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Der Weg aus dem Kampf

Wenn Träume Berge versetzen
von

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Der Drache im Wind

Kapitel 43

Der Drache im Wind
 

Die Nacht kam spät, aber dennoch lehnte es der Magier ab, mehr als einen kleinen Spaziergang zu machen, und ließ Mimoun die ganze Nacht nicht einmal los. Er holte sich zurück, was ihm in den letzten Tagen gefehlt hatte.

Und am nächsten Tag verabschiedete er Mimoun und Tyiasur mit der Bitte, ihm Fisch oder Fleisch oder irgendetwas anderes Essbares für den einsamen Drachen mitzubringen, bevor er zu dem Rinnsal ging und sich wusch. Dann flocht er sich die Haare. In dem Sturm waren sie derartig verknotet worden, dass er sie kaum auseinander bekam und einige abschneiden musste, was ihn ärgerte. So ausgerüstet wagte er sich am Nachmittag wieder in den Windkanal und diesmal suchte er mit den Augen direkt den Drachen.

„Hallo!“, winkte er ihm. „Ich bin wieder da!“

Der Drache sah verwirrt aus und sah sich um, bevor er ihn wieder fixierte.

„Mein Name ist Dhaôma. Ich bin ein Magier und komme von unten.“

Die Pupillen weiteten sich und verengten sich wieder, die Nüstern blähten sich. Er schien interessiert zu sein.

„Möchtest du mir nicht sagen, warum du hier alleine bist?“

Sofort zog der Drache seinen Kopf zurück und wandte den Blick ab. Was hatte ihn nur so verschreckt?

„Ist gut, du musst es mir nicht sagen!“, wandte Dhaôma hastig ein. „Es ist egal, ob ich es weiß oder nicht, ich komme sowieso zurück.“ Der Wind wurde wieder stärker. „Hast du vielleicht einen Namen? Oder eine Leibspeise, die ich dir mitbringen kann?“

Kam es ihm nur so vor oder war der Blick tatsächlich hoffnungsvoll? Erneut verlor sein Zauber an Kraft und die ersten Eiskristalle flogen und prallten stechend gegen seine Wange und seine Arme. Schützend hob er den Poncho. Er wusste, dass er nicht mehr lange bleiben konnte. „Ich werde üben, damit ich länger bleiben kann, ja?“, rief er, als seine Füße schon zu rutschen begann. „Hörst du? Lass uns Freunde werden! Gib dich nicht auf!“ Dann schob ihn der Wind davon und Dhaôma ließ seine Magie versiegen. Wie am Vortag schlitterte er über die Scherben und sprang am Ende behände beiseite. Diesmal fühlte er sich nicht so ausgelaugt, leider aber auch nicht weniger bedrückt. Dieser Drache musste wirklich ein schreckliches Trauma haben, wenn er so gar nicht bereit war, darüber zu reden, wenn er sich so sehr schämte, dass er den Grund nicht sagen wollte, warum er dort war.

Nachdenklich ging der Braunhaarige zum Wasserlauf und stillte seinen Durst. Die Anstrengung machte sich schon bemerkbar, aber so wie es momentan lief, konnte es nicht bleiben. Wenn er dort bei dem Drachen bleiben wollte, dann brauchte er einen adäquaten Schutz vor dem eisigen Regen. Den würde er suchen müssen. Schön wäre ein Schild, so etwas wie ein Holzbrett oder so. Und das musste er entweder suchen oder wachsen lassen. Am besten auch noch mit Abstandhalter, damit es ihn nicht einfach gegen die Wand drückte.

Nach einem Schläfchen machte er sich also auf die Suche. Er hoffte, Energie sparen zu können, wenn er einen vorhandenen Ast einfach vergrößerte, anstatt einen ganzen Baum wachsen zu lassen, aber er fand nichts. Das würde er Mimoun sagen, wenn er das nächste Mal kam.

Auch am nächsten Nachmittag versuchte er sein Glück mit dem Wind, aber der Abstand war zu kurz gewesen, so dass er nicht lange bleiben konnte. Gerade mal einen Satz konnte er ihm sagen, dann wurde er wieder davon geweht. Aber er hatte den Eindruck gewonnen, dass der Drache schon etwas glücklicher ausgesehen hatte – falls man das bei der nicht vorhandenen Mimik erkennen konnte.
 

Nahezu einen ganzen Tag hatte der Geflügelte in dem verdrehten Wald zugebracht. In dem Erdbeerenfeld sammelte er mehrere Blätter ein, zupfte von einer der Beeren zwei Kerne ab und zog sich dann mit seiner Beute in die Teichlandschaft zurück. Es kostete ihn einiges an Übung, aber nach einigen Versuchen gelang es ihm unter zur Hilfenahme von dünnen Weidenzweigen eine Art Tasche aus den stabilen Blättern zu formen. Eine große bastelte er als Transportbehältnis für die Fische für Dhaômas Drachen. Eine kleinere diente zum Aufbewahren für seine und Tyiasurs Nahrung. Aus Resten formte er eine winzige Tasche, die an einer Art Kette um seinen Hals hing. In dieser hatte sein Drache ausreichend Platz und musste sich nicht an ihm festklammern, wenn seine Hände nun mit den Fischen überladen waren. Er hoffte nur, dass sie stabil genug war, dem Wind an Dhaômas derzeitigem Aufenthaltsort standzuhalten.

Er nutzte noch einen weiteren Tag, um sich dort zu entspannen, suchte sich auch eine leere Höhle, die er sich noch wohnlich einrichten würde, und kehrte am nächsten Tag mit vollen Armen zu Dhaôma zurück. Er legte seine Last neben den Sträuchern um der Kuhle herum vorsichtig ab, damit die Blätter nicht doch noch einrissen. Er brauchte sie noch.
 

Dhaôma hatte ihn schon erwartet. Jetzt hockte er neben ihm und besah sich neugierig die Taschen. Blättertaschen. Sehr einfallsreich. Über den Inhalt musste er sich keine Gedanken machen, der Geruch verriet den Fisch.

