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Russia, our sacred homeland

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Russia, our sacred homeland
 

Es gab viele Dinge, die Amerika nicht verstand. Die Relativitätstheorie, zum Beispiel. Oder wie England es jedes Mal schaffte seine Scones dermaßen verbrennen zu lassen. Und wie Frankreich es schaffte jede Nacht mit jemand anderem zu schlafen ohne Syphilis zu bekommen! Ehrlichgesagt wollte er auch über die meisten dieser Dinge nicht nachdenken. Physik war zwar nicht schlecht, England war auch eigentlich sein Freund und Frankreich konnte er auch ganz gut leiden... Aber die Antworten lagen wohl einfach nicht in seinem Interesse.

Doch nun hatte er letztendlich doch eine Begebenheit gefunden, die ihn einfach nicht losließ: Wie konnte ein Volk jemanden lieben, der eiskalt und grausam war? Jemand der tötete ohne zu zögern und sogar dabei lächelte? Wie konnte irgendjemand nicht den Wahnsinn in diesen Augen sehen, nicht die Bosheit hinter seiner Fassade?

Wie konnte irgendjemand Russland lieben?

Jedes Volk hat ein Recht auf Mitbestimmung bei der Wahl der Nationalhymne, Amerika wusste das. Dennoch was es unerklärlich für ihn, wie das russische Volk ihre Nation dermaßen lieben konnten. Waren denn alle die von dort kamen gleich? Waren alle von ihnen sadistische Widerlinge und kriegssüchtige Patrioten? Das wollte er nicht glauben, nicht so einfach ohne irgendwelche Beweise.

Die Vorbereitung der ‚Mission Eisklotz‘ brauchte einige Zeit, aber diese Frage ließ Amerika einfach nicht mehr los. Er wollte wissen, warum die Russen ihre Nation als jemanden sahen, den es zu ehren und lieben galt! Zwei ganze Monate lernte er russisch zu sprechen, lernte allerlei über die Kultur und den Glauben, einiges über die Geschichte. Nach einer Weile war er so versessen eine Antwort zu finden, dass er nachts sogar schon von seinen Vorbereitungen träumte und er russische Phrasen vor sich hinmurmelte.

Endlich, nach einer für den Amerikaner viel zu langen Zeit, war er bereit seine Mission anzutreten. Zum Glück wurde er von England aufgezogen, so hatte er einige Vorkenntnisse im Spionieren. Von wegen der MI6 konnte das am besten! Amerika war immer noch fester Überzeugung, dass die CIA viel besser war als die langweiligen Teetrinker!

Der Blonde hatte endlich sein Ziel erreicht, verkleidet als einer dieser Kommunisten. Es war recht einfach: Seine strahlendblonden Haare unter einer Fellmütze versteckt, Kontaktlinsen in einem matten grau, ein Schal um den Hals und ein Mantel, der dem Russlands in Farbe und Länge glich, aber nicht im Schnitt (so ähnlich wollte er ihm dann doch nicht sein...).

Sein Plan war einfach: Er wollten den Russen ausspionieren und dann entscheiden, welche Charaktereigenschaften und Umstände das Volk dieses Landes dazu getrieben hatten ihre Nation so in den Himmel zu heben. Vielleicht waren sie ja gezwungen worden, wer weiß? Wenn dem so war, dann würde Amerika, die friedenschaffende Nation, ihnen zur Seite stehen und die Gerechtigkeit wiederherstellen! Er war der Held, genauso so wie es sein sollte!

Gerade jetzt befand er sich an seinem Zielpunkt, er war verdammt lange gereist und Umwege gegangen um hier unbemerkt hinzukommen. Es war gar nicht so leicht gewesen unbemerkt nach Russland einzureisen und dann querfeldein nach Moskau zu laufen... Aber natürlich war dies für Amerika keine wirkliche Herausforderung gewesen!

Grinsend stand die blonde Nation im Garten Russlands, gespannt darauf, was er nun zu sehen bekommen würde. Er lief um das Haus herum, um in jedes Fenster zu spähen. Dabei musste er sich durch einige Sonnenblumenfelder kämpfen. Hier war es wohl gerade Sommer, dass sie so schön blühten... Trotzdem war es für den sonnengewöhnten jungen Mann einfach zu kalt hier.

