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Fremde Märchen

Wichtelgeschichte für Lilim-Angel
von

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Märchen

„Und, wisst ihr schon, was wir in dieser Projektwoche machen?‟, Reikas Lachen erfüllte den gesamten Raum, während sie den anderen ihren Wissensvorsprung auf die Nase band. „Ich weiß es schon. Ich weiß es, und ihr noch nicht.‟
 

„Findest du es fair, uns alle als unwissend darzustellen?‟
 

„Nun sag es schon, Tamaki. Wir wollen es auch wissen.‟
 

„Ja, genau.‟, bestätigten die anderen.
 

Doch Reika blieb standhaft. Sie genoss das Gefühl, dass die anderen auf sie schauten. Das Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen.
 

„Was macht ihr da?‟
 

Die gesamte Klasse drehte sich zu ihrer Lehrerin Frau Seki um. Diese betrat gerade durch die Tür den Raum. Schnell liefen die Schüler zu ihrem Platz und setzten sich, mit erwartungsvollem Blick der Lehrerin folgend.
 

„Wie ihr wisst, ist nächste Woche wieder die Projektwoche, und wie jedes Jahr steht uns etwas ganz besonderes bevor.‟ Frau Seki wartete kurz, bis sich die Aufregung der Klasse etwas gelegt hatte. „Dieses Mal bereiten wir ein Theaterstück vor. Und dieses Stück spielen wir dann am Ende der Projektwoche unserem Gästen vor.‟
 

„Was für Gäste?‟
 

„Wer kommt denn am Freitag?‟
 

„Und wieso bekommen wir Gäste?‟
 

Hatte Reika denn tatsächlich dicht gehalten? Frau Seki nickte ihrer Schülerin anerkennend zu. Nachdem diese im Lehrerzimmer beim Lauschen erwischt worden war, hatte sie ihrer Lehrerin versprechen müssen, ihren Mitschülern nichts darüber zu berichten. Sie war nicht sicher gewesen, ob Reika sich an ein solches Versprechen halten würde. Doch anscheinend hatte sie es dieses Mal geschafft. Die Fragen der Schüler bestätigten dies.
 

„Das Thema unserer Projektwoche sind deutsche Märchen. Wir bekommen am Freitag Besuch von unserer Partnersuche, um die deutsch-japanische Freundschaft zu feiern.‟
 

Doch viele Schüler hörten ihr nicht mehr zu. Sie waren noch zu verwundert über das Thema, dass sie die Erklärung, wie es zu diesem Thema kam, nicht mehr mitbekamen.
 

„Ein deutsches Märchen? Wie sollen wir nur so schnell die Handlung von einem Märchen aus einem fremden Land lernen?‟
 

Plötzlich fiel Hazuki etwas ganz Entscheidendes ein. „Müssen wir auch das Märchen auf deutsch vorspielen?‟
 

Auch die anderen Klassenkameraden waren jetzt eher schockiert als verwirrt. Sie konnten sich nicht vorstellen, wie dies funktionieren sollte. Ganz besonders deshalb, weil deren Sprache so anders war, ganz andere Laute kannte, die sie nicht annähernd aussprechen konnten.
 

Als Frau Seki die Gesichter ihrer Schüler sah, mit weit aufgerissenen Augen und leicht blass um die Nase, lachte sie laut los. Es war sonst nicht ihre Art, ihre Schüler auszulachen. Und auch, wenn sie die Bedenken der Schüler kannte, sahen deren Gesichter zu komisch aus. Für einen kurzen Zeitraum genoss sie die Stimmung, bevor sie die Anspannung der Schüler löste.
 

