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Er ist wie der Mond

von

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Voller Absicht

In dieser Nacht träumte Rei von Kai. Es war einer dieser Träume, von denen man alles haargenau mitbekam, aber aus irgendeinem Grund nicht daraus aufwachen konnte. Es war ein heißer, exzessiver Sextraum. Der pochende Ständer, mit dem er aufwachte, machte es ihm deutlich. Ein feuchter Traum mit einem anderen Kerl war für ihn zwar nichts Ungewöhnliches, die Tatsache aber, dass er in diesem Traum von Kai gefickt wurde, übertrumpfte alles Denkbare. Dieser Widerling mit dem kalten, arroganten Blick.

„Aaah“, stöhnte Rei und rubbelte sich mit beiden Händen über das Gesicht, bevor er auf den Wecker blickte. Kurz vor Sechs.

Er rappelte sich aus dem Bett und schleifte sich direkt ins Badezimmer. Was er jetzt brauchte, war eine kalte Dusche. In jeder Hinsicht, dachte er und schielte auf sein bestes Stück, das immer noch stolz hochragte.

„Idiot“, grummelte er und meinte damit weder sich, noch seinen Penis. Doch weder die Beleidigung, noch das kalte Wasser halfen. Ihm war innerlich so heiß, dass er es nicht verhindern konnte, dass seine Hand nach unten wanderte. Er begann sich zu reiben, erst sanft und langsam, dann immer schneller und fester. Als er sich gegen die kalten Fliesen lehnte und die Augen schloss, flackerte plötzlich Kais herablassender Blick vor seinem inneren Auge auf. Rei keuchte. Verdammt, fand er das etwa tatsächlich sexy? Turnte ihn das etwa an? Oder waren es nicht doch vielmehr seine männlichen und zweifellos attraktiven Gesichtszüge? Nein, stellte er fest, als er sich an die lebhaften Bilder aus seinem Traum erinnerte. Kai hatte ihn gnadenlos dominiert. Und Rei hatte es gefallen.

„Ach verdammt“, knurrte er.

Wie sollte er ihm denn nun in die Augen sehen, jetzt, wo er jedes Mal daran denken musste. Das konnte nicht gut gehen. Wenn Irina doch nur wieder gesund wäre. Oder Mao! Dann müsste er diesen Schnösel nicht mehr sehen. Diesen wohlbemerkt sehr sexy Schnösel.

„Das reicht jetzt, Mensch!“, mahnte sich Rei und drehte das Wasser ab. Er hörte sich ja schon wie ein verliebtes Schulmädchen an, echt schrecklich. Er musste damit aufhören, bevor es Überhand gewann. Schwärmereien zählten nun wirklich nicht gerade zu seinem Repertoire.
 

Wenn die kalte Dusche etwas abgekühlt hatte, dann war es vielleicht seinen Körper, aber keineswegs sein Gemüt. Das stimmte ihn übellaunig und alle paar Minuten schaute er auf sein Handy in der Hoffnung, dass Mao ihn anrief und ihm mitteilte, dass sie wieder gesund und er aus dem Dienst entlassen war. Aber als er den Schlüssel in das Schloss der Kindergartentür rammte, hatte sie ihn noch immer nicht angerufen. „Ach man“, murmelte er jammernd vor sich hin und schob die Tür hinter sich mit dem Fuß wieder zu. Das war doch nicht zum Aushalten!

Sein Blick wanderte zu Alexanders Kleiderhaken und in ihm keimte die Hoffnung auf, dass Alexander sich vielleicht ja bei seiner Mutter angesteckt haben könnte. Vielleicht, so ein kleines bisschen, gerade genug, dass ein Risiko bestand, die andern Kinder anzustecken. Hastig schüttelte er den Kopf, als er merkte, was er da dachte. Er wünschte einem kleinen Kind, dass es krank wurde, was für ein Mensch war er denn? Das musste aufhören, und zwar sofort. In wenigen Minuten würden die ersten Mütter und Väter mit ihren Kindern eintrudeln, bis dahin musste er wieder runter kommen. Dreimal tief durchatmen, das sollte eigentlich helfen. „Argh, du Mistkerl, du nervst! Geh! Aus! Meinem! Kopf!“, knurrte er, während er mit beiden Fäusten einen überdimensional großen Teddybären malträtierte und sich vorstellte, er sei Kai.