Als er Russland unten im Haus nirgendswo fand, kletterte er an einem Regenrohr nach oben, um auch dort durch die Fenster zu lugen. Glücklicherweise war das Schlafzimmer seines alten Feindes gleich hinter dem Fenster neben dem Rohr. He sah hinein und war überrascht davon, wie ordentlich, farbenfroh und schön dieses Zimmer war.

Interessiert blickte er sich noch ein wenig um, bis er die schlafende Nation bemerkte, die in dem Bett am hinteren Ende des Raumes schlief. Amerika hob eine Augenbraue und dachte zurück an den kalten Krieg. Würde der jetzt immer noch herrschen und er könnte all diese Leben retten... Dann würde er jetzt seine Waffe zücken und den Russen ohne Wenn und Aber erschießen.

Aber... Der Kalte Krieg war vorbei. Und das war auch gut so.

Genau in diesem Moment fiel Amerika etwas Ungewöhnliches auf: Russland hatte seinen Schal abgelegt! Nun noch ein wenig aufgeregter lehnte er sich noch dichter an die Scheibe heran, um einen besseren Blickwinkel zu erhalten. Wann hatte man schon einmal Gelegenheit den anderen ohne Schal zu sehen? Doch was er sah, überraschte und schockte Amerika zugleich. Rund um den gesamten Hals Russlands zog sich eine unschöne, sich von seiner blassen Haut abhebende Narbe. Sie sah aus, wie von einem dünnen, ins Fleisch schneidenden Strick erzeugt. Die blonde Nation konnte sich vorstellen, was für Schmerzen der frühere Kommunist da hatte aushalten müssen.

Und ganz ohne es zu wollen, fühlte Amerika auf einmal Mitleid mit dem anderen.

Es sollte nicht sein! Nein, Russland war böse, natürlich hatte er jegliche Narbe, allen Schmerz, jedes Leide, alle Pein dieser Welt verdient. Das und noch viel mehr! Er war böse, verachtenswert, kaltherzig, eine mörderische Perversion der Natur... Nicht?

Amerika sog scharf die Luft ein und versteckte sich schnell wieder hinter der Hauswand, als der Russe begann sich zu bewegen. Mit geschlossenen Augen wartete der Blonde einige Sekunden, bis er sich traute wieder um die Ecke zu sehen. Russland war aufgestanden, eine Hand lag an seinem Hals, die andere auf seiner muskulösen Brust. Langsam fragte sich die Repräsentation der Vereinigten Staaten, ob Russland wohl immer noch Schmerzen hatte. Verdammtes Mitleid!

Einige Momente verharrte der Platinblonde in seiner Position, dann verließ er den Raum. Amerika wartete noch eine Weile, ob er wohl zurückkommen würde, doch nichts dergleichen geschah. Seufzend ließ sich die Nation wieder an der Regenrinne herabrutschen. Da er den Terminplan des anderen ein wenig beobachtet hatte, wusste er, dass heute eine Volksversammlung in Moskau stattfinden würde, an der der Russe teilnehmen musste. Es waren zwar noch einige Stunden hin, aber der Kapitalist schätzte, dass die andere Nation schon vorher anwesend sein sollte.

Er hockte sich in ein Beet voll Sonnenblumen und wartete. Geistesabwesend strich er über einzelne, gelbleuchtende Blütenblätter. Die Blumen schienen gut gepflegt zu werden. Wahrscheinlich besaß Russland eine Art Gärtner, der einen grünen Daumen besaß. Er selbst konnte nicht mit diesen fragilen grünen Gebilden auskommen. Er hatte viel zu viel Kraft als dass er sie nicht aus Versehen zwischen seinen Fingern zerquetschen würde. Mit einem leisen ungeduldigen Schnauben schüttelte Amerika den Kopf. ‚Wenn der verdammte Kommunist so eine Blume anfasst, dann zerfällt sie zu Staub!‘ , dachte er sich mit Genugtuung.

Ein wenig zuckte er dann doch zusammen, als die Tür aufging und der Russe –diesmal mit dem allgegenwärtigen Schal, der seine Narbe komplett verdeckte- aus ihr heraustrat und sie dann hinter sich wider verschloss. Er trug nicht seine normale Uniform sondern nur normale Straßenklamotten: Eine Bluejeans, einen Wollpulli und eine schwarze Jacke darüber. Amerika beobachte ihn unauffällig, immer darauf bedacht nicht bemerkt zu werden. Allerdings schien Russland überhaupt keinen Verdacht zu haben bespitzelt zu werden. Er lief nur mit nachdenklich gesenktem Kopf durch seinen Vorgarten und strich sachte über ein paar Sonnenblumen. Amerika glaubte den großen Mann noch nie so vorsichtig etwas berührt haben zu sehen.

