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Seelensplitter

von

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Hässliche Enten, Panikattacken und schöne Schwäne Teil 2

Oder: Shoppingtour und verletzte Gefühle
 

Ich soll weiter erzählen? Warum interessieren Sie sich so sehr für jemanden, der mit der ganzen Sache nichts zu tun hat?

Jaja, schon gut! Ich erzähle ja schon!
 

***
 

„Warum machen wir das eigentlich?“

Rose ließ sich auf einen freien Stuhl (auf den anderen stapelten sich Kleider) vor den Umkleidekabinen im Kaufhaus sinken und streckte die Füße von sich.

Sie tourten jetzt schon mehrere Stunden durch die Einkaufsläden und ihr taten die Füße weh!

„Weil wir beide einen riesigen Helferkomplex haben?“

Alera ließ sich auf die Sitzgelegenheit neben ihr sinken, schlüpfte aus ihren High Heels und begann, ihre Zehen hin und her zu bewegen.

„Und Chris will Jasmine einfach nur helfen, sich selbst zu finden, der Mensch zu werden der sie unter der unscheinbaren Hülle eigentlich ist!“ schloss Rose für sich selbst.

„Heißt das nicht eigentlich, dass sie auch einen Helferkomplex hat?“

Aleras Augen funkelten amüsiert.

„Sollen wir uns in Zukunft das ‚Komplex-Quartett‘ nennen?“

„Wie findet ihr das?“

Der Vorhang der Kabine öffnete sich und gab den Blick auf Jasmine frei, gekleidet mit einer lila Bluse und einer schwarzen Hose.

„Lila steht dir nicht!“ entschied Alera und schüttelte den Kopf.

„Probiere mal eine andere Farbe, vielleicht grün oder rot!“

„Hey, ich habe hier noch ein paar Sachen!“

Chris trug einen bunten Stapel mit allen möglichen Kleidungsstücken auf dem Arm.

„Du kannst gleich alles wegtun was lila ist!“

„Hättest du das nicht früher sagen können?“ grummelte die blonde, hob den oberen Teil des Stapels ab und drückte ihn ihrer Cousine in die Hände.

Dann nahm sie ein lavendelfarbenes Kleid und hängte es an den Ständer zum wieder einsortieren, gefolgt von einer lila Hose.

„Was gibt es neues über Smith?“ fragte Chris im Flüsterton, während Jasmine sich etwas anderes anzog.

„Du meinst außer dass der Mistkerl Frau und Kinder schlägt?“

Aleras Gesicht verfinsterte sich, das grau ihrer Augen wurde kräftiger und überdeckte das grün.

Chris hatte das schon öfters beobachtet, die Augen der schwarzhaarigen änderten ihre Farbe tatsächlich je nach Stimmung.

Bei Rose war das genauso und bei ihr selbst?

Sie nahm sich vor Jack danach zu fragen.

„Mach dir keine Sorgen, wir haben bald genug Material, um ihm einen Tritt in den Allerwertesten zu verpassen!“

Der sich öffnende Vorhang unterbrach ihr Gespräch von neuem.

„Das sieht schon besser aus, was meint ihr?“

Satt einer Antwort legte Alera den Kopf schief und runzelte die Stirn, nur um dann wortlos aufzustehen und strümpfig in die Umkleidekabine zu tapsen, während die Pradas unbeachtet auf dem Boden liegen blieben.

„Wo ist er denn? Ich habe ihn doch gesehen!“

Die drei anderen Mädchen warfen sich gegenseitig verwirrte Blicke zu, zuckten mit den Schultern und schauten der vierten im Bunde weiter beim durchwühlen des Kleiderhaufens zu.

„Na bitte!“

Mit einem strahlenden Lächeln zog Alera einen Rock aus dem Stapel.

„Hier, probiere den mal an!“

„Aber…“

„Keine Wiederrede!“

Sie griff nach einer Feinstrumpfhose, drückte sie Jasmine in die Hand und schob sie in die Kabine zurück.

„Ich gehe mal schnell ein paar passende Schuhe suchen!“ mit diesem Worten verließ sie den Umkleidebereich, musste aber noch einmal umdrehen um ihre Schuhe zu holen.

Der Stiftrock hörte ein paar Zentimeter über dem Knie auf, war also keineswegs knapp, aber Jasmine hatte trotzdem das dringende Bedürfnis ihn nach unten zu ziehen.

„Wow! Du hast so tolle Beine und zeigst sie nicht? Bist du des Wahnsinns?“

Chris stemmte eine Hand in die Hüfte und zeigte anklagend mit einem Finger der anderen auf besagte Beine.

