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Where the rain falls

von

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Regen

Das konnte kein Traum sein.

Mitten beim Sturz in die unendliche Tiefe war Murphy plötzlich schwarz vor Augen geworden – oder absolute Dunkelheit hatte sie verschlungen. Wie lange dieser Zustand anhielt, konnte er nicht einschätzen, aber erst höllische Schmerzen im Rücken weckten ihn unsanft wieder auf.

Konnte man in einem Traum für einige Zeit das Bewusstsein verlieren? Allein die Schmerzen sollten ihm beweisen, dass er nicht einfach nur schlief, sondern mehr vor sich ging. Vielleicht hatte er sich zu sehr nach seinem alten, friedlichen Leben gesehnt und irgendwie eine neue Realität erschaffen. Nein, das klang albern. An so etwas glaubte Murphy nicht.

Dieser Traum fühlte sich nur erschreckend real an, mehr nicht.
 

Mein Gott! Du hast mich fast zu Tode erschreckt!

Was zur Hölle ist hier los? Wo ist Sewell?
 

Eine Stimme drang aus der Ferne gedämpft in seinen Kopf ein. Sie kam ihm bekannt vor und gleichzeitig klang sie auch fremd. Sewell? Schlief er eventuell doch nicht?

Langsam öffnete Murphy die Augen und blickte in einen Himmel, der vollständig mit grauen, starren Wolken bedeckt war. Zumindest die Farbe ähnelte der Gefängnisdecke in seiner Zelle, aber anscheinend träumte er doch noch. Er konnte sich kaum vorstellen, dass etwas oder jemand die Decke abgerissen hatte, während er tief und fest schlief. Der Lärm hätte ihn sicher geweckt.

Dafür fühlte sich der Untergrund, auf dem er lag, genauso hart an wie seine Liege in der Zelle. Vorsichtig richtete er sich auf und knirschte mit den Zähnen, als die Schmerzen stärker wurden und vom Rücken aus durch seinen gesamten Körper jagten. Offenbar war er unglücklich auf dem Boden aufgekommen, hatte den Sturz aber irgendwie überlebt. Es blieb eben doch nur ein Traum, alles Einbildung.
 

Das muss ein Fehler sein. Ich bin ein isolierter Häftling. Du dürftest nicht hier sein.
 

Wieder diese Stimme. Noch etwas benommen blickte Murphy sich um, entdeckte aber nur gähnende Leere um sich herum. Unter ihm befand sich ein rostiger Gitterboden, jenseits von diesem konnte er die graue Stadt entdecken, aus der er mit Charlie gefallen war. Sie war weit entfernt und durch das Gitter nicht mehr zu erreichen. Und Charlie ... richtig, wo war sein Sohn? Sofort machte sich Panik breit.

„Charlie?!“, rief er mit heiserer Stimme.

Murphy hatte ihn doch fest in seinen Armen gehalten, um ihn nicht zu verlieren. Wieso war er nirgendwo zu sehen? Hastig stand er auf und ignorierte dabei die Schmerzen, die ihn erschöpft aufkeuchen ließen. Seinen Sohn zu finden sollte nun seine oberste Priorität sein. So leicht gab er nicht auf, egal wie real sich das hier für ihn anfühlte.
 

Wachen? Officer Sewell? Hallo?
 

„Wer ist da?!“, reagierte Murphy auf die Stimme.

Ein Gefühl sagte ihm, dass diese Worte an ihn gerichtete waren. Es war ein Mann, der da sprach, und glaubte immer noch, ihn kennen zu müssen. Nur löste diese Stimme ein seltsames Unbehagen in ihm aus, sogar Wut. Bestimmt hatte diese Person etwas mit Charlies Verschwinden zu tun, denn sonst gab es keinerlei weitere Hinweise in diesem Nichts.

Ziellos taumelte Murphy, aufgrund der Schmerzen, einige Schritte vorwärts und sein Blick huschte dabei suchend hin und her. Möglich wäre auch, dass Charlie nur wieder weggelaufen und nicht mehr zu sehen war. Auf jeden Fall sollte er irgendwo hier sein, doch er müsste blind raten, welche Richtung sein Sohn eingeschlagen haben könnte.

