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With Skin too tight

Basti x Isabell
von

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Es begann mit einem Typen in der Notaufnahme.

Alles begann irgendwie immer mit 'da war dieser Typen in der Notaufnahme', dachte Isabell irgendwann später, weil sie sich an mindestens siebenundsechzig Gesprächsanfänge in den letzten Wochen erinnern konnte, die so oder so ähnlich angefangen hatten.

Aber zum Berufsrisiko eines angehenden Arztes gehörten eben nicht nur Nadelstichverletzungen, konsequente Nachtschichten, fiese Oberärzte und das Kantinenessen der Krankenhausküche, sondern leider ein permanenter Kontakt mit potentiell schrecklichen Menschen.
 

Es war am Ende einer Sechsunddreißigstundenschicht und Isabell befand sich in einem Zustand permanenter zeitlicher Desorientierung, wo sie weder zuordnen konnte, ob es noch Mittwoch war oder schon Donnerstag war, noch spät abends oder schon früh am Morgen. Außerdem war sie beinah sicher, dass sie kurz vor einer tendenziell gefährlichen Koffeinüberdosis stand.

Der Oberarzt hatte sie schon dreimal zusammengefaltet (Oberärzte lebten offenbar nur dafür, ihre Assistenzärzte fertig zu machen) und ihre letzte Mahlzeit war schon so lange her, dass sie sich kaum noch daran erinnern konnte.
 

Und dann kam dieser Typ.
 

Gott sei Dank war er kein Patient. Das war gut so, denn immerhin hatte sie einen hippokratischen Eid geschworen jedem noch so großen Idioten zu helfen, wenn er bei ihr aufkreuzte.

Nein, er war nur da um seine Frau abzuliefern.

Seine Frau, deren linke Gesichtshälfte komplett zugeschwollen war, die aus einem Auge nicht mehr sehen konnte und die einen komplizierten Bruch am rechten Arm hatte. Man konnte sogar noch die Fingerabdrücke auf ihrem Handgelenk erkennen, wo die feinen Adern unter der Haut unter dem Druck geplatzt waren und ins Gewebe eingeblutet hatten.
 

Es mochte an der Koffeinüberdosis liegen oder an der Sechsunddreißigstundenschicht, aber Isabell zitterten die Finger, als sie damit beschäftigt war die blutende Platzwunde über dem Auge der Frau zunähen (dreizehn Stiche). In ihrem Magen brodelte es.
 

"Sie sollten ihn anzeigen", sagte sie, auch wenn das nicht gerade professionell war.
 

"Ich…ich weiß nicht, was sie meinen. Ich bin gegen eine…", begann die Frau, aber Isabell hob die Hand.
 

"Ich weiß. Eine Tür. Schon klar." Sie presste die Lippen zusammen, um sich davon abzuhalten noch mehr zu sagen.
 

"Ich bin so ungeschickt." Die Frau lachte nervös.
 

Isabell schwieg.

Manchmal konnte sie diese Frauen noch weniger ertragen als diese Männer. Es war nicht fair, das war ihr klar, aber es war eben so.

Sie lebten doch nicht mehr im 19 Jahrhundert. Niemand wurde hier noch zwangsverheiratet. Niemand war mehr gezwungen mit einem Arschloch zusammen zu bleiben. Niemand war gezwungen sich finanziell von jemandem abhängig zu machen. Selber schuld.
 

"Warten sie hier", sagte sie, als sie fertig war. "Meine Kollegin wird sie gleich zum CT bringen."
 

"Muss das sein?" Verunsichert blickte die Frau zu ihr hoch. "Es ist wirklich nicht schlimm und…"
 

"Ihre Tür hat sie leider so fest geschlagen, dass sie eine Gehirnerschütterung haben und die Gefahr einer Intrazerebralen Blutung besteht", schnappte Isabell. "Wir müssen das abklären. Sonst wachen sie vielleicht morgen früh nicht mehr auf."
 

Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Nach sechsunddreißig Stunden wurde es zunehmend schwerer taktvoll zu bleiben.

"Entschuldigung", stieß sie hervor. "Aber sie sollten es wirklich abklären lassen."
 

Die Frau nickte stumm.
 

Sobald Daniela da war (die eine sanfte, beruhigende Stimme hatte und viel netter war, als Isabell es zu ihren besten Zeiten schaffte), verließ Isabell den kleinen Behandlungsraum und rannte auf den Flur.
 

Es war keine gute Idee. Das wusste sie. Oder zumindest der rationale, noch halbwegs wache Teil ihres Gehirns wusste das.

