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Unverhoffte Nachbarn

Wenn Nachbarn interessant werden
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Die Einsamkeit der Wissenschaft

26. Kapitel: Einsamkeit der Seele
 

Kaltes Neonlicht strahlte von der Decke des Labors der Arbeitsgruppe Funktionelle Genomforschung und erleuchtete den Arbeitsplatz von Catherine Amell. Es war mitten in der Nacht und sie war vollkommen allein in dem verlassenen Labor. Mit gekonnten Handgriffen war sie gerade dabei eine Verdünnungsreihe mit den Bakterien zu erstellen, die sie vorgestern Abend auf ein Nährmedium ausplattiert hatte.

Als sie diese Arbeit beendet und die Platten im Inkubator verstaut hatte, wo sie eine Stunde munter wachsen sollten, ließ sie sich seufzend auf dem Stuhl fallen und strich sich müde ihre Haare aus dem Gesicht. Einige Zeit saß sie einfach stumm da und starrte auf ihr Laborbuch, worin sie die einzelnen Schritte der Versuche niedergeschrieben hatte und auf ihr Ergebnis Heft, wo Werte, Daten und Diagramme niedergeschrieben waren. Es war eine Art Tick von ihr alles erst handschriftlich aufzuschreiben, bevor sie die Daten auf ihren Laptop übertrug.
 

Sehen Sie?! Nun ist das gfp Protein mit dem mal 6 Protein verschmolzen und Sie können es sich in der Hefe angucken.“, hörte Catherine sich selber sagen und blickte traurig nach rechts. Es war beinahe, als würde die Vergangenheit neben ihr wiederauferstehen. Catherine blinzelte kurz und die Schemen wurden immer deutlicher. Wie ein Film lief das Geschehene am Arbeitsplatz neben Catherine ab und stimmte sie melancholisch.
 

~*~
 

Seit zwei Wochen arbeitete Catherine Amell nun wieder im Labor von Professor Niels und versuchte so gut wie möglich seine Wohlgesinnung zurück zu gewinnen. Auch wenn er Johns und Sherlocks Lüge geglaubt hatte, ohne ein weiteres Mal nachzufragen, so wusste Catherine, dass er es nicht gut hieß. Sie war einen Monat ausgefallen und eine Verlängerung der Bachelorarbeit bedeutete jede Menge Bürokratie und nichts hasste er mehr.

Also versuchte Catherine sich möglichst vorbildlich zu verhalten und somit seine schwer zu erlangende Gunst zu regenerieren und dennoch, in so manchen Dingen war sie nicht ganz so vorbildlich.

Es war das zweite Mal, dass sie nachts mit Sherlock in das Labor gegangen war, das mit „Genlabor Stufe 1“ deklariert war.

Nachdem sich Catherine wieder fit genug fühlte, hatte sie ihn eingeladen sich doch einmal anzusehen wie eine solche gfp-Verschmelzung, die Bluebell einst zum Leuchten gebracht hatte, funktionierte. Zu ihrer eigenen Überraschung hatte Sherlock sofort zugestimmt und somit hatte sie auf dem Zeitplan abgesehen, wann möglichst wenig Menschen in dem Labor waren. Ihre Wahl fiel auf die Nacht des kommenden Samstags. Normale Menschen sträubten sich dagegen dann zu arbeiten.

„Sehen Sie?! Nun ist das gfp Protein mit dem mal-6 Protein verschmolzen und Sie können es sich in der Hefe angucken.“, sagte Catherine begeistert und löste sich von dem Mikroskop. Die Verschmelzungsansatz hatte sie bereits vor einer Woche zusammen mit Sherlock durchgeführt und bebrütet (und ab und zu angeimpft, allerdings ohne ihn, weil scherlock diese Arbeit zu stupide war), sodass sie sich das Ergebnis nun ansehen konnten.

