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Das rote Tuch

von

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Feuer

Irgendetwas stimmte nicht. Ganz plötzlich waren die vielen geschäftigen Menschen am großen Marktplatz in völliger Aufruhr und Unruhe legte sich über das goldene Damaskus. Männer und Frauen drängten sich hastig durch die Straßen, rempelten den viel kleineren Malik unachtsam an oder stießen ihn sogar mit voller Absicht beiseite. Was war denn bloß los?

Leise ächzte der 8-Jährige, als ihn ein dicklicher Kerl barsch zur Seite schubste und als 'kleine Ratte' titulierte. Der irritierte Junge stolperte beinahe, sein angebissenes Stück Fladenbrot fiel ihm aus der Hand und in den staubigen Grund zu seinen bloßen, dreckigen Füßen „Heey...“. Was sollte das? Das schöne Essen! Malik bückte sich nach dem Brot, hob es auf und sah dem davoneilenden Mann eingeschnappt hinterher; er reckte sein Kinn dabei und klopfte den Staub von seinem spärlichen Mittagessen, das er gestohlen hatte.

Ein wenig verunsichert sah sich der Junge mit den schwarzen, zerstrubbelten Haaren um, als er seinen mürrischen Blick von dem Mann von eben fort gelenkt hatte und steckte sich dabei ein Stück Gebäck in den Mund. Ein Pferd trabte im nächsten Moment an ihm vorbei, seine Hufe klapperten auf dem staubigen Steinpflaster und es schnaubte laut – und das mitten auf dem Markt! Ein gut ausgerüsteter Soldat saß auf dem großen, braunen Tier, seine schwere Rüstung funkelte im Sonnenlicht nahezu. Er trug einen wallenden Umhang in weiß mit einem roten Kreuzsymbol darauf, einen schönen Helm und ein richtig, richtig langes Schwert. Mit offenstehenden Lippen und geweiteten Augen wich der überwältigte Malik ein paar Schritte weit zurück – nur um schon wieder von hinten angerempelt zu werden. Oh Mann! Mit einem ärgerlichen Murren stolperte der Junge ein paar Meter weit davon, in Sicherheit und an den Rande des Geschehens. Weg von den ganzen blöden Leuten, die ihn behandelten wie einen der Straßenhunde. Er hatte zwar dreckige Füße aber er war kein Straßenhund! Und eine kleine Ratte war er auch nicht!
 

Beleidigt entfernte sich Malik schon bald von dem weiten Platz und ließ das Soldatenaufgebot dort beinah unbeachtet zurück. Nur ein, zwei Mal sah er noch einmal etwas irritiert über seine Schulter zurück, erklärte das Getümmel am Markt dann aber für relativ uninteressant. Für einen Meisterdieb wie ihn gab es dort nichts mehr zu holen; nicht, wenn vermeintlich zu aufmerksame, gefährliche Ritter zwischen den Menschen herum marschierten. Malik griff in seine Hosentasche und erfühlte deren Inhalt. Ein paar kleine, gestohlene Münzen klingelten zwischen seinen Fingern.

Er sollte nach Hause gehen... Mutter wartete bestimmt schon und Kadar langweilte sich sicherlich zu Tode ohne ihn. Ein breites Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich den Schweiß von der Stirn wischte. Puh, war es heute vielleicht heiß!
 

II
 

Das Erste, das Malik in die Nase stieg, als er durch das Loch in der dicken Stadtmauer schlüpfte war der dezente Geruch nach Rauch. Fragend sah er auf als er sich hinter dem dornigen Gebüsch, das die enge Kluft - seinen kleinen Geheimeingang nach Damaskus – verbarg, hervor drängte und ließ seine dunklen Augen neugierig forschend wandern. Es roch hier ja fast schon so, als würde irgendwo etwas brennen. War bei der sengenden Hitze und der trockenen Gegend hier ja nicht einmal so abwegig, huh? Es kam nicht selten vor, dass ausgedörrte Sträucher oder Felder Feuer fingen.

