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Great Canon

Wichtelgeschichte für Alaiya
von

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Noriko blickte der Krähe noch ungläubig hinter her, als erneutes Astbrechen sie herumfahren ließ. Irgendetwas kam da, das war Noriko glasklar.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Wer oder was kam da? Ein Reisender, der sich in dem Wald auskannte, in dem sie ausgesetzt wurde, oder vielleicht doch nur ein Tier? Was sollte sie tun, wenn es ein Mensch wäre, der ihr jedoch böse gesinnt war? Und bei einem Wildtier? Sie wusste nicht was sie tun sollte, wenn es ein Wolf, ein Bär oder gar was Schlimmeres wäre. Lass es schreckhaftes Rotwild sein. Bitte! Fliehen oder bleiben. Noriko musste sich entscheiden. Jetzt.

Sich fast schon zum Rennen umgewandt, fiel ihr Blick auf das eiserne Kurzschwert und den hölzernen Rundschild, die beide neben dem Felsen lagen, auf dem sie gerade erst noch gesessen hatte. Sie griff nach der Waffe und dem Schild und stellte sich kampfbereit hin - was eher kläglich aussah. Aber sie würde bleiben.

Der letzte Zweig zerbrach hinter der dichten Reihe aus Büschen und Sträuchern, und in Panik hob Noriko das Schwert bereits in die Luft, um mögliche Feinde sofort niederstrecken zu können. Mit ihrem Blick fixierte sie das Buschwerk.

Zwei kleine Hände glitten zwischen zwei Sträucher hervor und schoben das Grün auseinander. Entsetze Kinderaugen fielen auf Noriko und ihr drohendes, gen Himmel gerecktes Schwert.

„Bitte…“, das Mädchen fiel auf ihr Hinterteil und begann zu wimmern. „Bitte tu mir nicht weh.“

Bestürzt von sich selbst, ließ die Soldatin ihr Schwert sinken. „Entschuldige bitte“, sagte sie hastig. „Ich hatte gerade selber noch große Angst gehabt.“

„Etwa vor mir?“ Misstrauen mischte sich in die Furcht ihrer Worte. Sie beäugte die Waffe, die die Frau noch in ihrer Hand hielt.

Noriko legte Schwert und Schild beiseite und setzte sich auf ihre Knie vor das Kind. „Ich bin neu hier, wenn man es so sagen will.“ Ihre Hände ruhten auf ihren Oberschenkeln, gut sichtbar für das Mädchen. „Und ich wusste nicht, ob es womöglich hier wilde Tiere oder Räuber gibt.“ Sie beugte sich ein wenig nach vorne. „Es tut mir leid.“

Das Mädchen trat zwischen den Sträuchern hervor. Sie trug eine nachtblaue Robe, mit lila und rosafarbenen Akzenten, und ihr spitzzulaufender Hut war am Kronenteil mit einem rosaroten Band umbunden. - Alles in allem sah sie aus wie eine kleine Hexe.

Die junge Hexe blickte sich um, scheinbar nach irgendwas suchend. „Bist du alleine hier?“, wollte sie von Noriko wissen.

„Ja, ganz allein.“

„Nun“, das Mädchen schien mit sich selbst noch ein wenig uneinig zu sein. Sie trat von einem Fuß auf den anderen. „Wo kommst du denn her?“

Beschämt blickte die Soldatin zur Seite. „Ich weiß es nicht. Ich kann mich eigentlich an nichts erinnern.“ Warum sie es dem Kind sagte, wusste Noriko selbst kaum.

Die kleine Hexe schien zu überlegen. Sie kannte Noriko nicht und jemanden Blindlinks zu vertrauen, den man mitten im Wald begegnet, war eigentlich noch nie eine gute Idee gewesen.

„Und was machst du hier?“, fragte Noriko gerade heraus. „Ich meine, du bist ein kleines Mädchen, was machst du ganz alleine in einem Wald wie diesen?“

„Ich wohne auf der großen Lichtung mit meinem Opa in einer Hütte.“

„Opa?“ Noriko überraschte es doch ein wenig, dass das Mädchen hier im Wald lebte. „Was ist mit deinen Eltern?“.

