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402 Jahre später

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"Hast du etwa daran gezweifelt?"

„Ying-Dai, warum tust du nichts?“, keuchte Shinda atemlos, als er sich endlich zu seinem weißhaarigen Bruder vorgekämpft hatte, welcher mit verschränkten Armen herumstand und zusah, wie sich Maya mit einem undefinierbaren Unterweltwesen von der Größe einer Katze balgte. Mitten in dem ganzen Schlachtgetümmel bildete Ying-Dais Präsenz eine regelrechte Insel. Im Umkreis von 2 Metern um ihn herum befand sich niemand, von ihm schienen alle Abstand zu halten.

Der Eisdämon richtete seinen emotionslosen Blick auf Shinda. „Was erwartest du denn, was ich tun soll?“

„Du sollst Maya helfen!“

„Sagt wer?“

„Ich ... ach, vergiss es!“

„Der ach so große Hexer wird sich doch wohl selbst helfen können. Du hast gesagt, ich soll ihm nichts antun. Davon, daß ich auch noch seinen Hintern retten soll, war keine Rede.“, erklärte Ying-Dai gelassen, während Shinda das schwarze, pelzige Ding mit dem riesigen Maul aus Mayas Genick pflückte. „Andererseits ...“, fügte er an „hast du eigentlich Recht. Ich sollte dafür Sorge tragen, daß niemand vor mir ihn umbringt. Das ist schließlich mein Privileg.“

„Idiot.“, maulte Shinda, und es war nicht ganz klar, ob er damit den Weißhaarigen oder Maya meinte, welcher sich wieder aufrappelte.
 

„Was zur Hölle geht hier vor?“, wollte Maya verärgert wissen, gar nicht verwundert oder gar ängstlich. Es war der Trotz, mit dem man auf neue Tatsachen reagierte, die einem schonmal jemand früher hätte sagen können. „Hat der Krieg etwa schon begonnen? Ich habe gerade Terry vorbeikommen sehen, sie sah total gruselig aus.“

„Nein, das war nicht Terry, das war Fünf. Sie ist jetzt von ihm besessen. Simius Venator ist erschienen!“

„Dieses Ding da?“

„Der Jagende Affe, ja.“

„Oh!? Fünf hat mich vor dem gewarnt! Der soll übel drauf sein!“, fand der Geschichte-Student und sah sich mit doch etwas ungutem Gefühl nach dem Zentrum der Kämpfe um. Dann wusste er auch, wieso Fünf sich bereits jetzt schon in seinen menschlichen Körper – Terrys Körper – zurückgezogen hatte. Sie wären sonst alle beide hier in diesem Kampf draufgegangen. Der Jagende Affe hätte Terry wohl einfach getötet, wenn er sie ungebunden in die Finger bekommen hätte. Er hasste Menschen. Und nur ein besessener Mensch war unaufhaltbar und nicht zu töten. Genauso wie ein Unterwelt-Dämon nur dann nicht verletzt werden konnte, solange er in einem menschlichen Körper steckte.

„Das wird Fünf dir nicht ohne Grund gesagt haben!“, maulte Shinda ungeduldig, schnappte Maya am Handgelenk und zerrte ihn aus dem Schlachtgetümmel heraus, als sich der tobsüchtige Gorilla langsam in ihre Richtung vorzuarbeiten begann. Manchmal ärgerte er sich, daß er nur sich selbst teleportieren konnte. Er hatte nie gelernt, dabei andere Menschen, Dämonen oder sonstwelche lebenden Wesen mitzunehmen. Dazu reichte sein Talent einfach nicht.

„Warum tickt der so aus?“, wollte Maya noch wissen.

„Wegen dir, du Depp! Du solltest gar nicht hier sein! Er will dich beseitigen, bevor die eigentliche Schlacht anfängt!“

„Warum?“

„Weil der ganze Krieg mit all seinen Ergebnissen und Folgen hinfällig wäre, wenn du bei Schlachtbeginn noch hier bist.“

„Warum?“

„Verdammt, Maya, frag doch jetzt nicht sowas. Das erklär ich dir später.“ Der Dämon in der schwarzen Leder-Kombi zog Maya unerbittlich weiter hinter sich her, quer durch die wogende Meute, in die sich zunehmend diese undefinierbaren, schwarzen, katzengroßen Biester mischten. Es waren kleine, langarmige Affen, wie Shinda jetzt feststellte. Das war Simius Venators Hundertschaft. Seine Dämonen schienen keine humanoide, sondern eine tierische Gestalt zu haben.