Schließlich beschloss er, einfach der Stimme zu folgen und schätzte kurz ein, woher sie gekommen war, bevor er losging. Durch den Gitterboden verursachte jeder Schritt ein metallisches Geräusch, das seine Unruhe nur verstärkte. Die ganze Zeit wartete er darauf, dass die Stimme nochmal etwas sagte, leider war sie für eine Weile nicht mehr zu hören. Wie sollte er so sicher sein, in die richtige Richtung zu laufen?

„Charlie?! Charlie!“

Selbst ihm fiel der verzweifelte Ton in seiner Stimme auf. Er hatte Carol doch versprochen, dass er auf ihn achtgab und alles wiedergutmachen würde. Noch einmal wollte er seine Frau nicht enttäuschen und vor allem Charlie nicht verlieren. Gerade, als er noch einmal nach ihm rufen wollte, kam ihm eine andere Stimme zuvor.

Diesmal klang es nach ihm selbst, obwohl er gar nichts sagte.
 

Du erkennst mich nicht, oder?
 

Jetzt sah er es. Dort war eine Tür, vor ihm, noch viele Meter entfernt. Von dort kamen die Stimmen, ganz eindeutig. Garantiert fand er dort das, wonach er suchte.

Etwas schneller lief er weiter, um die Tür zu erreichen. Sie war genauso verrostet wie der Boden und besaß eine gigantische Größe, wie er bald bemerkte, denn sie ragte mit jedem Schritt höher in die Luft und wirkte vielmehr wie ein Tor, das ohne Rahmen hier im Nichts herumstand. Auf ihn wartend.

Als ihm auf einmal etwas Nasses ins Gesicht tropfte, warf Murphy zuerst instinktiv den Blick nach oben, aber dort war nichts zu sehen. Die Wolken hingen nach wie vor reglos wie ein Vorhang dort oben. Stattdessen tropfte etwas von unten zwischen den einzelnen Öffnungen des Gitters empor: Wasser.

Es regnete von unten nach oben und musste von der Stadt kommen. Anfangs waren es nur wenige, einzelne Tropfen, jedoch vermehrten sie sich schleichend. Er schenkte ihnen vorerst keine weitere Beachtung und konzentrierte sich lieber auf das Tor, zu dem er unterwegs war. Erneut drangen Stimmen von der anderen Seite hervor, wieder dieser andere Mann.
 

Was? Nein, ich ... Wachen?! Wachen! Irgendjemand!
 

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, kam Murphy an seinem Ziel an und legte den Kopf in den Nacken. Das Tor, bestehend aus einer Doppeltür, war tatsächlich ziemlich groß und wirkte bedrohlich, wie eine schlafende Bestie. Einige Nägel ragten daraus hervor und dieser Eingang – oder Ausgang – sah insgesamt recht mitgenommen aus.

Dahinter war ganz deutlich ein lautes Rauschen zu hören und Murphy fragte sich, wie die Stimmen bisher dagegen ankämpfen konnten. Was war das? Regen? Automatisch strich er sich mit einer Hand über das Gesicht, das durch die Wassertropfen, die von unten durch das Gitter nach oben flogen, leicht nass war.

„Charlie?! Bist du da drin?!“

Murphy streckte gerade eine Hand nach dem Hindernis vor sich aus, als erneut seine eigene Stimme ertönte und etwas sagte, das ihn vor Schreck erstarren ließ.
 

Wir waren mal Nachbarn ...
 

„Napier“, knurrte Murphy leise. „Natürlich ...“

Plötzlich hämmerte jemand von der anderen Seite wild gegen das Tor, was ihn zurückschrecken ließ. Die Türen zitterten panisch unter den Schlägen, die mit Gewalt auf sie einwirkten. Ein wenig befürchtete er, das Tor könnte jeden Augenblick vornüber kippen und ihn unter sich begraben, so stark wackelte es.