Das laute Klacken von Absätzen kündigte Alera an und bewahrte Jasmine vor einer Antwort.

„Also dieser Rock, ich weiß nicht…“

„Zieh die an!“ mit diesen Worten wurde ihr ein paar Stilettos in die Hand gedrückt.

Die Schuhe machten Jasmine gute zehn Zentimeter größer, waren aber höllisch unbequem und laufen ging überhaupt nicht.

„Oh Mann, mit solchen Beinen würde ich nur noch Miniröcke tragen!“

Chris klatschte in die Hände und machte sich wieder auf den Weg Richtung Verkaufsraum.

„Wir brauchen mehr Röcke, vielleicht ein paar Hotpants und vor allem flachere Schuhe!“

„In Ordnung!“ antwortete Alera und beide Mädchen verschwanden zwischen den Ständern.

Rose (ein bekennender Shoppingmuffel) schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Wand hinter sich, während Jasmine noch ein paar Kleidungsstücke anprobierte.
 

Zwei Stunden später saßen die vier in einem gemütlichen Café, tranken wahlweiße Tee, Kaffee oder heiße Schokolade und knabberten an Keksen.

„Und jetzt?“ fragte Jasmine nach einigen Schlucken.

„Was mache ich jetzt?“

Drei paar Augen richteten sich auf sie und irgendwie hatte sie die Vermutung eine ziemlich blöde Frage gestellt zu haben.

„Nun, das hängt von dir ab!“

Alera biss in ihren Schokokeks, kaute und schluckte.

„Du kannst weitermachen wie bisher oder eben nicht. Deine Entscheidung!“

Die Braunhaarige starrte in ihre Tasse und biss sich auf die Lippe.
 

Eine Woche später war die Verwandlung abgeschlossen.

Durch den flotten Kurzhaarschnitt mit den blonden Strähnchen hatte ihr Haar mehr Volumen, und mit der schicken neuen Brille und ein paar anderen Accessoires hatten sie bewusst Akzente gesetzt.

Kurz: Jasmine sah vollkommen anders aus als letzte Woche.

Ihre Klassenkammeraden hatten sie sogar gefragt, ob sie neu an der Schule sei!

Alera machte sich zwar Sorgen deswegen, aber alles in allem lief die Sache eigentlich sehr gut.

Sie hoffte nur, dass Henrik nicht wieder alles kaputt machte.
 

Jasmine drehte sich vor dem Spiegel hin und her und hatte dabei das Gefühl auf Wolken zu schweben.

Sie hatte ein Date!

Mit einem absoluten Traumtypen!

Vor Aufregung zitterten ihre Hände so sehr, dass ihr beinahe die Ohrringe aus der Hand gefallen wären.

Die Perlen in verschiedenen Blautönen passten zu ihrem Oberteil, ebenso die taubengrauen Wildlederpumps.

Wer hätte gedacht, dass es nur einer Shoppingtour bedurfte um sich zu verändern?

Mit diesem Gedanken schnappte sie sich ihre Handtasche und schwebte geradewegs zur Tür hinaus.

Eine dreiviertel Stunde später hatte ihre gute Laune allerdings einen ordentlichen Dämpfer bekommen, denn eigentlich hätte Henrik sie vor etwa zwanzig Minuten treffen sollen.

Hatte sie sich im Datum vertan?

In der Urzeit?

Oder etwa am Ort?

Ehe sie allerdings einen hysterischen Anfall bekommen konnte legten sich Hände auf ihre Schultern, drehten sie herum und bevor sie sich versah drückte Henrik seine Lippen auf ihre.

„Hallo meine schöne!“

Sein Lächeln war absolut entwaffnend und lies den Impuls ihm eine Ohrfeige zu verpassen ebenso schnell verschwinden wie ihre Wut über seine Verspätung oder ihre Verwirrung darüber, dass er sie genauso anredete wie neulich Alera.

„Hallo!“

Verlegen lächelnd strich Jasmine sich eine Strähne aus der Stirn, die sie eigentlich gar nicht gestört hatte, schob ihre Brille nach oben und strich ihre Bluse glatt, einfach weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte.

Henrik bot ihr den Arm an und gemeinsam schlenderten sie über den Marktplatz.

Das Essen war absolut köstlich, aber trotzdem wäre Jasmine lieber in irgendeine Pizzeria gegangen.

Hier gab es viel zu viel Besteck auf einem Haufen (fing man innen oder außen an?), die Hälfte der Gerichte kannte sie nicht und überhaupt war die Atmosphäre für ein Date denkbar ungeeignet!