Catherine war begeistert, als sie sich mit ihrem Laborstuhl zur Seite rutschte um Sherlock Platz zu machen. Es war das erste Mal, dass sie die Anleitung zu diesem Versuch gemacht hatte. Bisher hatte sie ihn drei Mal unter Aufsicht durchgeführt, doch alles hatte wunderbar geklappt. Die Polymerase-Chain-Reaction, der Verdau und Fusionierung, alles was meist nie beim ersten Mal funktionierte, hatte dieses Mal einwandfrei geklappt. Was vielleicht auch an Sherlock lag. Er war wirklich routiniert in Laborarbeit und verstand schnell, reichte ihr benötigte Chemikalien oder ging ihr generell zur Hand. Er war sehr angenehm als Laborpartner und Catherine sagte leise zu sich, dass sie während ihres Vertiefungs-Moduls ihn gern als Partner gehabt hätte und nicht diesen schusseligen Kevin, der ihr mehr als einmal beinahe die Nerven gekostet hätte. Vom sterilen Arbeiten hatte dieser auch noch nie in seinem Leben etwas gehört.

Sherlock war während der Arbeit auch nicht unausstehlich gewesen, ganz im Gegenteil, er war ruhig und konzentriert gewesen. Nur sein Wissensdurst hatte Catherine ein ums andre Mal vor eine echte Herausforderung gestellt. Auf so manchen Fragen von ihm, warum man denn diesen Schritt mache, wusste sie im ersten Moment keine Antwort. Sie hatte immer erst darüber nachdenken müssen, warum, aber diese Fragen halfen ihr auch.

Sherlock blinzelte kurz und rollte dann mit seinem Stuhl vor das Mikroskop, stellte es mit gezielten Handgriffen scharf und betrachtete unter Fluoreszenz die vorbereitete Probe. Catherine beobachtete ihn gebannt, wartete darauf wie er reagieren würde.

„Und was sehe ich da jetzt genau?“, fragte er und blickte auf. Catherine lächelte und stöpselte schnell ein Kabel ein, sodass das Bild auf dem Computerbildschirm neben ihnen erschien. Sherlock warf ihr einen genervten Blick zu und zog eine Augenbraue hoch. Es war nicht schwer zu erraten, dass er sich fragte, warum sie das nicht direkt gemacht hatte. Der Grund war einfach: Catherine guckte einfach lieber immer selbst durchs Mikroskop.

„Also…“, sagte sie und zeigte mit einem Kugelschreiber auf eine Zelle. „Das hier ist s.pombe, unser Versuchstier.“

„Das haben Sie jetzt schon ein paar Mal gesagt, Catherine.“ Sherlock rollte mit den Augen. „Das habe ich mittlerweile begriffen.“

„Fein. Also, mal-6 ist an der Zellteilung beteiligt. Genauer, es dient als Anker für die Spindelapparate, die bei der Zellteilung die replizierte DNA auseinander ziehen. Die grünen Punkte hier…“ Catherine umkreiste einen kleinen, grünen Punkt inmitten einer der Hefezelle. Ist eben jenes mal-6 Protein. Durch das hinter das Protein geknüpfte gfp-Protein fluoresziert es halt grün.“

„Und dieses Protein wird aus einer Qualle gewonnen?“

„Ursprünglich, ja. Aus der Tiefseequalle victoria aquorialis, aber mittlerweile wird es künstlich hergestellt. Für die Entdeckung dieses Verfahrens gab es auch einen Nobelpreis.“, erklärte Catherine und lächelte.

„Das kann man also mit jeder Zelle machen?“

„Theoretisch ja.“ Sie nickte knapp. „Aber bei tierischen Zellen ist es natürlich wesentlich komplizierter. Bei Einzellern kann man das Gen ja einfach durch ein Plasmid hineintransferieren, aber tierische besitzen diese Fähigkeit nicht. Man nennt die Fähigkeit zur Aufnahme von Plasmiden übrigens biologische Kompetenz. Mit Chemikalien wie Calciumchlorid kann man diese Fähigkeit noch erhöhen. Wie genau wissen wir noch nicht, aber man vermutet, dass es etwas Ähnliches wie Löcher in die Membran macht oder diese Poren vergrößert.“

„Nun gut…“ Sherlock wog den Kopf hin und her, während er die Informationen irgendwo in seinem Gedankenpalast ablegte. Catherine vermutete wohl in die Abteilung langweiliges Wissen, dass vielleicht mal wichtig sein könnte.
 