War das dahinter wirklich Patrick Napier? Falls ja, wunderte es Murphy nicht, dass Charlie verschwunden war. Demnach musste er dort drin sein, bei diesem Mann. Einem Verbrecher, der sich in diesem Moment vor etwas fürchtete. Vor Murphy. Und das zu recht.
 

Wachen! Wachen! Öffnet die gottverdammte Tür! Hilfe, irgendjemand!
 

„Mach auf!“, forderte auch Murphy und drückte mit beiden Händen fest gegen das Tor.

Kaum hatte er es berührt, war ein Klacken zu hören und die gewaltigen, schweren Metalltüren bewegten sich gemächlich von allein. Mit einem kläglichen Quietschen öffneten sie sich, nach innen. Ungeduldig drückte Murphy weiter dagegen, in dem Glauben, den Prozess so beschleunigen zu können, bis der Spalt endlich groß genug war, um sich hindurchzuzwängen.

Hinter dem Tor erwartete ihn ein geschlossener Raum mit Wänden, der kreisförmig aufgebaut war. Regen war hier seltsamerweise nicht zu sehen, dabei konnte er es auch jetzt noch rauschen und prasseln hören. Anstelle des Gitterbodens stand er mit den Füßen nun auf dem Ziffernblatt einer Uhr, deren Zeiger sich allesamt in der Mitte zu einer Art Säule in die Luft empor streckten, statt die Zeit zu bestimmen.

An dieser Säule war mit schweren, eisernen Ketten jemand gefesselt worden. Ein Mensch, eher ein Riese. Während sein Gesicht von einer Gasmaske verdeckt wurde, verhüllte ein schwarzer Regenmantel mit Handschuhen und Stiefeln aus Gummi alles andere von seinem Körper. Der Anblick löste erstaunlicherweise nichts bei Murphy aus, so verstörend und erschreckend er auch wirkte. Für ihn war diese Gestalt einfach da und bedeutungslos.

Ihn interessierte ohnehin viel mehr, wo sich Charlie befand – und Napier.

Selbst als die schweren Türen sich hinter ihm mit einem lauten Knall wieder verschlossen, zuckte er nicht zusammen, sondern starrte fest auf den Riesen im Regenmantel, der sich aufgrund der Ketten nicht vom Fleck rühren konnte. Nur ein Arm, der rechte, lag frei, so dass er ihn träge heben und in eine Richtung deuten konnte, der Murphy misstrauisch mit den Augen folgte, zu einer anderen Tür.

An diesem Ort standen mehrere von ihnen frei in der Gegend herum, an den Stellen, wo auf dem Ziffernblatt jeweils eine Zahl abgebildet war. Das gigantische Tor, durch das er gekommen war, sah hier von der Größe her völlig normal aus, so wie alle anderen Türen. Die Zwölf hatte Murphy hergeführt und dieser Riese deutete nun auf die Dreizehn. Eine Zahl, die es eigentlich nicht als Uhrzeit gab und doch war sie hier.

Zögernd ging er auf diese Tür, die aus simplem Holz war, zu. Das Geräusch des Regens wurde lauter, also musste es von dort kommen. Konnte er dieser gefesselten Gestalt trauen? Was sollte er sonst tun? Wenn die Chance bestand, Charlie hier zu finden, dann ...

Seine Gedanken und Unsicherheit wurden von einem Schrei abgelenkt, der von seinem Sohn kam. „Daddy!“

„Charlie!“

Ohne zu zögern stürmte er durch die Tür in den dahinter liegenden Raum hinein und wurde sofort von Regen begrüßt, der ihn erbarmungslos zurück ins Zentrum dieses Ortes zu peitschen versuchte. Innerhalb von Sekunden war Murphy komplett durchnässt und die Kälte wollte ihn lähmen, doch er kämpfte dagegen an. Versuchte, in dem Wald aus lauter Bindfäden etwas zu erkennen, was gar nicht so leicht war.

