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Deadbeat

Levi x Petra
von

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Deadbeat

Das ständige Tippen meines Stifts macht mich noch wahnsinnig.
 

Klick. Klack. Klack.
 

Vor mir liegt ein unbeschriebenes Blatt Papier. Eigentlich ist es sinnlos. Das Ganze hier ist so lächerlich sinnlos. Seit Stunden komme ich nicht mehr voran. Ich schreibe drei, vielleicht vier oder fünf Sätze, zerknülle das Blatt und lasse es neben mir zu Boden fallen. Jedes Mal ist es dieser Ablauf und zwar haargenau dieser. Daran wird sich nichts mehr ändern. Das einzige Ergebnis ist ein riesiger Haufen Müll.
 

Mein Verhalten ist pietätlos. Warum fallen mir nicht die richtigen Worte ein? Es war zwar noch nie einfach, diese beschissenen Berichte über unsere Verluste und Erfolge zu verfassen, aber es war auch noch nie derart unmöglich wie heute.
 

Sie sind alle tot. Mein komplettes Team ist tot und es ist nicht zuletzt meine Schuld.
 

Das ist die Wahrheit, mit der ich mich abfinden muss.
 

Ich lege den Stift beiseite, schließe die Augen und hole einmal tief Luft. Sofort tauchen ihre reglosen, blutüberströmten Körper in der Dunkelheit und dem Schutz meiner geschlossen Lider auf. Sie sind das traurige Ergebnis meines Versagens als Corporal. Wir konnten nicht einmal unsere Mission erfüllen, lediglich Eren Jäger – dieser idiotische Grünschnabel – wurde zu einem sehr hohen Preis gerettet. Ich kann nicht sagen, dass ich ihn für seine Unfähigkeit hasse, ich mag ihn allerdings auch nicht besonders. Bislang habe ich in ihm noch nicht den großartigen Nutzen gesehen, den er uns bringen soll. Allerdings ist meine Hoffnung diesbezüglich noch nicht gestorben. Vor allem jetzt nicht, da wir so viele Opfer gebracht haben, um diesen Jungen zu beschützen. Er muss seinen Nutzen bringen. Er muss es sein, der die Menschheit zum Sieg führt. Ansonsten werde ich höchstpersönlich dafür sorgen, dass er einen schnellen Tod stirbt.
 

»Lass sie verflucht nochmal nicht umsonst gestorben sein, Jäger. Wage es nicht«, murmle ich und öffne meine müden Augen einen Spalt weit. Mir flackert das spärliche Kerzenlicht entgegen. Die Vorhänge sind bei Nacht und auch bei Tag geschlossen. Momentan ist Tageslicht das Letzte, was ich gebrauchen kann. Das hier ist vielleicht nicht die beste Atmosphäre, um effektiv zu arbeiten, aber zumindest leistet die düstere Umgebung ihren Beitrag zum langsamen Verarbeiten.
 

Wann habe ich eigentlich das letzte Mal geschlafen? Ich weiß es nicht genau, aber es muss lange her sein, denn es erfordert seit Stunden viel Disziplin und Konzentration, meine Augen offen zu halten. Bald wird mich die Müdigkeit wie ein Heer Titanen überrennen und ich kann nicht sagen, dass ich mich auf das freue, was mich in meinen Träumen erwartet. Auch wenn es vielleicht das ist, was mir nach allem zusteht.
 

In den hintersten Ecken kann ich die ersten Anzeichen von Staub und Dreck erkennen. Ganz leichte Ablagerungen bilden sich erstmals. Noch einmal hole ich tief Luft. Vielleicht sollte ich mit dem Rauchen anfangen?
 

Langsam erhebe ich mich von meinem allmählich ungemütlichen Holzstuhl und gehe ein paar Schritte in meiner kleinen Unterkunft. Ich betrachte die ausgesprochen geschmacklosen Gemälde, die an den Wänden hängen. Keins davon habe ich selbst ausgesucht. Bislang war ich auch nie lang genug in diesem Zimmer, dass es mich auch nur annähernd interessiert hätte, welche Art von Kunst hier die Umgebung verschönert oder verschlechtert.

Ein Stillleben, das mir vorher noch nie bewusst aufgefallen ist, hängt dort in einer der hintersten Ecken und hat fast eine beunruhigende, ja bedrohliche Wirkung durch den fehlenden Lichteinfall. Trotzdem ist es nichts weiter als ein Abdruck in Massenabfertigung von einer typischen, unspektakulären Obstschale.

