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Lost in you

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Lost in you

Ich hatte das Gefühl zu fallen. Immer tiefer, immer weiter. Mit jedem Ton, den das kleine Gerät von sich gab, glaubte ich immer mehr den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ansonsten war es still in diesem Raum; zu still für meinen Geschmack. Denn so konnte ich meinen Herzschlag klar und deutlich hören, der wie ein Presslufthammer in meiner Brust hämmerte und das Blut so schnell durch meine Adern zirkulieren ließ, dass ich es sogar schon in meinen Ohren rauschen hören konnte. Der Rhythmus meines Herzschlags klang für mich wie ein schneller Trommelschlag der durch leichte Watte gedämpft wurde. Meine Hände, die ich im Schoß zusammen gefaltet hatte, zitterten leicht. Zum einen, weil die ganze Atmosphäre in diesem Raum einfach kalt wirkte; zum anderen, weil der Anblick vor mir einen Schauer über den Rücken jagte. Seit einer gefühlten Ewigkeit saß ich nun schon auf dem harten Holzstuhl und hatte mich nicht mehr bewegt. Meine smaragdgrünen Iriden lagen besorgt auf dem dünnen Körper; die Brust die nur schwach die vorhandene Atmung anzeigte, sodass die weiße Decke sich kaum hob und senkte. Wäre dieses kleine Zeichen nicht da, verbunden mit den in regelmäßigen Abständen erklingenden Piepen des Beatmungsgerätes, würde ich fast glauben, die Person vor mir wäre tot. Und ich wäre der Mörder gewesen... Mehr oder weniger. Nein, ich wäre schuld daran gewesen, könnte immer noch die ganze Last auf mich nehmen, denn noch stand nicht fest, ob er es überleben würde. Seine Werte seien zwar soweit okay und würden auf dem Weg sein stabil zu werden, aber nur die kleinste Veränderung könnte schon dafür sorgen, dass sich alles ins negative umwandeln würde und das Herz des schwarzhaarigen jungen Mannes aufhören würde zu schlagen. Da mir gesagt wurde, dass diese kleine Veränderung vor allem ein Einfluss von außen sein könnte, hatte ich lange mit mir selber gekämpft hier her zu kommen. Was, wenn er meine Anwesenheit spüren konnte und es gar nicht wollte? Es hieß ja, dass Menschen die im Koma lagen dennoch alles, was um sie herum passierte, mit ihrem Unterbewusstsein wahrnahmen. Verübeln würde ich es ihm nicht, wenn er mich nicht sehen wollen würde, nach allem, was passiert war. Nach allem, was ich ihm angetan hatte. Irgendetwas in mir wollte nicht daran glauben, dass ich alleine die Schuld an allem trug, doch mein Charakterzug mich für andere aufzugeben, überwog dieses Gefühl, sodass ich den ganzen Selbsthass auf mich lud und ihn versuchte so gut es ging zu ertragen.

„Chazz...“, kam es als leises Flüstern über meine Lippen. Keine Reaktion, keine Antwort. Nur das Piepen seines Herzschlags war zu hören. Was hatte ich auch anderes erwartet? Etwa, dass meine Stimme ihn wecken würde? Dass einfach so, von einer Sekunde auf die andere alles gut werden würde? Wie konnte ich nur so naiv sein? So dämlich zu glauben, ich wäre derjenige, der ihn retten könnte wo ich doch ihm alles hier angetan hatte? Langsam schlossen sich meine Augenlider, verdeckten so meine Sicht, während ich meine Hände voneinander löste und mit der einen nach seiner griff, die mir am nächsten lag. Kurz zögerte ich, ehe ich unsere Finger verschränkte. Immer noch war der Ton des Geräts gleich, veränderte sich nicht. Entweder, er nahm mich nicht wahr oder hatte nichts dagegen, dass ich etwas näher kam; dass ich überhaupt hier in seiner Gegenwart war. Während ich weiter in sein Gesicht sah und hoffte, er würde endlich die Augen öffnen, musste ich an den Moment denken, wo alles seinen Lauf in diese Richtung genommen hatte.
 