„Daddy, hilf mir!“

„Ich komme, Charlie!“

Außer Regentropfen konnte Murphy erst nichts erkennen und folgte hastig der Stimme, bis vor ihm die Person auftauchte, die er gesucht hatte. Charlie, aber er war nicht allein. Napier war ebenfalls hier und hielt seinen Sohn mit beiden Händen am Arm fest, was Murphy dazu brachte, wutentbrannt auf ihn loszugehen. Völlig blind warf er sich mit seinem Körper und mit voller Kraft gegen den stämmigen Napier, um ihn zu Fall zu bringen.

„Lass ihn los!“, schrie Murphy außer sich. „Lass meinen Sohn in Ruhe!“

Durch den Stoß kippte Napier sofort keuchend und unbeholfen seitlich zu Boden, wobei sich sein Griff um Charlies Arm löste. Schützend schob Murphy den Jungen direkt hinter sich und fixierte diesen Verbrecher mit einem glühenden Blick. Diesmal war er gerade noch rechtzeitig gekommen, zum Glück. Er ließ sich nicht davon irritieren, dass Napier nur mit einem Badehandtuch um die Lenden herum bedeckt war und stellte ihn gleich zur Rede.

Der Regen prasselte weiter auf sie herab.

„Was wolltest du ihm diesmal antun?“, fragte Murphy zwar wieder ruhig, dafür aber hörbar angespannt.

„Das ist eine Verletzung meiner Rechte! Für wen zur Hölle hältst du dich eigentlich?“, erwiderte Napier nervös. „Wenn ich mit dem Gefängnisdirektor rede, werde ich ...“

Wovon sprach dieser Mann da? Gefängnisdirektor? Hier war niemand, außer sie drei – und diese Gestalt im Regenmantel, den er nicht mal zählte, zumal er in einem anderen Raum festsaß, gefesselt. Es gab niemanden, der Napier helfen könnte. Keine Wachen. Kein Gefängnisdirektor. Niemand.

„Niemand hört dich“, wies er ihn sogleich darauf hin.

Panisch rutschte Napier rückwärts über den Boden und schüttelte den Kopf. „Hilfe! Gott, hilf mir!“

Es wäre so einfach, ihn hier und jetzt zu erledigen. Dafür zu sorgen, dass er niemals wieder Charlie oder irgendwem etwas antun konnte und für seine Taten bestraft wurde. Niemand war hier. Murphy könnte es tun und sein Versprechen halten. Charlie würde leben. Carol wäre nicht enttäuscht von ihm. Sein Leben bliebe friedlich und mit Glück erfüllt.

Das Rauschen des Regens war so laut und die Tropfen schwer wie Blei, sie entfachten den Schmerz in seinem Rücken neu zum Leben.

„Daddy?“, gelang es Charlies Stimme irgendwie, sich zu ihm durchzukämpfen, er sah ihn mit einem Blick an, der verriet, dass er nicht wusste, was hier vor sich ging.

„Es ist schon gut“, meinte Murphy zu sich selbst. „Ich werde es tun. Für dich.“

„Was wirst du tun?“

„... Dich rächen.“

Verwirrt neigte Charlie den Kopf. „Was bedeutet das?“

„RS 273A“, flüsterte er vor sich hin und ging nicht auf Charlies Frage ein.

Kurzzeitig schien der Regen sich so stark zu verdichten, dass es schwarz wurde. Im nächsten Augenblick schlug Murphy auch schon bereits auf Napier ein, mit einer rostigen Eisenstange, die er plötzlich in den Händen hielt. Sein Opfer schrie abermals um Hilfe, was er kaum wahrnahm und sich nicht davon abhalten ließ, ihm mehr und mehr Schläge zu verpassen.

Immer noch lärmte das Rauschen des Regens in seinen Ohren.

Ein zweites Mal wurde es kurz schwarz.

Jetzt hielt Murphy ein Messer fest, mit dem er Napier bearbeitete, der nicht aufhörte zu schreien und doch störte sie niemand. Keiner hielt ihn auf – weil er das Richtige tat.

Schwärze.

