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Die Leiche

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Die Leiche

Er lehnte an der Wand neben seiner Balkontür und starrte gedankenverloren in seinen Garten hinaus. Die Arme waren vor der Brust verschränkt und sein Blick ging ins Leere. Tränen glitzerten in seinen Augen und sorgten dafür, dass sein Blick unscharf wurde. Er zitterte leicht. Der kühle Nachtwind blies ihm ins Gesicht.
 

Es schwimmt eine Leiche im Teich

Mein Blick fiel aus dem Fenster, ich sah sie sofort

Es schwimmt eine Leiche im Teich

War’s vielleicht nur ein Unfall oder war es ein Mord?


 

Verzweifelt versuchte er, sich zu erinnern. Sich zu erinnern, was passiert war. Doch es wollte ihm nicht einfallen. Die letzte Stunde war wie ein schwarzes Loch in seinem Kopf. Wie konnte das passieren? Wie konnte man vergessen, was man soeben noch getan hatte? Die Ungewissheit fraß an seinem Inneren, kroch wie ätzende Säure durch seine Adern. Sein Blick fiel auf den Teich, der mitten im Garten eingebettet war. Das Gras war ziemlich hoch drum herum gewachsen und trotzdem konnte er den leblosen Körper deutlich darin schwimmen sehen.
 

Sie schwimmt auf dem Bauch und von hier sieht es so aus

Als ob sie döst

Ein friedlicher Anblick, sie wirkt fast ein bisschen erlöst


 

Ein schmaler Körper. Arme und Beine von sich gestreckt. Die Nacht war friedlich. Von weitem hörte er die Grillen im Gras. Es schien fast so, als würde der Mensch in seinem Teich schlafen. Friedlich. Langsam stellte er sich gerade hin und lief hinaus in den Garten.
 

Es schwimmt eine Leiche im Teich

Ich sitz auf dem Rasen, ein Hund läuft vorbei

Es schwimmt eine Leiche im Teich

Wahrscheinlich holt gleich jemand die Polizei


 

Er ließ sich im Gras vor dem Teich nieder. Den Blick konnte er nicht von der Gestalt in seinem Teich abwenden. Er glaubte, je länger er die Gestalt ansah, umso schneller würden seine Erinnerungen zurückkommen. Doch er irrte sich. Sie kamen nicht zurück.

Er spürte etwas Kaltes an seinem Arm. Er warf einen kurzen Blick hinunter und erblickte seinen Hund Elvis, der ihm nach Draußen gefolgt war. Abwesend, und wieder den Blick auf die schwimmende Gestalt gerichtet, streichelte er seinen haarigen Kopf. Er fragte sich im Stillen, warum er nicht bereits von lauten Sirenen und Blaulicht umgeben war. Die Nachbarn bekamen doch sonst auch immer alles mit. Warum jetzt nicht? Was war nur geschehen?
 

Ich würde sie dir so gern zeigen, aber du bist nicht hier

Bist plötzlich verschwunden

Ich hoffe, dir ist nichts passiert


 

Seine Gedanken wanderten zu ihr. Sie, die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Sie, die er so schrecklich vermisste. Vor Tagen war sie gegangen und bisher nicht wieder aufgetaucht. Sie, die ihn wieder zum Lachen gebracht hatte. Sie, die ihm so unglaublich viel bedeutete. Sie, der er seine aufrichtige Liebe gestehen wollte. Oh wie sehr er sie doch vermisste.
 

Es schwimmt eine Leiche im Teich

Ich sitze im Schatten und schaue ihr zu

Es schwimmt eine Leiche im Teich

Sie hat deine Figur und sie trägt deine Schuh


 

Das Mondlicht fiel auf den Baum neben ihm. Dadurch warf der Baum einen riesigen Schatten über ihn. Der Schatten gab ihm das Gefühl von Schutz. Schutz, nicht gesehen zu werden.

Er verengte die Augen zu Schlitzen, um die Gestalt in seinem Teich genauer in Betracht zu nehmen. Eigentlich kam sie ihm doch ziemlich bekannt vor…
 

Ich werde ein klein wenig traurig, warum nur?

Ich weiß es nicht

Ich glaube, ein bisschen erinnert sie mich an dich


 

Der schmale Körper. Die langen, roten Haare. Die zierlichen Arme. Plötzlich überkam ihn ein Schwall der Gefühle, der mit voller Wucht auf ihn einschlug. Er konnte kein einziges Gefühl zuordnen. Warum er traurig wurde, er wusste keine Antwort. Warum die Tränen in seinen Augen plötzlich anfingen, zu brennen, er wusste keine Antwort. Warum er einen stechenden Schmerz in seinem Bauch fühlte, er wusste es nicht. Vollkommen hilflos saß er hier. Er hatte so viele Fragen, doch es war niemand da, der ihm Antworten geben konnte.
 

