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Dem Frühjahr folgte der Tod

Wenn die Vergangenheit zur Zukunft wird
von

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Der Wind im Gras

Kapitel 3: Der Wind im Gras
 

Müde blinzelten die hellen, grauen Augen in das noch matte Morgenlicht. Die Sonne kam hinter der Mauer aus Smog hervor, sie zeichnete die Konturen der Schornsteine und Funkmasten dunkel nach.

Der Blick des Mädchens wanderte zu der Person neben ihr, ein kleines, hellhaariges Mädchen von gerade neun Jahren. Sanft lächelte die ältere, drückte der Kleinen einen Kuss auf die Stirn und kletterte vorsichtig aus dem Bett. Der unechte Holzboden war eiskalt und die Braunhaarige schlüpfte schnell in ihre Pantoffeln, ehe sie nach den anderen drei Mädchen sah. Allesamt waren sie jünger als die Große, und keine von ihnen war mit der anderen blutsverwandt.
 

Mit knurrendem Magen begab sich die Älteste in die Küche, wo sie von ihren Zieheltern empfangen wurde. Sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter waren… nervös. Jamie konnte nur erahnen, warum.

In den letzten Tagen machte das Gerücht die Runde, die Rebellen würden die Nation angreifen. Das war eigentlich nichts Besonderes, aber diesmal wollten die obersten Herrscher den Widerstand ein für alle Mal auslöschen.

Selbst Oma Suri, die nicht mal vor einem wildgewordenen Soldaten Angst hatte, fürchtete sich, das sah Jamie ganz genau.
 

Alle hatten Angst. Angst vor dem, was geschehen würde. Sie wussten, dass die Gesichtslosen die Distrikte gleich mit vernichten würden. So hatten sie wieder Platz für neue. Neue Fabriken, in denen Kinder am Band produziert wurden. Ein weiterer Motor, der die moderne Hölle am Leben erhält.

Sie alle waren in einer solchen Fabrik erschaffen worden.

Jamie war ein Kind der dreiundzwanzigsten Generation diese Fabrikkinder.

Als eine der älteren wurde sie von vielen Kleineren bewundert. Es war ihr zuwider, diese Blagen betüteln zu müssen, sie wollte keine Erzieherin sein. Nur ihre jüngeren Geschwister kamen gut mit ihr aus.
 

Jamie wurde in ein Testprogramm für eine von Nanobots betriebene Waffe gesteckt, sie wurde selbst zu einer Waffe, und sie hasste es. Sie hasste es, dem Moderator schutzlos ausgeliefert zu sein, sie hasste es, gegen jene Gegner der Emotionslosigkeit zu kämpfen, zu denen sie eigentlich selbst gehörte. Ja, Jamies Zeit war grausam.

Nur, wenn sie abends mit ihren Geschwistern auf dem falschen Holzboden vor dem Hologrammkamin saß und ihren Großeltern lauschte, konnte sie die grausame Realität verdrängen. Freed und Suri waren in der neunzigsten und achtundneunzigsten Generation der vorigen Fabrik "geboren" worden, jeder der "Brutkästen" warf genau einhundert Würfe, ehe sein System zurückgesetzt und modernisiert wurde.

Mittlerweile waren die ältesten Menschen weit über hundert Jahre, aber keiner von ihnen lebte in einem der Distrikte. Der Rat der Ältesten bestand aus Gesichtslosen, jenen Menschen, die keine Gefühle mehr besaßen. Suri meinte mal, sie hätten das verloren, was sie zu Menschen gemacht hat.
 

Im Prinzip war Jamie froh, keine der Gefühlslosen zu sein, auch wenn sie ihre Emotionen weitgehend unterdrückte. Das tat sie meistens, in dem sie Sachen ordnete. Aber bei diesen Puppen gab es einfach nichts, was man ordnen konnte. Sie dachten nicht mal. Sie folgten einfach einem festgelegten Lebensplan, den sie von den Ältesten persönlich bekamen. Irgendjemand meinte mal, die Ältesten täten das, weil sie Aufstände verhindern wollten und Kontrollbesessen waren.
 