Ich drehe mich um und lasse meinen Blick prüfend über das deutlich größere und interessantere Gemälde schweifen, das über meinem Bett hängt. Es ist eine helle Landschaftsdarstellung; ganz schlicht und schön. Im Hintergrund der Wald, davor offene Wiese mit darauf grasenden Tieren und ein kleines, alleinstehendes Haus mit einer angedeuteten Familie davor. Es suggeriert die gemeine Vorstellung von Idylle und Geborgenheit.
 

Tief ziehe ich die Luft in meine Lungen. Dieses Bild zeigt nichts von dem, was ich jemals besitzen könnte. Nicht solange die Dinge so sind, wie sie sind. Warum hat man es also dort platziert? Vielleicht hat es irgendjemand ganz wahllos aufgehängt. Vielleicht ist es purer Zufall; so wie vieles im Leben Zufall ist. Es könnte genauso gut ganz bewusster Hohn sein. Vielleicht soll es mir aber auch als eine Art Traumfänger dienen?
 

Ich trete einen Schritt näher heran und mustere einen Augenblick länger als notwendig die kleine, unbekümmerte Familie im Zentrum – man kann es nicht erkennen, aber ich wette, dass sie lächeln - dann wende ich mich endgültig ab und nehme wieder an meinem Schreibtisch Platz. Tatsächlich wäre es kein schöner Traum, weil er niemals die Realität wiedergeben wird. Dieses Bild verspottet mich.
 

Auf einmal klopft es an der Tür.
 

»Corporal Levi?«, fragt eine militärische Stimme mit einer gewissen Ehrfurcht. Scheint einer der Neuen zu sein.
 

»Ich soll Ihnen ausrichten, dass Commander Erwin Ihren Bericht bei seiner Rückkehr erwartet«, sagt der junge Mann und wartet offensichtlich auf eine Antwort.
 

»In Ordnung«, erwidere ich und könnte schwören, ihn vor der Tür salutieren zu sehen, bevor er endlich wieder verschwindet.
 

Erwin, dieser Bastard. Er hat mir untersagt, an den nächsten Missionen teilzunehmen. Ich solle mich schonen, bis ich wieder voll einsatzfähig bin. Lächerlich. Um meine Schuld zu begleichen, müsste ich unzählige Titanen niederstrecken und anstatt mir diese Möglichkeit einzuräumen, befiehlt er mir sogar, mich aus allem rauszuhalten, während auf dem Schlachtfeld weiterhin meine Kameraden fallen. Er macht alles nur noch schlimmer, aber das kümmert ihn nicht. Er ist der Commander, also hat er das Sagen. Ich habe nicht darüber zu entscheiden. Nicht einmal über mich selbst. Dieser elende, egoistische Bastard.
 

Nachdenklich massiere ich meine Schläfen und starre dabei auf das leere, weiße Blatt Papier. Erneut tippe ich mit meinem Stift auf das Holz.
 

Klick. Klack. Klack.
 

Klick. Klack. Klack. Klack. Klack. Klack.
 

Verzweifelt – und nicht minder genervt – stöhne ich auf, lasse meinen Kopf schwunghaft in den Nacken fallen und schlage mir die Handflächen vors Gesicht.
 

Ich habe versagt. Diesen Kampf habe ich verloren.
 

Mit mehrmaligem Blinzeln nehme ich wieder eine vernünftige Sitzhaltung ein. Habe ich diesen Kampf wirklich verloren? Auf eine gewisse Weise definitiv, das ist nicht abzustreiten, aber was wäre die Alternative gewesen?
 

Die einzige Alternative wäre gewesen, sie Jäger mitnehmen zu lassen und uns die einzige greifbare Hoffnung auf einen tatsächlichen Sieg zu entreißen.
 

Ich habe in mein Team vertraut; bis zum letzten Augenblick habe ich auf ihr Können und ihren Teamgeist gesetzt. Das habe ich wahrhaftig getan. Deshalb stand es Jäger frei, sich zu entscheiden: Ihnen ebenfalls zu vertrauen oder entgegen der Gruppe und auf eigene Faust zu agieren.
 

Ich kann ihm seine Entscheidung nicht vorwerfen und doch...
 

Durch meinen Körper fließt eine ungewohnte Anspannung. Meine Hände ziehen sich krampfartig zu Fäusten zusammen, schlagen völlig unkontrolliert auf den Tisch. Ein dumpfer Hall ertönt und der Tisch erzittert für einen signifikanten Augenblick – hoffentlich hat das niemand gehört.
 

