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Hunters

Die Erinnerungen des alten Silver
von

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Kapitel Fünfzehn

~Kapitel Fünfzehn~

Der alte Silver blickte kurz von seinem Buch auf. Seit einer ganzen Weile hatte keiner seiner Zuhörer mehr ein Wort gesagt. Wie immer hingen ihm alle gebannt an den Lippen. Lächelnd sah er in die Gesichter der Menge. Vor allem beobachtete er gerne die Kinder. Es freute ihn, dass sie sich so sehr für die Geschichten der Vergangenheit interessierten. Das gab es zu seiner Zeit nicht. Da zählte nur das hier und jetzt. Gold und Reichtum. Viele hatten aber auch keinen Zugang zu alten Geschichten. Das sie von Kindheitstagen an schuften mussten um zu überleben, war für die Menschen aus seiner Generation nichts besonderes. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Ein kleines Mädchen meldete sich vorsichtig zu Wort. »Verzeihung, geht es Euch nicht gut, Herr Silver?« Er lächelte und nahm einen großen Schluck Wasser. Die Antwort erhielt das Mädchen von seinem Begleiter. »Du musst wissen, Silver ist nun bei weitem nicht mehr der Jüngste. Lass dich von seinem äußeren nicht täuschen. Er ist noch Älter als er aussieht.« Silver musterte ihn mit dem strengen, aber liebevollen, Blick eines Lehrmeisters. »Pass auf, werde ja nicht frech! Über dich kenne ich nämlich auch so einige Geschichten.« Abwehrend und entschuldigend zugleich hob sein Begleiter die Hände. »Also, wo waren wir? Ach ja!«
 

Vor drei Tagen hatte die Gruppe das Gasthaus verlassen. Emilio schloss sich ihnen, auf Blakes Einladung hin, an. Er trottete meistens Schweigend neben ihnen her. Nur ab und an gab er einen unpassenden Kommentar zum Besten, sehr zur Freude von Blake. In der Stadt kauften sie, von dem bisschen Geld, was noch übrig war, Essen und neue Kleidung. So lief Callum nicht mehr in der dicken, schwarzen Lederrüstung umher, sondern trug nun eine braune Lederweste, darunter einen langen grünen Pullover aus Lainen. Das schwarze Fell jedoch trug er weiterhin um die Schulter. Und Emilio hatte sich ein Graues Gewand, eine graue Lederhose und Schwarze Stiefel besorgt. Was er eben halt so gesehen hatte. Es war Mittag, als sie am Ende der Straße angekommen waren. Vor ihnen lagen nun drei Optionen, die sie wählen konnten. Der Pfad links verschwand in den dichten des Waldes. Der Pfad rechts war düster und steinig. Nur der Pfad in der Mitte sah für Zoran einladend aus. Er war hell und breit und er konnte weit hinein sehen. Trotzdem wandte er sich zunächst an die Anderen. »Was meint ihr, wo geht’s lang?« Callum zuckte mit den Schultern. »Nun ja, vier Tagesmärsche von hier treffen die Wege an einem Gasthaus wieder aufeinander. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass es hier nur so von Soldaten wimmelt, empfehle ich den rechten Weg. Der ist am Sichersten.« Zoran betrachtete den unheimliche Pfad. Sofort schossen ihm Bilder durch den Kopf, was dort wohl alles für Kreaturen lauern könnten. Da meldete sich Blake zu Wort. »Als ob wir nicht mit ein paar Soldaten fertig werden würden. Ich schlage vor, wir gehen links. Wenn der Weg eh da endet, wo auch die Anderen enden, dann wähle ich lieber den, bei dem die Gefahr am Geringsten ist, dass Prinzessin über schmerzende Füße jammert.« Sharon schaute ihn Böse an. »Können wir nicht einfach den Pfad in der Mitte nehmen? Der sieht am schnellsten aus.« Zoran nickte. »Der Meinung bin ich allerdings auch.« Fay deutete nach rechts. »Ich kenne die Gegend hier auch sehr gut. Der rechte Pfad ist zwar sehr schwierig, aber da hatte ich bei weitem weniger Schwierigkeiten als auf den anderen beiden.« »Was sagst du denn Emilio?« Er zuckte mit den Schultern. »Links.« Beunruhigend stellte Zoran fest, wie herausfordernd Blake Callum anschaute. »Wie wäre es dann mit einem Wettrennen?« Callum schüttelte mit dem Kopf. »Vergiss es. Auf so etwas lasse ich mich nicht ein.« »Was ist los, Hund? Ziehst du etwa den Schwanz ein?« Zoran beobachtete Callum. Sein Blick verhieß nichts Gutes. »Ich kenne die Gegend hier besser als den Inhalt meiner Taschen. Du hättest keine Chance, Welpe.« Sharon klatschte Begeistert in die Hände. »Au ja, ein Wettrennen! Und da wir sechs Leute mit drei Meinungen sind schlage ich vor, wir teilen uns auf. Je zwei von uns gehen einen Pfad entlang und der erste am Gasthaus ist der Sieger. »Wozu einen Wettkampf bestreiten ohne Gewinn?« warf Emilio ein. Doch Callum hatte bereits eine Idee. »Wer als letztes ankommt muss eine Woche lang Feuerholz sammeln, Feuer machen und kochen. Abgemacht?« Fay und Zoran sahen sich zweifelnd an. »Gut« sagte Blake. »Ich gehe mit Emilio nach links, Zoran und Prinzessin gehen geradeaus und der Hund und die Antika-Mutti gehen nach rechts. Alle einverstanden« Fay und Zoran wurden von der Übermacht der beiden Hitzköpfe gnadenlos überstimmt und knickten schließlich ein. »Na gut, meinetwegen.« sagte Zoran lustlos. Fay nickte nur. Seit ihrer Flucht aus dem Gasthaus hatte sie kaum zwei Sätze gesagt. Vielleicht tat ihr der Abstand von Blakes gehässigen Bemerkungen ganz gut, dachte Zoran bei sich. »Also dann, fertig? Das Rennen beginnt jetzt!« rief Blake und lief den Pfad nach links hinunter, gefolgt von Emilio. Auch Sharon und Callum begaben sich auf ihre gewählten Pfade. Nur Zoran und Fay blieben noch kurz stehen. »Alles in Ordnung bei dir?« fragte Zoran vorsichtig. Sie nickte. »Das glaube ich dir nicht so ganz.« »Alles in Ordnung.« »Schaffst du das?« >Was?« Er lächelte sie bemitleidend an. »Vier Tage allein mit Callum?« »Besser als Sharon.« gab sie schlagfertig zurück. Niedergeschlagen schaute er zu Boden. »Also dann, wir sehen uns in vier Tagen!« Er schaute Fay hinterher, die nun im Schatten des steinigen Pfades verschwand und machte sich selbst auf den Weg. In ein viertägiges Martyrium mit Sharon.
 