Den gesamten Morgen über sprachen nur die Kleinen miteinander. Jamie wusste, an diesem Abend, spätestens am nächsten Morgen wäre die Welt nicht mehr so, wie sie sie kannte.

Aber diesen Wandel wollte sie nicht erleben.

Sie wollte keinen Krieg sehen. Sie wollte weglaufen. Und sie hasste sich dafür.
 

Kurz nach der Bekanntgabe des baldigen Angriffs verschwand Jamie mit ihren Geschwistern, sie hasste Kinder, sie hasste sich dafür, ihre Eltern wortlos zurückgelassen zu haben, aber sie konnte den Gedanken nicht ertragen ihre Geschwister schutzlos dem Tod auszusetzten. Also brachte sie sie in das schon lange veraltete Cryostasezentrum außerhalb des Distriktes unter einer Nanobot-Fabrik.

Jamie war nie ein Mensch der Technik gewesen, sie interessierte sich eher für die Psychologie, weshalb sie es auch schaffte, ihre Geschwister immer wieder zu beruhigen. Zum Glück kannte sie eine Mitschülerin der Akademie, eine ziemlich große Idiotin mit einer Liebe zu Blagen und Software. Von dieser ließ sie sich mit ihrer Bande einfrieren, was dann mit der Idiotin geschah, war ihr recht egal. Sie wollte leben. Die neue Welt sehen.
 

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Müde öffnete ich die Augen. Die Sonne war gerade aufgegangen, das Licht brach sich in den kleinen Luftbläschen im Bleiglas. Ein bisschen Staub tanzte in der Luft, als ich mich aus den Kissen hochstemmte. Ein kleines Näschen stupste mich am Arm, neben mir saß eine Katze mit nach außen verdrehten Ellenbogen. Sie sah insgesamt etwas krumm aus, aber so, wie sie mich anblinzelte und sich die Seele aus dem Leib schnurrte, konnte ich nicht anders, als sie zu mögen.

Sie beobachtete mich, während ich in die etwas zu enge Uniform schlüpfte und die ganzen Gurte anlegte. Die Dreifarbige schien helfen zu wollen, denn zweimal hatte ich sie am Leder hängen. Ich lachte und nahm sie auf den Arm, bevor ich Richtung Essenssaal ging. Kurz bevor ich die Tür jedoch öffnen konnte, begann das Knödelchen zu brummen und muffte. Sie gab ein gedämpftes Quietschen von sich, als ich sie runterließ und lief zu einem Teil auf dem Boden, welches sie zwischen die Zähnchen nahm und mir brachte. Eine Katze die apportiert? Was zur Hölle? Und das was sie mir da anschleppte, war einer der Gurte. Ups, den hatte ich wohl nicht richtig fest gemacht. Naja.

Im Essenssaal roch es nach Ei und sogar nach Speck, Levi winkte mich zu sich und den Personen, die bei ihm saßen.

„Ich will dir ein paar Leute vorstellen. Das sind Auruo Bozard, Gunther Schulz, Erd Jin, Petra Ral kenst du ja schon, der große da ist Mike Zacharias, neben ihm Nanaba. Sobald du deine Ausbildung abgeschlossen hast, werden sie dir zeitweise unterstehen.“

Ich zog die Augenbrauen hoch.

„Wie meinen sie das?“

„So wie ich es gesagt habe. Sie werden verschiedene Missionen mit dir bestreiten. Zumeist werdet ihr nach weiteren Leuten wie dir suchen. Aber du wirst auch Ansprachen halten müssen. Die Menschen haben keine Hoffnung mehr. Mach ihnen ein bisschen Mut, dann haben wir wieder Ruhe.“

Der war ja mal wieder nett. Und ich verstand immer noch nicht ganz, was das eigentlich sollte.

„Wann komme ich eigentlich in die… hundertvierte? Tut mir leid, ich bin mir grad nicht sicher, welche das nun war…“

Hanji legte mir die Hände auf die Schultern. Wo kam die denn bitte her?!

„Nach dem Frühstück satteln wir auf. Ich liefere dich da ab, alleine findest du das nicht!“

Sie grinste mich an, während Levi nur missmutig schnaubte. „Verhätschle das Balg nicht, Vierauge.“

Tat sie das denn?

