Zum Inhalt der Seite

Berliner Nächte

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Rumpelstilzchen

Ich habe die ganzen Semesterferien versucht, nicht an das zu denken, was Leon mir über Dominik erzählt hat. Und dennoch habe ich mich bei jeder möglichen Gelegenheit daran erinnert. Immer, wenn meine Eltern, meine Schwester oder meine Kumpels nach meiner Wohnung oder meinem Mitbewohner gefragt haben, hat sich unweigerlich das Bild in meinen Kopf geschlichen, wie sich Dominik von einem unserer Professoren ficken lässt.

Obwohl ich auf Gerüchte recht wenig gebe, kann ich dieses Bild nicht verdrängen und frage mich immer wieder, ob es vielleicht doch stimmt. Hat Dominik tatsächlich eine Affäre mit einem der Professoren? Und wenn ja, was würde das für mich bedeuten?

Sicher, solange jener Professor nicht eines Tages halbnackt in unserer Küche steht, bin ich davon nicht groß betroffen. Allerdings reicht es mir schon alleine, darüber Bescheid zu wissen, um Dominik mit ganz anderen Augen zu sehen.

Nun weiß ich erst Recht nicht mehr, wie ich ihm gegenüber treten soll, nachdem zuvor schon seine Homosexualität für den ein oder anderen Fehltritt meinerseits gesorgt hat.

Keine Ahnung, wie ich ihm nun noch in die Augen schauen soll, wenn ich im Hinterkopf immer eine kleine Stimme höre, die sagt, dass er vielleicht gerade Sex mit einem der Dozenten gehabt hat.

Ob es stimmt? Und wenn ja, warum tut er das? Hofft er, so bessere Noten zu bekommen? Nicht auszudenken, wenn das auffliegen würde! Oder ist es die wahre Liebe und sie versuchen nur, ihre verbotenen Gefühle so lange geheim zu halten, bis Dominik mit studieren fertig ist?

Jedes Mal, wenn ich darüber nachzudenken beginne, fühle ich mich plötzlich unheimlich erschöpft und gegen Ende der Ferien habe ich beschlossen, einfach nichts auf die Gerüchte zu geben und so zu tun, als wäre all das eine riesige Lüge.

Trotzdem bin ich reichlich nervös, als ich am Freitag vor Semesterbeginn die Haustüre aufschließe und in die Wohnung trete. Sie ist leer, zumindest brennt nirgendwo Licht und ich kann mir nicht vorstellen, dass Dominik um sechs Uhr abends schon am schlafen ist.

Ich schleppe meinen Koffer in mein Zimmer und lasse ihn dann unbeachtet dort stehen, gehe in die Küche, um mir eine Cola zu holen.

Als ich gerade den Kühlschrank wieder schließe, höre ich, wie die Haustüre aufgeschlossen wird und Sekunden später steht Dominik im Raum.

„Hey,“ begrüßt er mich und ich erwidere den Gruß mit einem Lächeln, dass hoffentlich echt wirkt.

„Bist du schon länger wieder hier?“, fragt er und mir kommt es vor, als wäre es diesmal er, der an einem ungezwungenen Gespräch interessiert ist.

Ich schüttle den Kopf. „Bin vor wenigen Minuten rein gekommen.“

Er nickt und stellt die Reisetasche ab, die er sich bis eben noch über die Schulter gehängt hatte.

Unbewusst wischt er sich seine Hände an der Jacke ab und sieht dabei mit einem Mal so aus, als wäre er recht nervös. Ich sehe ihn fragend an, aber er scheint mir nicht sagen zu wollen, was plötzlich in ihn gefahren ist.

„Also… Wenn du noch nichts gegessen hast…“, beginnt er und blickt mich dabei nicht an, sondern starrt auf einen unbestimmten Fleck auf dem Boden.