‚Vielleicht mag er Blumen ja doch?‘, fragte sich der Kapitalist schweigend als er ihm unauffällig folgte. Sie waren hier in einem äußeren Stadtgebiet von Moskau, weshalb ihnen lange Zeit niemand begegnete. Der Amerikaner verhielt sich so unauffällig wie es ihm nur möglich war, befürchtete aber doch, dass wenn es weiterhin so menschenleer blieb, er entdeckt werden könnte. Er wollte schon seine Taktik ändern, als der Russe in die U-Bahn einbog. Am Fußende der Treppe konnte man sehen, dass dort unten wenigstens mehr los war.

Mit einem tiefen Seufzen folgte Amerika ihm in den Untergrund und sah erstaunt zu, wie die Bürger die Nation grüßten, manche ihre Köpfe vor ihm neigten, andere lachten und ihm auf die Schulter Klopften und die Kinder ihren Müttern an den Röcken zupften und auf ihn zeigten. Es war fast so... Als würden sie Russland wirklich lieben und verehren...

Amerika war nicht unbeliebt bei seiner Bevölkerung, doch niemals hätte er erwartet, dass eine Nation so vertraut und liebevoll von seinen Bürgern behandelt werden konnte. Seine eignen lächelten ihm höchstens schüchtern zu, wenn sie überhaupt erkannten wer er war. Nun fast schon sprachlos folgte er Russland weiterhin schweigend und versuchte sich mit dem vertraut zu machen, was er sah.

Bald schon stieg der Aschblonde in eine Bahn und Amerika tat es ihm gleich. Er benutze eine andere Tür desselben Wagons um nicht aufzufallen. Er hatte keine Ahnung wo sie hinfahren würden, aber wahrscheinlich würde es der Ort der Volksversammlung sein, oder zumindest ein Platz in der Nähe. Nachdenklich griff er nach einem Griff um bei der Fahrt nicht umzufallen und beobachte sein Ziel aus den Augenwinkeln. Russland war dazu übergegangen mit nachdenklichem Blick aus dem Fenster zu sehen, auch wenn er ab und an seinen Blick im Abteil schweifen ließ. Also war er doch nicht so sorglos wie er vorgab zu sein!

Die junge Nation war so fixiert auf den Älteren gewesen, dass er etwas nicht bemerkt hatte. Der Russe verengte die Augen als er sich von seinem Platz erhob und herüberging zu einem groben Mann, der gerade versuchte eine Frau zu belästigen. Schützend schob die ehemalige Sowjetunion die ängstliche Frau hinter sich und sah den Belästiger mit kalten Augen an. Dieser schien unter dem Blick seiner eigenen Nation zu schrumpfen.

„Und genau wegen Leuten wie dir hat unser Land einen solchen Ruf“, sagte er mit schroffer Stimme, die ebenso anklagend wie kühl und beherrscht war, „Du solltest dich schämen. Du bist ein Teil meines Volkes; ein Teil von mir. Mit deinen eignen Taten beschmutzt du mich und mein Werk.“

Der andere Mann sackte in sich zusammen, stammelte etwas Unverständliches und schien sich auf unmöglichste Weise Schuldgefühle zu machen, genauso wie ein Kind es tun würde nachdem es eine Standpauke von der Mutter bekommen hatte. Nur noch schlimmer, so wie es schien. Immerhin waren die Worte sehr direkt und sehr stechend gewesen.

Amerika beobachte mit sich langsam weitenden Augen wie der Mann um Vergebung flehte und sich entschuldigte. Sogar die Frau bettelte er an, ihm zu vergeben. Russland winkte nur ab und deutete damit an, das er nichts zu vergeben hatte. Die Frau nickte dies alles nur ab, bevor sie mit vor Dankbarkeit und Ehrerbietung strahlenden Augen zu ihrer Nation aufsah. Sie dankte ihm mit leisen Worten und segnete ihn mit einigen wundervollen Komplimenten, bis sie ihre Haltestelle erreicht hatte und aus dem Zug ausstieg, genauso wie der Mann, der sie eigentlich hätte belästigen wollen vor ihr.