„Keine Ahnung“, log sie - und das nicht einmal gut. „Wenn du dich verlaufen hast, dann“, das Mädchen wusste nicht, ob es der Frau wirklich vertrauen konnte. „Dann kann ich dich zu Opa führen. Er kennt sich im Wald sehr gut aus.“

„Das wäre wunderbar.“

Noriko stand auf und sammelte Schwert und Schild wieder ein. Die Klinge ließ sie in der Scheide verschwinden, die an ihrem Ledergürtel hing, und den Schild band sie sich an dem linken Unterarm fest.

Erst jetzt hatte sie ein Auge für ihr Äußeres. Sie trug ein ergrautes Lederwams, über dem ein eiserner Brustschutz lag. Auf ihren Schultern ruhte ein kurzer Umhang, der vom Aussehen eher an einen Schal erinnerte. Ihre Hose bestand ebenfalls aus demselben grauen Leder, wie ihr Wams, sowie ihr Schuhwerk scheinbar aus derselben Tierhaut wie der Gürtel.

„Wie heißt du eigentlich, Kleine?“, wollte Noriko wissen, nachdem sie sich in Bewegung gesetzt hatte und nun dem Mädchen durch die Büsche und Sträucher folgte.

„Pili.“ Die kleine Hexe drehte sich beim Gehen um und lief rückwärts weiter. „Und wie heißt du?“, fragte sie strahlend.

Noriko dachte an die Worte des maskierten Mannes, dass ihr Name hier wohl womöglich viel zu viel Aufsehen erregen würde. Sie überlegte hin und her und ging im Kopf einige Namen durch, die vielleicht doch nicht so auffallen würden.

„Und?“, fragte Pili ungeduldig. Sie stolperte über einen Ast und entschied sich dann dafür, dass es klüger sei, nun wieder mit dem Gesicht voran zu laufen.

„Ich heiße Helena.“

Das Mädchen blickte mit ihren funkelnden, smaragdgrünen Augen über die Schulter. „Genau wie meine Mama.“
 

Die kleine Hexe führte Noriko auf eine größere Lichtung, an deren Rand ein mittlerweile recht klappriger, hüfthoher Holzlattenzaun stand. Das kleine Tor lag neben dem Eingang im Gras. Es schien schon länger dort zu liegen.

„Wir sind da“, verkündete Pili stolz. „Warte du hier, ich hole Opa.“ Mit diesen Worten öffnete das Mädchen die morsche Tür und glitt in das Dunkel im Inneren des Hauses.

Noriko betrachtete die alte Hütte argwöhnisch. Ebenso wie der Zaun, wirkte das ganze Gebilde fast schon verfallen. Überall wuchsen Gräser und Farne auf dem Haus; sowohl die Wände, als auch das Dach waren davon betroffen. Das Grundstück selbst sah genauso verwildert aus, wie die Hütte selbst. Das Gras war an manchen Stellen schon eine Handbreite höher als der Lattenzaun. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde der Wald das Grundstück wieder zurückerobert haben.

Knarrend öffnete sich die Holztür und Pili hielt sie offen, damit ihr Großvater heraustreten konnte.

Der alte Mann wirkte merkwürdig in seiner zerlumpten Robe, die früher wohl auch mal so ausgesehen haben musste, wie die von der kleinen Hexe. Das Band seines Spitzhutes, unter dem sein ergrautes Haar hinab fiel, war schon völlig Mottenzerfressen, so wie die meisten Sachen, die der Alte am Leib trug.

Er kam langsamen Schrittes auf Noriko zu und besah sie sich mit seinen ehemals blauen, jetzt milchigen Augen an. „Einen schönen guten Tag, junges Fräulein“, begrüßte er sie und machte einen Buckel.

Sie verbeugte sich ebenfalls, wobei sich eine Strähne ihres Haares löste und ihr ins Gesicht fiel. Mit einer Bewegung ihrer Hand, schob sie die blonde Strähne wieder dahin zurück, wo sie hingehörte.