„Was ist nur aus dir geworden?! Wohin ist dein Lächeln verschwunden?“

„Mein Lächeln ist noch da.“

„Nein, es ist eine Grimasse die nicht zu dir passt. Was ist los mit dir?!“

„Ich habe mich selbst verloren...oder gefunden...“

„Wie kann jemand wie du sich verlieren?“

„Indem mir alles genommen wurde.“

„Du bist nicht mehr du.“

„Was, wenn du dich irrst?“

„Ich werde dir zeigen, dass DU dich irrst. Du bist ein Idiot, Anderson... Dein Grinsen kann auf die Nerven gehen... Aber diese kalte Maske...“

„...hast du mir aufgesetzt als du mir den Rücken gekehrt hast. Du hast mich so erschaffen.“

„Dann hole ich dich zurück! Das schwöre ich dir!“

„So wie du mir ewige Freundschaft geschworen hast?“

„So wie ich hier vor dir stehe!“

Ein verächtliches Lachen entwich mir. Es war einfach eine zu komische Situation, die sich da vor meinen Augen abspielte. Allgemein das alles hier war mehr als nur lächerlich. Wie wir hier uns gegenüber standen auf dem Hauptplatz von Domino City. Neben uns waren nur noch vereinzelte Personen unterwegs, die uns allerdings keine Beachtung schenkten. Wieso auch? Zwei Jugendliche, die sich in den Haaren hatten waren ja kein allzu seltenes Bild. Und da wir ja auch nicht aufeinander los gingen – zumindest nicht körperlich, denn unsere Worte waren sehr wohl spitze Waffen die verletzen konnten -, musste man sich in das Geschehen ja auch nicht einmischen. Chazz vor mir hatte die Hände zu einer Faust geballt, sein Gesicht war verzerrt. Doch vor was? Wut? Hass? Ich konnte es nicht sagen und irgendwo war es mir in diesem Moment auch egal. Es war seltsam, dass ich so fühlte. Irgendetwas in mir sagte klar und deutlich, dass mein Gegenüber Recht hatte und das jetzige Verhalten einfach nicht zu mir passte. Dieses irre Grinsen, welches meine Lippen umspielte; der dazu passende Glanz in meinen Augen, welche den Schwarzhaarigen fast schon mit tiefer Verachtung musterten. Doch ich konnte und wollte es nicht abstellen. Wieso sollte ich auch? All die Jahre lang war ich der liebe und nette Junge von nebenan gewesen, der nur für andere Personen da war aber nie an sich selber gedacht hatte. Um einen Freund zu finden hatte ich alles getan, mich mehr als nur einmal geopfert. Und was war der Dank? Verrat! Chazz hatte mich verraten, hinterhältig hintergangen. Ich war niemand gewesen, der wirklich nachtragend war, aber diese Wunde saß immer noch tief.

„Damals hast du auch neben mir gesessen, erinnerst du dich? Damals hatte ich dir geglaubt, du würdest wiederkommen, doch du hast es nicht getan. Ohne mit der Wimper zu zucken hast du mich einfach fallen gelassen, während ich mit Fieber im Bett gelegen und auf dich gewartet habe. Und du? Du hast mich vergessen....“

„Jesse, ich...“

„ - was? Was willst du mir jetzt erzählen?“

Meine Stimme war kalt; eiskalt. Chazz verzog sein Gesicht, schüttelte den Kopf und schien nach den richtigen Worten zu suchen. Mir war klar, dass ich ihn jetzt in die Enge getrieben hatte, da er niemand war der mit so komplizierten Situationen umgehen konnte wo er über seine eigenen Gefühle sprechen musste. Ohne ihm meine weitere Beachtung zu schenken, drehte ich mich auf dem Absatz um und wollte gehen, keine weiteren kostbaren Sekunden an ihn verschwenden.