Mir dämmert plötzlich, worauf er hinaus möchte und warum er dabei so nervös ist und ich beiße mir auf die Lippe, weil ich da wohl noch etwas klar stellen muss. „Hör mal… also…“, stammle ich und finde urplötzlich den Boden genauso interessant wie er es tut.

„Das sollte eigentlich kein Date werden,“ lasse ich die Katze aus dem Sack und wage nun doch, ihn wieder anzusehen.

Er steht stocksteif da, die Wangen rot und den Blick zwar auf mich gerichtet, aber irgendwie so, als würde er durch mich hindurch schauen.

Lange schweigt er und sein Gesichtsausdruck verrät nichts von dem, was er gerade denkt oder fühlt.

Ich weiß nicht, ob ich ihm damit vielleicht sogar das Herz gebrochen habe oder ähnliches und will gerade noch etwas zu meiner doch recht vagen Erklärung hinzufügen, als er wieder das Wort ergreift: „Das habe ich auch nicht erwartet!“

Von einer Sekunde zur nächsten wird sein neutraler Gesichtsausdruck plötzlich ziemlich sauer und er packt abrupt seine Reisetasche.

„Stell dir vor, nur, weil ich schwul bin, heißt das noch lange nicht, dass ich dich ficken will!“, brüllt er mir entgegen, dreht auf dem Absatz um und ist auch schon in seinem Zimmer verschwunden.

Ich bleibe alleine in der Küche zurück, starre verwirrt auf den Fleck, auf dem er eben noch gestanden hat und seufze.

Das habe ich ja wieder richtig toll hinbekommen…
 

„Domi,“ meine ich fast schon flehend und klopfe gegen seine Türe. „Domi, mach auf!“, bitte ich und versuche noch einmal, die Klinke nach unten zu drücken, obwohl ich es zuvor schon ein paar Mal versucht habe und dabei feststellen musste, dass er die Türe verschlossen hat.

„Dominik, es tut mir Leid,“ versichere ich ihm und rüttle noch einmal an der Türe. „Mach doch bitte auf!“

Ich bin kurz davor, meine Beherrschung zu verlieren, als ich höre, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht. Ich öffne hastig die Türe und trete in sein Zimmer.

Es ist das erste Mal, dass ich mich darin befinde und ich kann nicht umhin, mich trotz der prekären Situation neugierig umzusehen.

Ich hatte etwas anderes erwartet, als das, was ich nun tatsächlich zu Gesicht bekomme.

Sein Zimmer ist in einem hellen Beige gestrichen und wirkt alles in allem ziemlich freundlich. Neben einem Bett, einem Schreibtisch und einem Kleiderschrank befindet sich in dem Raum ein voll gestopftes Bücherregal mit Romanen aller Art, eine Topfpflanze, die er zu hegen und zu pflegen scheint, so prächtig, wie sie blüht, und eine Gitarre. Das einzige, was zu seinem oft etwas düsteren Auftreten passt, sind einige Poster von Metallbands, welche mir alle nichts sagen, die über seinem Bett an der Wand hängen.

Er selbst steht mitten im Raum und wirkt ziemlich verloren.

„Ich wollte dich nicht verletzen,“ sage ich und sehe ihn entschuldigend an. „Ich habe wirklich kein Problem damit, dass du schwul bist und ich möchte mich auch wirklich nicht über dich lustig machen.“

Er sagt nichts dazu. Stattdessen dreht er sich um und setzt sich auf sein Bett, blättert geistesabwesend in einem Buch über deutsche Lyrik herum.

„Sag doch was,“ bitte ich ihn und komme mir reichlich doof vor. Ich entschuldige mich hier und er ignoriert mich einfach.

„Warum sagst du dann solche Sachen?“, will er wissen und sieht mich mit einem Mal vorwurfsvoll an.

Ich beiße mir auf die Lippen und kann ihm unmöglich sagen, dass mich Leons Ausführungen allesamt aus der Bahn gebracht haben – seien es nun die bezüglich seiner Homosexualität oder die über seine angebliche Affäre.

