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Hunters

Die Erinnerungen des alten Silver
von

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Kapitel Neun

~Kapitel Neun~

Kayt stand auf der Palastmauer und schaute in die Ferne. Am Horizont würde es düster. Nicht mehr lange und im Osten würde der Winter beginnen. Er dachte an Fay. Die ganze Situation gefiel ihm überhaupt nicht. Schlimm genug, dass sie alleine in den Wäldern herumzog. Aber sich dann ausgerechnet den Entführern der Prinzessin anschließen?

»Herr General?« Er drehte sich um. Hinter ihm stand eine der Palastwachen und salutierte vor ihm. »Ihre Majestät, die Königin erwartet sie in ihrem Arbeitszimmer. Sie lässt ausrichten, es sei von größter Dringlichkeit.« Etwas besorgt machte er sich auf den Weg. Was ihre Hoheit wohl von ihm wollte? Vermutlich hatte sie noch einige Fragen bezüglich ihrer Tochter.

Nachdem er den halben Palast durchquert hatte, stand er vor ihrer Tür. Er atmete einmal tief durch und klopfte. »Herein?« Kayt öffnete die Tür und betrat das Arbeitszimmer der Königin. Es war sehr groß, mit weißen Möbeln ausgeschmückt und von vielen kleinen Kronleuchtern erhellt. An den Wänden hingen Gemälde von ihr und dem König. Ihre Hoheit saß hinter ihrem Schreibtisch, vor sich ein großes Buch. »Ihr wolltet mich sprechen, eure Hoheit?« Er machte eine kleine Verbeugung. Mit ihrem gewohnt falschem Lächeln und einer Handbewegung schickte sie die Wachen hinaus. »Ich würde gerne mit dem General allein ein Wörtchen reden.« Die Wachen salutierten und verließen den Raum. Sobald die beiden alleine waren, änderte sich das Gesicht der Königin schlagartig. Das falsche Lächeln verschwand. Ihre Augen wirkten Eiskalt. Ihre Miene verfinsterte sich. Sie schlug das Buch auf ihrem Schreibtisch zu, griff in eine Schublade und holte eine Schriftrolle hervor. Sie stand auf und reichte ihm das Schreiben. »Das hier hat mich vor wenigen Stunden erreicht. Du bist mir eine Erklärung schuldig!« Kayt entrollte das Schriftstück. Das Erste was er sah, war ein kleiner, schwarzer Skorpion, der in die untere Rechte Ecke eingezeichnet war. »Eine Nachricht vom Assassinen?« »Du hast mir etwas wichtiges verschwiegen, Kayt. Du sagtest, sie sei mit ihren zwei Entführern unterwegs.« »Ja, das sagte ich.« Ihre Hoheit trat hinter dem weißen Schreibtisch hervor. Sie deutete auf das Schreiben in seiner Hand. »Er hat sie gesehen. Lies, was da steht.« Kayt entrollte das Schreiben. »... war in Begleitung der beiden Steckbrieflich gesuchten und...« er stockte. »Lies weiter.« »...und einer jungen Frau mit schwarzem Haar und einem schwarzem, gewundenem Stigma neben ihrem rechten Auge, das eindeutige Merkmal eines Antika.« Die Königin verschränkte die Arme. »Hast du davon gewusst?« Er strich sich mit der Hand durch seine Haare. »Ja. Ich wusste es. Ich hatte nur gehofft, dass es nur eine zweckmäßige Gemeinschaft war und sie sich schon längst wieder von ihnen getrennt hätte.« Königin Nigra schüttelte mit dem Kopf. »Bist du dir im Klaren darüber, was passiert, wenn der König davon erfährt? Wenn er erfährt, dass dein Schützling mit den Entführern von Sharon unter einer Decke steckt?« »Ich fürchte ja.« »Du weißt, dass er keine Ahnung hat, dass sie seit Jahren in der Weltgeschichte unterwegs ist und da wer weiß was tut!« Sie war ihm jetzt so nah, dass sie bloß zu Flüstern brauchte, damit er sie verstand. »Der König wird denken, sie war an der Entführung beteiligt. Dann gerätst du in absolute Schwierigkeiten. Und dann wird zweifelsohne irgendwann ans Licht kommen, dass ich die Suche nach Sharon quasi auf Eis gelegt habe.« Er ahnte, was als nächstes kommen würde. »Kayt, du musst sie irgendwie ausfindig machen und dein Mädchen zurück holen, bevor mein Mann davon erfährt!« Er seufzte. Was hast du da bloß angestellt, Kleines.
 

