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Eierjagd

Oder: Ostereiersuche auf Hanji Art
von

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Ostereiersuche auf Hanji Art

Der Morgen begann im wörtlichen Sinn mit einem Überfall. Erwin griff gerade nach der Klinke seiner Zimmertür, um zum gemeinsamen Frühstück zu gehen, als besagte Tür aufgerissen wurde.

Zum Glück waren seine Reflexe schnell genug und er machte einen eiligen Schritt rückwärts, sonst hätte das Holz ihn direkt im Gesicht erwischt. Leicht verwirrt blinzelte er kurz und starrte auf Levi herab, der offensichtlich dafür die Verantwortung trug. Erwin registrierte mit leichter Besorgnis, dass sein Captain überhaupt nicht glücklich aussah. Levis Augenbrauen waren ein Stück herabgezogen, seine Mundwinkel deuteten ebenfalls weiter als üblich nach unten und er wirkte generell angespannt. Oh je, das bedeutete selten etwas Gutes.

Er gab sich aber alle Mühe vorerst die Ruhe zu bewahren und fragte so normal wie möglich: „Guten Morgen, Levi, ist etwas passiert?“

„Das fragst du noch?“, kam die leicht unwirsche Antwort und ruckartig war wieder etwas dicht vor Erwins Gesicht. Er brauchte einen winzigen Augenblick um zu registrieren, dass es sich dieses Mal um ein Stück Papier handelte, dass Levi ihm vor die Nase hielt. Jesses, das war eindeutig zu viel zu nah für einen Tag. „Was bitte hast du dir dabei gedacht?!“

Erwin nahm den Zettel betont ruhig aus Levis Hand und gestattete sich die Zeit ihn zu lesen, ehe er auf diesen unverhohlenen Vorwurf einging, dessen Ursache ihm gerade vollkommen schleierhaft war.

Das änderte sich aber keine Minute später, als er den Text gelesen hatte. Und das ungute Gefühl hatte, dass dieses so unschuldig scheinende Stück Papier heute Morgen vermutlich am schwarzen Brett gehangen hatte, damit es alle sahen. Das würde auch den Einriss am oberen Rand erklären.

 

An alle neu beigetretenen Soldaten,

 

entsprechend eines alten Brauchs wird am Sonntag nach dem Frühstück die von nun an alljährlich stattfindende Eierjagd beginnen.

Diese baldige Tradition besteht aus dem Finden zweier bunt bemalter, hart gekochter Eier im näheren Umkreis der Quartiere. Die Suche findet paarweise und auf Zeit statt, das Paar, das seine Eier zuerst findet, gewinnt und ist für die Woche vom Küchendienst befreit, das Paar, das als letztes das Ziel erreicht hingegen muss am Abend das gesammelte Geschirr des Festmahls aus Eiern zum Abschluss des Tages spülen.

Natürlich werden Captain Levi und ich zum Start und zur Motivation ebenfalls teilnehmen.

Als Schiedsrichter werden Einheitenführerin Hanji, sowie ihr Stellvertreter Moblit fungieren.

Gebt alle euer Bestes!

 

Kommandant Erwin Smith

 

Unnötig zu sagen, dass Erwin diesen Zettel zum ersten Mal sah – auch wenn die Unterschrift eindeutig seine eigene war. Und von einem derartigen Brauch oder einer Suche nach bemalten Eiern hatte er zuvor auch noch nie gehört. Und, ehrlich gesagt, der Sinn einer solchen Aktion erschloss sich ihm auch nicht so ganz.

Und tatsächlich war Erwin ein wenig sprachlos, was ihm wirklich selten genug passierte. Also, entweder sie hatten da einen sehr geschickten Fälscher unter ihnen oder aber etwas war hier ganz gehörig faul. Er war sich sicher, dass er sich daran erinnern würde, wenn er einen solchen Antrag vorgelegt bekommen hätte.

Levi gab ein unwilliges Geräusch von sich und riss Erwin damit aus seinen Gedanken. „Oh, nein, diesen Gesichtsausdruck kenne ich. Du weißt nichts davon, oder, Erwin?“

Und heute war einer dieser Tage, an denen Erwin nicht sicher war, ob er Levis direkte Art schätzen oder verfluchen sollte, stellte er gerade fest. Er verbot sich allerdings das Seufzen, das ihm auf den Lippen lag und deutete nur leicht ein Kopfschütteln an.