„Wow, da wird er sich aber freuen.“, kicherte er. So viel hatte Mimoun gefunden.
 

„Das wird aber auch ein oder zwei Tage reichen müssen.“, schränkte Mimoun ein. „Ich weiß nicht, ob es so gut ist, wenn sich ein großer Drache auf Dauer aus den Revieren der kleinen Wasserdrachen ernährt. Hin und wieder ist okay.“ Versichernd glitten seine Finger über die Zweige, die den Riemen zu Tyiasurs Tragetasche bildeten. Sie hielten zum Glück. Er selbst ließ sich in die Kuhle sinken, um dem meisten Wind zu entkommen.
 

„Ich weiß nicht mal, ob es so gut ist, wenn er überhaupt etwas von mir bekommt. Vielleicht nimmt er auch gar nichts an. Bisher hat er nicht einmal mit mir gesprochen.“ Seufzend kuschelte er sich neben Mimoun. „Er ist wie ein Kind, das man lange Zeit im Dunkeln eingesperrt hat, so dass es jetzt freiwillig dort bleibt.“
 

„Ach ja.“, schmunzelte Mimoun. „Das kenn ich irgendwoher.“ Liebevoll zog er an dem für ihn leicht zu erreichenden Ohr und kraulte dann beruhigend den Nacken seines Freundes. „Genau deshalb bist du wahrscheinlich der einzige, der ihm wirklich helfen kann. Du darfst jetzt nur nicht aufgeben.“
 

Nachdenklich stimmte Dhaôma zu. Wenn er es genau bedachte, dann hatte Mimoun Recht, auch wenn es ihm vorher gar nicht bewusst gewesen war. Aber es gab ihm Selbstvertrauen.

Sie aßen zusammen und Dhaôma beobachtete voller Glück, wie Mimoun seinen Kleinen mit einem runden Stein über die Felsen scheuchte. Tyiasur war ein Wirbelwind und wechselte häufig zwischen Schweben und sich über den Boden Winden. Manchmal war er so schnell, dass man kaum sah, wie er den Boden überhaupt berührte. Und weiterhin mied er Dhaôma, was diesen nicht weiter störte. Er wusste, dass Babys, bevor sie etwas anderes kennen lernen konnten, erst einmal die Eltern verstehen mussten. Das hatte ihm Leoni beigebracht.

Am nächsten Tag verschwanden seine beiden Begleiter wieder und Dhaôma stellte sich der langweiligen Aufgabe, trotzdem Ruhe zu halten. Er saß am Rande der Insel und starrte in das Gewitter zu seinen Füßen. Blitze ohne Ende, aber kein Donner oder Regen. Und über ihm waren lediglich ein paar kleinere Wölkchen, die eilig dahin zogen. Es schien nicht so, als würde es hier jemals regnen, aber er konnte sich auch irren, denn dafür war die Insel definitiv zu grün.

Am Abend beobachtete er ein weiteres Mal, wie ein Fisch so groß wie Mimouns Brustkorb über der unzugänglichen Stelle abgeworfen wurde, und beschloss, dass er noch eine Nacht Kräfte sammeln würde, bevor er mit Mimouns Beute den Drachen besuchen würde. Dann würde er vielleicht etwas länger bleiben können.

So war er am nächsten Morgen hibbelig vor lauter Energie und Vorfreude auf seinen neuen Freund. Er war so gespannt, was der Drache sagen würde! Und er versuchte des Weiteren mit seiner Kraft zu haushalten, damit er möglichst lange bleiben konnte. Dafür tastete er sich mit Magie an die Stärke des Windes heran, bevor er ihn ausschaltete. Es erforderte eine ungeheure Konzentration, aber er merkte, dass diesmal nicht so viel Magie aus ihm heraus floss. Schon am Rand der Felsen sah er, wie der Drache ihn neugierig musterte. Die großen gelben Augen blinzelten, er schnupperte. Fast hätte Dhaôma gelacht.

„Riechst du den Fisch?“, fragte er und trat zwei Schritte auf ihn zu. Misstrauisch wich der Drachenkopf zurück. Er bleckte sogar die Zähne. „Ja, es ist gruselig, dass ich einfach so zu dir komme, aber ich habe wenig Zeit, wie du weißt.“ Mit Schwung setzte Dhaôma den inzwischen welken Korb ab und zog die Fische heraus. „Sie sind nicht so groß wie die, die sonst geflogen kommen, aber Mimoun hat sich sehr viel Mühe gegeben, sie zu fangen.“

Jetzt wirklich neugierig gab der Drache einen Großteil seiner Deckung auf. Als Dhaôma ihm den ersten Fisch hinhielt, ging ein wahres Leuchten durch die goldgelben Augen, bevor er sich vorwagte und ganz vorsichtig den Fisch zwischen die Zähne nahm. Sie waren spitz und reihten sich in unebenmäßiger Größe in einem weiten Bogen. Erst jetzt fiel Dhaôma auf, dass die Nase gar nicht so spitz war wie er es bei den meisten Drachen gesehen hatte. Sie war zwar auch nicht wie die von einem Frosch, aber dennoch ungewöhnlich. Und die Zähne waren nicht so lang wie der, den er um den Hals hatte.

„Wirst du noch größer?“, fragte er neugierig. „Oder bist du ausgewachsen?“ Der Drache betrachtete ihn aufmerksam, antwortete aber nicht. „Du kannst nicht sprechen, oder?“ Leicht enttäuscht und mitleidig rückte er den nächsten Fisch heraus, der ebenso vorsichtig genommen wurde. „Ich hatte gehofft, du könntest mir erzählen, was mit dir ist.“

Er hatte vergessen, wie der Drache auf dieses Thema reagierte, und war auf das Zusammenzucken nicht vorbereitet. Danach tat es ihm Leid, dass er so ungeschickt gewesen war. Seufzend legte er die übrigen Fische auf den Boden, denn er spürte, dass seine Magie sich bald erschöpfen würde. „Wenn ich das nächste Mal komme, erzähle ich dir von mir.“, beschloss er, während er rückwärts ging. „Bis dahin bin ich genau hinter dieser Wand, dann bist du nicht so alleine, ja?“

Wieder sah ihn der Drache an und fast hatte Dhaôma das Gefühl, er wäre erleichtert. Es beruhigte ihn, denn er hatte begonnen zu glauben, dass er vielleicht störte. Aber nun war er davon überzeugt, dass dieser Drache einsam war. Das würde er zu ändern wissen. Einsamkeit war nicht schön.