„Weil ich den Eindruck hatte, dass du dir vielleicht mehr erhoffst. Du bist so rot geworden und ich habe es wohl einfach falsch gedeutet.“

Er schnaubt. „Und das ich vielleicht einfach nur unsicher bin, weil mich bisher jeder gemieden oder verarscht hat und du bisher der einzige neben Daniel bist, der nett zu mir ist, das ist dir dabei nicht in den Sinn gekommen?“

Ich sehe ihn an und überlege kurz. „Nein,“ gebe ich zu, weil ich daran tatsächlich kein einziges Mal gedacht habe. Weshalb auch? Ich wusste ja nicht, dass er von allen gemieden wird.

Er sieht mich ungläubig an und ich zucke mit den Schultern. „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie die anderen bisher mit dir umgegangen sind. Ich wusste gar nichts von dir und habe auch erst an dem Tag, an dem du weggefahren bist, erfahren, dass du schwul bist.“

Er reibt sich mit der Hand über das Gesicht und sieht plötzlich ziemlich erschöpft aus. Fast denke ich, er würde zu weinen anfangen, aber keine Träne verlässt seine Augen.

„Tut mir Leid, ich habe die ganze Zeit gedacht, dass deine plumpen Annäherungsversuche deine Art wären, dich über mich lustig zu machen. Ich wusste nicht, dass du einfach nur gut mit mir auskommen willst. Bisher… waren alle eigentlich eher froh, wenn ich sie in Ruhe gelassen habe.“

Ich blinzle, weil das letzte, was ich erwartet hätte, eine Entschuldigung seinerseits gewesen ist.

„Schon okay,“ winke ich deshalb nur perplex ab, weil ich keine Ahnung habe, was ich sonst groß dazu sagen soll.

Er scheint ein schlechtes Gewissen zu haben, denn er schüttelt nur mit dem Kopf. „Das ist gar nicht okay!“, schreit er mich an und ich habe langsam das Gefühl, dass der Junge wirklich schlimme Stimmungsschwankungen hat. Vielleicht sollte er sich mal mit einem der Psychologiestudenten zusammensetzten.

„Ich war total scheiße zu dir, dabei hast du es nur gut gemeint!“, platzt es aus ihm heraus und er springt auf und tigert unruhig in seinem Zimmer umher, während er immer wieder mehr zu sich selbst, als zu mir sagt: „Ich bin ein Idiot. Ein totaler Idiot.“

Ich trete zu ihm und hindere ihn daran, weiter auf und ab zu laufen, in dem ich seinen Arm packe und ihn so zum Stillstehen zwinge.

„Du bist gar kein Idiot, du hast es eben nicht besser gewusst und warst dir unsicher, weil du die Situation bisher wohl noch nie hattest.“

Er nickt nur und scheint wenig überzeugt, macht aber nicht mehr den Anschein, sich weiterhin selbst beschimpfen zu wollen.

„Dann hast du noch gar nichts schlechtes über mich gehört?“, fragt er und sieht mich plötzlich mit Hundeaugen an. Ich weiche seinem Blick aus, weil es mir richtig unangenehm ist, so angesehen zu werden. Das weckt in mir regelrecht das Bedürfnis, ihn fest an mich zu pressen und zu trösten und das möchte ich nicht, damit er es nicht wieder falsch verstehen kann.

„Nicht wirklich. Oder meinst du das mit deiner Affäre?“

Ich fühle unter meinen Fingerspitzen, wie er sich verspannt und erst da fällt mir auf, dass ich ihn immer noch festhalte, um ihn am hin und her laufen zu hindern. Hastig lasse ich ihn los und er wendet sich prompt ab.

„Na toll, also hast du auch schon davon gehört,“ meint er betrübt und ich glaube, nun schleicht sich doch eine Träne aus seinen Augen, die er aber in einer harschen Bewegung fortwischt.

„Domi, jetzt beruhig dich doch,“ bitte ich ihn und komme mir ziemlich hilflos vor, wie ich hier in seinem Zimmer stehe und er still vor sich hin heult.

