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Redeemer

von

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Redeemer

Ich weiß nicht, wie lange ich schon vor der Tür stehe. Als ich heute Morgen das Haus verließ, war ich noch überzeugt, dass ich das Richtige tat. Nun holen mich die Zweifel wieder ein. Was war es, das Tsukasa mir so dringend mitteilen wollte? Hatte ich nicht wieder einen einigermaßen geregelten Alltag bis er und Karyu gestern im Restaurant aufgekreuzt waren? Mich lässt zudem der Gedanke nicht los, dass es sich dabei nicht um einen Zufall handelte. Ich atme tief ein und klingle. Sollte mir das Gespräch nicht gefallen, könnte ich immer noch gehen. Hizumi hatte mir sogar angeboten mich abzuholen, sollte ich Beistand benötigen.
 

Die Tür geht auf. Nur in einem T-Shirt und einer bequemen Hose gekleidet steht Tsukasa vor mir und bittet mich herein. Es sieht nicht danach aus, als dass er heute noch das Haus verlassen möchte. Zudem deuteten die Augenringe darauf hin, dass es gestern eine späte Nacht gewesen war. Während ich mich meiner Schuhe erledige, lasse ich meinen Blick durch den Flur schweifen. Es ist das erste Mal, dass ich seine Wohnung betrete. Sie ist nicht groß, aber dafür mit einem Konzept eingerichtet. Allerdings können die Bilder an der Wand nicht meine Aufmerksamkeit für sich gewinnen. Viel mehr suchen meine Augen die Umgebung nach etwas Verdächtigtem, nach Karyu ab. "Er ist nicht hier", höre ich Tsukasa hinter mir, der mich ins Wohnzimmer führt. "Er weiß nicht einmal, dass du hier bist. Und wahrscheinlich ist es auch besser, wenn er nie davon erfährt...Tee oder Kaffee?" Er schaut mich fragend an. Langsam nehme ich auf dem Sofa Platz. "Einen Tee, bitte..." Noch bevor ich ein weiteres Wort von mir geben kann, ist Tsukasa schon in der Küche verschwunden. Nach einer kurzen Zeit kommt er mit zwei Tassen wieder. Er reicht mir eine und zündet sich eine Zigarette an. Anscheinend hatte er nicht einmal Zeit gehabt, vernünftig zu frühstücken. Normalerweise bricht er seine Regel, nur in der Küche zu rauchen, nicht. Vorsichtig nippe ich an meiner Teetasse. Das Aroma des grünen Tees beruhigt meine Nerven. Die Angst, die ich noch vor dem Betreten der Wohnung hatte, ist verschwunden. Dennoch kreisen meine Gedanken immer noch um Tsukasas letzten Satz.
 

"Warum soll er nichts davon erfahren? In dieser Stadt gibt es viele Restaurants. Die Qualität unseres Essen ist zwar bekannt, aber meinst du nicht, dass es seltsam ist, dass ihr gerade hunger habt, wenn ich meine Schicht habe? Liegt es nicht nahe, dass ihr mit mir redet, wenn ihr mir begegnet? Oder wolltet ihr nur austesten, wie ich reagieren werde?" Wieder denke ich an das hohe Trinkgeld, an die Missachtung, mit der mich Karyu gestraft hatte. Meine Finger verkrampfen sich um die Tasse. Warum bin ich hier, wenn Karyu niemals von dem Treffen erfahren soll? Mein Haus ist für Tsukasa immer offen. Insbesondere Hizumi würde sich freuen, wenn Tsukasa ihn besuchen würde. Die kurzen Telefonate sind nicht dasselbe und seit dem Rauswurf ist nie eine Einladung erfolgt. Am Anfang hatte Hizumi versucht ihn zu treffen, doch die Tür blieb verschlossen. Nach einer Zeit hatte Hizumi aufgegeben. Schweigend taste ich mich nach Tsukasas Zigarettenpackung, entwende ihr eine Zigarette und zünde sie an. "Warum willst du mit mir reden? Schließlich ist es dir gestern auch aufgefallen, dass ich euer Auftauchen nicht ignorieren konnte. Karyu hat mich hingegen wie einen Fremden behandelt. Ich bezweifele, dass es ihn überhaupt interessieren wird, dass wir beide hier sitzen."
 

