was in ihr steckte. Ihr Onkel strebte für sich selbst soviel Macht wie möglich an und der beste Weg dazu, war eine Verbindung der Häuser Herblay und Estcount. Ihn von der Heirat abzubringen, wäre ein sinnloses Unterfangen, darum stand ihre Entscheidung mit Punkt, Komma und dreifachen Ausrufezeichen fest. Wenn der Abend hereinbrach, dann wollte sie fliehen. Hinter den hohen Fensterscheiben schickte sich die goldene Scheibe der Sonne an, über den Himmel zu wandern. Der Rest des Tages ging wie in Trance an ihr vorbei. Die endlosen Stunden streckten sich schmerzhaft langsam dahin. Unwohlsein und Kopfschmerzen musste sie nicht einmal mehr vortäuschen. Sie war den Tag über fahrig und kaum bei der Sache. Als die Stunde des Abenddinners anbrach, bat sie ihren Vormund sich zurück ziehen zu dürfen. Besorgt sah Juliette d'Herblay ihrer Nichte nach.

In ihrem Zimmer angekommen begann sie sich fieberhaft umzukleiden. Ein dunkles Kleid aus schwerem Samtstoff schien ihr das Richtige zu sein. Der Stoff war warm und reißfester als die dünnen Seidenkleider. Anschließend kletterte sie noch in einen dicken Pelzmantel. Sie band ihre Haare zu einem einfachen Zopf und packte in die kleine Reisetasche das wenige Geld was sie besaß, ihren Schmuck und Wechselwäsche ein. Kurz zögerte sie und beschloss ihrem Reisegepäck noch einige Dinge hinzu zufügen. Endlich glaubte sie sich gegen alle Widrigkeiten des Schicksals gewappnet zu sein. In ihrer Tasche schepperte es. Sie hängte sich die Tasche um und warf einen letzten zufriedenen Blick in den Spiegel. Dann drehte sie sich um und kippte langsam zur Seite.

Sie stand still und horchte. All ihre Sinne waren auf die Geräusche im Schloss gerichtet. Dielen knarrten, Stimmen wisperten, Türen knallten, aber keine Schritte näherten sich ihrer Tür. Mit einem letzten Blick durch das Zimmer, öffnete sie die schweren Fensterflügel und sah in die Finsternis der Nacht hinaus. Die Parkanlage ringsum lag im Dunkeln. Wieder horchte sie, aber auch draußen waren keine nahen Geräusche zu hören. Vorsichtig ließ sie ihre Tasche hinunter fallen. Sie befand sich zwei Stockwerke über dem Boden. Ihr Herz schlug bis zum Hals, der Puls raste. Beherzt schwang sie ein Bein über die Fensterbrüstung, dann das andere. Unter ihr jagte die Katze eine Maus. Spielerisch stubste sie den kleine grauen Körper an und miaute genießerisch. Die Maus sprach ihr letztes Gebet.

"Sophie? Sophie, wo steckst du, du nichtsnutziges Ding?" Juliettee d'Herblay hatte ihre Stimme eine Oktave zu hoch angesetzt. Sie räusperte sich und holte sie wieder herunter.

"Ja, Madame?"

"Geht es meiner Nichte besser? Sie ist jetzt schon über eine Stunde auf ihrem Zimmer."

"Das weiß ich nicht, Madame. Sie hat mich weggeschickt."

"Dann geh zu ihr! Pass auf, dass dieses ständige Weinen nicht ihren Teint ruiniert! Das hat man nun von dieser Unsitte, sich zu verlieben. Sie wird sehen, dass die Ehe mit Charles d'Estcount gut wird. Ich wurde als junges Mädchen auch auf Wunsch meiner Eltern verheiraten und Vermont und ich führen eine gute Ehe. Er in seinem Teil des Schlosses, ich in meinem. Respekt ist der Schlüssel, Sophie, aber was weißt du schon davon. Na, geh schon!" Madame schwebte davon. Als ob nicht die gesamte Dienerschaft wüsste, dass Madame ihre Einsamkeit im Opiumrausch ertränkte, dachte Sophie bitter, während sie Renée's Zimmer ansteuerte. Nach zurückhaltendem Anklopfen betrat sie den Raum. Das Zimmer war leer. Groß und verlassen stand das Bett an der rechten Wand. Der Wind spielte mit den schweren Vorhängen. Die Schranktüren standen offen. Fassungslos sah Sophie durch geöffnete Fenster in die Dunkelheit der Nacht hinaus. Sie hätte es wissen müssen, Mademoiselle Renée würde irgend eine Dummheit begehen. Nun zeugte nur noch das achtlos in die Ecke geworfene Abendkleid von ihren letzen Minuten in diesem Raum.
 

*****

II.

"Sophie?" Die arme Zofe bekam den Schreck ihres Lebens, als die heisere Stimme ertönte. Ruckartig zuckte ihr Kopf nach links und sie starrte in das blasse Gesicht ihrer jungen Herrin.

"Mademoiselle Renée?" Sophie erstarrte zur Salzsäule.

"Sophie, hilf mir!" flehte Renée kläglich.

"Warum hängt Ihr draußen am Fenster?" Renée's Arme, um das doppelte ihrer ursprünglichen Länge verlängert, hielten den Fenstersims krampfhaft umschlossen. Ihr Hände krallten sich in die Marmorplatte, blutleer und taub vor Anstrengung. Die Beine scharrten hilflos an der Außenwand und versuchten Halt zu finden.

Der Schweiß rann ihr in Strömen über das Gesicht, brennend in die Augen hinein.

"Meine Beine .....Beine! Keinen Halt! ... Sopppphhie!" Das p ging fiepend vor Anstrengung unter. " Sophie tippelte vorsichtig näher und zupfte zaghaft an Renée's Ärmel, als wäre das purpurrote Gesicht und die vorquellenden Augen ihrer Herrin Anzeichen einer nahenden Explosion.

"Sophie!" Ihre Stimme war nicht mehr, als ein heiseres Quieken. Sophie überwand sich endlich und griff beherzter zu. Sie zehrte beide Arme ins Zimmerinnere. Unter qualvollem Stöhnen rollte sich Renée über die Fensterbank und ließ sich zu Boden plumpsen, wo sie schwer atmend liegen blieb. Sophie gaffte fassungslos auf sie herab.

"Aber Mademoiselle, wie lange hängt Ihr dort schon?"

"Eine Ewigkeit, Sophie, seit einer Ewigkeit."

"Aber wie ...? Wie konntet Ihr auf die Idee kommen, aus dem Fenster zu klettern? Wir befinden uns 6 Meter über dem Erdboden?" Sophie schüttelte fassungslos den Kopf.

"Ich habe den Abstand zum nächsten Sims falsch eingeschätzt. Ich dachte, meine Füße müssten bequemen Halt finden."

"Kommt, ich helfe Euch auf!"

"Nein!" Renée wimmerte. "Lass mich hier einfach nur liegen! Bloß... bloß nicht anfassen!" Sie rollte sich auf den Rücken und blickte nach oben. Die Leuchter an den Wänden zauberten dunkle Kringel an die Zimmerdecke. Ihre Zofe kroch näher und hockte sich neben sie.

"Was hattet Ihr denn vor? Ihr könnt doch nicht einfach davonlaufen!"

"Ich muss! Ich kann Charles d'Estcount einfach nicht heiraten. Charles d'Estcount verkörpert alles, was ich an einem Menschen hasse und es wäre Verrat an Francois. Ich wollte versuchen, nach Paris zu kommen."

"Nach Paris? Ihr wolltet ganz alleine nach Paris? Man hätte Euch an der nächsten Straßenecke überfallen und ausgeraubt oder noch schlimmer, vergewaltigt oder ermordet. Ein junges Mädchen ganz allein unterwegs ... das geht doch nicht." Renée schüttelte den Kopf.

"Ich habe mir alles genau überlegt. Ich werde mir irgendwoher Männerkleidung besorgen und als Mann verkleidet nach Paris gehen. Vielleicht finde ich Arbeit als Schreiber oder als Sekretär eines reichen Mannes."

"Aber Ihr seht nicht aus wie ein Mann. Eure Gesichtszüge sind viel zu weich."

"Ich bin noch jung, die Leute würden meine Gesichtszüge auf meine Jugend zurückführen. Außerdem verlassen sich die Menschen ganz auf das äußere Erscheinungsbild seines Gegenüber, auf all die Hinweise, die er ihnen mit seiner Kleidung gibt. Er trägt Männerkleidung, folglich ist er ein Mann."

"Aber Ihr könnte doch nicht....," wimmerte Sophie. "Ich wollte so gerne, dass Ihr verheiratet seid. Verheiratet mit einem netten, jungen Mann, von vornehmer Geburt, der Euch freundlich behandelt. So, wie Euer Francois, nicht dieser grobe Schlächter d'Estcount. Der ist alles andere, aber nicht vornehm und edel. Ich dachte, ich könnte mit Euch kommen und Euch helfen Eure Kinder großzuziehen. Wenn ich dran denke, dass Ihr in einer fremden Stadt, so unnatürlich verstellt leben wollt." Sie versuchte sich die Augen zu trocknen.

"Nun, weine doch nicht! Ich will über mein Leben selbst bestimmen, endlich frei sein. Wenn ich zu Hause bleibe, dann bleibt mir keine andere Wahl, als den Wunsch meines Onkels zu gehorchen und d'Estcount zu heiraten." Nachdenklich fuhr sich Sophie mit dem Finger über ihren blauverfärbten Nasenhöcker. Die Nachwirkungen von d'Estcount's Schlägen taten noch immer weh und erinnerten sie an dessen Grausamkeit. Sie stimmte ihrer Herrin zu, wenn Renée Charles d'Estcount heiratete, würde sie nie glücklich werden.

"Bleibt noch ein paar Tage hier! Ich werde Euch helfen. Wir besorgen Euch Männerkleidung und Proviant. Aber wie kommt Ihr am besten nach Paris?" Sophie stand auf, schüttelte tatenkräftig ihre Röcke aus und straffte den Rücken.

"Eure Verwandte sind alle gefühlskalte und egoistische Menschen, aber Euer Herz liegt am rechten Fleck."

Ja, dachte Renée bitter, im 13. Grab, fünf Meter tief, in einem Sarg aus massivem Eichenholz.
 

Die beste Möglichkeit, um nach Paris zu kommen, bot ein entfernter Verwandter von Sophie und sein Viehwagen. Sicher, eine äußerst unangenehme Reisemöglichkeit für eine junge Adlige und dazu noch eine besonders Geruchsintensive, aber es war der schnellste und sicherste Weg aus ihrem Heimatort heraus. In drei Tagen, wenn die Abenddämmerung

anbrach, wollte Bastillion seine Rinder auf den Viehmarkte nach Creil bringen. Er würde die Nacht hindurch fahren, um am frühen Morgen auf dem Marktplatz zu sein. Hier würden sich seine und Renée's Wege trennen. Endlich neigte sich der Nachmittag des Abreisetages dem Ende zu. Renée murmelte wieder etwas von Kopfschmerzen und begab sich früh auf ihr Zimmer. Dort angekommen holte sie schnell ihr Schmuckkästchen und begab sich unauffällig in die Scheune. Am hinteren Ende des langgestreckten Gebäudes befand sich eine kaum benutzte Abstellkammer, welche nach hinten hinausführte und nicht vom Hauptgebäude aus einsehbar war. Sophie erwartete sie dort. Auf einer Kiste lagen schon ihre Reisesachen und ein großer Reisesack mit Wechselwäsche und Proviant. Die Kleidung war gebraucht gekauft. Hose und Wams waren schlicht, aus grobem Gewebe und ziemlich abgetragen, aber sie sahen sauber und bequem aus. Sophie hatte sie am Vortag auf dem Markt erstanden.

"Ich muss Eure Haare schneiden!" sagte sie und holte die Schere heraus. Die Schneideblätter klapperten gleichmäßig. Renée's blonde Locken rieselten den Rücken hinunter und ihr Kopf fühlte sich wunderbar frei an. Sophie spülte ihr mit Wasser die letzten Locken aus den Haaren heraus, dann reichte sie ihr die Kleidung.

"Nun?" Renée drehte sich fragen, um die eigene Achse. Sophie bedachte sie mit einem äußerst merkwürdigen Blick. "Oh, Mademoiselle, ich möchte Euch gar nicht fortlassen." Renée bemerkte, dass sie weinte.

"Sophie?" Wortlos reichte sie ihr einen Spiegel. Ein schmales, langes Gesicht mit einer langen Nase und großen blauen Augen, die eigenartig losgelöst blickten, sahen sie an. Glatte, blonde Haare fielen über die Stirn. Zum ersten Mal in ihrem Leben, sah sie sich selbst im Spiegel, keine zurechtgemachte Puppe. Sie lächelte, das Spiegelgesicht lächelte zurück. Sie umarmte Sophie und sagte ihr Lebwohl, dann schritt sich mit langen Schritten auf den schattigen Weg, um Bastillion zu treffen.

Sophie stand an der offenen Stalltür und winkte zum Abschied.

"Lebt wohl und passt auf Euch auf! Ich habe Bastillion gesagt, dass Ihr der Enkel der Köchin seid. Lebt wohl!"
 

*****

III.

Hoch oben, weit entfernt und winzig, umgeben von seinen zahlreichen Geschwistern, leuchtete der Polarstern. Heller, als alle anderen Sterne. Die Luft war mild, der zunehmende Mond stand von Wolken unverdeckt am Firmament und sendete sein Licht auf die Erde. Nichts in dieser Nacht war unheimlich oder bedrohlich. Ruhig erstreckte sich die Landschaft ringsum, während Bastillons Viehwagen gemächlich über die Straßen nach Creil zuckelte. Renée zog überschwänglich die Luft ein. Es roch nach Freiheit, Abenteuer und Kuhmist. Sie waren jetzt schon seit Stunden unterwegs und von ihrer Reisegesellschaft waren die Kühe der kommunikativste Teil. Renée lehnte sich genüsslich zurück und stützte die Ellenbogen auf der Hinterlehne ab. Das Tier blies ihr seinen warmen Atem in den Nacken.

"Salut, Madam Kuh, was führt Euch nach Creil?" Bastillion sah sie verständnislos an.

"Mein Junge, das ist ein Bulle und du solltest lieber wieder weiter nach vorn kommen!" Renée drückte ihr Kreuz durch und schob ihren Oberkörper, wie eine gespannte Bogensehne nach vorn. "Vachenoir kommt nach Creil, um verkauft zu werden," brummte er missmutig. "Er ist ein Zuchtbulle, aber was nützt er mir, wenn er sich weigert, meine Kühe zu schwängern. Ganz egal, welche ich ihm vorsetzte und jetzt reicht es!" Wider der Vernunft, lehnte sich Renée zurück und flüsterte: "Ich verstehe dich. Ich würde auch nicht jeden nehmen, den man mir vor die Nase setzt." Vachenoir schnaubte zustimmend.