„So eine Affäre ist halt schon recht ungewöhnlich und das die Leute darüber tratschen, ist ihnen wohl kaum zu verübeln,“ versuche ich ihn zu beschwichtigen und sage damit genau das falsche.

Ehe ich mich versehen kann, hat er sein Kopfkissen gepackt und es mir ins Gesicht geschleudert. Ich sehe ihn empört an. „Was soll das?“, fauche ich.

„Keiner hat gesagt, dass die Gerüchte stimmen, du Vollpfosten!“, giftet er zurück.

Ich blinzle und zucke mit den Schultern, wie schon so oft in letzter Zeit. „Und wo ist dann dein Problem?“

Ihm entweicht ein kleiner Schrei und er stapft dabei wütend mit dem Fuß auf, was den Anschein erweckt, er wäre Rumpelstilzchen. Als mir der Vergleich in den Kopf schießt, muss ich grinsen. Das bringt ihn allerdings erst Recht zur Weißglut und ehe ich mich versehe, hat er mir auch noch einen Teddy ins Gesicht gedonnert.

„Das ist überhaupt nicht lustig! Stell dir mal vor, über dich wären solche Gerüchte in Umlauf!“, blökt er und sieht aus, als würde er im nächsten Moment explodieren.

„Mir wäre das egal, weil ich auf solche Gerüchte recht wenig gebe,“ erwidere ich und er verzieht nur unzufrieden den Mund. „Das kann man immer leicht sagen, wenn man sich nicht in der Situation befindet,“ antwortet er und lässt sich auf sein Bett plumpsen.

Ich blicke auf ihn hinab und weiß nicht so Recht, was ich sagen soll. Die Situation ist tatsächlich alles andere als leicht, aber wenigstens weiß ich jetzt schon mal, dass die Gerüchte nicht stimmen.

Um ihn abzulenken, mache ich den Vorschlag, nun doch noch zum Italiener zu gehen.

„Ich weiß nicht,“ lehnt er jedoch ab, „Ich möchte nicht, dass sie uns zusammen sehen. Am Ende reden sie über dich auch noch schlecht und das möchte ich nicht.“

Ich runzle die Stirn. „Und wie soll das gehen? Wir wohnen zusammen! Sollen wir das jetzt unsere ganze Studienzeit über geheim halten? Was, wenn ich mal jemanden mit hier her bringe? Dann sehen sie dich! Oder Jonas und Leon – die wissen doch auch schon Bescheid.“

„Aber die sind deine Freunde und werden schon nicht über dich lästern. Und wenn du jemanden mitbringt, dann verstecke ich mich eben in meinem Zimmer,“ schlägt er vor. Ich schüttle den Kopf, weil ich von der Idee wenig halte.

„Dominik, das ist Unsinn! Es ist zwar sehr nett, dass du mich beschützen willst, aber was sollen sie denn schon groß über mich sagen? Das ich nun auch eine Affäre mit einem Professor habe?“

Er verdreht die Augen, ich scheine ihn wirklich zu nerven. „Nein, aber vielleicht, dass wir ein Pärchen sind?“, mault er und ehrlich gesagt habe ich an diese Möglichkeit noch gar nicht gedacht. Dabei ist diese Vermutung vielleicht nahe liegend, wenn man davon ausgeht, ich hätte extra meine tolle Wohnung bei Sascha aufgeben, um mit meinem neuen Freund zusammen zu ziehen.

„Ach man,“ seufze ich, weil ich eigentlich gehofft hatte, dass es jetzt endlich mal ein unkompliziertes Studentenleben werden würde, ganz ohne Probleme und Sorgen.