Der Fahnenträger der Ewigen Krähe kam ihm laut brüllend entgegen und führte Felkas Heer ebenfalls mitten in diesen Tumult hinein, um sich dem Jagenden Affen entgegenzuwerfen. Jetzt wurde es eng hier unten in dieser Klamm. Es schien, als würde nun keiner mehr etwas auf den offiziell vereinbarten Startzeitpunkt des Krieges geben. Aber das war Shinda jetzt auch erstmal egal. Nur eines störte ihn gerade noch an dem ganzen Wust hier. Wieso versuchten alle Hundertschaften, den Jagenden Affen aufzuhalten, statt ihm einfach freie Bahn zu lassen, damit er sich um Maya kümmern konnte? Damit wäre doch eigentlich allen geholfen gewesen. Jede der Parteien wollte Maya loswerden. Abgesehen vielleicht von Fünf, dem Maya herzlich egal zu sein schien.
 

Plötzlich begann der Junge sich gegen Shindas Griff zu sträuben. „Lass mich los!“, verlangte er in fast fluchendem Tonfall und zerrte entgegen der Richtung in die er gezogen wurde. „Wenn der Affe mich will, soll er mich kennenlernen!“

„Maya, merkst du noch IRGENDWAS? Der wird dich umbringen!“

„Den schaff ich mit links!“

„Du warst schon gegen Fünf machtlos! Weist du, was dann erst der Jagende Affe mit dir anstellen wird? Du arroganter, großfressiger ...“

Maya holte aus, stempelte ihm die Faust mit voller Wucht ins Gesicht und unterbrach ihn damit. Shinda wurde schlagartig schwarz vor Augen. Und als er seinen Freund reflexartig losließ, versagten auch sein letztes bischen Bodenhaftung und Gleichgewichtssinn. Einem kurzen Gefühl des schwerelosen, freien Falls folgte ein um so härter Aufschlag. Ihm klingelten die Ohren.

Shinda stöhnte verhalten und blinzelte, bis er wieder etwas sehen konnte. Er lag hingestreckt wie ein gefällter Baum auf dem Boden. Neben ihm stand Ying-Dai und schaute mit dem üblichen, herzlosen Blick auf ihn herab, der so nichtssagend wie allessagend zugleich war. Das hatte er nun von seinem dummen, verbohrten Vorsatz, weiter an Mayas Seite zu bleiben. Maya war schon auf und davon.

„Sag nichts!“, zischte Shinda, wischte sich das Blut von der eingeschlagenen Nase und brachte sein Gesicht dann mit einem knappen Zauber in Ordnung, bevor er sich ächzend wieder hochwuchtete.

„Kein einziges Wort!“, versprach Ying-Dai. Er machte keine Anstalten, seinem Bruder wieder hochzuhelfen, oder auch nur zu fragen ob alles in Ordnung sei.
 


 

Shinda stürzte sich zurück in den Pulk und versuchte sich zu Maya durchzukämpfen. Der junge Geschichte-Student leuchtete aus den einheitlich gekleideten Hundertschaften deutlich sichtbar heraus, aber da er nicht der einzige war, der dem tobenden Gorilla entgegendrängte, kam man nicht so ohne weiteres an ihn heran.

„Ruzlan!“, brüllte Maya über das ganze Kampfgetümmel hinweg. Fünf hatte ihm gesagt, daß der Jagende Affe sich gegenüber Menschen Ruzlan nennen würde und Maya sah keinen Grund, ihn nicht so anzusprechen. „Ruzlan! Du willst mich! Komm her und hol mich, ich bin hier!“, schrie er. Der Höllenfürst fuhr herum. Als sich Maya seiner Aufmerksamkeit sicher war, griff er in seine Jackentasche, holte das blaue Pulver heraus, das er vor einiger Zeit von Fünf bekommen hatte, und schüttete sich einen kleinen Berg davon in die hohle Handfläche.