Blond? Noriko war plötzlich wie gelähmt. Sie war nicht blond, sie hatte seit ihrer Geburt schwarzes Haar, das wusste sie genau. Aber warum zum Teufel war sie nun blond gewesen?

„Warum denn plötzlich so ein entsetztes Gesicht?“

Die Stimme des Alten riss Noriko aus ihren Gedanken und ließ sie wieder aufblicken. „Tut mir leid, ich musste nur gerade an etwas denken.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum.

„Hast du Hunger?“ Der alte Mann machte eine Geste zu der Holzhütte. „Ich habe gerade einen Eintopf gekocht. Es wird vielleicht nicht sonderbar gut schmecken, aber zumindest den Bauch voll machen.“ Sein Lachen klang hohl, als würde er sich selbst dazu zwingen.

Dankend nahm Noriko an. Sie hatte bisher eigentlich kein Gefühl von Hunger verspürt, aber jetzt wo es ihr angeboten wurde, merkte sie, welch einen Kohldampf sie eigentlich hatte.

Pili voraus, führte der Alte die Soldatin in die morsche Hütte. Sie bestand aus nur einem Raum, in dem sowohl Geschlafen, Gegessen und auch Gelebt wurde. Zwischen den Bodenbrettern erkannte sie, wie sich kleine Gräser bereits einen Weg in das Innere der Behausung gefunden hatten und hinter den Dachbalken hingen Netzte von allerlei Spinnengetier. In der Mitte war die Feuerstelle ausgehoben worden, die mit faustgroßen Steinen abgegrenzt wurde. Über der knisternden Flamme brodelte der Inhalt eines Topfes, der an einem Gestell aus Metall und Holz hing.

Der alte Mann nahm drei Holzschalen von einem kleinen Regal und schöpfte mit einer Kelle den Eintopf ein, der so aussah, als hätte man Kartoffelschalen und faulige Rüben in Schmutzwasser getan. Und er hatte Recht behalten. Der Eintopf schmeckte wirklich nicht gut. Doch der Hunger trieb das verdünnte Elend hinunter und ließ Noriko sogar um eine zweite Portion bitten.

„Wie lange bist du eigentlich schon eine Soldatin?“, wollte Pili plötzlich wissen.

Noriko sah sie verwirrt an. Woher sollte sie das denn wissen? Immerhin lagen Schwert und Schild neben dem Felsen und ihre Rüstung trug sie ebenfalls schon, als sie ihre Augen öffnete. „Noch nicht allzu lange“, log sie und schob den Holzlöffel in ihren Mund.

Die kleine Hexe gab sich mit dieser Antwort jedoch nicht zufrieden. „Wirst du in die Kaiserstadt gehen und dich weiter ausbilden lassen? Zu einer Gladiatorin oder einer Kämpferin?“

Ohne Ahnung von dem was Pili da eigentlich sprach, nickte Noriko einfach nur. „Mal schauen.“

Aufgeregt sprang das Mädchen auf und stieß dabei unabsichtlich ihre leere Holzschale um. „Wenn ich alt genug bin, dann werde ich zum königlichen Hofe gehen und mich zu einer Magistra ausbilden lassen.“ In ihren grünen Augen brannte die Flamme des Eifers. „Ich werde jeden mächtigen Zauber lernen und alle meine Feinde mit Blitzen und Feuerstürmen niederstrecken.“ Dabei schwang sie ihren Löffel wie einen Zauberstab wild durch die Gegend.

„Oder dich selbst in die Luft jagen, so wie deine Mutter.“ Der Alte hatte seinen Holzlöffel beiseite gelegt und schlürfte aus seiner Schüssel den Rest der Plörre.

Pili sah ihren Großvater entsetzt an und blickte dann zu Noriko. Tränen sammelten sich in ihren Augen und ihre Unterlippe fing an zu zittern. Sie drehte sich weg und stürmte durch die Tür aus der Hütte hinaus, ehe sie anfing zu weinen.

„Dummes Kind“, murmelte der alte Mann und schenkte sich eine weitere Portion ein.



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