Vergiss niemals, wer du bist. Deine Leute vertrauen darauf, dass du stets deine Fassung bewahrst. Sie brauchen etwas, an das sie sich auch im Angesicht des Todes klammern können und sei es nur diese kleine Gewissheit, dass du niemals die Kontrolle verlierst.
 

Das bedeutet Hoffnung, Levi.
 

»Bullshit, Erwin«, knurre ich. »Deine kindische Vorstellung von Hoffnung passt wirklich hervorragend zu deinem lächerlich rechtschaffenen Gemüt.«
 

»Du bist doch der von uns, der für das Erreichen seiner Ziele über Leichen gehen würde. Dir sind Petra, Auruo, Erd und Gunter absolut gleichgültig. Für dich sind sie nichts weiter als Bauern in deinem Spiel. Ihr Tod ist leicht zu verkraften, ihre Personen leicht zu ersetzen.«
 

Wieder schweift mein Blick nachdenklich über das, was sich nicht vermeiden lässt. Egal, wie lange ich es noch hinauszögere, es ist und bleibt meine Pflicht diesen Bericht zu verfassen.
 

»Es ist traurig«, sage ich leise und mache mich endgültig an die Arbeit. Bei der Niederschrift des Geschehens der 57en Expedition gehe ich streng chronologisch vor. Nach bestem Wissen und Gewissen schreibe ich zunächst unsere Formation auf, unseren Plan und die Teilnehmer – später werde ich dies anhand von Dokumenten überprüfen. Aber nicht jetzt; ich muss jetzt im Schreibfluss bleiben. Von Absatz zu Absatz wird meine Schrift unsauberer, es fällt mir schwer überhaupt den Stift ruhig zu halten. Heute ist all die Routine, die ich in den ganzen Jahren beim Verfassen meiner Berichte erlangt habe, umsonst. Mir steht der Schweiß auf der Stirn geschrieben und obwohl ich mich mit größter Mühe konzentriere, muss ich noch einmal inne halten, als ich den ersten Namen notiere: Auruo Bossard.
 

Der Moment ist gekommen, genauer zu arbeiten. Auf meinem Schreibtisch türmen sich die Akten von gefallenen und lebenden Mitgliedern, vergangenen und geplanten Missionen, sowie Berichten über Hanjis wissenschaftliche Arbeit. Ich ziehe die dünne Akte mit Auruos Namen hervor und betrachte sie einen Augenblick. Nichts außer dieser Akte ist von ihm geblieben; nicht eine der Leichen konnten wir zur Beerdigung und zum Gedenken zurückbringen.
 

Im Laufe der Zeit wirst du viele um dich herum sterben sehen. Alte Bekannte, vielleicht sogar gewonnene Freunde. Sorge dafür, dass dir ihr Tod niemals näher geht als nötig. Du musst dich isolieren, Levi. Wenn du ihnen eine Stütze sein willst, musst du stärker sein als der Rest. Nicht nur physisch.
 

Schmerzlich beiße ich mir auf die Unterlippe. Seine Worte sind hart, aber sie haben sich nicht umsonst in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann.
 

Das ist die Bürde, die du zu tragen hast. Du wirst sie alle überleben.
 

»Auruo Bossard; männlich, 19 Jahre alt, Größe 173 cm, Gewicht 61 kg. Auruo Bossard diente als Mitglied des Aufklärungstrupps der Rettung der Menschheit. Er tötete 39 Titanen im Alleingang und neun im Team. Auruo Bossard fiel im Kampf gegen den weiblichen Titan, [...]«
 

Ferner notiere ich die Koordinaten seiner genauen Position in unserer Formation und schildere die Situation des Kampfes aus der Sicht des einzigen überlebenden Zeugen, Eren Jäger.
 

Auf diese Weise gehe ich auch bei Erd und Gunter vor.
 

»Petra Ral; weiblich, 22 Jahre alt [...]«, mein Herzschlag gewinnt prompt an Geschwindigkeit, »[...] war ein Mitglied des Aufklärungstrupps, mit dem Ziel, alle Titanen zu vernichten und die Menschheit zu retten.«
 

Ich setze den Stift ab. Vor meinem geistigen Auge kann ich sie sehen; halb zerquetscht in diesen Baumstamm getreten. Das ist ein Bild, das ich niemals aus meinem Kopf verbannen kann. Es wird mir für die nächsten Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre Gesellschaft in meinen ohnehin schon unruhigen Nächten leisten.
 