Aber ab diesem Zeitpunkt änderte sich das Geräusch, das er von der anderen Seite hörte. Das Magen füllende Dröhnen war selten geworden, eher hörte er nun ein helleres Geräusch, eines, das wie das Pfeifen eines Wasserkessels klang, eines, das tiefer klang, und ein in allen Tönen variierendes. Es war fast, als würde der Drache versuchen, ihm etwas mitzuteilen. Fast platzte der Magier vor lauter Wissbegierde, was das bedeuten könnte. Warum erholte sich seine Magie nur so langsam?

Gegen Abend beschloss er, etwas zu entwickeln, das ihn in die Lage brachte, bei dem Drachen zu bleiben. Lange suchte er in seinen Samen einen schnell wachsenden, stabilen Baum, dessen Holz auch den starken Wind und die Eiskristalle aushalten konnte. Jetzt musste er nur noch hoffen, dass er ihn auch wachsen lassen konnte, denn der Boden war schließlich aus massivem Fels.

„Ich fürchte, das bedarf bei weitem mehr Vorbereitung.“, bedauerte er. Auch wenn es ihm noch immer am leichtesten fiel, Pflanzen wachsen zu lassen, einen ganzen Baum an einem Tag hochzuziehen und dabei auch noch zu formen, war schwer. Dazu bräuchte er Erde und Material, aus dem er selbige machen konnte.

Schließlich stabilisierte er lediglich den Behälter Mimouns, füllte ihn mit Wasser und bereitete sich wieder auf seine Exkursion vor, indem er schlief.
 

Der nächste Tag begann mit erstaunlich vielen Wolken am Himmel, die Luft war schwer und roch nach Regen. Sollte das heißen, sein Wasser wäre umsonst? Nein, der Drache hatte seit Tagen nichts mehr getrunken, also sollte er es mitnehmen.

Gegen Mittag drang er zu dem Drachen vor. Er wurde interessiert begrüßt und wieder erklang das vibrierende Gurren. Das schien Freude zu sein. Aber was für ein Geräusch! Es klang, als hätte der Drache mehrere Kehlen, die alle etwas Unterschiedliches sagen würden.

„Ich freue mich auch, dich zu sehen.“, lachte Dhaôma. „Ich habe Wasser mitgebracht. Falls du trinken willst.“ Sachte stellte er das schwappende Gefäß auf den Boden und bot es dem Drachen an. Nach einem misstrauischen Schnuppern machte der es dann in einem Zug leer. Seine Zunge war nicht gespalten, stellte Dhaôma fest, als er sich über die Nase leckte, um dort verbliebenes Wasser aufzuschlecken. Dennoch war er viel mehr Eidechse als andere Drachen. Nur eben viel größer.

„Ich hatte gesagt, ich erzähle von mir.“, fing der Braunhaarige wieder an zu reden. „Ich komme aus einer Stadt ganz weit von hier entfernt. Und meine Mutter konnte mich nicht…“ Ein Donnerschlag zerriss die Luft und unterbrach ihn. Erschrocken fuhr er herum, als Regentropfen auf seinen Umhang fielen. Sie kamen von der Seite. Seine Magie reichte nicht, den Wind auszuschalten!

Schnell verstärkte Dhaôma den Zauber, aber dennoch reichte es nicht. Der Wind packte ihn und schleuderte ihn gegen die Wand, presste ihm alle Luft aus den Lungen. Sein kleiner Behälter wurde an der Wand einfach zerdrückt, bemerkte er aus den Augenwinkeln und bekam Panik. Er würde hier sterben!

Dann war der Wind plötzlich weg und es war warm. Vor ihn schob sich ein dunkelgrüner Flügel, hüllte ihn ein und zog ihn an einen noch größeren Körper. Der Schreck, der seinen Körper heimgesucht hatte, sein Herz schneller schlagen und das Blut in seinen Ohren rauschen ließ, flaute ab, als er begriff, dass es der einsame Drache war, der ihn vor dem schneidenden Wind zu schützen versuchte. Dabei mussten die Regentropfen ihm Schmerzen zufügen, wenn sie ihn trafen, zumal davon viele zu Hagel wurden, wie er zu seinen Füßen sah.

Erschöpft lehnte sich Dhaôma gegen den großen Körper. „Danke.“, flüsterte er, wollte sich gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn er noch ungeschützt wäre. Es war ein richtiges Gewitter, ein Unwetter, das über ihnen tobte, und Dhaôma war sich sicher, dass er nur deshalb überlebte, weil der Drache ihn beschützte. Mimoun würde außer sich sein, wenn er realisierte, dass er in diesem Sturm so nahe an der Klippe war.

Der Regen dauerte an und Dhaôma beruhigte sich immer mehr. Unter seinen Händen spürte er das Beben des großen Körpers und jedes Zusammenzucken, wenn ein Hagelkorn eine empfindliche Stelle traf. Er setzte seine Erzählung fort, erzählte von seinem Zuhause und seiner Flucht, dass er Mimoun getroffen und die Geflügelten kennen gelernt hatte, mit denen sein Volk eigentlich im Krieg stand. Irgendwann verstummte er, spürte, wie der Drache sich entspannte und beruhigte. Der große Kopf lag inzwischen neben ihm im Schutz des Flügels und die goldenen Augen waren vertrauensvoll geschlossen.