Zugegebenermaßen beeindruckt sah Amerika den Russen an, wie es die anderen Menschen im Abteil ebenso taten. ‚Vielleicht‘, fing der Amerikaner an zu bemerken, ‚Vielleicht ist er gar nicht der, für den wir ihn immer gehalten haben. Vielleicht ist er wirklich anders... Ehrenhaft.‘ Doch genauso schnell, wie ihm der Gedanke gekommen war, verwarf er ihn wieder. Immerhin war Russland sein Feind... Oder?

Wegen seinem Grübeln hätte er beinahe die Station verpasst, an der der andere ausstieg. Schnell huschte er noch durch den Türspalt und seufzte erleichtert auf, als er es gerade noch schaffte. Er wollte nur ungerne in Moskau alleine herumlaufen und verlorengehen. Nun wieder vollkommen konzentriert folgte er Russland. Auch hier war wieder dasselbe Bild: Menschen, die ihre Nation liebten und vergötterten. Nicht auf eine Art, die sagte, dass sie unterdrückt wurden oder Angst hatten... Nein, sie liebten ihn um seinetwillen. Wegen seiner anscheinenden Güte und seiner Hilfsbereitschaft. Langsam fing Amerika wirklich an, an seinen Vorurteilen zu zweifeln.

Schweigend und auch etwas verunsichert von dieser unerwarteten Situation, blieb Amerika seinem Ziel dicht auf den Fersen. Er fragte sich immer noch, ob der andere einfach keine Übergriffe erwartete oder ob er zu versunken war, um sich umzusehen. Selbst, wenn der Blonde sich in Washington aufhielt, erwartete er immer einen Hinterhalt. Ob Verfolgungswahn oder nicht, es hatte ihm schon oft genug das Leben gerettet. Allerdings liebte Amerikas Volk ihn auch nicht so innig und so einheitlich. Wahrscheinlich war das ein Grund, weshalb Russland keine Angst hatte: Was sollte man befürchten an einem Ort, an dem man von allem und jedem geliebt wurde?

‚Warum?‘, fragte sich der junge Amerikaner, mit einem Stich im Herzen, ‚Warum er und nicht ich?‘ Sich auf die Lippe beißend unterdrücke er den Gedanken. Es würde schon Gründe geben. Wenigstens respektierte sein Volk ihn und keiner würde so schnell auf die Idee kommen ihm etwas Böses zu wollen. Zumindest diejenigen, die noch ganz bei Sinnen waren.

Mittlerweile waren sie auch hier aus der U-Bahn Station gekommen und liefen nun durch einen anderen Teil der Hauptstadt. Hier waren die Gebäude größer und es war mehr Treiben auf den Straßen. Perfekt um unerkannt zu bleiben, aber erschwerend wenn es darum ging jemandem effizient zu folgen. Dennoch schaffte der Blonde es konsequent an den Fersen des anderen haften zu bleiben.

Noch eine Weile liefen sie weiter bevor etwas anderes passierte, dass sich Amerika niemals hätte träumen lassen können. Ein kleines Mädchen, vielleicht gerade vier Jahre alt, kam auf die große, eigentlich sonst immer so bedrohlich wirkende aschblonde Nation zu und zupfte vorsichtig an seinem Hosenbein. Sie blickte mit traurigen, nassen Augen zu ihm hoch, ihre Unterlippe bebend und ihre Stimme tränenschwer, als sie folgendes sagte: „Papa ist weg...“

Sobald Russland das kleine Kind bemerkte, blieb er stehen und zwang Amerika damit dasselbe zu tun. So unauffällig wie möglich stellte sich der Observierende in einen Hauseingang, um zu sehen, was nun geschehen würde.

Der Mann, der immer für böse gehalten wurde, beuge sich nach unten und nahm mit einer ungeahnten Zärtlichkeit das Mädchen auf seinen Arm. „Weine nicht, kleine Sonnenblume“, sagte er beruhigend und mit einem Lächeln, „Wir finden deinen Papa schon wieder, mh? Weit kann er doch nicht sein?“

Das Kind blinzelte die Nation an, nickte und versuchte offenbar stark zu wirken, in dem es sich über die Augen wischte, sich dann aber dennoch an den Mann kuschelte. Russland find sanft an ihr durch die Haare zu streicheln während er sich suchend umsah. Amerika presste sich tiefer in den Hauseingang und zog sich seine Mütze tief ins Gesicht. Das Schlimmste, was ihm passieren könnte, wäre erkannt zu werden. Er hatte keine Erklärung dafür hier zu sein. Zumindest keine, die er dem anderen auf die Nase binden wollte.