Deswegen sage ich auch: „Ich werde es nicht geheim halten. Wir müssen es nicht an die große Glocke hängen und wir müssen auch nicht die ganze Zeit zusammen kleben, aber ich möchte nicht lügen müssen und ich möchte auch nicht so tun, als würde ich dich nicht kennen!“

Er beißt sich auf die Lippe und sieht alles andere als begeistert aus. Ich bin sicher, er würde jetzt liebend gerne widersprechen, aber ich habe wohl so entschlossen geklungen, dass er es sich nun nicht mehr traut, dem ganzen noch etwas entgegen zu setzen.

„Nachdem das geklärt ist… Gehen wir jetzt endlich was essen? Ich habe nämlich wahnsinnigen Hunger!“
 

Während des gesamten Essens wirkt Dominik seltsam angespannt und immer wieder sieht er sich im Restaurant um, ob nicht doch jemand von der Uni anwesend ist.

Alles in allem wirkt er ziemlich paranoid, aber so wirklich verübeln kann ich es ihm nicht. Ich verstehe durchaus, dass es für ihn schwer sein muss, von allen aufgrund eines Gerüchts gemieden zu werden, an dem nicht ein Funken Wahrheit dran ist.

Und ich kann ebenfalls nachvollziehen, dass er nicht möchte, dass über uns auch noch Gerüchte in Umlauf gebracht werden, die letztlich vielleicht nicht nur ihm schaden, sondern auch mir.

Andererseits weiß ich schon gar nicht, warum überhaupt solcherlei Gerüchte in Umlauf sind und ob es einen Vorfall oder ähnliches gab, der dafür gesorgt hat, dass es ihm heute noch immer so schwer gemacht wird.

Als er mir endlich mal wieder seine Aufmerksamkeit schenkt, frage ich ihn danach: „Woher stammt eigentlich das Gerücht, dass du eine Affäre mit einem der Professoren haben sollst?“

Er verzieht erneut den Mund, offenbar ist das nicht unbedingt das Thema, über das er jetzt gerne reden würde. Allerdings kann ich ja nur nachempfinden, warum er so eine Panik schiebt, wenn ich die ganze Geschichte kenne.

„Angefangen hat es damit, dass ich in den ersten Klausuren immer am besten abgeschnitten haben. Das hat mir natürlich die Sympathie einiger Professoren eingebracht, was wiederum einigen anderen Studenten nicht gepasst hat. Weißt du, die stammen aus gutem Hause, waren an Privatschulen und haben wohl geglaubt, sie wären viel intelligenter, als wir anderen zusammen.“

Ich höre auf zu essen und blicke ihn nur gebannt an. Ich habe geglaubt, es sei mehr Überzeugungskraft nötig, ihn dazu zu bringen, mir die Geschichte zu erzählen, aber vielleicht ist er auch einfach froh, mal jemanden sein Herz ausschütten zu können.

„Was ist dann passiert?“, hake ich nach.

„Zwei Mädchen haben darüber gewitzelt, dass ich vielleicht die Professoren besteche und daraus ist dann schnell die wahnwitzige Idee entstanden, ich hätte sie vielleicht sogar mit Sex um den Finger gewickelt. Nachdem dann noch raus kam, dass einer unserer Professoren tatsächlich schwul ist, war es natürlich ein gefundenes Fresschen für sie. Sie haben überall herumerzählt, ich hätte bei ihm nur deshalb so gute Noten, weil ich ihm den Schwanz gelutscht hätte und er würde mich in den Vorlesungen deshalb so gerne sehen, weil ich danach zu einem kleinen Quickie bleiben würde.“

Jetzt hört auch er auf, während seiner Erzählungen zu essen und schiebt den Teller von sich. „Mir ist der Appetit vergangen,“ erklärt er mir peinlich berührt und ich winke nur ab, weil ich durchaus nachvollziehen kann, dass er jetzt keinen Hunger mehr hat.

„Ziemlich krass,“ befinde ich und finde kaum Worte, die beschreiben, wie abscheulich ich dieses Verhalten finde.

