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Träume sind wie Sterne

Dragonheart
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieser One-Shot ist schon ziemlich alt und hat einige Jahre auf dem Konto, also bitte berücksichtigen, dass mein heutiger Schreibstil anders ist.
Hinweis: Da Bowen und Draco sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einander mit Namen vorgestellt haben, nennen sie sich gegenseitig nur "Ritter" und "Drachen", wie im Film. Komplett anzeigen

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Träume sind wie Sterne

Bowen kämpfte. Kämpfte und kämpfte, immer weiter. Er kämpfte so beharrlich, wie noch nie zuvor in seinem Leben, aber gegen wen kämpfte er da eigentlich? Oder sollte die Frage eher lauten, gegen was? Obwohl ihm der Schweiß von der Stirn rann, verspürte er keinerlei Erschöpfung. Dabei kämpfte er schon so lange. Wie lange wohl genau?

Erkennen konnte er nichts. Alles war in ein tiefes, endlos erscheinendes Schwarz getaucht. Eine Dunkelheit, die seine Sinne zwar in keiner Weise trüben konnte, doch dafür seinen Kontrahenten in einen schützenden Schatten hüllte. Ja, diese Dunkelheit, diese spürbar boshafte Essenz, war ein Verbündeter desjenigen, gegen den er schon seit einer gefühlten Ewigkeit kämpfte.

Diese Boshaftigkeit. Dieses nahezu greifbare, vom Bösen getränkte Herz, das für diese Dunkelheit verantwortlich war, konnte nur einem gehören, ohne Zweifel. Es gab auf der Welt nur ein einziges Wesen, das Bowen mehr als alles andere auf der Welt mit seinem Schwert richten und dafür büßen lassen wollte, dass es ihm vor genau zwölf Jahren das genommen hatte, was ihm so wichtig gewesen war. Wofür er gelebt hatte.

Sein aufkeimender Hass fing an zu blühen, schien auf seine Klinge überzugehen und ihm einen so enormen Schub an Kraft zu liefern, dass er seinem Feind nur noch den alles entscheidenden Schlag versetzen musste. Und Bowen zögerte nicht, keine Sekunde.

„Dies ist Euer Ende, Drachen!“, rief er siegessicher und stieß mit einem letzten Kampfschrei sein Schwert nach vorne, rammte es direkt in die schattenhafte Gestalt ihm gegenüber, die seinen Schwertkünsten bisher erstaunlich gut standhalten konnte. Jetzt hatte er ihn aber erwischt, diesen Schatten. Diesen Drachen. Endlich.

„Nein“, flüsterte er ungläubig. „Nein, dass kann nicht wahr sein. Einon?“

Kaum hatte seine Klinge den Weg mitten in das Herz seines Gegners gefunden, lösten sich die Schatten von ihm wie lebende Schlangen, die sich spiralförmig nach oben hin zusammenzogen, mit der Dunkelheit verschmolzen und einen Jungen freigaben, den sie zuvor gefesselt hatten: Einon, sein ehemaliger Schüler.

Ja, es war Einon, der leblos nach hinten fiel, wobei sein Körper sich von der Klinge des Ritters löste und anschließend in der Luft zu schweben schien, statt auf dem Boden aufzuschlagen. Blut tropfte ins Nichts.

Erschrocken wich Bowen vor dem Jungen zurück und schüttelte dabei den Kopf. „Nein, er war nicht mein Feind. Er war nicht mein Feind! Dieses Drachenherz hat ihn verdorben!“
 

Bowen.
 

Eine Stimme. Eine Stimme hallte durch diese unendliche Dunkelheit, drang bis zu dem Ritter vor und zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Bowen drehte sich um, ließ seinen Blick hin und her schweifen, um denjenigen zu finden, der ihn gerufen hatte. Angespannt suchte er nach dieser vertraut klingenden Stimme, die sein Herz auf eine merkwürdige Art beruhigte.

Einon hatte er schon völlig vergessen.

