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Einmal ausschlafen, bitte!

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Einmal ausschlafen, bitte!

Einmal ausschlafen, bitte!


 

Eine Kopfnuss riss mich aus dem Schlaf.

Mein Schädel pochte für einen Moment und ich fluchte. Ich fluchte nicht, weil es wehtat oder dergleichen, sondern ich ärgerte mich einfach über die Tatsache, dass ich geweckt worden war. Schon wieder. Wie fast jede Nacht seit drei Monaten.

Ich drehte mich auf die Seite und fiel fast aus dem Bett. Ich stieß einen erneuten Fluch aus und beschloss, die Ursache meines Schlafproblems zu beseitigen. Natürlich nur im übertragenen Sinne.
 

Das Licht der Laterne fiel durchs Fenster. Gerade genug, damit ich erkennen konnte, was mir in letzter Zeit so viel Kopfzerbrechen bereitete.

Ich betrachtete das kleine Wesen, das mit weit von sich gestreckten Armen auf dem Rücken meine Hälfte der Matratze in Beschlag nahm. Seine dunklen Haare zeichneten sich auf seiner hellen Haut ab und sein Mund stand etwas offen und die winzigen Vorderzähne blitzten mir entgegen.
 

Ich seufzte.

Klar, ich sehnte mich danach, mal wieder acht Stunden am Stück zu schlafen, aber egal, wie müde ich war, ich konnte meinem Sohn nicht böse sein. Zumindest nicht, solange er noch so klein war und mich nicht bewusst um den Schlaf brachte.
 

Behutsam schob ich ihn weiter in die Mitte des Bettes, und holte mir den Platz zurück, der ursprünglich mir zustand.

Ein kurzer Blick auf die Uhr – es war halb drei – und auf Temari, die auf ihrer Seite dicht am Rand gedrängt lag, dann schloss ich wieder die Augen.
 

Anstatt zu schlafen, überlegte ich, wie diese Situation überhaupt zu Stande gekommen war.

Ich weiß noch, dass wir vor der Geburt geplant hatten, unser Kind zwar mit in unserem Zimmer, aber in seinem Bett schlafen zu lassen.

In den ersten eins, zwei Wochen funktionierte das ganz gut, doch dann ging das Theater los. Drei Nächte schlug Temari sich mit tragen, Dauerstillen und wieder tragen um die Ohren, dann kapitulierte sie.
 

»Kann er heute Nacht nicht bei uns schlafen?«, fragte sie mich in ihrer Verzweiflung und da ich nicht wollte, dass sie noch dunklere Augenringe bekam, stimmte ich zu.
 

Ich dachte mir nichts Großartiges dabei. Ein paar Wochen, dann war diese Phase sicher erledigt. Und so ein kleines Baby nahm nicht so viel Platz weg.
 

Ein Rascheln und ich blinzelte. Daichi – so hieß er – hatte sich auf den Bauch gedreht. Zu meinem Glück zu seiner Mutter hin.
 

Aus den paar Wochen war mehr als ein Dreivierteljahr geworden.

Solange er sich nicht drehen konnte, war alles okay gewesen. Er schlief bei uns wirklich ruhig und wurde maximal zweimal wach, weil er Hunger hatte. Als er siebeneinhalb Monate alt war, hatte es sich auch mit dem nächtlichen Stillen erledigt und er schlief durch. Temari auch. Ich aber nicht.

Ich fragte mich ernsthaft, wie ihr das Gewusel unseres Kindes entgehen konnte. Ich jedenfalls wachte immer auf, wenn er sich umherwälzte und mir mit der flachen Hand ins Gesicht patschte. Oder er mich mit seinem Fuß, den er mir an den Hals drückte, nahe an den Erstickungstod brachte.

Ich liebte diesen Jungen über alles, aber irgendwann hatte ich genug.

Es musste sich etwas ändern. Und nicht erst, wenn das Kind mit vier Jahren freiwillig auszog.
 


 

---
 

Am nächsten Morgen weckte mich sein lautes Babylachen.

Ich lugte durch die Lider und erkannte, wie Temari ihn durchkitzelte. Sie strahlte und in den vier Jahren, die wir vor der Geburt zusammen gewesen waren, hatte sie nie glücklicher ausgesehen.

Ich musste zugeben, dass sie völlig entgegen meiner Erwartung eine sehr liebevolle Mutter war. Ich staunte oft darüber, wie sehr sie in ihrer Aufgabe aufging. Ihr ruheloses, kratzbürstiges Wesen hatte sie komplett zurückgestellt – na ja, fast – und sie legte eine Geduld an den Tag, die ich ihr niemals zugetraut hatte. Und nicht nur auf unseren Sohn bezogen. Das Zusammenleben mit ihr war sehr viel harmonischer geworden.

Ich mochte diese sanfte Seite an ihr. Sehr sogar.

Und trotzdem war es ein Problem: Sie war nur noch Mutter. Alles drehte sich nur noch um unseren Kleinen und unsere Beziehung als Paar war auf der Strecke geblieben.

Die ersten Monate störte es mich noch nicht. Mir war lange, bevor er auf der Welt war, klar, dass ein Kind viele Veränderungen mit sich brachte und es seine Zeit brauchte, bis sich alles eingependelt hatte. Aber das zählte für mich seit Monaten nicht mehr als Grund, auch wenn sie es immer wieder betonte. Selbst jetzt nach zehn Monaten war es ihr Totschlagargument.
 

Ich öffnete die Augen ganz und brachte mich in letzter Sekunde vor einem Angriff meines Sohnes auf meine Haare in Sicherheit.
 

»Auch endlich wach?«, stichelte meine Freundin belustigt los. »Du siehst nicht gerade ausgeruht aus, wenn man bedenkt, dass du mindestens neun Stunden Schlaf hattest.«

»Was du nicht sagst«, murmelte ich und schälte mich aus dem Bett, um ins Bad zu gehen.

Sie nahm Daichi auf die Arme, schaute ihn mit gespielter Strenge an und fragte: »Hast du Papa etwa wieder wach gehalten?«
 

Dann lachte sie. Sie lachte, als wäre es etwas Selbstverständliches, eine Kleinigkeit, die man einfach so wegstecken konnte.

