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Ketten

von

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Der Auftrag

Lucy überraschte es doch sehr, wie leicht Natsu zu beeindrucken war. Die Villa etwas außerhalb Magnolias, vor der sie standen, war zwar groß, aber Lucys Geburtshaus noch viel größer. Außerdem hatte dieses nichtmal ansatzweise so viel Ländereien, wie das Heartfilia Anwesen. Worüber staunte der Rotschopf also so sehr?

„Für Lucy muss das Haus wie eine Gartenlaube aussehen.“, vermutete Happy. Ein bisschen größer als eine Gartenlaube war das Haus ja doch, als Gästehaus konnte es durchgehen.

„Aber größer als ihre Wohnung ist es allemal.“, bemerkte Natsu grinsend.

„Und wahrscheinlich auch viel teurer.“, fügte Lucy hinzu und erklomm die wenigen Stufen bis zur Haustür. „Und da ich meine Wohnung nicht verlieren will, werde ich jetzt klingeln.“

„Wie, klingeln?“, fragte Natsu verdutzt.

„Wir wollten doch einbrechen!“, behauptete Happy. Natürlich erwartete die junge Frau nicht, dass die beiden sie richtig verstanden hatten. Das waren immerhin ihre beiden kampfversessenen Partner. Wahrscheinlich wären die zwei nie mitgekommen, wenn sie den Auftrag kapiert hätten.

„Da habt ihr etwas missverstanden.“, seufzte Lucy. „Wenn sie uns nicht reinlassen wollen, darf Natsu uns den Weg frei kämpfen. Aber denk dran: nichts kaputt machen!“

„Das ist aber so schwer.“, murrte ihr Verlobter.

„Du hast es mir aber versprochen!“, erinnerte die Blondine mit einem strengen Blick. Der junge Mann fügte sich. Wusste er doch, was ihm blühte, wenn er sein Wort brach. Oder viel mehr, was ihm dann entzogen wurde.

„Natsu, willst du dir das wirklich für den Rest deines Lebens antun?“, fragte Happy seinen Ziehvater besorgt. Der Rotschopf sagte jetzt besser nichts falsches, sonst würde Lucy ihm das nicht durchgehen lassen. Es war ein hoheitliches Gefühl, den Feuerdrachen in der Hand zu haben.

„Charle ist auch nicht netter zu dir und du magst sie trotzdem.“, merkte dieser an. Der blaue Kater legte den Kopf schief, als wäre ihm das jetzt erst aufgefallen. Der gleiche Stumpfsinn, den Natsu manchmal an den Tag legte. So was konnte man wohl anerziehen.

Lucy setzte ihr freundlichstes Gesicht auf und zog an der Kette, die zu einer großen Glocke im Inneren des Hauses führte. Diese erklang laut genug, um die gesamte Nachbarschaft aufzuscheuchen. Sie mussten auch gar nicht lange warten, bis die Tür geöffnet wurde. Eine kleine rundliche Frau mit eckigem Gesicht in einem langen Hausmädchenkleid trat heraus.

„Frau Spetto!“, rief Lucy freudig überrascht. Lange hatte sie sich gefragt, wo ihre frühere oberste Haushälterin wohl unter gekommen war. Die Dame war ja auch nicht mehr die Jüngste, aber leistete sehr gute Arbeit.

„Fräulein Lucy! Wie schön, sie zu sehen.“, sagte Frau Spetto freudig überrascht. „Ich bin so erleichtert, dass sie noch leben! Die Nachricht von ihrem Verschwinden hat uns alle sehr schockiert.“ Die Freude über das Wiedersehen machte sich in Tränen Luft und die Haushälterin umarmte ihre einstmalige Arbeitgeberin. Gerührt über die Zuneigung legte die Blondine ihrer viel kleineren Bekannten die Hände auf den Rücken.

„Spetto!“, erklang eine strenge weibliche Stimme aus der Wohnung. „Bewahren sie Haltung! Sie sind im Dienst!“ Eine sehr adrett gekleidete Dame mit ergrauten Haaren, die zu einem strengen Knoten verflochten waren, erschien hinter der Hausdame.

„Verzeihen sie bitte, Frau Colette. Ich habe mich hinreißen lassen.“, sagte die Haushälterin und ließ die jüngere Frau sofort los.

„Sie sind eine unmögliche Person!“, schimpfte die Bewohnerin des Hauses. „Ich verstehe nicht, wieso Großvater Makor sie hier behält!“ Spetto duckte sich unter dem Tadel und wich an die Seite zurück. Die strenge Dame wandte sich nun dem Besuch zu. „Und wer ist dieses Pack?“ Abschätzig musterte sie Lucy. „Dieses Weib rennt herum wie eine Nutte!“ So eine Frechheit! Dabei hatte Lucy extra ihre besten Sachen angezogen, da ihr durchaus bewusst war, dass ihre Alltagskleidung in diesen Kreisen nicht angebracht war. „Und was soll dieser junge Mann darstellen? Ihren Bodyguard?“ Noch missfallender betrachtete sie Natsu, der sich mal wieder gar nicht auf ihren Auftraggeber eingestellt hatte.

„Wir sind Magier von Fairy Tail.“, sagte dieser verärgert. „Wir haben hier einen Auftrag zu erledigen.“

„Schon wieder solche Spinner!“, rief Colette schrill. Eine sehr unnatürliche Reaktion, die Lucy misstrauisch machte. „Ich habe schon den vorherigen Versagern gesagt, dass es hier nichts zu tun gibt! Nur ein verwirrter alter Mann!“ Die Dame war eine beeindruckende Person und schüchterte Lucy alleine mit ihrem Blick ein. Die Stellargeistmagierin konnte sich sehr gut in die Rolle der kleinen Levy hineinversetzen, als sie dieser energischen Frau gegenüber stand. Jet und Droy gehörten auch zu der feigen Sorte Mann. Zum Glück hatte die Blondine Natsu an ihrer Seite. Allein seine Anwesenheit gab ihr den Rückhalt, den sie benötigte, um sich der Konfrontation zu stellen.

„Davon wollen wir uns selbst überzeugen.“, sagte die Magierin selbstbewusst. „Wenn wir wirklich einen unzurechnungsfähigen Auftraggeber vorfinden, werden wir ohne ein weiteres Wort gehen.“ Fest sah sie der älteren Frau in die Augen. Colette wollte gerade zornig erwidern, da wurde sie von einem älteren Herren mit Gehstock unterbrochen, der sich unbemerkt der Szene an der Haustür genähert hatte.

„Das ist nicht nötig.“, sagte er und fuhr sich durch das kurz geschorene Haar. „Colette, dies sind meine Gäste und mein Geisteszustand ist vollkommen in Ordnung.“ Man konnte sehen, wie die ältere Dame die Zähne zusammenbiss und eine giftige Antwort hinunterschluckte. Der Alte musste einen großen Einfluss in der Familie haben. Wenn Lucy es richtig verstanden hatte, handelte es sich um ihren Auftraggeber.

„Wie du wünscht, Großvater Makor.“, sagte sie und gab die Tür frei. Den Magiern fiel die Kinnlade hinunter. Der Herr des Hauses sah nicht älter aus als seine Enkelin. Aber wenn seine Enkelin schon um die sechzig sein mochte, wie alt war dann ihr Großvater? War das vielleicht sogar der Grund dafür, dass sie Ahnenforschung betreiben sollten?

„Spetto, bringen sie meine Gäste bitte in die Bibliothek.“, bat ihr Auftraggeber die Haushälterin, welche schweigend mit gesenktem Kopf neben der Tür stand und auf weiter Anweisungen wartete, wie es sich für eine gute Haushaltskraft gehörte.

„Wie sie wünschen, Herr Makor.“, entgegnete die Haushälterin und gab Lucy, Natsu und Happy eine Geste, dass sie ihr folgen sollten, als sie sich nun auf den Weg ins Innere des Villa machte.

„Ganz ohne Kampf?“, beschwerte sich Natsu bei seiner Verlobten. „Du hast mir einen Kampf versprochen, Lucy!“ Das Thema schon wieder. Manchmal kam es der Stellargeistmagierin so vor, als würde der Rotschopf absichtlich nur das verstehen, was er hören wollte.

„Ich hab nur gesagt, dass wir uns wahrscheinlich durchkämpfen müssen.“, korrigierte die Blondine ihren Partner. „Aber so ist es viel angenehmer.“ Mit entschlossenem Schritt übertrat sie die Türschwelle und kehrte in die Welt der Reichen ein, wobei sie bewusste den Blick von Colette mied. Aber sie konnte die Bedrohung in ihrem Nacken spüren.

„Das ist aber langweilig.“, schmollte der Rotschopf, folgte aber ihrem Beispiel. Im Vorbeigehen warf er der älteren Frau, die seine Freundin fixierte, einen warnenden Blick zu, den diese jedoch nur mit einem hochnäsigen Schnauben quittierte.

„Aye!“, bekräftigte Happy und tapste den Menschen hinterher. „Der Auftrag würde sicher viel mehr Spaß machen, wenn Natsu ein bisschen Chaos anrichtet.“ Dann fügte er leise kichernd mit einem Seitenblick auf die Dame des Hauses hinzu: „Diese alte Frau ist mit Sicherheit ein ganz gemeiner Bösewicht.“ Die junge Magierin hoffte inständig, dass Colette den Kater nicht gehört hatte. Sonst würde das ein sehr unangenehmer Auftrag werden.

„Vielleicht sollten wir das mal überprüfen.“, grinste Natsu und ließ seine Hände aufflammen.

„Ihr werdet gar nichts tun!“, fuhr Lucy die zwei leichtsinnigen Dummköpfe an. „Ich möchte einmal einen Auftrag machen, der mir Spaß macht und ihn ohne Zwischenfälle zu Ende bringen!“ Dann drehte sie ihnen seufzend den Rücken zu. „Einmal ohne blaue Flecke und einer Schadensersatzrechnung nach Hause kommen, wäre das nicht herrlich?“ Aber das werden diese Knallköpfe niemals verstehen!, dachte sie. Natsu war viel zu sehr auf einen Kampf versessen und Happy liebte alles, was aufregend war. Sie hatte auch nichts gegen ein bisschen Action, aber wenn es sich vermeiden ließ, war das auch in Ordnung. Man musste ja nicht immer dem Weltuntergang begegnen. Von solchen Szenarien hatte die Blondine mehr als genug erlebt.