Levi stöhnte.

„Erwin? War Hanji gestern bei dir?“

Was war das bitte für eine Frage? Da Levi aber selten Fragen stellte, die ihm nicht irgendwie wichtig erschienen und er offensichtlich ohnehin nicht gerade in bester Laune war, tat Erwin ihm den Gefallen und überlegte kurz. Er hatte gestern Abend noch eine Weile an zwei Berichten und einer Planungsskizze gesessen und …

„Ich glaube es. Ganz sicher bin ich mir nicht, aber ich meine, sie wäre kurz dagewesen, als ich in den letzten Sätzen des Berichts über unsere …“

Ein mehr als nur leicht genervtes Stöhnen von Levi unterbrach ihn. „Erwin! Verdammte Scheiße, wie oft muss ich dir noch sagen, du sollst in deinem Arbeitsmodus nicht einfach alles unterschreiben, was dir irgendwer vor die Nase hält!“

Erwin verzog leicht entrüstet das Gesicht angesichts dieser Anschuldigung. „Levi! Also bitte, ich unterschreibe bestimmt nicht einfach so alles …!“

„Doch, tust du.“, war der trockene Kommentar, ehe er auch nur ausgesprochen hatte, „Zumindest wenn Hanji, Mike oder ich dir was vorlegen. Habe ich oft genug selbst gesehen.“ Ein Schnauben. „Schließ in Zukunft gefälligst die Tür ab, wenn du nichts mehr um dich mitkriegst!“

Erwin wusste wirklich nicht, was genau er darauf antworten sollte und beließ es schlussendlich mit einem Stirnrunzeln.

Vielleicht – aber auch nur vielleicht – hatte Levi recht und er konnte sich teilweise etwas zu sehr in seine Arbeit vertiefen. Aber das war der Grund, warum er gut in dem war, was er tat. Aber wie dem auch sei, jetzt war es ohnehin zu spät dafür. Die Unterschrift war eindeutig seine und das hieß, der Befehl würde ausgeführt werden müssen, ob er wollte oder nicht, alles andere würde ein verdammt schlechtes Licht auf sie werfen. Er warf einen kurzen Blick zu Levi herunter, der mit verschränkten Armen nach wie vor dastand und ihn fast schon herausfordernd ansah.

Das hieß dann wohl, ihm war es auch klar. Erwin seufzte nun doch. Das konnte ja heiter werden …

 

Ganz wie geplant waren die Neulinge nach dem Frühstück alle brav im großen Speisesaal geblieben und warteten offenbar darauf, dass sie etwas sagte. Ebenfalls wie geplant waren Levi und Erwin ebenfalls dageblieben – und Hanji hatte es bisher effektiv geschafft einem Gespräch mit den beiden auszuweichen.

Natürlich waren ihr die wenig begeisterten und vorwurfsvollen, viel zu ernsten Blicke der beiden keineswegs entgangen, aber sie hatte geschickt immer Mike zwischen sie positioniert oder sich mit dem Rücken zu ihnen gedreht, sodass sie es bisher hatte umgehen können mit einem von beiden reden zu müssen.

Sie würden schon merken, was sie davon hatten, sobald sie erst einmal angefangen hatten. Die beiden alten Spaßverderber würden auch noch Freude dran haben oder spätestens Ehrgeiz, wenn sie sahen, wie die Teenies sie alle überholten. Und sicher würde keiner von beiden gerne abspülen müssen, dachte Hanji sich schmunzelnd, als sie aufstand und freudig mit der Hand auf den Tisch klopfte, um sich Gehör zu verschaffen.

„Also, meine Lieben, ich bin wirklich froh darüber, dass wir dieses wundervolle Spiel jetzt spielen können. Ich habe darüber in einem alten Kinderbuch gelesen, man nannte diese Veranstaltung im Frühjahr ‚Ostern‘ und es war Brauch, dass ein Hase für die Kinder bunte Eier versteckt hat.“

Schweigen war die Antwort darauf und mehr als ein verwunderter Blick. Bestimmt eine halbe Minute sagte niemand ein Wort und bewegte sich auch niemand, dann wanderte langsam eine Hand nach oben.