Als Waffe blieben ihm nur noch seine Fäuste, doch auch das genügte, um sein Ziel zu erreichen. Kurze Zeit später kroch Napier vor ihm hilflos über den Boden und zog dabei eine Blutspur hinter sich her. Fast war es geschafft, es fehlte nicht mehr viel. Er konnte es tun, seine Rache vollenden und alles in Ordnung bringen.

Napier hob schützend den Arm über sein Gesicht und blickte ihn verzweifelt an. „W-Warum?“

„Du weißt genau warum“, sagte Murphy kühl und deutete dabei urteilend auf ihn.

Das Geräusch von rasselnden Ketten mischte sich kurzzeitig zwischen das Rauschen. Automatisch zog er eine weitere, letzte Waffe, ein selbstgebasteltes Messer, aus einer Tasche seiner Kleidung hervor, konnte sie jedoch nicht zum Einsatz bringen. Zwar hob er schon die Hand, um ein letztes Mal zuzuschlagen und es zu beenden, aber er fror in seiner Bewegung ein, als er Charlie hinter sich nach ihm rufen hören könnte.

„Hör auf!“

Irritiert fuhr Murphy herum. „Was?“

Charlie war vor ihm zurückgewichen und klammerte sich mit den Händen an seiner roten Jacke fest. In seinem Blick lag keine Dankbarkeit. Kein Stolz oder gar Erleichterung. Es war Angst, mit der sein eigener Sohn ihn ansah. Er fürchtete sich vor Murphy, den er so noch nie erlebt hatte und so etwas auch eigentlich niemals sehen sollte.

Murphy hatte vollkommen die Beherrschung verloren.

„Daddy, du musst das nicht tun“, sagte Charlie leise, seine Stimme ging im Regen unter.

„Aber ich ...“, suchte er nach einer Antwort für das, was er hier tat. „Ich wollte ...“

Rache. Ein Kind verstand aber offenbar nicht, was das bedeutete.

Natürlich brachte Napiers Tod Charlie in der Realität nicht zurück, aber es war die einzige Möglichkeit, irgendwie Frieden zu finden. Sobald Gerechtigkeit eingekehrt war, wurde alles besser. Oder irrte er sich da so sehr? Beim Anblick seines verängstigten Sohnes, kam Übelkeit in ihm auf, als ihm etwas bewusst wurde. Hier, in diesem Augenblick, war Murphy dabei, sich selbst auch in ein Monster zu verwandeln.

Dem Regen gelang es, ihn mit seiner Last in die Knie zu zwingen, worauf er die Waffe fallenließ. „Es tut mir so leid ... Charlie.“

Jegliche Kraft wich aus seinem Körper und sein Wille, Napier zu töten, verließ ihn endgültig. Für Charlie sollte Murphy ein Vorbild ein, auch wenn er tot war. Ein guter Vater tat so etwas nicht. Ein guter Vater hätte darauf geachtet, dass seinem Kind gar nicht erst etwas Schlimmes zustoßen konnte.

Napier mochte den Tod verdient haben, doch Murphy konnte es nicht tun. Er durfte nicht riskieren, auch noch seine Erinnerungen zu verlieren. Wenn selbst das Traumbild von Charlie, sein größter Reichtum, vor ihm weglief, blieb ihm wirklich nichts mehr. So weit durfte er es nicht kommen lassen.

„Ich kann das nicht tun.“

Müde schloss Murphy die Augen, es wurde kurz schwarz.

Als er sie wieder öffnete, befand er sich im Duschraum des Gefängnisses. Überall war Blut. Sämtliche Duschköpfe waren geöffnet und ließen warmes Wasser auf sie herabregnen, der gesamte Raum war dadurch in Nebel getaucht. Niemand war hier, außer Murphy und Napier. Nur sie beide.

Er hatte seine Chance auf Rache soeben aufgegeben.

Offensichtlich erkannte das auch Napier, der erleichtert aufatmete und ein leises Wimmern von sich gab, während Murphy nur schweigsam auf den Knien hockte und sich fragte, wie es nur so weit kommen konnte. Kein Wunder, dass Carol ihn verlassen hatte.