Er fühlte sich ein bisschen besser und als die erste Mutter mit ihrer Tochter durch die Tür schritt, hatte er ein breites Lächeln im Gesicht und freundlich hieß er sie wollkommen. Naja, dachte er sich, Onkel Kai würde sowieso wieder zu spät kommen, also blieben noch ein paar friedliche Minuten, bis er diesem überheblichen Idioten ins Gesicht lügen musste.

„Guten Morgen Rei“, erklang plötzlich eine kratzige, aber fröhliche Stimme hinter ihm. Damit hatte er nicht gerechnet. Überrascht drehte er sich um und blickte der Frau direkt in ihr strahlendes Gesicht. Ihre Nase war gerötet und ein dicker, warmer Schal verdeckte beinahe ihren Mund.

„Irina!“, rief er und wusste plötzlich nicht mehr, ob er erleichtert oder enttäuscht sein sollte, dass sie und nicht ihr Cousin von ihr stand. „Wie geht es ihnen? Fühlen Sie sich besser?“

Irina lächelte ihn an und zog die Nase hoch. „Naja, ging mir schon besser. Aber auch schlechter!“, lachte sie und beugte sich zu Alexander herunter, um ihm ein Küsschen auf die Wange zu drücken.

„Mama, steck mich bitte nicht an“, maulte er, wünschte ihr aber einen schönen Tag. Rei und Irina lachten und verabschiedeten sich.
 

Na also, der Tag war gerettet. Dachte er zumindest. Denn Irina war überzeugt, wieder fit genug zu sein, um nicht nur einzukaufen, sondern auch zu waschen und zu kochen und am Mittag fühlte sie sich wieder so schlecht, dass sie in den Kindergarten anrief und sich entschuldigte. „Es tut mir leid Rei, aber Kai wird Alex bringen, er ist ja so hilfsbereit mein lieber Cousin“, röchelte sie in den Hörer und hustete. Kai, lieb und hilfsbereit in einem Satz? Rei verschluckte sich fast, als er das hörte. „Irina, Sie hören sich nicht gut an. Legen Sie sich zurück ins Bett und erholen Sie sich.“

„Danke Rei, genau das tu ich jetzt. Es tut mir Leid“, entschuldigte sie sich erneut. „Das muss es nicht“, erwiderte Rei und hängte den Hörer auf. Verdammt. Das war’s dann wohl mit seiner Ruhe.

Mit verschränkten Armen wartete er am Türrahmen auf Alexander und Kai. Der war natürlich wieder viel zu spät. Und obwohl er keine Miene verzog, als er Rei erblickte, erkannte Rei, wie abgekämpft er aussah. Er hatte dunkle Schatten unter den Augen und seine Haare waren unordentlich. Hatte er das ganze Wochenende gearbeitet? Wenn er an vergangenen Samstagmorgen dachte, war das gar nicht mal so abwegig.

„Herr Hiwatari“, begrüsste er ihn trocken.

„Hn“, erwiderte Kai und klaubte nach einer Zigarette. Rei glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Warnend funkelte er ihn an.

„Kai, kannst du nicht mit deiner blöden Zigarette warten, bis du vom Areal runter bist? Verdammt nochmal“, knurrte er.

Kai stoppte mitten in seiner Bewegung und fixierte Rei kurz durch seine Fransen mit einem undurchdringbaren Blick, bevor er sich die Zigarette doch anzündete. Rei tobte innerlich. Dass dieser überhebliche Mistkerl sich einfach über alle Regeln stellen musste! Was fand er eigentlich so heiß an ihm? So ein Idiot! Und dann grinste er auch noch! Er sah deutlich, wie Kais rechter Mundwinkel zuckte.

„Ich wiederhole mich nur ungern“, sagte Kai und stieß den Rauch aus. „Aber da ich deinen kleinen Hintern mag, tu ich es.“ Er beugte sich zu Rei. „Ich bin kein Vorbild. Und ich habe nicht vor, das zu ändern.“

„Offensichtlich“, knurrte Rei, dreht sich abrupt um und verschwand in der Tür. Kai grinste. Das konnte tatsächlich noch lustig werden.
 