Endlich kamen vereinzelte Gehöfte vor der Stadt in Sicht und die ersten morgendlichen Reisenden gesellten sich zu ihnen. Bastillion lenkte seinen Wagen in Richtung Stadtmitte. Die einzelnen Hauptstraßen trafen sich sternförmig zum Markt hin. Um den Markt zogen sich öffentliche Gebäude und ausrangierte Paläste. Vom Norden her blickte das alte Rathaus mit seiner hohen Fassade ehrwürdig auf den Mittelpunkt seiner Stadt. Auf der anderen Seite wachte eine große Kirche im gotischen Stil über seine Gemeinde. Mit einem müden Schnalzen brachte Bastillion seinen Wagen zum Stehen. Sein Gesicht zeigte die gleich ununterbrochene Gleichmütigkeit der vergangenen Reisestunden. Er wies nach Westen.

"Dort ist die Postkutschenstation Richtung Paris, mein Junge." Renée folgte seinem wettergegerbten Finger. Eine riesige Menschentraube hatte sich an der Ecke gebildet. Die Wartenden scharrten ungeduldig mit den Füßen. Sie starrte ungläubig auf die Menschenmasse.

"Wollen sie alle die gleiche Kutsche nehmen?" Bastillion zuckte gleichmütig die Schultern. "Anscheint, es kommen soviel mit, wie in die Kutsche hinein passen. Der Rest geht wieder nach Hause. Wenn du auf meinen Rat hören willst, dann laufe lieber!"
 

Gesagt, getan. Renée schulterte ihren Reisesack, dankte Bastillion und schlug den Weg Richtung Paris ein. Nichts schien ihr unmöglich. Bis der Tag sich immer endloser dahin zog, die Straße Meile über Meile nach Paris lang streckten. Renée lief stundenlang. Eintönig stapfte sie im Straßenstaub der Straße und doch lag ihr Ziel noch in weiter Ferne. Die Sonne versank langsam am Horizont, als sie hinter Bäumen Wasser plätschern hörte. Der Bach floss am wilden, noch ungezähmten Ufer vorbei, gluckerte träge durch das Dickicht aus Schilf, hohem Gras und Baumwurzeln. Die einzigen Geräusche in der feuchten Stille bestanden aus leisem Plätschern, wenn neugierige Fische einen Blick in die Welt aus Luft riskierten und dem Zirpen der Grillen. Mücken tanzten im Zickzack über dem Wasser. Renée tauchte glücklich ihre müden Füße ins kühle Nass und schloss die Augen. Das Geräusch eines herannahenden Pferdes ließ sie aufschrecken. Ein junger Mann führte sein Pferd durch das hohe Gras zum Bach. Er tätschelte den schweißnassen Leib seines Reittieres und zügelte ihn, als dieser zu gierig seine schnaubenden Nüstern ins Wasser tauchen wollte.

"Salut." Er drehte sich lächelnd Renée entgegen.

"Salut," begrüßte sie in vorsichtig und suchte in seinen gleichmäßigen Zügen Missgunst und Falschheit. Sie fand keine. Er sah sie mit ruhiger Freundlichkeit an.

"Wisst Ihr, wie weit es bis zu einem Gasthaus ist?" Renée versuchte ihre Stimme möglichst tief klingen zu lassen. Der junge Mann nickte.

"Es ist nicht mehr weit. In Chantilly ist ein Gasthof. Ich möchte auch dorthin. Wenn Ihr wollt, können wir zusammen gehen? Renée erklärte sich einverstanden und schritt wenig später neben dem Unbekannten durch die zunehmende Dämmerung.

"Mein Name ist Athos." Renée nickte und schwieg. "Wollt Ihr mir nicht Euren Namen verraten?" fragte er. Sie schüttelte den Kopf. "Er nutzt sich sonst so schnell ab."

"Verstehe." Athos lächelte weiterhin und ließ es dabei bewenden. Das Gespräch wendete sich unverfänglichen Dingen zu. Gegen ihren Willen war Renée von dem jungen Reiter angetan.
 

Bald näherten sich beide Chantilly und erblickten das Gasthaus in der Ferne. Das Rattern von schweren Rädern und das Hufgetrampel von mehreren Pferden erklang hinter ihnen. In einer Staubwolke kam eine Kutsche über die Straße zum Gasthaus. Immer wieder neigte sie sich ruckartig von einer Seite zur anderen, als die Räder an Baumwurzeln stießen. Vor dem Gasthaus kam das Gespann zum Stehen. Seine Passagiere kletterten aus dem Wageninneren und schwankten ein wenig. Als Erstes schritt ein korpulenter Mann zum Eingang. Seine protzige Kleidung wehte und schwang, Zeltbahnen gleich um seine riesige Taille. Sein Blick glitt über den Pöbel hinweg. Ihm folgte, allen Anschein nach, seine Tochter. Die junge Frau zeichnete sich durch jene Art kalkulierter Schönheit aus, die jeden Morgen nach dem Aufstehen drei Stunden harte Arbeit und die begnadete Hilfe von Zofen erforderte. Wahrscheinlich musste auch ab und zu ein Architekt eingreifen. Das Korsett soll hier nicht unerwähnt bleiben. Wenn sie sich bewegte, hörte man das leise knacken von Fischbeinstäben, die großen Druck standhalten mussten. Renée und Athos grinsten sich in stummen Einverständnis an und betraten ebenfalls das Gasthaus. Graf de Salantay, der Kutschenpassagier schmetterte gerade lautstark seinen Namen dem Wirt entgegen, worauf auch die versteckteste Kellerassel im Kellergewölbe ihn vernahm. Er verlangte zwei Räume für die Nacht und das gesamte Können des Wirtshauskochs zum Abendmahl. Unter der vollen Wucht der Salantay Arroganz sah der Wirt hilfesuchend zu Renée und ihrer Begleitung.

"Gehört ihr zusammen?" Athos verneinte. "Es tut mir sehr leid, aber ich kann Euch nur noch ein freies Zimmer für diese Nacht anbieten." Der Wirt schob in einer Geste des Bedauerns seine leeren Hände nach vorn.

"Wir können uns das Zimmer teilen," wandte Athos ein, bevor Renée etwas erwidern könnte.

"Das geht doch in Ordnung?" Er drehte sich fragend zu ihr um. "Ich möchte heute Abend ungern noch nach einer neuen Übernachtungsmöglichkeit suchen." Unglücklich nickte sie. Die Gesellschaft ließ sich zum Essen nieder. Aus Platzmangel teilten sich alle einen Tisch. Wohl oder übel ließ Graf de Salantay ihre Anwesenheit über sich ergehen. Sein Blick glitt voll Hochmut über Renée' s schlichte Kleidung hinweg und blieb an Athos edlen Gesichtszügen hängen. Er gehörte nicht zu den Leuten, die Gefallen daran finden, Niedergestellten gegenüber unhöflich zu sein. Anders ausgedrückt, er neigte dazu, allen Leuten gegenüber unhöflich zu sein, ungeachtet ihrer Herkunft. Er zog niemanden vor. Bald füllte sich der vordere Schankraum mit Besuchern und laute Stimmen und Gelächter durchdrangen durch das Haus.
 

Die Abendstunden zogen sich dahin und schon bald beschlossen sie, ins Bett zu gehen. Wahrscheinlich trug das kühle Bier seinen Anteil dazu bei. Es war ein ausgezeichnetes Bier. Schon in seiner Gärphase hatte es sich durch vorbildliches Betragen ausgezeichnet. Wenn es weiterhin seinen Weg derart erfrischend in die Kehlen des Durstenden fand, so sagten ihm die Kritiker gute Karrierechancen voraus. Während Athos, Graf de Salanty mit Tochter und Gefolge die obere Etage ansteuerten, machte Renée sich auf die Suche nach dem Wirt. Der Weg zu Fuß war ihr einfach zu mühselig, um nach Paris zu gelangen. Sie hoffte, dass sich im Wirtshaus fahrende Händler aufhielten, die sie mitnehmen könnten. Auf einen seiner Runden zwischen Schankraum und Weinkeller passte sie den Wirt ab und wurde auf einen Händler aus Mercy verwiesen. Beide wurden sich schnell einige, Renée gegen etwas Bezahlung mitzunehmen. In den Morgenstunden wollten sie losfahren. Zufrieden vor sich hin lächelnd stieg sie die wacklige Treppe zur zweite Etage hoch. Das holzwurmzerfressende Geländer knirschte bedrohlich unter ihrer Hand. Zwischen zwei knarrenden Stufen fiel ihr wieder ein, dass in ihrem Bett ein äußerst stattlicher Mann wartete. Ein ungutes Gefühl machte sich in Renée's Magen breit und sie zog Luft laut zwischen den Zähne ein. Obwohl es lächerlich war, bekam sie Schuldgefühlen gegenüber Francois. Während die vergangen Tage von der Trauer um ihren toten Verlobten bestimmt waren, hatte sie in den letzten Stunden kaum an ihn gedacht.

Sie drückte langsam die Klinke hinab und späte in den dunklen Raum. Nichts rührte sich. Das Licht vom Flur beleuchtete spärlich die Möbel. In dem großen Bett, war undeutlich ein zusammengerollter Körper zu sehen. Auf Zehenspitzen schlich Renée zum Bett und ließ lautlos ihren Reisesack auf den Boden gleiten. Vorsichtig setzte sie sich auf die Bettkante, um die Stiefel auszuziehen. Das Bett knirschte. Der Schlafende war erwacht und drehte sich ihr zu. Die Atemzüge wurden schneller und hektischer. Renée sah das Weiß der weit aufgerissenen Augen, dann brachen ohrenbetäubende Schreie los. Schreie so hoch und grell, wie sie nur von einer Frau kommen konnten. Wie erstarrt blieb sie sitzen. Sie rührte sich noch immer nicht, als die Tür aufgerissen wurde und heller Kerzenschein die schreiende Mademoiselle de Salanty beschien. Mit schier unendlichen Luftvorrat im riesigen Brustkorb schrie sie schrill und ohne Atempause, das Bettlacken schutzsuchend an die Brust gepresst. Grobe Hände rissen Renée zurück und zerrten sie auf die Füße. Sie sah in das zornrote Gesicht des Grafen. Hinter ihm war Athos in den Raum getreten und erfasste die Situation. Der Graf schüttelte Renée wie eine Puppe durch und versuchte das Geschrei seiner Tochter zu überbrüllen. Ihre Zähne klapperten auf einander und die Welt drehte sich vor ihren Augen. Der Lärm war ohrenbetäubend.

"Graf, bitte beruhigt Eure Tochter!" Athos ruhige Stimme ging dazwischen. Mit einem letzten mordlustigen Blick übergab der Graf Renée in Athos Hände, dann wendete er sich seiner Tochter zu. Ängstlich sah sie zu ihm auf. Athos sah sie enttäuscht an. Sein Kiefer war kantig und verbissene Strenge sprach aus seinem Gesicht. Beschämt wendete sie ihren Blick ab. Natürlich, die Situtation musste missverstanden werden.

Der Wirt und einige Gäste waren ins Zimmer getreten. Zofe und Diener rannten zu ihren Heerschaften. Es wurde immer voller in dem kleinen Raum. Von den neugierigen Menschen zur Seite gedrückt, lockerte sich Athos Griff. Renée spührte, wie der Druck um ihren Oberarm schwächer wurde. Sie trat dem unerwarteten Athos gegen das Schienbein, griff mit der freien Hand nach ihrem Reisesack und rannte mit gesenktem Kopf durch die Menge. Schlitternd kam sie auf dem Flur zu stehen. Über beide Beine stolpernd rannte sie auf die Treppe zu, verlor das Gleichgewicht und rutschte auf dem Rücken hinunter. Mit letzter Kraft schleppte sie ihren zerschlagenen Körper in die nahe Dunkelheit und lief so lange, wie ihre Füße sie tragen konnten.
 

*****

IV.

Lange saß sie im Schatten der riesigen Birke verborgen. Immer wieder sackte der Kopf müde auf die Brust und die Lider fielen ihr zu, nur um wieder bei dem kleinsten Geräusch hellwach da zu sitzen und alle Sinne anzuspannen. Endlich wich die Dunkelheit dem ersten Morgenlicht. Der Morgennebel tauchte das Land in Grau. Die Stadt schlief noch. Renée erhob sich vorsichtig und schüttelte die steifen Glieder aus. Ihr eingeschlafener Körper begann schmerzhaft zu erwachen. Wachsam schlich sie zum Gasthaus. Alle Fensterläden waren noch verschlossen. Der Hund schlief zusammengerollt in der Ecke und quer über dem Hof lag der letzte nächtliche Besucher des Gasthofes in den Nachwirkungen seines Alkoholrausches. Diesmal kehrte ihr verloren geglaubtes Glück zurück. Der Händler aus Mercy stand alleine auf dem Vorplatz und belud seinen Wagen. Sorgfältig schnürte er sein Gepäck fest und sicherte die Ware auf dem buntbemalten Wagen. Er überprüfte gerade das Zaumzeug seiner Pferde, als Renée aus dem Schatten trat. Er sprach sie an, ohne sich umzudrehen. "Da seid Ihr ja. Ich hatte schon nicht mehr mit Euch gerechnet." Unbehaglich trat sie von einem Bein auf das andere.

"Nun steigt schon ein, bevor Euch jemand sieht!" Er drehte sich um und lächelte. "Deshalb schleicht Ihr doch im Schatten herum? Und das zu Recht, einige Leute da drin sind ziemlich wütend auf Euch." Sein Daumen wies zum Gasthaus. "Junger Mann, Ihr habt Euch eine Menge Ärger eingehandelt."

"Trotzdem wollt ihr mich mitnehmen?" Er zuckte gleichgültig die Achseln.

"Was geht mich fremdes Elend an. Ihr zahlt, ich nehme Euch mit! Wir hatten verabredet -die Hälfte im Voraus?" Renée zählte ihm die Geldstücke ab. "Und nun, klettert endlich auf den Wagen! Ich möchte los. Bis Paris ist es noch ein weiter Weg."

Kaum saß Renée neben ihm auf dem Kutschbock, da fuhr der Wagen auch schon los. Staub wirbelte unter den Rädern auf, als sie auf die Straße bogen.

"Wie heißt Ihr?" Die Hufe der Pferde klapperten gleichmäßig über die festgetretene Erde.