Malik steckte sich seinen letzten Bissen Brot und die dreckigen Hände in die Taschen und machte sich gemächlichen Schrittes auf den Weg nach Hause. So verspielt locker er dabei auch einen kleinen Stein vor sich her trat, so unruhig sah er bei seinem trödeligen Spaziergang auch immer wieder auf. Zwei Mal erspähte er dabei weitere dieser imposanten Soldaten mit den schönen, wiehernden Pferden. Der Junge mochte Pferde, sie hatten so schön samtig weiche Nasen und machten manchmal lustige Geräusche. Leise kicherte er in sich hinein und malte es sich im Geiste aus wie es wohl wäre eines dieser prächtigen Reittiere zu besitzen. Ein Weißes mit dunklen Flecken und einer schwarzen Mähne hätte er dann, die waren am tollsten! Es wäre ein Mädchen und würde Afya heißen; das bedeutete 'Schatten', denn es wäre so schnell, dass man von ihm nicht mehr sehen würde als das. Ach, er wäre damit viel, viel fixer wieder daheim als zu Fuß! Und er würde den unangenehm heißen Sand zwischen seinen Zehen dann auch nicht spüren. Doch Mutter hatte gemeint Pferde seien sündhaft teuer; Malik würde niemals eines bekommen. Schade...
 

Es dauerte eine Weile, bis das Haus seiner kleinen Familie in sein Blickfeld rückte, doch als er es sah, stockte dem kleinen Malik der Atem. Völlig entgeistert und mit hinunter klappendem Unterkiefer verharrte er nun sprachlos an Ort und Stelle; wie eine Statue stand er da während seine braunen, bangen Augen die Szene wenige hundert Meter weiter fixierten.

Schwarze Rauchschwaden. Feuer. Die Hütte in der er aufgewachsen war brannte lichterloh; hoch stiegen die Flammen empor und leckten gierig am bereits halb eingestürzten Holzdach. Zwei Männer entfernten sich gerade leger davon, beachteten den entsetzten Jungen - der auf offenem Feld dastand und nicht fassen konnte was hier gerade vor sich ging - nicht sondern lachten sogar während sie sich vermutlich über Banalitäten unterhielten. Es waren die selben prunkvollen Ritter wie in der Stadt. Die mit den anmutigen Pferden und den langen Schwertern. Die, die er auf dem Marktplatz Damaskus' noch so sehr bewundert hatte, hatten sie ja auch so schön glänzende Rüstungen.

Malik's trockene Lippen in seinem immer farbloser werdenden Gesicht standen noch immer offen; selbst als die beiden fremden Männer bereits fort waren, verharrte er noch bewegungslos auf seinem Platz. Er starrte lediglich dem lodernden Feuer, das das Haus das er sein Heim nannte – oder: genannt hatte – langsam zu Boden zwang, entgegen. Atemlos. Ungläubig. So, als wäre dies hier ein schlechter Traum.

Hatten die Soldaten das Feuer gelegt? Warum? Hatte Mutter ihnen etwas getan? Nein. Sie war doch so lieb. Wieso sollten sie- nein.
 

Ein plötzlicher Ruck ging durch den dünnen Körper des 8-Jährigen und er setzte sich in Bewegung. Er lief so schnell wie ihn seine nackten Füße über den von der Sonne glühenden Boden tragen konnten. Die Zeit um ihn herum schien in diesem Augenblick vollends stillzustehen; es gab nur noch ihn und das brennende Haus. Sein Kopf war leer und seine Ohren erfüllt vom Rauschen seines eigenen, schnell pulsierenden Blutes. Er bemerkte nicht einmal, dass er laut schrie. Nach seiner Mutter, nach Kadar. Oh, hoffentlich waren sie nicht in der Hütte! Hoffentlich waren sie fort! Die Fremden hätten das Haus doch nie angezündet, wären Menschen darin gewesen. Das hätten sie doch nicht??

Mama!!“ der panische Malik stolperte und stürzte auf seinem holprigen Weg zu dem Haus mit den schwarzen, krachenden und knisternden Holzbalken. Er schlug sich ein Knie und die Ellbogen auf, jammerte, doch zögerte nicht damit sich wieder hektisch aufzurappeln und weiter zu rennen.

