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Gute Nacht

von

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Schlaft gut

Vierhundert-dreiundneunzig Bücher im Regal, Vierhundert-vierundneunzig Bücher im Regal ...

Das Bett war bequem, vielleicht ein klein wenig warm und eigentlich hatte er gedacht, dass er müde gewesen wäre. Dennoch lag er mit geschlossenen Augen auf dem Rücken, die Decke nur locker über die Beine geworfen und mit aufgrund der Hitze darunter hervor gestreckten Füßen auf dem Rücken und versuchte sich gerade vorzustellen, wie er in der Bibliothek stand und langsam und behutsam ein Buch nach dem anderen einräumte.

Als Kind hatte man ihm erzählt, er solle Schafe zählen, die über einen Zaun auf die Weide sprangen, wenn er nicht schlafen konnte, aber irgendwie hatte sich der Sinn dahinter Kouen nie so ganz erschlossen. Irgendwann war er dazu übergegangen stattdessen im Kopf lieber seine Bücher zu ordnen und dabei zu zählen. Davon hatte er wenigstens was, vorausgesetzt er schlief nicht wirklich halb ein. Immerhin die ersten fünfzig konnte er schon alphabetisch sortiert nach Titeln auswendig wiedergeben.

Vierhundert-neunundneunzig Bücher im Regal …

Allerdings war es beinahe unmöglich sämtliche Bücher der inzwischen doch deutlich gewachsenen Bibliothek im Kopf zu haben, ganz abgesehen davon, dass dies ja nicht der eigentliche Sinn seines Versuchs war.

Fünfhundert Bücher im Regal …

Und schlagartig öffnete er die Augen. Fünfhundert war die magische Grenze, wenn er bis dorthin nicht schlief, brauchte er es gar nicht länger zu versuchen, das wusste er aus Erfahrung. Mit einem leisen, unwilligen Geräusch warf Kouen die Decke zurück und stand kurzerhand auf.

Angesichts der warmen Nacht verzichtete er darauf Schuhe überzustreifen und lief einfach barfuß los. Der angenehmste Weg zur Bibliothek führte durch den kleinen Innenhof und kam ihm gelegen, da er so kurz ein wenig frische Luft schnappen konnte.

Weit kam er allerdings nicht, genau genommen nicht mal bis in den Innenhof, denn als er an der Küche vorbeikam, erklangen hinter der Tür Geräusche, die um die Uhrzeit nicht da sein sollten. Das leise Klappern von Geschirr und das dumpfe Aufsetzen von Behältern auf der steinernen Arbeitsfläche. Außerdem schimmerte es hinter den dünnen Papiertüren verdächtig, als würde jemand mit einer Kerze dort stehen.

Kouen runzelte minimal die Stirn und schob die Tür ohne groß darüber nachzudenken auf. Ein erschrockenes Quietschen war die Folge und eine Schwester, die sich ertappt mit einem halben Pfirsich im Mund und weit aufgerissenen Augen in einer geradezu albernen Bewegung zu ihm umdrehte.

Als Kougyoku scheinbar erkannte, wer sie da bei ihrem nächtlichen Küchenplündern ertappt hatte, ließ sie die Arme langsam wieder sinken, nahm das Obst aus dem Mund und atmete tief durch. „Du hast mich erschreckt, O-Nii-sama“, murmelte sie und hielt sich eine Hand an die Brust.

Kouen hob darauf nur eine Augenbraue. „Hattest du Hunger?“, fragte er schließlich und sprach das offensichtliche aus.

Kougyoku räusperte sich darauf leise und rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Ein wenig. Ich konnte irgendwie nicht schlafen und als mein Magen geknurrt hat …“

Sie verstummte und deutete ein wenig beschämt auf den dekorativ angerichteten Teller mit geputztem und geschnittenem Obst. „Warum bist du auf, Nii-sama?“

Das war eine gute Frage, die Kouen mit einem Schulterzucken beantwortete. „Ich wollte in die Bibliothek“, erklärte er stattdessen, woraufhin sie ihn einen Moment mit großen Augen ansah und dann sacht fragte: „Ist es okay, wenn ich mitkomme? Ich bin auch ganz still.“

Sie schob sich das Stück Pfirsich ganz unprinzessinenhaft in einem in den Mund, damit sie die Hände freihatte, um die große Platte zu nehmen und ihm fragend hinzuhalten. Ein kleines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als Kouen sich ein Stück Apfel nahm und nur leise nickte, ehe er sich wieder umdrehte und zurück Richtung Innenhof lief. Er hörte hinter sich ein kaum unterdrücktes, freudiges Geräusch, dann wurde die Kerze ausgeblasen und Fußtapsen folgten ihm.