Das Innere des Hauses machte einen weitaus luxuriöseren Eindruck, als die Fassade. Die Wände waren förmlich tapeziert mit wertvollen Gemälden und kostbaren Wandteppichen. Dazwischen quetschten sich Regale voller Gegenstände, die reich mit Gold und Edelsteinen besetzt funkelten. Alleine der historische Kunstwert der Sammlung mochte die Milliarden übersteigen. Irgendjemand machte sich die Mühe, alles schick anzuordnen, was bei der Menge eine schier unmögliche Aufgabe darstellte. Aber alle Arbeit konnte nicht verbergen, dass jemand in diesem Haus ein zwanghafter Sammler von allem Wertvollem war.

„Hier sieht's ja aus wie in einer Drachenhöhle.“, bemerkte Natsu und betrachtete mit großen Augen die glitzernden Kleinode um ihn herum. Wenn er das sagte, musste das ja stimmen, immerhin gehörte er zu den wenigen, die in den letzten einhundert Jahren einen lebenden Drachen gesehen hatten, geschweige denn, das Innere seiner Höhlen betreten durfte. Die Gerüchte über den Sammeltrieb der Drachen stimmten also. Wenn Lucy genau nachdachte, fand sie, dass auch Natsu gerne sammelte. Doch der Wert der Dinge, die man in seinem Haus fand beschränkte sich auf Erinnerungen. Für die Magierin das höhere Gut.

„Herr Makor sammelt gerne.“, gab Frau Spetto zu. „Und er weigert sich strikt, von seinem Besitz etwas abzugeben. Frau Colette macht das ganz wahnsinnig, denn es gibt einfach keinen Platz mehr im Haus. Darum lassen sie gerade ein neues Lagerhaus errichten, aber der Herr weigert sich bereits jetzt, es zu nutzen. Frau Colette ist deswegen sehr ungehalten.“

„Ist Frau Colette die Hausherrin?“, fragte Lucy interessiert. Die Dame musste auf jeden Fall viel Autorität in diesem Haushalt haben.

„Das wäre ja noch schöner!“, rief ein junger Mann, der soeben eine Treppe neben ihnen hinunterkam. Mit etwa zwanzig Jahren war er der bisher jüngste Bewohner des Hauses, dem sie begegnet waren. Mehrere Herrschaften mittleren Alters hatten sie bereits passiert, jedoch die Gäste ignoriert. Auf dem Treppenabsatz blieb der Schwarzhaarige stehen und beäugte die Neuankömmlinge, wie man einen Hundehaufen auf der Straße betrachten würde.

„Guten Morgen, Herr Mafizz.“, grüßte Spetto und verbeugte sich tief.

„Sind das diese Versager, die Großvater Makor engagiert hat?“ Von oben herab sah er zu ihnen, wobei er die Nase immer oben behielt. Jeder Zentimeter seiner Garderobe schrie nach Geld. Der junge Mann trug einen sehr teuren Anzug aus Seide mit goldenen Knöpfen und an jedem Finger einen diamantbesetzten Ring. Lucy erkannte Wertvolles auf den ersten Blick. Ihr Vater hatte sie geschult, die Echtheit zu sehen. Die Aufmachung des jungen Mannes mochte zusammen gut eine Millionen Jewel wert sein. Es versetzte Lucy einen Stich, denn tief in ihrem Inneren vermisste sie es, ab und zu mal eines ihrer alten Kleider zu tragen. Auch wenn ihre Freunde sie dafür auslachen sollten, ab und zu ein bisschen Glamour würde ihr schon gut tun.

„Na nu? Ist das nicht die Lady Heartfilia?“ Ein hämisches Grinsen machte sich auf dem Gesicht des Reichen breit. „Die unglückliche Tochter dieser Pleitefamilie!“ Er lachte höhnend und in der jungen Frau schäumte die Wut auf. Ihr Vater war reingelegt worden und hatte dadurch alles verloren! Das konnte doch jedem passieren! „Seht nur, wie verkommen sie ist! Von einem Mitglied der Reichen und Schönen zu einer gewöhnlichen Magierin!“ Die allgemeine Meinung über Magier in diesem Haus schien alles andere als positiv zu sein. Wie konnte man sich nur so menschenverachtend aufführen? Geld vernebelte wirklich den Sinn für das Wesentliche! Der junge Mann kam ein paar Stufen die Treppe hinunter, blieb aber stehen, bevor er sich auf ihre Augenhöhe herabließ. „Aber hübsch bist du immernoch.“, stellte er zufrieden fest. „Wie wär's? Heirate mich und bekomme all deinen Luxus zurück! Ich kann dir alles bieten, sobald ich das Erbe des alten Knackers bekommen habe!“ Lucy reichte es! Geld machte nicht glücklich, weswegen sie nie wieder mehr als sie brauchte haben würde! Eher spendete sie alles an einen gemeinnützigen Verein, als dass sie in ihr altes, einsames Leben zurückkehrte. Sie wollte etwas auf diese Dreistigkeit erwidern, da stand auch schon Natsu zwischen ihr und dem Schnösel. Mit ausgebreiteten Armen schirmte der Rotschopf seine Verlobte von dem Snob ab und fixierte ihn mit einem vernichtenden Blick.

„Sie gehört mir.“, stellte er klar. „Und ich teile nicht!“

„Lucy ist bei uns viel glücklicher!“, rief Happy und flog direkt neben Natsu. Wie süß die beiden waren! Lucys Ärger über den reichen Spinner verflog sofort. Solange sie ihren Verlobten und den Kater an ihrer Seite hatte, brauchte sie nichts anderes. Aber Mafizz verstand das nicht.

„Bist du sicher, dass du ihr geben kannst, was sie braucht?“, fragte er kaltblütig und sah Natsu direkt in die Augen. „Eine Frau wie sie gehört mit Seide und Gold bestückt und nicht in so einen unangemessenen Fummel von minderer Qualität.“ Der Stellargeistmagierin war klar, wenn sie nicht sofort einschritt, würde Natsu sich wieder seltsame Gedanken machen und sich anormal benehmen. Das musste sie auf der Stelle unterbinden. Es war so lästig, den Feuermagier wieder aus diesen Komplexen heraus zu holen!

„Ich bekomme sogar mehr, als ich brauche!“, sagte Lucy bestimmt, drückte sacht die Arme ihres Verlobten hinunter und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Aber das wird jemand, dem Geld das Wichtigste ist, niemals verstehen.“ Dann nahm sie Natsus Hand und zog ihn mit sanfter Gewalt von dem jungen Mann weg. Mit solchen Menschen musste sie sich zum Glück nicht mehr abgeben. „Frau Spetto, bringen sie und bitte zu unserem Auftraggeber.“ Die Haushälterin verbeugte sich und ging wieder voran. Ein verschmitztes Lächeln konnte die ältere Frau trotz ihrer guten Ausbildung nicht verbergen.

„Sie sind viel selbstbewusster geworden, Fräulein Lucy.“, bemerkte sie. Die Blondine freute dieses Kompliment ungemein. Wenn das jemand beurteilen konnte, dann Spetto, die seit der Geburt der Tochter ihrer früheren Arbeitgeber über sie wachte. Die Stellargeistmagierin hatte die richtige Entscheidung getroffen, als sie beschloss, ihr Elternhaus zu verlassen.

Die Haushälterin öffnete eine große Flügeltür am Ende des Flures. Sie traten in ein sonnendurchflutetes Zimmer ein. Die ganze hintere Wand war gläsern und eröffnete einen Blick auf den wunderschönen Rosengarten des Anwesens. In der Mitte des Raumes stand eine einladende Garnitur Polstermöbel, mit rotem Wildleder bezogen und ein reich verzierter Beistelltisch. Abnutzungsspuren zeigten, dass die Bewohner des Hauses diese gemütliche Ecke häufig nutzten. Der Raum reichte bis unter das Dach vier Stockwerke über ihnen und an den Wänden sammelten sich in endlosen Reihen Bücher aller Art, alles nach Kategorien beschriftet und nach Autoren sortiert. Kein Staubkorn lag hier. Lucy war mehr als beeindruckt von dieser Bibliothek. Größer und umfangreicher als die ihrer Familie, in der sich hauptsächlich Wirtschaftsbücher fanden. Es juckte der jungen Frau in den Fingern, sich eines der Bücher zu schnappen, die Couch in Beschlag zu nehmen und die Nase hineinzustecken. Was würde wohl Levy zu diesem schier unendlichen Lager an Wissen sagen?

„Meine Frau hat dieses Archiv angelegt.“ Herr Makor trat hinter einem der Regale hervor. Es musste dort einen verborgenen Seiteneingang geben, denn der Haupteingang lag hinter ihnen. Der alte Herr wies auf einen Punkt über dem Eingangsportal. Neugierig drehte Lucy sich um und erblickte das Portrait einer wunderschönen Frau mittleren Alters in einem langen, weißen Kleid, die auf eben jenem Sofa saß, welches hier im Raum stand. Sie hatte lockiges braunes Haar, das bereits ein paar weiße Strähnen durchzogen und ein liebevolles, rundes Gesicht. Obwohl sie auf dem Bild nur sanft lächelte strahlten ihre Augen wie Saphire. Sie musste eine wirklich atemberaubende Person gewesen sein, sofern der Maler nicht ein wenig Phantasie mit eingebracht hatte.