„Mama! Kadar!“ rief er in das fauchende Feuer hinein, als er dann praktisch direkt davor stand. Schützend hob er einen seiner Arme vor sein Gesicht und hustete, als ihm der stechende Rauch in die Lungen kroch. Sie fingen an zu schmerzen, brannten und er hustete und hustete. Wie im Wahn hielt er taumelig auf die offenstehende Türe der Hütte zu. Die hohen Flammen teilten sich dort um ein Stück weit und ohne nachzudenken setzte der schwer schluckende Malik dazu an durch diese schmale, feuerfreie Stelle hindurch zu springen. Er musste Mutter retten! Sie und Kadar! Wenn sie wirklich in dem Gebäude waren und nicht raus kamen, würden sie verbrennen! Das durfte nicht passieren! Sie durften ihn nicht alleine lassen!
 

Schwer kam Malik auf dem dreckigen, rußigen Boden innerhalb des ächzenden Hauses auf. Umzingelt von dem Feuer und schwarzem, beißendem Rauch blickte er ziellos umher, drückte sich den fleckigen Ärmel fest vor Mund und Nase und blinzelte angestrengt. Er konnte kaum etwas erkennen. „Mama!!“ schrie er heiser und der Stoff vor seinen Lippen dämpfte seine ängstlich zitternde Stimme. Und dann eine Antwort. Endlich eine Antwort: „Malik!“. Der hohe Ton des jüngeren Burschen in einer der Ecken der Hütte ließen den Angesprochenen zusammenfahren.

Ein erneuter, erschrockener Schrei entkam dem aufgehetzten Malik als ein brennender Dachbalken neben ihm zu Boden krachte: der Grund bebte unter der wuchtigen Last des massiven Holzträgers nahezu. Der 8-Jährige wankte zur Seite und hustete trocken, schnappte nach Luft, doch atmete nur wieder stechend heißen Rauch ein. Ihm wurde schummrig.

„Malik!“ weinte Kadar laut und als der Ältere der Richtung der Stimme folgte, erblickte er ihn schließlich schemenhaft. Der jüngere Bruder krabbelte gerade unter irgendetwas Verbranntem hervor und presste sich eine Hand vor den Mund. Er schien unversehrt zu sein, welch ein Glück! Sofort eilte Malik auf den plärrenden Kadar zu und wich dabei einige Male mit zusammengekniffenen Augen von den sengend heißen Flammen zurück. Als er den 5-Jährigen dann endlich erreichte, hatten ihn die Kraft und die Fähigkeit geradeaus zu laufen fast schon verlassen.

Es fühlte sich an wie ein richtiger Triumph – sogar besser als ein gelungener Diebstahl einer ganzen Geldkatze auf dem Markt – als er seine schmutzige Hand endlich an seinen Bruder legen und jenen schützend an sich ziehen konnte. „Wo ist Mama?“ keuchte der 8-Jährige verhalten hervor, als er dem taumeligen Kadar beim Aufstehen half. Sekunden später folgten seine geröteten Augen dann auch schon dem zittrigen Fingerzeig des Jüngeren. Er deutete auf das verbrannte... Ding unter dem er vorhin gerade hervorgekrochen war. Malik benötigte ein paar Momente, um zu realisieren wen oder was der Andere meinte, doch dann entglitt ihm seine Mimik vollends. Er weitete die glasigen Augen, spürte wie ein Beben durch seinen angespannten Körper jagte und sank schließlich auf die schmerzenden, wunden Knie. Ihm wurde schlecht, er würgte, schaffte es aber dennoch nicht seine Aufmerksamkeit von der angekohlten Masse aus Fleisch und Stoff fortzureißen. Der zutiefst entgeisterte Junge japste gequält und heulte schlussendlich entsetzlich auf. Die Finger seines heiser keuchenden, mit ihm weinenden Bruders krallten sich dabei an seinen Arm und das zuckende Feuer ringsum schien sie beide verschlingen zu wollen.