„Wer ist da? Wo sind Sie?“

„Schau genauer hin, Bowen“, erklang die Stimme ein weiteres Mal. „Ich bin hier.“

Tatsächlich, da war ein Licht. In der Ferne dieser Dunkelheit konnte er ein goldenes Licht erkennen, dessen Wärme ihn trotz der Distanz erfüllte. Oder waren es eher Sterne, die er dort sah? Sie waren wunderschön. Diesem angenehmen Gefühl musste er einfach folgen und so schritt der Ritter diesem Licht entgegen, bis sich ein plötzlich einkehrender, kalter Schmerz in seinem Herzen ausbreitete, es gefangen nahm.

„Dachtet Ihr, Ihr könntet mich so leicht töten, Bowen?“, flüsterte ihm eine bekannte Stimme gehässig von hinten ins Ohr. „Ihr könnt mir dankbar sein, Ritter. Der Tod ist keine Strafe, sondern eine Befreiung!“

Mit diesen Worten zog der Junge sein Schwert wieder grob aus Bowens Brust heraus und sah seinem ehemaligen Lehrmeister gefühlskalt dabei zu, wie dieser röchelnd zu Boden sank, den Blick auf die tödliche Wunde gerichtet. Einon hatte über ihn gesiegt. War ihm wortwörtlich in den Rücken gefallen, wie es nur ein Feigling tun würde. Das hatte er diesen Jungen mit Sicherheit nicht gelehrt.

„Einon“, schnappte Bowen mit letzter Kraft nach Luft und sank vollends zu Boden, den Blick auf das goldene Leuchten gerichtet, das verblasste.
 

***
 

„Einon!“, schreckte Bowen nass geschwitzt auf und suchte zuerst instinktiv nach seinem Schwert, das direkt neben ihm lag.

Er nahm es sogleich an sich und sprang auf, den Griff fest um sein Schwert, als gäbe es für ihn nichts anderes mehr, woran er sich sonst klammern konnte. Leider wusste Bowen, ohne erst darüber nachdenken zu müssen, dass dem auch so war. Noch halb in Trance schwankte er nach hinten. Panisch richtete sich sein Blick auf seine eigene Brust, doch dort war keine Wunde zu finden.

„Schlecht geträumt, Ritter?“, ertönte in greifbarer Nähe eine tiefe, raue Stimme.

Geschickt schnellte Bowen herum und machte sich auf einen Angriff gefasst. Im ersten Augenblick erschrak er innerlich bei dem Anblick der Kreatur, die nicht viele Meter entfernt von ihm im Gras lag. Auch wenn seine Gestalt in den Schatten der Nacht getaucht war, konnte Bowen ihn deutlich erkennen: Ein Drache.

Seine Sinne waren sofort darauf eingestellt ihn zu töten, bis auch sein Verstand endlich in die Realität zurückkehrte, langsam aber sicher.

Ein Traum. Es war nur Traum.

Trotzdem ließ er sein Schwert nicht sinken, sondern hielt es auf den Drachen gerichtet, der darüber nicht gerade erfreut zu sein schien. Schlimmer noch, er wirkte empört über Bowens Verhalten. Zu dessen Schwert nickend, erhob der Drache abermals seine Stimme. „Muss ja ein aufregender Traum gewesen sein, wenn Ihr deswegen gleich unsere Abmachung vergessen habt.“

Misstrauisch neigte Bowen den Kopf leicht zur Seite. „Was?“

Ach ja, er ist nicht mein Feind. Wir haben eine Vereinbarung.

Allmählich wurde er wieder klar im Kopf. Die letzten Fetzen der erdrückenden Dunkelheit aus seinem Traum zogen sich zurück und gaben ihr Opfer frei, das sie erschreckend überzeugend an der Nase herumgeführt hatten.

Erleichtert atmete Bowen durch, nur blieb sein Körper weiterhin angespannt, angesichts dieser ungewöhnlichen Gesellschaft. Schließlich kam es zum ersten Mal vor, dass er einen Waffenstillstand mit einem Drachen vereinbart hatte, daran musste er sich erst gewöhnen. Zuvor hatte er noch jedem Drachen ohne zu zögern den Hals umgedreht, in der Hoffnung, den einen zu erwischen.

„Verzeiht mir meine Reaktion, Drachen“, bat er das Ungetüm um Entschuldigung und hätte sich selbst dafür verfluchen können, dass ihm diese Worte so selbstverständlich über die Lippen gekommen waren.