„Hier, das ist das Bakterium, das ich Ihnen zeigen wollte.“ Catherine hielt stolz eine Vollmediumplatte hoch, auf der sich einige weiße Kolonien gebildet hatten und ungefähr einen halben Zentimeter im Durchmesser maßen.

Sherlock runzelte die Stirn, nahm ihr die Platte aus der Hand und hielt sie gegen das Licht. Seine Augen verschmälerten sich nachdenklich, doch dann gab er sie zurück und sah sie nachdenklich an.

„Und? Was soll an denen so besonders sein? Es sind Bakterien, die auf einem Vollmedium gewachsen sind. Nichts Ungewöhnliches.“

„Sie kennen ja das Beste noch nicht.“, grinste Catherine und zog einen Vakuumbeutel aus der Schublade, die sich unter dem Tisch befand. Darin befand sich ein Becher Joghurt. Sherlock zog skeptisch die Augenbraue hoch und sah sie tadelnd und schmunzelnd zu gleich an. Essen und Trinken war schließlich in S1 Laboren schon verboten und das hier war ein S2 Labor, also die hier mutierten Organismen konnten durchaus eine Gefährdung ihrer Umwelt darstellen.

„Ich weiß, ich weiß.“, wehrte sie seinen Kommentar ab. „Aber das hier ist rein wissenschaftlich. Ok, und ein wenig anschaulicher und dramatischer.“

Vorsichtig nahm sie eine Scheibe heraus, verschloss den Beutel und schnitt dann den Schinken in kleine Stücke, legte sie in mehrere Platten. Eine mit E.coli als Vergleich, eine mit Bäckerhefe und eine letzte mit dem Bakterium mit dem sie gerade arbeitete.

Sherlock beobachtete sie mit einer Mischung aus Skepsis und Argwohn, doch er sagte nichts. Natürlich war er nicht beeindruckt- noch nicht. Es dauerte noch ungefähr 10 Minuten, dann wurde der Effekt deutlich sichtbar. Plötzlich war die eine Hälfte des Schinkens verschwunden und der Rand war deutlich ausgefranst.

Irritiert griff Sherlock nach der Platte und sah sie sich genauer an.

„Er ist zersetzt!“

„Jepp.“ Catherine lächelte zufrieden. „Ich habe einen Destruenten erfolgreich modifizieren können, sodass er nun alles binnen weniger Minuten abbaut.“

„Und wo gedenkst du diesen einzusetzen?“, verpasste Sherlock ihrer Euphorie einen kurzen Dämpfer. Catherine blinzelte kurz und seufzte.

„Ursprünglich hab ich nur am Stoffwechselweg des Nahrungsabbaus geforscht, beziehungsweise, besser gesagt wäre, welche Gene für was genau verantwortlich sind. Bei einer Mutation kam aber eine deutliche Effektivitätssteigerung heraus. Ich denke, wenn ich mich weiter damit beschäftige, könnte es zur einer verbesserten Kompostierung beitragen.“

„Oder aber um Leichen verschwinden zu lassen…“, murmelte Sherlock äußerst nachdenklich, während er dabei zusah wie Stück um Stück der Schinken vor seinen Augen befand.

„Also, Sherlock! Wie unanständig von Ihnen.“, tadelte sie ihn halbherzig. „Es geht hier um Kompostierung und nicht darum Leichen verschwinden zu lassen.“

„Ist doch im Prinzip das Gleiche.“, erklärte Sherlock und zuckte mit den Schultern. Catherine seufzte schwer, warf ihm einen resignierten Blick zu. Er erwiderte diesen, doch je länger sie sich in die Augen sahen, desto breiter wurde ihr Grinsen und dann fingen beide schließlich an zu lachen. Irgendwann schnappte Catherine sich einen Block, auf dem sie immer ihre Ergebnisse niederschrieb und eventuelle Fehler in der Durchführung, dann heute sie ihm diesen vor den Kopf.