„Du solltest nicht zu viel essen, sonst schläfst du sicher nachher nicht gut“, erklärte er beiläufig, während sie nun den Innenhof betraten und es schlagartig heller wurde. Die Nacht war klar, aber dank der sommerlichen Hitze des Tages nicht kalt und am Himmel leuchtete neben einigen Sternen deutlich erkennbar ein abnehmender Halbmond.

Und Kouen registrierte leicht verwundert, dass dort offenbar noch jemand wach war. Mitten im sorgsam gepflegten Gras war eine große Decke ausgebreitet worden und jemand lag dort, auf ein längliches Kissen gelehnt und der Körperhaltung nach, beobachtete dieser Jemand die Sterne.

Kouen machte Kougyoku ein Zeichen stehen zu bleiben und trat hinaus in die Wiese. Das Gras war kühl und kitzelte ihn leicht an den nackten Füßen. Er rechnete nicht wirklich mit einem Eindringling oder ähnlichem, aber kaum, dass er die weiche Decke erreichte und erkannte, wen er vor sich hatte, entspannte er sich dennoch ein klein wenig.

„Kannst du etwa auch nicht schlafen?“

Koumei schüttelte den Kopf, noch ehe er sich überhaupt umwand, um statt zum Himmel nun zu Kouen hochzusehen. „Leider nicht. Aber die Sterne sind schön.“

Kouen richtete automatisch den Blick nach oben und stimmte seinem Bruder wortlos zu. Die Sterne waren wirklich sehr gut sichtbar und bildeten klar definierte Muster, zu denen sein Verstand automatisch Namen rezitierte.

„O-Nii-san!“

Ah, stimmt, das Mädchen war ja auch noch da gewesen … Als Kouen den Blick wieder senkte, hatte sich Kougyoku kurzerhand neben Koumei auf der Decke niedergelassen und hielt auch ihm lächelnd die Platte hin. Der blinzelte kurz, griff dann nach einer Kiwi und nickte nur.

Kouen zögerte kurz, dann zuckte er die Schultern und ließ sich im Schneidersitz nieder. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, hier zu bleiben, aber es fühlte sich seltsam nostalgisch an. Als seine Geschwister teils noch sehr kleine Kinder gewesen waren und er das eine oder andere mal auf sie aufgepasst hatte, hatten sie manchmal abends hier zusammen gesessen und er hatte ihnen aus einem der großen Geschichtsbücher vorgelesen. Aber das war lange her, wenn er darüber nachdachte. Sein Blick fiel auf seine Schwester und er überschlug, dass es um die zehn Jahre sein mussten inzwischen. Seit dem war verdammt viel passiert.

„Wahahahaaaaaaaah!“

Der Schrei – und sein abrupter Wechsel von einem Lachen zu eben einem richtigen Schrei – ließ alle erschrocken herumfahren, kurz ehe etwas ein Stück von ihnen entfernt herunter plumpste und mit einem Stöhnen in den Blumen landete.

Kouen registrierte am Rande das kurze Aufblitzen von etwas großem, metallischem, dann war es bereits wieder verschwunden und Kougyoku neben ihm sprang auf und rannte in Richtung des gelandeten Objekts. „Ah! Kouha, du machst meine Blumen kaputt!“

Und tatsächlich saß dort mitten im sorgsam angelegten, kleinen Beet ihr jüngster Bruder in Nachtwäsche und rieb sich gerade den Kopf. „Kann ich doch nichts dafür …“, murmelte er nur, während Kougyoku neben ihm wild gestikulierte und ihm dann die Hand hinhielt, um ihm rauszuziehen, kaum, dass er danach griff.