„Jesse, warte!“

Mit einem genervten Seufzen blieb ich stehen, drehte mich aber nicht um. Ich wollte weg von hier, so weit weg von ihm wie es nur ging. Dass ich dabei mitten auf der Straße stehen blieb, interessierte mich herzlich wenig. Gelangweilt warf ich ihm einen kalten Blick über meine Schulter hinweg zu.

„Was willst du noch?“

Er kam auf mich zu ohne etwas zu sagen. In seinen Augen lag etwas, was ich nicht zu deuten wusste und für einen Moment war ich unsicher. Für einen kurzen Moment legte ich das irre Verhalten ab und ließ mein altes ich zum Vorschein kommen. Sofort konnte ich in den grauen Augen meines Gegenübers so etwas wie Erstaunen ablesen. Ja, damit hatte er wohl nicht gerechnet, was? Mein eigenen Iriden zeigten den Schmerz, den ich seit damals mit mir herum trug. Den Schmerz des Verrats.

„Was ist? Erstaunt es dich wirklich so sehr?“

„Jesse...“

Wieder lachte ich auf und meine neue Seite des Wahnsinns war wieder da.“

„Spare dir bitte deine Worte, ich will sie nicht hören...“

Erneut drehte ich mich um, blendete die Welt um mich herum aus. Zwar hatte ich damit nur Chazz nicht mehr wahrnehmen wollen, aber leider entging mir dabei noch etwas anderes. Erst, als ich stolperte und zu Boden fiel, da mich jemand nach vorne gestoßen hatte und das quietschen von Autoreifen ertönte, war ich wieder voll und ganz da – zu spät.
 

Mein ganzer Körper spannte sich an, verkrampfte sich. Wie hatte alles nur so weit kommen können? Wie hatte ich mich nur so gehen lassen können? Es war nicht meine Art, mich selber aufzugeben, aber irgendwie hatte ich es nicht geschafft, mich selber aufzufangen nachdem die Person, die ich zum ersten Mal als Freund gehabt hatte, mir einfach den Rücken kehrte. Jahrelang hatte ich dafür gekämpft, endlich eine Freundschaft aufbauen zu können, richtiges Vertrauen fassen zu können. Und dann würde es mit einem einzigen Herzschlag zerstört. Alles, an dem ich festgehalten hatte, war kaputt gegangen und nichts weiter als ein Haufen Scherbe für mich gewesen, die nie wieder dafür bereit waren ein Gesamtbild zu ergeben, da mir der Kleber dafür fehlte. Alles was in mir an Gefühle existiert hatten, waren Trauer und Wut gewesen. Sie hatten mich so stark eingenommen, dass aus mir ein vollkommener Egoist geworden war der keinen Wert mehr auf andere legte, nur an sich selber dachte. Und was war der Preis gewesen. Chazz lag im Koma und kämpfte mit jedem Schlag des Sekundenzeigers um sein Leben. Mit Mühe konnte ich die Tränen unterdrücken. Die salzigen Wassertropfen, die schon auf meiner Netzhaut brannten und ihre Reise starten wollten. Ich durfte nicht weinen. Ich durfte nicht, ich sollte nicht... Meine Stirn lehnte keinen Augenblick später gegen unsere verschränkten Hände und kleine Tränen benetzten das weiße Laken. So viel zu dem Thema, weinen war nicht das was ich jetzt wollte. Aber an sich hatte ich ja nicht wirklich eine Wahl gehabt. Tränen waren auf ihre Art und Weise kleine selbstständige Dinger, die ihren eigenen Dickkopf hatten und ihn auch einsetzten. Sehr zum Leidwesen von uns Menschen in den meisten Fällen, denn wenn sie aus den Augenwinkeln liefen und unsere Wangen hinab flossen, waren das meistens Momente, in denen man nicht weinen sollte.