War das jetzt die Realität? Träumte er noch?

Inzwischen war das Rauschen nicht mehr so laut wie zuvor, weshalb er hören konnte, wie hinter ihm eine Tür geöffnet wurde.

„Nicht zu fassen“, erfüllte Sewells Stimme, der gerade zu ihnen in die Dusche kam, daraufhin auch schon den Raum und er schüttelte amüsiert den Kopf. „Ich habe mich schon gewundert, was du hier so lange treibst. Hast du doch nicht genug Mumm, Cupcake? Du hast Glück, dass ich so großzügig bin. Ich gehe dir ein bisschen zur Hand.“

„O-Officer Sewell?“, stotterte Napier ratlos. „W-Was soll das heißen?“

Ein plätscherndes Geräusch verriet Murphy, dass Sewell näherkam. Tatsächlich stand er bald darauf neben ihm und beugte sich zu der Waffe runter, die er fallengelassen hatte, um sie aufzuheben. Ohne ihn anzusehen, wusste er, dass dieser Wärter ihn gerade selbstgefällig angrinste, bevor er weiter auf den anderen Häftling zuging. Daran hinderte Murphy ihn nicht und er reagierte auch nicht auf die neuen Hilferufe von Napier im Anschluss, als der realisierte, dass Sewell nicht zu seiner Rettung gekommen war.

Zu gern hätte Murphy behauptet, sich zu schwach zu fühlen, um etwas unternehmen zu können. In Wahrheit wusste er einfach nur nicht mehr, was richtig und was falsch war. Er fühlte sich dadurch in der Tat wie gelähmt. Seufzend schloss er lieber die Augen und wünschte sich zurück zu Carol und Charlie an den Frühstückstisch. An einen Ort, den es nur noch in seinen Erinnerungen gab.

In einen Traum, von dem er wünschte, er wäre real.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Flordelis
2016-06-11T12:40:42+00:00 11.06.2016 14:40
Gleich hier weitermachen~.

Mich würde ja interessieren, ob man im Schlaf wirklich keine Schmerzen fühlen kann. Ich meine, wenn man doch erwartet, dass es wehtut, müsste das Gehirn das dann nicht emulieren? Hmmm ...

Ich finde mega-interessant, was du aus diesem Kapitel gemacht hast, dass es parallel zu Beginn des Spiels verläuft. So etwas ist echt eine interessante Idee und deine Umsetzung ist auch mega-gut gelungen. <3

Und dann diese Wolken am Himmel. Genau wie im Spiel, wenn du in Silent Hill unterwegs bist und dann noch oben siehst. Das ist immer so awesome und so ... ja, episch. <3

Das Schönste ist ja, dass ich immer Murphys Stimme im Kopf habe, wenn er nach Charlie ruft. Q___Q
Das ist gleichzeitig aber auch mega-tragisch, weil dann immer diese Gefühle über mich kommen. TT_______TT

Ich finde auch mega, dass Murphy auf Napiers Stimme reagiert. Und dass er auch die - im Endeffekt richtige - Schlussfolgerung daraus zieht, dass Napier was mit Charlies Verschwinden zu tun hat. Das zeigt eben, dass sein Unterbewusstsein da genau richtig "mitdenkt".

Bei dem Gitterboden muss ich an die älteren Silent Hill Teile denken. Da läuft es mir kalt den Rücken runter. >_<

> Es regnete von unten nach oben und musste von der Stadt kommen.
Woah, das ist awesome! D:
Auf so etwas muss man auch erst einmal kommen.

Es wundert mich aber ein wenig, dass Murphy erst seinen eigenen Satz brauchte, um zu erkennen, dass es sich bei dem anderen um Napier handelt. Aaaaaaaaaber man kann ja auch denken, dass die beiden nicht viel miteinander gesprochen haben (weswegen Napier ihn auch im Gefängnis erst nicht erkannte) und er so die Stimme nicht erkennen konnte.
Okay, also hat sich mein Einwand erledigt. :,D

Ah, eine Uhr! X3
Ich frage mich, ob du dieser eine tiefere Bedeutung zugesprochen hast. Bislang war ich noch auf keinen tieferen Sinn bei den Uhren in Downpour gestoßen.