„Ja, Armin?“

Er räusperte sich. „Tut mir leid, aber … wieso sollte ein Hase Eier verstecken? Was … ist der Sinn dahinter? Und wieso Ostern?“

Hanji grinste. „Genau das ist hier die Frage! Und deswegen werden wir es jetzt nachstellen, um den Sinn herauszufinden!“ Sie griff sich ein bereitliegendes Klemmbrett und einen Stift. Zugegeben, sie hatte schon nachgeforscht, keine wirkliche Antwort gefunden und es als unwichtig eingestuft, aber nach einem lustigen Spiel klang es dennoch und bei der Vorstellung, wie sie alle suchend durch das Gelände liefen, musste sie beinahe kichern.

„Also, ich habe mir die Freiheit genommen euch bereits in Zweiergruppen einzuteilen“, fuhr sie fort, ehe irgendwelche weiteren Zwischenfragen kommen konnten, „und die Eier sind auch schon versteckt – Dank geht hier an mein Team. Ihr habt theoretisch den ganzen Tag Zeit, Ausrüstung ist verboten – und ich muss euch alle bitten auch die Gurte abzulegen, ich will nicht, dass jemand schummelt – sich gegenseitig helfen ist ebenfalls untersagt. Jeder sucht nur seine eigene Farbe. Wenn ihr eure zwei Eier je Team gefunden habt, kommt hierher zurück und wir werden eure Zeit notieren.“

Sie sah auf, gab allen etwa drei Sekunden, die niemand nutzen konnte und fuhr fort: „Eure Teamfarbe entspricht der Farbe eurer Eier. Die Verteilung ist wie folgt: Team Grün – Armin und Jean, Team Lila – Berthold und Reiner, Team Gelb – Connie und Sasha, Team Rot – Eren und Mikasa, Team Blau – Krista und Ymir.“ Sie machte eine kurze Kunstpause, aber wieder nicht lange genug, um irgendjemandem die Chance zum Reden zu geben. „Und unsere beiden Vorgesetzten bilden damit natürlich das letzte Team. In fünf Minuten geht es los, überlegt euch derweil eine Suchstrategie und, wie gesagt, nehm die Gurte ab. Noch Fragen?“

Getuschel wurde laut, aber scheinbar wollte niemand genaueres wissen und so überließ Hanji sie ihren Vorbereitungen.

„Hanji.“ Ups, natürlich würden Erwin und Levi diesen Moment nutzen, um doch noch auf sie zuzukommen.

„Ja?“, fragte sie mit bester Unschuldsmiene. Erwin hob langsam eine Augenbraue, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber doch wieder.

„Du hast vergessen uns unsere Farbe zu sagen, Matschbirne.“, kommentierte stattdessen Levi und Hanji fragte sich, ob sie sich dieses winzige, flüchtige Funkeln in seinen Augen nur eingebildet hatte. Hatte da eventuell doch jemand Lust bekommen?

„Naja … wisst ihr, wir hatten ein paar Probleme genug verschiedene Farben zusammenzubekommen und ich wollte sie keinem der Neuen zumuten, daher …“

„Hanji.“, beinahe eine Drohung, „Welche Farbe?“

 

„Also dann, das Gelände beinhaltet alles innerhalb des engsten Zauns um das Quartier, also auch Gemüse- und Kräuterbeet – seid da aber bitte vorsichtig! – die Wäschehütte, die Wiese und den Vorhof. Alle Eier sind draußen versteckt, ihr müsst also in kein Gebäude hinein. Noch Fragen? Gut, dann läuft die Zeit ab jetzt!“

Und mit einem Schlag ging das schiere Chaos los und alle rannten wild durcheinander. Nun, rennen traf es vielleicht nicht ganz bei allen, aber für eine halbe Minute herrschte ziemliches Durcheinander, ehe sich die Zweiergruppen langsam ein Stück voneinander trennten und auf dem Gelände verteilten.