Auch wenn sie eine Abmachung hatten, traute er diesem Drachen nicht über den Weg. Seltsamerweise vertraute er ihm mit dem folgenden Satz zu allem Überfluss auch noch an, warum er so reagiert hatte. Der Drache musste ihn im Schlaf verflucht haben.

„Ich hatte in der Tat einen schlechten Traum. Von Einon.“

„Oh“, erwiderte der Drache darauf interessiert, was Bowen verwunderte. Anscheinend wartete er auf weitere Informationen bezüglich dieses Traumes, aber da würde dieses geflügelte Untier lange warten können.

Bowen hatte schon sein Schwert sinken lassen und sich dort hingesetzt, wo er eingeschlafen war. Dabei hatte er sich fest vorgenommen nicht mehr an Schlaf zu denken, solange er einen Drachen im Schlepptau hatte, da er ungern gefressen werden wollte, während er sich im Traumland befand. Wie gesagt, blind vertrauen wollte er diesem Drachen noch nicht. Davon abgesehen wollte er seinen Alpträumen auch keine Chance mehr geben, ihn wieder zu überfallen, so wie es heute der Fall war.

Die ewige Rumsitzerei im Rachen des Drachen muss mich müde gemacht haben. Ich bin nicht mal dazu gekommen, ein Feuer zu machen.

Gedankenverloren starrte Bowen in den Nachthimmel. Es war eine sternenklare Nacht. Das Sternenbild Draco leuchtete heute heller als sonst, so kam es ihm zumindest vor. Irgendetwas an diesen Sternen war heute anders, als würden sie auf etwas warten. Aber auf was?

„Flüchtet Ihr Euch in die Sterne?“

Eine Augenbraue hob sich, als Bowen zu dem Drachen schielte. „Ich flüchte ganz bestimmt nicht. Darf man sich nicht einfach mal nur die Sterne anschauen?“

„Ich denke eher, Ihr flieht vor eurem Traum. Wusstet Ihr, dass Träume oftmals das widerspiegeln, was man sich insgeheim wünscht?“ Ein undefinierbarer Laut entglitt dem Drachen.

Träume spiegelten wider, was man sich insgeheim wünschte? Für eine Sekunde war Bowen tatsächlich der Versuchung nah, dieser Behauptung eine Chance zu geben, stieß sie dann aber abweisend zurück. „Lächerlich. Niemals würde ich mir so etwas wünschen.“

„Nun“, fuhr der Drache mit einer Tonlage fort, der man nicht anmerken konnte, was diesem gerade durch den Kopf ging. „Angeblich soll es helfen, über seine Träume zu sprechen.“

„Ach, und Ihr wollt Euch anbieten?“, sagte Bowen mehr im Spaß, aber sein Gesprächspartner nahm diese Aussage, zu seiner Überraschung, ernst.

„Wenn ich schon mal hier bin und Ihr dazu bereit wärt, mir von Eurem Traum zu erzählen, kann ich auch zuhören. Ich bin ein ziemlich guter Zuhörer.“

Daran zweifelte Bowen nicht, auch wenn er eher glaubte, dass der Drache schlicht neugierig war. Etwas an ihm war anders. Anders, als bei anderen Drachen. Am Aussehen lag es nicht, da waren sie sich alle irgendwo gleich, sondern am Verhalten. Am Charakter. Dieser Drache kam ihm beinahe menschlich vor. Oder waren alle Drachen so?

Ehrlich gesagt habe ich nie wirklich mit einem Drachen gesprochen. Nicht lange genug, um es einschätzen zu können.

Er musste über sich selbst und diesen Gedanken lachen. Drachen waren hinterhältige Wesen, dass wusste er nur zu gut. Man konnte und sollte ihnen nicht über den Weg trauen. Andererseits hatte dieses Exemplar ihm eine Zusammenarbeit vorgeschlagen, statt ihn zu töten. Zum Teil aus Eigennutz und doch ...

Schließlich tat Bowen etwas, was nicht nur ihn selbst, sondern auch den Drachen überraschte.

Er erhob sich, schritt zu dem im Gras liegenden Drachen rüber und setzte sich vor ihm wieder hin. Dabei hatte er sein Schwert dort liegen lassen, wo er zuvor gesessen hatte, was ihm nicht bewusst war, denn in diesem Augenblick vermisste er es nicht.