»Petra Ral tötete 48 Titanen im Team und zehn allein.«
 

Ihre Angehörigen werden niemals die Gelegenheit erhalten, auf angemessene Weise von ihnen Abschied zu nehmen. Die Leichen meines Teams sind nicht in einem Sarg unter der Erde, wo sie hingehören, sondern liegen irgendwo von Tieren oder Titanen zerfressen auf offenem Feld.
 

Mir kommt ihr überraschter Vater wieder in den Sinn; wie er mir von dem Brief seiner Tochter und irgendeiner geplanten Hochzeit erzählte. Zu dem Zeitpunkt war ich wie versteinert.
 

»Hast du wirklich an etwas wie eine Hochzeit gedacht, Petra?«, murmle ich mehr zu mir selbst und nehme dabei ihre Akte wieder in Augenschein. Sie war ein hübsches Mädchen, liebevoll und eine gute Kämpferin – aber genau darin besteht das Problem: Sie war eine Kämpferin. Ausgebildet und eingesetzt, um Titanen zu töten. Jeden Tag konnte der ohnehin kurze Faden unseres Daseins endgültig reißen. Mit diesem Risiko lebt jeder von uns; tagtäglich. Man steht mit diesem Wissen auf, geht mit ihm zu Bett, lebt ganz einfach damit. Für mich ist es in Ordnung, mit meinem eigenen Tod rechnen zu müssen, aber nicht mit dem Tod meiner... Frau.
 

Freundschaft und Liebe – jede Form von Gefühlen, jede Form der Bindung zu einem Menschen, kann uns Stärke verleihen. Aber bedenke immer: Besteht diese Bindung zu einem Mitglied unseres Trupps, wird sein Verlust dich vielleicht zerschmettern. Wie wirst du reagieren, wenn diese Person direkt vor deinen Augen stirbt? Wirst du die Ruhe bewahren oder einen Fehler machen?
 

Gefühle begünstigen Fehler, Levi. Liebe jeden deiner Mitstreiter auf die gleiche Weise und mit gleicher Intensität; das wird dich stärken. Liebe eine Person stärker als die anderen und es wird dich früher oder später zerstören.
 

»[...] Nach dem Verlust von Erd und Gunter, starb Petra Ral ebenfalls im Kampf gegen den weiblichen Titan. [...]«
 

Noch einmal überfliege ich meinen Text im Ganzen. Diese standardisierten Sätze sind nicht das, was ihnen gerecht wird. Nicht im Geringsten. Ich bin ohnehin nicht zufrieden mit diesem Bericht, doch es wird alles noch viel schlimmer und meine Augen weiten sich, als mir ein bedeutsamer Fehler bewusst wird: Ich bin nicht annähernd chronologisch vorgegangen. Ganz im Gegenteil – Petra ist nicht als Letzte gestorben, sondern Auruo.
 

Allmählich werden meine Lider schwer wie Blei. Ich brauche einen Moment Ruhe; nur einen kleinen Moment. Vorsichtig lege ich meine erste komplette Schrift beiseite, stütze die Ellenbogen auf den Tisch und lasse mein Gesicht in die Handflächen sinken. Ich will nur für einen Augenblick zur Ruhe kommen.
 


 

»...-ral Levi!«
 

Jemand hämmert mit voller Wucht gegen die Tür. Immer wieder, ohne Unterlass.
 

Meine Lider beginnen zu flattern; allmählich werde ich wieder wach. Die Kerzen sind ausgebrannt; es ist stockfinster um mich herum. Meine Augen sind verklebt und schmerzen schlimmer als es mein Fuß jemals tat. Dazu ein viel zu heftiges Atmen, fast ein Röcheln, krampfhaftes nach Luft ringen meinerseits. Ich bin klitschnass.
 

»Corporal Levi! Entschuldigen Sie die Störung, aber wir brauchen Sie hier.«
 

Diese Stimme – das ist doch der junge Mann von vorhin. Dieses Mal schwingt allerdings keine Ehrfurcht in seiner Stimme mit; da ist nur blanke Furcht, regelrechte Panik.
 

Vorsichtig richte ich mich in meiner dunklen Kammer auf und taste mich zu dem Punkt vor, wo ich die Tür erwarte. Meine Finger umfassen etwas, das nur die Türklinke sein kann. Mit einem durchaus beunruhigen Gefühl in der Magengegend drücke ich sie herunter und öffne die uralte Holztür in einem Schwung. Der junge Mann macht einen Satz zur Seite, ich verfehle sein Gesicht nur um wenige Zentimeter.
 