Die ersten seichten Schneeflocken fielen vom Himmel, als die kleine Gruppe ein Dorf erreichte. Sie mieteten für die Nacht vier kleine Zimmer in einem Gasthaus an. Nachdem sie gegessen hatten, gingen sie zunächst in Fay's Zimmer um die weiteren Pläne zu Besprechen. Zoran, Fay und Sharon saßen auf dem Teppich um eine Landkarte herum, Blake hatte es sich auf Fay's Bett gemütlich gemacht. »Mach es dir ruhig bequem Blake. Es ist auch nicht nötig, dass du deine dreckigen Schuhe ausziehst, bevor du in meinem Bett liegst.« Blake grinste. »Zu freundlich von dir.« »Leute, dafür haben wir jetzt keine Zeit, wir haben ein ernstes Problem.« Zoran zog die drei Zettel aus der Tasche, die der graue Schatten vor ihre Füße geworfen hatte, und breitete sie auf dem Teppich aus. Auf ihnen waren Zeichnungen zu sehen. Von Blake, Zoran und Sharon.

»Leute, ihr drei steckt echt in verdammt großen Schwierigkeiten!« Fay las noch einmal vor, was unter den Bildern stand.
 

GESUCHT: TOT ODER LEBENDIG

(Name Unbekannt)

Wegen: Entführung eines Mitglieds der königlichen Familie

Ausbruch aus Verlies des Palastes

Angriff auf Palastwachen

Diebstahl eines Palastpferdes

Versuchter Diebstahl persönlichen königlichen Eigentums

Kopfgeld: 500 Goldstücke
 

GESUCHT: TOT ODER LEBENDIG

Blake

Wegen: Entführung eines Mitglieds der königlichen Familie

Ausbruch aus Verlies des Palastes

Angriff auf Palastwachen

Diebstahl eines Palastpferdes

Versuchter Diebstahl königlichen Eigentums

Kopfgeld: 300 Goldstücke
 

GESUCHT: LEBENDIG

Prinzessin Sharon Alleah Alessia Julie

Die Prinzessin wurde von zwei Flüchtigen Verbrechern als Geisel genommen. Wer die Prinzessin unversehrt in den Palast zurückbringen kann erhält eine Belohnung.

Belohnung: 250 Goldstücke
 


 