„Nein! Maya, nicht!“, rief Shinda von der anderen Seite panisch.

„Maya, nicht hier in der Klamm!“, schrie auch Fünf, der sich gerade in der unmittelbaren Umgebung aufhielt und es sah. Viele in seiner Nähe wichen erschrocken zurück. Aber es war zu spät. Maya streckte die Faust mit dem Pulver hoch über seinen Kopf und rief die knappe Zauberformel, die es aktivierte.

Eine mörderische Detonation brachte die Klamm zum Bersten. Die Explosion war ohrenbetäubend, hunderte von hilflosen Leibern wurden herumgeschleudert und noch in der Luft zerrissen und durchlöchert. Dann nur noch Staub, herabbröselnde Steinwände und das leiser werdende Echo des Bombenknalls.
 


 

Fassungslos sah Shinda in die Klamm hinunter. Er hatte sich in letzter, verzweifelter Sekunde auf den Rand der Klippen hinaufteleportiert, um dort unten nicht draufzugehen. Das blaue Pulver hatte die Wirkung einer gezündeten Ladung Dynamit. Sicher würde dort unten so gut wie keiner mehr leben. Er wusste, daß eine Sprengstoff-Fontaine ihren Erzeuger normalerweise nicht umbrachte, weil dieser sich im einzigen toten Winkel befand. Aber so richtig glaubte Shinda das gerade nicht mehr. Eingesperrt zwischen den massiven Felswänden der Klamm wurde die Wirkung der Druckwelle noch um einiges komprimiert und verstärkt.

„Shinjudai. Ist alles in Ordnung?“, wollte eine weibliche Stimme neben ihm wissen, die er unterbewusst als Felka erkannte. Die Höllenfürstin hatte sich wohl nicht mit in die Schlacht gestürzt, sondern nur ihr Heer losgeschickt und von hier oben zugesehen. Shinda konnte sie nicht ansehen. Konnte auch gar nicht sofort antworten. Er starrte immer noch wie gebannt hinunter und wartete, daß sich die Staubwolke legte und er wieder etwas erkennen konnte. „Shinjudai!“, wiederholte sie etwas nachdrücklicher.

„Was zur Hölle ...“, hauchte der schwarzhaarige Dämon nur wie erschlagen. Er konnte einfach nicht fassen, was da gerade passiert war.

„Was ist dort unten geschehen?“ Felka klang ruhig und sachlich, gar nicht wie jemand der gerade seine gesamte Hundertschaft verloren zu haben schien. Als würde es sie nicht persönlich betreffen.

„Maya hat eine Sprengstoff-Fontaine gezündet.“, murmelte Shinda, ohne darüber hinaus einen klaren Gedanken fassen zu können.

„Das war eine Sprengstoff-Fontaine? Ich habe noch nie eine in der Realität gesehen. Setzt sie sich nicht mehrfach springbrunnen-artig in alle Richtungen fort?“

„Im freien Gelände schon, aber hier zwischen den Felswänden der Klamm konnte sie das nicht. Ich habe keine Ahnung, was da unten gerade vor sich geht.“

Felka wandte ihre venezianische Maske wieder der Staubwolke unter sich zu und überlegte. „Ich verstehe jetzt, warum das einer von jenen Zaubern ist, die im Krieg verboten sind.“, meinte sie etwas bedrückt.

„Ich muss wieder da runter!“

„Hast du denn immer noch nicht genug?“, erwiderte eine kühle Stimme von der anderen Seite verständnislos.

Shinda fuhr erschrocken herum. Der Typ mit langen weißen Haaren und azurblauen Augen war ihm bis jetzt gar nicht aufgefallen. „Ying-Dai, wie bist du hier raufgekommen?“

„Na genauso wie du. Dachtest du, ich lass mich da unten in die Luft jagen?“

Shinda seufzte, weil er nicht recht wusste ob er sich freuen oder ärgern sollte, daß seinem älteren Bruder nichts passiert war. „Ich geh wieder runter.“, meinte er nur.
 