„Halt die Klappe, Kleiner.“

Danke Hanji, das waren genau meine Gedanken.
 

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Grade war Jamie weggedämmert, als sie von einem ungeheuren Schmerz gepeinigt aus der sanften Dunkelheit eines trumlosen Schlafes gerissen wurde. Ihr Fleisch war wie von Eisnadeln durchbohrt, sie wusste nicht, was geschah, sie wusste nicht, wo sie war. Der Schmerz nahm ihr alles, sie vergaß, nur noch der Schmerz war da.

Zu den Klingen aus Eis kamen glühende Hände, die Hitze verbrannte ihre Haut und schmorte ihre Augen durch. Jamie schrie, doch aus ihrem Mund kam nur ein Schwall eisigen Schleimes, sie drohte zu ersticken. Das Eis verbot ihr, sich zu bewegen, die Muskelfasern waren zusammengefroren.

Angst.

Angst!

Angst war das einzige, was neben dem Schmerz in Jamies Kopf wummerte.

Angst.

Schmerz.

Kälte.

Warum war es nur so kalt? Was war geschehen?

Die Schwärze nahm zu, bis sie Jamie zur Gänze überwältigt hatte. Sie war unfähig sich zu wehren, sie wurde von der Flut aus Angst und Kälte mitgerissen.
 

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Das wird also mein erster Tag in der 104. Trainingseinheit. Von den anderen Kadetten hatte ich noch nichts gesehen, laut Hanji waren sie auf einem Konditionslauf oder sowas in der Art. Das gesamte Gelände der Akademie war voller Schlamm, es hatte die gesamte letzte Woche über ohne Unterbrechung geregnet.

Der Aufpasser ließ mich in gutem Gewissen alleine. So wie Hanji das ausdrückte, war er vermutlich mit einem verletzten Kadetten am Pokern. Oder was auch immer die hier spielten. Auf jeden Fall hatte ich damit begonnen, das Gelände zu erkunden, auch wenn es nicht viel zu sehen gab. Ganze sieben unterschiedlich große Holzhütten gab es hier, unter einer fand ich aber etwas, was mich stutzig machte. Es war nur ein winziges Metallteil, aber es kam mir so... vertraut vor. Verschwommene Bilder tauchten vor meinem inneren Auge auf. Ich konnte nichts damit anfangen, aber ich hatte das Gefühl, dort unten etwas zu finden, was mir helfen könnte.
 

Hier unter dem Gebäude war der Boden zum Glück trocken, dank der Stelzen, auf denen das Gebäude thronte, hatte ich auch genügend Platz, um mich zu bewegen. Schnell holte ich mir eine Lampe aus den Quartieren, es war so ein ganz altes Teil mit Öl oder was auch immer. Ich brauchte einen Moment, ehe ich sie mit einem Zündholz zum Brennen bekam, aber als sie erst mal an war, konnte mich nichts aufhalten.

Nach einem Moment der intuitiven Koordination kniete ich mich über eine etwas tiefer gelegene Stelle und begann damit, das sandige Erdreich mit den Händen beiseite zu schieben. Es dauerte und dauerte und irgendwann saß ich bis zum Bauch in der Erde.
 

"Was in Gottes Namen tust du da, Kadett?!"
 

Geschockt sah ich in die stechenden Augen von Shadis und hielt ein paar Sekunden lang inne. Der Ausbilder kniete so, dass er mich sehen konnte und hielt sich mit einer Hand an der Plattform der Hütte fest.

Mit einem Mal begann ich noch heftiger zu buddeln, ich wollte weiterkommen, ehe mich Shadis noch hier wegzog. Panisch schob ich die Erde zu allen Seiten weg, ich beachtete Shadis gar nicht, wie der einem relativ großen Kadetten befahl, mich da drunter weg zu holen.

"Ich weiß ja nicht, für was Smith sie hält. Aber sie ist vollkommen wahnsinnig."
 

Nein, wahnsinnig war ich nicht, aber ich konnte ganz genau spüren, dass da unten was Wichtiges war.

