Es war aus und vorbei. Die ganze Zeit, die wir zusammen verbracht hatten, erschien mir nun wie ein langer Traum. Hatte ich mir all das nicht einfach nur eingebildet? Konnte das eine Möglichkeit sein für mein derzeitiges Dilemma? Eigentlich war es kein tatsächliches Problem, aus welchem es kein Entkommen mehr kam. Immerhin hatte ich mich für das Richtige nach all der Zeit entschieden. Ich hatte einen Schlussstrich unter all das gesetzt und es für beendet erklärt. So war es richtig. Es war nicht einfach aber das Richtige gewesen. Nur mit den Folgen von all dem musste ich noch irgendwie klarkommen. Es war schwierig in das alte Leben zurückzufinden, wenn einem die Orientierung genommen wurde.
Meine Beziehung zu Lisanna hatte tatsächlich einem Märchen geähnelt, wenn man es mit einem Wort beschreiben wollte. Noch gut, als wäre es erst gestern gewesen, konnte ich mich an unsere Begegnung erinnern. Wir waren beide junge Magier derselben Gilde gewesen und sie war der erste Mensch gewesen, die versucht hatte, sich mir anzunähern. Natürlich hatte ich sie nicht gleich an mich ran lassen wollen, aber mit der Zeit – sie war ziemlich hartnäckig gewesen in jener Hinsicht – hatte ich nachgegeben und wir waren Freunde geworden. Es war eine schöne Zeit gewesen, die ich sehr genossen hatte. Durch Lisanna hatte ich auch einen Draht zu allen anderen aufbauen können. Ich bekam meinen Erzrivalen Gray, mit welchem ich mich immer wieder austoben konnte in Form von Prügeleien, Erza wurde zu meinem Ziel – auch Laxus und Mira irgendwie auch –, die ganzen Mitglieder wurden zu meiner Familie und ließen mich die Lücke vergessen, die Igneel in meinem Leben hinterlassen hatte. Ich hatte ihr wirklich viel zu verdanken gehabt.
Und an einem Tag sind wir einfach zusammen gewesen. Das hatte uns nicht groß viele Worte gekostet. Wir hatten es einfach gewusst. Deswegen würde ich auch nicht den genauen Anfang unserer Beziehung nennen können. Wir hatten einfach unser persönliches Märchen gelebt. Diese Beziehung hat mir eine Kostprobe wahren Glücks ermöglicht. Ich hatte das nicht dabei belassen wollen. Eine Weile war es auch wirklich gut gegangen. Wir hatten manchmal sogar uns unsere Zukunft ausgemalt. So sprachen wir zum Beispiel über unser zukünftiges Zuhause. Und ich hatte alles davon ernst gemeint. Jedes einzelne Wort. Jedes einzelne Versprechen. Wirklich.
Also wann hatte das Märchen begonnen, in sich zu stürzen wie ein Kartenhaus?
Alles hatte sie mit einem Mal frustriert. Ständig hatte sie etwas zu meckern gehabt, worauf ich anfangs stets nach Worten gesucht hatte, um es wieder gut zu machen, da ich mich als den Schuldigen betrachtet hatte. Aber dieser Berg an Problemen war ständig angewachsen und war nicht geringer geworden. Es war mir zu viel geworden. Es war uns zu viel geworden. Wir hatten es versucht, an diesen Problemen zusammen zu arbeiten. Wir hatte immer unser Bestes gegeben, doch hatte das gefühlt immer wieder in einem anderen Problem resultiert. Manchmal waren mir diese Probleme nicht einmal bewusst gewesen. Lisanna hatte mich auf diese scheinbar präsenten Probleme aufmerksam gemacht. Überwiegend war es sie und ihre unerklärliche Eifersucht gewesen. Das war ein Streitpunkt gewesen, bei welchem wir uns niemals einig geworden waren. Sie war immer gegen meine Freundschaft zu Lucy gewesen, war sogar so weit gegangen, mich vor die Wahl zwischen ihnen zu stellen. Welche Freundin machte denn so etwas? Mir war das herzlos erschienen. Warum sollte ich meine beste Freundin für sie aufgeben? Ich hatte keine Gefühle gegenüber der Blondine gehegt, doch die Weißhaarige hatte mir nie ihren Glauben geschenkt. Lisanna wusste es besser, sie hatte somit Recht. War das ihre Logik gewesen?