Sherlock zuckte automatisch zurück, sah sie irritiert an und rieb sich die Stirn.

„Wofür war das denn?“, rief er empört aus.

„Es ist immer noch unanständig.“
 

~*~
 

Der Moment der Erinnerung verschwand so plötzlich wie er gekommen war. Er war vergangen in die Unendlichkeit. Mit leeren Augen starrte Catherine auf den Platz wo sie bis eben noch die Vergangenheit hatte beobachten können.

Tränen liefen aus ihren Augen und ihr wurde wieder einmal bewusst wie allein sie war, wie sehr Sherlock ihr Leben beeinflusst hatte. Selbst hier, im ihrem Labor, war sie nicht vor den schmerzlichen Flashbacks befreit, die sie immer wieder heimsuchten. Egal wo sie hinging, irgendetwas erinnerte sie immer an die Zeit, die sie mit ihren beiden Nachbarn verbracht hatte.

Doch nun war sie vollkommen allein und diese Erinnerungen zeigten ihr das auf grausamste Art, denn sie war glücklich gewesen zu dieser Zeit. Egal wie lange sie es versucht hatte zu verleugnen, es war wahr. Besonders diese Abende im Labor, wo er ihr erlaubte hatte Dinge zu erklären, wo sie mit ihm ihre Leidenschaft durchlebt hatte, war sie wahrlich glücklich gewesen. Doch nun? Was war geblieben? Sherlock war tot und John war in seiner Trauer verloren gegangen. Und sie? Sie blieb alleine zurück.
 

~*~

Catherine schreckte schweißgebadet aus dem Schlaf, die Augen vor Schreck weit aufgerissen. Es dauerte einige Momente bis sie realisierte, dass sie sich in ihrer Wohnung befand und dass das gerade eben nur ein Traum gewesen war. Ein grausamer Traum, doch eben nur ein Traum, der nun vorüber war.

Oder?

Oder?

Catherine blinzelte.

War es das wirklich? Konnte sie sich dessen sicher sein? Hatte sie nicht vielleicht nur Sherlocks Rückkehr geträumt und der vermeintliche Traum war die Realität?

Blitzschnell sprang sie aus ihrem Bett und zog sich nur Socken und Schuhe über. Obwohl es bereits Sommer war, schlief Catherine in T-Shirt und Jogginghose, sodass sie sich um unangebrachte Kleidung nicht scheren musste. Für diese kurze Strecke musste es reichen.

In blinder Panik, dass all das nur ein Traum gewesen war und sie in die Einsamkeit zurückkehren müsste, rannte sie herüber, wunderte sich noch einmal, dass die Haustür offenstand und rannte die Stufen hinauf.

Dieses Mal war es Catherine, die wie ein Wirbelsturm in 221b stürmte und nicht Sherlock wie einige Male in der Vergangenheit. Keuchend blieb sie im Türrahmen stehen und blickte auf.

Sherlock saß auf seinem gewohnten Platz auf der Couch, seiner Haltung nach in eine heftige Diskussion mit John vertieft, doch beide hatten innegehalten, als sie herein geplatzt war.

Sherlock blinzelte sie überrascht an, wartete wohl auf eine Erklärung, doch ihr Hals war wie zugeschnürt.

„Kann ich irgendetwas für dich tun, Catherine?“, fragte er schließlich ruhig, als Catherine ihn nur weiterhin anstarrte und den Mund immer wieder öffnete und schloss wie ein Fisch auf dem Trockenen.

„Du bist noch da…“ , stammelte sie schließlich, als sie die Bedeutung realisierte.