Sharon verschränkte die Arme und grummelte. »Nur zweihundertfünfzig Goldstücke, ist das zu fassen? Für euch beide bekommt man mehr als das Doppelte!« Blake grinste. »Könnte das eventuell daran liegen, dass die im Palast dich gar nicht zurück wollen? Ich meine, dein toller General hat es ja schon sehr deutlich gemacht damals.« Zoran schaute Blake vorwurfsvoll an. »Was denn? Ich sage nur die Wahrheit.« »Du brauchst gar nicht so gelassen da zu liegen, du steckst genauso in Schwierigkeiten. So viele Goldstücke, oh Junge, da werden wir noch verdammt viel Ärger mit bekommen.« Sharon schaute abwechselnd Fay und Zoran an. »Wohin gehen wir als nächstes? Wenn ich euch richtig verstanden habe, dann können wir nicht mehr über die Bergpässe, richtig?« Sharon zeigte auf den markierten Punkt auf der Karte. Fay schaute konzentriert auf die Karte. »Nein, das ist jetzt nun wirklich nicht mehr möglich. Dabei wären wir in nicht einmal einem Monat dort angekommen. Aber bis dahin wird der Pass schon fast komplett eingeschneit sein.« »Können wir es nicht einfach riskieren?« Allgemeines Kopfschütteln. »Wir würden uns nur verlaufen und elendig erfrieren.« Zoran studierte ebenfalls die Karte. Dann legte er seinen Finger auf den Punkt, an dem sie sich gerade befanden. »Hier sind wir im Moment. Wir kommen von Westen. Nach Norden ist bei dem Wetter keine Option und zurück können wir auch nicht. Uns bleibt also nur der Weg nach Süden.« Fay setzte sich nervös von einem Bein auf das andere. »Was ist los?« »Der Süden ist fast nur Wüstengebiet. Es wird schwer sein, dort Schutz zu finden, es gibt kaum Versteckmöglichkeiten, wie Wälder oder Gebirge.« Vom Bett konnten sie ein abfälliges Schnaufen vernehmen. »Du hast doch vor etwas ganz anderem Angst, Antika.« Wütend schloss Fay die Augen und atmete tief durch um sich etwas zu beruhigen. »Würdest du damit aufhören, mich andauernd so zu nennen?« »Das ist genau das, was du bist.« Sie ballte die Fäuste, doch Zoran legte eine Hand auf ihre Schulter und versuchte sie so etwas zu besänftigen. »Wir wissen glaube ich alle, was es mit dem Süden noch auf sich hat.« Offenbar alle, bis auf Sharon. »Was ist denn im Süden?« Wieder ein abfälliges Schnaufen. »Der Süden steht beinahe Komplett unter der Kontrolle von Kayt. Soweit ich weiß befindet sich da auch seine Festung.« Sharon nickte langsam. »Und Norden ist keine Option?« Jetzt war es Zoran, der die Fäuste ballte. »Im Norden hält sich Duke auf.« »Und ich hasse Eis und Kälte!« Zoran schenkte Blake nur einen abfälligen Blick.« Sharon ergriff das Wort. »Also, vor General Duke habe ich ja schon irgendwie Angst. Er machte auf mich immer den Eindruck, als ob er jeden Moment völlig ausrasten würde und den Palast auseinander nimmt, egal weswegen.« Blake richtete sich auf. »Sowohl der Süden als auch der Norden sind für uns gefährliche Gebiete, die wenig Raum für Verstecke bieten. Aber wenn ich die Wahl habe zwischen Kayt und Duke, dann wähle ich Kayt. Ich meine, zur Not haben wir Fay als Schutzschild.« Zoran wollte protestieren, doch Fay hielt ihn zurück. »Er hat ja recht.« »Also, wir gehen in Richtung Süden?« Alle nickten. Blake stand auf. »Gut, dann wäre das ja geklärt. Ich geh jetzt schlafen. Wir sehen uns bei Sonnenaufgang unten in der Halle.« Mit diesen Worten stapfte Blake hinaus. »Ich gehe auch ins Bett, ich bin Todmüde. Gute Nacht.« »Ich lasse dich dann auch mal allein. Bis morgen.« Zoran schloss die Tür hinter sich und ließ Fay alleine zurück.