"Ich reise inkognito." Der Händler zog sein Lächeln in den Schatten seines Hutes.

"Verstehe!" Die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich strahlend ihren Weg in die morgendliche Welt.
 

Sie kamen nach Chateau-Thierry. Der Ort war zu klein, um größere Geschäfte zu haben. Als der Wagen über den von hohen Bäumen gesäumten Weg zum Ortseingang fuhr, begrüßten ihn die Kinder. Aufgeregt rannten sie hinter dem Wagen her. Auf dem Platz vor der schlichten Kirche angekommen, zügelte der Händler seine Pferde und pries lautstark seine Ankunft an. Renée zog sich zurück. Abseits beobachtete sie, wie die Bewohner näher strömten und Schmuck, Geschirr, Bücher und Haushaltswaren sich verkauften. Für kurze Zeit schlenderte sie durch das Dorf und genoss es frei und ungezwungen zu sein. Als die Sonne langsam versank, machten sich beide wieder auf den Weg. Die Straße in Richtung Paris lag kaum befahren vor ihnen.

"Wir übernachten in einem Gasthaus in Coulommiers. Meist schlafe ich in meinem Wagen, aber ich kenne den Wirt recht gut und er wird auch Euch einen guten Preis machen." Mit diesen Worten ließ er die Zügel knallen und trieb seine Pferde schneller an. Renée nickte müde. Zwei durchwachte Nächte forderten ihren Tribut. Bald sank ihr Kopf an die breiten Schultern ihres Nachbarn. Das Rattern der Räder drang durch ihr Bewusstsein und vermischte sich mit ihren Träumen. Jean-Lux Ares, seines Erachtens nach -Händler aus Leidenschaft-, sah verwundert auf den blonden Schopf, der an seiner Schulter ruhte. Monsieur Ares war schon weit gereist und hatte eine Menge gesehen und erlebt. Er wurde das Gefühl nicht los, dass mit diesem Jungen irgendetwas nicht stimmte. Endlich waren sie angekommen. Der Mond stand rund und leuchtend am dunklen Himmelszelt. Vor dem Gasthaus "Saint-Michel" wurden sie von dem Wirt begrüßt, welcher großzügig seine Laterne schwenkte. Beide Männer umarmten sich herzlich.

"Mein lieber Jean-Luc, ich habe dich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Kommt herein, kommt herein!" Sie wurden an einen reich gedeckten Tisch gesetzt und Jean-Luc erzählte von seinen Reisen. Die meisten Gäste waren schon zu Bett gegangen und die ersten Einheimischen traten den Heimweg an. Renée saß müde vor ihrem Essen. Sie konnte kaum ihre Augen offen halten. Bevor ihr Kopf in der Suppe versank, verabschiedete sie sich von den beiden Männer. Sie stieg die Treppe hinauf und betrat den dunklen Flur. Hinter den verschlossenen Türen raschelte es vereinzelt und leise Stimmen waren zu hören. Ansonsten war es still in der oberen Etage. Ein einsamer Gast kam ihr entgegen. Müde ließ er die Schultern hängen. Er schlurfte im Halbschatten an ihr vorbei.

"Bon soir."

"Bon soir." Renée blieb benommen stehen und wagte es nicht sich herum zu drehen. Mehrere Herzschläge setzten aus und sie hielt den Atem an.

"Du ... du, Sohn von einem Nagetier, du kleine Scheißhausratte. Ich werde dich aufspießen, zerteilen, deine Gedärme den Wölfen zu Fraß vorwerfen!"

Wenn sie sich umgedreht hätte, dann hätte sie gesehen, dass sich Graf de Salantay' s Nasenflügel wie Nüstern hochzogen und Dampf ausspieen. So aber, nahm sie ihre Beine in die Hand und rannte. Rannte, wie sie noch nie ihn ihrem Leben gerannt war. Am Ende des Flures befand sich noch eine Treppe. Im Sturzflug schlitterte sie die schmale Stiege hinunter und jagte durch den Schankraum. Monsieur Ares wollte gerade den Bierkrug zum Mund führen, als er Renée auf sich zu rennen sah. Graf de Salantay hatte gerade die Mitte der Treppe erreicht und brüllte noch immer zornentbrannt das gesamte Haus zusammen.

"Salute, Moniseur Ares."

"Mein Junge, ich kriege noch die andere Hälfte des Geldes von dir. Die Tür fiel krachend ins Schloss. Monsieur Ares zuckte die Achseln. "Ach, was soll's." Er trank einen kräftigen Schluck.
 

Endlich erreichte sie Paris. Zusammen mit mehreren hundert Menschen stand Renée dicht gedrängt vor dem Porte St. Jacques und wartete, bis der Torwächter sie durch ließ. Männer und Frauen aus ganz Frankreich lachten und redeten, meckerten still vor sich hin, seufzten demonstrativ oder träumten. Bauern in derber Arbeitskleidung harrten neben Bürgern in prunkvoller Kleidung aus, bis sie eingelassen wurden. Es war noch früher Morgen. Langsam erhoben sich die Sonnenstrahlen in den Himmel. Hinter dem Stadttor ragten Hunderte von Schieferndächer empor. Stolz erhoben sich Kirchturmspitzen und Palastdächer in den wolkenlosen Himmel.

In der Rue de la Bûcherie wurde sie von Studenten der medizinischen Fakultät mitgerissen und fand sich unverhofft am Place du Parvis wieder. Vor ihr erhob sich Notre Dame. Die Pariser gingen geschäftig ihren Besorgungen nach. Kinder tobten in den Straßen. Sänften mit hochgestellten Persönlichkeiten oder solche, die sich einbildeten welche zu sein, bahnten sich schaukelnd ihren Weg. Ihre Lakaien kämpften sich brüllend den Weg frei. Hausfrauen beugten sich aus den Fenstern im oberen Stock und tauschten über die Wäsche hinweg Klatsch aus.

Renée überlegte. Sie durfte keine Zeit vergeuden. Ihre finanziellen Mittel schwanden zusehenst und sie musste sich so schnell wie möglich Arbeit besorgen. Eine Stellung als Sekretär eines königlichen Minister erschien ihr durchaus als reizbar. Natürlich konnte sie nicht gleich derart oben in der Karriereleiter anfangen. Ihr fehlte die Berufserfahrung und die nötigen Empfehlungsschreiben. Aber wo fand man Beamte, Minister und ehrgeizige Adlige? Im Louvre, um selbst den König um Geld, Macht, Titel und Pensionen anzubetteln. Morgens durchquerte der König den für die Öffentlichkeit zugänglichen Teil seines Palastes, um zur Morgenmesse nach Notre Dame zu gelangen. Während die Palastwache den Weg für das königliche Paar frei hielten, standen die Bittsteller Spalier. Dutzende Petitionen in schwitzigen Händen strecken sich dem König entgegen. Ab und zu griff er eine, um später zu entscheiden, ob er den Bittsteller begünstigte.

Die Kirchenglocke schlug die 7. Morgenstunde. Es war also noch Zeit genug zum Louvre zu gelangen. Sie würde sehen, was sich dort ergab. An der Seine entlang wanderte sie zur Königsresidenz. Vorsichtig schlängelte sich Renée durch die Menschenmenge, um in den Palast zu gelangen. Wie in einem Bienenstock wisperte und tuschelte es in jeder Ecke. Verarmte Adlige zupften nervös an ihrer letzten guten Kleidung und fügten ihrem Schuldenberg die letzte Schneiderrechnung hinzu. Renée sah sich ratlos um und wusste nicht weiter. Benommen wanderte sie an den Männern und Frauen vorbei. Eine neue Zimmerflut eröffnete sich vor ihr. Mit versteinertem Gesicht und guter Blase standen die Palastwachen neben den riesigen Türflügeln. Vereinzelte Gruppen standen herum und unterhielten sich leise. Renée überlegte noch, ob sie in den großen Saal zurückkehren sollte, als sich eine Gruppe teilte. Graf de Salantay grub sich mit beiden Armen seinen Weg frei ohne die Schmerzschreie seiner Mitmenschen zu beachten. Diesmal hielt er sich nicht mit Beschimpfungen auf. Seine kurzen Beine nahmen Anlauf. Auch Renée nahm ihre Beine in die Hand und lief los. Gehetzt sah sie zurück. Salanty's kleiner plumper Körper nahm an Geschwindigkeit zu. Seine Hand wanderte unter seine Seidenwams und holte eine Schusswaffe hervor. Ängstlich sah Renée auf die Waffe. Mit der Pistole in der Hand verlor der Graf einiges an Lächerlichkeit. Er hob die Waffe und zielte. Eine Gruppe Menschen kam um die Ecke gebogen und steuerte das Ende des vor ihnen liegenden Saals an. Renée sah, dass der Lauf der Waffe auf sie gerichtet war. Graf de Salanty's Hand spannte sich an. Ein Schuss löste sich. Renée prallte in die vor ihre stehende Person und ließ sich zu Boden fallen. Sie hielt sich an Seidenstoff fest und zerrte ihn mit sich.

Menschen fingen an zu schreien und Schritte kamen näher. Die Folgen des Aufpralls fuhren schmerzhaft durch Renée's Körper. Aber ihr Herz schlug noch und sie lebte. Sie fühlte nicht den berennenden Schmerz einer Schussverletzung. Männer in Musketieruniform kamen angelaufen, griffen grob nach ihr und zehrten sie hoch. Benommen sah sie auf die am Boden liegende Gestalt, welche sie umgerissen hatte. Der Arm der Frau war seltsam verdreht. Mehrere Männer und Frauen umringten sie und halfen ihr mit ängstlichen Gesichtern hoch. Die Frau schrie schmerzgepeinigt auf. Haarsträhnen lösten sich aus der braunen Haarkrone. Sie richtete ihre grünen Augen auf Renée. Fassungslos sah sie die Königin an.
 

******

V.

Die schwere Eichentür fiel ins Schloss und sperrte das Licht aus. Finsternis umhüllte sie. Schritte entfernten sich. Irgendwo in der Tiefe der Kerkergewölbe wurde eine Tür geöffnet. Stimmen wurden laut, dann schlug sie wieder zu. Es wurde still, bis auf gedämpftes Stöhnen, dass hinter verschlossenen Türen erklang. Renée's Hände fuhren verzweifelt über das kalte Holz der Tür. Sie drehte sich um. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Zwielicht. An der rechten Wand hing in verrosteten Eisenketten eine Holzpritsche. Stroh stach durch ihre Socken, da die Wächter ihr die Stiefel entwendet hatten. Ein Eisennapf lag zerbeult, besudelt und vergessen in der Ecke. Das Quieken von Ratten war zu hören. An der schimmligen Steinwand entlangtastend, lief sie zur Holzpritsche und legte sich hin. Sie kauerte sich zu einem Häufchen Elend zusammen. Ihre Angst drohte in Panik umzuschlagen. Sie fühlte wie ungebändigte Schreie in ihr hoch krochen. Hilflos biss sie auf ihre Handballen.

Zeit hatte in den Verliesen des Gefängnisses wenig Bedeutung und floss in einem anderen Rhythmus. Wer sich an den Zeitablauf der äußeren Welt klammerte, wurde unweigerlich verrückt.

Waren es Stunden oder Tage, als sich die Kerkertür knarrend öffnete und Wasser mit schimmligen Brot in ihre Zelle geschoben wurde? Waren es Stunden oder Tage, als sich die Kerkertür erneut öffnete und Fackeln ihre Zelle beleuchteten. Wieder waren es Männer in Musketieruniformen, die sie an den Armen hochzogen und durch die dunklen Gänge geleiteten. Jetzt wurde sie ihrem Henker vorgeführt. Sie würde sterben bevor ihr Leben richtig anfing. Die Königin umzustoßen und ihr den Arm zu brechen war ein unverzeihliches Verbrechen. Sie stiegen hohe Steinstufen zum Erdgeschoss hinauf. Jetzt warfen dünne Sonnenstrahlen ihr Licht durch die engen Sichtspalten in der dicken Außenmauer. Sie traten durch das große Tor in den Tag hinaus. Geblendet hielt sich Renée die Hand vor die Augen. Sie wurde zu einer dunklen Kutsche geführt. Die Tür schlug zu und sie fuhren los. Langsam verschwand das Gefängnis aus ihrem Blick.

Auf der Rückseite des Louvre hielten sie. Der Wagenschlag öffnete sich und Renée wurde zum Eingang geleitet. Sie befanden sich in einem Gebäudeteil des Palastes, den die königliche Familie noch nie betreten hatte. Über diesen Teil herrschte die Dienerschaft. Beide Musketiere eskortierten sie durch die schlicht verputzten Gänge und Treppen, bis vor sie einer unscheinbaren Tür hielten. Sie traten durch die Tür in den prunkvolleren Teil des Schlosses. Ein Mann mit strengen Gesichtszügen stand in dem kleinen Empfangssalon.

An den Schläfen durchzogen schon graue Haarsträhnen das schwarze Haar.

"Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten, die Ihr hattet." Renée starrte ihn ungläubig an. Die beiden Musketiere traten in den Schatten und der Mann öffnete die nächste Tür und winkte sie hindurch. Der angrenzende Salon war in blau gehalten und strahlte in vornehmer Pracht.
 

Auf einem Stuhl saß die Königen, umringt von ihren Edeldamen. Ihr Arm lag in einer weißen Schlinge. Sie nickte Renée' s Begleiter zu, dann richtete sich ihr Blick auf sie.

"Verzeiht mir, Eure Majestät! Bitte verzeiht mir, mein Vergehen!" Renée' s Stimme brach. Zu ihrer Verwunderung lächelte die Königin sie wohlwollend an.

"Was soll ich Euch verzeihen, junger Mann? Das Ihr mir den Arm gebrochen habt? Was ist ein gebrochener Arm, verglichen mit meinem Leben?" Renée verstand nicht. Ihr schlotterten die Knie. Auf das Nicken der Königin hin, wurde ihr ein Stuhl hingeschoben.

"Ich werde Euch reich belohnen .... Halt, ich weiß etwas Besseres." Ihre königliche Hoheit hielt inne und wandte sich an Renée' s Begleiter.

"Kapitän de Treville!" Der Kapitän trat vor. "Ich möchte, dass Ihr unseren jungen Helden bei Euren Musketieren aufnehmt!" befahl sie. Renée vergaß zu Atmen. Fassungslos starrte sie die Königin an.

"Aber Eure Majestät ..."

"Kein "Aber", mein junger Freund," unterbrach die Königin sie. "Ich möchte, dass Ihr den Musketieren beitreten! Wie heißt Ihr?"

"Ich möchte den Namen meiner Familie nicht nennen, Eure Majestät! Sie sind mit meinem Fortgehen nicht einverstanden." Die Königin lachte leise.