Und irgendwie wusste sie nicht, über was sie mit ihrem Gegenüber reden sollte und so blieb das Gespräch oberflächlich.

Lehrer, Mitschüler, das Wetter…

Aber wenn sie einander erstmal besser kannten würde sich das ändern, da war Jasmine sich sicher!
 

Alera wusste nicht so recht was sie hiervon halten sollte.

Es war neun Uhr abends, sie kam gerade aus dem Bad und auf ihrem Bett saß ein in Tränen aufgelöstes Mädchen dessen modischer Bob ziemlich zerzaust aussah, als ob die immer wieder mit den Händen durchgefahren wäre.

„Jasmine? Was ist denn los?“

Und was tat sie hier?

Normalerweise wurden Gäste in das kleine Wohnzimmer oder den Salon gebracht, aber naja, wer wollte schon heulend im Wohnzimmer fremder Leute sitzen?

Statt einer Antwort schluchzte das Mädchen munter weiter und auch Umarmungen und tröstende Worte brachten Alera kein Stück weiter.

Nach kurzem Zögern schnappte sie sich ihr I-Phone und verschwand mit den Worten „Ich bin gleich wieder da!“ aus dem Zimmer.

Christiane hob nach dem dritten Klingeln ab.

„Kannst du vorbeikommen? Jasmine weint sich hier die Augen aus und ich bekomme sie einfach nicht zum Reden!“

„Okay, Jack fährt mich bestimmt!“

Inzwischen war Alera bei der Küche angekommen.

„Gut. Wenn er keine Zeit hat ruf an, ich schicke dir einen Chauffeur!“

„Bitte nicht! Ich erinnere mich noch zu genau an die Reaktion der Nachbarn, als ich an unserem Shoppingtag von einem Bentley angeholt und wieder gebracht wurde! Sie reden immer noch darüber!“

„Wäre dir ein Mercedes oder ein BMW lieber? Oder doch ein Jaguar?“

„Angeberin! Okay, ich muss Schluss machen, da kommt Jack. Ich denke, ich bin in einer halben Stunde bei dir!“

Als Alera fünfzehn Minuten später ihre Zimmertür aufstieß balancierte sie ein Tablett mit einer Kanne heißer Schokolade, Tassen und einem Berg Schokokekse mir Mandelsplittern (diese Situation schrie förmlich nach einer Überdosis Schokolade!) auf ihren Händen, ihrer Meinung nach das beste Mittel gegen Traurigkeit.

In den letzten Wochen und Monaten hatte sich gezeigt, dass Chris nahezu jeden dazu bringen konnte, sich ihr anzuvertrauen.

Und das tolle (oder schlimme) daran war, dass man es überhaupt nicht merkte!

Sie blieb zufällig an der Bushaltestelle neben jemandem stehen, sagte ‚Hallo‘ und ehe man sich versah erzählte man ihr seine dunkelsten Geheimnisse.

Wenn also jemand befragt oder Informationen gesammelt werden mussten, dann war Christiane die Richtige.

Und ganz offensichtlich erging es Jasmine nicht anders als dem Rest der Welt: innerhalb einer Dreiviertelstunde hatte die Blonde ihr die ganze Geschichte entlockt.

Dass Henrik ein totaler Arsch war, das er immer alles anbaggerte was weiblich war, auch wenn sie dabei war, dass er nie zuhörte, sich im Grunde nicht für sie interessierte und auch nie eine echte Beziehung gewollt hatte.

„Hey!“ Alera legte ihr einen Arm um die Schultern.

„Der Typ hat dich nicht verdient, er ist ein Idiot!“

Wütend schüttelte Jasmine den Arm wieder ab.

„Jetzt spiel dich hier nicht so auf! Du Flittchen weißt doch gar nicht wie das ist!“

Alera schreckte zurück und Jasmine hätte sich am liebsten die Zunge herausgeschnitten.

Das Entsetzen stand Alera ins Gesicht geschrieben und in ihren Augen sammelten sich Tränen.

Warum hatte sie das gesagt?

Alera war eigentlich sehr nett und sie konnte doch auch nichts dafür, dass Henrik andauernd davon redete, dass er sie irgendwann noch rumkriegen würde.

Sie konnte nichts dafür das sie attraktiv war und vor allem nicht dafür, dass Jasmine selbst etwas in diesem Dreckskerl gesehen hatte, dass einfach nicht vorhanden war.

„Ich… es… hör mal…“ begann sie, doch die schwarzhaarige schnitt ihr das Wort ab.