Die Augen des Russen streiften ihn und für einen Moment glaubte Amerika zu wissen, dass der andere ihn erkannt hatte. Er hielt die Luft an und schluckte schwer... Doch dann verließen die Augen des anderen ihn wieder. Das stechende Gefühl der Hilflosigkeit in seiner Magengegend verschwand wieder. Tief durchatmend fing die ehemals englische Kolonie wieder an die Szene zu beobachten.

„Komm mit mir, da?“, fragte Russland mit sanfter Stimme, „Auf dem Weg finden wir deinen Papa bestimmt. Und was hältst du von einem Eis, kleine Sonnenblume? Oder magst du lieber Schokolade?“

Bei jedem anderen hätte Amerika gesagt, dass es sich anhörte wie das Angebot eines pädophilen Arschloches, doch hier war das anders. Russland selbst wirkte fast selbst wie der Vater des Mädchens. Er klang nicht anders als wie ein liebevoller großer Bruder, der sich Sorgen um die kleine Schwester machte.

„S-Schokolade?“, fragte das Mädchen interessiert nach, „Mama sagt immer das ist ungesund... Aber es ist so lecker...“

Amerikas Mundwinkel zuckten leicht als er das hörte. Es erinnerte ihn etwas an seine eigene Kindheit, an die wenigen Erinnerungen zusammen mit England, der ihm großer Bruder, Mutter und Vater gleichzeitig gewesen war, bis die Revolution und somit der Bruch dieses Bandes kam. Auch England hatte ihn damals immer belehrt, dass zu viel Süßes schlecht für ihn wäre- dennoch durfte er letztendlich nach langem betteln so viel essen, wie er wollte. Diese Erinnerung stimmte ihn wehmütig, doch er konnte sich jetzt nicht ablenken lassen.

„Manchmal ist Schokolade auch gesund“, lachte Russland leise, „Weißt du? Schokolade macht glücklich. Und solange wir deinen Papa suchen musst du doch nicht traurig sein, nicht?“

Das Mädchen lächelte die große Nation an und nickte zustimmend. Russland setzte sich wieder in Bewegung und kaufte am nächsten Stand einen großen Schokoriegel, den er dann vorsichtig in die Hand der Kleinen drückte. Fröhlich fing sie an Stückchen für Stückchen zu genießen. Von Angst oder Unsicherheit war nichts mehr zu sehen, wie wirkte sogar unbekümmert. Sie wusste, dass ihr garantiert geholfen werden würde. Amerika bewunderte ihr tiefes Vertrauen.

Sie kamen dem Platz, an dem die Volksversammlung stattfinden sollte, immer näher. Die Massen strömten nun mit ihnen und es war kaum möglich den rechten Weg hier aus den Augen zu verlieren- alle liefen in ein und dieselbe Richtung. Amerika fühlte sich an ein Bild erinnert; Moses der sein Volk durch Ägypten führt, zurück in die Freiheit.

Ein dumpfes Gefühl in der Magengegend der Vereinigten Staaten verriet ihm, dass er den Russen vielleicht doch falsch eingeschätzt hatte. Sogar er selbst wurde von der fröhlichen Atmosphäre und der allgemeinen positiven Erwartungshaltung angesteckt. Die Menschen betrachteten ihre Nation mit Zuneigung, Vertrauen und etwas, das Liebe unglaublich nahekam.

Fast schon schuldbewusst sah Amerika wieder nach vorne, blickte auf den Mann, der diese Parade anführte, der so viel Glückseligkeit verbreitet hatte, alleine durch seine Anwesenheit. Der das Vertrauen dieses Volkes auch verdiente. Selbst Amerika konnte das nun nicht mehr bestreiten. Beschämt über all die Jahre des blinden Hasses, fragte er sich, was ihn bloß dazu getrieben hatte. Waren sie früher nicht einmal Freunde gewesen? Waren sie nicht Verbündete gewesen, hatten sie nicht Seite an Seite gekämpft, hatten sie nicht zusammen Krisen überwunden...? Waren sie nicht ein Mal ‚Alfred‘ und ‚Ivan‘ gewesen?