"Gut! Kapitän de Treville, welchen Namen geben wir unserem neuen Musketier. Wir haben einen Athos, einen Porthos ..."

"Aramis, Eure Majestät?" Sie überlegte, dann nickte sie seinen Vorschlag ab.

"Gebt also Monsieur Aramis eine Entsprechende Ausbildung, Kapitän! Ihr könnt gehen!" Der Kapitän nickte, umfasste Renée' s Arm und schob diese aus dem Zimmer.

Vor der Tür verabschiedete er sich, mit der Weisung, dass sie sich morgen bei ihm zu melden hatte. Dann verschwand er. Renée blieb verwundert stehen und blickte traumversunken die Wand an. Jemand zupfte an ihrem Ärmel. Sie sah in das Gesicht von Graf de Salanty. Der Graf blickte sichtlich nervös zurück. Unbehaglich spielte er mit seinen Händen herum. Er fasste sich wieder. Funken seiner gewohnten Arroganz glommen in seinen Zügen. Er zog sie beiseite und flüsterte

"Wir wissen doch beide, was wirklich passiert ist. Es war Zufall, dass Ihr unsere Königin in dem Moment umgerissen habt, als ein Attentäter auf sie schoss. Ich vergesse Euer unsittliches Verhalten meiner Tochter gegenüber und Ihr erwähnt niemanden gegenüber, dass ich mit einer Schusswaffe in Richtung Königin zielte."

"Habt Ihr denn nicht geschossen, Graf?" Er wurde ärgerlich.

"Natürlich nicht. Der Attentäter ist schon gefasst. Trotzdem halte ich es für besser, wenn Ihr schweigt. Schwört es mir! Vor Gott!"

"Vor Gott und allen Heiligen schwöre ich es Euch, Graf. Vorausgesetzt, Ihr schweigt über mich!" Beide besiegelten ihr Versprechen mit einem Handschlag, dann ließ der Graf sie allein.
 

Renée zog den Gürtel enger. Sie verzog unwillig das Gesicht, als sie an ihre unfreiwillige Fastenkur im Gefängnis zurückdachte. Die vergangenen Tage hatten ihre Spuren hinterlassen. Ihre Haut war blass und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Ihr Körper hatte seine ganz eigene Sammlung an Kratzern und blauen Flecken. Den Gefängniswächtern fehlte einiges an Sanftmut. Sie straffte ihre Schultern und verließ entschlossen die kleine Pension in der Rue de Roland. Mit festen Schritten steuerte sie das Hauptquartier der Musketiere an. Sie meldete sich bei dem Diener an. Zum ersten Mal benutzte sie ihren neuen Namen. Ab jetzt war sie Aramis. Aramis, der Musketier, dass klang nicht schlecht, wenn auch etwas merkwürdig. Sie lächelte. In den Lichtstrahlen, die durchs Fenster schienen tanzte der Staub. Der Diener kam zurück und führte sie zum Büro des Kapitäns. Kapitän de Treville saß hinter seinem Schreibtisch und sah sie streng an. Zwei Musketiere hielten sich mit ihm in seinem Büro auf. Aramis erstarrte, als sie Athos erkannte. Jetzt fiel ihr auch ein, in welchem Zusammenhang sie seinen Namen gehört hatte. Auch Athos erkannte sie. Seine Gesichtszüge verhärteten sich, aber er sagte nichts.

"Kommt näher!" forderte de'Treville sie auf. "Ab heute seid Ihr Musketier. Wir sind für den Schutz des Königshauses verantwortlich. Das heißt, dass alles was Ihr ab jetzt tun und sagen werdet, auf den König zurück fällt. Ein jeder von uns repräsentiert mit seinem Verhalten das Musketierchor. Ich erwarte von meinen Musketieren ein tadelloses Auftreten, auch nach Dienstschluss. Verstanden!" Aramis nickte. D'Teville's Augen verengten sich zu Schlitze.

"Es ist nicht üblich, dass ich Männer aufzunehmen, die kaum den Kinderschuhen entwachsen sind. Ich hätte Euch nicht als Musketier aufgenommen. Ihr seid auf Wunsch der Königin hier, dies sollte Euch klar sein. Wenn Ihr von mir und den Musketieren akzeptiert werden wollt, müsst Ihr Euch bewähren!" Nach einem einfachen Nicken, war Aramis nicht mehr zumute. Sie war wütend. Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu sprechen. Um nach Paris zu gelangen, hatte sie einiges auf sich genommen. Sie knirschte mit den Zähnen. Der Kapitän würde noch anders über sie sprechen, dass schwor sie sich.

Der Kapitän veränderte unmerklich seine Haltung, als er das gefährliche Glitzern in Aramis Augen sah.

"Könnt Ihr mit Waffen umgehen?"

"Mit Schusswaffe und Bogen."

"Was ist mit Eurer Degenführung?" Sie schüttelte den Kopf. Ein paar Degengriffe hatte ihr Francois aus Spaß beigebracht.

"Dies sind Athos und Porthos." D'Treville wies auf die beiden Musketiere. Neben Athos stand ein junger Mann, von imposanter Statur. "Athos und Porthos sind meine besten Musketiere. Ich werde sie Euch zur Seite stellen, damit sie Euch unterrichten. Es war...."

"... der Wunsch der Königin. Ich weiß!" beendete Aramis seinen Satz. Er musste ja nicht gleich mit dem Vorschlaghammer drauf hauen. Athos Gesicht wurde noch kantiger, aber er sagte noch immer nichts. Sie waren entlassen.
 

"Dein Übgang von der Terz zur Septim ist nicht gut. En tieree, nach links oben, dann stößt du mit dem linken Bein ab!" Aramis Degen prallte an Athos Waffe wie Reisig ab. "Nein, so nicht!" Sie wich einige Schritte zurück, trat in den Schatten der riesigen Birke und wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Heb den Arm höher und drehe das Handgelenk nach oben!" Athos ging wieder in Kampfstellung. Sie blieb wo sie war. Er runzelte die Stirn, als sie regungslos stehen blieb.

"Es ist wirklich erstaunlich. Du musst furchtbar wütend sein und bestimmt ist es dir zuwider, mir das Fechten beizubringen, trotzdem sieht man dir nichts davon in deinem Gesicht an," sagte Aramis ruhig.

"Eine Glanzleistung war dein nächtlicher Übergriff auf Mademoiselle de Salanty nicht." Aramis verkniff sich ein Grinsen. Die Vorstellung, dass sie amouröse Absichten gegenüber Mademoiselle de Salanty hegte, war einfach lächerlich. Selbst, wenn sie ein Mann gewesen wäre. Athos sah sie böse an. Anscheint hatte sie ihre Gesichtszüge weniger unter Kontrolle, als er. Ihr Grinsen war wirklich ansatzweise zu sehen. Athos konnte nicht leugnen, dass er trotz des Vorfalls Sympathie für seinen Gegenüber empfand. Er wurde das Gefühl nicht los, dass mit Aramis alles anders schien als es war.

"Wenn wir beide miteinander auskommen wollen, dann solltest du dir angewöhnen, Respekt gegenüber Frauen zu haben." Jetzt hatte Aramis wirkliche Probleme, ihr Grinsen zurückzuhalten.

"Ich werde es mir zu Herzen nehmen!" Athos seufzte.

"Machen wir weiter, du hast noch einiges zu lernen. Wie der Kapitän schon sagte, du musst noch hart arbeiten. Du wirst noch über viele Schwierigkeiten stolpern." Ja, dachte Aramis resigniert und verzog die Nase. Schwierigkeiten, wie ein zu weiter Fenstersims und ein falsches Zimmer. Alles fügte sich zusammen. Sie ging in Kampfstellung.

"En garde ..."

Die Schicksalsgötter haben nun mal einen merkwürdigen Sinn für Humor.

Für das Vaterland

I.

In der hinteren Eckes des riesigen Salons steht ein Stuhl. Klein und verloren wirkend, neben einer riesigen Säule aus rotem Marmor, welche sich lang zur Decke reckt. Der Stuhl, zart und kunstvoll verziert durch filigrane Holzarbeit, gleicht einer Insel in einem tosenden Meer. Ein Meer aus schwarzgekleideten Männern und Frauen. Ihr Stimmengewirr erfüllt den Raum. Es dringt bis in alle Ecken und Spalten. Wie eine hohe Woge ansteigend, dann zu einem leisen Zischen abfallend, monoton und einschläfernd. Ab und zu trägt das Meer eine einzelne schwarze Welle an die Insel. Eine Welle aus tröstenden Worten und einem mitfühlenden Gesicht. Doch die tröstenden Wellen berühren die Insel nicht. Es hat sich zu einem Ort aus gähnender Leere und Trauer gemacht.
 

Doch der Stuhl ist leer. Einst saß hier ein Mädchen, still und kummervoll, ein Bild der Trauer im nachtschwarzen Kleid. Klein, zart und verletzlich wirkend. Kaum einer näherte sich der Trauernden, aus Angst ihren Kummer zu stören, ihre verletzte Seele zu behelligen. Und so fanden die anderen Trauergäste ihre Erfüllung im reichhaltigen Büfett und in oberflächlichen Gesprächen.

Nun ist der Stuhl leer. Seine Besitzerin ist unbemerkt nach draußen geschlichen. Und sie ist nicht klein und zart. Sie ist wütend. Die Trauer sitzt tief, aber der Zorn brodelt und kocht in ihrem Inneren. Sie hat die Hände zu Fäusten geballt, als ob die Wut sich darin bündeln könnte. Abrupt dreht sie sich herum. Ihr Röcke wirbeln auf, wie ein aufgescheuchter Schwarm Tauben. Getrieben von einem inneren Drängen, dass kein Halten mehr kennt, rennt sie die Parkanlage entlang. Der Kies knirscht unter ihren Schuhen, während sie ihre Schritte beschleunigt. Farbenprächtige Blumenrabatte, stumme versteinerte Götter, fontänesprühende Brunnen bleiben ungesehen und ungewürdigt. Weit hat sie es nicht. Schon eröffnet sich der Hügel mit den Familiengräbern. Äonenlang ruhen hier die Angehörige des Geschlechts der de Daniel's.
 

Renée ließ sich nach vorn fallen. Ihre Röcke senkten sich wie Blütenblätter nieder. Sie kniete vor der frischen Grabtafel. Ihre Hände krallten sich in die noch lockere Erde. Die Finger versanken im Erdreich und drückten zu. Sand quoll kalt und feucht durch ihre Finger. Tränen liefen ihr über die Wangen. Tränen der Wut, der Rage und der tiefen Erbitterung. Eine gefährliche Mischung für jemanden mit Renée's Charakterzügen.

"Francois!" Ihr Schrei hallte in den trüben Himmel. Nur das Rauschen des Windes antwortete ihr.

"Warum musstest du mich verlassen?" Ihre Faust schlug aufs Grab. Die Fingerknöchel platzten auf und Blut rann über den Handrücken. Der Schmerz war nichts gegen die Qual in ihrem Herzen.

Renée wischte die Tränen fort, welche ihr die Sicht nahmen. Aus den Augenwinkeln nahm sie ein flüchtige Bewegung am Hügelrand war. Sie versuchte die Gestalt zu erfassen, bevor diese sich zurück ziehen konnte. Wieder kroch die Wut, brodelnd wie Lava durch ihr Adern. Sie hockte sich auf die Fersen. Charles d'Estcount, sie erkannte ihn. Der gedrungene, fettleibige Körperbau war bezeichnend. Und sie wusste auch warum er ihr folgte. D'Estcount hatte schon um sie geworben, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Nach Francois Tod würde er seinen Antrag erneuern. Einen Antrag, den ihr Onkel nicht abschlagen konnte.

"Siehst du, was passiert, weil du mich verlassen hast?" wandte sie sich an das Grab. Die Blumen der Trauernden zerquetschten unter ihren Knien. Der nächste Heiratskandidat lauerte schon im schwammigen Körper von Charles d'Estcount. Ihre Familie würde sie nicht einmal in Ruhe trauern lassen. Hinter ihren geschlossenen Lidern stieg das Bild des unbekannten Mörders auf und Renée schwor sich Rache. Vor Francois und seinen verstummten Ahnen versprach sie, vor einer Heirat zu fliehen und ihren Verlobten zu rächen.

Sie hätte ihren Pakt gerne theatralisch besiegelt, wie die tragische Helden aus Romanen und epischen Versen. Vorzugsweise mit einem generationsbelasteten Dolch und genügend Blut. Aber sie hatte nur die zerquetschten Blütenblätter unter ihren Knien.
 

Renée drückte sich in den Schatten des Nordturms. Sie sah vorsichtig um die Ecke in den zweiten Wirtschaftshof und beobachtet die Waschfrau, während diese mit muskelbepackten Armen die alltägliche Wäsche auswrang. Leise ein altes Kinderlied summend, schwang diese ihr beträchtliches Hinterteil im Takt. Die Röcke wirbelten um ihre Füße. So faszinierend der Schwung der riesigen Hinterbacken auch war, Renée wartete mit zunehmender Verzweiflung auf das Verschwinden der Magd. Die Zeit verrann zu schnell. Sie wurde im Nachmittagssalon erwartet. Mehrere Schritte entfernt hingen in der prallen Sonne, die Sonntagskleider des Stallburschen zum Trocknen. Die Kleidung des Jungen war das Letzte, was sie für ihre Flucht benötigte. Nach dessen Stiefeln suchte die Dienerschaft bereits ratlos und verzweifelt. Heute war es soweit. Wenn sich die Dunkelheit über das Land legte, würde sie als Junge verkleidet fliehen und alles bisherige hinter sich lassen. Endlich entfernte sich die Waschfrau und Renée konnte sich an die Wäsche heranschleichen. Sie tippelte vorsichtig über das Pflaster und schlängelte sich zwischen gestärkten Hemden und flatternden Laken hindurch. Behutsam zupfte sie den Wams und die Hose von der Leine. Unschlüssig stand sie vor der Lücke, welche die verschwundene Kleidungsstücke auf der langen Leine hinterlassen hatten. Das freie Leinenstück lachte sie an. Wenn sie die weißen Leinenlacken weiter auseinander ziehen würde .... panisch zog, zerrte und riss sie an den Tüchern. Schon näherten sich wieder Schritte. Renée verdoppelte ihre Anstrengungen, bis schließlich die ganze Leine nachgab und Mademoiselle d'Herblay unter seiner Last begrub. Die Schritte betraten nun unverkennbar den Hof und verstummten abrupt.