„Was weißt du schon! Du kennst mich nicht, du weißt nur, was andere über mich erzählen, also solltest du besser aufpassen, was du sagst!“

Mit diesen Worten rauschte Alera aus ihrem Zimmer und schloss die Türe geräuschlos hinter sich, was viel beängstigender war als wenn sie sie mit einem lauten Knall zugeschlagen hätte.

Zurück blieben Jasmine, die jetzt völlig mit den Nerven am Ende war und Chris, die innerlich vor Wut kochte.
 

Alera saß zusammengekauert auf der gemütlichen Couch in ihrem Wintergarten, doch den vertrauten Geruch der weißen Teerosen und das üppige Grün der Pflanzen, um die sie sich jeden Tag gewissenhaft kümmerte, bemerkte sie überhaupt nicht.

Dabei war das ihr liebster Raum im ganzen Haus!

Warum reagierte sie so?

Sie war es doch gewöhnt!

Nach der Adoption hatte sich die Meinung ziemlich schnell festgefahren: ‚geldgierige Erbschleicherin‘!

Und wenn man schon dabei war, dann konnte man ihr auch noch den Ruf einer Schlampe anhängen.

Obwohl, daran war sie zum Teil auch selbst schuld, schließlich kleidete sie sich nicht gerade Nonnenhaft.

Aber gab das den Leuten die Berechtigung über sie zu urteilen?

Und warum fielen diese Urteile nie zu ihren Gunsten aus?

Die tröstende Hand auf ihrer Schulter ignorierte sie, in der Hoffnung, dass Christiane sie in Ruhe lassen würde.

Das tat sie natürlich nicht, wie konnte es auch anders sein!?

„Kann man denn nicht einmal in Ruhe schmollen?“

Alera bemühte sich um ein möglichst beleidigtes Gesicht.

„Du schmollst nicht! Sie hat dich verletzt, höchstwahrscheinlich deswegen, weil es nicht stimmt, oder?“

Sie unterdrückte ein freudloses Lachen.

Chris lag vollkommen falsch.

Sie war lediglich an eine unangenehme Wahrheit erinnert worden.

‚Hätte deine Mutter doch nur auf mich gehört und dich abtreiben lassen! Dann wäre das alles nie passiert!‘

Sie schob die Erinnerung in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses.

Sie wollte nicht an ihren Vater denken, nicht daran wie er, fast Wahnsinnig wegen des Verlusts seiner geliebten Frau, absolut unverzeihliche Dinge gesagt hatte.

Für die achtjährige war damals das letzte bisschen heile Welt zersplittert, wie eine Vase, die auf den Boden fiel.

Inzwischen verstand sie ihn zwar besser, aber verstehen und verzeihen waren zwei Paar Stiefel und ein Teil von ihr war einfach immer noch das verletzte Kind, das sich nach der Liebe ihres Paps sehnte.

Doch sie würde sich hüten, Chris irgendetwas davon zu erzählen.

Wer wusste, was sie ihr sonst noch alles aus der Nase zog?

Also bis Alera sich auf die Zunge, legte den Kopf auf ihre Knie und lies sich stumm trösten, während Selbstmitleid und verletzte Gefühle sich langsam aber sicher in brodelnde Wut umwandelten.

‚Zähle bis drei und schlucke!‘

Nachdem Chris und Jasmine gegangen waren überlegte sie kurz, ob sie ihren Besuch bei Smith ein wenig nach vorverlegen sollte, entschied sich dann aber dagegen.

Bei ihrer momentanen Stimmung hätte sie den Dreckskerl vermutlich krankenhausreif geprügelt und das war nicht der Plan.

Angst machen ja, aber Gewalt erst dann, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gab.

Das war eine der Regeln, die sie anfangs aufgestellt hatten.

Also ging sie stattdessen in den Fitnessraum und begann dort solange mit bloßen Fäusten auf einen Sandsack einzudreschen, bis ihre Knöchel von der rauen Oberfläche blutig waren.
 

***
 

Ich habe nie behauptet, dass wir gute Freundinnen waren!

Für das mit dem Flittchen hat sie sich zwar entschuldigt, aber vergessen haben wir es beide nicht. Es hing wie ein Schatten über uns… ich bin nachtragend, wissen Sie?

Aber als sie mit Damian zusammenkam haben wir stillschweigend darauf geeinigt, uns wie erwachsene und zivilisierte Menschen zu benehmen.

Und eigentlich kamen wir ganz gut miteinander aus und wenn wir ein Gesprächsthema brauchten lästerten wir einfach ein bisschen über Henrik.

Ja, wenn ich weniger nachtragend wäre hätten aus uns bestimmt sehr gute Freundinnen werden können, aber ich kann das ebenso wenig abstellen, wie Sie ihre Neugier!



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