Das war nicht professionell. Das machte man nicht.

Professionell wäre gewesen die zuständige Sozialarbeiterin zu informieren und der Frau eine entsprechende Broschüre in die Hand zu drücken. Aber wozu? Wozu das Ganze, wenn sie die Broschüren dann doch jedes Mal zerknüllt im Müll draußen wiederfand?
 

Sie hätte in den Pausenraum gehen sollen und sich einen Tee kochen. Oder Basti suchen und den Kopf an seiner Schulter vergraben. Aber das ging nicht, weil er gleich OP-Dienst hatte, und außerdem war das bescheuert und sie brauchte das alles nicht. Das war ja nicht mehr das 19 Jahrhundert. Sie brauchte definitiv niemand um sich auszuheulen.

Sie war einfach nur wütend.

Adrenalin pumpte rotglühend durch ihre Adern und ihre Finger zitterten immer noch. Es war eine Mischung aus Koffein und Wut und Hilflosigkeit.

Bei der Arbeit lief sie grundsätzlich in Turnschuhe herum, aber in diesem Augenblick wünschte sie sich beinah High Heels zu tragen, weil nichts anderes so kämpferisch und bedrohlich auf dem Linoleumboden klackerte.
 

"Hey!" fauchte sie. Sie wusste schon aus zehn Metern Entfernung, wer es war.
 

Der Typ am Ende des Ganges drehte sich um. Ende dreißig, unrasiert, Stiernacken, glasige Augen (Alkohol?) und Zigarette im Mundwinkel.
 

"Hm?" grunzte er desinteressiert.
 

"Hier ist absolutes Rauchverbot!" Ohne eine Antwort abzuwarten schnappte sie die Zigarette und zerbröselte sie zwischen den Fingern. Es war eine sinnlose Geste, aber es tat so gut.
 

Er starrte sie an. "Was geht denn mit dir…?"
 

"Sie haben ihr fast den Schädel eingeschlagen!"
 

Seine Augen wurden schmal. "Hat sie das behauptet? Die lügt doch, dass sich die Balken biegen…"
 

"Sie hat gesagt, sie ist gegen eine Tür gelaufen." Sie hielt sich mit Mühe und Not davon ab, Gänsefüßchen mit den Fingern zu machen, aber sie war sicher, ihr Tonfall drückte mehr als deutlich aus, was sie von dieser Aussage hielt.
 

"Na also." Er nickte bestätigend. "Die ist halt ungeschickt. Läuft ständig gegen was. Ist doch nicht meine Schuld."
 

Sie hätte ihm mit einer Anzeige drohen können. Aber es war so zwecklos, so verdammt sinnlos wenn seine Frau nicht dahinter stand, und Isabell war es so leid. Die Polizei, die immer kam und Aussagen aufnahmen und dann doch nichts tun konnten, weil die Frauen doch jedes Mal für ihre Männer logen. Sie hatte diese Frauen so leid, und diese Typen, die immer wieder davon kamen, weil ihre Frauen nicht im Stande waren, was zu sagen.
 

"Wissen sie, wie oft sie gegen eine Tür laufen müssten, damit sie diese Art Kopfverletzung hinkriegen?" fragte sie.
 

Seine Augen wurden schmal. Er hatte kleine, stechende Augen in seinem massigen Gesicht und er erinnerte sie an ein wütendes Schwein. "Bin ja kein Arzt. Mach lieber deinen Job, Puppe, und lass mich in Ruhe."
 

"Sie sollten es mal ausprobieren!" fauchte Isabell. "Gegen eine Tür zu laufen, bis ihnen das Gehirn aus den Ohren tropft! Vielleicht hören sie dann auf, ihre Frau zu schlagen!" Sie machte sich keine Mühe ihre Stimme zu senken.
 

Der Typ packte sie grob an der Schulter. Seine Augen zuckten nervös nach links und rechts, als hätte er Angst, dass es irgendjemand mitbekam, dass er ein widerliches Arschloch war. "Halt doch das Maul!" drohte er. "Das ist alles gelogen!"
 

"Lassen sie mich los", sagte sie eisig, ohne Anstalten zu machen sich loszureißen. Sie war nicht sicher, ob sie es gekonnt hätte. "ICH bin nicht ihre Frau. Ich habe überhaupt keine Hemmungen, sie wegen Körperverletzung anzuzeigen!"

Und in dem Augenblick, wo sie es aussprach wusste sie auch schon, dass es das Beste war, was grade passieren konnte. Wenigstens theoretisch.