„Cartella liebte Bücher über alles und verbrachte viele Stunden in diesem Zimmer.“, erklärte er und ging zu seinem großen Ohrensessel. Er ließ seine Hand über das Leder gleiten, bevor er sich schwerfällig hineinsetzte. „Spetto, bringen sie uns doch bitte Tee.“

„Sehr gerne.“, die Haushälterin verbeugte sich und verließ den Raum durch die Flügeltür, welche sie hinter sich schloss. Ihr Auftraggeber wies den Magiern, dass sie auf dem großen Sofa platz nehmen sollten. So weich und bequem, Lucy verspürte den Drang, ein Nickerchen zu machen. Angespannt erwartete sie, dass der Alte begann, über ihre Aufgabe zu sprechen. Doch er wartete ab, bis Spetto ihnen Tee und Kekse gebracht hatte. Er eröffnete das Gespräch mit einer merkwürdigen Frage: „Wie alt schätzen sie mich?“ Lucy sah ihn überrascht an und überlegte sich, ob es klug wäre, die Wahrheit zu sagen.

„Mitte sechzig.“, antwortete Natsu prompt, was auf sein Äußeres bezogen durchaus eine berechtigte Schätzung war.

„Dann wäre er aber nicht der Opa von der doofen Frau.“, erinnerte ihn Happy. Der Kater hatte vorhin also aufgepasst, wie Lucy zufrieden feststellte,

„Stimmt.“, gab sein Ziehvater zu und legte nachdenkend den Kopf schief. Zu Lucys Überraschung lachte der alte Mann laut auf. Er hatte ein ansteckendes Lachen, aus voller Brust heraus. Die junge Frau entspannte sich etwas. Von diesem Herrn musste sie keine solche Behandlung erwarten, wie von den anderen Bewohnern des Hauses.

„Ich tippe auf hundert bis hundertzehn.“, stellte sie ihre Vermutung in den Raum. Wenn er jung Vater geworden war mochte das passen.

„Noch weit daneben.“, lachte ihr Auftraggeber. „Ich bin über hundertzwanzig Jahre alt.“ Lucy hatte es kommen sehen. Wenn Colette, die sie auf Mitte fünfzig schätzte, ihn schon Großvater nannte, dann musste er etwa vierzig Jahre Älter sein. Dass es sogar sechzig Jahre waren überraschte sie aber doch. Dafür sah der Mann noch reichlich jung aus.

„Das bin ich auch.“, grinste Natsu unüberlegt. Der alte Herr lachte wieder herzlich, denn er schien es für einen Scherz zu halten. Ohne die Hintergründe zu kennen konnte man es dem Feuermagier auch nicht glauben. Dann wurde der Gesichtsausdruck ihres Auftraggebers wieder ernst.

„Es ist die Wahrheit.“, sagte er. „Die genaue Zahl kenne ich nicht, aber meine Eltern haben mich laut den Dokumenten, die sie mir hinterlassen haben, vor hundertzwanzig Jahren adoptiert.“ Er nippte an seinem Tee, als wolle er den Magiern Zeit geben, über das gesagte Nachzudenken. Aber vielleicht brauchte er auch etwas Zeit, um sich für den nachfolgenden Teil zu wappnen. „Dabei ist adoptiert das falsche Wort. Sie haben mich auf einem Sklavenmarkt in Bosco erstanden. Ohne einen Hinweis darauf, woher ich komme.“ Das erklärte das Honorar des Auftrages. Die Herkunft von Sklaven wurde stets mit Sorgfalt vertuscht. Manche Händler bearbeiteten die Gedächtnisse ihrer Waren sogar mit Magie, damit sie sich nicht mehr an ihr früheres Leben erinnerten.

„Und wir sollen das herausfinden.“, bemerkte Lucy, die sich ein Notizbuch samt Stift zur Hand genommen hatte. Jeder noch so kleine Hinweis zählte. Diese Aufgabe erforderte genaueste Detektivarbeit. Die Blondine wollte schon immer einmal Detektiv spielen.

„So ist es.“, bestätigte der Hausherr und stellte seine Tasse wieder ab. „Eigentlich wäre es mir egal, aber ich benötige die Informationen, um einen Familienzwist zu beenden.“ Bei der Familie musste es ja so etwas geben. Die Stellargeistmagierin wettete im Stillen darauf, dass es sich um einen Erbschaftsstreit handelte.

„Mit dieser alten Hexe von vorhin ist echt nicht gut Kirschen essen.“, sagte Natsu in verständigem Ton. Makor überraschte ihn, als dieser meinte, Colette sei noch harmlos.

„Sie ist nur eine von vielen die hoffen, dass ich bald das Zeitliche segne und dem mit allen Mitteln versuchen, nachzuhelfen.“, seufzte er schwermütig. „Die einzige erwachsene Person in diesem Haushalt, der ich vertrauen kann, ist die gute Spetto. Ich kann mir sicher sein, dass ihr jegliche Manipulation in meinem Alltag, die zu meinem Tode führen könnte, auffällt. Es ist schon traurig, wozu eine Familie im Streit um das Erbe fähig ist.“ Bingo! Wie erwartet. Geld brachte immer Probleme. Spätestens, wenn eine gierige Familie darauf aus war.

„Wer so eine hübsche Sammlung hat, muss sich nicht wundern.“, meinte Happy und spielte auf die Schmuckstücke auf den Fluren des Hauses an.

„Es ist nicht nur mein Besitz.“, erwiderte Makor. „Meine Firma hängt auch mit dran. Noch habe ich die Leitung nicht abgegeben, denn meine Nachfolgerin ist noch nicht bereit.“ Nachdenklich sah er aus dem Fenster. „Und sie ist die Einzige, der wirklich etwas an dem Betrieb und dem Handwerk liegt. Die anderen wollen nur den Gewinn.“

„Was stellen sie denn her?“, fragte Natsu neugierig. Es tat zwar nichts zur Sache, aber Lucy sah es trotzdem als nützliche Frage. Vielleicht verriet die Profession ihres Auftraggebers ja seine Talente, die er durchaus von seinen leiblichen Eltern vererbt bekommen haben mochte.

„Alles, was vier Räder hat.“, grinste der alte Mann und Natsu wurde blass. „Von einem einfachen Ackerwagen bis hin zu magischen Vierrädern. Ich leite die größte Firma in dieser Branche.“ Natsus Gesicht bekam einen ungesunden Grünstich.

„Jetzt werd' nicht allein von dem Gedanken daran krank!“, wies Lucy ihn zurecht. Der Feuerdrache machte immer einen Aufstand um nichts! So eine Blamage!

„Aber, aber!“, besänftigte sie ihr Auftraggeber lachend. „Reisekrankheit ist ein großes Problem meiner Branche. Vor kurzem habe ich eine Anfrage für eine große Kutsche bekommen, in der man nicht reisekrank wird. Ich tüftle seit Tagen an einer Technik und ich glaube, ich stehe kurz vor einem Durchbruch!“

„Das wäre eine große Erleichterung für alle Dragonslayer.“, meinte Natsu, auch wenn er sich eine solch ausgefeilte Mechanik sicher nicht vorstellen konnte. Geschweige denn, dass der alte Herr wissen konnte, was Dragonslayer waren und was sie mit Reisekrankheit zu tun hatten.

„Meine Ururenkelin hilft mir bei der Entwicklung.“, lächelte Makor. „Sie ist erst vierzehn Jahre jung, aber sehr pfiffig! Und sie interessiert sich als einzige in der Familie für das Handwerk. Darum möchte ich auch ihr die Firma vermachen.“

„Und wo liegt das Problem?“, fragte Lucy. Der alte Mann rieb sich die Augen. Er sah müde aus. Die Familienfehde schien ihn mehr zu belasten, als er zugeben wollte.

„Catleya hat eine sehr ungewöhnliche Augenfarbe.“, erklärte er. „Es ist in keiner anderen Blutlinie jemand mit dieser Augenfarbe bekannt. Darum hält sich hartnäckig das Gerücht, dass ihre Mutter, Cara, ihren Mann, meinen Urenkel Castor, betrogen hat und Catleya somit nicht als Erbe in Frage kommt.“

„Ich verstehe!“, rief Lucy und erntete verständnislose Blicke ihres Verlobten und dessen Kater. „Sie wollen beweisen, dass sie ihr Nachkomme ist, indem sie bei ihren Vorfahren diese Augenfarbe finden.“ Bei einer ungewöhnlichen Augenfarbe konnte das jawohl nicht so schwer werden!

„Du hast es erfasst.“, bestätigte Herr Makor. „Ich weiß, es ist eine schwierige Aufgabe. Wenn ihr es nicht rechtzeitig beweisen könnt, geht die Firma an meinen Enkel Mafizz.“ Dank ihrer Begegnung mit dem schwarzhaarigen Schnösel im Flur konnte Lucy sich den Horror in dieser Möglichkeit bildlich vorstellen. Mafizz würde alles verkaufen und das Geld zum Fenster heraus werfen. „Aber es gibt einen guten Grund, dass ich mich an Fairy Tail gewendet habe.“, fuhr Makor fort und trank in einem Zug seinen nur noch lauwarmen Tee aus. „Ihr geltet als Magier, die alles möglich machen können.“ Dies mochte ja stimmen, solange es sich um epische Kämpfe mit unmöglichen Ergebnissen handelte. Irgendwoher nahmen sie immer die Willenskraft, um doch noch siegreich davonzukommen. Manchmal mit der Hilfe anderer, manchmal auch einfach nur durch Glück. Aber Magier, die auf solche kniffligen Anfragen spezialisiert waren, gab es eigentlich nur sie und Levy. Es wurde Zeit, dass sie der Gilde in dieser Richtung etwas Bekanntheit gaben. Die Blondine war für diesen Auftrage ebenso Feuer und Flamme, wie ihr Partner für Kämpfe.

„Welche Augenfarbe hat ihre Enkelin denn?“, fragte Lucy und notierte sich eifrig, was sie bisher erfahren hatte.

„Sie sagen, es wäre Purpur.“, erzählte Makor und seine Augen waren auf die Tischplatte gerichtet.