Die spitzen Steine unter seinen Füßen taten doch mehr weh als er in Erinnerung hatte. Gut, dass die Prinzessin sich für einen anderen Weg entschieden hatte. Er konnte sich schon gut ihre schlechte Laune vorstellen, wäre sie diesen gegangen. Callum blieb kurz stehen und wartete auf Fay, die etwas später als er gestartet war. Für Callum fühlte es sich an wie ein Geschenk der Götter. Ganze vier Tage hatte er Fay ganz für sich allein. Kein bösartiger Blake, kein allgegenwärtiger Zoran. Nur er und sie. Jetzt musste er nur noch einen Weg finden, die Traurigkeit aus ihrem Gesicht zu bekommen und sie wieder zu ihrem gewohnt süßem Lächeln zu bewegen. Nach ein paar Minuten hatte sie ihn eingeholt. »Alles in Ordnung?« erkundete er sich. »Ja.« antwortete sie kurz und ging an ihm vorbei. Callum schaute nach oben. Über ihnen zogen sich dicke Wolken zusammen. Bald würde es regnen. Und das nicht zu knapp. Es war zwar nicht mehr ganz so kalt, aber dennoch war es es Winter. Ein kühler Wind zog auf, sodass Fay sich ihre Kapuze tief ins Gesicht zog.

