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Wandel der Zeit

von

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Temporis Praeteritum

Sie war verwirrt. Doch es lag nicht an den Gedanken, die sie hatte, sondern an jenen, die sie nicht hatte. Der Hass, den sie früher empfunden hatte, diese Wut, war verschwunden. Statt Abneigung empfand sie nun Mitleid; er war von einem wütenden, aggressiven und gemeinen Gewalttäter zu einem erbarmenswürdigen Häufchen Elend geworden. Doch was wollte er hier? An diesem Platz? Zu dieser Zeit?

„Katie“, ertönte da die Stimme einer alten Bekannten, die immer rennend näher kam, „Du auch hier?“

Ein Seitenblick verriet ihr, dass er sich zurückgezogen hatte und nun versteckte. Vermutlich wollte er nicht gesehen werden, nicht von denen, die gegen ihn kämpften, erst in einem harmlosen Kinderspiel und dann in einem tödlichen Krieg. Dann wandte sie sich lächelnd ihrer Freundin zu, die atemlos und gehetzt vor ihr stand: „Schön dich zu sehen.“

„Finde ich auch.“ Das strahlende Lächeln, das sie vor dem großen Krieg hatte, war noch nicht ganz zurückgekehrt. Und der Blick, den sie dem eigentlich recht schlichten Denkmal, vor dem sie nun standen, zuwarf, sagte mehr als tausend Worte.

„Ein Jahr ist es her“, stellte Katie leise fest. „Kannst du es glauben? Heute ist sein erster Todestag.“

Viele waren im Kampf gegen den Dunklen Lord gestorben, aber sie wusste, dass sie beide wegen einem guten alten Freund hier waren. Fred Weasley. Sein Name war zwar nur einer von vielen, die auf diesem Stein verewigt wurden, doch für sie der Wichtigste.

„Scheint so, als wären wir alle auf diese Idee gekommen.“ Eine leise männliche Stimme erklang. Als die beiden Freundinnen sich umdrehten, erkannten sie ihre alten Freunde und Wegbegleiter wieder. Alicia Spinnet. Lee Jordan. Oliver Wood. Und George Weasley. Katie war immer wieder traurig, wenn sie ihn sah, allein, ohne seinen Schatten, der ihn früher begleitete. Auch sein Blick hatte sich verändert, war härter und finsterer geworden. George hatte den Tod seines Zwillingsbruders nicht überwunden. Das hatte keiner von ihnen.

Ein Seitenblick auf Angelina verriet Katie viel: Im Gesicht ihrer Freundin zeigten sich so viele Gefühlsregungen, von Mitleid über Wut bis hin zu einem Ausdruck, der so liebevoll war, dass sie unwillkürlich lächeln musste. Das Schicksal ging doch seltsame Wege: Auf dem Ball war sie mit Fred gegangen, doch wenn George endlich sein Dasein als Eisklotz aufgeben würde… Aber so weit war er noch nicht.

„… Katie! Hörst du mir überhaupt zu?“

„Hm?“ In der Tat hatte sie Oliver nicht zugehört, allerdings war es wohl nicht schwer zu erraten, worüber er gesprochen hatte: Quidditch. Oliver Wood kannte praktisch kein anderes Thema. Das machte ihn zwar sympathisch, aber manchmal brachte er sie dadurch auch zur Verzweiflung, wenn sie sich mal trafen. Dieser Mann lebte praktisch für Quidditch, obwohl nicht nur praktisch. „Entschuldige, Oliver. Ich habe gerade nachgedacht.“

Sie schenkte ihn mit einem entschuldigenden Lächeln, was er mit einem typisch schottischen „Hmpf“ bedachte.