Sicher nicht praktisch. Sie hatte es nicht so mit Schmerzen. Ganz und gar nicht. Einmal im Monat von ihrer Periode gequält zu werden, war schon das Höchste der Gefühle. Danke auch.

Aber es wäre so schön…zu sehen wie man ihn abführen würde. Und wegsperren. So wahnsinnig befriedigend.
 

"Halt doch die Klappe!" Er schüttelte sie so ruckartig, dass ihre die Haare ins Gesicht flogen. Vermutlich hätte es ihr Angst machen sollen, mit welcher Leichtigkeit seine Hand ihren kompletten Arm umfassen konnte, aber sie war zu wütend.
 

"Ist das alles, was sie können?" fragte sie atemlos. "Frauen zu schlagen? Gratuliere. Aus ihnen ist ja echt ein toller Kerl geworden! Sie können stolz auf sich sein!"
 

"Sag das noch mal und ich prügel dich windelweich, du blöde Kuh!"
 

Unpassendes Gelächter saß in Isabells Kehle und kämpfte sich nach oben. Ein Teil ihres Gehirns wusste die Ironie durchaus zu würdigen, dass ihr jemand Prügel androhte, weil sie ihn beschuldigt hatte, gewalttätig zu sein. Ein anderer Teil ihres Gehirns versicherte ihr, dass sie sich grade hochgradig unprofessionell verhielt.
 

Seine Finger vergruben sich schmerzhaft in ihrem Arm, die andere Hand hatte er zur Faust geballt, und sekundenlang war sie beinah sicher, dass er wirklich zuschlagen würde. Wie hypnotisiert starrte sie auf seine Faust.
 

Isabell hatte zwei große Brüder und war es gewohnt, geschubst, an den Haaren gezogen oder in die Seite gekniffen zu werden. Aber es hatte sie noch nie jemand ins Gesicht geschlagen.

Irgendwie hatte sie auch immer damit gerechnet, dass es einer der Junkies sein würde, die regelmäßig eingeliefert wurden und im Rausch bissen und um sich schlugen. Nicht so einer. Nicht so ein…Arsch.

Sie kniff die Augen zusammen wie eine Memme, und dachte 'Gehirnerschütterung' und 'diffuse axonale Hirnschäden!'. Und dann 'oh Gott, nicht die Zähne - ich hab meine Zusatzversicherung noch nicht abgeschlossen'. Und dann 'aber dann könnte ich ihn anzeigen'. Sie dachte an die großen, hilflosen Augen der Frau.
 

Sie war so müde.

Sechsunddreißig Stunden und zu viel Koffein waren eine verdammt lange Zeit.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Memphis
2012-12-05T12:51:54+00:00 05.12.2012 13:51
Sehr eindringlich und nachvollziehbar!

Also vor allem auch die Wut und Frust auf die Frau, auch wenn es sich unfair und irgendwie gemein anfühlt.

Ich habe zwar keinen Kontakt mit Frauen, die geprügelt werden, oder Männern, die ihre Frauen prügeln. Jedenfalls nicht, das ich wüsste.
Aber was ich bei befreundeten Paaren immer wieder erlebt habe, ist emotionale Misshandlung, die in mir auch immer wieder kalte Wut hoch kommen lässt, wenn ich davon mitbekomme.
Mädchen, die von ihren Kerlen ärgste Beschimpfungen über sich ergehen lassen, sich wie Dreck oder ein Nichts behandeln lassen, verbal niedermachen lassen, Depressionen durch ihre unglückliche Beziehung haben und ... naja, einfach bei ihrem Partner bleiben oder schlimmer noch: Um die Beziehung kämpfen, wenn sich der Partner aus einem schlechten Scherz heraus trennt. Oder aus Machtdemonstration.

Manchmal ist man einfach nur fassungslos darüber, aber irgendwann kommt auch der Frust, weil es egal ist, was man sagt oder tut um zu helfen, es bringt halt nichts.

Gut, man steckt nicht in der Beziehung drin, auch nicht in den Personen. Manchmal fällt es auch schwer, da irgendwelche Gründe nachzuvollziehen, aber vielleicht ist es auch gar nich so schlecht, wenn man selbst nicht versteht, wie man sowas über sich ergehen lassen kann.

Finde aber, du hast das Thema und auch die Reaktion, gut aufgegriffen. Und Isabell ist trotz Schlafmangel und Koffein wirklich bewundernswert, wie sie in ihrer Unprofessionalität Klartext redet. :)


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