Ich zuckte erschrocken zusammen, als ein Gesicht direkt vor mir auftauchte und meine Finger gleichzeitig Metall ertasteten.

Ohne auf die schwarzen Augen und die Ansprechversuche zu reagieren kratzte ich manisch die Erde weg, Scheisse, ich wollte da runter!

"Jetzt hol das Weib da endlich raus, Kadett Fubar! Was brauchst du denn so lange?!"

"Sir, ich glaube, sie hat hier was gesucht.... und gefunden, Sir!"
 

Weitere Köpfe tauchten auf. Hände begannen damit, die Erde großflächiger weg zu schieben. Ach, erst bin ich wahnsinnig und nu helfen die mir oder wie?

Neben dem Schwarzhaarigen Fubar knieten noch zwei Blondschöpfe im Staub, beide waren nicht sehr groß und blauäugig. Der eine wirkt aufgeregt.

"Sag mal, versteht sie uns überhaupt?"

"Ja, tue ich. Jetzt hilf mir mal."

Selbst dieser Shadis begab sich nun halb unter die Plattform. Er starrte merklich verwirrt auf die rostige Metalplatte, die ich freigelegt hatte. Mit spitzen Fingern und Fubars Taschenmesser hebelte ich eine winzige Klappe auf.

„Was bringt dir das?“
 

Wortlos stach ich die Spitze des Messers in einen schmalen Spalt, ehe ich das Messer unter einiger Anstrengung drehte. Eine Reihe von Klicktönen ließ mich und die Leute bei mir aufhorchen.

„Du, Zieh das mal hoch.“

Ich zeigte dem Fubar genau wo er ziehen musste und auch die zwei Blondchen halfen mit. Unter widerwärtigem Quietschen ließ sich das dicke Metall anheben und eine Leiter kam zum Vorschein. Wir staunten nicht schlecht, diese Leiter war wie die Falltür nicht von den Mauerbewohnern gebaut worden. Bevor ich jedoch nach der Lampe greifen konnte, hatte Shadis sie schon gepackt.

„Ich werde dir die Lampe an diesem Strick runterlassen. Mit freien Händen lässt es sich besser Leitern steigen.“

Ich nickte dem Glatzköpfigen zu und ließ mich zunächst ein kleines Stück hinunter, ehe ich die Sprossen ergriff. Das Metall war kalt und glatt, ich wusste einfach, dass ich es schon einmal ergriffen hatte. Immer tiefer ging es in den tiefen Schacht und mein Herz verkrampfte sich, als mir der Geruch eines lange zurückliegenden Todes in die Nase stieg.
 

Der Boden war kniehoch mit Wasser bedeckt, auf dem Öllachen ein mattbuntes Muster bildeten. Das eisige Nass drang zum Glück nicht durch meine Schuhe, die Leute hier waren zwar nicht besonders weit im Aspekt Technik, aber sie konnten wasserfeste Schuhe herstellen. Immerhin etwas.

Ich blickte hinter mich, als ich das Wasser platschen hörte. Der kleine Blonde war mir gefolgt und bekam ob der etwas kürzeren Stiefel die ganze Brühe in die Schuhe.

„Kalt…“

Ich lächelte ihn an.

„Grundwasser, vermute ich. Sag mal, wie ist dein Name?“
 

Ehe der Blonde jedoch antworten konnte, schallte eine laute Stimme zu uns herunter. „Armin, behalt die Entdeckungen nicht immer für dich!“

Armin sah mich entschuldigend an und rief dann hoch: „Das hatte ich gar nicht vor, Eren. Außerdem kannst du gerne auch runterkommen.“

Und nasse Füße bekommen. Nun, Armin jedenfalls sah mich ziemlich interessiert an. „Warst du wirklich in einem Eisblock? Also, ich nehme mal an, dass du diejenige bist, über die alle reden. Korrigier mich, wenn ich falsch liege.“

Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Bis auf das mit dem Eisblock hast du Recht. Ich war gefroren, aber das Ganze ist viel komplizierter als ein Eisblock. Ich weiß nicht, ob du das alles verstehen würdest… Ich kanns dir ja erklären, wenn wir Zeit haben. Und wenn ich mich wieder an alles Diesbezügliche erinnern kann.“