Eine ganze Weile lang gingen sie schweigend hintereinander her. Über ihnen wurden die Wolken immer dunkler. Erst grau, dann fast schwarz. Als sie eine geschützte Stelle unter einem Felsvorsprung fanden, hatte der Regen bereits eingesetzt. Der kalte Wind, vor dem sie unter den Felsen nicht geschützt waren, zerrte an ihrer leicht durchnässten Kleidung. An trockenes Holz für ein Feuer war gar nicht erst zu denken. Fay saß etwas von Callum entfernt und starrte stumm in den Regen. Nach einigen Minuten nahm Callum sein schwarzes Fell ab und legte es ihr um die Schultern. » Danke, aber ich friere nicht.« Er schüttelte mit dem Kopf. »Eine Lady lässt man nicht nass in der Kälte sitzen.« »Du weißt aber schon, dass meine Wurzeln dem kältesten Gebiet der ganzen Welt entspringen?« »Eine Lady lässt man nicht nass in der Kälte sitzen!« Damit, fand er, war das letzte Wort gesprochen. Er setzte sich wieder hinten an die Wand. Ohne das Fell spürte er die Kälte nun mit voller Härte. Nach kürzester Zeit zitterte und bibberte er am ganzen Körper. Er war so darauf konzentriert, nicht zu leidend auszusehen, dass er nicht einmal bemerkte, wie Fay aufstand und sich dicht neben ihn setzte. Das Fell hatte sie über sie beide als Decke ausgebreitet. »So haben wir beide was davon.« sagte sie mit einem zarten Lächeln. »Danke.« Ihr Schultern berührten sich. Trotz der vielen Schichten nasser Kleidung fühlte sie sich warm an. »Du bist doch im Süden groß geworden, oder?« fragte Callum vorsichtig. Er wollte irgendwie ein Gespräch anfangen, denn das ewige Schweigen machte ihn schon ganz verrückt. Skeptisch schaute sie ihn an. »Ja, woher weißt du das?« Irgendwie war er nervös, konnte sich aber nicht erklären, wieso eigentlich. »Also, als ich noch jünger war, da habe ich im Palast gelebt und gearbeitet. Ich bin bei meinem Onkel aufgewachsen und er war Hufschmied der königlichen Reitschule.« »Du hast im Palast gelebt?« Verlegen fuhr er durch sein Haar. »Na ja, eigentlich nur hinter den Palastmauern, in den Unterkünften für die Arbeiter.« Fay schmunzelte ein wenig. »Klingt interessant. Das erklärt aber noch nicht woher du weißt, dass ich meine Kindheit im Süden verbracht habe.« »Ich hab dich damals mal gesehen, du warst aber noch ziemlich jung. Sechs oder Sieben, schätze ich.« Sie seufzte. »Ich verstehe. Du hast mich dort mit Kayt gesehen.« Er nickte. »Seine Festung ist gar nicht so weit weg von hier. Wenn wir dem Pfad gefolgt wären, den Sharon und Zoran gegangen sind, kämen wir nach zwei Tagen an einer Abzweigung vorbei, die direkt dorthin führt.« Callum atmete einmal tief durch.

Das war das Stichwort, auf das er gewartet hatte. Jetzt oder nie! »Darf ich dich mal was persönliches Fragen? Du musst aber nicht antworten, wenn du nicht willst!« Er erntete einen weiteren, skeptischen Blick. »In Ordnung, ich werde mir diese Option offen lassen.« Er räusperte sich. »Wie kommt es, dass du deinen Sohn, nun ja... so nah an Kayt's Festung versteckst? Gerade weil da ja so oft Soldaten vorbeikommen.« Fay's kurzzeitig aufgekeimtes Lächeln verschwand wieder. »Also, wie gesagt, wir können auch über etwas Anderes reden. Zum Beispiel... das Wetter! Oder wo du schon überall warst. Oder übers Essen? Oh nein, besser nicht. Ich hab eh schon einen Mordshunger.« »Ich wollte zurück.« Callum verstummte. Er hatte nicht wirklich damit gerechnet, eine Antwort zu erhalten. Eher hatte er sich darauf eingestellt, dass Fay ihm eins über den Schädel zog. »Zurück? Wie meinst du das?« Mit traurigen Augen schaute sie ihn an. »Ich irre mich nicht in der Annahme, dass ich dir trauen kann, oder?« Er schaute ihr fest in die Augen. »Nein.« Fay schloss die Augen für einen Moment. Callum wartete geduldig auf das, was er nun erfahren würde. »Als ich zwölf Jahre alt war fand ich heraus, dass Kayt es war, der unser Volk ausgelöscht hatte. Noch am selben Tag stellte ich ihn zur Rede. Als er es bestätigte, lief ich davon. Einfach zur Tür hinaus. Ich wusste nicht was ich glauben oder wem ich trauen sollte. Kayt hat nicht nach mir suchen lassen. Er glaubte, ich würde nach ein paar Tagen wieder zurückkehren.« »Wie lange warst du weg?« »Fast Sieben Jahre.« »Was hast du in der Zeit gemacht?« Sie lächelte. »Mir die Welt angesehen. Das Einzige, was ich von der Außenwelt kannte, war der Weg zwischen dem Palast und Kayt's Festung. Ich kannte nur das Leben hinter sicheren Mauern. Und mal so nebenbei, ich war auf dem besten Weg, so wie Sharon zu werden.« Callum zuckte bei der Vorstellung zusammen. »Was hat dich verändert?« Fay blickte hinaus in den regen. »Ich habe die Augen geöffnet. Anders als Sharon habe ich begriffen, was für eine Katastrophe Sorth's Herrschaft darstellt. Die Menschen lassen mich nicht in ihre Nähe. Doch ich trage sie alle in meinem Herzen. Ihr Leid, ihre Traurigkeit und ihren Hass. All das, was ich gesehen habe hat mich geprägt. Ich bin zumindest bescheidener geworden.« Sie lächelten beide. »Wie ging es weiter?« »Ich war Neunzehn und zu unvorsichtig. Soldaten haben mich in der Nähe der Festung aufgegriffen. Allerdings hat keiner von ihnen mein Stigma gesehen. In der Gegend trieb zu der Zeit eine Räuberbande ihr Unwesen und sie dachten wohl, ich gehöre zu ihnen. Und plötzlich fand ich mich in den Verliesen der Festung wieder. Ganze vier Tage habe ich damals dort verbracht. Ich habe versucht ihnen zu erklären wer ich bin, aber sie haben mich nur ausgelacht. Die Verliese bestehen aus einzelnen Zellen mit massiven Holztüren. Kein Fenster oder wenigstens ein Guckloch. Nur eine Klappe am Boden, durch welche das Essen geschoben wird.« »Und Kayt?« »Der war verreist. Wie gesagt, vier Tage! Als er erfahren hat, dass in seinem Verlies eine junge Frau mit schwarzen Haaren sitzt, die behauptet, ein Antika zu sein, hat er den armen Tropf, der ihm das berichten musste, beinahe den Hals umgedreht.« Fay erinnere sich noch genau wie es war, als er sie aus dem Verlies geholt hat.
 