Tsukasa hebt die Augenbrauen. "Ist das Hizumis Interpretation?", murmelt er und schaut mit regem Interesse seine Teetasse an. "Er wusste nicht, dass du dort arbeitest. Allerdings wollte er schon immer dort essen und ich dachte, dass es besser sei, wenn er nicht alleine auf dich trifft. Glaubst du wirklich, dass ihn die Situation nicht überfordert hat, nicht aufgewühlt hat? Ich muss zugeben, er konnte seine Gefühle gut überspielen. Eine Fähigkeit, um die ich ihn beneide, die ihn aber nach und nach brechen wird. Nach dem Restaurantbesuch sind wir zu ihm gefahren. Sein Wunsch alles hinter sich zu lassen, ist so stark, dass er unberechenbar ist. Ich wollte nur sichergehen, dass er nicht wieder diesem selbstzerstörerischen Strom unterliegt. All die Bemühungen waren umsonst. Jede Hoffnung wurde am jenen Tag hinweggefegt, an jenen Tag als du ihn weggeschickt hast und dich zu Hizumis Hure gemacht hast."
 

Meine Augen verengen sich. Unsanft stelle ich meine Tasse auf dem Wohnzimmertisch ab. "Was wird das hier, Tsukasa? Welche Hoffnung gab es schon? Und selbst wenn er daran kaputt geht, was ist mit mir? Was ist mit meinen Gefühlen, die verletzt wurden und meinen Träumen, die zerstört wurden? Wer ersetzt mir jeden Moment, an dem ich mich gefragt habe, was ich falsch gemacht habe, womit ich diesen Verrat verdient habe? Er hatte seine Chance gehabt. Wenn ihn so viel an mir gelegen wäre, hätte er wenigstens versucht, um mich zu kämpfen. Er ist es doch, der mich aufgegeben hat. Was hatte er erwartet? Dass ich ihm ohne wenn und aber alles verzeihe? Alles, was er mir und Hizumi angetan hat? Und ich lasse mich erst recht nicht von dir beschimpfen! Viel interessanter wäre es zu wissen, was Karyu getan hat, damit du deinen besten Freund fallen lässt. Welches dreckige Spiel wird hier gespielt?!" Mein Körper bebt. Mit jedem Wort ist meine Stimme lauter geworden. Vielleicht war es falsch gewesen, Karyu an der Tür abzuweisen, doch in dem Augenblick hatte es mir als einfachste und schmerzfreiste Entscheidung erschienen. Das berechtigt Tsukasa aber nicht, mich mit Karyu auf eine Stufe zu stellen. Zwar ist es noch keine Liebe zwischen Hizumi und mir, aber eine enge Vertrautheit. Außerdem sind wir beide nicht vergeben, sodass wir keine Verpflichtungen haben, niemanden gegenüber.
 

"Setz dich wieder." Der Tonfall besänftigt mich keineswegs und doch setze ich mich wieder aufs Sofa. Schließlich bin ich hierhergekommen, um Antworten zu erhalten und nicht, um mit mehr quälende Fragen den Ort zu verlassen. Langsam fährt Tsukasa fort. "Ich habe Hizumi nicht fallen gelassen. Ich heiße seine Umgangsart mit Karyu aber nicht gut. Findest du nicht auch, dass eine Grenze erreicht ist? Ach ja, ich vergaß. Du warst es nicht, der seine Zimmertür geöffnet hat und mit ansehen musstest, wie er sich erhängen wollte. Du warst es nicht, der ihn ins Krankenhaus gebracht hat, der seinen Namen unter das Dokument setzen musste, welches seinen Aufenthalt in der Psychiatrie genehmigte. Du warst es nicht, der ihn nach seiner Entlassung bei ihm aufgenommen hat. Du warst es nicht, der ihn getröstet hat, als er aufgelöst und voller Zweifel von deinem Haus zurück kam und du warst es nicht, der gestern bei ihm war, um ihn von Dummheiten abzuhalten. Ich will nicht bestreiten, dass man dir wehgetan hat. Du hast jeden Grund, dich von uns abzuwenden. Aber ich denke, du hast nicht mehr das Recht über Karyu zu urteilen und das Gleiche gilt für Hizumi." Seine Stimme ist dabei so ruhig, dass es mir einen Schauer über den Rücken jagt.
 