»Was ist los?«
 

Er muss sich einen Moment sammeln, doch dann brüllt er mir mit Tränen in den Augen entgegen: »Sie sind zurück...Sie sind zurück! Wir haben so unsagbar viele Verluste erlitten, Corporal. So viele Verluste. Und Commander Erwin...«
 

Er verliert vollends die Kontrolle über sich selbst. Auf mich macht er – ohne ihn zu kennen – den Eindruck, hier viele Freunde gewonnen zu haben - und nun vermutlich verloren.

Wie ein Häufchen Elend sackt er in sich zusammen und lässt seinen Tränen freien Lauf.
 

»Wo sind sie?«, will ich nur noch wissen. Ansonsten wird man mit ihm vorläufig nicht mehr viel anfangen können. Ich fand es schon immer lächerlich, dass sie uns diese Kinder in die Armee holen. Das Ergebnis ist vorprogrammiert und hier sieht man das Paradebeispiel.
 

Der junge Mann deutet mit einem zittrigen Arm in eine hoffentlich nicht nur zufällige Richtung. Dort liegt die Krankenstation – nein, das kann kein purer Zufall sein. So schnell es mir meine momentane Verfassung zulässt, mache ich mich auf den Weg.
 

Unterwegs begegnet mir vieles, das ich in meiner Zeit als Corporal bestmöglich auszublenden gelernt habe. Hier ist die Hölle los, überall stinkt es nach Blut, teilweise bereits nach Verwesung – der altbekannte Duft einer beendeten Schlacht. Unbeirrt setze ich meinen Weg fort und ignoriere jegliches Rufen nach meiner Person; ich habe nur ein einziges Ziel vor Augen.
 

Ich ergreife die erstbeste Möglichkeit und packe eine Krankenschwester am Arm. »Wo ist Erwin Smith?«, will ich wissen.
 

Sie ist völlig durcheinander und braucht einen Moment, um ihre Gedanken zu sortieren. »Das letzte Zimmer in diesem Gang, auf der rechten Seite, Sir«, stottert sie hervor und reißt sich dann von mir los, um in einem der anderen Räume zu verschwinden.
 

Gestöhne und Geschrei erreicht meine Ohren. Langsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Wieder taucht Petras tote Gestalt vor meinen Augen auf. Ich bin zu müde, um mich dagegen zu wehren, also lasse ich es ganz einfach zu. Ihr lebloses Gesicht, ihre Haut aus der jegliche Farbe gewichen ist, das ganze Blut und nicht zuletzt ihr entstellter Körper sind mir geistesgegenwärtig. Das alles habe ich in mir aufgesogen. Dabei wird sie vermutlich nicht die letzte Person sein, deren Tod sich in mein Hirn einfrisst. Ich muss vorsichtiger werden.
 

Vor Erwins Tür bleibe ich stehen und senke meinen Blick. Selbst der Boden ist blutverschmiert. Hier herrscht das totale Chaos. Dieses Mal ist es schlimmer als sonst. Was zum Teufel war dort draußen los?
 

»Corporal Levi«, begrüßt mich die Stimme einer weiteren Krankenschwester als ich den Raum betrete. Es ist ein Einzelzimmer, in dem nur das Nötigste steht. In diesem Zimmer hat sich nicht einmal jemand die Mühe gemacht, geschmacklose Bilder aufzuhängen.
 

Mein Blick schweift auf den Verletzen. Ich trete näher.
 

Die Tatsache, dass er nicht komplett zugedeckt ist, gewährt mir einen ungetrübten Blick auf das Ausmaß dieses Kampfes. Für einen Augenblick habe ich das Gefühl, dass mir das Herz stehenbleibt. In den ganzen Jahren, die ich mit ihm zusammenarbeite, habe ich ihn noch nie ernsthaft verletzt gesehen.
 

Dieses Mal hat es dich erwischt, Erwin und zwar nicht zu knapp.
 

»Was ist mit seinem Arm?«, frage ich gefasst, aber völlig unnötig. Dies ist vermutlich eine der dümmsten Fragen, die ich jemals gestellt habe und für einen Moment ist es daraufhin ganz still in diesem Raum. Die Krankenschwester denkt über ihre Antwort nach und nur das Fiepen der Geräte dröhnt mir in diesem schweigsamen Augenblick durch die Ohren. Ein grässlicher Klang.
 