Es war mitten in der Nacht, als Fay wach wurde. Sie hörte, wie eine Tür sich öffnete und hörte Stimmen auf dem Flur. Waren das Soldaten? Oder Kopfgeldjäger? Hatte man sie bereits gefunden? Leise stand Fay von ihrem Bett auf und bewegte sich beinahe Geräuschlos durch das Zimmer. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen winzigen Spalt. Doch sie sah keine Soldaten oder Kopfgeldjäger. Ein einzelner Mann stand, mit dem Rücken zu ihr, auf dem Flur. Er war gut gekleidet und unterhielt sich mit jemandem, allerdings konnte sie weder sehen mit wem, noch konnte sie den anderen verstehen. Doch die Wortfetzen die sie mitbekam, waren sehr eindeutig. »Du bist dein Geld wirklich wert... komme wieder, wenn du mal in der Gegend bist... zahle extra für Diskretion...« Fay rollte mit den Augen. Es schien so, als würde auf diesem Flur eine Hure ihre Geschäfte machen. Sie musste sich die Hände vor den Mund halten, als der Mann zur Seite trat und sie Blake erblickte. Obenrum unbekleidet, nur in seiner Schwarzen Hose stand er in der Tür, zählte das Gold nach, was der Mann ihm in die Hand gedrückt hatte und verschwand lächelnd in seinem Zimmer. Leise schloss Fay wieder die Tür. Sie wusste nicht, wie sie mit dieser Erkenntnis umgehen sollte. Blake, eine männliche Hure. Für Männer. Für Geld. Natürlich für Geld, wofür auch sonst. Fay setzte sich wieder auf ihr Bett, an schlafen war jedoch nicht zu denken. Blake hatte also auch so seine Geheimnisse. Genau wie Zoran und sie. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr wurde ihr bewusst, dass sie so gut wie keine Ahnung hatte, mit wem sie da eigentlich reiste. Auf einmal vernahm sie ein Rumpeln über sich. Sie schlief im zweiten Stock, das Geräusch musste vom Dach kommen. Genervt zog sie sich ihren Mantel und ihre Schuhe an. Dann steckte sie ihr kleines Messer in die Manteltasche und ging zum Dachfenster. »Wehe, da sitzt jetzt noch eine Hure auf dem Dach!« sprach sie zu sich selbst. Blitzschnell öffnete sie das Fenster und sprang hinaus auf die Dachschräge. Doch den einzigen, den sie dort vorfand war Zoran. »Tut mir leid, habe ich dich geweckt?« Erleichternd aufatmend stecke sie ihr Messer weg und setzte sich neben ihn. »Nein, schon gut, ich war schon wach.« Zoran kam ihr ein Stück näher. »Du siehst verwirrt aus. Ist was passiert?« Sie schüttelte mit dem Kopf. »Nein, nicht wirklich. Wir alle haben unsere Geheimnisse.« Jetzt war es Zoran, der verwirrt dreinschaute. »Was machst du überhaupt mitten in der Nacht auf dem Dach? Und das bei dieser Kälte?« Lächelnd schaute er in die Ferne. »Ich versuche meine Gedanken zu sammeln.« »Was für Gedanken?« Er schaute sie an. »Zum Beispiel, wieso du mit uns reist.« »Wie meinst du das?« »Jetzt mal ganz ehrlich, Fay. Du weißt, dass wir gesuchte Verbrecher sind, derzeitig wohl die Meistgesuchten des ganzen Landes. Blake beleidigt dich die ganze Zeit, Sharon zickt dich nur an und du gerätst mit uns unnötig in Gefahr.« Sie lächelte. »Ich weiß selber nicht genau, wieso ich bei euch bleibe. Irgendwie habe ich das Gefühl, wir sitzen in demselben Boot.« »Wer, du und wir? Du warst doch gar nicht an der Entführung beteiligt.« Fay schaute Zoran in die Augen. »Nein, du und ich.« »Du und ich?« »Irgendwie schon.« Zoran musste lächeln. »Wieso das?« Sie zuckte mit den Schultern. »Schau uns doch an. Egal wo wir hinkommen, wir werden doof angestarrt. Wir sind einfach nicht wie die anderen. Ich weiß auch nicht. Mir kommt es so vor, als würdest du mich verstehen.« Zoran legte sich auf das Dach und starrte in den Nachthimmel. »Ja, stimmt. Irgendwie hast du recht. Wir sind wirklich nicht wie die Anderen. Wobei, ich glaube, Sharon ist auch kein normaler Mensch. Vielleicht eine Miege.« »Was ist denn eine Miege?« »Na ja, halb Mensch, halb Ziege.« Laut lachend legte Fay sich neben Zoran. »Sag mal Zoran, was bedeutet 'Versuchter Diebstahl persönlichen königlichen Eigentums'?« Sie konnte hören wie Zoran tief durchatmete. Dann strich er sich mit der Hand durch sein Haar. »Es bedeutet, dass ich angeblich versucht habe etwas zu stehlen, was sich nicht in der Schatzkammer des Palastes befindet, sondern in dem persönlichen Besitz eines Mitglieds der Königsfamilie.« »Und was genau?« Er seufzte. »Königin Nigra behauptete, ich hätte ihr etwas gestohlen, was aber schon seit Jahren in meinem Besitz ist.« »Und was genau?« Er hob seine Hand zu seinem Hals und zog eine Kette hervor. An ihr hing ein Ovaler, dunkelblauer Kristall. »Nigra will diese Kette unbedingt haben und als sie es nicht geschafft hatte, sie mir abzunehmen, ließ sie mich in den Kerker werfen. Sie hätte sich die Kette dann einfach nach meiner Hinrichtung unter den Nagel gerissen.« Fay nickte Verständnisvoll. Dann begutachtete sie den Anhänger etwas genauer. »Ist das eine Reliquie?« »Darüber rede ich nicht so gerne.« »In Ordnung. Darf ich doch noch etwas fragen?« Zoran schüttelte den Kopf. »Zuerst bin ich wieder dran.« Lächelnd nickte Fay ihm zu. »Da wir uns jetzt in südliche Richtung Begeben, muss ich dich das fragen.« Fay wartete ab. »Wie genau hat Kayt dich damals gerettet?« »Ich wusste du würdest mich irgendwann fragen.« »Du musst nicht antworten.« »Ich antworte, wenn du es niemanden erzählst.« Zoran machte ein Kreuz über seinem Herz und hob die Hand zum Schwur. Fay setzte sich auf. »Wo soll ich anfangen?« »Wo du willst.« Einmal tief durchatmend begann Fay ihre Geschichte zu Erzählen.