Er tut mir echt Leid und am liebsten würde ich ihn jetzt in den Arm nehmen und ihm versichern, dass alles wieder gut wird, aber ich fürchte, dass wäre ihm ziemlich unangenehm – vor allem, weil wir uns ja noch immer in der Öffentlichkeit befinden und er eigentlich gar nicht mit mir gesehen werden will.

„Hast du nie versucht, die Sache klar zu stellen?“, frage ich ihn.

„Doch, natürlich!“, empört er sich. „Aber wem glaubt man denn mehr? Dem, was das Opfer sagt oder dem, was alle anderen sagen? Die meisten denken, ich würde mich einfach nur rechtfertigen und die Affäre vertuschen wollen, damit unser Dozent keinen Ärger bekommt. Aus unerfindlichen Gründen scheinen sie der Ansicht zu sein, dass es eher Sinn macht, ich würde meinen Körper für gute Noten verkaufen, statt sich mit der Idee anzufreunden, dass ich einfach nur intelligent genug bin, mich in die Lehrinhalte hineinzudenken.“

Er sieht aus, als würde er gleich wieder das Weinen anfangen, weshalb ich schnell einen Kellner bitte, die Rechnung zu bringen.

Wir schweigen, bis ich bezahlt habe und wir das Restaurant verlassen haben, erst dann ergreife ich wieder das Wort: „Ich halte immer noch nichts davon, mich absichtlich von dir fern zu halten, aber wenn es dich beruhigt, dann werde ich in der Uni nur das Nötigste mit dir reden, damit keiner auf dumme Gedanken kommt, okay?“

Er nickt dankbar nuschelt ein leises ‚Okay’.

Ich lächle und nicke und sehe ihn teils wohlwollend, teils mitleidig an.

Es wird wohl echt Zeit, dass sich ihm mal einer annimmt, sonst wird er noch seine gesamte Studienzeit unter diesen Gerüchten leiden und niemals Anschluss finden.
 

„Nicht dein Ernst!“, empört sich Jonas, als ich ihm und Leon Dominiks Geschichte erzähle.

Es ist Montagmorgen und wir haben uns wie fast immer in der Cafeteria getroffen.

„Doch. Irgendjemand war neidisch auf seine guten Leistungen und hat deshalb dieses Gerücht in die Welt gesetzt,“ bestätigte ich ihnen den Tatbestand noch einmal und Jonas schüttelt ungläubig den Kopf.

„Ich verstehe nicht, was in manchen Leuten ihren Kopf so vor sich geht!“, schnaubt er und ich pflichte ihm bei.

Nur Leon scheint etwas zögerlicher. „Also ist gar nichts an den Gerüchten dran?,“ fragt er und klingt dabei noch ein wenig ungläubig. Ich weiß nicht so Recht, was das soll. Noch immer habe ich das Gefühl, dass er nicht ganz so gut mit Homosexualität umgehen kann, wie er vorgibt. Andererseits kommt er sich vielleicht auch einfach nur blöd vor, weil er bei der Verbreitung des Gerüchts kräftig mitgemischt hat.

Ich versuche, ihn nicht zu verurteilen und bestätige auch ihm noch einmal, was Dominik mir am Freitagabend erzählt hat.

„Weißt du, wer genau die Gerüchte in die Welt gesetzt hat? Denen würde ich echt gerne mal die Meinung geigen!“, motzt Jonas drauf los und lässt sich in den folgenden Minuten lange und ausführlich und mit ziemlicher Leidenschaft in der Stimme darüber aus, wie beschissen er Menschen findet, die etwas gegen Homosexuelle haben.

Leon und ich sehen ihn nur verwirrt an, bis er sich wieder beruhigt hat.

„Was ist jetzt dein Problem?“, fragt Leon irritiert, als Jonas seinen letzten Satz beendet hat. „Bist du jetzt auch schwul?“

Ich blicke die beiden fragend an. Jonas, weil ich ebenso neugierig auf eine Antwort bin, wie Leon und Leon, weil ich ihn noch immer nicht einschätzen kann.