„'Sie sagen'?“, fragte Natsu überrascht. „Haben sie ihre Enkelin noch nie gesehen?“

„Nein.“ Ein trauriges Lächeln lag auf den Lippen des alten Herren. „Ich bin seit sechsundzwanzig Jahren vollständig blind.“
 

Mit einem schweren Seufzer brach Lucy über ihren Papieren zusammen. Der Raum war stickig und sie hatte Kopfschmerzen. Das schwache Licht ihrer Lacryma Schreibtischleuchte bot nicht genug Helligkeit, weswegen ihre Augen von der Anstrengung zu lesen schon ganz gereizt waren. Ein Blick auf die Uhr verriet der jungen Frau, dass es drei Uhr morgens war. Sie streckte sich und besah sich die Kopie der Vermisstenmeldungen Fiores von vor Hundertzwanzig Jahren. Dank ehemaliger Beziehungen ihres Vaters zum Minister für Recht war sie an diese eigentlich streng geheimen Akten herangekommen. Jede Stadt und jede Gemeinde führte eine eigene Akte. Vor der Stellargeistmagierin lag das Dokument der Hafenstadt Hargeon aufgeschlagen. Das zwanzigste Schriftstück, welches sie in dieser Nacht kontrollierte. Wer hätte auch gedacht, dass es insgesamt fünfundzwanzigtausend solcher Akten in Fiore gab? Wenigstens wusste sie, dass Herr Makor nicht aus einem anderen Land kommen konnte. Laut der Aussage der Zieheltern ihres Auftraggebers sprach er fließend Fiorisch, als sie ihn kauften. Er musste also aus diesem Land kommen.

Mit einem weiteren Seufzer schlug Lucy das Register zu. Sie hatte genug getan für diese Nacht. Sie sollte sich ein paar Stunden Schlaf gönnen, bevor Natsu am Morgen wieder in ihre Wohnung platzte. Sie wusste nun, wie er hineinkam. Ganz heimlich hatte er sich einen Zweitschlüssel besorgt, bevor sie überhaupt richtig eingezogen war. Die Vermieterin hatte ihm einen gegeben, ohne die Bewohnerin vorher zu fragen! Wenn sie also alle Fenster verschlossen hatte, schloss er sich einfach damit die Tür auf. So dreist! Lucy hatte es nur durch Zufall herausgefunden. Hätte sie ihm nicht vor drei Tagen morgens seine Hose zugeworfen, wäre der Schlüssel nie aus der Hosentasche gefallen und sie würde sich noch immer wundern, wie der Rotschopf in die Wohnung kam.

Die Blondine kniete sich auf ihr Bett und öffnete das Fenster. Auf beide Unterarme gestützte lehnte sie sich hinaus und ließ sich den kalten Winterwind um die Nase wehen. Das tat vielleicht gut! Ihre Kopfschmerzen fühlten sich gleich viel besser an. Jetzt hatte sie Ruhe zum Nachdenken. Vielleicht hatte sie überreagiert. Vielleicht hätte sie ihm keine Backpfeife geben sollen. Vielleicht hätte sie ihn nicht aus der Wohnung werfen sollen. Vielleicht war er jetzt sauer auf sie. Nein, mit Sicherheit war er sauer auf sie, immerhin waren sie inzwischen verlobt, sofern er sie nach diesem Ausraster noch haben wollte. Aber er hatte sich auch so oft daneben benommen und seine Scherze mit ihren Sachen getrieben. Ganz zu schweigen von den unzähligen Malen, an denen er ihre Vorräte verputzt hatte. Nein, sie würde sich nicht entschuldigen. Es war an der Zeit, dass Natsu seinen Mann stand und seine Fehler einsah.

Die junge Frau hatte nun ein Rätsel zu knacken. Aus wenigen Hinweisen musste sie eine ganze Wahrheit stricken. Aber wie sollte sie das machen? Der Aktenberg wurde und wurde nicht kleiner. Alleine so viel Papierkram durchzugucken war unmöglich. Dann konnte es natürlich auch sein, dass Herr Makor als Kind nie vermisst gemeldet wurde. Die Wahrscheinlichkeit, dass Makor nicht sein richtiger Name war, bestand auch. Und dann halfen ihr auch all die Akten nicht, denn die Beschreibung eines kleinen Kindes könnte sie niemals auf den alten Mann beziehen, den sie nur wenige Tage zuvor kennengelernt hatte. Aber sie wusste wirklich nicht, wo sie anfangen sollte. Von Purpuraugen hatte sie noch nie gehört. In all ihren Wälzern über die Völker der Welt und ihre besonderen Merkmale stand nichts über diese Augenfarbe. Dafür wusste sie jetzt, dass Narcy von einem weitentfernten Kontinent stammte. Natsus Mutter war um die halbe Welt gewandert. Auch in ihrer Heimat galten Amethystaugen als selten und in der heutigen Zeit als fast ausgestorben. Kinder mit solchen Augen wurden in den Sagen dieses Kontinents immer als besonders mächtige Magier beschrieben. Und Narcy war mächtig. Die Frau mit den Ketten hatte einen gigantischen Vorrat an magischer Energie, sonst hätte sie einen Sturmvogel nicht über Minuten hinweg mit Magie versorgen und anschließend noch mit purer magischer Kraft angreifen können. Tief in ihrem Innern war Lucy froh, dass Natsu nicht die gleiche Vorratsgröße geerbt hatte. Er richtete schon mit der Menge, die ihm zur Verfügung stand, genug Chaos an.

Wild schüttelte Lucy den Kopf. Sie wollte nicht schon wieder an den Rotschopf denken. Sie hatte genug von diesem Kindskopf! Die Blondine musste sich ganz dringend ablenken. Stur richtete sie den Blick auf den Kanal vor ihrem Haus. Er war vollständig zugefroren. Ein paar Kufenspuren zeigten ihr, dass die ersten Eisläufer sich am Vortag ausgetobt hatten. Wie gern würde sie auch über das Eis gleiten, aber sie hatte keine Schlittschuhe mehr und die Kufen waren sehr teuer.

Die Stellargeistmagierin horchte auf. War das Hufschlag, was da die nächtliche Stille durchbrach? Neugierig lehnte sie sich ein Stückchen weiter aus dem Fenster und blickte die Strawberry Road in Richtung Innenstadt hinunter. Das feine Klingeln von Glöckchen kam immer näher und dann konnte Lucy im Schein eines Fensters einen kleinen Schlitten erkennen. Wer fuhr denn um diese Uhrzeit noch mit einem Schlitten durch die Stadt? Noch dazu ein kleiner Ponywagen?

Jemand stand auf dem Schlitten und winkte mit einer Laterne. Kam Lucy das nur so vor oder galt das Signal ihr? Prüfend schaute sie die andere Richtung der Straße entlang. Niemand. Alle Häuser lagen dunkel und ruhig. Sie musste gemeint sein. Die junge Magierin sah wieder zu dem Schlitten. Dieser kam stetig näher und wurde langsamer. Das war keine Laterne. Die Flamme war keineswegs in eine Glashülle gesperrt. Sie flammte von einer Hand auf und ihr Schein traf auf die Silhouette eines jungen Mannes mit hellrotem Haar. Natsu. Ihr Verlobter stand auf einem Schlitten der fuhr und ihm war nicht schlecht.

„Lucy!“ Der Wind trug seine Stimme nun bis zu ihr. „Lu-cy!“ Sein Winken wurde energischer. Der Schlitten hielt direkt unter ihrem Fenster. Die junge Frau konnte nun den Fahrer des Schlittens ausmachen: eine kleine, zierliche Person, die in einen dicken Wintermantel eingehüllt war und sich darauf konzentrierte, dass temperamentvolle Pony ruhig zu halten.

„Was machst du denn hier?“, rief Lucy. Ihr Ärger war noch lange nicht verflogen.

„Zieh dir eine dicke Jacke an und komm her!“, kommandierte ihr Verlobter.

„Warum sollte ich?“, fragte die junge Frau beleidigt.

„Erklär' ich dir, wenn du im Wagen bist!“, drängte der Feuermagier. „Beeil' dich, wir haben nicht viel Zeit.“ Die Stellargeistmagierin hatte überhaupt keine Lust, sich von ihrem Partner drängen zu lassen. So spät in der Nacht wollte sie einfach nicht mehr raus. Ihre Augen schmerzten und die Blondine wollte nur noch schlafen. Mit Sicherheit gab sie gerade einen schauerlichen Anblick ab, den sie nur durch ausgiebigen Schlaf wieder loswerden konnte.

„Ich bitte sie.“, rief jetzt der Kutscher. Eigentlich eine Kutscherin. Nach der Stimme handelte es sich um ein junges Mädchen. „Großvater Makor geht es nicht gut.“ Großvater? Ihr Auftraggeber?

„Bist du Catleya?“, fragte Lucy vorsichtig.

„Ja!“, bestätigte das Mädchen. „Und wenn wir uns nicht beeilen, wird Großvater Makor vielleicht sterben!“
 

Der Prototyp der Reisekrankheitsfreien Kutsche war wirklich gelungen. Keine Bewegung des Wagens drang zu den Insassen durch, obwohl das Pony eilig vor sich hin trabte. So musste sich Fliegen anfühlen. Die Luft kam Lucy vor, als bestünde sie aus tausend Klingen. Sie zog ihren Wintermantel noch enger um sich, doch auch das Wildleder mit dem Schaffellfutter konnte den Wind nicht vom Körper der jungen Frau fernhalten. Natsu hatte etliche Male versucht, sie an sich zu ziehen, doch seine Verlobte stieß ihn jedes Mal zurück. Sie wusste, sie benahm sich kindisch. Aber Der Feuermagier musste endlich einsehen, dass ihm nicht alles verziehen wurde.

„Was ist denn nun eigentlich los?“, wandte die Blondine sich an Catleya.

„Es ist alles meine Schuld.“ Das junge Mädchen musste geweint haben, ihre Stimme klang noch sehr erstickt. Leider verbarg eine Fell bestückte Kapuze das Gesicht der Enkelin ihres Auftraggebers. Nur zu gern hätte Lucy die ungewöhnlichen Augen gesehen. Catleya schniefte laut und fuhr dann fort: „Ich wollte Großvater Makor doch nur helfen, sich zu erinnern.“

„Sie hat diesen komischen Trank verwendet, den du mir gegeben hast.“, erklärt Natsu, der inzwischen die Arme schmollend vor der Brust verschränkt hatte. Happy hatte er nicht wach bekommen und darum zu Hause gelassen. Der Kater schlief ungewöhnlich viel in letzter Zeit. Aber Lucy hatte auch den Eindruck, dass er ein bisschen gewachsen war.