 

Befremdet schlich Shinda langsam in der Klamm herum. Er setzte jeden Schritt behutsam und bedächtig, um nur ja auf nichts zu treten. Überall lagen abgerissene und zerfetzte Körperteile oder ganze Leichen herum. Und überall war Blut. Es war ein so skurriler Anblick, daß er Shinda direkt unwirklich vorkam. War er hier wirklich noch in der Welt, die er kannte? Unwillkürlich stiegen vor seinem inneren Auge Bilder aus früheren Zeiten auf. Erinnerungen, die ganz ähnlich waren, nur aus einer anderen Epoche. 400 Jahre alt, aus einer Zeit vor seinem Kälteschlaf. Er selbst hatte sowas auch schon angerichtet, und zwar mehr als einmal, aber es erschien ihm dennoch seltsam irreal. Hier waren alle tot. Kämpfer aller Heerlager lagen Seite an Seite dahingerafft im Staub, teilweise vergraben unter den eingestürzten Felswänden der Klamm. Und dazwischen kreisten Dutzende von heulenden Geistern.

Ein leises Stöhnen lies Shinda innehalten. Neben ihm bewegte sich etwas. Schnell ging er in die Hocke, denn die langen weinroten Haare konnte er sofort einordnen. „Koya!“, stieß er erkennend hervor und biss sich auf die Zunge, um nicht noch die seltendämliche Frage nachzuschieben, ob alles okay sei. Dem Höllenfürsten sah man mehr als deutlich an, daß beileibe gar nichts okay war. „Hey, mach langsam. Ich helfe dir.“ Shinda wuchtete einen schweren Steinbrocken herunter, der mitten auf Koyas Rücken lag und ihn dadurch quasi bäuchlings auf dem Boden festnagelte.

Der Rothaarige setzte sich mühsam auf und hielt sich den schlaff herunterhängenden Arm. Vermutlich war der Arm gebrochen, ansonsten hatte Koya aber augenscheinlich keine ernsthafteren Verletzungen. Er wirkte nur ein wenig zerstreut. „Irdischer, du musst The Big Bat aufhalten. Bitte, geh The Big Bat suchen und stoppe ihn.“, raunte er heißer, dann sank er wieder ohnmächtig zur Seite.

Shinda zog mürrisch eine Augenbraue hoch. Konnte der Kerl nicht wenigstens noch lange genug wach bleiben, um sich sagen zu lassen, daß er ihn gefälligst nicht <Irdischer> nennen sollte? Der <Irdische> hatte einen Namen! Und eine kleine Info, WOBEI er Fünf aufhalten sollte, hätte sicher auch nicht geschadet. Kopfschüttelnd zog Shinda seine Lederjacke aus und schob sie Koya unter den Kopf, um ihn ein wenig bequemer zu betten. Dann ging er weiter. In dem aufgewirbelten Staub hier sah man keine zwei Meter weit. Er hoffte, er würde Fünf überhaupt finden.
 


 

Maya hustete und rieb sich den feinen, herumfliegenden Sand aus den Augen. „Scheiße, das hat ja einen mörderischen Rumms gegeben.“, stöhnte er. An seiner Hand klebte Blut. Er hatte sich wohl die Schläfe ein wenig aufgeschlagen, stellte er fest, rieb sich unwillig nochmals über die schmerzende Stelle und fluchte dann, als er sich das Blut dabei noch weiter im ganzen Gesicht verteilte.

„Maya! Du lebst noch, ein Glück!“, jubilierte Shinda, als er den Jungen, angelockt von dessen Stimme, endlich wiederfand. Sofort fiel der Dämon ihm um den Hals.

„Ach komm schon, du Weichei. Hast du etwa daran gezweifelt? Ich sagte doch, ich mach den blöden Affen platt.“, gab der nur herzlos zurück und befreite sich nachdrücklich aus der Umarmung.

Shinda war immer noch viel zu glücklich, um etwas auf diese arrogante Antwort zu entgegnen. Er war einfach nur froh, daß Maya in Ordnung war, ganz gleich wie fies der Einfluss der Unterwelt-Dämonen ihn inzwischen gemacht hatte.