„Was soll’s, Ihr habt ja recht, Drachen“, seufzte Bowen bedrückt. „Ich flüchte. Ich kann mir nur selbst nicht erklären, wovor. Vielleicht, weil ich nicht dazu fähig war, ihn zu beschützen.“

Der Drache legte den Kopf auf seine gewaltigen Pranken und ließ Bowen nicht aus den Augen. „Erzählt, ich höre Euch zu.“

„Seit einiger Zeit habe ich ständig diesen Traum ...“

Bowen fing an zu erzählen und der Drache hörte ihm aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Eine große Last fiel ihm dabei von den Schultern, indem er dem Drachen von seinem Traum erzählte, der ihn seit einiger Zeit Nacht für Nacht plagte. Es war wie eine Art Erlösung, so viel Erleichterung hatte er zuvor nie verspürt. Dass es ausgerechnet ein Drache sein würde, dem er als erstes von seinen Träumen erzählte, hätte er nie erwartet.

„Dunkelheit umgibt mich. Ich kämpfe gegen jemanden. Und bis zu einem gewissen Zeitpunkt bin ich davon überzeugt, es wäre ein Drache, bis sich herausstellt, dass es Einon ist. Doch jedes Mal, wenn ich das wahre Gesicht meines Gegners erblicke, ist es zu spät. Mein Schwert hat bereits sein Herz durchbohrt und ich sehe ihn zu Boden fallen. Bevor sich mein Verstand an die Verzweiflung verlieren kann, höre ich diese Stimme. Eine Stimme, die meinen Namen ruft, gefolgt von einem angenehm warmen Leuchten in der Ferne. Funkelnde Sterne inmitten dieser Dunkelheit, die nach mir rufen. Ich will dem Leuchten auf den Grund gehen, aber dann ...“

Plötzlich hielt Bowen inne. Schweigen erfüllte die Atmosphäre. Einige Minuten verstrichen, aber der Drache sagte weiterhin nichts, sondern wartete, da er Bowen zu nichts drängen wollte. Erst eine Weile später fühlte er sich dazu bereit, mit seiner Erzählung fortzufahren.

„Dann steht Einon, der eigentlich tot sein müsste, auf einmal wieder auf und rammt mir von hinten sein Schwert durch die Brust.“ Während er das sagte, strich er mit einer Hand über seine unversehrte Brust. „Ich spüre, wie ich sterbe. Das letzte, was ich sehe, ist dieses Licht, dass wie ein goldener Sternenhimmel aussieht. Danach wache ich auf.“

„Hm“, murmelte der Drache nachdenklich. „Klingt eher nach einer Zukunftsvision als nach einem geheimen Wunsch.“

„Soll mich das jetzt trösten?“

Egal, was es nun war, ob ein geheimer Wunsch oder eine Zukunftsvision, es endete jedes Mal gleich. Jedes Mal war er es, der fiel, verraten von seinem eigenen Schüler. Dazu kam noch, dass er es ihm gar nicht übel nehmen konnte, schließlich hatte er Einon zuvor ebenfalls das Schwert ins Herz gejagt. Nur warum stand Einon letztendlich wieder auf, als sei nichts gewesen und Bowen konnte dem Tod nicht entkommen? Die Botschaft dieses Traumes konnte nur eine sein.

„Es ist alles meine Schuld.“ Seufzend senkte Bowen den Kopf. „Ich hätte auf ihn aufpassen sollen. Jahrelang habe ich ihn alles gelehrt, was ich wusste. Über den alten Kodex. Die Schwertkunst. Er war fast wie ein eigener Sohn für mich und ich habe sein Leben in die falschen Hände gegeben. Nicht jener Drache ist dafür verantwortlich, dass das Herz dieses Jungen verdarb, wie ich es mir einzureden versuche, sondern ich. Und ich habe dafür zu büßen.“

Kurzzeitig drang ein wütendes Knurren aus der Kehle des Drachen und dessen Muskeln schienen sich anzuspannen. „Niemand außer Einon selbst ist für das verantwortlich, was aus ihm geworden ist. Es trifft weder den Drachen noch Euch die Schuld, Ritter, sondern diesen Jungen. Jeder kann für sich die Wahl treffen, welchen Weg man einschlagen will und Einon hat den falschen gewählt. Keiner hätte daran etwas ändern können.“

Erst wollte Bowen ihn für diese Worte zurechtweisen und ihm klar machen, dass Einon selbst am wenigsten die Schuld traf, aber ihm fehlte der nötige Ansporn dazu. Selbst wenn der Drache recht haben würde, hätte es nichts an der Tatsache geändert, dass Bowen sich schuldig fühlte.