Sein Nachthemd war voller Erde und während sie auf ihn einredete, klopfte er sich die in aller Ruhe wieder ab und sah dann erst herüber in Richtung der anderen. Und blinzelte. „Sagt nicht, dass ihr hier Wache haltet? Das letzte Woche war nicht ich!“

„Letzte Woche?“, meldete sich Koumei nun auch zu Wort und hob eine Augenbraue, „Du meinst die vollkommen verwüstete Hecke? Das wissen wir, das war eindeutig ein Hammer, aber die zerhackten Büsche und der aufgerissene Rasen stammen von dir.“

Es war keine Frage, sondern eine Aussage, als er seelenruhig auf ein paar tiefe, gerade, dünne Furchen im Gras gar nicht weit entfernt von der Decke deutete. Kouen hatte sie zwar gesehen, ihnen aber keinerlei Beachtung geschenkt. Doch bei der Erwähnung konnte er sich sehr gut vorstellen, wie Kouha versuchte aus dem Balkon vom ersten Stock – wo sein Zimmer lag – mit seinem Messer auf beinah voller Größe hier herunterzuspringen.

Er schnaubte fast schon amüsiert. Als hätte er nicht einfach so herunterspringen können.

„Bist du aufgeblieben, damit dich niemand erwischt?“, fragte Kouen und wusste, dass er seinem jüngeren Bruder damit eine Antwort ersparte, die eigentlich niemand brauchte. Es war ohnehin klar.

„Äh, nein, ich konnte nur nicht schlafen.“, kommentierte Kouha schulterzuckend, warf einen sichernden Blick zu Kougyoku und trottete dann auch in Richtung Decke. Auf dem Weg fischte er sein inzwischen wieder auf normale, handliche Größe geschrumpftes Messer aus der Wiese und ließ es irgendwo verschwinden, ehe er sich setzte und nach einem kurzen Blick nach dem Obst griff.

Kouen sagte nichts dazu, fragte sich aber langsam, was heute Nacht wohl los war, dass scheinbar der halbe Palast nicht schlafen konnte.

Das war unüblich und ein klein wenig bedenklich, da es ihn langsam zweifeln ließ, ob das ganze ein Zufall war. Auch wenn er selbst feststellte, dass es ihn überraschend wenig störte, als er zusah, wie Kougyoku ihre Blumen notdürftig ein wenig gerade rückte und die Erde wieder glatt strich, ehe sie zurückkam und sich mit einem leicht schmolligen Blick in Kouhas Richtung wieder setzte.

Kouen hatte keine Probleme mit seinem Alter, aber in dem Moment fühlte er sich auf einmal fünf Jahre jünger und er lächelte etwas, als er zu dem Schluss kam, dass das heute wohl nichts mehr werden würde mit dem Lesen. Dafür hatten sie scheinbar einen so rar gewordenen Familienmoment bekommen – zumindest mit den Geschwistern, die noch hier waren.

Sein Blick wanderte nach oben zum Sternhimmel, als auf einmal seine Schwester die Stille brach: „Nii-sama? Ist das ein Sternbild?“

Sie deutete nach oben und er folgte ihrem Finger. „Fast.“ Er griff ihre Hand und korrigierte den letzten Stern. „Das ist der Ochse.“

„Ochse?“

„Ja, stell dir die beiden Sterne dort oben als Hörner vor und hier ist der Kopf.“

„Ah!“

Sie lachte vergnügt, während ihr Finger gedankenversunken weiter in der Luft malte. „Warum heißt das Ochse? Könnte es nicht auch eine Vase sein?“, schaltete sich Kouha auf einmal ein und Kouen dachte nicht wirklich darüber nach, als er automatisch anfing etwas über die Geschichte des Sternbilds zu erzählen.

Als er geendet hatte, stellte er fest, dass seine Geschwister alle um ihn herum saßen und ihn neugierig und fast schon gespannt ansahen. Selbst Koumei, der noch am desinteressiertesten wirkte, hatte sich nach hinten auf den Armen abgestützt und hörte zu. Irgendwie schienen sie jetzt was von ihm zu erwarten.

Nach einem Moment, lachte er leise, stand auf und lief nun doch Richtung die Bücherei, was ihm ein paar nicht gerade begeisterte und etwas enttäuschte Blicke einbrachte. Er schüttelte nur den Kopf über das kindliche Verhalten, als ihm auf einmal jemand entgegen kam.

Er blinzelte. „Hakuryuu, sag nicht, dass du auch nicht schlafen kannst?“

Der Junge zuckte ertappt zusammen, hatte ihn offenbar nicht kommen gehört und fuhr nun herum. Er atmete allerdings aus, als er sah, wen er vor sich hatte.