Fay saß an der Wand der kleinen Zelle. Es war kalt und muffig. Irgendwo in der Dunkelheit vernahm sie das Fiepen von Ratten. Sie wusste nicht, wie lange sie schon dort war. Waren es Tage oder schon Wochen? Oder war erst eine Nacht vorüber? Sie hatte keine Angst vor der Dunkelheit. Doch das beinahe gänzliche fehlen von Licht verdrehte ihr die Sinne. Abermals rieb sie sich die Hände. Die Schnittwunden von den groben Fesseln, die ihr von den Soldaten angelegt wurden, waren beinahe verschwunden. Vom Gang hörte sie Schritte näher kommen. War wohl jemand, der ihr das Essen brachte. Oder, wie Fay es nannte, die Ernährung, denn mit Essen hatte das, was sie vorgesetzt bekam, nicht viel zu tun. Doch irgendetwas stimmte nicht. Die Schritte waren schnell und viel energischer als sonst. Durch den Spalt unter der Tür konnte sie ein Licht sehen. Erschöpft stand sie auf. Sie hörte, wie jemand das Schloss aufmachte. Mit einem lauten Krachen ging die Tür auf. Das Licht der Kerze blendete sie und sie kniff die Augen zusammen. Sie hörte jemanden näher kommen. »Fay?« Kayt! Langsam öffnete sie ihre Augen, versuchte sich an das Licht zu gewöhnen. Kayt stand direkt vor ihr und strich ihr die Haare von ihrem Stigma. »Kein Zweifel, du bist es.« Als sie sich an das Licht gewöhnt hatte, sah sie ihm in die Augen. Er erwiderte ihren Blick sehr intensiv. Mit einem mal fühlte sie sich unglaublich schuldig. Ihr Atem wurde schwerer. »Es tut mir so leid« flüsterte sie.