"WELCHER LAUSEBENGEL HAT DIE WÄSCHELEINE HERUNTERGERISSEN?" Mit einem

Besen bewaffnet stürmte Agnés vom Hof und die kleine Mademoiselle kletterte verschämt, aber unentdeckt und unerhört erleichtert aus dem Wäscheberg hervor. Das Klappern ihrer Absatzschuhe hallte als zurückbleibendes Echo über den Hof.
 

Renée begutachtete mit erheblichen Stolz ihr neues Bild. Hatte sich so Shakespear seine Heldinnen vorgestellt, als er diese in Männerkleidung steckte? Gut, die Kleidung war ihr erheblich zu groß und schlotterte um ihren Körper, wie eine Raupe, die sich aus ihrem Kokon schälte. Das Haar war vollkommen schief geschnitten. Nichts des dot trotz, sie war stolz auf sich. Viola und Rosalinde sahen ihr über die Schulter in den Spiegel und sprachen ihr Mut zu. Sie ging probehalber in die Hocke. Männerkleidung war doch erheblich praktischer, als die umständliche Mode der Damenwelt. Der Verband, welcher ihre Brust einschnürte war auch nicht unbequemer, als die einengenden Korsagen ihrer Kleider und deren zahlreiche Unterröcke. Das starke Geschlecht hatte überhaupt keine Ahnung, welche Qualen adlige Frauen jeden Tag auf sich nahmen, um sich gesellschaftsfähig zu präsentieren.

Renée packte ihre letzten Habseligkeiten zusammen, dann schlich sie auf leisen Ledersohlen in den Flur hinaus. Im Schloss war es still. Nur die lauten Herzschläge begleiteten sie. Alle Bewohner hatten sich zur Ruhe begeben. Ratten patrouillierten gelangweilt in den zugigen Kellergewölben. Irgendwo schlug der Wind eine Tür zu. Ohne Zwischenfälle gelangte sie in den Stall. Der warme Geruch nach Tier und Heu schlug ihr entgegen. Das Licht des Mondes zeichnete verschwommene Umrisse der wiehernden Bewohner. Ohne jegliche Gewissensbisse klaute Renée ihrem Onkel das beste Zuchtpferd im Stall. Das war ausgleichende Gerechtigkeit. Langsam führte sie die schneeweiße Stute über das Pflaster des Hofes. Als der Sand unter ihren Füßen die Geräusche verschluckte, saß sie auf und ritt ihrem Abenteuer entgegen.
 

*****

II.

Die Sonne wanderte über den Himmel. Ihre Strahlen hatten den Tag über gnadenlos auf die einsame Reiterin gestrahlt. Die Straße vor Renée bog und wand sich durch die Landschaft. Die Hitze des Tages hatte sie zu ockerfarbenen Staub ausgetrocknet, der sich in der menschlichen Kehle besonders wohl zu fühlen schien. Der letzte Wassertropfen löste sich vom Flaschenrand und viel langsam zu Boden. Somit waren ihre Wasservorräte aufgebraucht. Auch in Sachen Esswaren sah es nicht besser aus. Sie hatte schon seit längerem Vorräte gehortet. Nun schimmelte ihr der größte Teil unter den Fingern weg. Wenn der Magen knurrte, dann halfen auch keine neuen Erkenntnisse, dass Leberpasteten sich nicht lange hielten. Das Schlucken fiel der ausgedorrten Kehle schwer.

Endlich kam in der Ferne ein Gasthof in Sicht. Renée war weit genug von ihrem Heimatort entfernt, um eine Rast zu riskieren und so hieb sie dem Pferd die Fersen in die Flanken.

Der Vorplatz war erfüllt mit Menschen und Tieren. Im Gasthaus herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Gekonnt und ohne Unterlass balancierten die Schankdirnen Getränke und Speisen durch die Mengen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Vorsichtig drückte sich Renée an der Wand entlang. Als gut behüteter adliger Sprössling kannte sie Gasthäuser nur aus Erzählungen. Ängstlich und aufgeregt sah sie sich um, der Echtheit ihrer Verkleidung gar nicht mehr so sicher. Eine Hand legte sich schwer auf ihre Schultern und schob sie herum.

"Na, mein Junge, findest du keinen Platz? Komm mit!" Die Stimme gehörte einem Mann mittleren Alters. Der Körperbau war stämmig ohne dick zu wirken. Dichtes braunes Haar bedeckte fast das gesamte Gesicht. Nur wenige Platz blieb für Nase und Augen. Der Mann schob den vermeintlichen Jungen durch die Menge. Seine Hand lag fest auf ihrer Schulter und duldete kein Entkommen. Im hinteren Teil der Wirtsstube fanden sie Platz.

"Bei dieser Hitze braucht man etwas anständiges zu Trinken. Komm, ich lad dich ein! Mein Name ist José. José Guillaume." Die Schankmagd stellte im vorbeigehen zwei Becher auf den Tisch. Der braune Inhalt schwappte über den Becherrand. Misstrauisch beäugte Renée erst den Becher, dann den Unbekannten.

"Warum wollt Ihr mich einladen?" José's Lächeln wurde breiter.

"Warum nicht? Nur runter mein Junge. Das ist ein Getränk, für richtige Männer. Du bist doch ein richtiger Mann?" Wollte sie unter diesen Umständen ein richtiger Mann sein? Renée nickte unsicher.

Sein Lächeln erreichte die dritte Steigerungsform. Die Hand vollführte die Trinkbewegung eins imaginären Bechers. Den Atem anhaltend führte Renée den Becher zu den Lippen und kippte den zähflüssigen Inhalt in die Kehle. Wie Säure fraß sich der Alkohol brennend die Speiseröhre herunter und endete als heiße Lava im Magen. Sie hustete qualvoll und spie einen Teil wieder aus.

"Ist das ... ist das Rum?"

"Aber natürlich und was für einer." Sein Lachen dröhnte durch den Schrankraum. "Du hast da übrigens ein prächtiges Pferd ..." fuhr er im Plauderton fort. Flüchtig nahm Renée war, dass sie sich fragte, warum ein fremder Mann sie einlud und was ihr Pferd damit zu tun hatte, dann erreichte der Alkohol das Gehirn und sie vergaß, was überhaupt ein Pferd war. Der Schankraum drehte sich, ihr Ellenbogen rutschte von der Tischkante.

"Schon betrunken? Viel bist du nicht gewöhnt, mein Junge." Renée lachte. José lachte. Alle lachten, die Welt wurde zum Variete.
 

Renée öffnete mühsam ein Auge. Nachdem sie sich vergewisserte, dass sie noch lebte, öffnete sie das Zweite. Die Sonne kroch langsam am Horizont empor. Vögel glitten durch den Dunst. Renée stöhnte. Warum ging die Sonne nur so laut auf? Warum musste sie so laut atmen? Das Gras wuchs entschieden zu laut. Ihre Zunge fühlte sich an wie etwas, was man bei einer Verstopfung im Abflussrohr vermutete ... mit Haaren drauf. Sie schloss gequält die Augen. Es war ihr vollkommen egal, dass sie mitten auf dem Vorplatz des Gasthofes im Straßenstaub lag. Schmerz durchzuckte ihren Körper als jemand, nicht unbedingt sanft, sie mit seiner Stiefelspitze anstieß.

"Kleiner, lebst du noch? Komm ausschlafen!" Dem "Kleinen" wäre es entschieden lieber gewesen "nicht zu leben". Renée öffnete wieder die Augen und starrte in José's bärtiges Gesicht.

"Ihr habt mich nicht ausgeraubt und umgebracht?" José lachte erschreckend laut.

"Warum sollte ich das tun? Wir brauchen dich noch."

"Wer braucht mich?" Es waren noch entschieden zu viele Alkoholrückstände in ihrem Gehirn.

"Die Armee." Schwungvoll entrollte José ein Dokument. "Mit dieser Unterschrift hast du dich als Rekrut in Oberst Mortain's Einheit verpflichtet." Die Urkunde leuchtete verheißungsvoll im Sonnenlicht des jungen Morgens.

"Hey, Kleiner, mach den Mund zu! Du siehst aus, wie ein Idiot."
 

*****

III.

Elegant trabte die weiße Stute die Straße entlang. Leichtfüßig berührten ihr Hufe den Boden. Seine Reiterin litt indessen Höllenqualen und war weit davon entfernt elegant zu wirken. Renée hing vorne übergebeugt am langen Hals der Stute und stöhnte fortwährend. Wenn es ihrem Magen wieder in den Sinn kam sich entleeren zu müssen, so hing sie in der richtigen Richtung. José stimmte sein verhasstes Posaunenlachen an. Sein Brustkorb vibrierte.

"Kopf hoch, Kleiner. Du wirst deinen Kater überleben. Irgendwann schüttest du dir Rum literweise hinter."

"Warum ich?" jammerte Renée.

"Weißt du, um ehrlich zu sein ... es war dein Pferd. Nimm es mir nicht übel, Kleiner, aber du gibst eine jämmerliche Figur ab, aber deine Stute..." José pfiff anerkennend. "Die Armee braucht anständige Pferde. Die Meisten, die wir haben sind Ackergaule, die bei dem kleinsten Getümmel durchbrechen."

"Warum ich? Warum ich? Ihr versteht das nicht. Ich gehöre nicht in die Armee. Nicht ich! Ihr habt mich betrunken gemacht!"

"Das ist die allgemeine Vorgehensweise, um zu rekrutieren. Du bist nicht der Erste und nicht der Letzte, der so bei der Armee landete." Sein Lachen dröhnte die Straße entlang.
 

Der Platz war überfüllt mit Zelten. Wo das Auge hin sah, standen Zelte. Dazwischen wimmelte es von Menschen. Soldaten, Offizieren, Zivilisten, Beamte, Gemeine, Trosshuren, Knechte erfüllten jeden Fleck mit Leben. Mit jedem Schritt, den Renée tat, verstärkte sich das Gefühl nicht hierher zu gehören. Ihr Begleiter führte sie zielstrebig durch den Zeltwald und stellte sie bei einer Gruppe junger Männer ab. Die meisten waren Bauernsöhne. Mit betrübten Gesichtsausdrucken in der Hügellandschaft ihrer pickelübersäten Gesichter, standen sie orientierungslos herum. Ohne Ausnahme kämpften alle mit den Nachwirkungen der Alkoholrekrutierung. Vor einem großen Versorgungszelt hatten an einem Tisch mehrere Vertreter des Militärs Aufstellung genommen. José schupste sie in die entsprechende Richtung. Ein Offizier nahm das Dokument mit Renée' s Unterschrift entgegen.

"Wie lautet der Name des Jungen? Diese Unterschrift ist nicht zu entziffern."

"Ren DeHeb, Sir," antwortet José, bevor sie das Wort ergreifen konnte. Völlig irritiert vernahm Renée ihren neuen Namen. Es dämmerte ihr, dass sie versucht hatte, im volltrunkenen Zustand ihren Namen zu nennen. Ren DeHeb war das Ergebnis ihrer trunkenschweren Zunge.

"Wenigsten kann er schreiben. DeHeb, ab in die Reihe mit dir! So, dass war der Letzte. STILLGESTANDEN!" Der Offizier war vor dem ungeordneten Haufen Neurekruten getreten. Die Beine fest in den Boden gestemmt, die Brust durchgedrückt, die Arme im Rücken verschränkt.

"Meine Damen ....Willkommen bei der Armee. Ich bin Oberst Mortain und ab heute bestimme ich über jede verdammte Minute eures nutzlosen Lebens. In den nächsten Monaten werden wir MÄNNER aus Euch machen. Jetzt ist es vorbei mit Mamas Rockzipfel.

DRÜCKT EURE HÜHNERBRUST GEFÄLLIGST DURCH ... Ich will ganz offen reden. Wenn ich Euch so ansehe, dann weiß ich, dass der größte Teil als Kanonenfutter enden wird, ABER, aus manch einem werden wir einen anständigen Soldaten machen. Noch jemand Fragen?" Neurekrut erste Reihe, Nummer 4 verdrehte die Augen und spie sein Mittagessen vor die Füße des Oberst. Der freie Platz um ihn vergrößerte sich merklich. Zwei Soldaten traten aus dem Nichts, fasste jeweils einen Arm des Unglücklichen und schliffen ihn wortlos vom Platz.

"Sonst noch Fragen? ... Nein? Ihr nehmt jetzt Eure Uniform in Empfang und findet Euch zum Essen auf den großen Platz ein. Morgen, sobald sich der erste Sonnenstrahl zeigt, steht ihr zum Appell wieder hier. WEGTRETEN! ...DU," er zeigte auf Renée, "verpass dir gefälligst einen anständigen Haarschnitt! War der Barbier betrunken? LOS MARSCH!"
 

Renée lag auf ihrem Feldbett und blickte in den funkelnden Sternenhimmel. Der Boden war hart und ungewohnt. Alle Knochen schmerzten. Sie fühlte sich klein und verloren, wie eins der unzähligen Sterne am Nachthimmel. Neben ihr schnarchten ihre Kameraden herzzerreißend. War dies hier, dass was sie wollte? Ganz sicher nicht! Was hatte sie gewollt? Vor gerade mal 48 Stunden war sie noch ein wohlerzogenes Mädchen adliger Herkunft. Jetzt war sie Soldat. Wie sollte sie hier ihre Verkleidung aufrecht erhalten? Wie die Anforderungen bestehen? Mit Angst im Herzen schlief sie ein und mit Angst in der eingeschnürten Brust wachte sie nach einer unruhigen Nacht wieder auf. Schlagartig erwachte das Lager zum Leben. Verschlafen liefen Männer und Frauen durch das Lager. Im Käfig schrie eine Trosshure, die wegen unsittlichem Verhalten die Nacht über dort eingesperrt war. Renée und ihre Kameraden stolperten zum Appell.

"HABEN DIE DAMEN GUT GESCHLAFEN?" Jedes Mal, wenn der Oberst Frauen in seine Rede einbezog, zuckte Renée zusammen. Auch im nüchternen Zustand hallte sein Gebrüll ohrenbetäubend durch das Gehör seiner Rekruten.

"Bevor wir mit Eurer Ausbildung beginnen, möchte ich, dass ihre Eure Augen scharf nach links dreht! LINKS SAGTE ICH! Die bedauernswerten Gestalten, die dort hängen und wie abgeschlachtete Schweine bluten, sind Deserteure. DIES blüht jedem, der beschließt uns zu verlassen!" Die Deserteure waren zwischen zwei stämmigen Balken gespannt. Kraftlos hingen sie in den Seilen, welche ihre Arme hochzogen. Ihr Rücken waren blutverkrustet. Die zehnschwänzige Katze hatte tiefe Spuren hinterlassen, deren Narben immer sichtbar bleiben würden. Der Kloß saß fest im Hals der jungen Rekruten, als diese sich wieder dem Befehltshaber entgegen drehten.