„Catherine?“, hörte sie John von der Küche aus, der einen Trockentuch in der Hand hielt, doch in diesem Moment ignorierte Catherine ihn. Langsam ging sie auf Sherlock zu, Tränen ihre Augen. Direkt vor Sherlock blieb sie zitternd stehen. Wie hatte sie nur so dumm sein können zu glauben, dass sie mittlerweile damit abgeschlossen hätte? Die Nachwirkungen der Vergangenheit würden noch lange Zeit nachhallen.

Sherlocks helle Augen blickten zu ihr auf und er neigte fragend den Kopf, doch statt etwas zu sagen, schluchzte sie nur und umarmte Sherlock.

„Es war kein Traum…“, flüsterte sie erstickt.
 

John beobachtete das Ganze von der Küche aus und legte den Teller beiseite, den er bis gerade eben abgetrocknet hatte. Er sah wie Catherine hereingestürmt kam, wie sie erstarrte und wie sie Sherlock in der Erleichterung umarmte, dass das hier die Wahrheit war und kein Traum. Ihr beider Alptraum war vorbei und sie konnten endlich wieder anfangen ein normales Leben an Sherlocks Seite zu führen.

Er spürte beinahe wie ihre Erleichterung den Raum durchflutete, wie der Stein der Angst sich von ihrem Herz verabschiedete. Dennoch konnte John deswegen nicht lächeln, denn er erwartete förmlich, dass Sherlock etwas tun würde, dass den Moment zerstören würde. Dass Sherlock nicht sonderlich empfindsam war, war ja schließlich altbekannt und John fürchtete, dass auf Catherine gleich eine Enttäuschung wartete. Sherlock war da ja häufig durchaus harsch und ungehalten und ihm so nah zu kommen hatte noch Niemand gewagt. Unter normalen Umständen hätte sie das vermutlich auch nicht gewagt, aber sie war grad noch zu verstört von dem Traum.

Zu Catherines Glück und Johns Überraschung trat dies nicht ein. Es war eben momentan nichts wie üblicherweise. Sherlocks zunächst verwirrter Blick wurde ruhiger, sogar ein wenig sanfter und er legte die Arme um sie.

„Natürlich war es kein Traum, Cath.“ Obwohl Sherlock leise flüsterte, konnte John es hören. Es war das erste Mal, dass er die neue Vertrautheit, das neue Level der Beziehung der beiden, miterlebte. Das höchste was gesehen hatte war der Kuss gegen Mollys Mundwinkel gewesen und dies war eine Entschuldigung gewesen. Auch den Spitznamen hatte John noch nie gehört, doch Sherlock sprach ihn ungewohnt sanft aus. Es war nicht mehr als ein Hauch gewesen. Ein Klang voller Wohlgesinnung. Vorsichtig strichen seine Finger über Catherines Schulter, auf die er seine Hand gelegt hatte und zog sie ein wenig näher an sich heran.

„Alles ist gut.“, fuhr er ruhig fort, als Catherine nicht aufhörte zu zittern und griff nach einer ihrer Hände, die sich in seinem Stoff gekrallt hatten um das Bild festzuhalten. Mit einer Zärtlichkeit und voller Bedacht, die John von seinem Freund nicht kannte, umschloss er die Finger und legte sie an seinen Hals. Catherine blickte ihn ebenso überrascht an wie John es wohl tat.

„Siehst du? Ich atme noch und das Herz schlägt.“ Nun bekam Sherlocks Stimme doch wieder den üblichen amüsiert-genervten Klang über ihren emotionalen Ausbruch, doch der ruhig Ausdruck in seinen Augen blieb.

Sie nickte und ihre Augen schlossen sich halb um die Tränen zurückzuhalten, die sich wieder vor Erleichterung in ihren Augen bildeten. Sie war unglaublich froh den gleichmäßigen Puls unter ihren Fingerspitzen und die Wärme seiner Hand um die ihre zu spüren.

Ohne weiter darüber nachzudenken, umarmte sie ihn noch einmal fest. Sherlock seufzte leise, resigniert, doch noch immer wirkte er nicht genervt. Nein, zu Johns Überraschung ließ er sogar diese Berührung klaglos zu.