„Warum denn das?“, fragte Lucy verblüfft. „In der Anleitung steht, dass man Erinnerungen ab dem 4. Lebensjahr damit wecken kann. Laut seinen Erzählungen muss Herr Makor bei seiner Adoption aber jünger gewesen sein.“

„Ich wollte es probieren.“, sagte das junge Mädchen kleinlaut. „Ich dachte, vielleicht hilft ja eine größere Menge.“

„Wie groß?“, wollte Lucy misstrauisch wissen. Drei Tropfen, mehr durfte man nicht verwenden. Vier waren gerade noch so okay, führten aber zu kurzfristigen Halluzinationen.

„Zwei.“ Das Mädchen Zog den Kopf ein.

„Zwei was?“, bohrte Lucy. „Milliliter? Zentiliter?“

„Schlucke.“, flüsterte ihre Kutscherin. „Direkt aus der Flasche.“

„Er hat das Zeug pur getrunken?!“, rief Lucy entsetzt. „Bist du wahnsinnig? Fünf Tropfen in einem Glas Wasser reichen, um einen erwachsenen Mann für Tage außer Gefecht zu setzen! Aber zwei Schlucke? Pur?!“ Die Blondine konnte es einfach nicht fassen, wie jemand so leichtsinnig sein konnte. „Hast du die Anleitung überhaupt gelesen?“ An der Bewegung der Kapuze sah die Stellargeistmagierin, dass Catleya leicht den Kopf schüttelte.

„Ich brauche eure Hilfe.“, schluchzte das Mädchen. „Großvater Makor ist seit dreißig Stunden nicht mehr aufgewacht. Ich habe Angst, dass er stirbt!“ Sie lenkte das Pony durch das offene Tor zum Familiengrundstück und ließ es vor der Tür stehen bleiben. „Großvater Makor sagt immer, Fairy Tail Magier können alles hinbekommen.“ Schon wieder dieses unbegründete Vertrauen in ihre Fähigkeiten! Mochte ja sein, dass in der Gilde eine Menge fähiger Magier waren, aber sollte man in einer solchen Situation nicht lieber einen Arzt rufen? Aber irgendwie wollte Lucy die Erwartungen auch nicht enttäuschen.

„Wir werden sehen, was wir tun können.“, versicherte sie Catleya und stieg aus der Kutsche. Nur wusste die junge Frau noch gar nicht, wie sie das anstellen sollte, aber die Lösungen lagen meistens direkt vor ihrer Nase.

„Fräulein Lucy!“ Spetto kam ihnen ganz aufgelöst entgegen. „Gut, dass sie da sind! Kommen sie schnell!“ Die kleine Frau zog ihre frühere Arbeitgeberin am linken Handgelenk ins Haus, noch bevor diese auch nur einen Gruß aussprechen konnte.

„Was soll denn das?“, fragte Lucy überrascht, ließ sich aber mitschleifen. Natsu folgte neugierig. Die Haushälterin antwortete nicht, bis sie vor einer Tür im zweiten Stock ankamen.

„Vielleicht können sie zu ihm durchdringen.“, meinte sie nur und öffnete die Tür. Hinter ihr lag ein Schlafzimmer mit einem großen Bett in der Mitte. Auf diesem kauerte Herr Makor mit angezogenen Knien, den Kopf gesenkt und die Hände schützend darüber verkrampft.

„Geht weg!“, rief er, doch seine Stimme klang längst nicht mehr so alt und erfahren, wie bei ihrer ersten Begegnung. „Lasst mich in Ruhe!“ Er klagte förmlich, wie ein kleines Kind. „Mein Bruder wird euch dafür verhauen!“

Mitleidig betrachtete Lucy den verwirrten alten Mann. Ein paar Menschen standen um das Bett herum und versuchten vergeblich, ihn zur Vernunft zu bringen. Eine runzlige kleine Frau schien die älteste unter ihnen zu sein. Sie nannte Herrn Makor als einzige Großvater, ohne seinen Namen dabei. Als ein junger Mann, ende Zwanzig, versuchte, ihn zu berühren, schlug der Herr des Hauses wild um sich, wie ein unkontrolliertes Kleinkind, das sich bedroht fühlte.

„Soetwas unvernünftiges!“, entrüstete sich Colette, die etwas entfernt vom Bett mit Mafizz stand. Lucy fiel nun die Ähnlichkeit der Beiden auf. Mutter und Sohn, vermutete sie. „Wie kann man sich nur so ungebührlich benehmen? Was hat ihm dieses dumme Kuckuckskind nur für ein Gift geben?“ Sie musste auf Catleya anspielen. Dabei fiel Lucy auf, dass die Ururenkelin nicht mit ihnen gekommen war. Doch Colette polterte noch weiter. „Dieses verflixte Balg will doch nur das Erbe für sich, bevor bewiesen ist, dass sie gar kein Nachkomme des Alten ist!“

„So ein Unsinn!“, rief eine andere Frau mittleren Alters, die auf der anderen Seite des Bettes stand. Ihr rotes Haar war noch nicht ganz ergraut und lag zu einem lockeren Zopf geflochten auf ihrer linken Schulter. „Meine Tochter würde an soetwas nicht einmal denken! Außerdem ist sie Makors Nachkomme, ich habe meinen Mann nicht betrogen!“, fügte sie spitz hinzu. Weitere Stimmen der Anwesenden meldeten sich zu Wort. Aus der Sorge um das Familienoberhaupt wurde ein handfester Streit, wem das Erbe gebührte. Die Angehörigen stritten sich über den Kopf des alten Herren hinweg, der sich immer enger zusammen kauerte, als wäre er nicht anwesend.

„Es reicht!“, rief Natsu plötzlich. „Seht ihr nicht, dass ihr ihm Angst macht?“ Er schob die Menge auf der einen Seite grob weg und starrte die Menschen auf der anderen so finster an, dass diese zurückwich. „Raus!“ Mehr als dieses eine Wort brauchte er nicht und die Angehörigen flüchteten. Schnell schloss seine Partnerin die Tür und sah dann wieder zu ihm. Ihr Verlobter konnte ganz schön furchteinflößend sein, dachte Lucy.

Dieser wandte sich nun dem eingeigelten Mann zu, der vorsichtig zwischen seinen Händen hervorlugte. Das sah sehr seltsam aus, denn Herr Makor war schließlich blind, aber das musste dem Kind, das gerade Besitz von ihm ergriffen hatte, nicht bewusst sein.

„Wer seid ihr? Wie habt ihr die bösen Männer verjagt?“, fragte er leise. „Warum macht ihr das Licht nicht an?“ Lucy und Natsu sahen sich an. Ob es wohl klug war, ihm die Wahrheit zu sagen? Vielleicht war eine Notlüge besser? Wenigsten platzte Natsu nicht ohne nachzudenken mit den Tatsachen heraus. Der Hitzkopf musste aus dem Vorfall mit seinem Vater gelernt haben.

„Das Licht ist kaputt.“, ersann Lucy. Etwas besseres fiel ihr auf die Schnelle nicht ein. Dabei war sie doch Schriftstellerin! Wie erbärmlich.

„Das ist doof.“, jammerte Herr Makor, der es glaubte. „Vater soll kommen, er kann immer Licht machen.“ Dann schniefte er laut. „Aber Vater ist gefallen. Genauso wie Bruder Natsu.“ Und leise fügte er hinzu: „Wenn Bruder Natsu da ist, habe ich keine Angst in der Dunkelheit.“ Lucy schlug sich die Hand vor dem Mund. Der verstörte Gesichtsausdruck ihres Partners verriet ihr, dass er das gleiche dachte wie sie. Bruder Natsu, das hatten sie schon einmal gehört.

Plötzlich bekam Die Stellargeistmagierin die Tür in den Rücken. Die Wucht warf sie förmlich zu Boden. Der schnellen Reaktion ihres Freundes verdankte sie es, dass sie diesen nicht berührte. Geschickt fing der Feuerdrache seine Partnerin kurz vor dem Boden auf und hob sie hoch, bis sie in seinen Armen lag wie eine Prinzessin.

„Großvater Makor ist wach!“, rief die Person, die soeben das Zimmer gestürmt hatte. Hellrote Haare, eine schlanke Figur – und spitz zulaufende, amethystfarbene Augen. Catleya war das genaue Abbild Narcys. So musste Natsus Mutter in jungen Jahren ausgesehen haben, bevor ihre Haare durch das Alter weiß geworden waren.

„Wer ist dieser Makor, von dem alle immer reden?“, fragte der alte Mann neugierig vom Bett.

„Na, du.“, antwortete seine Enkelin irritiert.

„Ich?“, fragte ihr Großvater vom Bett. „Ich heiße nicht Makor!“ Beleidigt zog er eine Schnute. „So einen doofen Namen hab ich nicht.“ Catleya sah zu Natsu und Lucy. Der Blondine wurde schamvoll bewusst, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, um sich von ihrem Verlobten auf Händen tragen zu lassen. Aber der junge Mann machte auch keinerlei Anstalten, sie wieder abzusetzen. Um genau zu sein hielt er sie so fest, dass es schon fast schmerzte. Vielleicht hätte sie ihn nicht in der Kutsche meiden sollen? Aus diese Position konnte sie auf jeden Fall nichts machen.

„Natsu, lass mich runter.“, bat sie.

„Wenn ich dich jetzt loslasse, kriege ich dich nicht mehr zu fassen.“, sagte Natsu trocken.

„Darüber reden wir später, okay?“, seufzte Lucy. „Aber erst müssen wir uns um das Problem hier kümmern.“

„Du haust nicht wieder ab?“, fragte ihr Verlobter misstrauisch.

„Ehrenwort.“, betonte Lucy das Versprechen. „Du weißt doch, ein Stellargeistmagier hält sich immer an seine Versprechen.“ Sie spürte den Widerwillen ihres Freundes, als er sie wieder auf dem Boden absetzte. Ganz dicht stand er hinter ihr, als hätte er Angst, dass sie doch weglaufen könnte. Die Blondine ging möglichst nah an Catleya heran, damit sie nicht so laut sprechen musste. Wer konnte schon vorhersehen, wie Makor sich verhalten würde, wenn er die Wahrheit erfuhr.