„Chazz.... Wach auf! Bitte, wach auf!“

Vereinzelte Tränen fanden ihr Ziel auf unseren verschränkten Fingern, hinterließen dort ihre Spuren. Ich wusste nicht, was ich tun würde, wenn er sterben würde. Immerhin war es ja meine Schuld. Würde ich es mir jemals verzeihen? Würde ich selbst jemals wieder in den Spiegel sehen können? Bestimmt, eines Tages. Nur, wann würde das sein? Nicht so denken, als wäre er schon nicht mehr am Leben... Denn noch schlug sein Herz, kämpfte darum ihn wieder zurück zu holen. Und wie es schien, schien es den Kampf zu gewinnen. Zuerst nahmen meine Ohren wahr, wie sich der Rhythmus des Herzschlags änderte; er wurde stabiler, schlug schneller aber immer noch gleichmäßig und stabil. Im nächsten Augenblick bemerkte ich aus den Augenwinkeln, wie Chazz Brust mehr hob und senkte und dann, wie er langsam die Augen öffnete. Meine eigenen weiteten sich, als ich das alles verstand, was hier passierte. Chazz war wach, er war wirklich wach! Ehe ich etwas sagen konnte, erfassten seine grauen Augen mich und das Gefühl der Freude machte sofort dem Gefühl von Angst Platz.

„Tränen stehen dir nicht, Anderson.“

Es waren nur leise Worte, da die Maske seinen Mund ja noch verdeckte und er allgemein ja noch schwach war, immerhin war er ja gerade erst aufgewacht. Dennoch hatte ich sie verstanden. Ein schüchternes Lachen entwich mir, währen ich seine Hand leicht drückte und sie nicht los ließ. Chazz sah auch nicht so aus, als würde er wollen, dass ich sie los lasse.

„Ich...es tut mir...“

„Nicht, Jesse. Lass gut sein, klar?“

Ich konnte hören, wie er versuchte die Kälte von früher in seiner Stimme zu halten, aber seine Augen sprachen eine ganz andere Sprache. Mit einer vertrauten Wärme sahen sie mich an und mein Herz schlug schneller, viel zu schnell. Es war seltsam, verrückt, aber ich konnte nichts dagegen tun. Auch nichts gegen die Dinge, die ich als nächstes tat. Ehe ich mich versah, hatte ich ihm mit meiner freien Hand die Atmungsmaske abgenommen und sie behutsam zur Seite gelegt. Da sich weder seine Atmung noch die Anzeige des Monitors änderte, nahm ich es als gutes Zeichen, dass alles in Ordnung war. Zumindest, soweit es den Umständen entsprechend in Ordnung sein konnte. Der nächste Schritt war wieder mehr meinem Herz folgend, als meinem Verstand. Es war ein kurzer Blick wohl zu viel in seine grauen Augen gewesen, da lagen meine Lippen schon auf den seinen. Nur ein kurzer Kuss, mehr nicht, denn kaum hatte ich es realisiert, was ich hier tat, löste ich es auch wieder. Verdammt, was sollte das denn werden? Mein Mund öffnete sich, doch es kam kein Ton heraus. Ein schwaches Grinsen legte sich auf das Gesicht des Schwarzhaarigen.

„Wehe ich höre nur ein Wort der Entschuldigung. Komm lieber wieder runter und mach weiter, wo du aufgehört hast...“

Bitte was? War das gerade eine Einladung gewesen, ihn wieder zu küssen? Langsam beugte ich mich wieder vor, stockte kurz, ehe ich seine Lippen wieder mit meinen in Beschlag nahm. Irgendetwas in mir signalisierte, dass es so richtig war; dass es nichts falsches war was wir hier taten. Nie hätte ich gedacht, dass der Schmerz in mir nicht nur darauf ruhen würde, dass ich meinen ersten Kumpel sondern auch meine erste Liebe verloren hatte. Doch spätestens dann, als mein Kuss erwidert wurde und unsere Lippen einander gefangen nahmen, wurde mir klar, dass ich ihn damals schon geliebt und deswegen alles für ihn getan hatte. Und jetzt, wo ich ihn wieder hatte – auf einer neuen Ebene, aber er war wieder an meiner Seite - würde ich ihn nicht mehr hergeben.



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