„Keine Sorge, ihr müsst das Theaterstück nicht auf deutsch vorführen.‟
 

„Und warum stellen wir ihnen nicht eines von unseren Märchen vor? Die Märchen von ihrem eigenen Land werden sie doch wohl in und auswendig kennen.‟
 

„Aber genau das ist der Grund dafür.‟
 

„Das verstehen wir nicht.‟
 

„Ganz einfach‟, begann Frau Seki, es der Klasse zu erklären. „Wenn wir ein japanisches Märchen spielen, und auch in unserer Sprache, dann verstehen die deutschen Kinder es nicht, da sie weder unsere Sprache verstehen, noch unsere Märchen kennen. Aber angenommen, wir spielen ihnen eine Geschichte vor, deren Verlauf sie schon kennen. Dann verstehen sie die Handlung, auch wenn sie die Sprache nicht verstehen. Sie kennen die Dialoge nämlich schon, und können so dem Märchen folgen.‟
 

Die Gesichter der Schüler erhellten sich. Frau Seki wusste, dass diese sie verstanden hatten.
 

„Ich habe hier einige typische deutsche Märchen mitgebracht. Jetzt müssen wir nur noch abstimmen, welches wir vorführen wollen.‟
 

Frau Seki legte die Bücher nebeneinander auf dem Lehrerpult, und ließ ihre Klasse noch vorne kommen. Auf den Buchrücken waren Bilder abgebildet, die, so vermutete die Klasse, eine Szene innerhalb des Märchens darstellten. Vermutlich sogar die Schlüsselszene.
 

- Ein Mädchen im Turm mit einem ganz langen Zopf

- Ein Frosch mit einer Krone und einer Kugel am Brunnen

- Ein Mädchen mit sieben Zwergen

- Zwei Kinder vor einem Lebkuchenhaus

- Ein schlafendes Mädchen in einem Bett neben einem Spinnrad

- Ein Mädchen unter einem Haselzweig, in dessen Hintergrund zwei weitaus besser gekleidete Mädchen vor eine Kutsche standen

- sieben Geißlein auf der Suche nach einem Versteck vor dem Wolf

- sieben Fliegen auf einem Marmeladenbrot

- Ein Mädchen mit einer roten Kappe mit einem Wolf im Hintergrund

- Eine Katze mit einem Stiefel

- Ein alter und ein neuer Schlüssel in der Hand eines Mannes

- Ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Hahn, die aufeinander standen

- drei Schweine vor verschiedenen Behausungen mit einem pustenden Wolf im Hintergrund

- jeweils ein Igel am Anfang und Ende einer Rennstrecke, wobei ein Hase abgehetzt auf der Mitte liegt
 

Viele Märchen, die die Kinder nicht kannten. Die Bücher waren dünn und enthielten viele Bilder. Kurze Zeit später zog Frau Seki die Aufmerksamkeit wieder auf sich.
 

„Ich würde vorschlagen, dass sich jeder von euch eines der Bücher nimmt und bis morgen durchliest. Morgen stellt dann jeder sein Märchen vor. Am Ende des Tages stimmen wir dann ab, welches wir vorbereiten. Es kann auch sein, dass wir zwei Märchen nehmen, damit jeder etwas mitwirken kann. Immerhin gibt es nicht bei jedem Märchen genug zu tun. Und nun, sucht euch eines aus.‟
 

Jeder von ihnen nahm sich ein Märchen. Wenn sie darauf achteten, was für ein Märchen sie nahmen, orientierten sie sich an dem Bild. Eine andere Möglichkeit hatten sie nicht, zu entscheiden, ob es ihnen zusagte.
 

„Hey, sieh mal, Hazuki. Ist das nicht der perfekte Mann für Majo Rika.‟
 

„Ein Frosch für einen grünen Klops.‟
 

„Ja, lasst uns das Majo Rika zeigen.‟ Begeistert sprang Aiko auf, schnappte sich das Buch und setzte zum Sprint Richtung Flower Garden an.
 

„Senoo, die Schule ist noch nicht vorbei!‟
 

Abrupt stoppte sie, drehte sich um und ging zu ihrem Platz zurück.
 

„Sorry, Seki-Sensei. Ich war wohl in Gedanken.‟
 

„Solange sich die Gedanken auf die Schule beziehen, habe ich nichts dagegen.‟
 

Die Klasse lachte. Den Rest des Tages verbrachten die Schüler damit, das Märchenbuch zu lesen und sich Notizen zu machen, die sie am nächsten Tag für ihre Präsentation brauchen würden. Da die meisten Märchen recht kurz waren, hatten die Kinder alle ihr Märchen gelesen, als die Schulglocke das Ende des Tages ankündigte.
 