»Du weißt ja schon, dass ich geopfert werden sollte, als ich drei Jahre alt war und dass er mich davor gerettet hat.« »Wie hat er das gemacht?« »Er war bereits auf dem Festland gewesen und hatte sich Sorth angeschlossen, aber das ist ja bekannt. Als er wiederkam stand meine Opferung unmittelbar bevor.« »Für das bessere Wetter.« Fay seufzte. »Ja. Keiner wollte sich die Hände an mir schmutzig machen und riskieren, dass mein 'Fluch' auf ihn überging. Kayt hat damals wohl Mitleid mit mir gehabt. Er hat mal gesagt, er hat sich selbst in mir gesehen.« Zoran lausche gebannt. »Er sagte, er würde es tun. Also, mich opfern.« »Aber er hat es nicht getan.« Sie schüttelte den Kopf. »Er bekam von Sorth die Erlaubnis einen einzigen Antika zu retten. Das hatte er aber eigentlich gar nicht vor.« »Und trotzdem hat er es getan.« Fay lächelte. »Am Tag meiner Opferung bekam er ein Messer, welches er mir ins Herz stechen sollte.« »Hast du dich damals nicht gewehrt?« »Ich war erst drei Jahre alt. Ich wusste, es würde etwas schlimmes passieren. Doch ich wusste es nicht genau. Jedenfalls hat er mich dann auch zur Opferstelle gebracht.« »Meinst du, er hatte erst vor, dich wirklich zu töten?« Fay fuhr sich mit der Hand durch die schwarzen Haare und berührte dann ihr Stigma. »Nein. Er setzte mich auf den Opferaltar und sprach zu mir. Er sagte, dass ich ihm gut zuhören soll. Er würde mich in das große Land mitnehmen und ich würde die anderen Antika nie wieder sehen. Dann sagte er mir, dass es gleich sehr laut werden würde. Aber egal was passiert, ich dürfe nicht zurückschauen. Er hat mich auf den Arm genommen und ist mit mir davongegangen. Und dann hörte ich Lärm. Ich glaube, das waren die Soldaten, die an uns vorbei in das Dorf gestürmt sind. Ich hörte das scheppern von Schwertern und Speeren. Und Schreie, viele schmerzvolle Schreie. Aber ich habe die Augen ganz fest verschlossen. Und ich machte sie erst wieder auf, als wir bereits auf dem Schiff waren, auf dem Weg in mein neues Leben.« »Einen Moment mal kurz, mir fällt da was auf.« Fragend legte Fay den Kopf schief. »Kayt war bereits ein erwachsener Mann, als er dich rettete.« »Ja.« »Und das ist achtzehn Jahre her.« Sie nickte. »Das kann doch gar nicht sein, dann müsste er ja schon irgendwas um die Mitte vierzig sein. Er sieht aber aus als wäre er nicht einmal dreißig! Wie kann das denn sein?« Fay kicherte. »Wir Antika werden etwas um die fünfhundert Jahre alt.« »Oh, ach so. So ein Klan seit ihr also. Dann kann es also durchaus sein, dass er schon vierzig oder fünfzig ist, richtig?« »Hundertzwanzig.« Zoran starrte sie mit großen Augen an. »Was bitte?« »Kayt ist hundertzwanzig Jahre alt.« »Ach so, na gut. Sind ja nur schlappe achtzig Jahre vorbei geschätzt.« Fay lachte auf. »Wir altern erst wenige Jahre vor unserem Tod. Also, viel mehr wird bei mir auch nicht mehr passieren.« Zoran lächelte sie an. »Was ist?« Er schüttelte grinsend den Kopf. »Ich habe immer geglaubt, ich sei schon irgendwie besonders. Aber du kommst ziemlich nah dran.« Beide mussten lachen. »Darf ich jetzt meine Frage stellen?« Er nickte nervös. Fay tippte mit dem Finger auf seinen Oberarm. »Ich weiß noch immer nicht, ob das ein Tattoo oder ein Stigma ist.« Zoran schaute zum Horizont. »Es ist ein Stigma.« »Was kann es?« »Das willst du lieber nicht wissen.« Aus den Augenwinkeln schaute Zoran sie nun etwas misstrauisch an. »Und du bist wirklich erst einundzwanzig?« »Noch.« »Soll heißen, du hast bald Geburtstag?« »Ja.« »Und wann genau?« Jetzt war Fay es, die in die Ferne blickte. »Sobald die Sonne aufgeht.« »Wollen wir zusammen hier oben warten?« Fay lächelte. »Ja, das würde mich sehr freuen.«
 