Drinnen versuchte Rei, sich auf das Theater zu konzentrieren, das sie weiterproben wollten. Auch wenn nicht ganz alle Kinder zufrieden waren mit ihren Rollen, immerhin hatte jeder seine Aufgabe und einen Prinzen und eine Prinzessin waren auch gefunden. Der kleine Alexander wollte keine Rolle spielen, aber da er gerne las, war er einverstanden, die Sprechrolle zu übernehmen, die das Publikum während den Szenenwechseln weiter unterhalten würde. „Das ist eine wichtige Rolle, Alex. Deine Eltern werden stolz auf dich sein“, gratulierte Rei ihm und freute sich. Alexander nickte und schaute auf das Blatt Papier mit seinem Text.

Die Proben waren total chaotisch, aber was hatte er auch anders erwartet? Die Mädchen fielen erst einmal über die große Kostüm-Kiste her und kramten darin nach passenden Kleidchen, Zauberstäben und glitzernden Feenflügel, während die Buben sich Plastik-Schwerter schnappten und lauthals brüllend übereinander herfielen und sich bekriegten. Wirklich weit kamen sich nicht. Die ganzen Kostüme waren aber auch einfach viel interessanter als Dialoge auswendig zu lernen.

Als am späteren Nachmittag die ersten Eltern eintrudelten, um ihre Kinder abzuholen, lagen noch immer viele Spielzeuge und Kostüme auf den Boden rum. Normalerweise mussten die Kinder aufräumen, bevor sie nach Hause durften. Aber an diesem Nachmittag machte Rei eine Ausnahme. Er wollte die Kinder, wie sie so fröhlich und ausgelassen spielten und lachten, einfach nicht unterbrechen. Und außerdem musste er sowieso noch auf Kai warten, da konnte er währenddessen genauso gut auch die ganzen Sachen wegräumen.

„Fertig für heute?“, fragte er ihn, als er nach sage und schreibe 16 Minuten Verspätung endlich im Kindergarten auftauchte. Kai sah ihn an.

„Nein“, antwortete er schließlich. Rei seufzte und schüttelte den Kopf. Er schaute zu Alexander und sagte leise: „Kein Wunder, dass du so scheiße aussiehst. Hast du eigentlich auch ein Leben?“

„Freitag Mitternacht bis Samstag sechs Uhr Morgens.“

Rei verdrehte die Augen. Was lief denn nur falsch mit diesem Menschen? „Komm bitte morgen ausnahmsweise mal pünktlich, Ok?“, seufzte Rei und verabschiedete sich von Alexander, ohne Kai noch eines weiteren Blickes zu würdigen.
 

Kai kam nicht pünktlich. Und überhaupt war er ein eingebildeter, überheblicher, arroganter Arsch und das Letzte und noch so vieles mehr und Rei hätte ja so recht gehabt, als er sich fragte, wie dieser Mensch zu so einer höflichen und wohl erzogenen Familie gehören konnte. „Mao, beruhige dich“, versuchte er seine Freundin etwas zu bändigen. Doch er hätte es besser wissen müssen. Mit ihrem Temperament ließ sie sich nichts sagen. Auch nicht von ihrem besten Freund. „Nein! Wie kann man denn so rücksichtslos und eingebildet gegenüber Kindern sein? Er hat auf dem Areal geraucht. Geraucht! Eine Frechheit ist das!“, wütete sie in den Hörer, bis ihm fast das Ohr abfiel.

„Jah, schlechte Angewohnheit von ihm“, seufzte er und verstaute die Nudeln wieder im Schrank. „Schle- nimmst du ihn etwa noch in Schutz?“

„Ruhig Mao, entspann dich. Ich nehme ihn natürlich nicht in Schutz. Aber eben, er ist ein arroganter Drecksack, der tut, was ihm passt. Lässt sich nichts machen“, meinte er und zuckte mit den Schultern, auch wenn Mao das nicht sehen konnte. „Er soll sich mit der Grippe anstecken und an seinem Husten ersticken, der Idiot!“, fluchte sie lauthals.

Rei lachte. Mao wurde immer sehr ausfällig, wenn es um die Kinder ging.