Die vier Hexenschülerinnen liefen zum Flower Garden.
 

„Glaubst du wirklich, dass wir das Majo Rika zeigen sollten? Die wird ausflippen, dass weißt du doch.‟
 

„Was für ein Märchen habt ihr euch denn ausgesucht?‟
 

Auch wenn die anderen wussten, dass Doremi sie nur ablenken wollte, zeigten diese ihr ihre Bücher. Aiko hatte sich für „Hänsel und Gretel‟ entschieden, Onpu für „Dornröschen‟ und Hazuki für „Rotkäppchen‟.
 

„Dir gefällt bestimmt der Gedanke, ein Haus voller Plätzchen zu haben, die man essen kann.‟
 

„Erwischt. Aber wenn es ein Märchen geben würde, bei dem es um Steaks geht, würdest du dieses bestimmt auch aussuchen.‟
 

Doremi drehte sich zu Hazuki und Onpu um. „Wonach habt ihr entschieden, welches Märchen ihr nimmt?‟
 

„Nun ja, ich hoffe, nicht allzu viel Text lernen zu müssen, wenn wir Dornröschen nehmen. Bei den vielen Drehtagen, die diesen Monat anstehen, hab ich kein Platz, noch viele weitere Szenen zu lernen.‟
 

„Wer sagt denn, dass du eine Rolle bei dem Märchen bekommst?‟
 

„Ich! Immerhin bin ich die einzige von unserer Klasse, die bereits Schauspielerfahrung vorweisen kann. Da kann Seki-Sensei nicht anders.‟
 

Auch Aiko drehte sich zu Onpu um. Diese streckte den anderen gerade die Zunge raus und zwinkerte ihnen zu.
 

„Das heißt aber nicht, dass Seki-Sensei auch so entscheidet. Immerhin hat sie auch immer gesagt, dass wir dich nicht als Star behandeln sollen.‟
 

„Weiß einer von euch schon, wie ihr euer Märchen vorstellt?‟
 

Alle drei schüttelten den Kopf.
 

„So ganz genau hab ich die Geschichte nicht verstanden.‟
 

Sie kamen gerade am Flower Garden an, als Majo Rika und Lala auf sie zu gestürmt kamen.
 

„Wir haben schon auf euch gewartet. Ihr kümmert euch weiter um Hana, während wir etwas in der Hexenwelt erledigen.‟
 

Doremi musste bei den Anblick von Majo Rika grinsen. Der Gedanke an den Froschkönig, wie der um Majo Rikas Gunst warb, war einfach zu komisch. Aiko, der Doremis Gesichtsausdruck nicht entgangen war, stieß dieser zwischen den Rippen.
 

„Was sollte das?‟
 

„Willst du dich etwa verraten?‟
 

Majo Rika spürte, dass etwas nicht stimmte. Sie drehte sich zu Doremi um. Diese stand gerade mit den Rücken zu ihr und versuchte, ihre Gedanken aufs Wesentliche zu konzentrieren, darauf, Majo Rika nicht auszulachen. Natürlich gelang es ihr nicht.
 

„Warum lachst du mich aus, Doremi?‟
 

Jetzt, wo sie einmal damit angefangen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören. Sie lachte so laut, dass man dies sogar noch einige Straßen weiter hören konnte.
 

„DOREMI!‟, schrie Majo Rika. Doch dann erkannte sie, dass sie aus ihrer Schülerin nichts herausbekommen würde, wenn sie diese so an schrie. „Ach, was soll's?‟, mit diesen Worten verließ sie den Flower Garden.
 

Die kleine Hana schrie. Ihr Schreien war kaum lauter als das Gelächter von Doremi, doch ihre drei Freunde bemerkten es dennoch.
 

Während Hazuki und Onpu zu Hana nach hinten gingen, stupste Aiko Doremi an. Diese blickte zu ihrer energischen Freundin. Als Doremi Aikos strengen Blick in Richtung Hinterausgang sah, wurde sie augenblicklich still. Sie wusste, dass sie mit ihrem Gelächter Hana aufgeweckt hatte. Beide liefen zu ihren Freundinnen und Hana nach hinten.
 