"Die Degen ziehen und dem Oberst salutieren!" Steif salutierte der Feldwebel dem Befehlshaber, nach anfänglichen Schwierigkeiten folgte der Rest der Soldaten.

"Den Degen wegstecken!" brüllte der Feldwebel.

"Junge, ich sagte, du sollst den Degen wegstecken!" Diese Aufforderung ging in Renée's Richtung, welche mit der langen Stahlklinke und der kleinen Öffnung kämpfte.

"STECK ENDLICH DEN DEGEN WEG, JUNGE!" Feucht versprühte der Oberst seine Aufforderung.

"DAS VERSUCHE ICH JA!"

"HAT ER MICH EBEN ANGEBRÜLLT? HAT ER GERADE GEWAGT DIE STIMME GEGEN MICH ZU ERHEBEN?" Der Feldwebel war sich nicht sicher, wie er diese Frage beantworten sollte.

"DU KLEINER HOSENSCHEIßER, ICH HÄNGE DICH AN DEINEN ZEHNÄGELN AUF, ICH ..."

Ängstlich starrte Renée auf die dunkelblaue Ader, die dick pulsierend am Hals des Oberst pochte. Das Gesicht des Offiziers war dunkelrot angelaufen. Seine Augen quollen aus den Höhlen.

"Oberst, Oberst." Der Feldwebel wagte seinen aufgebrachten Vorgesetzten beiseite zu ziehen.

"Ihr könnt ihn nicht an den Zehnägeln aufhängen!"

"Kann ich nicht?"

"Nein, denkt an das Pferd! Wir brauchen das Pferd."

"Das Pferd?"

"Reinrassig, erstklassig trainiert. Die weiße Stute."

"Dann peitsche ich ihn aus!"

"Mhm."

"Was mhm? WARUM KANN ICH IHN NICHT AUSPEITSCHEN?"

"Das ist keine gute Idee, Sir. Seht ihn Euch an! Er scheint besserer Herkunft zu sein, als dieser Haufen um ihn herum. Das gibt nur Ärger. .... Außerdem sieht er eher so aus, als würde ihn ein Peitschenhieb zerbrechen. Wir suchen uns jemand anderes zum Auspeitschen." Der Feldwebel klopfte ihm tröstend auf den Rücken.
 

Die Tage vergingen. Die Sonne brachte ihre Wanderungen am Himmel ordnungsgemäß hinter sich. Die Evolution ging voran. Oberst Mortain benutzte seine Energie zur Ausformung seines Kanonenfutters und zum Auspeitschen fand sich immer ein Unglückseliger. Der Mond nahm zu. Der Mond nahm ab und die schneeweiße Stute gedieh unter den wohlwollenden Augen des Militärs. Auch seiner Herrin ging es besser, ohne dass diese es bemerkte. Nach anfänglichen Überwindungen und Zähnezusammenbeißen, fügte Renée sich in den Armeealltag ein. In der Masse der Soldaten und Zivilisten konnte sie ihre Verkleidung mühelos aufrecht erhalten. Was an Hygienemaßnahmen von Nöten war, erledigte sie im Stall, hinter ihrer Stute versteckt. Näherte sich jemand, wieherte diese zur Warnung. Sie gab keinen wesentlich schlechteren Soldaten ab, als ihre Mitrekruten. Muskelkraft glich sie mit Dickschädel und Geschicklichkeit aus. Alles in allem waren sie Rekruten, die ihren Ausbildern die Haare büschelweise ergrauen ließen. Zwangsrekrutierte Bauernsöhne und eine verirrte Adlige gaben eine seltsame Mischung ab, die wenig zum Ruhm der französischen Armee dazutrug.
 

"DeHeb, wie oft soll ich dir das noch erklären? Beim Fechten gebraucht man die Spitze, man fuchtelt nicht mit der Klinge herum wie mit einem verdammt Krummsäbel! Sonst gelange ich sofort unter deine Deckung. So wie jetzt!" Renée nahm Abstand von Feldwebel Claude Roussilon's Degenspitze.

"Zeitverschwendung!"

"Zeitverschwendung?" Roussilon schloss die Augen, sandte ein Stoßgebet um mehr Geduld nach oben und öffnete sie wieder. "Stell dir vor, ein verdammter Spanier rennt dir mit erhobenem Schwert entgegen. Was tust du dann?"

"Ihn erschießen!" Roussilon wünschte sich noch mehr Geduld.

Wenig später an diesen Tag besprachen Oberst Mortain und Feldwebel Roussilon das Vorankommen der Rekruten.

"Was ist mit Sousson?"

"Kraft hat er, aber er setzt sie sinnlos ein. Intelligenz können wir ihm nicht beibringen."

Mortain vermerkte gedanklich Soldat Sousson als potenzielles Kanonenfutter.

"DeHeb? Der Junge sieht immer noch aus, als könnte ihn der nächste Pferdefurz vom Platz fegen."

Der Feldwebel seufzte. "Er besitzt kaum die Kraft, Angriffen mit seinem Degen zu parieren. Aber er versucht die mangelnde Kraft mit Schnelligkeit auszugleichen. Allerdings würde er lieber alle über den Haufen schießen. Womit er gar nicht zu unrecht liegt, denn schießen kann er wirklich. Er hat ein unglaublich gutes und sicheres Auge. Hinzu kommen gute Bewegungen beim Reiten."

"Verliebt Euch nicht in ihn, Feldwebel!" Oberst Mortain hob spöttisch eine Augenbraue. Roussilon wieherte empört.

"Ich denke nur, dass sich der Aufwand einer guten Ausbildung bei ihm bezahlt macht. Er besitzt mehr Verstand, als der ganze Haufen Bauerntölpel zusammen. Sein Wissen und seine Umgangsformen bestätigen meine Vermutung, dass er adliger Herkunft ist." Pascale Mortain, Abkömmling eines Buchbinders, schnaubte verächtlich.

"Er bleibt merkwürdig. Und Schnelligkeit hin oder her, er ist zu weich." Und er ist und bleibt Kanonenfutter, fügte er in Gedanken hinzu. "Betuttelt Ihn nur ruhig weiter! Wir werden sehen was passiert, wenn es ernst wird und wir ins Gefecht ziehen. Wegtreten!"
 

Der Regen prasselte unaufhörlich und monoton auf das Zeltdach. Der Boden des Lagers hatte sich in Schlamm verwandelt. Die Stiefel der Soldaten quietschten bei jedem Schritt, wenn sich die Sohlen aus der Pampe lösten.

"Also rücken wir wirklich bald aus?"

"Wohin?"

"Wann genau?" Erwartungsvoll sahen die drei Rekruten Renée an. Das Zeltdach bog sich beängstigend unter den Wassermassen. Die Informationskette innerhalb der Armee zerfloss in Bruchstücke, bevor sie die gemeinen Soldaten erreichte.

"In die Nähe von Freiburg, nach Elsaß. Wann genau wir losziehen weiß ich nicht. Ich habe nur den Plan mit der Route des Versorgungstrupps lesen können. Dann kam der Feldwebel." Respekt leuchtete Renée aus den groben Bauerngesichtern entgegen. Lesen und Schreiben konnte kaum einer von ihnen.

"Wird auch Zeit, dass wir dahin kommen, wo die Schlachten toben. Wir sind jetzt schon über ein halbes Jahr hier. Ich will kämpfen." Claude schlug die Faust in die hohle Handfläche. Sein Sitznachbar, ein schlaksiger Junge mit überlangen Gliedmaßen hob ängstlich das Gesicht. Jean-Paul war gerade 20 geworden und bangte, bei dem Gedanken an eine bevorstehende Schlacht, um ein weiteres Lebensjahr.

"Sei froh, dass wir noch nicht kämpfen mussten," warf Renée hitzig ein. Claude's Prahlerei reizte sie maßlos. "Wir sind alle unfreiwillig hier. Keiner von uns ist fürs Kämpfen geeignet!"

"Daran ist nur der Rum schuld," nuschelte Jean-Paul. Renée' s Zeltgenosse Fabienne nickte erbost. Er sehnte sich nach den Feldern und Wiesen seines Heimatdorfes. Claude lachte dreckig in das Plätschern der Regentropfen.

"DeHeb, ich hab gehört, dass bei dir nur der Geruch von Rum reichte. Einmal gerochen und schon warst du stockbesoffen." Renèe's Faust krachte grimmig auf seine Nase. Das hilflose Mädchen, welche vor Monaten von zu Hause floh und ins Nirgendwo auszog, gab es nicht mehr.

Ihre Vermutung bestätigte sich. Wenige Tage später nahmen die Rekruten, jetzt als Gemeine in den Dienst gehoben, vor ihrem Oberst Aufstellung.

"So, Messieurs, es geht los!" brüllte er ihnen grimmig entgegen. "Da wir Spanien den Krieg erklärt haben, um den verdammten Habsburgern in den Arsch zu treten und Kaiser Ferdinand beschlossen hat, in deren Arsch ZU KRIECHEN, ziehen wir nach Freiburg, um in dessen Arsch zu treten. Besser gesagt in General Mercy's Arsch. SACHEN PACKEN UND WEGTRETEN!"

Am nächsten Tag rollten Wagenkolonnen über Wagenkolonnen in Richtung Elsaß. Soldaten stampften in geordneten Reihen von Le Mans über Orléans nach Sanit-Dizier. Bei Nancy stieß ihre 500 Mann große Einheit auf das Regiment von Obrist de Martinez's. Eile war geboten, denn dieser sollte mit seinem Regiment so schnell wie möglich als Verstärkung ins Elsaß nachrücken, um sich mit dem Heer von Henri de la Tour d'Àuvergne Vicomt de Turenne zu verbinden. Henri de la Tour d'Àuvergne Vicomt de Turenne galt als bedeuternster französischer Heerführer. Es war eine Ehre unter seiner Führung kämpfen zu dürfen und so beschleunigten die Kommandanten das Vorankommen ihrer Truppen, um ihm zu Hilfe zu eilen.
 

Nach mehreren Wochen gelangten sie nach Freiburg. Die Kirchtürme der Stadt erhoben sich in der Ferne. Mit Renée marschierten fast 2.000 französische Soldaten. Ob gesund oder krank, jeder musste mit der Geschwindigkeit des Zuges mithalten. Soldaten, Offiziere, 25.000 Kühe und Ochsen, Munitions- und Versorgungswagen, Zugpferde, Kriegspferde, Frauen und Kinder, sie alle bewegten sich einem riesigen Tausendfüßler gleich in Richtung Schlachtfeld. Den Rauchsäulen am Horizont entgegen. Doch nichts waren die Neuankömmlinge gegen die Regimenter, welche um Freiburg lagerten. Den französischen Truppen standen die feindlichen Regimenter des bayrisch-kaiserlichen Heeres, unter General Mercy's Führung gegenüber. Dazwischen erstreckte sich das Schlachtfeld. Das Donnern der Kanonen hallte ohne Unterlass. Die Artillerie leitete das Feuer ein. Dichter Nebel stieg vom Boden auf. Infanterie stürmte auf Infanterie, die Pikeniere erhoben, die Musketen geladen und von der Kavallerie gedeckt. Fahnen, Feldzeichen und Standarte gaben die jeweiligen Truppenteile zu erkennen

Wieder feuerte die Artillerie. Schaulustige hatten sich auf den Hängen eingefunden und beobachteten die Schlacht im Tal. Tausende Füße hatten das Gras rings herum fest in den Boden gestampft.

"42. EINHEIT, ZELTLAGER AUFBAUEN!" Oberst Mortain's Befehle gingen fast gänzlich im allgemeinen Lärm unter.

Als am nächsten Morgen der Tau noch frisch die Erde bedecke, war es für Renée und ihre Kameraden soweit. Nebel bedeckte den Boden. Nervös scharten die Soldaten mit den Füßen. Sie nahmen stramme Haltung an, als sich der Befehlshaber näherte. Oberst Mortain's Gesichtsausdruck war voll grimmiger Freude. Für den Kampf war er geboren.

"Soldaten, wir werden das 3. Regiment in der linken Infanterie verstärken!"

Salutiert dem Oberst!" brüllte Feldwebel Roussilon. Musketen knallten zackig an Brustkörbe.

"An den Schlachtfeldrand und in Gevierthaufen Aufstellung nehmen! Soldat DeHeb, rauf auf deinen Gaul und decke die Flanke! MARSCH!"
 

Renee schob die Füße in die Steigbügel und rutschte unruhig vor Nervosität im Sattel hin und her. Mit zittrigen Händen lud sie ihre Pistole. Neben ihr standen ihre Kameraden, die Gesichtszüge vor Anstrengung ganz kantig geworden. Angespannte Stille legte sich über das Schlachtfeld. Irgendwo leierte monoton ein Priester seinen Segen herunter. Brustharnische knirschten, Pferde wieherten, Stahl klirrte. Dann ertönten die ersten Befehle und das Hämmern zahlreicher Trommeln läutete die Schlacht ein. Artilleriefeuer knallte. Brüllend rückte die Infanterie vor. Sie schossen, rückten vor, hoben ihre Piken und rammten sie in die Leiber der feindlichen Soldaten, luden nach und rückten weiter vor, schossen wieder. Ihre Schlachtruf wurde lauter. So hörten sie nicht, wie sich der Stahl in weiches Fleisch grub und Menschen in Todesqualen schrieen.

Die Schreie und das Grauen ringsherum gruben sich in Renée's Gedächtnis, um in zahllosen Nächten als Erinnerung wiederzukehren. Neben ihr starb einer ihrer Kameraden. Eingeweide quillten aus seiner geöffneten Bauchdecke. Der Feind näherte sich. Sie schoss und traf wieder und wieder, bis das Pulver verbraucht war. Die Waffe lag warm in ihrer behandschuhten Hand. Ein feindlicher Säbel schoss ihr entgegen. Geübt wich sie aus. Ihr Schwert zückte vor und fand sein verletzliches Ziel. Mit dem letzten Herzschlag des Mannes starb der verbliebene Rest von Renée d'Herblay in ihrem Inneren. Der nächste Feind rückte von zwei Seiten vor. Sie wich aus, parierte und stach zu.