Jean beobachtete, wie Sasha und Connie trotz Hanjis Warnung ohne zu große Vorsicht direkt ins Gemüsebeet stürmten und Eren und Mikasa – wieso war sie überhaupt wieder mit ihm in einem Team?! – beinahe sofort auf das nächstgelegene Hausdach der Unterkünfte kletterten. Er hätte es nie lauf ausgesprochen, aber daran, dass etwas auf einem Dach liegen könnte, hatte er überhaupt nicht gedacht. Er machte sich eine gedankliche Notiz und ließ seine Augen weiter über die anderen Gruppen schweifen. Ymir und Krista hatten sich scheinbar die drei, vier Büsche am Rand des Geländes vorgenommen, während Berthold und Reiner sich gerade am Feuerholz zu schaffen machten. Nein, eher Reiner warf es durch die Gegend und Berthold fing es wieder auf, im vergeblichen Versuch es erneut ordentlich zu schichten.

Fehlte noch eine Gruppe, aber bei ihren Vorgesetzten wagte es Jean nur kurz einen Blick zu riskieren – und fand beide nach wie vor unbewegt in ihrer Ausgangsposition vor. Er schüttelte den Kopf und versuchte die Tatsache, dass sie bei diesem albernen Spiel mitmachten erstmal auszublenden und sich auf die gegebene Aufgabe zu konzentrieren. Wenn es schon sein musste, dann würde er es den anderen auf jeden Fall zeigen und das verdammte Ding gewinnen. Und mit Armin zusammen hatte er da sicher keine schlechten Chancen.

Apropos Armin. Der war mit ihm ein paar Schritte vorwärts in die Mitte des Geländes gegangen und hatte es ebenfalls einmal überblickt.

„Was denkst du?“, fragte Jean, während er mit dem Blick schon einmal die auffälligeren Versteckmöglichkeiten absuchte, auch wenn er bezweifelte, dass man es ihnen derart einfach machen würde.

Armin wog etwas nachdenklich und mit einer Hand am Mund den Kopf kurz hin und her. „Da die Teams und Farben zuvor festgelegt wurden, gehe ich davon aus, dass die Eier dementsprechend versteckt sind.“

Jean hob fragend eine Augenbraue. „Du meinst, sie haben uns vorher analysiert, um zu sehen, wo wir am ehesten suchen würden und wo nicht? Findest du das nicht ein wenig übertrieben, Armi …n …“ Just in diesem Moment sprang Eren dicht neben ihm wieder auf den Boden, ließ Jean einen Schritt zur Seite ausweichen und rannte einfach weiter. Direkt vorbei an dem leuchtend roten Ei, das irgendwie sehr augenscheinlich und ganz und gar nicht versteckt auf einem Fensterbrett dicht neben Erens Landestelle lag.

Jean … blinzelte. Das durfte doch echt nicht wahr sein, oder? Derart dämlich konnte doch nicht einmal Eren … Mikasa landete sanfter und sauberer neben ihm und – stürmte ebenfalls direkt an dem Ei vorbei.

Und Jean fiel vom Glauben ab. Instinktiv schlug er sich die Hand vors Gesicht und stöhnte. „Okay“, fuhr er mit kurzer Verzögerung fort, „Ich glaube, du hast recht. Also, wo würdest du ein Ei verstecken, damit ich es nicht finde?“

Armin sah kurz verdutzt zu ihm, dann schlich sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen, das irgendwie schelmischer aussah, als er es Armin normalerweise zugetraut hätte. „Guter Gedanke, Jean.“ Er überlegte einen kurzen Moment und antwortete dann: „In einem Vogelnest.“

Und Jean war wieder soweit die Idee doch für bescheuert zu erklären. „Warum das denn bitte? Das ist doch viel zu offensichtlich!“

Hielt ihn Armin etwa für genauso blöd, wie Eren es war? Doch Armin schüttelte nur den Kopf. „Genau das ist der Punkt. Deswegen würdest du da nicht suchen.“

„Oh.“

 

Reiner warf den letzten Holzscheit wieder etwas ungestüm zurück auf seinen Platz. Berthold hatte darauf bestanden, dass sie wieder Ordnung machten und da er keine Ruhe gegeben hatte, hatte Reiner sich schließlich gefügt. Auch wenn er fand, dass sie das durchaus auch noch hinterher hätten tun können, wenn die anderen noch suchten und sie schon gewonnen hatten. Aufräumen kostete in einer solchen Ausnahmesituation doch viel zu viel Zeit.