„Was will der denn hier?“ Georges erste Worte galten dem Mann, den Katie schon vorher bemerkt hatte. Marcus Flint. Ehemaliger Kapitän des Slytherin-Teams. Ihr Gegner im Krieg. Ein Anhänger des Dunklen Lords. Und nun ein heruntergekommener, abgemagerter Mann mit tiefen Schatten unter den Augen. Die Sonne, die langsam aufging und nun alles mit ihren warmen Strahlen bedeckte, machte all dies nur noch deutlicher. Er sah erbärmlich aus. „Flint. Verschwinde! Reicht es nicht, dass du gegen uns gekämpft hast? Schlange!“

George sah aus, als wollte er jeden Moment auf den anderen losgehen. Sein Gesicht war rot angelaufen, bis hoch zu dem Ohr, was ihm verblieben war. Seine Augen blitzten wütend, seine Fäuste waren geballt.

„Lass es“, Oliver trat vor ihn und hob beschwichtigend die Hände. „Sieh ihn dir an. Er ist es nicht wert.“

„Ach ja? Jeder, der sich den Todessern angeschlossen hatte, ist es wert. Jeder, der auf der falschen Seite gekämpft hat, ist es wert. Wert, verprügelt zu werden!“ Auch Lee war zu George getreten, doch nicht um ihn zu beschwichtigen, nein, er wollte kämpfen. Der Hass auf die Armee des Dunklen Lords war ungebrochen und dieser loderte nun wieder auf. Brennend heiß.

Synchron zogen die beiden ihre Zauberstäbe, eine Geste, die an die Zwillinge von früher erinnerte, nur dass hier Lee den Platz des einen eingenommen hatte.

„Wollt ihr wirklich hier kämpfen?“ Angelina deutete auf das Denkmal. „Erinnert euch daran, dass dies ein Symbol für den Frieden sein soll. Krieg und Zerstörung haben diese ganzen Leben hier gekostet.“

Sie hatte Recht. Wie in Trance ging Katie langsam auf Flint zu, der ihr – mit dem Stolz, der ihm noch geblieben war, in den Augen – entgegen sah.

„Was willst du hier?“ Sie hielt seinem stechenden Blick stand, auch als sie dicht, fast schon zu dicht, vor ihm stehen blieb. Er war größer als sie und so musste sie den Kopf leicht in den Nacken legen. Aber die Muskeln, die er früher immer so gerne zur Schau stellte, waren verschwunden. Nun würde sie ihn eher als sehnig bezeichnen, sehnig und abgehärtet.

„Geht dich nichts an.“ Auch seine Stimme klang anders, heiser, so als hätte er sie lange nicht mehr benutzt.

„Katie, geh aus dem Weg“, drang Georges Stimme scharf an ihr Ohr. Aber sie dachte gar nicht daran. Auch wenn Flints Blick stechend war und seine Worte abweisend, strahlte er dennoch keinerlei Gefahr aus.

Sie spürte, dass er nicht kämpfen wollte, da war sie sich sicher. Warum wusste sie zwar nicht, doch dieser Mann war nicht der Marcus Flint ihrer Schulzeit. Nicht nur die Menschen, die auf ihrer Seite gekämpft hatten, wurden durch den Krieg verändert, scheinbar hatten auch ihre Gegner einen Wandel vollzogen. Trotzdem wusste sie nicht, was sie von ihm halten sollte.

Dann unterbrach sie den Blickkontakt und drehte sich um: „Legt eure Zauberstäbe weg. Er ist keine Gefahr.“

Ein unwirsches Knurren erklang hinter ihr, doch wirklich bedrohlich wirkte es nicht. Auch vor ihr, bei ihren Freunden, gab es nicht gerade Begeisterungsstürme, doch zumindest Lee ließ seinen Stab sinken. Sie konnte verstehen, dass George kämpfen wollte, sich rächen wollte, dennoch war dies keine Lösung.