Sie betraten nun den Platz, auf dem die Versammlung stattfinden sollte. Er war riesig, schließlich sollten hier möglichst viele Leute Platz finden. Der Russe trat fröhlich summend durch die Masse, die automatisch einen Gang für ihn formte. Unzählige Leute strahlten Russland an, manche klopften ihm aufmunternd auf die Schulter, andere verneigten sich leicht vor ihm. Nach einiger Zeit blieb der Amerikaner in der Masse stehen, um zu beobachten wie der andere die Bühne betrat.

Das Mädchen in seinen Armen schaute vergnügt umher, als würde sie den Trubel genießen. Sie hielt sich dicht an Russland, bis sie aufgeregt in die Masse deutete. Lächelnd ging Russland zum Rand der Bühne und reichte einem unglaublich erleichtert wirkendem Vater das kleine Mädchen. Sie löste sich erst von ihrem Beschützer, nachdem sie ihm einen schokoladen-verschmierten Kuss auf die Wange drücken konnte. Der Vater schien sie darauf schelten zu wollen, doch selbst aus der Entfernung konnte Amerika verstehen, dass der Aschblonde ihn davon abhielt.

Bald schon verschwand der Vater mit der Tochter wieder in der Menge und Amerika widmete sich wieder ganz der einzelnen Person, die jetzt auf der Bühne stand. Bald schon wurde ihm ein Mikrofon gebracht, woraufhin der Russe nur belustigt schaute und dankend nickte. Er sah zurück in die Menge, schien jedem ein Mal ins Gesicht blicken zu wollen. Immer noch strömten tausende auf den Platz, bald würde es nicht mehr voller werden können.

Russland schien sich noch ein Mal sammeln zu wollen, bevor er anfing mit kräftiger, aber doch sanfter und wohlklingender Stimme zu sprechen: „Mein Volk“, fing er an, „Meine Kinder... Meine Familie.“

Ein fast schon spitzbübisches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Darf ich auch die kleinsten um ein wenig Ruhe und Aufmerksamkeit bitten? Heute ist ein besonderer Anlass. Ein Tag der Freunde, ein Tag, an dem wir so viel vergessen können. Ein Tag für einen Neustart. Ein Tag, um etwas aufzubauen, das schon viel zu lange in Trümmern lag.“

Kein Mucks kam mehr von den Zuschauern. Alle sahen gebannt zu ihrer Nation auf, die meisten mit einem fragenden und erwartungsvollen Blick, andere nun ein wenig skeptisch und unsicher. Doch bei allen war die Zuneigung um kein Stück gewichen.

Kurzes Schweigen folgte, auch von Seiten Russlands, bevor er fortfuhr. „Heute wollen wir versuchen Frieden zu finden. Meinen Frieden, euren Frieden, inneren Frieden... Wir wollen Sicherheit erschaffen und Schlimmeres abwenden, wir wollen vergeben und vergessen, alten Zwist beiseitelegen. Wir wollen Freundschaften wieder aufgreifen, die wir schon so lange verleugnet haben...“

In diesem Moment sah Russland direkt in Amerikas Augen, die sich daraufhin weiteten. Er wollte schon in der Masse untertauchen und eine hektische Flucht vorbereiten, als die nächsten Worte folgten.

„Es gibt da jemanden, den ich euch gerne vorstellen würde. Einen alten Freund von mir, jemand, der mir immer noch unglaublich am Herzen liegt... Den ich jedoch eigentlich schon vor langer Zeit verlor und im Stich ließ. Jemand, den ich wagte meinen Vertrauten und besten Freund zu nennen. Jemand, der einmal für mich ‚Alfred F. Jones‘ hieß, dennoch heute nur noch als ‚die Vereinigten Staaten von Amerika‘ bezeichnet wird... Alfred... Willst du dich zeigen oder nicht? Ich stelle es dir frei.“

Amerikas Körper war wie betäubt, doch seine Gedanken rasten. Wann hatte Russland ihn nur bemerkt? Wie hatte er seine Verkleidung durschschaut? Und was zur Hölle wollte er damit bezwecken? War dies eine Taktik um ihn zu einem Bündnis zu zwingen? Vor den Augen aller ihn in Verlegenheit zu bringen?

Seine Augen blitzen auf mit dem Trotz, der schon immer tief in ihm geschlummert hatte. Er hatte diese kindische Eigenschaft nie abgelegt, ebenso wenig, wie den Wunsch irgendwann ein Held zu sein.