Bevor es dazu kam, wurde Malik von hinten gepackt. Ein starker Arm schlang sich um ihn und hob ihn hoch, klaubte ihn - und vermutlich auch seinen kleinen Bruder - aus den glimmenden Trümmern. Der Junge erschrak, schluchzte erschrocken auf und ruderte protestierend mit den Armen „Nein, nein, Mama!!“. Doch er konnte nichts gegen denjenigen tun, der ihn von seiner toten, verschmorten Mutter fort zerrte. Raus aus dem Feuer, das seine simple Kleidung etwas angesengt hatte und meterweit weg von der in sich zusammenstürzenden Hütte am Rand von Damaskus.
 

III
 

„Hier...“ der geduldige Mann reichte Malik einen Trinkschlauch mit Wasser darin und sogar ein wenig Trockenobst. Doch der zerstreute Junge hatte keinen Appetit; er hielt sich mit zusammengebissenen Zähnen und völlig verstört an dem Behältnis fest, das man ihm gerade gegeben hatte und schüttelte bei dem Gedanken an das Obst heftig den Kopf. Seine matten Augen waren auf seinen kleinen Bruder gerichtet. Der Begleiter des Fremden mit dem Essen war bei Kadar. Er saß in der Abenddämmerung neben dem Jüngeren am Flussufer und goss dem schniefenden 5-Jährigen kühles Wasser über eine schlimme Brandwunde am rechten Arm. Malik kannte den Mann dort drüben. Es war der Adler. Der, der ihm und Kadar damals etwas Geld gegeben hatte, nachdem sie am Markt Damaskus' Ärger bekommen hatten. Der in der weißen Kapuzenrobe, mit den vielen Waffen und den stechend goldenen Augen. Der Adler und der Große neben Malik hatten sie beide gerettet. Sie hatten ihn und seinen schreienden Bruder aus dem brennenden Haus gezogen und mit sich genommen. Sie hatten keine Wiederworte geduldet, waren sehr viel stärker gewesen als die beiden Kinder.

„Du musst etwas trinken...“ meinte der Fremde neben dem 8-Jährigen mit sanfter, tiefer Stimme und strich ihm durch das wirre, nach Rauch stinkende Haar „Du willst doch nicht verdursten, hm?“.

„... n-nein.“ wimmerte Malik daraufhin leise in sich hinein und wischte sich mit dem Handrücken über die, vom vielen Weinen geschwollenen Augen. Eine dicke Träne kullerte ihm abermals über die rußverschmierte Wange und zog einen schmalen Rinnsal über sie hinab. Verbissen setzte er dann dazu an einen tiefen Schluck aus dem Trinkschlauch des Mannes neben sich zu nehmen. Der Fremde, der plötzlich so viel redete lächelte schwach „Na siehst du.“. Völlig verunsichert sah Malik du dem Großen auf. Seine Kleidung sah genau so aus wie die des Adlermannes. Und wie jener hatte er ebenso ganz viele kleine Messer bei sich. Und ein Pferd, das hatte er auch. Seine Augen waren so dunkel, dass man die Pupillen darin gar nicht sehen konnte und er hatte schulterlange, schwarze Haare, die er sich locker im Nacken zusammengebunden hatte. Malik konnte das gut erkennen, denn im Gegensatz zu dem Adler trug dieser - eigentlich ganz nett wirkende - Mann hier seine weiße Kapuze nicht.

„Wie heißt du, junger Mann?“ fragte der Langhaarige, als er den Rücken des aufgebrachten Kindes beruhigend streichelte.

„Ma- Malik...“

„Ich bin Faheem. Faheem Al-Sayf.“

Malik vergaß seine Tränen für eine kurze Weile, als er dem nun nicht mehr ganz so fremden Gerobten interessiert entgegenblickte. 'Al-Sayf' hieß 'König des Schwertes'; das passte. Faheem nickte in die Richtung seines Kumpanen „Und das dort ist mein Bruder Umar Ibn-La'Ahad.“.