„Gut, das war nichts.“, kommentierte er und klopfte sich die Hände ab, „Ich denke, wir gehen am besten systematisch vor und hangeln uns einmal am Rand entlang, ich bezweifle, dass sie ein lila Ei einfach so auf die Wiese legen würden.“

Dort würde er nicht einmal ein grünes verstecken, wenn er bedachte, dass Armin und Jean diese Farbe bekommen hatten. Sie waren vermutlich die eindeutig größten Konkurrenten. Team Rot rannte viel zu kopflos durch die Gegend, Sasha hatte sich eben von den Tomaten ablenken lassen, Krista offenbar gerade eine kleine Katze gefunden und war mit dem Versuch beschäftigt sie anzulocken und die beiden Offiziere … wirkten nicht gerade begeistert, als sie langsam in Richtung der drei Apfelbäume am rechten Rand zuliefen.

Die Fläche war eindeutig überschaubar. An das Holzlager, bei dem sie gerade standen, grenzte die Waschkammer mit ihren mehreren Reihen von Wäscheständern davor, danach kam bereits der Zaun, der sich nach vorne zum Gemüsebeet erstreckte, das in der linke Ecke der Fläche lag. Rechts daneben waren die Bäume und ein kleines, unebenes Stück wilder Wiesenfläche. Direkt rechts neben ihnen wiederum befand sich das Quartiergebäude und der Durchgang zum vorderen Hof, in dem allerdings jetzt ein Tisch und zwei Stühle standen. Hanji und ein Reiner unbekannter Soldat hatten es sich dort gemütlich gemacht und beobachteten das Treiben. Scheinbar endete dort also das Gebiet.

„Ha! Ich hab eins!“

Reiner zuckte augenblicklich herum, wie vermutlich so ziemlich jeder andere im Gelände. Verdammt, Sasha hatte den ersten Treffer im Gemüse gelandet? Das war nicht gut. Sie mussten schnell aufholen und …

„Oh, schau mal, Ymir, da drüben liegt ein Ei.“

Auch noch Krista? Mist.

Reiner mahlte kurz die Zähne aufeinander und wand sich mit einiger Mühe wieder ab. „Berthold, wir müssen einen Zahn zulegen!“, kommentierte er, wand sich um und lief in Richtung der Wäscheleinen.

„Reiner, warte, da …“

Doch ehe noch die Warnung kam, stieß Reiner bereits mit dem Fuß gegen etwas und ein Blick nach unten enthüllte einen Blecheimer, der seitlich auf dem Boden lag und offenbar umgefallen war. Naja, der würde wohl einen Tritt aushalten, auch wenn er ein wenig verbeult aussah. Wo war der überhaupt auf einmal hergekommen? Reiner schnaubte und beugte sich herunter, um ihn aus dem Weg zu stellen, als er etwas klappern hörte und hineinsah.

Verschwörerisch grinsend sah er auf und formte mit den Lippen die Worte: „Wir haben gerade aufgeholt.“

Natürlich, Eimer waren ein erstklassiges Versteck. Insbesondere, wenn  etwas darin war. Wo gab es hier noch mehr Eimer?

 

Levi verzog angewidert das Gesicht, als er feststellte, dass einer der Neulinge gerade nicht nur die beiden Eimer mit dem Regenwasser ausgeleert hatte, sondern gerade auch noch dabei war den Abfalleimer mit den Küchenresten umzudrehen. Das war nun wirklich widerlich und er hoffte, hoffte, hoffte wirklich, dass Hanji nicht auf die Idee gekommen war, Eier im Abfall zu verstecken.

Aber so verrückt war nicht einmal Hanji. Meistens. Oder?

Ihn schauderte leicht bei der Vorstellung und er drehte sich lieber zurück zu Erwin, der gerade dabei war die Äste eines Apfelbaums auseinander zu drücken. Sinnlos, da würde ein Ei doch sofort wieder herunterfallen. Nein, das war kein gutes Versteck.

„Levi, du könntest wenigstens ein wenig Enthusiasmus zeigen und als Vorbild mitmachen.“, kommentierte Erwin gerade und seltsamerweise klang er dabei sogar gut gelaunt und fast gespielt tadelnd, als wollte er ihn aufziehen. Levi machte sich nicht die Mühe zu antworten und studierte lieber weiter das Gelände und die anderen.