Schweigend stand Kayt am Fenster seines Arbeitszimmers im Palast. Die Fenster waren geöffnet, er brauchte etwas frische Luft. In der Hand hielt er die Nachricht des Assassinen. Doch er schaute nur aus dem Fenster in die Ferne. Der Nachthimmel über ihm war noch dunkel, doch in der Ferne dämmerte es langsam. Er dachte an die Zeit zurück, bevor er sich Sorth anschloss. An die Wut auf sein eigenes Volk, die sein Herz noch immer fest umschloss. Ihre Dummheit, ihre ungebildete Art mit den Problemen umzugehen, ihre unermessliche Arroganz und ihr falscher Stolz auf etwas, was sie sich einbildeten zu sein. Er hasste sein Volk noch immer, jeden einzelnen von ihnen. Dann sah er ihre leuchtend grünen Augen vor sich und hörte ihr herzliches Lachen. Er schloss die Augen und sah sie vor sich. Nicht das kleine Mädchen, dass er einst vor ihrem Schicksal bewahrte und das davonlief, als es zwölf war. Welches er nie wieder sehen würde. Sondern die junge Frau, die sechs Jahre später vor ihm stand. Der feste Blick, das selbstbewusste Auftreten. All die Lebenserfahrungen, die ihr nun ins Gesicht geschrieben standen. Sie war keine von ihnen. Sie war nicht so dumm und arrogant. Sie war der Antika, nach dem er sein Leben lang gesucht hatte. Langsam öffnete er die Augen. Die Sonne zeigte ihre ersten Strahlen am Horizont. Zweiundzwanzig.



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