So lange schon jagte er sämtliche Drachen im gesamten Land, in der Hoffnung, den zu erwischen, dessen Herz in Einons Brust schlug. So lange kämpfte er schon gegen Drachen, weil es ihn nach Rache dürstete und er sich geschworen hatte, diesen Drachen mit seinen eigenen Händen zu bestrafen. Und jetzt, wo er ja offenbar laut diesem einen Drachen neben ihm bei dem letzten seiner Art angekommen war, erkannte er, dass es sich nicht gelohnt hatte. Nichts hatte sich verändert. Einon stand nach wie vor unter dem Einfluss dieses verdorbenen Herzens und würde niemals wieder der werden, der er einmal war.

Wie man es auch drehte und wendete, er hatte versagt. Sein Traum war es gewesen, Einon zu einem gütigen und gerechten König zu erziehen, aber das genaue Gegenteil war eingetroffen, weil er einmal nicht aufgepasst hatte. Es gab keinen passenden Begriff dafür, um zu beschreiben, wie Bowen sich gerade fühlte. Zu viele Emotionen auf einmal hämmerten auf seinen Kopf ein und seine Glieder wurden schwer.

Dem Drachen entging der miserable Gemütszustand von Bowen nicht, auch wenn der es äußerst gut verstecken konnte. „Hey, Ritter. Was glaubt Ihr, könnte dieses Leuchten in Eurem Traum zu bedeuten haben?“

„Woher soll ich das wissen?“, antwortete Bowen ehrlich und zuckte mit den Schultern. „Ich bin kein Traumdeuter.“

„Ich denke, es steht für Hoffnung.“

„Hoffnung?“, wiederholte er, verwirrt von dieser Deutung. „Wie kommt Ihr darauf?“

Wie auf Stichwort richtete der Drache sich auf, breitete kurz die Flügel einmal aus, damit diese aus ihrer Starre erwachten und deutete nach oben in den Himmel, der mit zahlreichen Sternen überfüllt war. „Träume sind wie Sterne. Sie sind immer da, auch wenn man sie nicht sehen kann. Sie begleiten Euch auf Eurem Weg, um diesen zu erhellen, wenn man nicht mehr weiter weiß. Ihr Anblick gibt uns ein Gefühl von Frieden. So liegt auch in einem Traum stets ein Stück Hoffnung verborgen.“

Diesen Vergleich fand Bowen lächerlich. Was sollten Sterne mit Träumen zu tun haben?

„Ich sag Euch was, Drachen“, entgegnete er und lehnte sich zurück, stützte sich dabei mit beiden Händen auf dem Boden ab und folgte dem Blick des Drachen Richtung Sterne. „Ihr habt recht, Träume sind wie Sterne. Immer da, aber unerreichbar. Egal, welche Art von Träumerei, es bleibt oft ein unerfüllter Traum.“

„Nicht für jene die wissen, wie man sie erreichen kann.“

Bowen lenkte den Blick auf den Drachen. Etwas an der Art, wie er das sagte, klang traurig, obwohl es eine gute Botschaft beinhaltete. Ob ihn etwas bedrückte? Nachdem der Drache ihm Gehör geschenkt hatte - was nichts Selbstverständliches war - wäre es da nicht angebracht ihn wenigstens zu fragen, ob er sich ihm nicht auch mitteilen wollte, wo sie schon gerade eh dabei waren? Unsicher wandte er den Blick wieder ab und starrte auf den Boden.