Einzelne Sonnenstrahlen fanden ihren Weg ins Schlachtgetümmel. Übung und viel Glück ließen sie Feind für Feind übeleben. Die Zeit dehnte sich endlos. Sekunden wurden zu Minuten. Minuten waren wie Stunden. Für kurze Zeit lichtete sich der Wald aus feindlichen Soldaten, um sie herum. Sie lud ihre Pistole und wischte sich Schmutz und Staub aus ihrem Gesicht. Der blutbesudelte Ärmel hinterließ rotgraue Spuren auf ihrer Stirn. Ihr Blick fiel auf Oberst Mortain. Er kämpfte zu Fuß und scheinbar ausweglos. Sein Pferd lag tot neben ihm. Abgeschnitten von der restlichen Truppe, mit zwei Gefreiten an seiner Seite, kämpfte er verbissen gegen die feindliche Übermacht. Spuren von Ermüdung und Erschöpfung zogen sich durch sein Gesicht. Noch schlug er den Gegner kraftvoll zurück. Renée gab ihrem Pferd die Sporen und sprengte durch die feindlichen Linien, zu ihrem Befehlshaber. Einen Soldaten ritt sie nieder, zwei fällte sich mit dem Schwung ihrer Klinge. Sie schob sich als Deckung vor Oberst Mortain's ungedecktem Rücken. Der nächste Gegner kam auf sie zu. Sie parierte dessen Angriff und stach in von ihrer erhöhten Position aus nieder. Kanonenkugel schlugen unweit von ihr auf. Der Boden bebte.

"DIE FEINDLICHE ARTILLERIE IST WEITER VORGERÜCKT! RÜCKZUG!" Rückwärts bewegte sich das Regiment aus der Gefahrenzone. Wieder schlugen Kanonenkugeln vernichtend in den Boden. Renée versuchte ihre Stute zu wenden, um zur Truppe aufzuschließen. Die Erde bebte erneute, es krachte und donnerte. Splitter und Feuerfunken flogen auf sie zu. Die unvorstellbare Kraft der einschlagenden Kugel riss sie von ihrem Pferd. Qualvoll wiehernd ging ihre Stute zu Boden. Renée schlug hart auf. Der ohrenbetäubende Knall klirrte in ihrem Schädel. Schmerzen durchzuckte ihrem Körper, dann wurde die Welt gnädig schwarz.
 

Sie wachte auf von Schmerzen. Schmerzen, wie Folterqualen. Folterqualen, die ihren Körper marterten, bis der Geist unfähig war an etwas anderes als an Schmerzen zu denken. Sie schrie und wimmerte ohne Laut. Stimmen drangen durch den Rand ihres von Qualen zerfranstem Bewusstseins.

"Ich sage, wir amputieren unterhalb des Knies!"

"Ihr sein ein verdammter Schlächter. Wenn wir die Splitter herausziehen, kann er das Bein noch gebrauchen. Ihr macht ihm zum Krüppel."

"IHR NENNT MICH EINEN SCHLÄCHTER? VERDAMMT, ICH RETTE HIER LEBEN. Das Bein kommt ab, bevor er aufwacht! Sauber und Schnell! Wollt Ihr ihn der Wundbrandgefahr aussetzen?"

"Ich sage, wir ziehen die Splitter raus!"

"AMPUTIEREN!"

Renée wurde bewusst, dass die Qualen von ihrem Bein ausgingen. Sie richtete sich mühsam auf den Ellenbogen auf. Ihre Hose war bis zum Knie aufgeschnitten. Die Blutzufuhr war oberhalb abgebunden worden, während das rechte Unterbein in Blut praktisch ertränkte. Mehrere fingergroße Holzsplitter ragten kreuz und quer aus dem Fleisch. Die Haut war, Krater gleich aufgeplatzt und an den Rändern zerfranst. Weiß schimmerte durch das rote Schlachtfeld? War das etwas der Knoch .... Renée's Lider flatterten, sie verdrehte die Augen und sackte zurück.

Als sie erneut zu sich kam, war die Welt finster und Qualvoll. Krallen, Spitzen, Zacken, Feuer wühlten in ihrem Fleisch, gruben ihre Knochen aus. Sie wand sich, wie in Krämpfen und mit unvorstellbarer Kraft. Ein Fausthieb krachte, wie eine Eisenfaust an ihre Schläfen und hüllte sie wieder in Dunkelheit.

Dr. Daniel Piquet war, wenn man es genau nahm, kein richtiger Arzt. Keiner mit einem Universitätsabschluss, aber was die Erfahrung betraf, so konnte er es mit jedem Absolvent aufnehmen. Er hatte sein Handwerk von seinem Vater erlernt, so wie dessen Vater ihn anlernte. Die vielen Jahre als Armeearzt hatten ihn eins gelehrt. Dem menschlichen Geist war nur eine bestimmte Spanne an Schmerzen zumutbar. Überschritt man diese, starb der Patient an den Folgen des Schocks. In einer Zeit, wo die Erfindung des Narkosemittels noch weit in ferner Zukunft lag, war Schnelligkeit die einzige Hilfe. Körperteil ab, bevor der Patient zu sehr litt oder gar starb. Er rühmte sich ein Bein unter einer Minute amputieren zu können. Wen interessierte es da, dass sein Assistent zwei Finger ließ. Dr. Jean-Luc Bataille war hingegen ein Absolvent der Universität von Paris und bevorzugte subtilere Methoden bei Operationen. Zudem war er ein Verfechter der Entwicklung, nicht der weitergegebenen Tradition. Grundsätzlich unterschied sich seine Meinung von Monsieur Piquet' s Auffassungen. Ihre Auseinandersetzungen war meist heftig und laut. In Renée's Fall siegte Dr. Bataille, denn als sie ein drittes Mal aus ihrer Ohnmacht erwachte, war ihr Bein noch dran.

Dr. Bataille sah zufrieden auf seinen Patienten und wechselte den blutdurchtränkten Verband.

"Das sieht doch gut aus," stellte er zufrieden fest. Seine Begeisterung interessierte Renée kaum, der Schmerz hämmerte noch immer in ihrem Bein. Zwei lange Tage und eine schlaflose Nacht vergingen, bis der Schmerz Gewohnheit wurde. Um sie herum waren alle Betten belegt. Reihe an Reihe lagen verwundete Soldaten und Kameraden. Ärzte und Pfleger in blutbesudelten Hemden rannten von Patient zu Patient. Ein Priester verteilte den letzten Segen. Die Geräuschkulisse aus Stöhnen, Schreien und Weinen hörte nie auf. In Eimern stapelten sich blutige Binden. Ein Pfleger eilte an Renée vorbei. In seinen Armen balancierte er abgetrennte Gliedmaßen, notdürftig mit einem fleckigen Tuch verhüllt.

Als der Abend des dritten Tages anbrach, musste sie ihr Bett räumen. Mit anderen verwundete Soldaten sollte sie nach Paris ins Hospital transportiert werden. Ein Pfleger half ihr auf die Ladefläche des Wagens zu klettern. Auf ihrem Schoß lag das kleine Bündel mit ihren letzten Habseeligkeiten. Der Kutscher schnalzte mit der Zunge und der riesige Wagen ruckte an und rollte langsam in Richtung Westen.
 

*****

IV.

Wiesen und Felder zogen an ihnen vorbei. Bäume reckten sich kahl in den kalten Herbsthimmel. Der Boden war übersät von Laub. Der Wind blies schneidend über den offenen Wagen und trug den Geruch nach krankem Fleisch mit sich fort. Kaum ein Verwundeter war nicht vom Fieber befallen. Ferne Städte wie Epinal und Chanmont zogen unbeachtet an ihnen vorüber. Bei Troyes schwanden immer öfters Renée's Sinne. In der Stadt Melun, war sie schon nicht mehr bei Bewusstsein. Als der Wagen das Stadttor von Paris passierte, hielt der Fieberwahn sie fest umfangen.

Drei Tage später sank das Fieber und die wirbelnden Bilder verschwanden mit dem Delirium.

Sie erwachte mit einem Male. Erschöpft, aber Herr ihrer Sinne. Die Schmerzen im Unterbein hatten nachgelassen. Sie öffnete die Augen. Licht fiel verschwenderisch durch hohe Fenster in das Zimmer. Vögel zwitscherten leise. Sie war alleine. Ihre Finger strichen sanft über die weiße Baumwolldecke. Im Raum war alles hell und sauber, einschließlich Renée. Jemand hatte sie gewaschen und ihre verdeckte Uniform gegen ein sauberes Hemd getauscht. Nur der Verband lag noch immer fest um ihre Brust gewickelt. Schritte näherten sich der Tür, dann schwang diese auf. Ein älterer Mann erschien in der Türöffnung. Das Haar war ergraut und zahllose Fältchen umringten Augen und Mund. Die Augen unter den buschigen Brauen sahen sie weise und gütig an.

"Bonjour, Mademoiselle, Ihr seid wach. Darf ich mich vorstellen? Ich bin Dr. Emmanuelle de'Josselin. Euer Arzt." Mit einem Lächeln und ohne weitere Worte schlug er die Bettdecke zurück und begann ihr Bein zu untersuchen.

"Da Eurer Fieber herunter gegangen ist, werdet Ihr morgen in den Saal verlegt." Dr. Josselin zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

"Wie kommt Ihr verwundet und als Soldat der französischen Armee hierher, Mademoiselle ...?"

"Renée." Seine Frage war sanft und ohne Vorwurf gestellt.

"Ich bin von zu Hause, vor einer ungewollten Ehe geflohen. Es war ein dummer Zufall, dass ich bei der Armee gelandet bin. Ein äußerst dummer Zufall. Werdet ... werdet Ihr mich verraten?" Ihr Herz klopfte laut vor Angst.

"Nein, mein Kind. Ich bin Eurer Arzt, nicht Euer Richter. Ihr würdet unausweichlich der Inquisition zum Fraß vorgeworfen werden. Ich habe einmal erlebt, wie eine Frau der Hexerei angeklagt wurde." Dr. Josselin verdrängte die verhasste Erinnerung. "Ich bin ein Mann der Wissenschaft, nicht des Aberglaubens. Keinem Menschen sollte so etwas angetan werden. Aber ich bin gottesfürchtig und Eure Verkleidung ist nicht in Gottes Sinne. Nach Eurer Genesung werdet ihr nach Hause zurückkehren! Eine junge Frau, wie Ihr, sollte nicht das Elend und die Grausamkeit einer Schlacht miterleben müssen. Und ich fürchte, dass es Euch in Paris auch nicht besser ergehen wird. Ich gehe jetzt. Schwester Sylvie wird bald kommen und Euren Verband wechseln." Er tätschelte väterlich ihr Knie, dann verließ er sie.

Wenig später kam Schwester Sylvie. Sylvie war eine resolute Nonne, mit viel Herz und zottigem Humor. Fürsorglich wechselte sie den Verband und bestrich das Bein mit einer übelriechenden Paste aus Honig, Fischtran und Kräutern. Die alten Ägypter glaubten dran, dass Honig das Geschenk der Götter sei, also eine göttliche Medizin. Übelriechend aber göttlich, versicherte Sylvie lachend. Ihr Lachen schallte noch durch das gesamte Hospital, als sie Renée am nächsten Morgen in den Saal geleitet. Im Saal konnten vierzehn Patienten untergebracht werden. Vierzehn Betten zogen sich parallel an der Wand entlang. Marmor verkleidete Säulen stützten die hohe Stuckdecke. Am Ende des Saals stand in einer Nische das steinerne Bildnis eines heiligen Märtyrers, welcher über die Kranken wachte. Drei der Betten waren leer und die Belegung der anderen Krankenlager änderte sich in den folgenden Wochen kaum.
 

In Paris fielen die ersten Schneeflocken. Leicht im Wind schaukelnd, senkten sie sich auf die Erde nieder. Menschen blieben auf der Straße stehen, hoben die Köpfe und sahen verträumt dem Tanz der kleinen Eiskristalle zu. Dann zogen sie ihre Mäntel fester um sich und eilten in den Alltag.

Renée saß aufrecht in ihrem Bett und beobachtete voll Bitterkeit die Außenwelt. Fielen jetzt auch Schneeflocken auf das Grab von Francois, auf die unzähligen Leichen des Schlachtfeldes im Elsaß. Sie konnte hundert Meilen weit entfernt in einem warmen sauberen Krankenhaus sitzen, mit weißen Bettlacken und adretten, immer lachenden Nonnen, aber die Erinnerungen blieben. Sie wandte langsam den Kopf und beobachtete den wankelmütigen Flug einer Schmeißfliege.

"Na na, wer wird denn so trüb schauen?" Schwester Sylvie's Honigkuchengesicht strahlte ihr mütterlich entgegen. Ihr Nonnengewand leuchtete, strahlend weiß und knisternd vor Stärke.

"Auf auf, es wird geübt! Bald könnt Ihr wieder normal gehen. Euer Bein heilt wirklich gut." Sie reichte Renée ein paar Holzkrücken. Finster humpelte diese an den langen Bettreihen entlang auf den Flur. Je schneller der Heilungsprozess ihres Beines voran schritt, desto näher rückte der Zeitpunkt ihrer Entlassung. Sollte Dr. Josselin recht behalten und eine Heimkehr war ihre letzte Möglichkeit? Renée machte sich keine Hoffungen, ohne Geld in Paris überleben zu können.

"Ihr schaut oft zu finster." Schwester Sylvie tippelte neben ihr, fröhlich plapperte durch die langen Flure. Der Rosenkranz schaukelte an ihre Hüfte.

"Ihr solltet nicht so viel nachdenken! Ich werde Euch etwas zum Lesen besorgen, damit Ihr auf andere Gedanken kommt. Habt Ihr einen Wunsch?" Renée setzt vorsichtig das rechte Bein auf und stütze ihr Körpergewicht mit den Krücken ab.

"Shakespeare wäre schön." Schwester Sylvie lachte hell.

"Ja, Shakespeare ist genau das Richtige. Habt Ihr je "Was ihr wollt" gelesen? Ha, wie kann man nur auf die verrückte Idee kommen, eine Frau als Mann zu verkleiden? Haha, dieser Shakespeare ....."
 

Zwei Betten von Renée's Krankenlager entfernt, lag Alan Havre. Ein junger Mann aus dem Süden Frankreichs. Das Braun seiner Haut hob sich dunkel vom weißen Bettzeug ab. Mund und Augen lachten fortwährend. Alan zeigte große Begabung, was die Kunst des Fechtens betraf. Es war nicht weiter verwunderlich, dass Enrico de las Ferras, Betreiber einer Pariser Fechtschule, ihn als Assistent einstellte. Der Ruf des Italieners de las Ferras war legendär. Nicht eine Degenspitze verletzte Alan, sondern der Sturz aus dem Zimmer einer verheirateten Dame, welche er wegen amouröser Abenteuer aufgesuchte hatte. Nun lag er mit einem gebrochenem Bein, etlichen Prellungen und Abschürfungen im Hospital und erzählte grinsend seinem Krankenbesuch die Geschichte. Athos hörte seinem Freund lächelnd zu. Er glaubt Alan ohnehin nur die Hälfte, da dieser zu argen Übertreibungen neigte. Porthos hörte weitaus faszinierter hin.