Das heiße Bad hatte ihr gut getan. Sie fühlte sich nun wieder wohler in ihrer Haut. Sie stand nur in ein Badetuch gehüllt in einem der Gästezimmer. Ihr altes Zimmer war noch mit den viel zu kleinen Möbeln bestückt. Das Gästezimmer war aber, für ihren Geschmack, genau richtig. Nur ein kleines Bett mit Nachttisch. eine Kommode mit Spiegel und ein Kleiderschrank. Ansonsten nur Fenster und Tür. Das war ihr recht. Fay mochte keinen unnützen Kram um sich herum. Jemand klopfte an der Tür. Fay hüllte sich fest in das Badetuch ein. »Ja?« Als die Tür sich öffnete, blickte Fay in ein strahlendes, ihr wohlbekanntes, Gesicht. »Fay, meine Süße, da bist du ja endlich! Ich hab ja solche Angst um dich gehabt!« Vor ihr stand ihre altes Gouvernante, Mira. Fay war inzwischen größer als sie, was sie im ersten Moment irritierte. »Du hast dich völlig verändert! Du bist so erwachsen. Und so schön. Wir hatten schon befürchtet, dich erst wieder auf einem Leichenkarren zu sehen.« Fay schmunzelte. »Ich freue mich, dich zu sehen, Mira. Aber...« Sie deutete auf das Badetuch. »Hast du etwas zum Anziehen für mich?« Augenblicklich wirbelte die kleine, quirlige Frau zum Kleiderschrank. Fay staunte nicht schlecht, als sie die vielen Kleider erblickte, die dort hingen. »Such dir eins aus, Liebes. Wie wäre es denn zum Beispiel hiermit? Die Farbe würde ganz toll deine Augen unterstreichen. Oh, oder das hier! Sehr modern, mit einem weiten Rock. Das wäre auch...« Fay schaute mit Entsetzen zu, wie Mira ein pompöses Kleid nach dem anderen aus dem Schrank holte. So viele Rüschen und Schleifen und grelle Farben hatte sie zuletzt gesehen, als sie in einer Stadt an einem Bordell vorbei lief und zufällig die Tür offen stand. Sie warf nun selbst einen Blick in den Schrank. Ganz hinten fand sie ein Kleid, das ihr gefiel. Mira staunte nicht schlecht, als sie Fay darin sah. Anders als die anderen, hatte es keinen weiten Rock mit vielen Schichten, sondern lag, von der Brust bis zu den Beinen, eng an. Die Ärmel endeten zwischen Handgelenk und Ellenbogen. Es war auch nicht tief ausgeschnitten. Keine Schleifen oder sonstige, überflüssige Dekoration. Es bestach nur durch seine Form, welche wenig Raum für Fantasie ließ. Und durch seine Farbe. Blutrot. Mira bestaunte sie mehrmals von oben bis unten. »Umwerfend! Toll! Aber... Ist das nicht etwas gewagt?« »Wieso? Ist doch alles verdeckt.« »Ja schon aber...« Mira begutachtete, wie der dünne Stoff sich perfekt um Fay's weibliche Kurven schmeichelte, an deren Anblick sie sich erst einmal noch gewöhnen musste. Ihr langes Haar ließ sie offen. »Herr Kayt wartet im Kaminzimmer auf dich.« Fay atmete durch. Sie wusste nicht, was sie erwarten würde. Als sie noch klein war, hatte Kayt so gut wie nie mit ihr geredet. Es kam nicht selten vor, dass sie ihn wochenlang nicht zu sehen oder zu sprechen bekam. Als hätte er vollkommenes Desinteresse an ihr und ihrer Anwesenheit. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es jetzt anders laufen würde. Schon gar nicht nach allem, was passiert war.