Es schwimmt eine Leiche im Teich

Ob sie irgendwer sucht, ob sie jemand vermisst?

Es schwimmt eine Leiche im Teich

Ich würd dich gern fragen, ob du weißt, wer sie ist


 

Er seufzte, während er immer noch die Gestalt im Teich musterte. Wie kam die Leiche dort hin? Suchte denn keiner nach ihr? Es war doch nicht möglich, dass eine Leiche in seinem Teich lag und sie nirgends vermisst wurde. Er seufzte erneut, als seine Gedanken wieder zu ihr wanderten. Sie hätte bestimmt eine Antwort gewusst. Sie. Seine Liebe. Sein Alles. Sie hatte immer einen Ausweg gewusst, wenn er keinen gesehen hatte. Jetzt wusste er nicht vor und nicht zurück. Und sie war nicht da. Die Tränen brannten immer noch in seinen Augen und die Traurigkeit lastete inzwischen schwer auf seiner Seele.
 

Ich warte seit Tagen auf dich und ich frage mich wo du bleibst

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass du wenigstens schreibst


 

Wo war sie bloß hingegangen? Und warum kam sie nicht zurück? Warum hatte sie ihn allein gelassen? Im Stich gelassen? Warum? Was machte er nur falsch? Warum verließen ihn die Frauen immer dann, wenn er begann, sich in sie zu verlieben? Er vermisste sie. Er wartete immer noch darauf, dass sie sich meldete. Ein Brief. Eine Notiz. Ein Anruf. Irgendetwas. Sie hatte ihm wirklich etwas bedeutet und nun war sie weg. Und er wusste nicht, wo er sie finden konnte.
 

Es schwimmt eine Leiche im Teich

Ich hab mich gefragt, warum niemand was macht

Es schwimmt keine Leiche im Teich

Denn ich grub ein Loch in die Erde in finsterer Nacht


 

Er wurde von der Angst gepackt. Niemand kam und unternahm etwas. Er musste etwas tun. Er war verzweifelt. Er wusste nicht, wer die Gestalt war und er wusste auch nicht, was geschehen war und welche Rolle er dabei gespielt hatte. Und doch hatte er Angst vor der Wahrheit. Er hatte Angst vor dem was geschehen war. Doch wenn er sich nicht erinnern konnte, sollte es auch kein anderer tun.

Er erhob sich und lief auf den Rand des Grundstückes zu. Dort griff er nach dem Spaten und fing an, ein Loch zu schaufeln. Es musste groß sein. Der Schweiß tropfte ihm von der Stirn und seine Hände wurden rau. Er warf immer wieder Blicke hinter sich, um sicher zu gehen, dass ihn auch niemand beobachtete.
 

Ich trug sie ins Grab, sie war nass und so kalt

Es war trotzdem schön

Es war ziemlich dunkel, ich hab ihr Gesicht nicht gesehn


 

Als das Loch tief genug war, warf er den Spaten zur Seite und ging zum Teich zurück. Er wischte sich mit seiner schmutzigen Hand den Schweiß von der Stirn. Ein schwarzer Streifen Erde blieb an seinem Gesicht kleben. Er spürte es nicht.

Wie traumatisiert starrte er auf die Gestalt im Wasser. Ohne weiter drüber nachzudenken, bückte er sich und hievte die Gestalt aus dem Wasser. Reglos hing sie in seinen Armen, das Wasser tropfte auf ihn hinab. Es dauerte nicht lange bis sein Hemd und seine Hose völlig durchnässt waren. Kopf, Arme und Beine hingen schlaff von seinen Armen hinab. Er blickte stur geradeaus. Er warf keinen einzigen Blick auf die Gestalt in seinen Armen. Er brachte sie zur Grube und legte sie hinein. Mit dem Spaten schüttete er wieder die Erde an ihren Platz zurück.
 

Und ich weiß zwar nicht, wo du jetzt bist

Doch ich hoff, du vergisst mich nicht

Denn bis du zurückkommst, so lang werd ich warten auf dich


 


 

Während er sich wieder auf den Weg zurück ins Haus machte und sein Hund Elvis ihm auf Tritt und Schritt folgte, schwor er sich, dass egal, wie lange er warten musste, er so lange warten würde, bis sie zurückkam. Er würde so lange warten, bis er eine Nachricht von ihr erhielt, bis er sie wieder fand. Und wenn er eine Ewigkeit warten musste. Sie war es wert.



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