Ehe er sich entscheiden konnte, ob er den Drachen darauf ansprechen sollte oder nicht, hatte dieser schon einen weiteren Satz angefangen. „Wir sollten noch ein wenig schlafen, bald geht schon die Sonne auf. Und wir haben morgen schließlich unseren ersten, großen Auftritt.“

Stimmt. Morgen wollten sie den Plan in die Tat umsetzen, den der Drache ihm vorgeschlagen hatte. In Bowens Ohren klang dieser immer noch ziemlich verrückt, aber durchaus genial. Hoffentlich ging dabei nichts schief, das war seine größte Sorge.

„Wohl wahr.“ Nickend erhob Bowen sich. „Für ein überzeugendes Schauspiel kann noch ein wenig Schlaf nicht schaden.“

„Ich hoffe, Ihr träumt diesmal von etwas schönem, Ritter.“

Schmunzelnd schüttelte er den Kopf. „Ihr klingt wie meine Mutter, Drachen.“

„Nun, ich bin ja auch um einiges älter als Ihr, nicht?“, schnaubte der Drache vergnügt.

Damit drehte Bowen ihm den Rücken zu und war selbst erstaunt darüber, dass er nicht die geringste Anspannung mehr verspürte. Ihm kam es so vor, als wäre dieser Drache nicht mehr ein ehemaliger Feind, sondern bereits so was wie ein guter Freund, dabei kannten sie sich erst seit ein paar Stunden. Das war absurd, aber gleichzeitig fühlte es sich zur Abwechslung sehr gut an.

Bevor er sich hinlegte, wandte er sich noch einmal an ihn. „Danke für das Gespräch.“

„Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite.“

„Wisst Ihr was, Drachen?“

„Hm?“, horchte er interessiert.

„Wenn es eine Chance auf einen Funken Hoffnung in diesem Traum gibt, dann will ich daran festhalten.“
 

***
 

Der Ritter war schnell erneut eingeschlafen. Die ganze Angelegenheit mit Einon hatte ihn die vergangenen Jahre über wohl mehr mitgenommen, als der Drache vermutet hatte. Dieser Mann litt unter den Umständen genauso sehr wie er selbst, vermutlich fühlte er sich ihm aus diesem Grund auch auf einmal so nah.

Sein Blick war seit diesem Gespräch ununterbrochen auf die Sterne gerichtet, die mittlerweile der aufgehenden Sonne weichen mussten. Nach und nach verschwanden sie, aber er wusste, dass sie nicht einfach weg sein würden. Träume konnten nicht so leicht vom Erdboden verschluckt werden.

Möglicherweise hatte Bowen nicht ganz unrecht mit dem, was er sagte. Sterne und Träume waren immer da, aber unerreichbar. Waren sie das wirklich? Hatte er seine Hoffnungen in die falschen Bahnen gelenkt, als er damals sein Herz mit dem Jungen teilte?

War ich zu egoistisch gewesen? Weil ich nur daran gedacht habe, meiner Seele einen Platz dort oben zu sichern?

Wie viele Gedanken er sich darüber auch machte, es war nicht rückgängig zu machen. Alles, was sie tun konnten, war das Beste daraus zu machen.

Als die ersten Sonnestrahlen die Erde berührten, ließ der Drache vom Himmel ab und schenkte seine Aufmerksamkeit dem Ritter, der offenbar pünktlich erwachte. Bestimmt hatte der Traum dieses Mannes eine Bedeutung, dessen war er sich sicher. Auch wenn sie unerreichbar waren, eines hatten Sterne und Träume wirklich gemeinsam: Sie hatten stets eine Bedeutung.

Ob es nun ein Hoffnungsschimmer, eine Warnung oder schlicht eine Furcht des Ritters war, würde sich gewiss noch zeigen.

An diesem Morgen hatte der Drache eine Entscheidung getroffen. Zum Teil war der Traum des Menschen ein Grund dafür, ein anderer war das Gefühl der Verbundenheit, die er verspürte, wenn er mit ihm zusammen war. Etwas ihn ihm glaubte, dass sich alles zum Gutem wenden würde, wenn er seinen weiteren Weg mit ihm zusammen beschritt. Er glaubte zum ersten Mal seit langem an eine Zukunft. Auch er wollte an diesen kleinen Hoffnungsschimmer festhalten, auch wenn er kaum zu erkennen war.

„Guten Morgen, Ritter. Seid Ihr bereit dafür, Eure nächste Schlacht zu schlagen?“



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