Das Kaminzimmer kam ihr kleiner vor, als sie es in Erinnerung hatte. Aber optisch hatte es sich nicht verändert. Vor ihr stand ein Sofa und mehrere Sessel, alle mit dunklem Leder überzogen. In der Ecke des Zimmers stand der große Schreibtisch aus schwarzem Ebenholz, den sie schon früher immer bewundert hatte. Allerdings hatte sie früher nicht oft Gelegenheit dazu, denn das Kaminzimmer diente Kayt als Arbeitszimmer oder wenn er Gäste empfing, was aber nicht sehr oft der Fall war. Genau wie Fay schätzte er die Einsamkeit. Und die Ordnung, Hinter dem Schreibtisch standen die Bücherregale, alle voll mit Büchern, Manuskripten, Notizen und alten Aufzeichnungen. Aber alles geordnet und an seinem Platz. Und auch der Geruch nach altem Pergament und trockenem Holz, gemischt mit Feuer, duftete wie früher. Kayt stand mit dem Rücken zu ihr am Kamin und schaute nachdenklich in die Flammen. Fay schloss die Tür hinter sich. »Hier hat sich nichts verändert.« sagte Fay. »Es wirkt nur sehr viel kleiner.« »Das könnte daran liegen, dass du dich in der großen Welt herumgetrieben hast.« Obwohl er ihr den Rücken zugewandt hatte, traute sie sich nicht, ihn anzusehen. Schuldbewusst schaute sie auf den Boden. »Ich weiß, ich hätte zurückkehren sollen.« »Allerdings. Du hast mir damit verdammt große Probleme eingehandelt.« Noch vor einigen Jahren hätte sie ihm nun ohne zu zögern den Mord an ihrem Volk und somit ihrer Familie vorgeworfen. Doch sie hatte gründlich über seine Erklärung dazu nachgedacht. Damals verstand sie es noch nicht, das änderte sich aber über die Jahre. »Es tut mir sehr leid, dass ich dir damit solchen Ärger bereitet habe. Ich hoffe, es gab für dich dadurch keine schlimmeren Konsequenzen.« Noch immer würdigte er ihr keines Blickes. »Nein, ich konnte er vertuschen... so gerade eben.« Fay rührte sich nicht vom Fleck, traute sich nicht. Sie kannte diese kalte Aura, die er verströmte. Das letzte Mal, als sie ihn so erlebte, waren kurz darauf eine ganze Menge Männer tot. Vermutlich bereute er es, sie gerettet zu haben, als sie noch so klein war. Fay kam der Gedanke in den Sinn, dass dies womöglich der letzte Moment ihres Lebens sein könnte. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, doch sie versuchte standhaft zu bleiben. »Wenn du dem ganzen ein Ende bereiten möchtest, dann nur zu. Ich werde dir nicht noch weiteren Ärger zumuten.« Er drehte sich um und sah sie verständnislos an. »Ein Ende bereiten? Was zum...« Als er Fay erblickte, verstummte er mitten im Satz. Einige Sekunden lang war es still zwischen den Beiden. Etwas verwirrt, aber trotzdem entschlossen, ergriff Fay das Wort. »Du hast allen Grund dazu.« Weiterhin kein Wort von ihm. Langsam ging er um das große Sofa herum, setzte sich und deute auf den Platz neben sich. »Komm zu mir.« Verunsichert kam sie auf ihn zu und nahm neben ihm Platz. Er sagte kein Wort, schaute ihr nur in die Augen. Der plötzliche Stimmungswechsel machte sie nervös. Fay zuckte zusammen, als er seine Hand erhob. »Ich tu dir nichts.« Noch einmal streifte er ihre Haare von dem schwarzen Stigma und musterte es. Dann zog er die Hand wieder zurück. »Verzeih mir bitte, ich wollte nur noch einmal sicher gehen. Du hast dich so sehr verändert. Ohne das Stigma hätte ich dich für eine Hochstaplerin gehalten.« Erleichtert atmete sie auf. »Schon in Ordnung.« »Wo bist du die Jahre gewesen?« »Wo ich gewesen bin?« Er machte es sich auf dem Sofa gemütlich. »Ja, ich möchte alles Wissen.« Sie überlegte. Es klopfte an der Tür. Eine der Bediensteten kam rein. »Verzeihen sie, aber hätten sie gerne etwas zu trinken?« Kayt antwortete. »Ja, Rotwein. Und zwei Gläser.« »Für mich nur Wasser.« Sie erntete erstaunte Blicke. »Wasser? Wir hätten auch Wein, Tee oder...« »Nur Wasser, vielen Dank.« Die Bedienstete machte einen Knicks und verschwand wieder zur Tür hinaus. »Also, wo soll ich anfangen?« Er grinste. »Am Anfang.«

Sie begann zu erzählen. Erst zögerlich, dann immer offener. Über die vielen Orte, an denen sie war. Und die Menschen die ihr dort begegneten. Sie berichtete über die Zeit, als sie lernte, alleine im Wald zurecht zu kommen. Unter anderem die ersten, kläglichen Kochversuche. Dann über die Suche nach den Kristallschnüren und letztendlich ihren Fund und die Gefahren, die sie dabei auf sich nahm. Lange saßen sie da. Stundenlang, beinahe jeden Abend bis in die Nacht hinein. Sie redeten und lachten zusammen. Kayt verglich seine Auffassung der Welt mit der ihren und nicht selten artete dieses in Diskussionen aus, jedoch stets auf ruhiger, professioneller Basis. Und letztendlich fanden sie immer zu einem gemeinsamen Fazit. Die Zeit verging wie im Flug. Und ehe sie sich versah, war Fay schon beinahe zwei Monate in Kayt's Festung. Die Art und Weise, wie sie miteinander umgingen, war mit der Früheren in keinster Weise vergleichbar. Sie waren auf derselben Augenhöhe. Allerdings nur im geistigen Sinne. Mit seinen über zwei Metern Körpergröße überragte er sie um mehr als nur einen Kopf.