Ein leiser Schrei und ein ekelhaft matschiges Geräusch unterbrachen das glückliche Wiedersehen. Shinda schaute sich fragend um und sah eine Sillhouette aufgeregt in der lichter werdenden Staubwolke herumfliegen. Immer wieder gab es vereinzelte, leise Schreie des Schreckens oder Schmerzes aus ihrer Richtung.

„Ist das Fünf?, überlegte Shinda verwundert und machte sich mit Maya auf, um nachzusehen, was dort vor sich ging.
 

Ganz richtig fanden sie das rothaarige, zombiehaft entstellte Mädchen vor, in dem der Höllenfürst gerade steckte. Der Körper war blutüberströmt und sichtlich lediert. Im Rücken klaffte eine gewaltige Risswunde und ein Bein war seltsam verdreht. Er hatte sich offensichtlich mitten im Explosionsradius von Mayas Sprengstoff-Fontaine befunden. Eigentlich hätte sich kein normaler Mensch mehr vernünftig damit bewegen können. Aber Fünf wuselte in diesem Körper geschäftig hin und her, als sei überhaupt nichts gewesen. Die Aussage, daß ein besessener Mensch nicht aufzuhalten und nicht zu töten war, war wohl wortwörtlicher zu verstehen als Shinda immer gedacht hatte. Mit einer Lanze sprang Fünf enthusiastisch zwischen den herumliegenden Dämonen herum und stach kompromisslos alles ab, was noch atmete.

„Oh, hey, ihr seid das!“, meinte er erkennend, als er aufsah und Shinda und Maya entdeckte. „Helft mir! Tötet so viele wie ihr könnt!“, forderte er und führte sein brutales Werk ungerührt fort. Er erstach Dämonen aller Lager, sowohl Felkas als aus Koyas Männer, ebenso wie die affenartigen Viecher, die die Hundertschaft von Simius Venator darstellten.

„Bist du übergeschnappt? Hör auf damit!“, keuchte Shinda, als er endlich seine Fassung wiedergefunden hatte, und eilte herbei um Fünf die Lanze zu entreißen. „Du hast kein Recht dazu, Dämonen zu töten! Der Krieg findet erst morgen am Galgenfelsen statt! Eher darfst du nicht zur Waffe greifen!“

Fünf richtete die Lanze auf Shindas Brust, um ihn zurückzuhalten. Sein Gesicht wirkte plötzlich ungewöhnlich verbittert. Shinda blieb auch gehorsam mit erhobenen Händen stehen, um nicht wirklich noch mit durchpfähltem Herzen zu enden. Dieser Gesichtsausdruck machte ihm deutlich genug, wie ernst es dem Höllenfürsten war.

„Die Regeln sind mir egal. Ich werde so oder so sterben. Und glaub mir, ich nehme so viele von denen mit in den Tod, wie ich nur kann.“, erklärte Fünf gefasst. „Also entweder ihr helft mir, oder ihr haltet euch raus. Aber stellt euch mir nicht in den Weg, sonst seid ihr die nächsten.“

Shinda sah ihn eine Weile abschätzend an, dann ließ er seufzend die Hände sinken. So sehr er es auch versuchte, er verstand Fünf nicht. „Big Bat.“, meinte er ruhig. „Was hast du vor? Das kann doch nicht dein Ziel sein. Nicht das hier!“ Im Grunde genommen sah so eine Aktion hier dem Höllenfürsten ziemlich ähnlich. Wehrlose Unbeteiligte zu töten, in einem Moment wo es völlig unpassend und unnötig war, das hatte er schon immer gern und häufig getan. Das war die dunkle Seite, die Maya an dem Kerl nie kennengelernt hatte. Aber irgendwie hatte Shinda doch geglaubt, daß er sich zumindest an die offiziellen Regeln halten würde, wenn er schon einen offiziellen Krieg mit den anderen Höllenfürsten anzettelte. Ob der Auftritt des Jagenden Affen vorhin ein Regelverstoß war, konnte er nicht ganz einordnen. Eigentlich hatte der keinen umgebracht, er hatte sich nur zu Maya durchschlagen wollen. Aber irgendeinen Grund würde es schon gehabt haben, daß die anderen ihn aufzuhalten versucht hatten.
 