Konnte ich nicht.
 

»Sehr lustig«, kommentierte ich sie sarkastisch. »Wirklich sehr lustig, wenn man seit fast drei Monaten keine Nacht durchschlafen konnte.«
 

Temari schenkte mir ein Lächeln, um sich zu entschuldigen, drückte mir einen Kuss auf die Wange und ging mit unserem Sohn an mir vorbei in Richtung Küche.
 

Ich starrte ihr nach und berührte die Stelle, an der sie mich geküsst hatte. Jetzt waren wir schon so weit, dass sie mich nur noch wie einen guten Freund auf die Wange küsste. Absurd. Und ernüchternd.
 

---
 

Ich ging duschen. Wie jeden Morgen, wenn ich frei hatte oder nicht auf Mission war. Und ich fragte mich, warum ich das überhaupt machte, wenn es nichts Erwähnenswertes zum Abwaschen gab. Vor einem Jahr war das noch anders gewesen. Damals hatte sie mich trotz fortgeschrittener Schwangerschaft mindestens jeden zweiten Tag in Beschlag genommen. Und jetzt?

Von ihr kam so gut wie nichts mehr. Tatsächlich war die letzten Male die Initiative von mir ausgegangen – was wirklich etwas hieß – und sie hatte nachgegeben. Allein mir zuliebe. Oder damit sie wieder ein paar Tage ihre Ruhe hatte. Da war ich mir nicht sicher.
 

Ich zog mich an, ließ die Weste, die an der Garderobe hing, heute links liegen – es war schließlich Sonntag – und setzte mich zu meiner Familie an den Küchentisch.
 

Daichi spachtelte fleißig sein Essen in sich hinein – für ihn gab es seit Neuestem kleingeschnittenes Brot mit Streichwurst – und stellte sich so geschickt an, wie ich es einem Baby in seinem Alter nicht zugetraut hätte.

Mein Blick wanderte zu Temari. Sie hatte mit dem Frühstück auf mich gewartet und ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich mir bei der Dusche mehr Zeit als sonst gelassen hatte.
 

Sie lächelte, dann goss sie sich den Früchtetee, den sie im Winter so gerne trank, in ihre Tasse. Heißer Dampf stieg nach oben und verflüchtigte sich nach einigen Zentimetern. Er stand sinnbildlich für unsere Leidenschaft, die kurz vor dem Erlöschen war.
 

»Möchtest du auch Tee?«, fragte sie, doch ich schüttelte den Kopf.

»Tja, wer nicht will, der hat schon!«, flachste sie und ich ertappte mich beim Schmunzeln.
 

Nichts war erloschen. Gut, unser Liebesleben lief auf niedrigster Sparflamme, und mein Schlafproblem war nicht aus der Welt, aber davon abgesehen war alles in Ordnung. Wir verstanden uns großartig, ich wusste immer noch, warum ich sie liebte und den Wunsch nach einem gemeinsamen Kind hatte sie mir erfüllt – auch wenn es nicht das geplante Mädchen geworden war. Seit ich mit ihr zusammen war, lief nichts nach Plan. Aber das war okay für mich.

Ich wollte unseren Sohn gegen kein Mädchen der Welt eintauschen. Und wenn er mich noch so oft weckte.
 

»Ich hab deiner Mutter übrigens versprochen, dass wir heute Nachmittag bei ihr vorbeischauen.« Temari zog eine Miene, die von purer Begeisterung sprach, und setzte ironisch nach: »Ach, ich freu mich jetzt schon drauf.«
 

Obwohl sie Yoshino im Großen und Ganzen in puncto Charakter ähnelte, verstand sie sich nicht unbedingt gut mit ihr. Die pedantische Art und Weise meiner Mutter, ihr Besserwisserei und die tausend Ratschläge, die sie ungefragt erteilte, waren ihr von Anfang an gehörig auf die Nerven gegangen und seit der Kleine da war, war es nicht besser geworden. Eher im Gegenteil.
 

»Du musst mir echt noch mal erklären, wie du es zwanzig Jahre lang jeden Tag mit ihr ausgehalten hast.«
 

Ich zuckte die Achseln. Es war mir selbst unbegreiflich.
 

Temari seufzte.

»Stimmt irgendwas nicht?«, fragte sie und ich fühlte mich von ihr ertappt. »Du bist heute so ruhig … Ruhiger als sonst, meine ich.«
 

Klar, ich musste und wollte mit ihr darüber reden, was mich beschäftigte. Aber nicht jetzt. Nicht vor unserem Sohn.

Ich stopfte mir das Innere des Körnerbrötchens in den Mund, das ich unbewusst ausgeweidet hatte. Und schüttelte den Kopf.
 

Ihre Augenbrauen zuckten kurz nach oben und ihr Blick sagte mir, dass das Thema für sie nicht abgeschlossen war und sie definitiv bei Gelegenheit nachhaken würde.

Wenn ich nicht selbst anfangen musste, umso besser. Das war mir nur recht.
 


 

---
 

»Er ist eingeschlafen.«
 

Sie flüsterte, obwohl Daichi zwei Räume weiter lag. Beim Mittagsschlaf kurioserweise in seinem eigenen Bett.
 

Ich merkte, wie sie sich neben mich auf die Couch warf und mir die Zeitung, die ich aus Langeweile durchblätterte, aus der Hand riss.
 

»Und jetzt raus mit der Sprache!«, forderte sie mich auf.
 

Ich sah sie an und ihr ernster Gesichtsausdruck hinterließ einen unangenehmen Eindruck bei mir. So schaute sie sonst nur drein, wenn sie den Verdacht hatte, dass ich ihr etwas verheimlichte.

Tat ich irgendwie auch, aber sicher nichts dermaßen Schlimmes, wie sie wahrscheinlich vermutete. Nicht einmal annähernd.
 

»Nein, ich hab keine andere«, sagte ich rasch und nahm ihre linke Hand, um meiner Aussage den passenden Nachdruck zu verleihen.
 

In der Vergangenheit hatte ich nicht nur einmal den Fehler gemacht und ihr die Möglichkeit gegeben, dass sie sich an irgendwelchen Vermutungen hochziehen konnte. Also hatte ich mir angewöhnt, ihr von Anfang an den Wind aus den Segeln zu nehmen.
 