„Das ist nicht lustig, Rei!“, maulte sie und hüstelte. Ihre Stimme war noch immer etwas angeschlagen. „Nein, das ist es nicht. Du hast natürlich recht, Mao.“

Ob er es ihr sagen sollte? Was letzten Freitag passiert war? Zwischen ihm und Kai? Nein, wohl eher nicht, sonst kam sie noch auf falsche Gedanken, wenn Kai wieder vor ihr stand und darauf hatte er keine Lust. Vielleicht ein anderes Mal. Wahrscheinlich würde sie ihn sowieso verachten für diese Tat. Oder ihn nach jedem Detail ausquetschen, je nachdem in welcher Stimmung sie sich gerade befand und im Moment war es keine gute. Und dann fragte er sich, wann er Kai überhaupt das nächste Mal sehen würde, jetzt wo Mao schließlich wieder gesund war. Und die Studentenpartys waren auch nur alle vier Wochen.

„Hey Mao, ich koche gerade, ich muss auflegen. Wir reden ein anderes Mal, ok? Vielleicht hast du ja Glück und Irina ist morgen auch wieder fit genug.“

„Ja klar, wir hören uns. Gute Nacht, Rei“, grummelte Mao und verabschiedete sich.
 

Der Alltag kehrte wieder ein und es war langweilig. Morgens stand er auf, joggte eine Runde und ging dann in seine Vorlesungen. Dienstag, Donnerstag und Freitag Abend trainierte er und am Wochenende jobbte er als Aushilfslehrer im Dojo, wo er trainierte. Samstag Abend traf er sich dann meistens mit seinen Freunden für Kino, Bier oder Party. Und obwohl er in den Clubs klammheimlich ein wenig Ausschau nach Kai hielt, traf er ihn nicht mehr wieder. Er musste sich mittlerweile eingestehen, dass er Kai doch ganz gerne wieder sehen würde. Ganz besonders von Freitag Mitternacht bis Samstag um sechs Uhr Morgens. Aber die nächste Studentenparty kam und ging und Kai tauchte nicht auf. Rei vermutete, dass er sich wieder in Arbeit vergraben hatte und das Wochenende über arbeitete. Wie es wohl seiner Katze ging? Da kam ihm plötzlich eine Idee. Er zückte sein Handy und rief Mao im Kindergarten an. „Mao, hast du Alexanders Bilder irgendwo aufbewahrt?“, überrumpelte er sie, kaum hatte sie den Hörer abgenommen. „Dir auch einen wunderschönen Tag, Rei. Es geht mir blendend, danke der Nachfrage! Und die Kinder machen echt tolle Fortschritte mit dem Theaterstück!“

„Entschuldige, Mao. Es freut mich natürlich zu hören, dass alles gut läuft. Wann führen sie das Stück denn auf?“

„In drei Wochen. Du solltest kommen! Immerhin warst du ja auch daran beteiligt. Kommst du?“, fragte Mao in einem Ton, der eigentlich keine Widerrede zuließ. „Ja klar komme ich! Sehr gern sogar“, antwortete Rei. „Ich trage es mir gleich ein.“ Das schien Maos Schlüsselsatz gewesen zu sein.

„Natürlich bewahre ich die Bilder auf. Wieso meinst du?“, beantwortete sie endlich seine Frage. „Es gab da eines mit einer schwarzen Katze. Könntest du mir dieses Bild raussuchen? Dann komme ich es morgen holen.“

„Ja, kein Problem“, meinte Mao und blickte zu Alexander, der wieder einmal still in einer Ecke am Fenster saß und in seinem Buch las.
 

„Sensei Koooon“, wurde Rei freudig begrüsst, als er den Kindergarten betrat und sofort tummelte sich eine große Traube Kinder um ihn. „Hey, na ihr? Übt ihr fleißig fürs Theaterstück?“, lächelte Rei und kauerte sich auf Augenhöhe zu den Kindern. Alle nickten sie überschwänglich und einige fingen lauthals an, ihre Texte aufzusagen. Rei lachte und klatschte. „Super, das macht ihr echt gut!“

„Bist du stolz auf uns, Sensei Kon?“, fragte ein kleines Mädchen mit langen, seidig schwarzen Haaren. „Ja Yuri, das bin ich! Ihr seid wirklich ganz große Klasse.“

Die Kinder jubelten und rannten wieder wild durch das Zimmer um weiter zu üben. Mao lächelte, als er zu ihr rüber trottete und streckte ihm ein zusammengerolltes Blatt Papier entgegen.

„Danke Mao“, sagte Rei und nahm das Bild entgegen. „Was willst du eigentlich damit?“, fragte Mao neugierig und stemmte die Hände an die Hüften, als würde sie etwas wittern.