„Es sieht so aus, als hätte der Trank ihn geistig in die Zeit zurückversetzt, an die er sich erinnern wollte.“, erklärte sie flüsternd, bevor sie sich an ihren Partner wandte. „Versuch mal mit ihm zu reden.“

„Ich mache doch alles falsch.“, knurrte dieser. War er jetzt etwa sauer, weil sie sich wieder den wesentlichen Dingen zugewandt hatte? Manchmal war er so ein Kind!

„Bitte.“, flehte sie. „Wenn er wirklich der ist, für den wir ihn halten, dann hast du den besseren Draht zu ihm.“ Der Dragonslayer sah demonstrativ zur Seite und verschränkte die Arme. Wut kochte wieder in Lucy hoch. Sie war gerade dabei, ihm zu verzeihen. Und nun Das!

„Ich habe zwar keine Ahnung, wovon ihr redet, aber ich habe eine Idee.“, meinte Catleya und winkte die zwei Näher zu sich heran. Gespannt lauschte die Stellargeistmagierin dem Vorschlag. Sie sollten ein Szenario erstellen, in dem sie ganz unbeteiligt mit dem Kind sprachen. Am besten würde als Grundlage der Transport nach Bosco funktionieren, schlug Lucy vor. Das musste die Zeit sein, in der Herr Makor festsaß, denn seine Familie hatte er bereits verloren. Lucy und Natsu spielten dabei die Mitsklaven, während Catleya die wichtigsten Informationen aufschreiben wollte. Kein schlechter Plan und die beiden Magier willigten ein.

„Diese Reise geht aber wirklich schon viel zu lange.“, sagte Lucy laut und ging zur linken Seite des Bettes. „Wann werden die uns wohl endlich wieder an die Sonne lassen?“ Sie setzte sich neben den alten Mann auf das Bett und zog die Beine an.

„Haben die bösen Männer dich auch gefangen genommen?“, fragte Makor und suchte nach der Quelle der Stimme.

„Jup.“, sagte Lucy und lehnte sich gegen einen Bettpfosten. „Haben mich einfach mitgenommen und irgendwas von 'Sklave' gefaselt.“

„Genau, wie bei mir!“, rief der geistig Junge. Es war unangenehm, die suchenden Augen zu sehen, denn sie wusste, die würden nichts finden. Niemals.

„Wie heißt du, Kleiner?“, wollte Lucy wissen. Es war Zeit, die Fragestunde zu beginnen.

„Jedenfalls nicht Makor.“, schmollte der alte Mann. „Wer will denn schon so einen doofen Namen? Das klingt wie so ein hohes Tier im Magierrat.“ Wild gestikulierte er herum. „Wenn Mutter von denen erzählt, klingen die Namen immer so hochgetragen, als wären die schon als Hochnäsige zur Welt gekommen.“ Die Blondine unterdrückte ein Lachen. Früher war es Brauch, dass sich Mitglieder des Rates neue Namen gaben, um mehr Respekt durch die Untertanen zu erhalten. Sie musste sich an Geribald, der Schatten, erinnern. Ein mächtiger Schattenmagier, den seine Eltern ursprünglich Pipp getauft hatten. Einen General Makor gab es vor zweihundert Jahren mal in der Leibgarde des Königs und hatte sich sehr verdient gemacht, indem er seinem Herren sechs Mal das Leben rettete. Lucy konnte nur vermuten, dass die Adoptiveltern ihres Auftraggebers den Namen von eben diesem Helden nahmen.

„Mutter sagt aber, ich darf Fremden meinen Namen nicht verraten.“, sagte der Alte nun. „Sie sagt, dass man nur mit meinem Namen ganz viel böses in der Magie anstellen kann.“

„Deine Mutter ist eine kluge Frau.“, lächelte Lucy. Und sehr vorsichtig. Man konnte tatsächlich einiges mit nur einem Namen anrichten, doch diese Magie galt als eine der Verlorenen. Aber bei so vielen verlorenen Magien, wie der jungen Magierin seit ihrem Eintritt in die Gilde Fairy Tail begegnet waren, konnte sie sich sicher sein, dass da draußen immernoch irgendwo jemand lebte, der die Namensmagie beherrschte.

„Aber das ist doch doof.“, schaltete sich Natsu in das Gespräch ein. Der Rotschopf hatte bisher nur zugesehen, doch nun setzte er sich zur Rechten ihres Auftraggebers, lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Du sagst doch, dass du einen besseren Namen hast und jetzt willst du ihn uns nichtmal sagen.“

„Wir sind keine bösen Menschen.“, versicherte seine Verlobte. „Ich bin zum Beispiel Lucy.“ Sie hoffte, dass es half, das Vertrauen des Kindes in ihm zu gewinnen, wenn sie sich selbst vorstellte.

„Das ist aber ein schöner Name.“, lächelte Makor nun. „Der hört mit '-cy' auf, genau wie Mutters.“ Das Lächeln wurde zu einem Grinsen. „Das haben sie auch für meinen Namen genommen! Aber Mutter und Vater haben daraus ein 'Shi' gemacht, damit es nicht so doof klingt.“ Dann wandte er den Kopf wieder nach Vorne und zog die Knie noch ein bisschen näher zu sich ran. „Ich hoffe, Mutter und Vater geht es gut. Die bösen Männer haben Mutter einfach liegen lassen, weil sie sich nicht mehr bewegt hat.“ Dann zog er eine Grimasse und schlang die Arme um seinen Bauch.

„Was hast du?“, fragte Lucy besorgt.

„Ich hab plötzlich so Bauchweh.“, weinte der alte Mann. „Mir ist so heiß und übel.“ Besorgt legte die junge Frau ihre Hand auf die Stirn des Hausherren. „Er hat hohes Fieber!“, rief sie und sah Natsu beunruhigt an. „Er braucht dringend einen Arzt!“

„Mutter!“, rief der Patient. „Mutter hat für alles eine Medizin.“ Die Farbe wich langsam aus seinem Gesicht. Sein Kreislauf versagte.

„Wie heißt denn deine Mutter?“, fragte Lucy und streichelte ihm über den Kopf, um das Kind im alten Mann zu beruhigen.

„Shiyas Mutter ist Narcy.“, platzte es aus ihm heraus. Da war sie, ihre Bestätigung. Ihr Beweis, für jegliche Theorie. Ihre Sicherheit, mit wem sie es zu tun hatten. Bei dem alten Makor handelte es sich um niemand geringeren als Natsus kleinen Bruder Shiya. Dieser krümmte sich nun vor Schmerz und verlor das Bewusstsein. Es galt keine Zeit zu verlieren.

„Kümmere dich um ihn!“, sagte Lucy bestimmt zu ihrem Partner.

„Wieso ich?“, protestierte dieser und wich ein Stück zurück.

„Weil das dein kleiner Bruder ist!“, entgegnete seine Verlobte entschieden. Es war eine Premiere, den Feuermagier mit einem solch hilflosen Gesichtsausdruck zu sehen, aber sie konnte das jetzt nicht auskosten. „Jetzt nimm ihn schon! Er wird dich schon nicht beißen!“

„Ich habe doch gar keine Ahnung, wie ich mit ihm umgehen soll!“, weigerte der Rotschopf sich weiterhin.

„Jetzt reiß dich zusammen!“, fuhr die Blondine ihn an. „Willst du etwa, dass er stirbt? Jetzt, wo wir ihn gefunden haben?“ Sie sah, wie ihr Partner sich auf die Lippe biss. Natürlich wollte er nicht, dass Shiya starb. Er musste jetzt endlich mal Verantwortung übernehmen. „Du musst nur aufpassen, das er am Leben bleibt. Ich werde Virgo schicken, um Narcy zu holen.“ Vorsichtig legte die junge Frau den bewusstlosen Mann aufs Bett und stand auf. „Du schaffst das schon.“ Aufmunternd lächelnd nahm sie ihren Verlobten bei der Hand und bugsierte ihn mit sanfter Gewalt neben seinen Bruder. Mit dem Versprechen, sich zu beeilen, ging sie aus dem Zimmer. Den Schlüssel zum Tor der Jungfrau bereits in der Hand und mit einer verwirrten Catleya auf den Fersen.
 

Großartig! Einfach großartig! Jetzt hatte Lucy ihn doch tatsächlich mit dem alten Knacker, der seinen Bruder darstellte, alleine gelassen. Wie stellte sie sich das eigentlich vor? Dass er so mir nichts dir nichts wieder in den „Großer Bruder“-Modus schalten konnte? Bis vor wenigen Wochen war er der festen Überzeugung, er habe gar keine Familie, geschweige denn einen Bruder und konnte schon gar nicht glauben, dass er der Ältere war. Als älterer musste man immer so schrecklich viel Verantwortung übernehmen. Das gefiel dem Feuermagier gar nicht. Verantwortung hatte so etwas einschränkendes!

„Bruder Natsu...“ Der Rotschopf fuhr zusammen, als er unverhofft seinen Namen hört. Shiya war wieder wach und tastete die Seite des Bettes, auf der zuvor Lucy gesessen hatte, ab. Er suchte nach ihm. „Wo bist du, Bruder Natsu?“ Tränen der Verzweiflung quollen aus den blinden Augen, in denen sich seine Einsamkeit widerspiegelte. Keine Zeit, um feige zu sein.

„Ich bin hier.“, sagte Natsu nach langem inneren Kampf und legte dem alten Mann eine Hand auf die Schulter. Sie war mager und knochig. Spuren der letzten hundertzwanzig Jahre, die sein kleiner Bruder im Gegensatz zu ihm erlebt hat.

„Bist du es wirklich?“, fragte Shiya nun verstört. „Deine Stimme ist so tief.“ Der große Bruder musste Lächeln. Natürlich klang seine Stimmer tiefer, immerhin hatte er den Stimmbruch schon lange hinter sich gelassen.

„Du hast sehr lange geschlafen, du kleiner Tollpatsch.“, grinste der Feuerdrache. Irgendwie stimmte es ja, denn er konnte sich sehr lange nicht an seine Vergangenheit erinnern.