„Nein, bin ich nicht,“ wehrt Jonas ab, „aber meine Schwester ist bisexuell und war zuletzt mit einem Mädchen zusammen. Ich finde es einfach total bescheuert, wie man ständig deshalb auf ihr herumgehackt hat und deswegen finde ich auch blöd, das jetzt alle auf Dominik herumhacken!“

Leon und ich wechseln einen Blick, weil uns beiden bisher neu war, dass Jonas eine bisexuelle Schwester hat. Um ehrlich zu sein wusste ich persönlich nicht mal, dass er überhaupt eine Schwester hat.

Ich kenne ihn nun zwar schon etwas länger und wir sind auch schon eine ganze Weile befreundet, aber über unsere Familienverhältnisse haben wir uns bisher kaum ausgetauscht. Tatsächlich habe ich mich auch nie dafür interessiert, ob Jonas nun Geschwister hat oder nicht, weil das für mich nie wirklich relevant war. Was mich interessiert hat war bisher nur Jonas an sich gewesen, mit all seinen Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten.

„Wie dem auch sei,“ beende ich Jonas Schimpftriade, „jedenfalls möchte Dominik nun nicht, dass wir uns in der Uni groß zusammen sehen lassen, weil er fürchtet, dass man sonst auch über uns Gerüchte in die Welt setzten könnte, von wegen, wir hätten eine Beziehung oder so etwas in der Art .“

„Aber das wird kaum möglich sein, immerhin wohnt ihr zusammen und man wird euch zwangsläufig mal zusammen sehen. Und selbst wenn nicht, irgendwer erfährt ja doch davon und erzählt es weiter,“ merkt Jonas an und ich nicke bekräftigend.

„Das habe ich ja auch gesagt und deshalb werde ich auch nicht groß versuchen, es geheim zu halten. Irgendwann kommt es eh raus. Ich habe ihm lediglich versprochen, ihn nicht die ganze Zeit aufzulauern und all zu viel Zeit mit ihm hier an der Uni zu verbringen. Aber alles andere finde ich unsinnig. Immerhin wohnen wir zusammen und ich möchte ihn nicht die ganze Zeit wie einen Fremden behandeln müssen.“

Jonas stimmt mir zu, nur Leon scheint wieder etwas dagegen einzuwenden zu haben, sagt aber nichts dazu. Ich kann ihm allerdings ansehen, dass er meiner Argumentation nicht so ganz zustimmen kann.

Ich wüsste gerne, wo sein Problem liegt, aber ich traue mich nicht, ihn danach zu fragen. Zum einen fürchte ich, dass mir die Antwort nicht gefallen könnte und zum anderen habe ich auch einfach keine Lust, mich mit Leon in die Haare zu kriegen.

Ich habe hier nicht viele Leute, mit denen ich gut auskomme und ich möchte es mir mit ihnen nicht versauen, nur weil wir in einem Punkt vielleicht nicht die gleichen Ansichten haben.

Sollte Leon ein größeres Problem mit Dominik oder Schwulen generell haben, wird es irgendwann wohl sowieso herauskommen und bis dahin tue ich einfach so, als würde ich nichts davon ahnen.

Ich sage mich los, weil ich vor der ersten Lesung noch einmal auf Toilette möchte und verlasse die Cafeteria, steuere die Klos an.

Als ich um eine Ecke biege, stoppe ich allerdings abrupt und verstecke mich wieder hinter der Wand, linse nur vorsichtig in den anderen Gang.

Dort steht Dominik und befindet sich in einem angeregten Gespräch mit einem der Dozenten, dessen Namen ich nicht kenne.

„Ich verlasse mich darauf, dass du niemanden davon erzählst, Dominik,“ sagt der Dozent und berührt ihn dabei am Arm. Ich runzle die Stirn.