»Corporal, er wird die Nacht vielleicht nicht überstehen.«
 

Mein erhöhter Puls ist nicht mehr normal. Alles, was mir vertraut war, gleitet mir Schritt für Schritt aus den Händen und ich bin unfähig, etwas dagegen zu unternehmen. Diese Machtlosigkeit bringt mich um den Verstand.
 

Das ist die Bürde, die du zu tragen hast. Du wirst sie alle überleben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  AlexanderLightwood
2015-07-28T18:13:03+00:00 28.07.2015 20:13
Wegen der Geschichte 'Barfuß auf High Heels' bin ich nun auch auf diese hier gestoßen. Außerdem hab ich gesehen, das du viel Erwin x Levi schreibst, was eigentlich auch nicht so mein Pairing ist, aber dennoch ganz interessant zu sein scheint. Ich denke, ich werde nachher auch mal durch die Geschichten stöbern.

Nun zu hier zu.

Ich dachte eh schon immer, das SnK ein unglaublich trauriger Manga ist - und ich wurde bestätigt. Schon allein der Tot von Marco hatte mich zutiefst geschockt und betrübt - aber der Tot der Elitetruppe unter Levis Kommando war mehr als nur schockend. Ich weiß nicht, ich glaube, ich hab einfach nicht damit gerechnet, das sie Sterben würden. Wobei man bei SnK eigendlich um jeden Charackter Angst haben muss.

Ich fand Levis Gedankengängen sehr gut nachvollziehbar. Ich finde, du hast seinen Charakter sehr, sehr gut getroffen. Und das soll schon was heißen, nicht jeder schafft es, ihn wirklich IC zu treffen. Hut ab.

Ich liebe deinen Schreibstill noch immer. Auch wenn dir Ich-Perspektive immer etwas ... gewöhnungsbedürftig ist, hast du das mega gut hinbekommen. Ich war schon wieder geschockt, als ich gemerkt hab, das es schon wieder vorbei war. Mir persönlich hat das Ende gut gefallen, auch mit Erwin und so. Das mit seinem Arm wusste ich schon, desshalb war das jetzt nicht so schockierend.
Ich fand die Sätze von Erwin, die du ab und an mit eingebracht hast, sehr gut. Ich konnte mich richtig gut auch in Levi hineinversetzen - der arme Kerl, vverdammt!

Ich werd in deinen Geschichten definitiv weiter mal etwas stöbern, da kannst du sicher sein.



Sayonara, Alex ¤
Von:  NithrilMusic
2013-10-28T21:17:56+00:00 28.10.2013 22:17
Hey,

ich bin eher durch Zufall und Neugierde auf deine FF gestoßen. Und ich muss sagen, es ist eine der Besten, die ich hier überhaupt gefunden hab. Dein Schreibstil ist sehr flüssig und leicht zu lesen. Deine Darstellung von Levis Gedanken ist gut nachzuvollziehen und nichts, das von weither geholt zu sein scheint. Ich finde es wird seinem Charakter sehr gerecht. Nur fehlt auch mir der genaue Standpunkt von Levi gegenüber Petra. Das Ende kam auch ein wenig plötzlich und ich hab das Gefühl, da fehlt noch was. Kann aber auch Absicht von dir sein, das dem Leser zu überlassen, was ich auch gut finde.

Alles in allem echt gut gelungen! :)

Liebe Grüße
Von:  heichou-chan
2013-10-21T14:29:08+00:00 21.10.2013 16:29
Hallo~

Wo fange ich denn am besten an...^.~ Ich bin ein wahnsinniger Fan von Shingeki no Kyojin und besonders die Charaktere Levi, Hanji, Erwin und Reiner haben es mir angetan! Momentan stöbere ich viel auf Animexx, auf der Suche nach guten Fanfictions... Was mir an dieser gefallen hat, OBWOHL ich keine Ich-Erzählung und kein Präsens mag, ist, das Levis Gedankengänge nachvollziehbar sind...Seine Sichtweise unterstreicht die Tragik ganz gut. Ich hätte mir zwar mehr Levi x Petra gwünscht, aber man kann nicht alles haben, nicht wahr? xDD'' Vielleicht ist es auch ganz gut so. Besonders gut haben mir diese Einschübe von Erwin gefallen...Das ist dir gelungen. Für mich hätte nur die Szene mit Erwin länger sein können. Als Levi seinen verstümmelten Körper findet. Das kam mir insgesamt zu kurz.

Das war es eigentlich von mir.

Immer schön weiterschreiben~


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