Mit einem lauten „Hör jetzt auf Katie“ riss Angelina auch den Zauberarm des Weasleys runter und sah ihn böse an. „Wenn du schon nicht Flint vertraust, was vollkommen verständlich ist, dann vertraue wenigstens ihr. Vertraue uns… vertraue mir.“

Die immer leiser werdende Stimme ihrer Freundin, die Eindringlichkeit darin, ließ Katie erschaudern. Es schwang schon Hoffnungslosigkeit mit, Verlorenheit und so viel Traurigkeit. Angelina hatte mit Fred auch zugleich George verloren. Eine leichte Bewegung, kaum spürbar, in ihrem Rücken riss sie auf ihren Gedanken und sie wandte sich wieder Flint zu. Dann sah sie sie: eine weiße Rose. Sie war schon zerdrückt und ließ ihre Blätter hängen. Sie wirkte winzig in seiner großen Hand. Doch es war eindeutig eine Rose.

„Warum?“ Sie hoffte, dass die anderen ihre Frage nicht hören würden, und dem war auch so. Angelinas Worte hatten etwas von dem alten George hervor geholt und gerade stritten sie im Hintergrund.

Er räusperte sich nur und legte die Rose nieder. Zwischen den vielen Kränzen und Sträußen ging sie unter.

„Warum?“

Schweigend sah er sie an. Sein Blick war ungewohnt, etwas fehlte darin. Sein Stolz? Die Aggression? Die ständige unterdrückte Wut? Katie konnte es nicht sagen.

„Du hast an seiner Seite gekämpft. Warum kommst du dann hierher?“

„Wer sagt, dass ich an seiner Seite gekämpft habe?“ Immer noch war seine Stimme rau und ungeschliffen.

„Ich habe dich gesehen.“ Ja, das hatte sie. Als der Dunkle Lord mit Harrys vermeintlicher Leiche kam, hatte sie ihn gesehen, hinten, versteckt und fast zu übersehen, doch sie hatte ihn gesehen.

„Auch beim Kampf?“ War das etwa ein Lächeln, das seine Lippen umspielte? „Ich habe nicht gekämpft. Viele von uns Slytherin haben nicht gekämpft.“

„Ich habe gekämpft. Du könntest mir also Lügenmärchen auftischen, ich wüsste nicht, ob du die Wahrheit sagst. Warum sollte ich dir also glauben? Soll diese Rose der Beweis sein?“

Nachdenklich sah er sie an und nickte dann leicht: „Du kannst mir nicht glauben. Aber sollte es nicht Beweis genug sein, dass ich freigelassen wurde.“

„Du warst im Gefängnis?“

„Ja. Ich wurde befragt, immer und immer wieder. Doch ich bin frei, wie du siehst.“

Katie wurde bewusst, dass die Stimmen ihrer Freunde verstummt waren, und sie warf einen kurzen Blick über ihre Schulter. Oliver hatte die Stirn in Falten gezogen, so wie er es immer tat, wenn er intensiv nachdachte. Alicia knabberte an ihren Fingernägeln. Lee hatte seinen Zauberstab wieder verstaut. Angelina und George standen dicht beieinander, immer noch hatte sie seinen Zauberarm fest im Griff. Doch der Blick aller war auf Flint gerichtet, der hoch aufgerichtet vor ihr stand, und mit dem ihm scheinbar angeboren Hochmut zurückstarrte.

„Habt ihr die Namen gelesen?“ Herausfordernd wies er auf das Denkmal, diesen schlichten grauen Stein mit den viel zu vielen Namen. „Kennt ihr alle, die gekämpft haben und gestorben sind?“

Für einen kurzen Moment wanderte Katies Blick zu der langen Liste, bevor er sich wieder an Flint heftete.

„Nein? Das dachte ich mir. Ihr seid zu vertieft in eure eigene Trauer gewesen, nicht wahr?“ Zur Selbstbestätigung nickte Flint einmal zufrieden. „Bloß weil ich in Slytherin war, heißt es nicht, dass ich keine Verwandten verloren habe, oder?“

„Wen?“ Unverwandt sah Katie ihn an, sah ihm tief in die Augen und fühlte plötzlich mehr. Was war es? Mitgefühl? Ein bisschen Zuneigung für diesen heruntergekommenen Mann?