Natürlich hat Tsukasa recht. Ich war verletzt und habe nach dem einfachsten Weg gesucht. Ich wollte nicht mehr an Karyu denken. Im Nachhinein kann ich mit Sicherheit sagen, dass ich nie Karyus Leidensweg gewollt hatte. Ich kann ihm nicht verzeihen, aber einen möglichen Tod kann ich auch nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich kann jedoch nicht mit Gewissheit sagen, dass ich ihm damals so wie Tsukasa geholfen hätte, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre. Nachdenklich ziehe ich an meiner Zigarette. "Aber ich verstehe nicht, was Hizumi damit zu tun hat? Ja, er hat mich auch hintergangen, aber wer weiß, welche Hoffnungen Karyu ihm gemacht hat. Immerhin hat er mir auch das Blaue vom Himmel erzählt, ohne bei jeder Lüge aus seinem Mund auch nur nervös zu werden, " murmle ich und starre den Tisch vor mir an. "Wer hätte gedacht, dass ich auf einen notorischen Lügner treffe. Vielleicht ist er wenigstens ehrlich zu dir. Ich würde es mir jedenfalls wüschen."
 

Ein kurzes Lachen erklingt als Antwort. "Ja, Karyu hat dich belogen, aber nicht, weil er es ihm gefallen hat, sondern weil er dachte, dass er dich und eure Beziehung so beschützen kann. Karyu und Hizumi waren schon vor deiner Beziehung mit ihm auf ihre ganz eigene Art miteinander verbunden. Das ist keine Freundschaft, aus der man einfach aussteigt, wenn man genug hat. Entweder man folgt diesem Band kompromisslos oder man muss mit den Konsequenzen leben. Karyu hätte auf der einen oder anderen Weise das Spiel verloren...und bei dir befürchte ich das Gleiche." Ich werde wieder hellhörig. Was meint Tsukasa? Weiß er mehr als ich? Von welchem Band sprach er? Auch wenn ich es nicht verstehe, so macht es mir Angst...oder gerade deswegen. Warum klärt mich Tsukasa nicht auf? Sieht er nicht, dass ich endlich Antworten haben will?
 

"Du hast also den kompletten Durchblick? Gut, wenn Karyu schon zu feige war, den Mund aufzumachen, dann hättest du mir doch wenigstens sagen können, dass Karyu zwei Beziehungen parallel laufen hat, weil er nicht loslassen kann. Anscheinend kannst du mir plötzlich die ganze Geschichte erzählen, nachdem Hizumi und ich unglücklich sind und die Sache immer noch nicht vergessen können!" Mit jedem Wort werde ich lauter. Wie kann er nur so ruhig auf dem Sofa sitzen und mich mit Bruchstücken der Wahrheit füttern, während ich ahne, dass er mehr weiß, als er zugibt. "Wer spricht denn von einer Beziehung zwischen Karyu und Hizumi?" Er schüttelt leicht den Kopf und fährt immer noch im ruhigen Ton fort. "Liebe war da nie im Spiel. Ich würde es eher als Besitzansprüche beschreiben." Dann schweigt er. Unsicher schaue ich ihn an. Er scheint nach den richtigen Worten zu suchen und mit jeder Sekunde ringe ich mit mir, ob ich überhaupt die nächsten Sätze hören möchte. "Warum ich nichts gesagt habe...", beginnt er, während seine Augen unruhig durch den Raum wandern als suche er eine Fluchtmöglichkeit. Ist die Wahrheit so unangenehm? Die ganze Zeit hatten sie alle ihre Rolle perfekt vor meinen Augen gespielt, aber jetzt, wo ich nicht mehr blind bin, bröckelt auch ihre Fassade. Als Tsukasa sich jedoch räuspert und sein Blick wieder ruhiger und fester wird, atme ich erleichtert auf. Umso schwerer trifft mich die Wahrheit.
 