Es war ein ruhiger Abend. Fay saß auf dem Sofa im Kaminzimmer und las still ein Buch. Kayt saß an seinem Schreibtisch und arbeitete die Post durch. Eigentlich duldete er niemanden in diesem Zimmer, wenn er arbeitete. Doch solange Fay seelenruhig las, störte es ihn nicht. »Oh nein!« Sie drehte sich zu ihm um. »Was ist los? Schlechte Nachrichten? Ist jemand gestorben?« Er schaute auf den kunstvoll verschnörkelten Brief in seiner Hand. »Viel Schlimmer.« Beim Anblick des Papiers unterdrückte sie ein Lachen. »Der Maskenball?« »Der verfluchte Maskenball!« Sie lachte laut los. »Wenn du nicht sofort aufhörst zu lachen, dann kommst du mit.« Demonstrativ schlug sie ihr Buch zu. »Unter gar keinen Umständen! Hast du gesehen, was die Damen auf solchen Festen tragen? Das die damit überhaupt durch die Tür kommen, geschweige denn überhaupt erst einmal in eine Kutsche.« Er stand auf, ging zu ihr und musterte sie. »Ich weiß nicht. Würde dir sicher gut stehen. So, fünf Kilometer Stoff um die Hüften.« Sie schüttelte den Kopf. »Denk nicht mal daran!« Herausfordernd verschränkte er die Arme und schaute sie an. »Ich denke, die Garderobe stellt nicht das größte Problem dar.« »Sondern?« Er hielt ihr die Hand hin. »Du kannst nicht tanzen.« Erhaben sah sie ihn an. »Da irren sie sich aber gewaltig, Herr General. Ich kann tanzen. Sehr gut sogar.« »Ist dem so?« Er machte eine tiefe Verbeugung vor ihr und reichte ihr die Hand. »Dann darf ich bitten?« »Was, jetzt? So ohne Musik?« Schelmisch grinste er sie an. »Ich bitte dich. Ein einfacher Königswalzer sollte doch für eine so begnadete Tänzerin kein Problem darstellen.« Eigentlich ließ Fay sich nicht gerne auf Herausforderungen ein. Sie bevorzugte das Prinzip, dass der Klügere stets nachgab. Aber hier ging es um die Ehre. Also stand sie auf, machte einen Knicks und nahm seine Hand. Und dann begannen sie, vor dem Kamin und ohne Musik, langsam zu tanzen. In ihrem Kopf versuchte sie sich die Melodie des Stückes vorzustellen. Rechts, links, ein Schritt vor, dabei eine halbe Drehung, ein Schritt zurück. »Ich hab mich geirrt, du tanzt wirklich gut.« Fay lächelte sanft. Sie mochte keine Komplimente. Für einen kurzen Moment glaubte sie, sich in der Schrittfolge geirrt zu haben. Kayt blieb plötzlich stehen und umfasste sie an der Hüfte. Und dann, ohne ein weiteres Wort, zog er sie an sich heran und küsste sie. Fay wusste nicht, wie ihr geschah. Sie spürte Wärme und Sicherheit. Dann, ohne es zu merken, schloss sie die Augen. Sie wusste nicht, weswegen, aber es fühlte sich richtig an. Nach einiger Zeit beendete er den Kuss sanft. Und auf einmal schossen ihr Gedanken durch den Kopf. Es war nicht richtig, dachte sie. Wieso, wusste sie nicht, aber es war falsch. Sie wich einen Schritt zurück. »Fay?« Sie schüttelte den Kopf und ohne in anzusehen verließ sie schnellen Schrittes das Kaminzimmer.

Lange saß sie auf dem Hocker vor ihrer Spiegelkommode und dachte nach. Sie war verwirrt. Was war nur geschehen? Natürlich wusste sie, was geschehen war. Aber wieso? Jedes mal, wenn sie an den Kuss dachte, breitete sich in ihrem Herzen wieder diese Wärme aus. Aber wie empfand sie darüber? War es gut? Oder schlecht? Es fühlte sich gleichzeitig richtig und falsch an. Und sie dachte an Kayt. An die viele Zeit, die sie seit ihrer Rückkehr miteinander verbracht hatte. Schon oft hatte sie sich bei der Frage erwischt, ob das, was sie fühlte, so etwas wie Liebe sei. Sie war bisher nie wirklich verliebt gewesen. Fühlte es sich so an?