„Wenn ich sterbe, wird mein General an meiner Stelle rechtmäßiger neuer Höllenfürst. Das ist das ganze und einzige Ziel dieses gesamten Krieges hier. So, nun weist du es.“, gab Fünf knapp zurück und wandte sich um, als wolle er seine zuvorige Tätigkeit endlich fortsetzen und noch ein paar Gegner abschlachten. „Dieser Krieg wird stattfinden, egal wieviele zum Kampfbeginn noch übrig sind. Und je weniger Gegner mein General zur offiziellen Schlacht zu bekämpfen hat, desto besser. Also werde ich jetzt soviele beseitigen wie irgend möglich.“

„Dein General muss dir wirklich sehr viel bedeuten, wenn du für ihn all das tust.“, stellte Shinda zwischen ehrfürchtig und missbilligend fest.

„Gib mir eine Lanze, ich helfe dir!“, warf Maya von der Seite ein.

„Maya!“ Der schwarzhaarige Dämon wollte aufbegehrten, aber Fünfs „Es liegen genug rum, such dir eine aus.“ machten jede weitere Diskussion überflüssig. Er würde Maya nicht davon abhalten können, es war aussichtslos. Stöhnend wandte sich Shinda ab und überlegte, was er tun sollte. Einfach gehen und warten, daß der Junge von selber wieder zu klarem Verstand kam? Und wo war der Jagende Affe überhaupt geblieben? Diesem Monster konnte die Explosion schwerlich viel ausgemacht haben. Wenn der noch lebte, würde er sofort wieder über Maya herfallen, sobald er ihn wiederfand.

Weit kamen Fünf und Maya aber zum Glück nicht mehr, denn bald darauf tauchte Felka auf und bereitete dem ganzen blindwütigen Gemetzel ein Ende.
 


 

Am nächsten Morgen zogen die Höllenfürsten mit den Übriggebliebenen ihrer Hundertschaften aus der elenden vergeisterten Klamm hinaus und steuerten auf den Galgenfelsen zu, den Treffpunkt für den offiziellen Teil des Krieges. Fünf war inzwischen ein Gefangener und hatte keinerlei Handlungsfreiheit mehr. Von Koyas und Ruzlans Heeren waren jeweils noch etwa 20 bis 25 Männer geblieben, von Felkas Kriegern noch knapp 50. Sie hatten sich verspätet ins Getümmel gestürzt und waren daher zum größten Teil außerhalb des Explosionsradius gewesen. Koya selbst hatte seinen gebrochenen Arm wieder geheilt, war nun aber alles andere als wohlgesonnen. Seine anfänglich so faire, fast kameradschaftliche Grundhaltung gegenüber seinem Gegner Big Bat hatte sich gänzlich ins Gegenteil verkehrt.

Der Galgenfelsen war nicht viel mehr als eine große Gesteinsformation mitten in der wüsten, leeren Ebene. Hätte Maya seine magischen Seifenblasen erzeugt, durch die hindurch man die Welt so sah, wie sie wirklich war, hätte er den alten Galgen auf der Spitze des kleineren Gesteinsbrockens sehen können. Aber er hatte von den Höllenfürsten Magieverbot ausgesprochen bekommen, und wenn er an seinem Leben hing, würde er sich auch daran halten. Der einzige Grund, warum er überhaupt noch lebte, war die Tatsache, daß er ein Mensch war und die unterweltlerischen Kriegsgesetze daher nicht für ihn galten.
 


 

Am Fuße des Galgenfelsens lagerte bereits eine weitere – noch vollzählige – Hundertschaft. Es waren Fünfs eigene Gefolgsleute, die hier geduldig am vereinbarten Treffpunkt auf die Ankunft ihres Herrn warteten. Wie es sich für gute Soldaten gehörte, waren sie allesamt kriegsbereit und wachsam. Ihnen vor stand ein gepanzerter Samurai-Verschnitt, der trotz seiner mangelnden Körpergröße erstaunlich stattlich wirkte und mit dem man sich auf den ersten Blick ungern angelegt hätte. Er strahlte eine Kampferfahrung und Souveränität aus, die sonst nur Heerführer an sich hatten. Er trug ein dünnes Schnurbärtchen und seine geölten, schwarzen Haaren waren auf dem Kopf zu einem chinesischen Knoten hochgesteckt. Nur ein paar lose Franzen hingen ihm noch in das ansonsten recht angenehme Gesicht. Er hatte sein Naginata auf dem Boden aufgestellt und stützte es mit einer Hand. - Das musste also der sagenumwobene General sein, der Anlass und zentrale Figur für das alles hier war, dachte Shinda.
 