„Keine Sorge Richard, bis jetzt habe ich doch auch nichts gesagt,“ erwidert Dominik darauf und lächelt ihn dabei strahlend an, ehe er in einer der Toiletten verschwindet. Mir klappt der Mund auf. Richard?!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (5)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Midnight
2014-03-02T20:18:04+00:00 02.03.2014 21:18
Spannend! Ich bin schon jetzt ein Fan dieser Geschichte!
Ich mag die Charaktere! Sie sind so cool! Und dieses Geheimnis!
Jab, was verbirgt der Süße Domi denn vor uns und seinem neuen Mitbewohner?
Und, in was für Schwierigkeiten (?) wird das den armen Jasper bringen?
Haha, und bei Leon bin ich mir jetzt schon ziemlich sicher, dass er wohl zu einem Problem werden könnte. D:

Bei Domi habe ich so das Gefühl, dass ihn später jemand so richtig in den Arm nehmen muss, und ich wette Jasper wird sich dazu mehr als anbieten! Muahaha.
Bin mal gespannt, warum Domi seinen Dozenten beim Vornamen nennt :D

*___*
Ich möchte unbedingt wissen wie es weitergeht!

Schreib bald weiter!

<3
Antwort von:  Jeschi
03.03.2014 11:42
Danke für den Kommentar. :3
Ich versichere dir, dass es sich bald alles aufklärt. Naja, zumindest einiges. :D
lg :3
Von:  tenshi_90
2014-03-02T08:15:16+00:00 02.03.2014 09:15
Na, dass nenne ich mal eine Überraschung... Hat er jetzt etwa doch ne Affäre mit nem Dozenten?
Antwort von:  Jeschi
03.03.2014 11:41
Verrat ich nicht. :p
Wird sich aber bald klären.
Und Danke fürs Kommi :3
Von:  Last_Tear
2014-03-01T21:07:53+00:00 01.03.2014 22:07
Oi, oi, oi O_____O"
*fieps*
JEZ bin ich gespannt, aber ich fürchte, Domi is shizo XDD
*droplol*
Zumindest kommt er mir stark so vor...O_____O"""
*skeptisch schau*
Armes Duzi...
*dranklammer*
Aber ernsthaft, what the fuck?
Also, dass er sich zurück halten will, ok und so aber warum? X____X
Ernsthaft, ich sag doch, shizo...X___X"""
Es verwirrt mich!!
Schreib weiter und klär mich auf ;.;
Antwort von:  Jeschi
03.03.2014 11:40
XDDD Naja, shizo ist er schon mal nicht, keine Sorge.
xD
Antwort von:  Last_Tear
03.03.2014 13:02
NA! Das is ja mal beruhigend XDD
*hust*
Random Vermutung of DOOM!!!
Richard is sein Bruderherz ^--^
Oder Cousin, oder Schwager oder sonstwie verwandt >o<
Von:  Deedochan
2014-03-01T18:08:28+00:00 01.03.2014 19:08
Hey Jeschi!
Zuerst einmal: Danke für die ENS, sonst hätte ich wahrscheinlich wirklich in nächster Zeit nicht mitbekommen, dass du eine neue Story am Start hast ^.~
Die Idee der Geschichte finde ich auch ziemlich spannend - besonders der letzte Absatz ^^ Ich bin schon sehr neugierig auf das nächste Kapitel.

GLG
Deedo

p.s.: Du hast in dieser Story einige Tippfehler eingebaut und auch relativ viele Füllwörter benutzt (wie: leider, ziemlich, sowieso, etc....). Es ist jetzt nicht dramatisch oder allzu störend für den Textfluss - mir ist es nur einige Male aufgefallen (normalerweise sind deine Storys sehr angenehm zu lesen ^^). Werte dies bitte nicht als böswillige Kritik :) Bis demnächst!
Antwort von:  Jeschi
03.03.2014 11:40
Hey :3 Danke für den Kommi. :3
Ja, ich dachte mir eben auch, dass es einige einfach nicht mitbekommen haben.

Ja, ich habs auch hochgeladen ohne noch mal drüber zu lesen. Das muss ich noch mal überarbeiten, da hast du Recht.

lg


Zurück