Kurzentschlossen machte er einen Schritt vorwärts und zog so die Aufmerksamkeit aller auf sich. Überrascht starrten sie in sein Gesicht, manche wirken feindselig, andere nur perplex, doch der Großteil schien sich... zu freuen?

Nun doch etwas verwirrt und mit leise anschleichender Unsicherheit erklomm er die Treppe und ging auf die Mitte zu um sich neben Russland zu stellen. Er warf ihm einen stirnrunzelnden Blick zu, doch er erhielt nur eines dieses untypisch sanften Lächelns.

„Ich habe ihn persönlich eingeladen“, erklärte Russland, erzählte seinem Volk eine Lüge, „Also bitte behandelt ihn wie einen von uns. Denn das ist er. Er ist immer noch mein Freund, mein bester Freund, egal, was auch immer er über mich denken mag.“

Amerikas Augen weiteten sich ein weiteres Mal. Er hatte nie eine Einladung erhalten. Russland hatte so eben zu seinem Schutz eine Lüge an sein ebenso geliebtes Volk verteilt. Und das alles nur... Für ihn? Was dachte sich der Russe bloß dabei?

Der Aschblonde drehte sich wieder zu ihm, seine Augen hielten diesmal einen Ausdruck, den man schon fast als verletzlich und fragend werten konnte. „Möchtest du ein paar Worte an meine Famile richten, Alfred?“

Erwartungsvoll sah die Masse zu ihnen auf. Amerika schenkte ihnen einen kurzen Blick, bevor er dem Russen einen stechenden, forschenden Blick entgegenschleuderte, aber dennoch das Mikrofon von ihm annahm. Als sich ihre Hände kurz berührten, fühlte der Blonde wie nervös der andere eigentlich war. Seine Hand zitterte leicht und sie war schon leicht verschwitzt. Offenbar hatte er sich sehr vor diesem Moment gefürchtet.

„Danke... Ivan“, sagte Amerika nach kurzem Zögern, „Deine Einladung kam, wie du weißt, sehr unerwartet... Doch ich war glücklich ihr nachzukommen. Wer will schon keinen Frieden haben?“ Ein ironisches Lächeln flog für einen Moment über seine Züge. „Auch muss ich zugeben, dass du mich in mehr als diesem Punkt überrascht hast. Ich hatte keine Ahnung über den Umgang, den du mit deinem Volk pflegst... Es ist bewundernswert wie viel Vertrauen du entgegengebracht bekommst. Und ehrlichgesagt hatte ich bis heute auch nicht erwartet, dass du solches verdienst. Doch meine Sicht auf die Dinge... Haben sich ein wenig verändert, nehme ich an.“

Der Russe lauschte ihm aufmerksam, gegen Ende zeichnete sich Erleichterung auf seinem Gesicht ab. „Nun, ich denke, das ist ein positives Zeichen. Von meiner Seite aus, Alfred, bist du ab jetzt in diesem Land willkommen. Ich finde Vergangenes kann nun endlich in der Vergangenheit ruhen... Und wir sollten einen Neustart wagen.“

Für einen Moment zögerte der Kleinere, suchte fieberhaft nach einem Harken an der Sache, nach einem Hinterhalt, der List... Doch er kam zu keinem Schluss. Auch die Augen seines ehemaligen Freundes zeigten nur Aufrichtigkeit und kaum merkliche Angst. Das Mitleid und das neugewonnene zögerliche Vertrauen zu dem anderen kehrten zurück und er nickte ihm zu, schenkte ihm sogar ein Lächeln.

Russland –nein, Ivan- lächelte zurück, zeigte ihm seine Freunde, Erleichterung und die altbekannte Zuneigung, die sie eigentlich schon immer gehegt hatten, offen in seinen Augen. Diesmal ohne zu zögern streckte Alfred seine Hand aus und grinste schief als er die des anderen drückte. Irgendwie hatte ihm all das gefehlt.

Einen Moment war alles still um sie herum, dann fingen die ersten Menschen an zu klatschen. Erst gesellten sich nur wenige dazu, doch bald verbreitete sich die ansteckende Freude auf die gesamte Menge und tosender Applaus schallte ihnen entgegen. Ivan wurde ein wenig rot um die Nasenspitze und auch Alfred konnte sich ein verlegenes Glucksen nicht verkneifen.