Irgendwie traurig, dass ich ihr so sehr vertraut hatte, nur um kein Vertrauen im Gegenzug zu erhalten. Wozu hatte ich das verdient?
Das resultierte wohl darin, dass diese friedlichen Augenblicke zur Seltenheiten wurden und mit der Zeit sich ins Nichts auflösten, als hätte es sie auch niemals zuvor gegeben. So wie wir zusammen gekommen waren, so gingen wir auch auseinander. Es wurde nicht viel gesprochen. Wir beide hatten die Wahrheit gekannt: unsere Beziehung hatte ihr Ende gefunden. Es wurde nicht geweint. Wir waren dem einfach aus dem Weg gegangen, jeder hatte sich für einen eigenen Weg entschieden. Es war die einzig richtige Möglichkeit gewesen. Augen zu und durch. Keiner hatte sich zum Glück in unsere Angelegenheit eingemischt. Weder Mira noch Lucy hatten ihre durchaus vorhandenen Gedanken geäußert, sie hatten all das hingenommen. Wahrscheinlich hatten sie das Ende bereits eher kommen sehen.
Was war mir nur entgangen? War ich etwa blind vor Liebe gewesen?
Ich wünschte, ich könnte mit einem Lächeln an diese Beziehung zurück denken, in die Erinnerungen zurück blicken und dabei das damalige Glück empfinden. Doch all das wurde von unseren Streitereien überschattet. Wie eine dunkle Wolke schob es sich vor die Erinnerungen und trübte diese. Ich entdeckte Makel, die mir damals nie aufgefallen waren und begann das empfundene Glück, tagein tagaus infrage zu stellen. Irgendwann begann ich meine Beziehung eher für einen Traum zu halten. War das alles wirklich vorgefallen? War dieses halbe Jahr wirklich eine Beziehung gewesen, die man mit einem Märchen gleichsetzen konnte? Oder hatten wir uns nur einer Illusion hingegeben?
Ob ich dazu überhaupt die Antwort hören wollte? Ich wusste es nicht.
Würde man mich jetzt fragen, was wohl schief gelaufen war, würde ich alles auf meine Kappe nehmen. Ich würde sagen, dass ich sie mit meinem idiotischen Verhalten vertrieben hatte, dass ich ihr Herz gebrochen hatte und dass es so hatte kommen müssen im Endeffekt. Wenn sie gefragt wurde, schien sie meine Worte einfach aufzugreifen. Das kam ihr wohl ganz recht. Er hat mich nicht genug geliebt, würde sie sagen. Oder er war zu selbstsüchtig und hat nie Zeit für mich gehabt. Und ich? Ich nahm es einfach hin, auch wenn das eine Lüge ihrerseits war. Ich hatte sie geliebt. Ich hatte meine Freizeit stets ihr gewidmet und sogar meine beste Freundin und besten Freund vernachlässigt. Wie konnte sie das jetzt immer noch anzweifeln?