„Faragath, ich freu mich, dich zu sehen.“, grüßte Fünf ihn.

„Ich freu mich auch, dich doch nochmal lebend zu Gesicht zu bekommen, mein Freund.“, gab der Angesprochene mit einem Deut auf die Ketten zurück, die ihn gefesselt hielten. Obwohl Fünf in einem fremden Mädchenkörper steckte, erkannte er ihn sofort wieder. Dann überschaute er die drei anderen Höllenfürsten und die kläglichen Reste ihrer Hundertschaften. „Wie ich sehe, warst du erfolgreich mit dem, was du vor hattest.“

„Nicht ganz so erfolgreich wie ich unter diesen Umständen hätte sein können. Ich hatte äußerst tatkräftige Hilfe von einem wirklich talentierten Hexer. Aber ich hoffe dennoch, dir eine gute Position verschafft zu haben.“

Faragath seufzte. Man sah ihm an, daß er jetzt nur zu gern ein Thema angeschnitten hätte, das er mit dem Höllenfürsten schon viel zu oft erfolglos durchdiskutiert hatte. Etwa, ob es tatsächlich notwendig war, daß dieser seinen Thron zugunsten seines Generals räumte. Höllenfürsten konnten nicht einfach abdanken. Das Ende ihrer Amtszeit war immer auf die eine oder andere Weise mit dem Ende ihres Lebens verbunden, zumeist indem sie auf blutige Weise von einem Kontrahenten gestürzt wurden. Aber der General verzichtete darauf, diese Diskussion noch ein weiteres Mal zu führen. The Big Bat hatte sich entschieden. „Wie geht es weiter?“

„So wie es das Protokoll vorsieht. Wenn die Sonne den Zenit erreicht, wird der Krieg beginnen. Für alle, die noch übrig sind.“

„Aber vorher wirst du hingerichtet. Die Schlacht selbst wirst du nicht mehr miterleben.“, warf Koya von der Seite ein.

Fünf lächelte. „Das war mir bewusst. All mein Handeln war genau darauf ausgerichtet. Darf ich noch einen letzten Wunsch äußern?“

„Welchen?“

„Ich würde dieses Mädchen hier gern wieder freigeben, in dem ich gerade stecke. Ich will in meiner eigenen Haut sterben.“

Koya machte einen verächtlichen Ton. „Tu was du nicht lassen kannst.“, brummte er und ging. Er wusste, daß Fünf nicht abhauen würde.

Der General nickte. „Sie ist ziemlich schwer verletzt. Ich werde sie heilen, sobald du sie verlassen hast.“, versprach er.

„Danke. Kannst du mir einen Gefallen tun, und dich auch um den Jungen kümmern? Er ist inzwischen echt verbohrt. Mach die Wirkung wieder rückgängig, die wir Unterweltler auf ihn haben.“

Wieder nickte der General. Dann wandte er sich an die beiden Weggefährten, die, wie er wusste, Fünf erst bis hierher gebracht hatten. „Ihr solltet euch das hier nicht ansehen. Das sind Mächte, die euch nichts angehen und in deren Ränkespielen ihr nichts verloren habt. Ihr solltet über diesen Krieg besser nichts mehr erfahren. Ich danke euch für jede Hilfe die ich von euch bekommen habe und die The Big Bat von euch bekommen hat, aber ihr solltet jetzt gehen. Irdischer, nimm den Jungen und geh zurück in die Klamm. Wir werden euch das Mädchen hinterher schicken.“

Shinda verneigte sich ein wenig. „Ich wünsche dir Erfolg. Ich bin sicher, du wirst ein guter Höllenfürst werden.“



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