Der 8-Jährige zog die Nase leise hoch und presste die Lippen aufeinander, als er den Besagten eingehend musternd beobachtete. Die beiden Männer waren... Brüder? Warum hatten sie dann unterschiedliche Nachnamen? Malik und Kadar waren auch Brüder und hatten die Selben: Ya-Sin. Der Junge lenkte seine nassen Augen wieder zu dem viel älteren Langhaarigen neben sich, fing dessen freundlichen Blick auf. Fragen brannten ihm auf der Seele.

„Warum... warum seht ihr so komisch aus?“ fragte Malik vorsichtig, doch mit seiner kindlichen Naivität geradeaus. Etwas, das Faheem, der gerade von einer getrockneten Feige abbiss zum Schmunzeln brachte.

„Wir sind Assassinen. Weißt du was das ist?“

„N-nein.“

„Wir sind eine Bruderschaft. Krieger, die gegen böse Menschen kämpfen.“

„Gegen... gegen die Ritter in den Rüstungen?“

„Ja, zum Beispiel.“

„Und ihr könnt fliegen.“

Faheem stutzte nach dieser geflüsterten 'Erkenntnis' seitens des Jungen und runzelte die Stirn, hielt mit dem Essen inne. Malik wusste nicht, wieso ihn der Mann plötzlich so komisch ansah. Hatte er Unrecht gehabt? Was oder wen hatte Kadar dann damals in der Stadt gesehen?

„Meinst du?“ antwortete der Ältere schließlich mit einer gewissen, amüsierten Neugier in seinem Ton.

„Ja. Dein Freund ist ein Adler.“ meinte der Junge völlig überzeugt.

Wieder ein erheitertes Lachen seitens Faheem, das den eingeschüchterten Malik nur noch mehr verunsicherte. Der König des Schwertes tätschelte den Kopf des nervösen 8-Jährigen „Soso.“.

„Könnt ihr? Also, fliegen?“

„Hm. Ja, manchmal.“

Aus großen Augen betrachtete Malik den Mann, der bei ihm verweilte und zum zweiten Versuch ansetzte ihm Trockenfrüchte anzubieten, von oben bis unten. Dieses Mal nahm der dünne Junge diese auch an und aß sie langsam und schweigend. Denn eigentlich... eigentlich hatte er schon einen ganz schönen Hunger; sein Magen knurrte.
 

„Wir würden euch beide gerne mit uns nehmen. Wie fändest du das, Malik?“ fragte Faheem nach einiger Zeit des Schweigens; der essende 8-Jährige neben ihm horchte auf und hob seinen müden Blick fragend an. „Wir wohnen mit vielen Anderen in einer großen Festung; würde es dir dort gefallen?“ setzte der nette Assassine fort und fragte damit ehrlich nach der Meinung des verwirrten Kindes bei sich. Malik konnte sich unter einer 'Festung' nicht so viel vorstellen, doch es hörte sich... beeindruckend an. Irgendwie. Er nickte „Aber... aber nur, wenn Kadar auch mit darf.“.

„Natürlich darf er das. Es gibt dort auch andere Kinder. Umar hat einen Sohn in deinem Alter: Altaïr. Ich denke ihr würdet euch verstehen.“

„E-echt?“

„Echt.“

„Kann Altaïr auch fliegen?“

Ein schiefes Schmunzeln „Noch nicht. Aber bald.“.

Das erste, schwache Lächeln seit vielen Stunden machte sich nun auf Malik's rußigen Gesicht breit. 'Altaïr' also.
 

IV
 

Die Reise zu der großen Festung der Assassinen dauerte für ein ungeduldiges Kind, das es kaum erwarten konnte weitere der seltsamen Adlermenschen zu sehen, viel zu lang. Auch, wenn der schnell begeisterte Malik es faszinierend fand im Sattel vor dem redseligen Faheem zu sitzen und auf dessen schwarzem Pferd mitreiten zu können wünschte er es sich trotzdem schon nach der ersten Nacht, dass sie doch endlich in diesem 'Masyaf'-Dorf ankommen würden.

„Wie lange noch?“ fragte der hibbelige 8-Jährige ständig, als er an seinen Ärmeln herum zupfte oder von einem schmerzenden Fuß auf den Anderen trat. „Nicht mehr lange.“ oder „Geduld.“ meinten Umar und Faheem dann immer.