„Uhm, doch. Ich dachte, ich lese noch kurz etwas und …“

Er kam nicht weiter, denn Kouen erkannte das große, dicke Buch, dass er in der Hand hielt – und dass Kouen eigentlich gerade selbst hatte holen wollen. Ohne groß darüber nachzudenken, legte er dem Jungen die Hand auf die Schulter und dirigierte ihn zurück in Richtung Innenhof, während er ihm das Buch abnahm. „Wenn du ohnehin wach bist, dann komm doch einfach mit.“

Er spürte zu deutlich, wie Hakuryuu verwundert zuckte, als sie in den Hof traten und dort die halbe Familie auf einer Decke beisammen saß und sie etwas überrascht ansahen.

Es wunderte aber niemanden groß und Kouen registrierte einige strahlende Augen, als sie erkannten, dass er das alte Märchenbuch in Händen hielt.

Es dauerte keine Minute und die jüngeren lagen wieder auf dem Bauch um ihn herum, vergnügt an einem Stück Obst knabbernd und abwartend.

„Wo hast du das denn ausgegraben?“, flüsterte Koumei ihm zu, doch Kouen zuckte nur die Schultern und schlug es auf. „Im Tempel der Drachenmutter …“, begann er die Lieblingsgeschichte seiner Geschwister von früher vorzulesen.

 

Als Kouen aufwachte, merkte er, dass etwas anders war, als sonst. Ein Windzug strich ihm über das Gesicht und er hörte das leise Atmen mehrerer Leute um ihn herum. Als er langsam die Augen öffnete, blickte er direkt in frisches, grünes Gras und die gelben Fransen einer Decke.

Er blinzelte kurz und richtete sich langsam ein Stück auf.

Um ihn herum lagen drei seiner Geschwister, sowie sein Cousin eingekugelt auf der Decke und ein paar Kissen und schliefen friedlich. Neben ihm lag noch das Märchenbuch, aufgeschlagen bei der Sage über die verstoßene Prinzessin.

Offensichtlich waren sie dann letzte Nacht wohl doch eingeschlafen … Kouen schüttelte ein wenig über sich selbst den Kopf, lächelte dann aber doch angesichts des ungemein friedlichen Bildes. Er sah sich kurz um und merkte plötzlich, dass sie nicht die einzigen im Hof waren.

Hakuei stand im Eingangsbereich, an eine Säule gelehnt und sah lächelnd herüber. Als sie seinen Blick traf, zwinkerte sie kurz und verschwand, um kurz darauf mit einem Tablett wiederzukommen, auf dem Tee und einige Tassen, sowie Honig standen.

Und Kouen fand, dass das eigentlich keine schlechte Art war in einen Tag zu starten. Wirklich nicht.

In aller Ruhe nahm er mit einem dankbaren Nicken eine Tasse Tee entgegen, während er lächelnd auf seine noch immer schlafende Familie herabsah.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habe ewig gebraucht, um auch nur ein chinesisches Sternbild im Internet zu finden, verzeiht mir bitte, dass ich da entgegen meiner Planung nicht genauer drauf eingegangen bin, aber es war schwierig genug überhaupt nur einen Namen zu finden und da ich das Kou-Empire immer als Pendant zu China sehe, wollte ich nicht die europäischen Bilder benutzen ...
Ansonsten die beiden erwähnten Sagen sind ebenfalls Chinesisch, wenn man dem Internet glauben darf. Allerdings war es auch hier recht schwer genaueres zu finden und mit China oder der Mythologie dort kenne ich mich leider so gar nicht aus. Mögliche Fehler sind unbeabsichtigt und tun mir leid, ich habe wirklich versucht etwas herauszufinden. :/ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Seven_Seas_Alliance
2014-09-19T19:22:16+00:00 19.09.2014 21:22
Hallo,
das ist wirklich ein sehr süßer OS, den du da hast und die Schwierigkeiten bei der Recherche, die du im Nachwort erwähnt hast, bemerkt man beim lesen auch nicht.
Übrigens, war es Absicht, dass du mit Kougyoku auf die Legende mit den Pfirsichen der Unsterblichkeit angespielt hast, oder war das ein Zufall und wir interpretieren da gerade zu viel?

Egal, in jedem Fall hat uns der OS sehr gut gefallen.

LG


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