Die Verstecke, die er erwartet hatte, waren zwar tatsächlich in Gebrauch, aber nicht für ihre Eier – und er verfluchte Hanji immer noch wegen der Farbe. Hatte sie das verdammte Rosa nicht den Mädchen geben können? Also ehrlich …

Allerdings rosa hin oder her, er hatte bisher sieben von zwölf Eiern ausfindig gemacht – und dabei zugesehen, wie Jean das grüne im Vogelnest auf dem Dach fand und Eren dreimal am roten im Blumenkübel neben Hanjis Tisch vorbeigelaufen war. Und wenn Reiner meinte, er hätte den Fund im Wäscheimer vertuschen können – der Idiot hatte nicht mal gemerkt, dass der Eimer im Wind umgefallen war und das weiße Laken jetzt im Dreck lag – dann war ihm echt nicht mehr zu helfen.

Und Connie krabbelte auch ziemlich dicht in der Nähe der kleinen Steinansammlung vor den Unterkünften herum, in dem sich ihr zweites Ei befand. Sie mussten langsam mal einen Zahn zulegen, aber so, wie er Hanji kannte, hatte die sich für sie vermutlich etwas ganz besonderes ausgedacht.

Und diese verdammten Meisen im Baum über ihm gingen ihm langsam aber sicher gehörig auf die Nerven.

Wo würde er Eier verstecken, wenn er Hanji wäre?

Moment, nein, das war kein guter Ansatz für das ganze … Er wand sich gerade zu Erwin um, der doch ernsthaft auf dem Boden kniete und in eine kleine Aushöhlung im Boden starrte. Vermutlich eine Art Eingang zu einem Fuchsbau oder dergleichen. „Erwin? Was genau machst du da?“

„Levi, ich glaube, ich habe ein Ei.“

Das … war jetzt nicht sein Ernst, oder? Levi ging in die Hocke und tatsächlich. Dort, bestimmt einen Meter im Inneren lag etwas Rosanes. Na wunderbar, so tief drin? Der Gang war zwar für einen Tierbau überraschend groß, aber es war mit einem Blick klar, dass Erwin da niemals …

Ehe Levi noch etwas sagen konnte, hatte Erwin sich bereits vorgebeugt und steckte mit Arm und Kopf darin.

„Äh …“ Sollte er jetzt etwas sagen oder …?

„Erwin? Soll nicht lieber ich da rein?“ Gott, hatte er gerade ernsthaft vorgeschlagen, dass er in dieses kleine, dreckige Loch kletterte?

„Das geht schon.“, kam die gedämpfte Antwort. Levi gab ihm zwanzig Sekunden, ehe er seinen Fehler merken würde.

„Hey, Mikasa! Schau, ich hab‘ eins!!“

Levi drehte sich kurz um. Verdammt. Eren und Mikasa übersahen zwar das offensichtliche, aber es war wie bei allen nur eine Frage der Zeit, bis sie darüber stolpern mussten. Ein weiterer Zeitfaktor.

Er wollte gerade Erwin dazu treten aus dem Loch zu kommen, als die Meisen erneut in wildes Gezwitscher ausbrachen. Verdammte Viecher, was hatten die nur?

Moment, warum flatterten die so wild um das Vogelhaus da oben herum? Und warum hing das so schief?

„Erwin? Ich glaube, ich weiß, wo unser zweites Ei ist.“

„Was?“, kam es genuschelt und undeutlich zurück und Levi wand sich seufzend wieder zu ihm um.

„Das Ei, es hängt da oben im Baum und …“ Er brach ab, als er sah, wie weit sich Erwin inzwischen in den Bau geschoben hatte.

„Erwin? Findest du das nicht langsam etwas übertrieben?“ Oh Hanji, das wirst du noch bereuen! Anstelle einer Antwort erklang ein triumphierendes Geräusch, dann lief ein Ruck durch Erwins Körper und – er hielt wieder still.

„Levi?“

Oh nein, bitte nicht. „Ja?“

„Ich glaub, ich stecke fest.“

Das durfte doch alles nicht wahr sein …

 

„Ymir, meinst du nicht, dass da oben ein gutes Versteck wäre?“, fragte Krista und deutete auf die Regenrinne hoch. Ymir neben ihr sah kurz auf, wog den Kopf hin und her und – packte sie ungefragt um die Taille und setzte sie sich auf die Schultern.