Das warf die Frage auf, ob sie mir jemals ihr vollstes Vertrauen geschenkt hatte. Wahrscheinlich nicht. Das könnte mich jetzt stören, aber ich war darüber hinweg. Immerhin war ich schon immer ein Mensch gewesen, der in der Gegenwart und Zukunft lebte. Die Vergangenheit gehörte wie der Name schon sagte in die bereits vergangene Zeit. Daran ließ sich nichts mehr ändern, also warum meine Gedanken daran verschwenden? Ich hatte sie aus meiner Welt verbannt. Für mich war sie nur noch ein Teil meiner Familie. Nicht mehr und nicht weniger. Ich musste mich anderen Dingen und Personen widmen, die meine Zukunft bilden würden. Lisanna gehörte nicht mehr meiner Zukunft an. Dieser Gedanke mischte sich manchmal mit Bitterkeit, doch ich wusste damit inzwischen zu leben. Man konnte dem Alten nicht ewig nachtrauern. Wenn etwas zerbrach, konnte man es versuchen zu reparieren. Das hatte ich auch etliche Male versucht. Nur irgendwann waren die Scherben zu viele und zu fein. Daraus ein Ganzes zu bilden, war eine Aufgabe gewesen, die ich nicht hatte bewältigen können. Besonders da sie es bereits aufgegeben hatte und mir alles in die Schuhe geschoben hatte.
Sie hatte mich kurz nach dem Ende gefragt, was wir der Gilde erzählen sollten. Tatsächlich hatte ich dafür bereits eine Antwort parat gehabt:
„Erzähle allen doch einfach, dass unser Märchen ein schlechtes Ende genommen hat."
Diese Worte hörend hatte sie tatsächlich zum Lachen gebracht. Ihr Lachen hatte Nostalgie hervorgerufen und fast schon hatte ich mir vorstellen können, wie wir damals unter unserem Lieblingsbaum gesessen und einfach die Nähe des jeweils anderen genossen hatten. Es war wirklich schön gewesen. Aber leider konnte ich es mir nur fast vorstellen, denn all diese Erinnerungen waren schließlich nur zu einem Traum geworden, welchen ich am besten vergessen sollte. All den Schmerz und all das Leid hatte ich bereits zurückgelassen und diese Erinnerungen würden dem bald folgen.
Darauf war sie auch schon zurück an die Seite ihrer Schwester getreten und hatte ihre Masche durchzogen. Tatsächlich hatte man ihr geglaubt und ich hatte es ja auch bestätigt. Wer würde mir denn schon die völlige Wahrheit abkaufen? Diese Blicke einiger Gildenmitglieder zu ertragen waren nichts im Vergleich dazu, was ich während der Beziehung hatte fühlen müssen. Was wussten sie alle den schon, wie es war, wenn man jemanden Liebe und vertrauen schenkte, jedoch nichts dafür bekam? Sollte das fair sein? War es das? Wenn ja, dann würde ich das infrage stellen.
Wobei mir das egal sein konnte. Ich hatte meine Zukunft. Wozu in der Vergangenheit leben?
„Natsu, komm, wir verpassen den Zug!“, meckerte eine blonde junge Frau dabei ihre Hände vor sich verschränkend. Ihr blondes Haar war zu zwei identischen Zöpfen zusammengebunden. Sie trug ein weißes kurzes Top mit einem blauen Herzen darauf und einen blauen Rock. Ihre Kleidung war des Öfteren in dieser Farbe gehalten. An ihre Hüfte klimperten bei der kleinsten Bewegung Schlüssel. Das entging seinem scharfen Gehör zu mindestens nicht. Ihre Präsenz entging ihm ohnehin nie. Wie sollte er diese braunen Augen vergessen, die ihm vom Anfang an voller Vertrauen entgegen blickten? Selbst wenn sie wütend und traurig seinetwegen war, so zögerte sie niemals wenn es darum ging, ihm voll und ganz zu vertrauen. Das bewies sie immer wieder.
„Wieso laufen wir nicht einfach?“
„Als ob ich meinen Tag damit verschwende, Idiot! Auf geht’s!“
Und dann vernahm er ihr Lachen, bei welchem er einfach wusste, was die Zukunft für ihn bereithielt. Sein Märchen mit Lisanna war lange vorbei. Nun war es an der Zeit, sich der Realität zu widmen.