„Ich habe es dir doch versprochen, Catherine, dass ich nicht mehr fortgehe.“

Catherine nickte nur gegen seiner Schulter, schniefte noch einmal und löste sich, strich sich eine Träne aus den Augen und lächelte tapfer, wenn auch noch ein wenig unsicher.

Es war wirklich nur ein Alptraum gewesen. Ein dummer, unangebrachter Streich ihres Unterbewusstseins. Erleichterung überspülte sie wie ein angenehm warmer Strom. Sherlock lebte wirklich und saß nun vor ihr, blickte sie aus ruhigen Augen an.

Dann wurde sie jedoch verlegen, als ihr bewusst wurde, was genau sie gerade getan hatte. Mit hochrotem Kopf wandte sie sich ab und verschwand schnell in der Küche. Sherlocks nachdenklichen Blick, den er ihr hinterher warf, sah sie dabei nicht mehr.

John erwartete sie bereits lächelnd, eine Tasse Tee dampfte munter vor sich hin. Catherine sah ihn dankbar an und ließ sich einfach einen Stuhl fallen.

„Hattest du einen Alptraum?“, fragte er sie in seinen üblichen, ruhigen Ton. Catherine blickte auf, die Tasse Tee bereits in den Händen und nickte.

„Ja…“

„Was für einen?“

Catherine seufzte, drehte sich kurz einmal um und blickte Sherlock an. Dieser ließ jedoch nicht erkennen, ob er hören konnte was sie sagten oder nicht. Sie seufzte leise und strich sich ihren Pony aus dem Gesicht.

„Du weißt, dass ich viel gearbeitet habe, während der Zeit um mich abzulenken?“

„Sicher.“, erwiderte John etwas zögernd und er überlegte, was sie versuchte zu sagen.

„Nun…“ Catherine zögerte ebenfalls, fuhr sich unruhig über die Lippen. „Ich…nun…die Sache war…selbst da war ich nicht von den Nachwirkungen befreit gewesen. Selbst dort hingen noch Erinnerungen. Sherlock war einige Male in meinem Labor.“

„Ich weiß davon.“, sagte John sanft. Catherine sah überrascht auf. Sie selbst hatte ihm schließlich nie davon erzählt.

„Du weißt davon?“

„Wenn Sherlock häufig Samstag Nachts nach Hause kommt, dann irgendwas von Mikroben oder genetischen Techniken murmelt oder Bücher durch die Gegend wirft auf der Suche nach irgendeinem Speziellen, liegt dieser Schluss nahe, nicht? Woher sollte er da sonst kommen?“

„Von Molly.“, antwortete Catherine.

„Möglich, aber unwahrscheinlich. Zumal ich dich ein paar Mal beobachtet habe wie du kurz vorher die Wohnung verlassen hast. Ich bin nicht blind und auch nicht dumm, wisst ihr?“ John lächelte ruhig und nahm einen Schluck Tee, während Catherine ihn geschockt ansah.

„Das hab ich doch auch nie gesagt!“, rief sie schnell aus.

„Das weiß ich doch, Catherine. Keine Sorge.“, beruhigte er sie und sah sie nur amüsiert an. Catherine seufzte und lächelte, als sie feststellte, dass es wohl doch noch einige Zeit dauern würde bis es wirklich wieder normal sein würde.

„Nun ja…die Arbeit in einem Labor ist sehr einsam, John. Besonders in der Mikrobiologie. Man trifft zwar die Kollegen auf den Flur oder im Pausenraum, doch an sich jeder arbeitet jeder selbst an seinem eigenen Projekt.“, erklärte Catherine und wedelte abwesend mit der Hand. John betrachtete sie nachdenklich, nickte und auch Sherlock hörte nun zu, tat aber noch desinteressiert.