„Gute Idee, siehst du was?“

Krista fing sich schnell von dem kurzen Schrecken und lächelte sacht, ehe sie sich vorsichtig am Dachrand festhielt und tatsächlich etwas blaues entdeckte. „Da ist es!“, verkündete sie fröhlich und streckte sich weit zur Seite, aber vergebens, sie kam um etwa zwei Handlängen nicht ran.

„Ymir? Können wir ein Stück nach rechts? Geht das?“, fragte sie vorsichtig, worauf Ymir ein amüsiertes Schnauben von sich gab. „Wenn es nur das ist.“

Sie bewegte sich langsam seitwärts, während Krista den Arm ausgestreckt hielt und wenige Augenblicke später tatsächlich das zweite Ei in der Hand hielt. „Ja!“ rief sie freudig, woraufhin Ymir nun wirklich lachte und sie wieder herunterholte. Sie nahm ihr das Ei ab und hielt beide zufrieden hoch. „Gut mitgedacht, Krista.“

Als sie zu Hanji kamen, standen dort aber bereits Armin und Jean. Offenbar waren sie schneller gewesen?

Ymir hielt die beiden Eier hin. „Hier.“ Sie klang zu mürrisch dafür, dass sie vermutlich zweite waren. Hanji gegenüber strahlte.

„Sehr gut, legt sie da ins den Korb.“ Sie deutete auf einen geschmückten, kleinen Weidenkorb mit etwas Stroh im Inneren und einer dicken zwei auf der Seite.

„Sind wir zweite?“, versicherte Krista sich, woraufhin der Mann vor ihnen nickte. „Richtig. Eure Eier sind heil und ihr habt beide regelkonform gefunden.“

Krista lächelte daraufhin nur und lief automatisch aus dem Weg und zu den beiden Jungen herüber.

„Regenrinne und Busch. Ich sag doch, sie sind auf uns abgestimmt.“, bemerkte Armin gerade, woraufhin Jean nur nickte.

„Was soll das denn jetzt heißen? Wo waren eure?“, fragte Ymir und lehnte sich neben sie an die Wand.

„In einem Vogelnest und einem Loch hier in der Steinmauer.“

„Aha, und was bitte sagt das jetzt über euch? Oder über uns?“

Krista wurde kurz von einem lauten, erschrockenen Ruf abgelenkt und als sie sich umdrehte, sah sie noch, wie Berthold ein Laken oder etwas ähnlich großes aus einem Windstoß fischte, während Reiner den Wäschekorb griff. Waren die immer noch nicht von der Stelle gekommen?

Ein wenig besorgt sah sie weiterhin zu ihnen, als Berthold den Stoff wieder zusammenfaltete und auf den Korb legte – ehe sich Reiner mit einem Mal genau darauf stürzte und damit alles wieder durcheinander brachte. Dafür tauchte er allerdings mit einem lila etwas wieder auf. Damit hatten sie wohl die nächste Gruppe, die beide hatte.

 

„Ich kann immer noch nicht fassen, dass wir da einfach dran vorbeigelaufen sind.“, murrte Eren und spielte mit den Fingern an seinem Holzbecher herum. Es war inzwischen Mittag und sie waren alle gebeten worden im Gemeinschaftsraum zu warten, während die Ergebnisse ausgewertet wurden, wie Hanji es genannt hatte.

Was gab es da schon groß auszuwerten? War doch klar, wer wann gekommen war? Und das oberzufriedene Grinsen in Jeans Gesicht, wann immer sich ihre Blicke trafen, unterstrich Erens Vermutung nur. Hatten er und Armin das ganze analysiert und Hanjis Verstecke vorhergesehen? Vermutlich.

Er seufzte.

Was ihn allerdings ein wenig beunruhigte war tatsächlich der Kommandant, der mit vollkommen verdrecktem Hemd irgendwann angekommen war, mit mehreren Schrammen am Arm und Erde im Haar, während Eren schwören könnte, dass der Captain Grasflecken an Hose und beiden Ärmeln seines Hemds hatte. Was bitte hatten die beiden angestellt?