„Ich hatte einen ganz bösen Traum.“, sagte der alte Mann und die Angst stand ihm noch ins Gesicht geschrieben, als er sich zu Natsu umdrehte. Die faltigen Hände suchten nach dem großen Bruder, der ihm halt geben sollte. Der junge Magier schluckte. Es war doch ein sehr merkwürdiges Gefühl, sich um einen alten Mann zu kümmern, als hätte er ein kleines Kind vor sich. Doch Tränen in den trüben, grünen Augen sagten ihm, dass er jetzt nicht zimperlich sein durfte.

„Es ist alles gut.“, versicherte Natsu seinem kleinen Bruder und nahm ihn vorsichtig in den Arm. Sofort klammerte dieser sich haltsuchend an die Jacke des jungen Mannes.

„Mir ist so schlecht.“, sagte Shiya, der am ganzen Körper zitterte. Das Fieber ließ ihn schwitzen. Das war gut, dachte Natsu bei sich. Polyuchka hatte ihm vor langer Zeit erklärt, dass das Fieber eine Maßnahme gegen das ist, was einen krank macht. Bisher hatte der junge Mann es nie verstanden, denn soweit er sich zurückerinnern konnte war er nie krank gewesen. Ob er das wohl dem Drachen in ihm verdankte?

„Bruder Natsu, was geschieht mit mir?“, fragte der alte Mann in seinen Armen. Sein großer Bruder merkte, dass er immer schwächer wurde. Fieber sollte zwar eigentlich helfen, aber wenn es zu hoch stieg konnte man daran sterben. Das durfte nicht geschehen!

„Du hast nur etwas schlechtes getrunken.“, antwortete Natsu beruhigend und streichelte über den Rücken seines kleinen Bruders. „Mutter wird gleich kommen und dir Medizin geben und dann wird alles wieder gut.“ Natürlich konnte er das nur hoffen. Das Teufelszeug, welches er auch schon ausprobiert hatte, konnte einen absolut umhauen und Shiya hatte eine gefährliche Menge davon eingenommen. Was, wenn ihre Mutter kein Gegenmittel kannte? Wenn das Wissen Narcys versagte? Er wollte ihn doch noch richtig kennen lernen! Den aktuellen Shiya. Den alten Shiya, der schon so viel erlebt hat und diese Wunderkutsche bauen konnte. Seinen talentierten und klugen kleinen Bruder und dessen Kinder und Enkel und Urenkel und wer nicht noch alles zu seiner Familie gehörte. Er durfte jetzt nicht sterben!

Es fühlte sich fürchterlich an, so hilflos zu sein. Nutzlos. Schwach. Kampf war seine Spezialität. Doch alles, was Natsu für seinen kleinen Bruder in dessen Not tun konnte war, an seiner Seite zu sein. Auf ihn aufzupassen, so wie er es früher immer getan hatte. Früher, als sie noch glücklich zusammen mit ihren Eltern lebten. Damals, auf dem Hof, mit den Tieren und den Apfelbäumen.

„Weißt du noch, dass ich den Baum neben unserem Haus gepflanzt habe?“, fragte er leise, um den alten Mann von seinen Schmerzen abzulenken. Dieser nickte.

„Mutter sagte, dass er den Winter nicht übersteht.“, murmelte Shiya.

„Das hat er aber.“, lächelte Natsu. „Es ist ein großer Baum geworden! Der größte auf dem ganzen Hof.“

„Das will ich sehen!“, rief der kindliche Alte aufgeregt.

„Das zeig ich dir.“, lachte Natsu. „Aber erst musst du gesund werden.“

„Dann werde ich mir ganz doll Mühe geben, gesund zu werden!“, rief Shiya fröhlich. „Ich will Bruder Natsus Baum auch sehen!“ Der Feuermagier lachte und schwieg. Natürlich könnte sein kleiner Bruder mit zum Hof ihrer Eltern kommen, aber sehen würde er den Baum nicht. Nie mehr. Ebenso wie er nie sehen würde, was aus seinem großen Bruder geworden war. Er würde nie sehen können, dass sein großer Bruder jünger aussah als er. Niemals. Das stimmte Natsu irgendwie traurig. Hinzu kam die erdrückende Last der Jahre, die sie nicht miteinander teilen konnten, weil sie sich beide nicht erinnern konnten.

„Es tut mir Leid.“, flüsterte Natsu, doch Shiya war wieder eingeschlafen. Ganz ruhig atmete er. Der Feuermagier beschloss, sich ganz viel Zeit zu nehmen, um seinen kleinen Bruder richtig kennenzulernen. Das war er ihm und sich selber schuldig. Denn es war seine Schuld, dass ihre Leben die wurden, die sie nun sind. Es war an der Zeit, ihre Leben wieder gemeinsam zu leben, als Brüder. Shiya durfte einfach noch nicht sterben!
 

Endlich konnte Lucy ein leichtes Glühen am fernen Nachthimmel sehen. Eleanors Gefieder gab immer Licht ab, egal welche Tageszeit. Im Dunkeln erschien der gigantische Phönix jedoch noch eindrucksvoller, als am Tag. Die Stellargeistmagierin lief auf die Auffahrt hinaus und winkte mit der Laterne, die sie von Spetto bekommen hatte.

„Was ist das?“, fragte Catleya neugierig und zeigte auf den immer näher kommenden orangeglühenden Fleck.

„Warts ab.“, lächelte die Blondine verschmitzt. Wie sie erwartet hatte, reagierte das Mädchen erst verblüfft, als sie den Vogel erkannt, dann irritiert, als ihr die Größe des Tieres bewusst wurde und panisch, als Eleanor elegant auf der Erde aufsetzte.

„Beruhige dich.“, lachte Lucy und hielt den kleinen Rotschopf am Arm fest, damit sie nicht ins Haus flüchtete. Der Phönix breitete eine seiner mächtigen Schwingen aus, an der nun Narcy vorweg und anschließend Tsuya mit einer großen Tasche in den Armen hinunterrutschten.

„Ist es wahr?“, fragte die Frau mit den Ketten aufgeregt, ohne ein Wort des Grußes. „Ist es wirklich Shiya?“ Eine Hoffnung lag in den Augen der junggebliebenen, die Lucy genau erzählten, was sie gerade fühlte. Ihr jüngster Sohn lebte. Das letzte verschollene Mitglied ihrer Familie lebte noch!

Mit einem fast katzenhaften Aufschrei zog Narcy ihre rechte Hand an die Brust und lehnte sich nach links, während sie Catleya überrascht ansah. Diese hatte neugierig das unterste Beschwörermal der Zodiac berührt. Dort, wo der nackte Finger der vierzehnjährigen auf die Haut der Weißhaarigen traf bildete sich nun eine Brandblase.

„Sieht ganz danach aus.“, lachte Tsuya. „Und unsere Enkelin sieht genauso aus wie du.“

„Und sie hat deine Neugier.“, entgegnete Narcy und betrachtete ihren Handrücken, bevor sie ihrem Ehemann mit dem Eisenring um ihrem rechten Handgelenk einen Schlag gegen den Kopf versetzte. Lucy schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund.

„Was sollte das denn jetzt?!“, rief der Brünette verwirrt.

„Weil du auch deinen Leichtsinn vererbt hast!“, fuhr seine Frau ihn an, bevor sie sich wieder an ihre Schwiegertochter in Spe wandte. „Wo sind meine Söhne? Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät!“ Die Stellargeistmagierin mischte sich lieber nicht ein und zeigte Narcy den Weg zum Schlafzimmer ihres Jüngsten. Tsuya rappelte sich wieder auf und folgte ihnen, ebenso wie ihre Enkelin.

„Als könnte ich beeinflussen, was meine Kinder von mir abbekommen.“, schmollte Tsuya leise. Narcy tat so, als würde sie es nicht hören, während Catleya mit großen Augen neben ihr ging und die eindrucksvolle Frau unverwandt anstarrte. Die Person, deren Gesicht sie geerbt hatte. Im Gespräch mit dem Mädchen hatte Lucy lernen können, dass diese von der Arbeit ihrer Großvaters schon immer fasziniert war und sie schon als Kind beschlossen hatte, seine Nachfolgerin zu werden. Bisher hatte sie den alten Mann so gut es ging in der Werkstatt unterstützt. Die Rothaarige ritzte die Skizzen für ihn in eine Wachstafel, sodass der Blinde erfühlen konnte, wenn ein Fehler bestand. Auch an der Entwicklung der Reisekrankheitsfreien Kutsche half sie aktiv mit. Ihr Großvater musste sie oftmals bremsen. Wie Natsu hatte sie die Angewohnheit, einfach drauflos zu arbeiten, ohne Plan oder Grundriss, was dann häufig in Chaos und verschwendetem Material endete. Aber Catleya hatte sich selbst geschworen, dass sie niemals wieder die Anweisungen ihres Meisters ignorieren würde. Die aktuelle Situation war ihr eine schmerzliche Lehre.

„Kannst du Großvater Makor wieder gesund machen?“, fragte das Mädchen nun Narcy.

„Er heißt Shiya.“, entgegnete diese trocken. „Und ich wäre eine ziemlich schlechte Mutter, wenn ich nicht alles versuchen würde, um meinem Kind zu helfen.“ Mit diesen ernsten Worten öffnete sie die Tür zum Schlafzimmer, in dem sie Natsu und Shiya auf dem Bett vorfanden. Der große Bruder hier den alten Mann in seinen Armen und streichelte ihm beruhigend über den Kopf, während dieser sich vor Schmerzen wandte und weinte.

„Das soll Shiya sein?“, fragte Tsuya skeptisch.

„Er ist der Einzige, der altern durfte.“, seufzte Narcy, nahm ihrem Mann die Tasche ab und ging mit großen Schritten auf das Bett zu. Shiya sah beim Klang der Ketten auf.