„Deine Stimme ist schön.“, hallte es plötzlich in seinem Kopf wider. „Sie zeugt von Stärke, denn in ihr ist viel Ruhe.“

Vor Glück hätte Dhaôma beinahe geweint. Endlich! Endlich sprach der Drache zu ihm! Er konnte sprechen! Selig lächelnd lehnte er sich gegen die große Klaue und nickte. „Das war nicht immer so.“, gab er zu. „Ich musste das lernen.“

„Wie?“

„Ich habe doch erzählt, dass ich meine Familie verlassen habe. Mimoun hat es mir beigebracht.“

„Ich kann nicht weg. Der Sturm ist zu stark.“

Das war ein Problem. Mitleidig öffnete Dhaôma die Augen. „Warum bist du hier? Willst du es mir nicht sagen?“

„Es ist kein Geheimnis. Jeder weiß es.“

„Ich nicht.“ Der Braunhaarige zog die Knie an den Körper. Irgendwie war ihm kalt. „Mir hat keiner gesagt, warum du hier bist.“

Lange herrschte Schweigen, dann schlossen sich die wunderschönen, bezaubernden Augen wieder und das dröhnende Seufzen erklang, das Dhaômas Herz vor Mitleid zu zerquetschen drohte. Obwohl es jeder wusste, fiel es dem Drachen schwer, darüber zu reden. „Ich bringe das Gleichgewicht der Magie ins Wanken.“

Irritiert schüttelte Dhaôma den Kopf. „Wie denn?“

Schweigen. Um sie herum ließ der Regen nach.

„Erzähle es mir. Ich kenne mich mit Magie ein wenig aus, vielleicht kann ich dir irgendwie helfen. Es wäre doch schön, wenn du diesen Ort hier verlassen könntest.“

Hoffnungsvoll leuchteten die Augen im Halbdunkel auf. „Das könntest du schaffen?“

„Dafür musst du mir erzählen, was das Problem ist.“

„Ich wirke Magie.“

„Ich auch.“, antwortete Dhaôma verständnislos, als einige Zeit nichts kam. Ging der Drache davon aus, dass er verstand?

„Bei uns ist das nicht normal. Nicht jeder Drache besitzt Magie.“

„Das ist mir neu. Ich habe gelesen, dass Drachen unglaublich starke Magie wirken und unerschöpfliche Reserven haben.“

„Das ist wahr.“ Die Nase bewegte sich sacht. „Aber es ist nicht bei allen so. Nur manche können Magie wirken. Ich kann es. Ich verstärke die Magie anderer.“

„Ach, deshalb wirkt meine Magie in deiner Nähe besser.“, freute sich Dhaôma über die Erkenntnis, das Rätsel um die sich sofort schließenden Wunden betreffend. „Das ist phantastisch!“

„Das ist deine Meinung.“, erklang es neutral in seinem Kopf.

„Und was ist deine?“

„Ich verstärke die Magie dieser Insel. Deshalb ist hier dieser kalte Sturm. Es ist ein Zauber, der von außen alle fernhalten soll.“

„Ich verstehe. Und du verstärkst ihn. Das heißt, du kannst hier nicht weg, weil der Wind dich hier festhält. Vielleicht könnte ich lernen, ihn auszuschalten, damit du raus kannst.“

„Ich zerstöre Jashar, wenn ich diesen Ort verlasse.“

„Wieso? Das stimmt doch nicht. Oder?“, hakte er unsicher nach, denn dieses Gewitter war sicherlich gefährlich genug, um etwas zu zerstören.

„Doch.“ Wieder erklang dieses seltsame vibrierende Geräusch. „Ein Zauber speist die Quelle. Komme ich ihr nahe, läuft sie über und schwemmt all die kleinen Drachen und ihr Futter fort. Fliege ich über den Wald, wachsen die Bäume und sterben. Regnet es, wird ein Gewitter daraus, das kleine Wesen wie du kaum überstehen können. Wirkt ein anderer Drache Magie, kann daraus eine Katastrophe erwachsen.“

Mitleidig legte Dhaôma ihm die Hand auf die Kralle. „Ich fange an zu verstehen. Du bleibst also hier, um ihnen nicht zu schaden.“ Und nach einiger Zeit: „Das ist ziemlich edel von dir, aber warum fliegst du nicht einfach zur Erde hinunter? Dort gibt es keine ewigen Zauber, die du verstärken könntest.“

„Ich habe es versucht. Der Wind war zu stark. Ich wäre fast gestorben.“

Also waren die Wolken um die Insel auch magisch erschaffen. Um die Drachen zu schützen. Aber das half diesem Drachen nicht. Aber Dhaôma wollte noch nicht aufgeben. Und dass diese Magie so gar nicht zu beherrschen war, erinnerte ihn an das Erwachen seiner Magie. Nur dass es länger andauerte. „Sag mal, wie lange ist das denn schon so?“

„Ich weiß nicht.“ Er schwieg einige Zeit und beobachtete Dhaôma mit einem Blick, der unter die Haut ging. „Es ist so, seit ich weiß, dass ich ein magisches Wesen bin.“

„Hast du keine Einschätzung für die Zeit?“

„Ich habe aufgehört zu zählen.“

Betroffen presste Dhaôma die Lippen zusammen. Der Drache tat ihm Leid. Was sollte er dazu sagen? Er konnte ihm kaum helfen, oder? „Meinst du, ich kann dir helfen, den Sturm zu durchfliegen?“

„So lange wirst du das nicht können.“

„Ich könnte es lernen.“

„Würdest du das tun?“

„Ja. Ich werde mich anstrengen.“

Die goldenen Augen musterten ihn lange. „Warum ist ein kleiner Jagmarr wie du so stark?“, wollte der Drache wissen.