Er traute sich aber nicht sie darauf anzusprechen und noch ehe er einen der anderen danach fragen konnte, wurde die Tür schwungvoll aufgestoßen und Hanji kam breit grinsend herein marschiert.

„Also, ihr Lieben, wir haben die Ergebnisse.“ Sie wartete nicht darauf, dass irgendjemand sich aufsetzte oder zu ihr umdrehte, sie las einfach vor.

„Zunächst die Reihenfolge, in der ihr angekommen seid.“ Sie hielt einen Zettel hoch und las ihn laut vor.

 

1. Team Grün: Armin und Jean

2. Team Blau: Krista und Ymir

3. Team Rot: Eren und Mikasa

4. Team Lila: Berthold und Reiner

5. Team Gelb: Connie und Sasha

6. Team Rosa: Erwin und Levi

 

Und für einen Augenblick herrschte vollkommenes Schweigen. Noch schlimmer als damals im Trainingslager, wenn Sasha wirklich seltsame Geräusche von sich gegeben hatte oder nachdem Eren und Jean sich geprügelt hatten.

Und Eren war sich selbst nicht sicher, ob er baffer darüber war, dass seine beiden Vorgesetzten tatsächlich nach rosa Eiern gesucht oder dass sie verloren hatten. Hieß das jetzt wirklich, sie würden heute den Abwasch übernehmen?!

Neben ihm atmete Sasha bereits hörbar aus. Das einzige Geräusch in der Stille. Zumindest, ehe Hanji weitersprach.

„Allerdings müssen wir Team Gelb disqualifizieren. Eure Aufgabe war es, die Eier zu suchen, nicht sie zu essen. Da in dem Fall nur Eierschalen abgeliefert wurden, können wir das Ganze leider nicht gelten lassen. Somit tauschen Team Gelb und Team Rosa die Plätze und Connie und Sasha haben heute Abwaschdienst.“

Ein zweistimmiges „Neeein!“ ertönte gefolgt von Connie, der sich über Sashas Hunger beschwerte.

Und Eren stimmte in das allgemeine Lachen mit ein.

 

Erwin musste zugeben, dass er doch mehr als erleichtert gewesen war, dass sie nicht wirklich den letzten Platz belegt hatten. Es war bereits so ein seltsames Bild, dass sie sich von ein paar Frischlingen in einem so einfachen Spiel hatten schlagen lassen, obwohl sie mehr Erfahrung hatten und beide auf ihre eigene Art doch motiviert gewesen waren.

Allerdings hatte das Glück auch nicht gerade auf ihrer Seite gestanden, denn Hanji hatte hinterher angemerkt, dass sie nicht mit den Windböen gerechnet hatte und das Ei eigentlich im Eingang hatte liegen sollen. „Auf Augenhöhe für Levi.“, hatte sie scherzhaft gesagt.

Erwin schmunzelte bei dem Gedanken.

Gut, dass offensichtlich alle zu beschäftigt gewesen waren, um zu merken, dass er in einem Loch festgesteckt hatte. Im Nachhinein war wohl eher der Nistkasten für ihn zum Finden bestimmt gewesen und nicht für Levi.

Er hatte über dem ganzen Hin und Her sogar vergessen Hanji dafür zu rügen, dass sie eine solche Aktion hinter seinem Rücken organisiert hatte. Aber vielleicht war es gut so gewesen. Es hatte seine sämtlichen Pläne für diesen Tag auf den Kopf geworfen und ihn Nerven gekostet, aber wenn er an die Begeisterung der jungen Soldaten dachte und an das sonst eher seltene ausgelassene Treiben beim Essen der Eierspeisen hinterher … dann hätte er vielleicht sogar mit dem Küchendienst leben können.

Hanji hatte sicher nur die halbe Wahrheit gesagt und er war keineswegs überzeugt, dass es sich hierbei wirklich um eine alte Tradition handelte, aber was immer es war, es war vielleicht gar nicht so schlecht.

Und vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, würde er darüber nachdenken, das ganze wirklich nächstes Jahr wieder stattfinden zu lassen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2014-09-03T13:36:50+00:00 03.09.2014 15:36
Eine süße Story ^.^
Ich finde deine Idee großartig^^

LG^^ Alien


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