„Und ich legte es auch nicht wirklich auf Gesellschaft an.“, fuhr sie monoton fort. „Was hätte es mir denn gebracht? Was bringen einem Gespräche voller Oberflächlichkeit und Heiterkeit, wenn man selbst das Gefühl hat, dass alles um einen herum ein Trümmerfeld ist? Es heißt zwar man arbeitet in der Wissenschaft zusammen, doch in Wahrheit ist jeder ein Konkurrent und das weiß auch jeder. Ich empfand also nicht den Drang mich mit Lügen zu beschäftigen. Aus diesem Grund habe ich meist meine Arbeiten so getimt, dass ich späten Abend oder nachts arbeitete, doch in der Dunkelheit wird die Sehnsucht klarer, John.“

„Du hast dich an die Zeit erinnert, als du noch nicht allein im Labor warst.“, sagte er bedächtig und sah sie verständnisvoll an. Catherine nickte und fuhr sich unruhig mit den Zähnen über die Unterlippe.

„Ich sah häufig Erinnerungen wie einen Film an mir vorbeilaufen. Es war…als stünden wir beide wieder neben mir und experimentierten und genau von diesen Augenblicken habe ich geträumt. Als ich dann aufwachte, war ich nicht mehr sicher ob der Traum nun Traum oder Realität gewesen war. So unlogisch und peinlich es auch ist…ich habe Panik bekommen, denn noch einmal in diese Welt zurückgestoßen zu werden, nachdem ich die Hoffnung hatte, dass es wieder normal werden würde, egal ob Traum oder nicht, das hätte ich nicht ertragen.“

John sah sie aus großen Augen, nickte aber nach einigen Momenten verstehend. Hastig trank Catherine einen Schluck Tee um dieser Situation zu entgehen, doch der Arzt schien die Situation als noch nicht abgeschlossen anzusehen, denn seine dunklen Augen hingen noch immer bedächtig auf ihr, durchdrangen sie prüfend. Ihr wurde unbehaglich unter diesem Blick. John durchschaute sie wie kein anderer. Wo Sherlock sah, was sie getan hatte, wo er deduzierte was sie niemals hatte sagen wollen, da kam John nie hin, aber er war wahrhaft beängstigend gut da drin herauszufinden wie es ihr wirklich ging, wie es hinter ihrer Maske aussah. Und ihre Maske war das Einzige gewesen auf das sich Catherine je hatte verlassen können. Beide zusammen also waren wahrhaft zerstörerisch, wenn man versuchte etwas zu verbergen, dessen war sich Catherine sich schon seit einiger Zeit bewusst.

„Es tut mir leid.“, durchbrach plötzlich ein Flüstern die Stille. Catherine und John drehten sich um. Sherlock war mittlerweile aufgestanden und unbemerkt in die Küche getreten. Auf den ersten Blick schien er ruhig zu sein, doch Catherine bemerkte ein kleines, wehleidiges Flackern in den hellen Augen. Selbst einen Sherlock schien es nicht kalt zu lassen zu hören, was er ihnen angetan hatte.

John und sie warfen sich einen kurzen Blick zu, nickten dann aber.

„Das wissen wir, Sherlock.“, sagten sie zeitgleich und lächelten, doch richtig ehrlich war es bei beiden nicht. Sicherlich, sie wussten, dass es ihm wirklich leidtat. Gerade Catherine hatte es zu spüren bekommen, doch den Schmerz dieser drei Jahre voller Einsamkeit und Trauer, würde nicht so schnell verblassen und mit einer einfachen Entschuldigung war es auch nicht getan. Das konnte einfach angesichts der Begebenheit reichen.

Sherlock hielt ihrer beider Leben in den Händen und bestimmte über sie mit jeder seiner Handlungen- ob er es nun wollte oder nicht- und er musste sich dessen bewusst werden. Dennoch, als sich der Arzt und die Doktorandin in die Augen sahen, wussten sie eines ganz sicher. Sie würden bei ihm bleiben. Komme, was da wolle.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  mindpalace
2013-06-02T18:46:48+00:00 02.06.2013 20:46
Ich liebe diesen Zusammenhalt :D
Puhhh endlich geschafft ^^
Ich freue mich schon voll auf ein neues Kapitel :)


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