Früher hätte Dhaôma diese Frage als impertinent empfunden, wäre vielleicht verletzt oder beleidigt gewesen, aber die Worte des Drachen waren so neutral gehalten, dass er wusste, dass dieser es nicht böse meinte. Außerdem war ihm inzwischen klar, dass die Meinung anderer nicht zählte, solange er wusste, dass er stark war. Hatte Mimoun gesagt. Und dieser Drache ja auch. „Weil ich nicht alleine bin.“, verriet er und lächelte bei dem Gedanken an seinen Freund. „Mimoun ist meine Stärke, denn ich möchte für ihn Frieden schaffen. Dafür muss ich stark genug sein, um von niemandem besiegt zu werden.“

„Aber das hier hat nichts mit deinem Ziel zu tun, Frieden zu schaffen.“

„Nicht direkt.“, zuckte Dhaôma mit den Schultern. „Aber du brauchst Hilfe, nicht wahr? Wäre es nicht auch schön, wenn ich dir Frieden bringen könnte? Wenn du keine Schmerzen mehr hättest von den Eiskristallen, wenn dir nicht mehr kalt wäre, wenn du nicht mehr Hunger leiden müsstest, ohne selbst etwas dagegen tun zu können? Wäre es nicht schön, wenn du deine Magie unter Kontrolle bekämst, so dass du nicht einmal dein Zuhause verlassen müsstest?“ Seine Finger fuhren über die feinen Schuppen auf dem Zeh des Drachen kurz hinter der ellenlangen, dolchscharfen Kralle. „Weißt du, es geht mir nicht darum, für mich selbst Frieden zu haben. Natürlich wäre das auch schön, aber eigentlich wäre es mir lieber, wenn um mich herum kein Leid mehr wäre.“

„Das ist ein optimistischer Wunsch.“

Lachend nickte der Braunhaarige. „So lange du nicht sagst, dass es ein unmöglicher Wunsch ist, bin ich damit zufrieden.“

„Es ist nicht unmöglich. Nur unwahrscheinlich.“

Draußen stoppte für einige Zeit das leise Pladdern des Regens auf den Flügeln und wurde kurz darauf von einem leiseren Trommeln ersetzt. Zu seinen Füßen konnte Dhaôma sehen, dass es wieder die Eiskristalle waren, die die Steine zerschlugen. Seine Zähne mahlten aufeinander.

„Bist du böse, Freiheit?“

Seufzend schüttelte Dhaôma den Kopf. „Nein.“

„Aber du bist unglücklich.“, war die einfache Feststellung.

„Weil ich dir nicht gleich helfen kann.“, platzte es aus Dhaôma heraus. „Ich bin so schwach, dass du mich beschützten musst. Meine Magie reicht nicht einmal aus, um deine Wunden zu heilen.“

„Du musst mich nicht heilen. Es reicht mir, wenn du hier bist.“

„Ich will aber!“, rief Dhaôma laut und sank dann in die Knie. „Entschuldigung. Ich wollte nicht schreien.“

„Du bist ein netter Jagmarr. Du willst helfen und nicht töten.“

Dhaôma antwortete nicht darauf, sondern zuckte mit den Schultern. „Wie wäre es, wenn du versuchst, deine Magie zu unterdrücken, damit du dir selbst helfen kannst?“

„Ich weiß nicht, wie.“

„Ai.“ Das war nicht so einfach zu erklären. „Kannst du fühlen, wie deine Magie aus dir heraus fließt?“

„Ich weiß nicht. Es gibt viele Ströme in meinem Körper, die ich verfolgen kann.“

‚Interessant!’, schrie etwas in Dhaôma, aber er unterdrückte seine Neugier, wie das funktionierte oder was er da fühlte. Das war Thema eines anderen Tages. „Ich schicke mal etwas von meiner Magie in dich, vielleicht findest du dann deine.“ Auf seinen Wangen leuchteten die Linien auf und er konnte den Körper des Drachen unter seinen Finger spüren, wie dort Blut pulsierte, wie die Muskeln sich zusammenzogen, wie ein paar kleine Schrammen auf dem schützenden Flügel sich schlossen. Es war ganz leicht.

„Das sieht hübsch aus.“, weckte ihn die Stimme in seinem Kopf aus seiner Erkundung. „Und es fühlt sich hübsch an.“ Als Dhaôma die Augen wieder öffnete, blickte er direkt in eines der goldenen des Drachens, das ganz dicht vor seinem Gesicht war. „Deine Magie ist ganz warm.“

„Kannst du deine Magie jetzt spüren?“

Die Augen verloren ihren Fokus, als der Drache nach innen horchte. Lange sagte er nichts und bewegte sich nicht. „Ich denke, da ist etwas.“, bestätigte er. „Etwas, das sich so ähnlich anfühlt.“

„Dann halte es in deinem Körper. Lass es nicht hinaus.“

„Wie?“

„Weißt du, wie es aus dir heraus rinnt?“

„Ich denke…“

„Dann stell dir vor, es bliebe in dir. Vielleicht stellst du es dir als Wasser vor, das in einem Bach fließt. Stopfe den Bach zu, bilde damit einen See.“

Stille. Sehr lange Zeit. Dhaôma blieb ruhig und wartete. Er wusste, dass das Konzentration erforderte und wollte nicht stören. Fast schlief er ein. Die Anstrengung der Magieanwendung, die Tatsache, dass es bald dunkel wurde, und die Wärme in seinem Rücken machten ihn schläfrig. Dann verstummte das eintönige Trommeln und schlagartig war er wach. Hatte es etwa funktioniert?

Doch das Trommeln setzte wieder ein, hörte sich sogar stärker an als vorher, bis es wieder abflaute.

„Das ist sehr anstrengend.“, ertönte es in seinem Kopf. Der Drache klang müde und auch ein wenig unzufrieden.