»Das würde ich nie tun und das weißt du auch«, setzte ich nach.
 

Ihre Sorgenfalte verschwand.
 

»Ja«, erwiderte sie, »aber aus welchem Grund bist du sonst so komisch?«

»Übermüdung, Schlafmangel … nenn es wie du möchtest.«
 

Temari blinzelte schuldbewusst, sagte aber nichts.

Ich wusste, dass sie nicht so ruhig bleiben würde, wenn ich mein Problem ansprach – schließlich ging es um ihren heißgeliebten Augenstern, den sie vergötterte –, aber …
 

»Du weißt, wovon ich rede«, fuhr ich fort. »Ich hab seit Monaten keine Nacht mehr in Ruhe geschlafen. Ich sag’s nicht gern, aber er muss aus unserem Bett verschwinden.«
 

Ihre Miene änderte sich und von Schuldbewusstsein war keine Spur mehr.
 

»Das sagst du doch nur, weil du immer noch enttäuscht darüber bist, dass er kein Mädchen geworden ist.« Sie zog ihren Arm zurück und löste sich so aus meinem Griff. »Das Leben ist kein Wunschkonzert. Finde dich damit ab.«
 

Dieses Argument hatte sie schon lange nicht mehr ausgepackt und ich konnte keins weniger leiden als das.

Da war mir ihr ›Das Familienbett ist doch eine schöne Sache. So viel Nähe hat man zu seinem Kind nie wieder‹ lieber. Sehr viel lieber. Weil es nicht so haltlos und unsinnig war, denn das Geschlecht meines Kindes hatte für mich schon lange vor seiner Geburt keine Rolle mehr gespielt.
 

»So ein Schwachsinn!«, gab ich zurück. »Eine Tochter, die mich jede Nacht mehrmals mit Tritten und Schlägen aufweckt, würde ich genauso wenig auf Dauer neben mir liegen haben wollen.«
 

Argwöhnisch musterte sie mich, auf der Suche nach dem kleinsten Zeichen, das auf eine Lüge hindeutete. Eine Eigenheit, die ich schon zu Genüge von meiner Mutter kannte, und die ich absolut nicht ausstehen konnte. Wahrscheinlich, weil es so erschreckend für mich war, wie sehr sie sich in solchen Momenten ähnelten.

Ich hielt ihren Blick stand und schließlich gab sie auf.
 

Sie seufzte. Es war ein Seufzen der Einsicht.
 

»Entschuldige«, sagte sie. »Ich hab vor ein paar Wochen doch wieder versucht, ihn nachts umzubetten, aber sobald ich ihn in sein Bett lege, ist er sofort wach. Und von alleine schläft er dort drin nicht ein. Du kennst doch sein Geschrei.«
 

Ich verstand sie absolut, aber trotzdem.
 

»Irgendwas muss sich ändern«, beharrte ich. »Ich bin momentan Alleinverdiener und werde es noch eine Weile sein und deswegen muss ich ausgeschlafen sein.«

»Du hast ja Recht, aber –«

»Ist es in deinem Sinne, wenn ich mir auf einer Mission die Kehle aufschlitzen lasse, weil ich vor Müdigkeit einen Moment unaufmerksam war?«
 

Temari biss sich auf die Unterlippe und ich wusste, dass ich mit dieser Aussage ihren wunden Punkt getroffen hatte.
 

Mir gefiel die Methode, wie ich ihr den Ernst meiner Lage näherbrachte, selbst nicht. Doch was hatte ich für eine Wahl, wenn sie auf jeden Grund, der Sinn machte, nicht ansprang?
 

»Hör auf, so einen Scheiß von dir zu geben«, murmelte sie. »Das kann dir in Zeiten des Friedens wie jetzt gar nicht passieren …«
 

Ich hörte an ihrer Stimme, dass sie von ihren Worten selbst nicht überzeugt war.

Ja, die Vereinigung der fünf großen Nationen bestand seit fünf Jahren – so lange war auch der letzte Krieg her –, aber in den Grenzgebieten und in den kleinen Ländern herrschte große Unzufriedenheit, die man auf lange Sicht unmöglich nur mit Diplomatie lösen konnte, wenn sich am System nicht noch einmal etwas änderte.

Und die Wahrscheinlichkeit war zwar geringer, aber zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, konnte immer noch das Todesurteil bedeuten.

Das wusste sie.
 

»Gut«, setzte sie nach, »Dann ziehe ich mit ihm erstmal vorübergehend ins Kinderzimmer. Dann kannst du in Ruhe schlafen.«
 

Diesmal war ich derjenige, der blinzelte.

Ihr Vorschlag löste mein Schlafproblem auf einfachste Weise, aber mit dieser Lösung war ich noch weniger einverstanden als mit der aktuellen Schlafsituation.

Wir hatten so schon kaum Körperkontakt und jetzt wollte sie sich auch noch in der Nacht räumlich distanzieren? Das konnte ich unter keinen Umständen akzeptieren. Wenn ich das zuließ, konnte ich gleich zurück zu meiner Mutter ziehen.
 

»Du ziehst bestimmt nicht ins Kinderzimmer«, legte ich fest.
 

Wieder kaute Temari auf ihrer Lippe herum. Ich wusste, dass ihr mein Widerspruch nicht schmeckte, aber diesmal trat ich nicht den Rückzug an. Ich hatte mich lange genug an die Situation angepasst und nun war sie an der Reihe.
 

»Shikamaru«, sagte sie langsam. »Denk verdammt noch mal nach.«
 

Ich konnte mir nicht helfen, aber ihr Tonfall glich einer Drohung. Sie konnte wirklich Angst einflößend sein, wenn sie stur an etwas festhielt, doch diesmal war es mir egal. Wenn sie mich dafür umbrachte, bitte. Dann war ich all meine Probleme auf einen Schlag los.
 

»Ich sagte nur, dass du in kein anderes Zimmer ziehst«, erwiderte ich mit ruhiger Stimme.
 

Die Ruhe bewahren war in Streitgesprächen mit ihr das A und O, wenn man keine Todessehnsucht hatte. Als Alternative blieb nur die Kapitulation, auf die sie es gerne anlegte, aber darauf konnte sie heute lange warten.
 