„Ach, es gefällt mir einfach. Da dachte ich, es wäre doch schade, wenn es hier verstaubt“, antwortete er. „Aha“, meinte Mao gedehnt, als würde sie ihm nicht wirklich glauben. „Na gut, tu damit, was du willst, Alex hat sein OK gegeben.“

Rei bedankte sich bei Mao und als er wieder ging, drückten sich die Kinder an den Fenstern die Nasen platt und schauten Rei enttäuscht hinterher. Lachend winkte er ihnen zu und zog dann den Schal etwas enger um den Hals. Es war unglaublich kalt geworden in den letzten Tagen. Kein Wunder, es war schon November und die Luft roch nach Schnee.
 

Die Gebäude im Finanzdistrikt glitzerten wie dunkle Giganten auf ihn runter, als er die Straße entlanglief. Irgendwo hier musste es sein. Er schaute immer wieder auf seinem Handy, ob er nicht vielleicht schon zu weit war, aber die Straßen waren lang und breit und es dauerte geschlagene zwanzig Minuten, bis er den Eingang des Gebäudes erblickte, in dem Kai arbeitete. Rei stöhnte. Das Gebäude hatte mindestens fünfundvierzig Stockwerke. Und Kai war irgendwo da drin. Sein Glück, dass das erste, was er sah, eine Empfangstheke war. Dahinter saßen drei Frauen, die mit ihren streng zurückgenommenen Haaren und den einheitlichen Kostümen Besucher willkommen hießen und Telefonate entgegennahmen.

„Hi“, sagte Rei und lächelte freundlich, „ich suche Kai Hiwatari. Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?“ Die Dame hinter der Theke musterte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue und ihm wurde bewusst, dass er der einzige ohne Anzug war. Dann tippte sie kurz etwas in ihren Computer. „Kai Hiwatari finden Sie im achtundzwanzigsten Stock. Nehmen Sie den Fahrstuhl dort drüben. Oben wird Ihnen dann weitergeholfen.“

Rei bedankte sich und ging mit langen Schritten in die Richtung, in welche die Empfangsdame gezeigt hatte. Viele Männer in dunklen Anzügen und mit zurückgekämmten Haaren hasteten an ihm vorbei. Alle schienen es furchtbar eilig zu haben. Im Fahrstuhl war es eng und stickig und er war unglaublich froh, als die digitale Anzeige im Fahrstuhl endlich anzeigte, dass sie im achtundzwanzigsten Stock angekommen waren. Mit einem lauten „Entschuldigung“ quetschte er sich durch die Leute und purzelte beinahe aus dem Fahrstuhl in den Gang.

„Wow“, entglitt es seinem Mund, als er sich umsah. Alles hier war gehoben und schnieke und jeder Blinde konnte erkennen, dass die Firma eindeutig sehr viel Geld hatte. Dunkelblauer Teppich zierte den Boden und überall waren Marmor und riesengroße Blumensträuße. Portraits mit offenbar wichtigen Persönlichkeiten zierten die Wände. Am Empfang stand ein junger Mann, der ihn in seiner Uniform angestrengt anlächelte. „Guten Tag! Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Ja, hi, ich suche Kai Hiwatari“, antwortete Rei und fühlte sich je länger desto mehr fehl am Platz mit seiner löchrigen Jeans und den ausgelatschten Sneakers. „Haben Sie einen Termin?“ Der Empfangs-Boy musterte ihn neugierig. „Ehm, nein, das habe ich nicht. Ich bin ein Freund von ihm“, log er, „Rei Kon.“ Der junge Mann nickte und griff zum Hörer. „Einen Moment bitte“, sagte er und drückte eine Taste. Nach wenigen Augenblicken ertönte eine weibliche Stimme vom anderen Ende der Leitung. „Hiromi, Rei Kon ist hier und möchte gerne zu Herrn Hiwatari. Nein, er hat keinen Termin. Er sagt, sie seien Freunde. Ja gut, danke.“ Er legte auf und räusperte sich. „Hiromi Tachibana wird jeden Moment bei Ihnen sein. Bitte warten Sie hier. Sie können sich setzen, wenn Sie möchten“, sagte er in höflichstem Japanisch, das auch nur irgendwie möglich war und zeigte mit offener Hand auf die mit grauem Samt überzogenen Stühle. Rei nickt und tat einige Schritte in die angezeigte Richtung. Nicht, dass er sich auf einen dieser Stühle setzen würde. Sie waren nicht nur hässlich, sondern bestimmt auch übermäßig teuer.
 