Dhaôma dagegen war richtig glücklich. „Aber es hat funktioniert! Mit ein bisschen Übung könntest du es kontrollieren, dann wärst du frei! Frei, das zu tun, was du gerne tun möchtest.“

„Es tut danach mehr weh.“

„Dann mache ich etwas dagegen, dass dich der Wind triff, okay? Ich lasse dir einen Schild wachsen, der die Kristalle aufhält, wenn sie stärker fliegen, wenn du die Magie nicht mehr halten kannst.“ Er strahlte. „Oder noch besser, du legst dich auf die andere Seite von den Steinen. Da ist der Wind einfach nicht so stark und die Eiskristalle fliegen nicht. Ich könnte dich sogar heilen, damit die kleinen Kratzer nicht mehr brennen.“

Irgendwie ließ sich der Drache von Dhaômas Freude mitreißen. Zwar überlegte er ein wenig, dann bewegte er sich und schüttelte seinen Flügel. „Das wäre angenehm.“, stellte er fest. Und weil Dhaôma grinste, fragte er noch: „Wirst du mir auch weiterhin helfen?“

„Natürlich.“ Sanft klopfte Dhaôma auf die Kralle. „Ich helfe dir, solange du es nicht ganz alleine schaffst. Du kannst einfach Bescheid sagen, wenn ich dir helfen kann.“

„Wie lange brauchst du, um den Wind erneut zu stoppen?“

„Mindestens einen Tag.“

„Dann gehen wir morgen auf die andere Seite der Felsen.“

„Du kommst mit?“

„Ja.“

„Danke.“

„Wofür?“

„Dass du dich nicht aufgibst.“

„Das liegt an dir.“

Weich strich Dhaôma über das Bein. Er freute sich über diese Worte. Sie bedeuteten, dass er jemandem hatte helfen können. Das machte ihn immer glücklich.

„Freiheit.“ Der Drache bewegte sich erneut, legte seinen Leib auf den Boden und streckte die Vorderbeine aus. „Erkläre mir, wie ich diese Kraft in ein Ziel lenke.“

Wieder dachte Dhaôma nach, wie man das am besten erklärte.

„Leg dich zu mir, Freiheit. Ich passe auf, dass dir nichts passiert, wenn du schläfst.“

Der Braunhaarige nickte und ließ sich neben ihm nieder. Der ledrige Flügel ließ ihm gerade genug Platz, um ihn warm zu halten und nicht zu ersticken, aber er fühlte sich nicht bedroht, eher noch geborgen. Mimoun würde sich Sorgen machen, wenn er ankam und ihn nicht vorfand, aber das konnte er nicht ändern. Und wahrscheinlich konnte er sich auch denken, wo er sich befand.

„Wenn du deine Magie auf etwas richten möchtest, dann stell dir doch einfach vor, dass die Energie aus dem See oder dem Bach in das Ziel hineinfließt.“ Immerhin hatte diese Vorstellung schon einmal geholfen. „Ich gebe zu, ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht. Ich habe nicht genug Energie, als dass ich es mir leisten könnte, sie ohne Grund aus mir hinaus fließen zu lassen. Ich werde dann müde und kann nichts mehr tun, deshalb speichere ich sie von Natur aus. Und aus diesem Grund richte ich sie auch immer auf ein Ziel.“

Der Drache antwortete nicht und Dhaôma wurde wieder schläfrig. Kurz bevor er einschlief, fragte er jedoch noch: „Wie heißt du eigentlich?“

„Lulanivilay.“

„Das klingt schön.“, murmelte der Magier mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Schön und seltsam bekannt. „Was bedeutet das?“

„Inmitten von Leben.“

Der letzte Gedanke, der Dhaômas Bewusstsein streifte, war, dass der Name nicht passte, da sich dieser Drache in so unwirtlichem Land versteckte, aber er würde dafür sorgen, dass er seinem Namen wieder alle Ehre machte.
 

Selten hatte Dhaôma so tief geschlafen wie in dieser Nacht. Er fühlte sich wohl, es war warm und am Rande seines Bewusstseins nahm er eine einnehmende, tiefsinnige Melodie wahr, die ihn in ihren Bann zog, ohne dass er es richtig bemerkte. Fast war es, als hätte er einen strahlenden, überglücklichen Mimoun vor sich – nur er hatte es bisher geschafft, diese Zufriedenheit in ihm auszulösen.

Doch als er erwachte, war nur der Drache da. Lulanivilay. „Guten Morgen, Lulanivilay.“, wünschte er und streckte sich. Durch die Flügelhaut schimmerte Tageslicht.

Sofort sah er sich mit goldenen Augen konfrontiert. „Ich habe geübt.“, teilte ihm der Drache mit. „Findest du es schlimm, wenn ich meine Magie in dich fließen lassen würde?“

„Du meinst die verstärkende?“ Dhaôma zuckte mit den Schultern. „Nicht wirklich, solange du mich vorwarnst. Es wäre nicht gut, wenn meine Magie außer Kontrolle geriete. Aber solange ich es weiß, kann ich versuchen, die Auswirkungen zu kontrollieren.“

„Dann fliegen wir jetzt hinüber. Bring den Wind zum Stillstand.“

Überrascht nickte Dhaôma. Das kam unerwartet, aber wenn er es recht bedachte, dann musste er eh zum Fluss und vielleicht wartete ja auch Mimoun auf der anderen Seite. Es wäre besser, wenn er ihm sagen konnte, dass es ihm gut ging. „Also gut.“ Die Augen schließend konzentrierte er sich auf den Wind und ließ seine Magie fließen. Kurz danach spürte er, wie etwas an ihm zerrte, wie es schwer wurde, sich zu bewegen oder zu atmen. Das war höchstwahrscheinlich die Hilfe von Lulanivilay. Er musste das abschwächen, sonst würden sie beide ersticken. Also zog er seine Kraft ein wenig zurück, bis sie kaum noch floss. Aber selbst dann noch war sie stark genug, um den Wind aufzuhalten. Wenn er so wenig Magie aufrechterhielt, dann könnte er das sicher mehrere Stunden durchhalten!

„Halt dich fest, Freiheit.“, erklang es in seinem Kopf und die Konzentration ging für einige Momente verloren. Der Wind wurde wieder wie Stein so unbeweglich, bis er sich wieder beruhigte. Seine Hände hielten sich an Lulanivilays Bein fest, da griff der Drache ihn mit beiden Pranken und flog auf. Er schwankte fürchterlich und es sah so aus, als würde er abstürzen, aber glücklicherweise fing er sich wieder. Wenige Augenblicke später landete der grüne Drache und setzte Dhaôma sanft ab.