Mit einem lauten Platschen landete ein dunkelhaariger Junge bei uns. Seine türkisen Augen fixierten mich, ehe er schon beinahe stolz meinte: „Unterschätzen sie Armin nicht. Er mag zwar unscheinbar wirken, aber er ist brillant.“

Ich nickte ihm zu. „Ich wollte niemanden beleidigen oder sowas in der Art. Aber soweit ich das noch weiß, ist unsere Technik nicht mit eurer zu vergleichen. Eren, nehme ich an?“ Der Dunkelhaarige nickte und wies in den dunklen Gang.
 

Zu dritt wateten wir durch das Wasser und einmal mussten wir Armin festhalten, damit dieser nicht vollkommen nass wurde. Es war aber auch ganz schön rutschig.

Wir kamen in einen kleinen Raum und mussten feststellen, dass dieser sogar tiefer lag als der Gang – Also wars das mit den trockenen Füßen. Armin war der kleinste von uns, er konnte gerade noch den Kopf überm Wasser halten.

„Also Jungs, holen wir, was auch immer hier ist und danach geht ‘s inne heiße Dusche. Oder Badewanne, je nachdem.“

Von beiden kam Zustimmung, also kämpfte ich mich mit Mühe voran und fluchte immer mal wieder über das scheiss kalte Wasser. Vermutlich kam das von einer Cryostasekammer. Grundwasser war nie im Leben so kalt.

Am Ende fanden wir eine Tür, beziehungsweise das was da noch übrig war. Wir mussten nur ein wenig dagegentreten – Eren hielt sich an einem Rohr über der Tür fest und stiess sich immer wieder ab, sodass er mit seinem gesamten Gewicht gegen das Metall krachen konnte – und die Tür gab nach.
 

Der Raum war so hoch überflutet, dass ich tauchen musste, um an die Kammer zu kommen. Das Wasser brannte mir in den Augen, ich konnte nur wenig sehen, war die Lampe ja nicht wasserfest. Also musste ich Intuitiv arbeiten.

„Wir haben keinen Strom, und es wäre lebensgefährlich, den bei so einer Überflutung anzuschalten. Ich muss die Kammer aufbrechen.“

„Die Kammer?!“, Armin, der sich im Türrahmen festhielt, wirkte geschockt. „Du meinst, hier ist noch jemand wie du?“

Ich nickte. Dieser Armin schien wirklich klug zu sein, er hatte anscheinend schnell geschnallt, dass der Eisblock aus den Gerüchten um mich so eine Kammer war.

„Sag Shadis Bescheid! Wir werden Decken und Seile brauchen. Und eine Liege oder sowas.“

Armin nickte heftig und wollte losgehen, als hinter ihm eine weitere Stimme erklang. „Bleib ruhig hier, Armin. Ich gehe, ich komm schneller voran.“

Ich sah die Person nicht, aber Armin freute sich und kam tiefer in den Raum hinein, obwohl nicht mal ich hier hatte stehen können.

„Ich muss zuerst das Gel ablassen. Das Zeug wird das Wasser noch kälter werden lassen, wenn’s nicht sogar gefriert. Wir haben also wenig Zeit. Eren, Armin, wenn ich den Typen da hab, dann zieht ihr mich mit und raus, ok? Wartet an der Tür, von da kommt ihr schneller weg.“

Beide nickten und ich holte tief Luft, ehe ich mit dem Messer in der Hand zum Boden tauchte und nach einem der Schläuche tastete. Wenn ich einen ganz bestimmten durchschnitt, würde der Druck in der Cryokammer sofort auf Normwert abfallen und ich könnte den Menschen da drin rausziehen.

Mann, das würde Erfrierungen geben.
 

Ich erwischte den Schlauch und schnitt ihn durch. Sofort musste ich meine Augen schließen, als mich eine eiskalte Welle wie mit tausend Nadeln traf. Mein Puls begann zu rasen. Ich wollte atmen, unterdrückte den Reflex aber noch.