Es vergingen ein paar Minuten, bis eine junge Frau mit braunen Haaren und dunkelblauem Kostüm auf ihn zu stöckelte. „Herr Kon“, sagte sie und schaute ihn fragend an. „Ja, das bin ich.“

„Mein Name ist Hiromi Tachibana. Ich werde sie zu Herrn Hiwatari begleiten. Bitte folgen Sie mir.“ Rei nickte und folgte ihr durch die verwinkelten Gänge. Sie lief schnell in ihren hohen Schuhen und erst vor einer großen, dunklen Holztür blieb sie stehen. Sie klopfte zweimal und trat dann ein. „Herr Hiwatari, Rei Kon ist hier. Haben Sie gerade Zeit, oder soll er später wieder vorbeikommen?“

Überrascht blickte Kai von seinem Bildschirm hoch. Einen Atemzug lang sagte er nichts. Doch dann: „Ja, bringen Sie ihn rein.“

„Sie können nun hineingehen“, sagte Hiromi zu Rei und beorderte ihn in das Büro. Rei bedankte sich und trat ein. Wie er vermutet hatte, war auch Kais Büro spärlich eingerichtet. Der große Arbeitstisch dominierte den ganzen Raum, der durchflutet wurde vom Licht der raumhohen Fensterfront.

„Dein ernst, du hast ein Einzelbüro? Was bist du? Irgendein Abteilungsleiter oder so?“, spöttelte Rei und trat zur Fensterfront, um hinunterzuschauen, wo die Menschen wie Ameisen durch die Straßen huschten. „Rechte Hand des Abteilungsleiters, wie du das so schön nennst“, entgegnete Kai trocken und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, der aussah, als hätte der alleine schon mehr gekostet als Reis Wohnungsmiete für drei Monate. „Was willst du hier?“ Rei drehte sich wieder zu ihm um.

„Ach, ich dachte, ich komme mal vorbei und schaue, wie’s dir so geht. Siehst ja immer noch so scheiße aus. Wann hattest du das letzte Mal Wochenende?“ Kais Augenbraue schoss in die Höhe. „Ist schon eine Weile her.“

„Mh, das dachte ich mir. Im Roundabout warst du auch nicht, da habe ich angefangen, mir Sorgen zu machen.“ Rei ging um den Tisch herum und lehnte sich neben Kai mit der Hüfte dagegen. „Wollte nur nachsehen, ob dich die Staubmilben schon angeknabbert haben.“ Kai schnaubte und drehte sich in seinem Stuhl zu ihm. „Was tust du hier, Rei?“, wiederholte er seine Frage, „fass dich bitte kurz, ich hab zu tun.“

Rei seufzte. Der Kerl hatte echt keinen Sinn für Humor. „Jaja, ich weiss, nur von Freitag Mitternacht bis sechs Uhr früh. Hier“, sagte Rei und streckte Kai die Papierrolle entgegen.

„Was ist das?“, frage Kai, als er sie ergriff. „Das ist ein Bild von Alexander. Er hatte es für dich gemalt, aber da er weiß, dass du so was nicht magst, hat er es dir nie gegeben.“ Kai entrollte das Papier und musterte die schwarze Katze auf dem schlichten weißen Grund. Natürlich blieb sein Gesicht unberührt und emotionslos. „Und dafür kommst du den ganzen Weg hierher?“, hakte Kai nach und legte die Rolle zur Seite. „Ach, ich war gerade in der Nähe“, scherzte Rei und stieß sich vom Tisch ab. „Übrigens“, fuhr er fort und lehnte sich über Kai, die Hände links und rechts auf den Stuhllehnen abstützend, „in drei Wochen führt der Kindergarten ein Theaterstück auf. Ich bin überzeugt, Alexander würde sich freuen, wenn du kommst. Er mag dich. Auch wenn ich mich oft frage, wie du das verdient hast.“ Kai entgegnete nichts. Er blickte ihm nur starr in die Augen. In dieser Position verharrten sie, bis Kai endlich den Mund aufmachte. „Ich werde schauen, ob ich den Termin wahrhaben kann.“ Rei grinste. „Schön! Und vielleicht schaufelst du dir ja die paar Stunden danach auch noch frei“, sagte er, zwinkerte Kai zu und beugte sich tiefer über ihn, „dann kriegst du eine Belohnung für deine Aufopferung.“

Kai erhob sich aus seinem Stuhl und drängte Rei somit zurück in eine aufrechte Position. „Und wenn ich nicht so lange warten will?“

Rei grinste schelmisch. „Dann würde ich vorschlagen, du kommst an die nächste Studentenparty“, erwiderte er, „in zwei Wochen.“ Er legte den Kopf leicht schief und funkelte ihn herausfordernd an.