»Du weißt, dass das nicht geht.«
 

Sie klang auf einmal völlig anders. So sanft.
 

»Warum denn nicht?«, fragte ich überflüssigerweise.

»Er ist doch noch so klein«, argumentierte sie und schaute mich betreten an. »Es ist doch eine furchtbare Vorstellung, wenn ein Baby alleine in einem dunklen Zimmer schlafen muss.«
 

Ich mochte es nicht, wenn sie mich so traurig ansah. Es kam nicht oft vor, aber wenn löste es Schuldgefühle in mir aus, wo keine sein durften.

Sie hatte mich komplett in der Hand. Aber es machte mir nichts aus. Ich hatte es schließlich selbst so gewollt.

Nachgeben war trotzdem nicht drin. In diesem Fall half auch ihr Dackelblick nicht.
 

»Er schläft jetzt auch alleine«, sagte ich.

»Jetzt ist es auch hell!«
 

Diesmal warf ich ihr einen ernsten Blick zu.
 

»Okay, okay, ich geb’s ja zu« – sie seufzte – »Ich bin eine Glucke!« Und um an mein Gewissen zu appellieren, setzte sie nach: »Was ist so falsch daran, dass ich meinem Kind Liebe, Nähe und Geborgenheit geben möchte?«

»Überhaupt nichts. Aber meinst du nicht, dass du es ein wenig damit übertreibst?«
 

Temari machte einen Gesichtsausdruck, als hätte ich ihr eine Ohrfeige verpasst – verbal hatte ich das wohl auch –, aber sie äußerte sich nicht weiter dazu.
 

»Und was jetzt?«, fragte sie stattdessen. »Auf die Couch verbannen möchte ich dich auch nicht. Aber wenn es dich wirklich so stört, dass er nachts zwischen uns liegt …«
 

Ich nickte.
 

»Okay, ich überleg mir bis heute Abend was«, schloss sie das Thema. Dann schaute sie mich erwartungsvoll an und fuhr fort: »Gibt es noch etwas, worüber wir reden sollten?«

»Ja«, sagte ich, »und zwar darüber, dass du nur noch Mutter bist.«
 

Keine Ahnung, was man an meiner Äußerung missverstehen konnte, sie tat es jedenfalls.
 

»Ich weiß, dass ich mich ziemlich gehen lasse«, entgegnete sie. »Aber ich hab momentan einfach keine große Lust, meine Zeit in Schminken und mich schick machen zu investieren.«
 

Dass sie es so auffassen könnte, damit hatte ich nicht gerechnet. Die Dinge, die sie ansprach, störten mich auch gar nicht.

Gut, ihr Kleidungsstil war etwas bequemer geworden und die kurzen Röcke und engen Tops waren lange im Schrank verschwunden, aber solange sie nicht den ganzen Tag mit einem T-Shirt voller Babykotze herumlief, war mir das relativ egal. Und ihr fehlendes Make-up vermisste ich absolut nicht. Es war in Ordnung, wenn sie ein bisschen ihre Augen betonte, aber alles andere war mehr als überflüssig. Besonders den Lippenstift, den sie eine Weile getragen hatte, hatte ich nie gemocht. Zum einen, da er ihr nicht gestanden hatte und zum anderen, weil er mich in solche Schwierigkeiten gebracht hatte. Den Argusaugen meiner Mutter waren nicht mal die kleinsten Reste von dem Zeug entgangen und als mir die Ausreden ausgingen, hatte ich ihr von der Beziehung zu Temari erzählt.
 

»Das ist es nicht«, warf ich ein. »Schminke hast du gar nicht nötig.«

»Was ist es dann?«, fragte sie und zog plötzlich eine Miene, als hätte ich ihr wirklich eine verpasst. »Es ist meine Figur, oder?«
 

Mit dieser Vermutung war sie noch mehr auf dem Holzweg als vorher.
 

»Nein«, sagte ich. »Deine zwei, drei Kilo mehr –«

»Schön wär’s!«, unterbrach sie mich. »Es sind elf! Und egal, was ich mache, ich werd sie einfach nicht los.«

»Und?«

»Wie und

»Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mir so viel besser gefällst?«
 

Das war die absolute Wahrheit. Wegen mir brauchte sie jedenfalls kein einziges Gramm verlieren.
 

»Ich dachte, das sagst du nur, damit ich mich besser fühle …« Sie seufzte.

»Hab ich vor der Schwangerschaft nicht oft genug betont, dass du mir zu dünn warst?«, erwiderte ich.
 

Ein Achselzucken.
 

»Und nun?«

»Bist du optimal.«
 

Ich wollte eigentlich perfekt sagen, aber das hätte sie wahrscheinlich als Beleidigung aufgefasst. Mein gewähltes Synonym erfüllte denselben Zweck und klang nicht so nach einem Klischee aus einer dieser kitschigen Liebesromanzen, die sie so furchtbar fand.
 

»Wenn du an meinem Aussehen nichts auszusetzen hast, worum geht es –« Temari brach ab. »Schon klar«, murmelte sie und sah mich direkt an. »Seit wann hast du so ein großes Interesse an Sex?«
 

So selten, wie es momentan stattfand, assoziierte sie es mit großem Interesse? Was war dann wenig Interesse? Einmal im Jahr?
 

»Einmal in zwei Wochen ist mir zu wenig«, sagte ich mit Nachdruck.
 

Genau genommen war das letzte Mal vor zweieinhalb Wochen gewesen, aber ich wollte keine Erbsenzählerei veranstalten.
 

»Ist es wirklich schon so lange her?«, fragte sie und zog vor Überraschung die Augenbrauen hoch. »Kommt mir gar nicht so vor.«
 

Irgendwie fühlte ich mich im falschen Film. Früher war sie diejenige, die nicht genug bekommen konnte und am liebsten jeden Tag wollte. Okay, das war wohl nichts Außergewöhnliches, wenn man eine Fernbeziehung führte und sich nur alle vier Monate für acht Wochen sah, aber dass es mal so ins Gegenteil umschwang – selbst, nachdem wir vor eineinhalb Jahren zusammengezogen waren –, hätte ich niemals gedacht.

