Flowers for a fading Flower
Aus irgendeinem Grund wusste sie sofort, dass es nicht Shinichis Idee gewesen war. Sie wusste nicht warum, und wenn sie ehrlich war, dann wollte sie es auch gar nicht wissen, aber schon als ihr Blick das erste Mal auf die Blumen fiel wusste sie, dass das alles Kaitos Idee war. Vielleicht wollte er sie ärgern (auch wenn sie ihn, unter all den Anschuldigungen, die sie ihm angedichtete hatte, nun wirklich nicht für SO gemein hielt), vielleicht fühlte er sich auch schuldig. Auch wenn sie nicht wusste warum. Er wusste damals immerhin nichts von ihr, richtig? Also war es nicht seine Schuld, sich in Shinichi – diesen viel zu begriffsstutzigen, viel zu ehrlichen, und einfach nur vielvielviel zu perfekten Idioten - zu verlieben. Und wenn Ran ganz ehrlich war, für einen Moment die Augen öffnete und aus dem tiefen Loch herauskroch, in dem sie sich seit Jahren versteckt hatte, dann war da sowieso nie etwas gewesen. Shinichi & Ran – so etwas hatte es doch nie gegeben. Sie waren weder Freund und Freundin gewesen, noch hatten sie jemals offensichtliche Andeutungen gemacht.
Also hatte sie eigentlich gar kein Recht wütend auf Shinichi zu sein, oder? Und eigentlich müsste er sich nicht schuldig fühlen, oder? Und dann müsste Kaito ihr auch keine Blumen schicken, oder?
Und trotzdem standen sie da. Fröhlich in der Vase, mit einem roten Band herumgewickelt, sogar die Mühe eine Schleife zu binden hatten sich die beiden gemacht. Auf der Karte stand zwar, sie wären von Shinichi, aber Shinichi würde so etwas nie tun. Nicht von alleine. Nicht ohne Unterstützung.
Und tief in ihrem Herzen hatte Ran sich immer gewünscht, dass sie diese Person wäre. Die Shinichi in den Arm nehmen würde, wenn die Lösung eines Falles in weiter Ferne schien. Wenn er übermüdet und ausgelaugt nach Hause kommen würde und einfach nur jemanden brauchte, der für ihn da war. Der ihm zuhörte, wenn er ein offenes Ohr brauchte. Der seine tröstende Schulter war, wenn er nichts anderes tun konnte als zu weinen. Die Person, der er mit seinem Leben vertrauen würde.
Es brach ihr das Herz wenn sie nur daran dachte, wie jemand anderes all das für Shinichi war.
Jemand anderes als sie.
Vielleicht war es ja immer nur Wunschdenken gewesen. Hatte sie es sich vielleicht bloß eingebildet?
Den flehenden Unterton, sie solle bloß auf ihn warten und nicht weggehen.
Die kleinen Zeichen, dass sie die Welt für ihn wäre.
Die endlose Liebe, von der sie sich immer gewünscht hatte, er würde sie für sie empfinden.
War es schlimmer, wenn er niemals etwas für sie empfunden und sie sich alles bloß eingebildet hatte, oder wenn die Gefühle einmal dagewesen waren, so nahe in ihrer Reichweite, dass ihr Herz die Gefühle fast auffangen konnte, und es ihr gnadenlos vor ihren Augen weggenommen wurde?
Es klang beides grausam.
Und nun standen diese kleinen Blumen vor ihr auf dem Tisch, die Karte in ihrer Hand.
Von Shinichi.
Mehr stand da nicht. Kein ’Es tut mir Leid’, kein ’Bitte verzeih mir’, und auch kein - und wie sehr sie sich diese Worte doch wünschte, egal, wie egoistisch es auch war - ’Es war alles ein Fehler, ich liebe nur dich’. Es war nichts anderes als selbstsüchtig, aber hatte sie nicht auch das recht nur einmal an sich zu denken? In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt. So hieß es doch. Aber wie es schien, hatte sie beides verloren; ihre Liebe, und den Krieg, von dem sie nicht einmal wusste, dass er stattgefunden hatte.
Irgendetwas war komisch an der Karte. Vielleicht war es die rote Farbe, vielleicht die schwarze Tinte, vielleicht die große Größe, aber irgendetwas störte sie an ihr.
Ein verächtliches Schnaufen verließ Rans Lungen. Dummer Mystery-Otaku, jetzt beeinflusste er sie auch schon ohne seine Anwesenheit.
Nachdenklich drehte sie die Karte zwischen ihren Fingern und fuhr immer wieder darüber. Sie war glatt und roch nach Neupapier, aber das war es auch nicht.
Vielleicht…
Plötzlich ging ihr ein Licht auf und sie versuchte vorsichtig, die Karte zu trennen. Und es klappte wirklich, sie ging auseinander! Erstaunt betrachtete Ran die nun zwei Karten und konnte nicht verhindern, dass etwas wie Stolz in ihr aufkam. Hatten diese unzähligen Detektivgeschichten von diesem Krimispinner also doch etwas gebracht!
So schnell wie die Freude auch gekommen war, verschwand sie auch wieder.
Dummer Shinichi…
Was Ran aber noch mehr verwunderte, als dass es überhaupt zwei waren, war die Tatsache, dass auf der zweiten Karte sogar etwas draufstand. Diesmal in einer hellblauen Schrift, bei der es Ran fast nicht gelang, die Worte zu entziffern.
Blumen für eine schwindende Blume.
Gib nicht auf.
Lass dir Trost spenden.
Finde Hoffnung und verlier sie nicht wieder.
Welke nicht dahin und erstrahle zu neuem Glanz.
Keine Unterschrift.
Ein kleines, wirklich nur winzigkleines, Lächeln legte sich auf ihre Lippen.
Dummer Kaito… Da hatten sich ja zwei gefunden.
Der Gedanke tat weh. Ihr Herz brannte, als hätte man es in einen Topf glühender Kohlen geworfen. Sie könnte weder Shinichi, noch Kaito in nächster Zeit ins Gesicht sehen. Aber vielleicht würde sie eines Tages darüber hinwegkommen und wieder zu neuem Mut finden.
Sie nahm eine der Blumen aus der Vase und drehte sie zwischen ihren Fingern. Ihr Blick lag derweilen die ganze Zeit auf den weißen Blüten.
Lustig, sie hätte nie erwartet, dass Kaito sich mit der Sprache der Blumen auskannte.
Eines Tages würde sie wieder in voller Pracht erstrahlen.
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Die Karte lag derweilen vergessen neben Ran, mit der Rückseite oben.
An die rettende Orchidee der blauen Rose & die beeindruckende Orchidee der weißen Calla