"Seht ihr den blonden Jungen dort? Der so finster vor sich hin starrt?" Drei Köpfe drehten sich Renée zu, die abwesend aus dem Fenster sah. Alan senkte seinen Stimme zu einem Flüstern.

"Er heißt bei uns nur "Der Namenlosen", weil er seinen Namen nicht verraten will. Er redet er kaum und stiert nur vor sich hin." Porthos zuckte gleichgültig seine Achseln.

"Und?" Er selbst verschwieg seinen wahren Namen. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Athos sah genauer hin.

"Das ist eine Frau!" Alan und Porthos sahen ihn sprachlos an, dann wieder zum vermeintlichen Jüngling.

"Nein, ganz sicher nicht." Alan wischte sich lachend die Tränen aus den Augen.

"Er ist Soldat und wurde in der Schlacht bei Freiburg von einer Kanonenkugel verletzt."

"Aber so sieht doch kein Soldat aus. Seit wann rekrutiert die Armee kleine magere Jungen?" fragte Porthos, laut und ohne jegliches Feingefühl. Der blonde Jungs drehte sich ihnen zu. Die blauen Augen sahen sie nüchtern an.

"Sie wollte das Pferd."
 

("...Herzog: Glaube mir's, mein lieber Junge; deine Jugend wäre schon genug, diejenigen lügen zu heißen, die dich einen Mann nannten. Diane's Lippen sind nicht sanfter und rubinfarbiger als die derjenigen; deine Stimme ist wie eines Mädchens, zart und hell, und dein ganzes Wesen hat etwas weibliches an sich. Ich bin gewiss, du bist unter einer Konstellation geboren, die dich in solchen Unterhandlungen glücklich macht; du wirst meine Sache besser führen, als ich selbst tun könnte. Geh also, sei glücklich in deiner Verrichtung, und du sollst alles was mein ist, dein nennen können.

Viola: Ich will mein Bestes tun, Gnädigster Herr - - (vor sich.) Eine beschwerliche Commission! Ich soll ihm eine andre kuppeln, und wäre lieber selbst sein Weib....")

Renée sah auf, als ein Schatten auf ihr Buch fiel. Vor ihr stand ein Mann von hohem Wuchs und sah streng auf sie herab. Wild entschlossen, ihr mit der vollen Wucht seiner Persönlichkeit zu begegnen. Renée hatte noch keinen anderen Menschen getroffen, der mehr Autorität ausstrahlte, als dieser Fremde.

"Seid ihr Ren DeHeb?" Renée nickte irritiert.

"Mein Name ist d'Treville. Kapitän der Musketiere seiner Majestät Ludwig XIII. Ich habe einen Brief von meinem Freund Pascale Mortain erhalten." Dr. Josselin schlich um sie herum und hörte mit besorgtem Gesichtsausdruck unauffällig zu.

"Oberst Mortain?"

"Ja, und er bat mich Euch bei den Musketieren aufzunehmen. Er schreibt, Ihr habt Euch in Kampf bei Freiburg ausgezeichnet und nun fühlt er sich Euch gegenüber verpflichtet. Er denkt, Ihr habt gute Anlagen zum Musketier." D'Treville leierte seinen Text herunter, mit einer Begeisterung, die jeden Optimist zu tode betrübt hätte. Renée sah ihn verwirrt an. Sie fand nicht, das Mortain ihr gegenüber verpflichtet war. Anscheinend war die Situation vor ihrem Eingreifen auswegloser gewesen, als auf den ersten Blick sichtbar.

"Ich schulde Mortain noch etwas .... also, herzlich willkommen bei den Musketieren Ren DeHeb." Er hielt ihr unwirsch seine Hand hin. Renée schüttelte heftig ihren Kopf.

"Nein, nicht Ren DeHeb. Das ist nicht mein Name und ich möchte ihn nie wieder hören."

Verunsichert zog er seine Hand zurück und strich sich durchs ergraute Haar.

"Na, wie lautet dann Euer Name?" Sie schwieg.

"So kommen wir nicht weiter. Ihr müsst mir schon Euren Namen nennen!" Sie schwieg weiter.

"Mein Junge, unsere Unterhaltung weißt so einige Fehler auf." Er seufzte resigniert. "Na schön. Ich gebe Euch einen Namen. Jeder will einen neuen Namen. Was kommt als nächstes, ein ganzer Stammbaum. Aber das mir keine Klagen kommen. Und sobald ihr genesen seid, meldet ihr Euch bei mir im Hauptquartier. Jeder in Paris kann Euch sagen, wo das liegt. Au revoir!" Renée überlegte angestrengt. Die Musketiere. Das eröffnete völlig neue Möglichkeiten.

Kapitän d'Treville wurde an der Tür von Dr. Josseline aufgehalten. Renée beobachtet, wie beide Männer sich unterhielten. Dr. Josseline sichtlich erregt, fuchtelte aufgebracht mit den Armen herum, wie ein Vogel mit Flugproblemen. Kapitän d'Treville's Gesichtsausdruck kletterte zusehnst die Zornskala höher und höher, bis sein Gesicht ein kräftiges dunkelrot aufwies. Wütend drehte er sich herum und kam zu ihr zurück. Gereizt sah er sie an.

"Wann hattet Ihr vor, mir zu sagen, dass Ihr eine Frau sein?" Er hatte seine Stimme gesenkt, dass nur sie ihn verstehen konnte.

"Gar nicht," sagte Renée ruhig. "Und Ihr solltet auch nichts sagen!" D'Treville schnappte laut nach Luft.

"Und wie kommt Ihr darauf, dass ich schweigen werde. Ich bin nicht Kapitän der Musketiere geworden, weil ich mir von kleinen Mädchen auf der Nase herumspringen lasse."

Renée legte den Kopf schief und sah ihn ohne Gefühlsregungen an.

"Wollt Ihr, dass ganz Frankreich erfährt, dass die gesamte französische Armee nicht fähig ist eine Frau von einem Mann zu unterscheiden. Das ganze Land würde über Eure Eliteoffiziere lachen. Ihr hättet es auch nicht bemerkt, wenn Dr. Josseline nicht mit Euch gesprochen hätte."

"Ihr solltet ihm dankbar sein. Euer Arzt scheint besorgter um Euer Leben zu sein, als ihr. Deshalb brach er sein Schweigegelübde. Die heilige Inquisition wird Euch in Stücke hacken, wenn herauskommt das Ihr Euch als Mann verkleidet habt."

Sie zuckte gleichmütig die Achseln.

"Es liegt mir gerade nicht besonders viel an meinem Leben."

"Und das soll ich Euch glauben?"

"Meine Alternative, wäre eine Ehe, wie in der Hölle.... Also?"

"Das ist Erpressung!"

"Ja." Kapitän d'Treville drehte sich wütend herum und schritt, weit ausholend aus dem Saal. Renée lehnte sich zufrieden zurück. DIE MUSKETIERE! Francois musste auf Grund eines noch unbekannten Komplotts sterben. Aber als Musketier bot sich ihr die beste Möglichkeit, um an Informationen heranzukommen. Als Musketier konnte sie seinen Mörder jagen, töten und Francois rächen. Sie lächelte grimmig, voll innerer Zufriedenheit.

So würde sich ihr Schwur erfüllen.
 

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An die Leser! Es ist richtig, dass zu Aramis Lebzeiten der Dreißigjährige Krieg mächtig am Rotieren war. (Prager Fenstersturz 1618) Was nicht richtig ist, ist die Tatsache, dass Frankreich schon zu dieser Zeit mitgemischt hat. Erst 1635-1648. Aramis wäre bei der Schlacht über 40 Jahre alt gewesen.

Ich hoffe, ihr verzeiht mir, aber ich brauchte eine Schlacht. Die Schlacht bei La Rochelle konnte ich nicht nehmen, da Alexandre Dumas seine Musketiere dort ein paar Jahre später kämpfen lässt. Gruß Autor

Schlusswort

In den folgenden Jahren wich Aramis jeder Frage von Athos aus, weshalb sie damals im Brunnen saß. Sie stellte nie die Gerüchte richtig, welche um sie und Mademoiselle de Salantay kursierten. "Sie wollten das Pferd," war die einzige Erklärung, die sie ihren Freundeb über ihre Zeit bei der Armee gab. Und niemals gestand sie ihnen, dass sie eine Frau war
 

.......... oder doch?



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)
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Von:  Archimedes
2010-10-04T07:26:42+00:00 04.10.2010 09:26
Grundsätzlich gefällt mir die Idee gut, mehrere Versionen zu schreiben, wie Aramis zu Aramis wurde, sodass der Leser sich diejenige herauspicken kann, die seiner Meinung nach am wahrscheinlichsten ist oder ihm einfach am besten gefällt.
Schade ist aber, dass so kein wirklicher Handlungs- bzw. Spannungsbogen zustande kommt und auch, dass viele Fragen ungeklärt bleiben (Bsp.: Kriegt Aramis ihre Rache oder kriegt sie sie nicht?)
Auch muss ich sagen, dass, obwohl dein Stil hervorragend ist und du aus einem sehr breiten Wortschatz schöpfst, du sehr viele unnötige Rechtschreibfehler produzierst, die auf Schusseligkeit und ein wenig Faulheit bei der Korrektur (sofern du überhaupt eine angefertigt hast) zurückzuführen sind. Wäre dem nicht so, würde deine FF eine bedeutend höhere Qualität aufweisen.
Von der Lautmalerei in den Dialogen mag man halten, was man will. Mir persönlich hat sie leider nicht gefallen. Vor allem die ständige Großschreibung, wenn geschrieen wird oder du etwas hervorheben willst, ist mir sauer aufgestoßen. Hier könnte man auch einfach mit passenden Verben oder Adjektiven die Emotionen oder Gefühlszustände der Figuren beschreiben. Dass du schön zu beschreiben weist und ein Händchen für die richtige Wortwahl hast, zeigst du ja. Daher verstehe ich solche Auswüchse wie die Lautmalerei nicht wirklich.

Grundsätzlich kann ich abschließend sagen, dass mir besonders dein breiter Wortschatz und dein Gespür für die richtige Wortwahl aufgefallen sind, um die Zeit der Musketiere aufleben zu lassen und sie für den Leser anschaulich darzustellen.
Von:  Snowchan
2005-04-01T08:11:07+00:00 01.04.2005 10:11
Ähhhm... Nachdem ich das hier endlich gefunden hab, mein Kommentar:
Das ist die erste Story, die ich von dir gelesen hab und ich muss einfach sagen "WOW". Ich hatte irgendwie das Gefühl ein Roman zu lesen. Du hast die kleinsten Details beachtet, was Umgebung und Figuren angeht und deutlich ausgeführ in einfachen Sätzen. Ich bin total begeistert. Ich kann ehrlich sagen, dass diese die beste Fanfic ist, die mir von der schriftlichen Ausführung total gefällt. *ganz doll drück*
Der Inhalt ist wiklich einfallsreich. Ich kann mich Juri nur anschließen, dass die Brunnenszene echt zum kugeln war. Diese Geschichte find ich auch am spannensten, in der Hinsicht, dass man unbedingt wissen wollte, ob sie das als verwöhnte Frau auch alles bewältigen kann und aufgenommen wird. Man kann mehr seine Fantasie benutzen.
Am besten find ich aber die Story, wo sie in die Armee unfreiwillig aufgenommen wird. Sie unterscheidet sich sehr von den anderen. Die hat mich am deutlichsten angesprochen.
*noch mal ganz doll drück*
Von: abgemeldet
2004-10-07T18:13:48+00:00 07.10.2004 20:13
Gibt's bald noch mehr Kapitel? Oder eine Fortsetzung? Sequel? Bitte!!!
Von: abgemeldet
2003-08-26T19:31:23+00:00 26.08.2003 21:31
Schöne Story, man konnte sich echt gut ins Geschehen hineinversetzen. Grüße Allix
Von: abgemeldet
2003-08-16T06:55:31+00:00 16.08.2003 08:55
Ahhhhh, ein Epilog :o)
Jut, jut...find ich wirklich jut ;o)
Noch eine Bitte von mir, verlier bitte nie deinen (ironischen) Humor :o)
liebe Grüße
Krisi
Von: abgemeldet
2003-08-16T06:52:08+00:00 16.08.2003 08:52
Hi Annchen,
die Verwandlung von Aramis von der ersten Story bis zu dieser hier ist deutlich zu erkennen. Wie du ja weißt, hat es mich einige Nerven gekostet die Story "Für das Vaterland" zu lesen, dies tut aber nichts daran ab, dass ich auch diese Fic hervorragend geschrieben finde...Ich bin halt einfach nur so ein Sensibelchen ;o) Aber ich finde es wichtig, dass man auch mal die schlechten Seiten von dieser Zeit sieht und darüber schreibt und ich finde, das ist dir sehr gut gelungen. Ich bin mehr als beeindruckt :o) Und werde dich zwingen müssen, dein gesamten Leben lang weiterzuschreiben :o)
Liebe Grüße,
Krisi
Von:  Tach
2003-08-15T10:57:26+00:00 15.08.2003 12:57
Hmmm....also ich weiß jetz nich welche mir am besten gefällt.....aber ich denke es is nach wie vor die erste, obwohl die andern beiden auch durchaus ihren Reiz haben ^^. Hach...und ich mag einfach deinen Humor :)
Von: abgemeldet
2003-08-10T08:23:17+00:00 10.08.2003 10:23
Diese Story gefällt mir bis jetzt am besten von dir, weil sie so viele plötzliche Wendungen annimmt *freu*
Ich fand es auch gut, dass du Athos ein wenig früher mit ins Spiel gebracht hast...
Außerdem hast du schöne Einsichten in das Leben von Paris gegeben...war wirklich sehr schön und bildhaft beschrieben, wie immer halt XD
liebe Grüße
Krisi
Von: abgemeldet
2003-08-09T09:41:20+00:00 09.08.2003 11:41
Anne, ich ziehe den Hut vor dir, super amüsante story und ich kann mich auch Juri und Tach nur anschließen, was die Szene mit dem Brunnen betrifft :o) Ansonsten fand ich allein deinen Schreibstil wieder toll, besonders was die Aussprache des Fechtlehrers betrifft, hihi...und viel *rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr*
Von:  Tach
2003-08-06T14:51:08+00:00 06.08.2003 16:51
Waaaaaah XD Tuffig :). Nur eins stört mich....warum abgeschlossen?
Ansonsten....ja...Rebellion! Das war das schönste XD


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