„Da bist du ja, mein Kleiner!“, rief sie freudig. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!“

„Mutter!“, entfuhr es Shiya und er streckte seine Arme in die Richtung aus, in der er ihre Stimme vernahm. Die Frau stellte die Tasche ab, griff sich die Decke, welche am Fußende zusammengedrückt lag und nahm mit Hilfe dieser ihren jüngeren Sohn dem Älteren ab. Einen Zipfel legte sie auf den Kopf des alten Mannes und streichelte ihn sanft.

„Was hast du wieder gemacht, mein Kleiner?“, fragte sie mit einem leichtem Tadel in der Stimme.

„Ich weiß es nicht.“, jammerte Shiya. „Mir ist so heiß und ich hab Bauchweh. Und ich kann nichts sehen.“

„Dann müssen wir etwas dagegen machen.“, meinte die Mutter und wandte sich an Natsu. Dieser hatte schon vorsorglich die Tasche vom Fußende geholt und hielt sie Narcy nun offen entgegen. Mit einem dankbaren Lächeln holte sie ein braunes Glasfläschchen heraus. Da sie mit der anderen Hand noch immer den alten Mann festhielt, musste ihr großer Sohn es für sie öffnen.

„Danke.“, flüsterte sie und nahm den Trank wieder entgegen. „In der Tasche sind noch Räucherstäbchen, die beruhigend wirken. Stell sie bitte auf den Nachttisch und zünde sie an.“ Die Frau mit den Ketten schnupperte kurz prüfend an der Flaschenöffnung, bevor sie es ihrem jüngeren Sohn an die Lippen hielt. Dieser zog den Kopf sofort zurück.

„Das stinkt!“, rief er angewidert, doch seine Mutter ließ nicht locker. Auch nicht, als er sein Gesicht in der Decke vergrub.

„Du musst das trinken, wenn du wieder gesund werden willst.“, seufzte Narcy geduldig.

„Das ist aber eklig!“, beschwerte sich ihr Sohn in die Decke hinein.

„Und wie willst du dann wieder gesund werden?“, fragte die Weißhaarige neckend.

„Gar nicht!“, rief der alte Herr stur. „Nicht, wenn ich so ein doofes Zeug trinken muss!“

„Dann kannst du aber auch nicht mehr mit Natsu spielen.“, erklärte seine Mutter und sah zu Natsu, der inzwischen die Räucherstäbchen angezündet hatte und neben dem Bett stehen blieb, um Mutter und Kind weiter zu beobachten. Zu Lucys Überraschung nahm der Rotschopf die Vorlage seiner Mutter an und sagte: „Wie schade, dabei wollte ich morgen mit dir am Bach die Boote fahren lassen.“ Dabei verschränkte er ganz unbeteiligt die Arme hinter dem Kopf und sah zu seinem Vater. Dieser verstand abermals den Wink und fügte hinzu: „Dann habe ich sie wohl umsonst geschnitzt.“

„Boote auf dem Bach fahren lassen?!“, rief Shiya aufgeregt, krümmte sich dann aber wieder vor Schmerz. „Das will ich auch!“

„Das können aber nur gesunde Kinder, die ihre Medizin nehmen.“, bemerkte Narcy und hielt ihrem jüngeren das Fläschchen wieder an die Lippen. Dieser zog zwar eine Grimasse, trank aber alles in einem Zug aus. „Braver Junge.“ Die Mutter legte ihr krankes Kind hin und deckte es zu. „Schlaf jetzt und morgen früh wird alles wieder in Ordnung sein.“

„Singst du mir unser Schlaflied?“, fragte Shiya erwartungsvoll. Seine Mutter ließ sich nicht lange bitten. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen begann sie zu singen. Ein Lied in einer Sprache, die Lucy noch nie gehört hatte. Vielleicht Narcys Muttersprache? Es klang auf jeden Fall sehr merkwürdig, mit vielen Zischlauten und doch wirkte es beruhigender, als der feine Duft der Räucherstäbchen. Der alte Mann zog seine Decke fest um sich und war noch vor Ende des Liedes eingeschlafen. Vorsichtig erhob die Beschwörerin sich von der Bettkante und schlich aus dem Zimmer, wobei sie die restlichen Anwesenden mit hinaus drängte. So leise wie möglich schloss sie die Tür, lehnte dich mit dem Rücken dagegen und schloss die Augen.

„Er lebt.“, flüsterte die Frau, als könnte sie es noch gar nicht glauben. „Er lebt wirklich.“ Eine Träne der Freude rann ihre Wange hinunter. Tsuya trat neben seine Frau und nahm sie sanft in den Arm. Die anderen konnten nur zusehen, wie sich die Eltern des wiedergefundenen Sohnes schluchzend in den Armen lagen. Man sah ihnen an, wie glücklich sie waren.
 

Nun hatte Spetto sie doch in ein Zimmer gepackt! Eigentlich wollte Lucy nach Hause, in ihr eigenes Bett. Dort, wo sie sich am wohlsten fühlte. Doch Die Haushälterin hatte sie nicht gehen lassen und darauf bestanden, dass die übermüdeten Magier in einem Gästezimmer übernachteten. Narcy und Tsuya waren bei diesem Angebot schneller verschwunden, als es vollständig ausgesprochen war. Eleanor hatte auf der Auffahrt auf ihre Beschwörerin mit Anhängsel gewartet, sodass sie sofort die Flucht ergreifen konnten, wenn sie nicht mehr gebraucht wurden. Auch wenn das wahrscheinlich daran lag, dass sie „Sie“ nicht auf ihr Glück aufmerksam machen wollten, die Stellargeistmagierin hätte auch gut einen Transport nach Hause brauchen können! Und zu allem Überfluss steckte sie nun wieder mit Natsu in einem Raum, obwohl sie überhaupt keine Lust auf den notgeilen Rotschopf hatte. Männer waren tierisch lästig, wenn man sie ein paar Tage nicht rangelassen hatte. Aber die Blondine wartete auch immernoch auf eine Einsicht des Feuerkopfes. Vorher weigerte sie sich, ihn auch nur in ihre Nähe zu lassen.

„Du haust ja doch schon wieder ab!“, beschwerte sich Natsu, nachdem er zum sechsten Mal versucht hatte, sie zu umarmen.

„Ich bin hier.“, entgegnete seine Verlobte schnippisch und verschränkte die Arme. „Hast du überhaupt verstanden, warum ich so sauer bin?“

„Hab ich kapiert!“, rief Natsu schmollen. „Ich hätte mir keinen Zweitschlüssel besorgen dürfen, bevor wir uns richtig kannten. Hab ich verstanden und es tut mir Leid!“ Er klang nicht sehr überzeugend. „Aber ich wollte einfach von Anfang an immer in deiner Nähe sein. Damals habe ich einfach nicht nachgedacht und instinktiv gehandelt. Aber jetzt ist es doch etwas anderes!“ Ja, ihre Situation hatte sich verändert. Sie hatten sich beide ihre Liebe eingestanden. Sie waren ein Paar, sogar verlobt und wann immer es ging teilten sie ein Bett miteinander.

„Versprich mir nur, dass du das bei niemandem sonst je wieder tun wirst.“, mahnte die Blondine. „Keine Zweitschlüssel mehr, kein unerlaubtes Eindringen in Wohnungen mehr!“

„Ich schwöre es dir auf alles, was du willst.“, seufzte Natsu. „Was sollte ich auch in einer anderen Wohnung?“ Seine Verlobte gestattete es ihm, dass er sie an sich ran zog und seine rechte Hand an ihre Taille legte. „Bald brauchst du dir nichteinmal mehr Gedanken um deine Miete machen.“ Ein verschwörerisches Grinsen lag auf seinen Lippen. „Ich baue grade mein Haus um, damit du nach unserer Hochzeit sofort einziehen kannst.“ Skeptisch hob die junge Frau eine Augenbraue.

„Und was genau baust du um?“, fragte sie misstrauisch. Ihres Wissens nach hatte das Haus vier Räume: ein Wohn- und Schlafzimmer, eine überraschend große Küche, ein kleines, provisorisches Bad in dem man nur duschen konnte und ein Dachboden mit einer niedrigen Decke, auf dem eine Menge alter und kaputter Gegenstände lagerten.

„Einen Anbau.“, erklärte ihr Verlobter. „Mit einem Schlafzimmer, in dass dein Bett kann.“ Lucy versuchte, sich das vorzustellen. Ihr Bett war groß genug für sie beide, aber es wurde tatsächlich ein Zusatzraum benötigt, wenn sie es nutzen wollten. Ansonsten müssten sie auf ein Schlafsofa zurückgreifen. Wenigstens war er nicht auf die Idee gekommen, sie sollten gemeinsam in einer Hängematte schlafen. „Dann ein größeres Badezimmer, da du ja so gerne in der Badewanne liegst.“ Bei der Badewanne hatte es sicher noch andere Gedanken. Aber das war ihr egal, solange sie genug Platz hatte, um sich ausgiebig zu pflegen. „Und einen Raum nur für dich, damit du schreiben kannst. Mit einem Schild an der Tür an dem ich sehen kann, ob ich dich gerade störe.“ Überrascht sah die junge Frau ihrem Verlobten ins Gesicht. So umsichtig kannte sie ihn ja gar nicht! Aber es freute sie unheimlich, dass er an ihre Hobbys gedacht hatte. Eine eigene kleine Bibliothek, nur für sie alleine!

„Ich freue mich schon darauf.“, lächelte Lucy und gab ihm einen Kuss. Die Magierin konnte es kaum erwarten, ihr neues Leben zu beginnen. Der Plan für ihr Kleid stand bereits, jetzt musste sie es nur noch nähen. Für Natsu wollte sie die schönste Braut sein, die die Welt je gesehen hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Vigeta_Lord_d_T
2020-02-25T05:42:20+00:00 25.02.2020 06:42
Jetzt ist die Familie komplett. Schade nur das die kleine Schwester. Es nicht gibt. 😢😭.

Na was wird die restliche Familie dazu sagen das. Die Uhr Oma/ Uhr Opa/ uhr Onkel + Frau da sind und noch so jung aussehen. 😁😆😂🤣.

Das wird eine Bomben Überraschung 😈😈😈😈.
Von:  fahnm
2013-01-13T00:06:09+00:00 13.01.2013 01:06
Klasse Kapi^^
Mach weiter so.^^


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