Verkehrte Welt.
 

»Das ist mir klar«, entgegnete ich trocken.
 

Ein erneutes Seufzen von ihr.
 

»Es tut mir leid«, sagte sie und zum Glück hörte es sich nicht wie eine dieser hohlen Phrasen an, die sie gerne mal auspackte, damit ich nicht weiter nachhakte. »Seit Daichi da ist, ist mein Kopf so voll … Aber warum hast du nicht schon mal eher was gesagt?«
 

Diesmal kam das Schulterzucken von mir.
 

»Du hast ja Recht«, stimmte Temari mir zu, obwohl ich gar nichts gesagt hatte. »Ich weiß, der Sexkram war mal mehr so mein Ding, aber …«
 

Wir sind jetzt Eltern und da verändert sich nun mal vieles, vervollständigte ich ihren Satz in Gedanken. Ich machte mich schon auf ein Streitgespräch gefasst, doch …
 

»Ach, vergiss das Aber«, sagte sie. »Ein Wunder, dass du diese Ausrede überhaupt so lange hingenommen hast.«
 

Ich schwieg. Ich wollte sehen, wohin ihr Monolog sie führte.
 

»Jetzt, wo ich mal so darüber nachdenke … Es ist nicht so, dass mir gar nichts fehlt, aber –« Sie schüttelte den Kopf und fluchte: »Dieses verdammte Wort sollte man aus dem Wörterbuch streichen!«
 

Ich hatte Mühe, meine neutrale Miene aufrechtzuerhalten. Die seltenen Momente, in denen sie die Fassung verlor, waren unbezahlbar.
 

»Weißt du was?« Sie pfefferte die Zeitung beiseite, die sie immer noch in der Hand hielt. »Ich bin eh auf verlorenem Posten, wenn wir jetzt weiter rumdiskutieren. Wozu noch labern? Machen wir’s einfach!«
 

Ich starrte sie an. Diese plötzliche Wendung kam mir zwar gelegen, aber suspekt war es trotzdem irgendwie.
 

»Was?«, fragte ich, um sicherzugehen, dass ich mich nicht verhört hatte.
 

Sie rollte die Augen, tippte dann mit dem Finger gegen ihr Handgelenk, wo man sonst eine Uhr trug, und sagte: »Der Kleine schläft noch mindestens eine Stunde. Mit ein bisschen Glück – kurze Erholungspausen eingeschlossen – schaffen wir es dreimal. Also?«
 

Sie wartete nur auf meine Zustimmung. Und dazu ließ ich mich kein zweites Mal auffordern.
 

»Einmal reicht auch erstmal«, erwiderte ich.
 

Sie beugte sich zu mir herüber, hielt aber inne.
 

»Eins noch«, warf sie ein. »Die Milchbar anfassen ist vorerst noch tabu!«
 

Ich war nie auf ihre Brüste fixiert gewesen und von daher war ihre Bedingung zu verschmerzen, solange sie nur wieder öfter mit mir schlief.
 

Ich bemerkte ihr Lächeln, dann stürzte sie sich auf mich.

So wie früher.
 

---
 

»Das eine Problem wäre damit also gelöst«, keuchte sie mir belustigt ins Ohr.

»Vorerst«, sagte ich. »Und wenn du nicht ins alte Schema zurückfällst.«

»Auf gar keinen Fall.«
 

Temari verschränkte ihre Arme in meinem Nacken und küsste mich – dieses freundschaftliche Wangenküssen hatte sie anscheinend wieder ad acta gelegt – und ich zog sie mit mir hoch auf die Couch. Und anstatt wie die letzten Male in Panik ihre Sachen zusammenzusuchen, weil unser Kind ja jede Sekunde wach werden konnte, setzte sie sich auf meinen Schoß und lehnte sich an mich.
 

»Schön, mal wieder einen richtigen Grund zum Duschen zu haben«, scherzte ich und sie lachte.

»Ist eine neunstündige Schicht bei der Arbeit etwa kein guter Grund?«

»Nicht, wenn man nur langweilige Trainingseinheiten überwacht.«
 

Die Genin, die an der Endrunde der Chuunin-Auswahlprüfung teilnahmen, und deren Lehrer im Auge zu behalten, war tatsächlich keine Aufgabe, die mich sonderlich zum Schwitzen brachte. Und da ich seit drei Wochen nichts anderes tat …
 

»Wie wär’s, wenn wir gleich das zweite Kind machen?«, schlug sie plötzlich vor und stellte ein erwartungsvolles Lächeln zur Schau.
 

Ich gab gerne mal klein bei, wenn sie mich so anschaute, doch diesmal funktionierte es nicht. Nicht in diesem Punkt.
 

»Vergiss es!«

»Warum denn nicht?«, erwiderte sie enttäuscht – jedenfalls tat sie so, als wäre sie es, aber ich kannte sie nun schon einige Jahre – und fuhr fort: »Vielleicht bekommst du dann deine heißersehnte Tochter.«
 

Ich fühlte mich großartig – wie konnte ich auch nicht? – und so stieg ich auf ihr kleines Spiel ein.
 

»Und wenn es doch wieder ein Junge wird?«

»Dann machen wir eben so lange weiter, bis es mit dem Mädchen klappt.«

»Und irgendwann haben wir eine halbe Fußballmannschaft zusammen.«

»Die Gefahr besteht natürlich, da in deiner Familie fast nur Jungen geboren werden« – ein Schulterzucken – »Versuch macht klug. Wer nicht wagt, gewinnt auch nicht.«

»Sorry, Glücksspiel liegt mir nicht«, erwiderte ich.

»Vielleicht hast du gerade eben schon wieder einen Treffer ins Schwarze gelandet.« Sie kicherte. »Ich nehme momentan schließlich nichts. Und bei unserem Sohn hat’s ja auch auf Anhieb geklappt.«
 

Seltsamerweise hinterließ die Vorstellung auf den zweiten Volltreffer nur wenig Eindruck auf mich.

Eine Nachwirkung der Endorphine, vermutete ich.
 