„Ist er der Freund, den du Himmel nennst?“
 

Der Sturm war auch im Inselinneren deutlich zu sehen und teils auch zu spüren gewesen. Die Sorge um seinen Freund hatte ihn schneller wieder an den Rand der Insel geführt. Durch die starken Winde hatte Mimoun es aber vorgezogen, einen Großteil der Strecke zu Fuß zurückzulegen. Seinen Kleinen hatte er dabei unnachgiebig immer wieder unter das Hemd gestopft, aus dem dieser ebenso häufig neugierig hervorlugte.

Mit gemischten Gefühlen fand er das Mooslager verlassen vor. Stattdessen breitete sich in der Kuhle eine kleine Pfütze aus. Unsicher glitt der Blick des Geflügelten zum Gang. Dort würde Dhaôma sicher rechtzeitig Schutz gefunden haben. Eine andere Möglichkeit wollte er nicht zulassen.

Noch immer zerrte der Wind an ihm, dennoch hütete er sich davor, den Gang zu betreten. Das war die Aufgabe des Magiers. Er wollte ihm nicht schon wieder etwas kaputt machen, indem er ungeschickt in etwas hineinstolperte. So ließ er sich zwischen den Büschen nieder, setzte seinen Winzling in die Pfütze und wartete. Er war so in das Spiel des kleinen Drachens vertieft, dass er erst spät merkte, dass endlich der Wind nachließ. Seufzend ließ er sich ein wenig tiefer sinken, bevor er sich erhob. Nun, da der Wind keine Bedrohung mehr darstellen konnte, würde er noch ein wenig in der Umgebung herumstreunen, immer in Sichtweise zu der ehemaligen Schlafstätte. Er sah wie Tyiasur ab und zu aus dem Wasser sprang und nach ihm Ausschau hielt. Fast war er versucht zum Bach zu gehen und ein paar der Fischlarven daraus zu fangen und hier einzusetzen, da hörte er das Rauschen über sich. Neugierig sah er sich nach dem Störenfried um. Wie erstaunt war er, als er seinen Magier in den Klauen des Drachens erkannte. Reflexartig ging er einen Schritt in die Richtung und hielt dann wieder inne, trat schließlich sogar zurück, um diesem gewaltigen Tier Platz zum Landen zu lassen.

„Alles okay?“, fragte Mimoun seinen Freund und sah dann vorsichtig zu dem Drache. „Ist er derjenige, dem du helfen möchtest?“
 

„Ich bin in Ordnung.“, lächelte Dhaôma und ging zu Mimoun. „Mimoun, das ist Lulanivilay. Lulanivilay, das ist Mimoun. Irgendwo müsste noch ein kleiner Wasserdrache sein, den Mimoun Tyiasur getauft hat.“

Die goldenen Augen betrachteten den Geflügelten genau, nahmen alle Einzelheiten in sich auf, während um sie herum der Wind wieder stärker wurde und schließlich mit alter Stärke blies. Selbst die Pfütze mit ihrem quirligen Inhalt begutachtete er, bevor er sich an die Felsen legte, möglichst viel Deckung vor dem kalten Wind in Anspruch nehmend. „Warum nennt jemand einen Wasserdrachen Pusteblume?“

Dhaôma kicherte, als er zu dem Drachen trat und seine Hände auf dessen Brust und Halsansatz legte. „Das liegt daran, dass er die alte Sprache nicht gut genug beherrscht. Aber glaube mir einfach, dass es zu ihm passt. Manchmal ist er genauso kugelig und schweben kann er auch.“
 

„Puste…“, entgeistert entglitten Mimouns Gesichtszüge. Darum hatte Dhaôma wohl damals gekichert. Vorwurfsvoll funkelte er seinen Freund an. „Das hättest du mir sagen müssen. Ich sollte ihm einen Namen geben, auf den er stolz sein kann. Und dann verpass ich ihm die Bezeichnung von Unkraut.“ Der Geflügelte fischte sich den Winzling aus dem Wasser, als der Wind wieder stärker wurde und folgte den beiden anderen in den Schutz der Felswand.
 

„Unkraut?“, fuhr Dhaôma empört auf und unterbrach sich darin, die heilenden Fähigkeiten anzuwenden. „Was ist daran Unkraut? Es sind wunderschöne Blumen, die Unmengen von Bienen und Käfern füttern, deren Blätter man essen kann, und die obendrein noch unfassbar zarte, fragile Samen produzieren, die auf dem Wind schweben können und selbst von Regen kaum zerdrückt werden. Nimm das sofort zurück!“
 

Verblüffung war auf dem Gesicht des Geflügelten zu erkennen, kurz bevor er breit zu schmunzeln anfing und schließlich lachte. „Ah. Ich vergaß. Vergreif dich nie an den Lieblingen eines Magiers. Weder tätlich noch mit Worten.“ Er trat auf Dhaôma zu, ergriff sein Gesicht und drückte ihm, ohne auf Gegenwehr zu achten, einen Kuss auf die Stirn. „Du bist süß.“ Und um die Wogen zu glätten, fügte er noch an: „Ja. Es tut mir Leid. Und ich werde vorsichtiger in der Wahl meiner Worte sein. Okay?“
 

„Solange du zu schätzen weißt, dass der Name deines Drachen vielleicht auch bedeutet, dass er besonders widerstandsfähig ist.“ Aber dennoch war er nicht länger böse. „Und jetzt lass mich Lulanivilays Wunden behandeln, damit er schneller lernt, seine Kraft zu beherrschen. Dann ist es auch nicht mehr so windig in seiner Gegenwart.“

Er strubbelte noch einmal durch das schwarze Haar und platzierte seine Hände wieder auf Schulterblatt und Hals des Drachen. Die Linien begannen zu leuchten.

„Ich werde dir helfen.“, erklang es in seinen Gedanken und sofort spürte er, wie sich der ganze Drache regenerierte, sich Wunden schlossen und die Müdigkeit verschwand, noch bevor er seine Kraft zurücknehmen konnte, um sie zu kontrollieren.