Doch diese unglaubliche Vorfreude auf ein unbekanntes, neues Leben ohne Armut war nur die eine Seite der Medaille; die Kehrseite sah viel, viel düsterer aus: Malik schaffte es nur sehr selten lange – oder überhaupt - zu schlafen. Sobald er die braunen Augen schloss, sah er seine tote, verbrannte Mutter vor sich. Wie sie unnatürlich verrenkt in der Ecke ihres zerstörten Hauses lag, rauchte und stank. In den ganz schlimmen Alpträumen, da bewegte sie sich dann sogar auf animalische Art und Weise. Sie kroch auf den entsetzten Malik zu und grapschte mit einem schrillen Zetern auf den Lippen und mit spitzen, schnappenden Zähnen nach ihm. Ihre schwarzen Eingeweide zogen schleimige Schlieren, als sie unter schmatzenden Geräuschen über den glühenden Grund rutschte und ihre langen, schwarzen Haare hingen ihr blutverklebt in das entstellte Gesicht mit den tiefen Augenhöhlen.

Sie kreischte. Laut und hysterisch. Und als sich ihre gierigen, knochigen Finger um Malik's Bein schlangen, lachte sie wahnsinnig. Sie lachte, bis ihr der Schaum vorm Mund stand und sie anfing grausig zu röcheln. Sie zerrte Malik mit einem Mal zu Boden und der fallende Junge schrie panisch um Hilfe, weinte, schlug um sich und trat so fest zu wie er nur konnte. Doch das fürchterliche Monster ließ ihn nicht los sondern krabbelte schwerfällig auf ihn. Weit riss es sein stinkendes Maul auf; sein Unterkiefer knackte, als es ausgerenkt wurde und Malik verfiel in haltlose Angst. Er bemerkte wie der unbeholfene Kadar auf einmal an seiner Hand zog. Er wollte ihm helfen, wollte seinen großen Bruder aus der tödlichen Umarmung der fleischigen, bluttriefenden Bestie befreien. Doch er schaffte es nicht. Immer wieder rief er Malik's Namen verzweifelt während er so fest an dem Arm zerrte, dass es schmerzte. Heiße Tränen liefen über die fahlen Wangen des 8-Jährigen als die Zunge des Untiers auf ihm auf ihn zuschnellte und er heulte markerschütternd auf. Dann ein ekelhaftes Zerreißen von Gelenken, Haut und Fleisch; der Junge warf seinen wirren Kopf herum. Sein Arm! Kadar hatte ihm den Arm abgerissen! Blankes, verzweifeltes Entsetzen lag im Blick des Schreienden; das Maul seiner untoten Mutter klaffte vor ihm auf und schwarzer Speichel tropfte ihm zähflüssig in das Gesicht.

Malik!“ ein sanftes Rütteln ließ den wimmernden Schwarzhaarigen aus dem Schlaf hochschrecken. Völlig verängstigt sah das zitternde, verweinte Kind auf, stieß ein flehentliches „Nein!!“ aus.

„Du hast geträumt.“ Umar's unnatürlich goldene Augen starrten dem 8-Jährigen unter einer weiten Kapuze besorgt entgegen; der Mann legte seine raue, vierfingrige Hand an Malik's heiße Stirn „Du hast ja noch immer Fieber.“. Und wieder schluchzte der Jüngere, wendete seinen Kopf abrupt fort und grub sein bleiches Gesicht an seinen schützenden Arm – so, als wolle er von dem schrecklichen Drumherum aus fiebriger Halluzination und vager Realität nichts wissen. Er rang schwer nach Atem, um einen halbwegs klaren Gedanken, dann mit sich selbst. Das hier war nicht Umar.

„Malik.“ kam es wieder, dieses Mal etwas drängender und mit einer dunklen Befürchtung im beklommenen Unterton.

„Oh Gott...“ atmete Malik kehlig hervor und kniff die Augen zu; er spürte Sekunden später eine Hand an seiner Seite, die wieder leicht, doch auffordernd an ihm rüttelte.