Der Bogeyman! D:
Wunderbar, dass er hier schon vorkommt bei dir. Und ich habe total Murphys "WHO are YOU?!" im Ohr, als du ihn das erste Mal da im Uhrenturm der Anderswelt triffst. >_<

> in dem Wald aus lauter Bindfäden
Oh, das ist echt mal eine großartige Metapher. °_°
Kennt man so auch nicht, aber es passt wunderbar.

Genial, dass du hier auch wieder die Gefangenennummer von Murphy aufgreifst, die er ja für die Kennziffer eines Rächers hält. Einfach nur großartig.
Und die Szene ist allgemein so richtig atmosphärisch. >_<

> „Du weißt genau warum“
You know exactly, why.
Absolute Lieblingsstelle von mir im Spiel, weil er da mega-cool klingt~ ... und du hast es auch wunderbar eingefangen. X3

> Hier, in diesem Augenblick, war Murphy dabei, sich selbst auch in ein Monster zu verwandeln.
So ein wundervolles Aufgreifen des Monster-Themas! >_<

> dieWaffe
Klitzekleines Fehlerchen. ;3

Murphy, du bist ein guter Vater! Du konntest ja nicht immer auf Charlie aufpassen. Und wer hätte gedacht, dass schon ein kurzer Moment ausreichen könnte ... TT________TT
Eigentlich ist das richtig tragisch. =/

Murphy tut mir so leid. =/
Also allgemein im Spiel schon, aber du hebst das gleich nochmal auf eine ganz andere Ebene. D:

Dieses Kapitel war großartig! Diese Vermischung des Traumes mit der Realität, die Einbindung des Spielbeginns, das ist dir einfach großartig gelungen! Ich kann mir nicht vorstellen, wie man das hätte besser machen können.
Und noch dazu ist alles so fantasievoll, ohne dabei aus dem Rahmen des Spiels zu fallen.
Warum bist du so awesome? Q____Q
Antwort von: Platan
11.06.2016 16:44
> Mich würde ja interessieren, ob man im Schlaf wirklich keine Schmerzen fühlen kann. Ich meine, wenn man doch erwartet, dass es wehtut, müsste das Gehirn das dann nicht emulieren? Hmmm ...
Theoretisch schon. °_°
Wobei ich mir auch gut vorstellen kann, dass das von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist. Manche haben ja auch z.B. eher Angst im Dunkeln als andere, weil die sich nicht so schnell Dinge einbilden.

> Ich finde mega-interessant, was du aus diesem Kapitel gemacht hast, dass es parallel zu Beginn des Spiels verläuft.
Das habe ich nur so gemacht, weil ich unbedingt den Übergang vom Regen zu den Duschen haben wollte. In meiner Vorstellung war das so cool und auch total symbolisch! >___<
Bin froh, dass mir die Umsetzung gelungen ist. :3

> Bei dem Gitterboden muss ich an die älteren Silent Hill Teile denken. Da läuft es mir kalt den Rücken runter. >_<
Ja, genau daher habe ich die auch geliehen. :3
Ein gutes Stück alte Erinnerungen müssen sein. ♥

> Ich frage mich, ob du dieser eine tiefere Bedeutung zugesprochen hast. Bislang war ich noch auf keinen tieferen Sinn bei den Uhren in Downpour gestoßen.
Ich wünsche mir halt, dass die eine Bedeutung haben, deshalb habe ich sie auch mit eingebaut. Für mich habe ich die Uhr in dem Fall so interpretiert, dass Murphy jede Sekunde selbst zu einem Monster werden könnte, wenn er nicht aufpasst. Deswegen war der Bogeyman auch dort festgekettet.

> Warum bist du so awesome? Q____Q
Bin ich gaaar nicht! >////<
Ich hatte eine gute Lehrerin und ein gutes Vorbild. :3 *dich anschau*


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