»Dann ist es eben so«, sagte ich gleichmütig. »Ich wollte ja zwei Kinder. Also warum nicht gleich?«

»Du spinnst wohl!«, protestierte sie, konnte sich aber offensichtlich nicht zwischen Verärgerung und Belustigung entscheiden. »Ich liebe nichts auf der Welt mehr als unseren Sohn, aber mit ihm hab ich erstmal genug zu tun.«

»Wie du meinst.«
 

Temari verengte ihre Augen und sah mich ernst an.
 

»Oder willst du jetzt wirklich noch eins?«

Ich schüttelte den Kopf. »Muss nicht unbedingt sein.«
 

Grundsätzlich hatte ich nichts dagegen, aber erst einmal war es mir lieber, wenn wir beide eine Zeit lang wieder mehr als Paar fungierten, anstatt uns sofort auf die nächste Bewährungsprobe zu stürzen.
 

»Das wäre also geklärt«, sagte sie und warf einen Blick auf die Uhr, die an der Wand hing. »Genug Zeit hätten wir noch. Wie wär’s?«

»Legst du es drauf an, wieder schwanger zu werden?«

»Meinst du, einmal mehr macht jetzt noch den großen Unterschied?«, gab sie zurück. »Und keine Sorge: Ich geh gleich morgen zum Arzt und lass mir was verschreiben. Oder hast du keinen Nachholbedarf?«

»Hast du denn welchen?«
 

Sie fasste meine Gegenfrage als ein Ja auf.

Und ich widersprach nicht.
 

---
 

Schweigend sah ich meiner Mutter zu, wie sie ihren Enkel bespaßte. Sie kitzelte ihn, zog Grimassen und Daichi kicherte so vergnügt, als hätte er den Spaß seines Lebens.

Ich warf einen Blick auf Temari. Sie lächelte zwar, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass es sie nicht ganz so glücklich stimmte, wie sie es gerade zur Schau stellte.
 

»Alles in Ordnung?«, flüsterte ich.

»Klar«, sagte sie, »ein bisschen deprimiert es mich schon, aber sonst ist es schön, dass er sie so gut leiden kann.«
 

Sie angelte sich eine Zeitschrift vom Tisch und durchblätterte sie. Der Anblick unseres Sohnes und meiner Mutter musste schwer für sie zu ertragen sein, wenn sie sich schon freiwillig eins dieser Klatschhefte ansah.
 

»Sieh es doch nicht so eng«, versuchte ich, sie aufzumuntern. »Deinen Platz nimmt sie schon nicht ein.«
 

Keine Antwort.
 

»In spätestens einem Jahr ist es vorbei mit dem Spaß und sie ist die strengste Oma, die du dir vorstellen kannst.«

»Ja, genau«, erwiderte sie sarkastisch. »Nur weil sie dir alles verboten hat, heißt das nicht, dass sie es bei Daichi genauso machen wird.« Sie seufzte. »Aber ist ja auch egal. Vielleicht sollte ich mich wirklich freuen.«
 

Meine Mutter nahm ihn hoch und tanzte mit ihm durch die Gegend. Ich bezweifelte stark, dass sie das einmal mit mir gemacht hatte, als ich so klein gewesen war. Da der Kleine mir ziemlich ähnlich sah, war es vielleicht auch ihre Art das nachzuholen, was sie bei mir verpasst hatte.
 

Yoshino hüpfte noch eine Weile mit ihm durch die Gegend, dann drückte sie mir Daichi, der immer noch lachte, in die Arme und fiel atemlos auf den Sessel. Sie sah so glücklich aus und irgendwie war es schön, das zu sehen. Seit mein Vater gestorben war, hatte sie wirklich nicht viel gehabt, über das sie sich freuen konnte.
 

»Ihr müsst viel öfter hier vorbeikommen«, japste sie. »Ihr könnt ihn mir gerne auch ein paar Stunden aufs Auge drücken und mal wieder ausgehen oder so.«
 

Temari sagte nichts, aber ich wusste, dass sie ihr unseren Sohn auf gar keinen Fall ohne ihre Aufsicht überlassen würde. Nicht in der nächsten Zeit. Aber da Daichi das totale Mamakind war, war das ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit. Solange ich da war, ging es noch, aber wenn wir beide nicht im Raum waren, ging die Sirene los und sie verstummte nicht eher, bis er wieder sicher in Mamas Armen war.
 

So ähnlich wie jetzt.

Er weinte nicht, aber er zappelte auf meinem Schoß herum und streckte die Arme aus. Also reichte ich ihn an seine Mutter weiter, bevor es ungemütlich wurde.

Sie drückte ihn mit einem strahlenden Lächeln an sich, küsste ihn auf die Stirn und er quittierte es mit einem zufriedenen Quietschlaut.

Manchmal beneidete ich sie schon, dass sie so eine enge Beziehung zu unserem Kind hatte. Aber ich war mir sicher, dass sich das irgendwann gab und ich als Vater nicht mehr die zweite Geige spielte.
 

»Übrigens«, setzte meine Mutter an, als sie nicht mehr nach Luft schnappen musste, »wann wollt ihr denn endlich heiraten?«
 

---
 

»Langsam geht mir ihre ständige Drängelei auf die Nerven«, sagte Temari, als wir auf dem Heimweg waren.

„Langsam?«, wiederholte ich. »Sie nervt uns damit doch schon seit eineinhalb Jahren.«
 

Seit meine Mutter von unserer Beziehung wusste, hatte sie sich regelmäßig daran hochgezogen, dass ich mit einer Frau zusammen war, die drei Jahre älter war als ich. Wie unmoralisch und untypisch das wäre und so ein Blabla.

Das war zumindest ihr Aufreger Nummer Eins, bis sie von Temaris Schwangerschaft erfuhr und sie einsehen musste, dass ihre Proteste vergeblich waren.

Sie freute sich auf ihren Enkel, aber eine Sache passte ihr trotzdem nicht: Er durfte auf keinen Fall unehelich auf die Welt kommen.

Zu ihrem Leidwesen ignorierten wir sie und heirateten nicht. Ein Kind änderte für uns nichts an der Tatsache, dass wir auch ohne Trauschein glücklich waren. Aber das zählte für sie nicht.
 