Seufzend schüttelte er den Kopf. „Ich sagte zwar, dass du vorher Bescheid sagen sollst, aber es wäre hilfreich, wenn du mir auch Zeit ließest, darauf zu reagieren. Wenn es ein anderer Zauber gewesen wäre, könnte das schlimm enden.“

„Sicher.“, war die knappe Antwort, während die großen Flügel ausgestreckt wurden. „Das fühlt sich gut an.“ Es waren nicht einmal Narben zurückgeblieben.
 

„Ja, nicht wahr.“, stimmte Mimoun voller Inbrunst zu. Er kannte dieses Gefühl schließlich schon zur Genüge. Dann drängte sich ihm eine Frage auf. „Wie hast du ihm geholfen?“, wollte er neugierig von dem Drachen wissen. Den beunruhigenden Nebensatz Dhaômas verdrängte er lieber. Langsam ließ er seine Finger kreisen, denn Tyiasur begann an ihnen herum zu klettern und sich darum zu winden.
 

„Ich gebe ihm meine Magie.“, war die kryptische Antwort des Drachen, der jetzt von Dhaôma staunend betrachtet wurde. Zehn Meter Spannweite hatte er einfach nicht erwartet! Dieser Drache war gigantisch. Nicht so groß vielleicht wie die Mutter, aber dennoch…

Dann riss er sich zusammen. Er konnte sich denken, dass Lulanivilays Antwort Mimoun in die Irre führen würde, deshalb übersetzte er. „Er verstärkt die Magie anderer. Die Heilung hat so gut funktioniert, weil er meine Kraft verstärkt hat.“

„Sage ich ja.“ Zufrieden schüttelte der Drache die Flügel und zog sie dann wieder ein, um sie vor dem Wind zu schützen. „Wirst du mir auch helfen, Himmel?“
 

„Natürlich. Wenn ich kann.“ Magie verstärken? Da kam ihm doch eine Idee. „Wenn du mir auch einen Gefallen tun könntest? Später irgendwann?“
 

„Sicher.“, kam die Antwort schnell, die Aufmerksamkeit wurde jedoch von dem schnellen Wesen auf Mimouns Hand abgelenkt. Die goldenen Augen zuckten bei jeder Bewegung, die Pupillen adjustierten ebenso schnell. Sie funkelten förmlich, während sie Tyiasur folgten.

Dhaôma seufzte. „Ich werde jetzt zum Bach gehen. Ich brauche etwas zu trinken und möchte gerne den Staub aus meinen Haaren waschen.“

„Du solltest dich schütteln.“, kam ein abgelenkter Tipp, denn noch immer war Tyiasur interessanter.
 

Mimoun lachte aus vollem Halse. „Das versuche ich ihm auch beizubringen. Die Ansätze, die er zeigt, sind ganz nett, aber bedauerlicherweise wollte er wohl ursprünglich ein Wasserdrache werden.“ Er hielt seine Hände ein wenig auf Abstand. So versuchte er schon seit einigen Tagen dem Kleinen zum Fliegen zu bewegen. Dieses Mal tat er es, wenn auch widerwillig und unter protestierenden Quäken. Es reichte Mimoun fürs Erste. Er ließ Tyiasur wieder um seine Finger tanzen. „Kommst du allein zurecht?“, wandte er sich an den Magier. „Soll ich hier bei unserem neuen Freund bleiben?“
 

„Wie du willst.“, zuckte der Braunhaarige die Schultern. „Ich brauche eh nicht lange.“ Und dann fügte er noch hinzu, weil er Mimouns Antwort gehört hatte: „Aber selbst mit nassen Haaren wirst du wohl kaum zulassen, dass mir kalt wird. Und du scheinst Wasserwesen zu mögen. Hast schon drei adoptiert.“
 

„Drei?“ In Gedanken ging er alle infrage Kommenden durch. „Du. Tyiasur.“, zählte er laut auf, da er partout nicht auf die von Dhaôma vorgegebene Zahl kommen wollte. Fragend sah er ihn an. „Wer soll der Dritte sein? Ich mag Fische, am liebsten roh, aber das kannst du nicht meinen.“
 

„Ich meinte Fiamma. Sie ist eine Magierin und kann später schwimmen. Ich werde ihr beibringen, dass man sich regelmäßig baden muss. Und sie sollte wissen, wie man schwimmt, damit sie nicht irgendwann absäuft, wenn sie ins Wasser fällt.“

„Wer ist Frieden?“, fragte der Drache dazwischen.

„Ein Baby, das wir gefunden haben.“, antwortete Dhaôma unwirsch. Und an Mimoun gewandt fügte er hinzu: „Außerdem ist Wasser per se nichts Schlechtes. Soll ich welches mitbringen?“
 

„So schnell wird sie nicht ertrinken, schließlich passen wir bei unserem Nachwuchs generell auf, wenn Wasser in der Nähe ist.“ Mit dem Finger deutete er auf das Planschbecken des Minidrachens inmitten der Sträucher. „Wenn es ums Trinken geht, haben wir dort ein wenig. Es sei denn unser großer Freund hier…“ Bezeichnend klopfte er Lulanivilay auf die Flanke. „…hat Durst. Dann dürfte es schnell wieder leer sein und uns bleibt nichts mehr.“
 

Nachdem das geklärt war, ging Dhaôma. Und bis er zurück war, beobachtete Lulanivilay Tyiasur, der sich unablässig bewegte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KuroMikan
2014-12-01T17:23:10+00:00 01.12.2014 18:23
hallö ^^
aww .. es ist so verdammt süß wie dahouma sich so mühe gibt mit dem drachen :)
und die idee mit dem lebendigen "magieverstärker" ist echt klasse ;)
ich fand gerade irgendwie die stelle beeindruckend in der der angeblich nicht so große drache demonstriert hat das er nicht klein ist XD war irgendwie toll ^^ (ich weiß ich hab ne komische logikXDDD )
hehe freu mich drauf das nächste kapi zu lesen :)

lg Mikan


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