„Machst du das mit Absicht?“, fragte Kai und seine Augen verengten sich. Reis Mundwinkel zuckten. „Ich mache nie etwas ohne Absicht.“

„Dann trage die Verantwortung dafür.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Akikou_Tsukishima
2017-04-06T19:38:20+00:00 06.04.2017 21:38
Der Satz ist so geil XD
Sie waren nicht nur hässlich sondern bestimmt auch übermäßig teuer. XD
Ich weiß auch nicht aber ich musste voll lachen XD
Antwort von:  Akikou_Tsukishima
06.04.2017 21:43
Und ich glaube das nächste Kapitel wird wieder heiß XD
Von:  Annie1004
2016-12-18T17:16:20+00:00 18.12.2016 18:16
Hey,

ich finde es auch richtig toll von dir, dass du deine Geschichte weiterschreibst :)
Einer der wenigen Geschichten, in der mir die Beziehung zwischen Kai und Rei am besten gefällt, einfach auch durch die Spannung, die du aufbaust.

Ich freue mich schon auf deine nächsten Kapitel :)

Liebe Grüße
Annie
Antwort von:  caramel-bonbon
18.12.2016 23:55
Danke dir! Ja, ich selber habe mich auch sehr gefreut, dass ich endlich mal wieder die Zeit gefunden habe, zu schreiben ^^

Dann bis dann!
Bonbon
Von:  Lyndis
2016-12-17T17:51:10+00:00 17.12.2016 18:51
Es ist so lange her, dass ich das heir gelesen habe, dass ich bei der benachrichtigung von Animexx echt verwundert war XD
Aber ich freue mich wirklich, dass du weiter geschrieben hast^^
Ich finde die Story nach wie vor wirklich gut. Umso besser, dass du sie noch nicht aufgegeben hast^^

Es ist so viel passiert innerhalb des letzten Jahres, dass es sich anfühlt, als hätte ich das hier in einem anderen Leben gelesen. Das ist ein erstaunlicher Effekt.
Deshalb hab ich die ersten beiden Kappis auch nochmal überflogen.

Ich bin gespannt wie es mit den beiden weiter geht und wie lang die Story insgesamt wird. Im Moment finden sich beide ja hauptsächlcih körperlich anziehend, bis sie sich verlieben muss noch einiges passieren... denke ich zumindest.

Manchmal liegst du bei der Grammatik eines Satzes um einen Hauch daneben.
Sowas zum Beispiel:
„Kein Wunder siehst du so Scheiße aus.
Sagt Rei zu Kai im ersten drittel des Kapitels. Leider bringt einen das immer ein bisschen aus dem Fluss, aber ich schätze, dass du (wie ich) immer lieber gleich hochlädst, statt nochmal drüber zu lesen^^ Ich verstehe das also.

Irgendwas wollte ich noch sagen.. aber ich bin momentan so müde, dass ich mich nicht richtig konzentrieren kann.

Ich hoffe du schreibst weiter^^ Ich mag die Dynamik zwischen Rei und Kai und hoffe, dass die, auch wenn sie sich verlieben sollten, nicht verschwindet.


LG

Lyn
Antwort von:  caramel-bonbon
17.12.2016 20:25
Hi Lyn, danke dir, das freut mich ungemein, dass die Geschichte doch noch bei jemandem nicht in Vergessenheit geraten ist. Ah, meinst du wegen der Gross-/Kleinschreibung? Ah Mist, das korrigier ich gleich, thx!

Schönes Wochenende noch! :)
Antwort von:  Lyndis
17.12.2016 20:27
Ne, richtig hieß es 'Kein Wunder, dass du so scheiße aussiehst'

dir auch ein schönes Wochenende^^
Antwort von:  caramel-bonbon
17.12.2016 20:29
Achso, jaa das kommt wohl vom Schweizerdeutschen ^^' danke!


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