Da, schnell das Glas angehoben, den kalten Arm gepackt und dran gezogen. Ich stiess mich mit aller Kraft vom Boden ab, brach durch die dünne Eisschicht, die sich gebildet hatte, erreichte Eren und Armin, die mich sofort mit sich Richtung Leiter rissen. Ich hielt den schlanken Körper in meinen Armen fest umklammert, so fest, dass ich das Herz schlagen spüren konnte.

>Wir sind alle präpariert. Kein normaler Mensch würde das sonst überleben. Wir sind die Elite…<

Ich wusste, dass etwas im Blut dieses Menschen war, das ihn am Leben erhalten würde.

>Wir sind Produkte. Nichts weiter als Spielzeug. Wenn wir kaputtgehen, wirft man uns weg.<

Blaue Augen.

Feuer.

Meine Sicht verschwamm, ich konnte nicht mehr sagen, ob ich nun mit Eren und Armin im Tunnel war oder auf dem Schlachtfeld. Ich musste aufwachen!
 

Grob riss ich mich halb los, kam auf die Beine und stolperte zurück in den Gang unter dem Gebäude. Jemand schlug auf mich ein, aber ich ignorierte ihn. Ich zog die Person aus der Kammer mit mir, verlor den Boden unter den Füßen, geriet unter Wasser, schmeckte Blut und würgte, bis mit einem Schlag alles weg war.
 

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Es war so entsetzlich kalt.

Jamie fühlte sich, als ob sie eine Nacht im Schnee verbracht hätte. Sie spürte alles ab Schultergelenk und Kniescheibe nicht mehr, ihre Finger waren vermutlich tiefgefroren.

Immerhin hatte das Nanobot-Programm etwas Gutes – Jamies Kerntemperatur wurde relativ schnell wieder angehoben. Es würde nicht lange dauern, bis sie sich wieder bewegen konnte.
 

Das tat es auch nicht, nach einer gefühlten Ewigkeit kam das Gefühl in den Gliedern mit einem Reißen zurück, Jamie wusste nicht mehr, ob es nun warm oder kalt war. Oder ob sie nun tot war. Konnte ja sein.

Irgendwas kitzelte in ihrem Hinterkopf, ein paar Bilder huschten vorbei, aber Jamie konnte und wollte sich nicht erinnern. Sie wischte alles weg, bis nur noch ein wabernder Nebel da war, aus dem vereinzelt Blitze hervorbrachen.
 

Jamie drehte sich missmutig im Bett um und zog sich die Decke über den Kopf. Wer zum Teufel stach denn immer wieder in ihre Seite? Sie wollte schlafen, Mann!

Aber da kam irgend so ein Sack und wollte sie wecken.

„Alter, lass mich schlafen…“, fauchte sie irgendwann, als dieser jemand ihre Decke wegziehen wollte. Die Person schien sich ganz schön erschreckt zu haben, denn Jamie vernahm das knallen einer Tür. Endlich.

Sie drehte sich auf den Rücken und streckte sich ausgiebig. Ihre Finger und Zehen kribbelten, warum auch immer, vermutlich hatte sie drauf gelegen oder die Decke drum geknotet. Ihre grauen Augen blinzelten gen Decke und für einen Moment war Jamie ratlos. Holz war doch viel zu teuer, um eine ganze Decke damit zu verkleiden. Der jemand, in dessen Haus sie lag, musste verdammt reich sein.
 

Moment, reich?!

Jamie fuhr auf und fiel fast aus dem Feldbett, als Sternchen sah und sich wieder in die Kissen fallen ließ. Ihr Magen schlingerte, sie konnte in diesem Moment sprichwörtlich das Kotzen bekommen.

Wütend darauf, dass sie so in den Seilen hing, drehte sie den Kopf und sah sich ein wenig um.

Der gesamte Raum bestand aus Holz, neben ihrem Bett standen weitere Feldbetten entlang der Wände doch nur in einem lag jemand, eine relativ große Person mit schwarzen Haaren. So, wie Jamie die Taille unter der Decke erkennen konnte, war es eine Frau mit recht ordentlichen Proportionen.