„Du hast geträumt...“ wiederholte der Adler beschwichtigend und der fiebrige Dai hörte, wie sich der Andere über ihn beugte, um ihn eingehend zu beäugen „He. Alles gut.“.

Ein entnervtes Seufzen verließ die fürchterlich schmerzende Kehle Maliks als er den schützenden Arm vor seinem, vom Fieber etwas geröteten Gesicht wieder etwas sinken ließ. Aus glasigen, halb geöffneten Augen sah er der nüchternen Wand vor sich entgegen. Der Wand an der das weiche, saubere Bett stand auf dem er lag; im Haus des alten Informanten Jerusalems. Jerusalem. Nicht Damaskus. Es war alles in Ordnung, er hatte nur geträumt, war nicht allein. Es gab keine Monstren, die Toten waren tot und würden es auch bleiben.

„Malik...“ murrte Altaïr erneut; dieses mal genervt und auf infantile Art und Weise ungeduldig. Der Angesprochene spürte die tätschelnde Hand an seine Schulter wandern und wendete sich nach vielen, tiefen Atemzügen - und einem Räuspern, um seinen engen Hals freizubekommen - erst um. Zögerlich hob er seinen noch etwas wirren Blick dem anderen, abwartenden Assassinen entgegen. Altaïr saß bei ihm auf der Matratze. Hatte er etwa bei ihm im Bett geschlafen? Er hatte kaum was an...

Die schmalen, braunen Augen des vor den Kopf gestoßenen, wieder etwas klareren Kartografen musterten den anderen Mann skeptisch.

Hallo?“ war das Einzige, das der kritische Ältere nun prüfend von sich gab. Ach ja, er wartete wohl auf eine Antwort.

„Hm. Tut mir leid.“ kam es resigniert über die rissigen Lippen des kranken Dais und sein erschöpfter Blick wanderte für ein paar Herzschläge lange ein Stück weit fort. Altaïr wirkte erleichtert und als Malik nichts mehr von sich gab sondern die schmerzenden Augen wieder schloss, legte er sich hin. Direkt neben dem sich leise in die Hand hustenden Kartografen. Schon wieder waren da die vier Finger an Malik's Seite; sie schienen heute wirklich Probleme damit zu haben von ihm abzulassen... doch er sträubte sich nicht gegen sie. Ja, er war – gerade nach seinem aufreibenden Alptraum und den verzerrten Erinnerungen an frühere Tage – sogar heilfroh über seine Gesellschaft und die bald darauf folgende Umarmung der selbigen. Moment. Umarmung? Der sonst so eisige Adler Masyafs drückte den Jüngeren gerade ohne um 'Erlaubnis' zu fragen an sich heran und hielt ihn fest, bot ihm damit stummen Beistand weil er wohl nicht wusste was er sagen sollte. Altaïr war kein Mann der Worte, war er nie gewesen. Und darum ließ er eben Taten sprechen – wie immer. Hm. Malik öffnete seine brennenden Augen wieder etwas, sah gedankenverloren in die Leere. Der Andere roch gut. Und... das hier fühlte sich gut an. Der viel zu positiv überraschte Dai atmete leise und irgendwo erleichtert durch; zwischen verschobenen Gedanken und einem morbiden Wohlsein grub er seinen nebeligen Kopf in die Halsbeuge des anderen, wie ausgewechselten Assassinen. Es war gut so, gerade eben jedenfalls.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Evelyn
2013-05-16T21:39:55+00:00 16.05.2013 23:39
Armer Malik...
Altaïr ist echt wie ausgewechselt <3
Antwort von:  Crevan
17.05.2013 09:37
fragt sich nur wie lange :P haha
Antwort von:  Evelyn
17.05.2013 14:37
Ich hoffe für etwas längere Zeit *-*
Antwort von:  Crevan
17.05.2013 15:51
:3
Von: abgemeldet
2013-05-16T18:51:21+00:00 16.05.2013 20:51
HIIIIIIII!!!! :CCCCCCCC
Antwort von:  Crevan
16.05.2013 21:27
HUUUUUUUUUU O:


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