Es war bereits tief in der Nacht. Die Kerze auf ihrem Nachttisch war beinahe gänzlich herunter gebrannt. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, wie sich hinter ihr die Tür leise öffnete und wieder schloss. Erst als sie kurz in den Spiegel aufsah, erschrak sie kurz. »Tut mir leid. Ich hatte nicht bemerkt, dass du so vertieft warst.« Sie stand auf und richtete ihren Morgenrock. Ein vorheriger Versuch zu schlafen war kläglich an ihren wirren Gedanken gescheitert. »Schon in Ordnung.« Sie wagte nicht, Kayt in die Augen zu sehen. Dennoch hatte sie das Gefühl, etwas sagen zu müssen. »Ich hätte vorhin nicht einfach gehen sollen. Ich wusste nur nicht, was ich...« »Ich liebe dich.« Nun sah sie ihn an. Seine braunen Augen und der feste Blick, der in ihnen lag, fesselten sie geradezu auf der Stelle. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie brachte kaum ein Wort heraus. »Was? Meinst du das ernst?« Langsam ging Kayt auf sie zu. »Glaube mir, Fay. Ich habe schon lange nicht mehr etwas so ernst gemeint, wie das. Ich liebe dich.« Langsam ging er auf sie zu und küsste sie noch einmal. Ihr Herz raste immer schneller und heftiger. Dann umfasste er mit der einen Hand ihre Hüfte und mit der anderen löste er das Band ihres Morgenrocks und streifte ihn ihr langsam ab. Fay hörte in diesem Moment auf nachzudenken. Sie ließ es Wortlos zu. »Und ich will dich.«
 

»Ich danke dir« unterbrach Callum sie »dass du mir an dieser Stelle Details ersparst!« Breit grinsend sah sie ihn an. »Du hast doch gefragt.« »Ich hab dich gefragt, weswegen du sein Kind so nah an seiner Behausung versteckst, nicht, wie ihr es gemacht habt! Das kann ich mir schon selber denken!« Callum lief dunkelrot an. Fay lachte laut los. »Falls es dich beruhigt, ich hätte hier so oder so abgebrochen.« Sie zwinkerte ihm zu. »Ich mache mit der Kurzfassung weiter, in Ordnung?« Er grummelte nur vor sich hin. »Das interpretiere ich mal als ein ja. Also, um es kurz zu fassen...« Sie errötete etwas und sah zu Boden. »Es blieb nicht bei diesem einen Mal.« »Ihr hattet also eine etwas längere Affäre?« »Ja, fast ein Jahr.« »Und weiter?« »Als Kayt gerade auf einer Kurzreise war habe ich gemerkt, dass ich ein Kind bekomme. Ich habe mich wieder so Gefühlt wie in dem Moment, als ich nach meiner Rückkehr im Kaminzimmer stand und damit rechnete, dass er bereit war mir das Leben zu nehmen. Du musst bedenken, er hat alle Antika, bis auf mich, gnadenlos ausgelöscht. Also bin ich wieder abgehauen.« »Aber du wolltest zurück?« Sie nickte. »Ja. Einige Monate später, kurz vor der Geburt, dachte ich, wie dumm das war. Aber ich schaffte es nicht mehr. Kassyan wollte nicht länger warten. Ich habe es nur bis zu Gritt's Gasthaus geschafft. Und da habe ich ihn dann schließlich auf die Welt gebracht.« »Und wieso hast du dich danach wieder umentschieden?« Traurig fasste sie an ihre Brust, auf die Herzseite. »Als ich ihn dann das erste Mal in meinen Armen hielt, war der einzige Gedanke den ich hatte, dass ich ihn unter allen Umständen schützen will, egal wovor oder vor wem. Das Risiko, ihn ausgerechnet durch Kayt zu verlieren schien mir beinahe greifbar. Und, um ehrlich zu sein, hat sich daran nicht viel verändert. Also versteckt Gritt ihn für mich. Und das ist auch schon das Ende der Geschichte.« Daraufhin saßen Fay und Callum einige Minuten lang schweigend unter dem Felsen. Bis Callum schließlich aufsprang. »Sieh mal, kein Regen mehr!« Fay stand auch auf, schulterte ihren Rucksack und reichte Callum mit einem Zwinkern das schwarze Fell. »Besten Dank.« Sie machten sich rasch wieder auf den Weg. Schließlich wollten sie nicht die Letzten werden. »Sag mal Fay, ohne dir zu Nahe treten zu wollen, aber eine Frage hätte ich da noch.« Zögernd sah sie ihn an. »Welche?« Er blieb vor ihr stehen und sah ihr tief in die Augen. »Liebst du ihn auch?« Gespannt wartete er auf eine Antwort. Traurigkeit sammelte sich wieder in ihren Augen. »Ich verstecke unser Kind vor ihm, weil ich befürchte er könnte es umbringen.« Er seufzte und fuhr sich beschämt durch seine Haare. »Klingt nach einem Nein.« Sie schaute weg. »Sollte man eigentlich glauben... oder?<<



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