Irgendwie kam ihr das Weib bekannt vor, aber sie konnte nicht sagen, ob sie sich nun täuschte.

Sie blinzelte zur Tür, als diese leise aufgemacht wurde. Auch vom Bett der Fremden kam ein Geräusch, anscheinend hatte die sich gerade aufgesetzt.

Im Türrahmen stand ein Mann mit Glatze und stechenden Augen, welcher Jamie sofort wie ein Psychopath erschien. Die hellbraunen Augen musterten sie, ehe er das Wort an sie wandte.

„Wir mussten sie bewusstlos schlagen. Sie hat nicht nur sich, sondern auch sie fast ersäuft! Vielleicht kennen sie sie ja. Sie heißt Ysabel.“

Ysabel? Der Name sagte Jamie was, nur konnte sie ihn erst nicht einordnen, als sie jedoch zu der Schwarzhaarigen sah, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

„Ysabel! Ysabel Carrai! Alter! Ich war noch nie so froh, sie zu sehen!“

Ausnahmsweise war sie der Jüngeren mal nicht „feindlich“ eingestellt, Ysabel war sowieso geistig viel älter und reifer als andere Fünfzehnjährige.

„Du kennst sie? Dann erinnerst du dich an alles?“

Jamie sah zum Glatzkopf und schüttelte nach einem Moment den Kopf.

„Ich erinnre mich an ein Paar Namen, aber ich kann sie nicht zuordnen. Ysabel und ich waren im selben Prototyp-Programm.“

„Wie meinen?“

Sie war der Lösung ganz nah, aber sie entglitt ihr immer wieder. Nach einem Moment des Versuches, sich zu erinnern, gab Jamie es auf und zuckte die Schultern.

„Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht kann Ysabel…“

„Ysabel wird nichts mehr machen.“
 

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Hanji stand verwirrt hinter Shadis, der sie noch nicht bemerkt hatte.

„Warum wird Ysabel… Ist was passiert?“

Der Ausbilder sah sie an, ehe er in den Raum wies.

„Sehen sie sich Ysabel an. Ihr Zustand ist Katastrophal. Ihr gesamtes Gesicht ist vom Frostbrand zerstört. Auch ihren Kehlkopf hat's erwischt. Sie wird nie wieder sehen, sprechen oder hören können. Am besten wäre es, wenn wir ihr den Gnadenschuss geben.“

Die Forscherin stürzte zum Bett des Mädchens, ihre Augen wurden nass, sie hatte sich noch bei ihr Entschuldigen wollen… Ysabel hatte so etwas nicht verdient. Dank ihr konnte man immerhin die Tore jetzt automatisch hochziehen, man saß an einem Dampfmaschinenbtriebenen Fahrzeug. Ysabel hatte den Menschen mit einer banalen Kleinigkeit, die es für sie zu sein schien, einen gewaltigen Fortschritt ermöglicht! Das durfte doch nicht wahr sein!
 

Die Hand des Mädchens war in dicke Bandagen gewickelt. Die Haut unter dem Stoff fühlte sich hart an, als Ysabel den leichten Druck erwiderte. Tränen rannen aus Hanjis Augenwinkeln.

„Ich weiß, du kannst mich nicht hören, aber obwohl ich dich nie wirklich kannte, ich mochte dich trotzdem. Tut mir Leid, dass ich so sentimental werde… Du hast jemanden gerettet, der dir damals wichtig war, nicht?“
 

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Jamie schluckte schwer. Sie hatte Ysabel immer als Idiotin bezeichnet. Hatte sich über sie und ihre Truppe insgeheim lustig gemacht. Und nun hatte Ysabel ihr Leben für ihres gegeben.

Die Frau an Ysabels Bett krümmte sich, um die Tränen zurück zu halten, als Shadis ihr einen Gegenstand reichte. Jamie ahnte, dass das eine Schusswaffe war, auch wenn sie viel, viel klobiger war als jene, an denen sie trainiert hatte.

Zitternd hielt die braunhaarige Frau die Pistole an Ysabels Stirn.
 

Ihr Finger krümmte sich langsam.



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