"Ich hatte keinen Grund dazu. Dann hätte ich auch auf Karyu verzichten müssen." Ungläubig starre ich ihn an. Wollte er mir gerade erzählen, dass Karyu mich nicht nur mit Hizumi, sondern auch mit ihm betrogen hatte? War das der Grund, warum Tsukasa sich um Karyu kümmerte und plötzlich mit mir über die Vergangenheit reden wollte? Um sein Gewissen zu erleichtern? Ich will diese Wohnung nur noch so schnell wie möglich verlassen. Doch ich komme nicht weit. Im Flur werde ich von Tsukasa festgehalten. Sein Griff ist fest, sodass es schmerzt. Ich zwinge mich, ihn anzusehen. "Einige Menschen ändern sich, Zero und einige tun es nicht. Ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe. Karyu hat den Boden unter den Füßen verloren und wenn wir ihn nicht auffangen, wird er sich in einem Strudel verlieren, aus dem es kein Entkommen geben wird. Ich wäre aber auch ein verdammte Heuchler, wenn ich bestreiten würde, dass mir die Zeit nicht auch gefallen hätte. Wer aber immer noch das bekommt, was er begehrt, der wird sich nicht die Mühe machen, sich zu ändern, Zero." Dann lässt er mich los. Schnell verlasse ich die Wohnung. Seine Worte haben keinesfalls eine beruhigende Wirkung auf mich. Hätte ich Karyu und Hizumi in flagranti erwischt, hätte Tsukasa mir niemals die Wahrheit erzählt, da er von der Verschwiegenheit profitiert hat und wer wusste schon, mit wem sich Karyu noch alles das Bett geteilt hatte, während ich in Gefühlsduselei geschwelgt hatte. Die Wut und die Enttäuschung in mir schnüren mir die Kehle zu. Hatte ich einfach nur Pech gehabt, dass ich an die drei geraten war oder hatte ich es gar verdient, hintergangen zu werden? Mein Weg führt zum Meer. Es ist es nicht meine Art, meinen Frust zu ertränken, auch wenn mir danach ist.
 

Den weichen Sand unter meinen Füßen nehme ich kaum wahr. Der frische Wind bläst mir durchs Haar. Erst als das Wasser meine Beine umspült bleibe ich stehen. Tränen laufen über meine Wangen, während ich auf das Meer hinaus blicke. Wie gerne will ich meine Gefühle herausschreien. Wie gerne will ich meinen Geist befreien, durch den Strudel des wild drehenden Chaos springen, die Verzweiflung hinter mich lassen und ihn durchbrechen. Stattdessen stehe ich hier und zerbreche an meiner eigenen Vergangenheit, die ich erst jetzt mit all ihren Facetten kennengelernt habe. Meine Welt ist erdrückend, sodass ich sie zerreißen will. Ich will diese profane Zukunft nicht. Dabei hatte ich gedacht, dass jeder Tag einen Nervenkitzel mit sich bringt, der mein verstaubtes Herz zum Brennen bringt. Stattdessen schwelge ich in Lethargie. Ich will das Paradies. Verraten und hintergangen, um den anderen bei ihrem perfiden Treiben nicht zur Last zu fallen stehe ich hier, um mich zu erheben. Ich werde erwachen, kein Sklave mehr in ihrem Schachspiel sein. Mein verängstigtes Selbst wird begraben, denn ein neuer Beginn ist eingeläutet. In dieser einsamen Welt, in der ich mir nur selber helfen kann, schreie ich meine Existenz und ihre Bedeutung aus. "Hier bin ich!" Der Neubeginn ist eingeläutet. Dies ist der Tag meiner Geburt. Langsam öffne ich die Augen und blicke der Sonne entgegen während meine Gedanken überlaufen. Die letzten Tränen sind vertrocknet. Zum ersten Mal seit langem sehe ich wieder klar.
 

Zuhause finde ich Hizumi auf dem Bett sitzend. Papierblätter liegen verstreut umher, Texte, Skizzen, Entwürfe, die zerknüllt wurden. Anscheinend hat sich Hizumi eher für die Vergangenheit entschieden. Entschlossen gehe ich zu ihm. "Hizumi, wir müssen reden..."



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  ZERITA
2014-11-27T16:05:05+00:00 27.11.2014 17:05
Was macht man, wenn man nicht einschlafen kann? Man liest Ka-chans FF, nur um dann festzustellen, dass man jetzt erst recht nicht einschlafen kann, weil man wissen will wie es weitergeht. >~< meh! Schmeißt ZERO Hizumi jetzt raus? Was macht ZERO jetzt? Will er die Wahrheit wissen? Wird er auch mit Karyu reden? Ich hab noch mehr Fragen ^^;;;;;
Antwort von:  cyan_butterfly
28.11.2014 11:13
Das wirst du bald erfahren x'D

Ab Montag habe ich wieder mehr Zeit zum Schreiben :)


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