„Ich will dir aber mal nicht die Show stehlen, Großer“, sagte der Blonde, als der Applaus endlich abebbte. Ivan schüttelte nur den Kopf und zwinkerte ihm zu, doch er hielt ihn nicht auf, als er von der Bühne ging. Doch diesmal begegnete dem Amerikaner keine Feindseligkeit, eher grinsten die Leute ihn an, oder sie fassten ihn an den Armen, Schultern oder Händen, wohl als Zeichen der Aufnahme. Mit einem Mal fühlte sich Alfred sicher und geborgen hier, nicht wie ein Fremder, der in Gefahr ist.

Bald schon fuhr Ivan mit seiner Rede fort, erklärte seinem Volk einiges, brachte manche zum Lachen, beglückwünschte so einige und Alfred war sich relativ sicher, dass nach Russlands schwärmen über seine heißgeliebten Sonnenblumen mindestens die Hälfte der anwesenden welche extra für ihn anbauen würden.

Immer wieder huschte der Blick der anderen Nation zu Amerika, der inmitten der Menge stand und ihm ebenso gebannt lauschte wie der Rest auf dem Platz. Zu bald schon endete die Rede, doch bevor Russland die Bühne verlassen konnten, fing ein jeder Mann auf dem Platz an zu singen. Alfred sah sich überrascht um, bevor er das Lied erkannte, das sie sangen. Ein Lied, um ihre geliebte Nation zu feiern, ein Lied über Stolz und Vertrauen. Mit einem warmen Gefühl in der Magengegend sah Alfred zu Ivan auf und stimmte mit ein in den Gesang.

Russland - unser geheiligtes Land,

Russland - unser geliebtes Land,

gewaltige Freiheit und großer Ruhm

sind dir zu Eigen für alle Zeiten!

Sei gepriesen, unser freies Vaterland,

uralter Bund brüderlicher Völker,

von den Ahnen überlieferte tiefe Weisheit.

Land, sei gepriesen! Wir sind stolz auf dich!

Von den südlichen Meeren bis zum Polargebiet

erstrecken sich unsere Wälder und Felder.

Du bist einzig in der Welt! Du bist so einzig

von Gott zu beschützendes Heimatland!

Sei gepriesen, unser freies Vaterland,

uralter Bund brüderlicher Völker,

von den Ahnen überlieferte tiefe Weisheit.

Land, sei gepriesen! Wir sind stolz auf dich!

Einen weiten Raum für Traum und Leben

werden künftige Jahre uns eröffnen.

Treue zum Vaterland gibt uns die Kraft.

So war es, so ist es, so wird es immer sein!

Sei gepriesen, unser freies Vaterland,

uralter Bund brüderlicher Völker,

von den Ahnen überlieferte tiefe Weisheit.

Land, sei gepriesen! Wir sind stolz auf dich!
 

„Mission Eisklotz erfolgreich beendet.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Festung-CookieCorner
2013-12-08T13:26:34+00:00 08.12.2013 14:26
Wunderschöne ff ich liebe sie! Schöne idee und schön beschrieben.
Von: abgemeldet
2013-08-11T09:16:59+00:00 11.08.2013 11:16
hy, ein wirkliches schönes fanfic
ich weiß gar nicht was ich schreiben soll -_- es ist so schön
Man sollte den Menschen/das Land kennen bevor man sich eine Meinung bildet, dass wolltest du doch rüber bringen oder?
Eine frage aber hätte ich noch wenn der kalte krieg vorbei ist wieso schreibst du denn Kapitalist und Kommunist? (es ist nicht böse gemeint, es ist ja deine Sache. Ich habe kein Problem damit aber ich bin neugierig ^^)
Also noch mal großen Lob ich finde es toll ;-)
lg saphira6667
Antwort von:  Francis-Bonnefoy
11.08.2013 12:02
Hallo :)
Vielen Danke für deine Rückmeldung ;)
Der Grund weshalb ich Kapitalist und Kommunist schreibe, ist eigentlich der, dass ich ein anderes Wort für die beiden brauchte und nach langer Überlegung einfach zu diesen kam. Außerdem kann man sagen, dass großteile der russischen und amerikanischen Bevölkerung noch immer ein Leben führen, das teilweise an die kommunistischen/kapitalistischen Grundsätze angelegt ist... Du darfst mir gerne widersprechen und ich glaube bei Russland schrieb ich auch 'ehemaliger Kommunist'.
Ich hoffe das beantowrtet deine Frage größtenteils :)
Noch ein Mal danke für dein Review ;)

lG Francis-Bonnefoy


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