»Sag ihr doch endlich mal die Meinung«, forderte sie mich auf. »Sonst kannst du sie die nächsten Jahre ohne mich besuchen gehen. Ich weiß, dass sie mich nicht besonders mag, aber das gibt ihr nicht das Recht, sich ständig in unser Privatleben einzumischen.«
 

Ich stimmte ihr uneingeschränkt zu. Aber ich konnte mir Besseres vorstellen, als mich mit meiner Mutter anzulegen. Sie war so schrecklich empfindlich geworden, seit mein Vater nicht mehr war. Und da sie außer mir – und seit zehn Monaten ihren Enkel – niemanden mehr hatte, der ihr nahestand …

Ja, ich hatte Skrupel. Und nach wie vor eine gehörige Portion Respekt vor ihr.

Letzteres hatte ich vor Temari allerdings auch.
 

»Sie hat gefälligst zu akzeptieren, dass wir niemals heiraten werden«, wetterte meine Freundin weiter. »Der Kleine hat doch schon deinen Nachnamen! Was will sie denn noch?«

»Unehelich bleibt für sie unehelich«, merkte ich an. »Mach dir nichts draus. Ignoriere sie einfach.«

»Was bleibt mir auch anderes übrig, wenn du dich immer so von ihr unterbuttern lässt?«
 

Sie berührte kurz meine Hand, um mir deutlich zu machen, dass sie es nicht so böse meinte, wie es klang. Ich fasste es schon lange nicht mehr so auf und obwohl sie das wusste, hatte sie diese Geste beibehalten.
 

»Ich meine, Narutos Eltern waren auch nicht verheiratet und er ist trotzdem der Weltenretter und der nächste Anwärter auf den Posten des Hokage. Warum stört sie sich daran nicht?«
 

Innerlich lachte ich über ihren Vergleich.
 

»Weil er nicht mit ihr verwandt ist«, bemerkte ich.
 

Sie knuffte mich in die Seite.
 

»Du hast auch auf fast alles ’ne Antwort, was?«, flachste sie und wir lachten.
 

Es war wieder einer dieser Momente, der mir bewusst machte, warum unsere Beziehung von Anfang an so gut funktioniert hatte. Natürlich hatte es Streit gegeben, aber im Großen und Ganzen harmonierten wir ziemlich gut miteinander.

Das war auch der Grund, warum ich ein paar Jahre früher als geplant den Entschluss gefasst hatte, trotz Fernbeziehung eine Familie mit ihr zu gründen.

Ihre Reaktion darauf hatte ich noch heute in guter Erinnerung.

Keine ewig lange Diskussion, nur ein ›Okay, versuchen wir’s. Und wenn es klappt, muss ich wohl zu dir ziehen.‹

Und genau das hatte sie ohne Zögern getan, als sie nur vier Wochen später den positiven Schwangerschaftstest in den Händen gehalten hatte.

Obwohl sie der ursprünglichen Vorstellung meiner Zukünftigen so wenig entsprach, hätte nicht zufriedener sein können. Ich lebte genau das Leben, das ich mir im Mugen Tsukuyomi erträumt hatte.
 

Ich beobachtete Daichi dabei, wie er an einer von Temaris Haarsträhnen herumspielte. Das Haareziehen hatte sie ihm mit viel Geduld und liebevoller Konsequenz abgewöhnt.

Er kicherte vor sich hin und als es ihm zu langweilig wurde, lehnte er sich mit dem Kopf gegen ihren Nacken.
 

»Du kannst ihn ja auch mal tragen«, schlug sie mir mit einem Lächeln vor. »Das Tuch ist lang genug.«

»Ich glaube nicht, dass mir die Farben besonders stehen.«
 

In den sieben Farben des Regenbogens gewickelt wollte ich mich nur ungern in der Öffentlichkeit sehen lassen, aber davon abgesehen, traute ich mir das Gefrimel mit einem fast fünf Meter langem Tragetuch auch nicht zu. Es war schon erstaunlich, mit wie viel Geschick sie ihn sich innerhalb von drei Minuten sicher auf den Rücken band.
 

»Ich hab auch noch ein Blaues«, bemerkte sie mit einem Grinsen, »aber das dürfte tatsächlich etwas knapp sein. Und die Bindetechnik dafür bekomme ich auch nicht auf die Reihe. Du hast Glück!«
 

Ich wusste, dass sie mit Glück in diesem Fall Pech meinte. Pech, dass mir dieses Privileg entging.

Sie hatte mich bis jetzt noch nie gefragt, ob ich das Tragen mal übernehmen möchte und selbst wenn ich Ja gesagt hätte, hätte sie ihn mir nur ungern überlassen. Sie liebte es, unseren Sohn so stundenlang durch die Gegend zu tragen. Und er ließ sich mindestens genauso gerne von ihr tragen. Da wollte ich mich nicht dazwischen drängen.
 

»Gaara schafft es diesmal übrigens zur Endrunde herzukommen«, wechselte sie das Thema. »Kankurou kommt natürlich auch mit.«

»Dann wird es voll bei uns zu Hause, oder?«, fragte ich.
 

Der Besuch an sich war okay. Sie waren nicht meine besten Freunde, aber ich wusste, wie wichtig ihr ihre Brüder waren. Vor allem Kankurou wollte ich nachts nicht alleine auf dem Flur über den Weg laufen. Er war immer noch stinksauer auf mich, weil ich ihm seine geliebte Schwester weggenommen hatte und betonte das in den Briefen, die er ihr regelmäßig schrieb, auch immer wieder mit liebenswürdigen Morddrohungen.
 

»Nein, die beiden müssen sich ein Pensionszimmer nehmen«, sagte Temari. »Wo sollen sie bei uns denn schlafen? In der Abstellkammer?«

»Im Kinderzimmer«, schlug ich vor. »Es ist groß genug und außer zum Wickeln benutzen wir es momentan eh nicht.«

»Die Zwei können sich wahrscheinlich nichts Besseres vorstellen, als in einem Raum mit Sternchentapete zu schlafen«, kommentierte sie meinen Vorschlag amüsiert. »Gut, warum eigentlich nicht?! Aber wenn Kankurou dich in einem unachtsamen Moment umbringt, ist es deine eigene Schuld.«

»Du bist ja da, also wird es schon schiefgehen.«

»Auch wahr.« Sie lächelte. »Dann beschütze ich dich wieder. So wie damals.«
 

Die Anspielung darauf, dass sie mich vor neun Jahren vor dieser verrückten Musikliebhaberin aus Otogakure gerettet hatte, hatte sie schon lange nicht mehr gemacht.
 