„Ist ja schon gut. Ich wollte nicht so laut sein.‟, sprach Doremi sanft zu Hana, während sie ihr in die Augen schaute.
 

Hana, die die warmen Hände ihrer Pflegemutter spürte, beruhigte sich und öffnete die Augen, in der Erwartung, ihre Mütter zu sehen. Da ihre Erwartung erfüllt wurde, lachte sie.
 

„Vielleicht sollten wir ihr die Märchen vorlesen, damit wir wissen, wie wir diese vorstellen können?‟
 

„Gute Idee.‟
 

„Ich bin dagegen.‟
 

Alle drei drehten sich zu Hazuki um. Warum war sie dagegen? Es war doch eine schöne Idee, Hana auch die Geschichten einer anderen Kultur nahe zu bringen. Wie aus einem Mund fragten sie alle: „Warum?‟
 

„Ganz einfach. Habt ihr euch die Märchen denn mal durchgelesen. Hana ist eine Hexe. Und Hexen sind in Märchen immer die Bösen. Willst du etwa, dass sie davon träumt, im Ofen verbrannt zu werden oder jemanden zu verfluchen?‟
 

Ganz verdattert schauten Aiko, Doremi und Onpu sich an. Sie hatten inzwischen einige Hexen kennen gelernt, und keine von ihnen entsprach dem, was die Märchen einem vormachten. Wenn sie Hana jetzt erzählten, dass Hexen immer böse sind, würden sie ihr Pflegekind dazu bringen, zu glauben, dass es selbst nie für das akzeptiert werden würde, was es war. Dies wollten sie ganz bestimmt nicht.
 

„Stimmt‟, bestätigten sie alle Hazukis Zweifel.
 

Der Nachmittag verging schneller, als die vier dies erwartet hätten. Sie gingen einen kleinen Teil gemeinsam, und überlegten währenddessen, wie sie die Hausaufgabe, die Frau Seki ihnen aufgegeben hatte, erledigen sollten.
 

„Vielleicht sollten wir zaubern, um eine Idee zu bekommen.‟
 

„Genau. Wenn wir uns die Märchen einmal anschauen, wissen wir bestimmt, wie wir sie vorstellen sollen.‟
 

Alle vier schauten sich um. Es war fast dunkel, und die Straße, auf der sie sich befanden, war leer. Niemand ging hier entlang. Doremi wollte sich schon auf der Straße verwandeln, als Aiko sie zurückhielt.
 

„Das ist viel zu unvorsichtig. Auch wenn es heute Nacht momentan still ist, kann sich dies recht schnell ändern.‟
 

Sie verzogen sich gemeinsam hinter einem Busch, und verwandelten sich im Schutz der Blätter.
 

„Bereit?‟
 

„Bereit!‟ Alle drei angesprochenen Mädchen nickten Doremi zu.
 

Sie stellten sich in der Form eines Quadrates auf, jeweils drei Meter von der anderen entfernt. Jede von ihnen nahm ihr Karkordion zur Hand und bewegte es in der Luft.
 

„Pirika Pirarara Nobiyakani.‟
 

„Paipai Ponpoi Shinayakani.‟
 

„Pameruku Paruku Takarakani.‟
 

„Pururun Purun Suzuyakani.‟
 

Sie drehten sich aufeinander zu, bis ihre Karkordione sich zu einer Pyramide formten. Gemeinsam vollendeten sie ihren Zauber.
 

„Magical Stage, zeig uns den Sinn dieser Märchen.‟
 

Jede von ihnen dachte an das Märchen, dass sie vor der Klasse vorstellen sollten. Da jede von ihnen so an ein anderes Märchen dachte, vermischten sich die Gedanken in der großen Blüte, die gerade über ihren Köpfen entstand und sich ihnen näherte. Die große Blume breitete ihre Blätter aus, bis sie die vier Hexenschülerinnen verschluckte.



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