„Meine Cousine. Sie war eine Hufflepuff.“

„Du warst bei den Todessern und hast gegen deine Cousine gekämpft?“ Ungläubig fragte Angelina nach, immer noch an George geklammert, wenn dieser auch seinen Arm hatte sinken lassen.

Mit einem perlenden Lachen schüttelte Flint den Kopf. So ein Lachen, so frei und fast schon gelassen, hatte Katie noch nie von ihm vernommen.

„Ich habe nie an Voldemorts Seite gekämpft. Ich wurde, wie viele andere, dazu gezwungen. Als ich in Hogwarts war, als der große Kampf begann, habe ich sie gesucht. Doch ich war zu spät. Ein Fluch hat sie vor meinen Augen getötet. Sie war tapfer.“

In das Schweigen hinein hörte man nur die gedämpften Rufe von anderen, die näher kamen, um diesen Tag und die Vergangenheit zu ehren.

„Hört auf, nach der Einteilung dieses alten vergammelten Hutes zu beurteilen. Das habe ich leider zu spät gelernt und stand so auf der falschen Seite.“

Sprachlos sah Katie ihm hinterher. Das war nicht der Flint, den sie kannte, das war ein anderer Mensch. Sollte tatsächlich Marcus Flint, arrogant, selbstverliebt, aggressiver, nicht gerade klug und gemein, diese Wandlung vollzogen haben? Konnte das tatsächlich sein? Waren sie es, die auf der Stelle traten? Nun wusste sie, was sie empfand: Es war Respekt. Und noch ein bisschen mehr.

„Dieser Arschloch hat doch nicht etwas recht, oder?“ Georges Stimme war leise, aber kalt. Wie klirrendes Eis. Plötzlich vermisste sie den alten George mit einer unglaublichen Wucht. Sie vermisste alles: ihr altes Team, die Scherze, das gemeinsame Quidditch und vor allen Dingen… die kleinen Machtkämpfe mit Marcus Flint.

„Wir sollten auch gehen.“ Olivers Stimme der Vernunft ertönte wieder. Auch jetzt, lange nach ihrer gemeinsamen Spielzeit, war er ihr Wortführer. „Es werden noch viele Menschen kommen. Viele werden trauern. Wir sollten gehen. Ja, das sollten wir.“

Und so gingen sie. Gemeinsam. George hatten sie in die Mitte genommen, Angelina hatte seinen Arm immer noch nicht los gelassen, stattdessen hielt sie nun seine Hand. Doch nur Katie warf einen Blick zurück und meinte dabei, einen dunklen Umhang zu sehen und einen alten Feind, der ihr hinterher lächelte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Sam_Linnifer
2013-01-28T17:05:06+00:00 28.01.2013 18:05
Die Stimmung, die du in dieser Geschichte erzeugst ist großartig. Und mir gefällt, dass du im Gegensatz zum Ende der Bücher eine andere, ebenso wichtige Seite betrachtest. Die Darstellung der Charaktere und auch ihrer Entwicklung wirkt sehr überzeugend und dafür, dass das in eigentlich Recht kurzer Zeit entstanden ist, ist sie erst recht beeindruckend :)
LG
Sam
Von:  MoonlightWhisper
2013-01-27T20:11:27+00:00 27.01.2013 21:11
Ich bin begeistert.
Diese kurze Geschichte vermittelt viel. Ich mag es wie du aus meinem Anfangssatz eine tolle Idee gezaubert hast. Die Art wie du die Trauer nach dem Krieg vermittelst ist sehr gelungen. Außerdem schaffst du es Katies Gefühle auszudrücken ohne ein kitschiges Klischeemonster aus der Story zu machen.
Ich finde gerade nicht die richtigen Wort meine Begeisterung auszudrücken.
Also einfach 'Danke, ich habe mich sehr gefreut diese Wichtelgeschichte zu bekommen. Du hast meinen Geschmack getroffen' :)
lg Cliona


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