»Ist dir inzwischen etwas eingefallen, das mein Schlafproblem löst?«, wechselte ich dezent das Gesprächsthema.

»Jemand, der sich streng nach Feng Shui einrichtet, würde zwar ’ne Krise kriegen, aber ja, ich denke schon.«
 

Ich hatte keine Ahnung, was sie mit dieser Metapher sagen wollte. Wenn es denn eine Metapher war.

Fragend schaute ich sie an.
 

»Wir müssen das Schlafzimmer ein wenig umräumen«, klärte sie mich auf. »Wenn das Bett an einer Seite an der Wand steht, kann der Kleine am Rand schlafen, ohne dass er raus fällt; du nimmst die andere Seite und ich quetsche mich zwischen euch.«
 

Ihr Einfall war so simpel, dass ich mich fragte, warum ich nicht selbst schon vor Wochen auf diese Idee gekommen war.
 

Sie blickte über ihre Schulter zu unserem Sohn, griff an ihre Seite und kitzelte ihn unter dem Fuß. »Dann kannst du Papa nicht mehr malträtieren und um den Schlaf bringen. Nicht wahr, mein Spatz?!«
 

Er zog sein Bein etwas zurück und kicherte sein fröhliches Babylachen.
 

---
 

Kein Weinen, kein kleines Patschehändchen in meinem Gesicht, kein Fuß in meiner Magengrube weckte mich am nächsten Morgen. Nein, es war der beste Wecker überhaupt: Ein Kuss.
 

»Aufstehen«, flüsterte Temari mir zu. »Das Wochenende ist vorbei.«
 

Ich seufzte und zog mir die Decke über den Kopf. Ich fühlte mich so ausgeruht wie schon lange nicht mehr, doch der Erinnerung an die erste durchgeschlafene Nacht seit Langem wollte ich mich noch ein paar Augenblicke hingeben.
 

»Bleib nicht zu lange liegen, sonst kannst du die Dusche vergessen.« Ich hörte durch den Stoff gedämpft, wie sie auflachte. »Und die hast du nötig.«
 

Ich erinnerte mich an gestern Abend. Die beiden Nummern am Mittag eingeschlossen hatten wir es öfter als in den letzten zwei Monaten gemacht.

Solange Daichi noch mit bei uns im Bett schlief, fand das Ganze zwar hauptsächlich auf der Couch im Wohnzimmer statt, aber das machte mir nichts aus. Ganz und gar nicht.

Und da es mir nun endlich wieder vergönnt war, nachts richtig zu schlafen …
 

Ich schlug die Decke zurück und betrachtete unseren Sohn, der immer noch schlief. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
 

Ja, unter diesen Umständen konnte er ruhig noch eine Weile zu Gast in unserem Bett bleiben.
 


 

~ Ende ~
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieser Oneshot ist wirklich sehr persönlich geprägt. Aber welche Teile ich nun direkt selbst erlebt hab und erlebe, verrate ich nicht. ;)

Besondere Grüße an dieser Stelle an meinen Freund, den ich heute vor sieben Jahren kennengelernt habe. Ich hab extra mit dem Posten bis jetzt gewartet. =D

Und ein herzliches Dankeschön an die liebe parasitism fürs Betalesen. Du hast mir sehr geholfen. Die Szene mit Yoshino widme ich ganz dir. Ich hoffe, sie gefällt dir ein bisschen. =)
Der Name »Daichi«, den wir mehr oder minder gemeinsam für das Kind ausgesucht haben, stammt aus ihrer Fanfiction »Der Traumfresser«. Dort heißt allerdings der fiese Haupt-Antagonist so und von daher rate ich niemandem, das hier als Fortsetzung anzusehen (das wäre nämlich sehr makaber – aber lesen solltet ihr den Traumfresser unbedingt!). :D

An der Ich-Form hab ich momentan wieder einen Narren gefressen und aus Shikamarus Sicht macht sie einfach besonders viel Spaß. Eine kleine Einstimmung (wenn ihr das hier lest, es eigentlich zu spät dafür, aber was soll’s :D) findet ihr im ersten Kapitel meiner Mini-Oneshot-Sammlung »Farbenspiel« und auch einer der erwähnten Briefe von Kankurou wird demnächst dort landen.

Ich danke fürs Lesen! :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  a-z-0
2014-10-17T17:47:30+00:00 17.10.2014 19:47
Hihi das war ein spitze one shot^^ ich hatte echt spaß amm lesen und wer haäte damit gerechnet das temari einsichtig wird hahaha das hast du klasse gemacht :)
Antwort von:  Rabenkralle
18.10.2014 08:46
Dankeschön für dein Kommentar! :)
Na, der Spaß ist ja die Hauptsache. :D
Ich frage mich zwar, ob Temari nicht vielleicht zu schnell eingeknickt ist, aber letzten Endes hat sie ja eigentlich doch gewonnen, da der Kleine weiter mit im Bett schlafen darf. :D

Liebe Grüße,
Rabenkralle
Von: abgemeldet
2014-10-17T08:07:28+00:00 17.10.2014 10:07
Hallo erstmal :) ein sehr süßer one shot. Ich liebe deinen schreib Stil sowieso und die Story ist sehr passend geschrieben :) jetzt kann ich die Situation der beiden noch besser verstehen da meine kleine mich auch ganz in Beschlag nimmt :D aber es gibt echt nichts schöneres als Mutter zu sein :)
Alles liebe jajita :)
Antwort von:  Rabenkralle
18.10.2014 08:43
Vielen Dank für dein Kommentar! :)
Freut mich doch zu hören, dass dir das Ganze so zusagt.
Ich bin jetzt leider nicht so die Mutter aus Leidenschaft. Mein Kleiner ist inzwischen eineinhalb Jahre alt und sein ständiges Trotzen bringt mich täglich an meine Grenzen. Hergeben würde ich ihn aber trotzdem nicht mehr. :D

Liebe Grüße,
Rabenkralle


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