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Der Schrein der Zeit

Sawako und die Krieger vom Aokigahara
von

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Beißender Rauch

„Drrrrrrrrrrrr, drrrrrrrrrr“

Murrend erwachte Sawako aus der gefühlt viel zu kurzen Nacht. Nun, so kurz war sie gar nicht gewesen, aber dieses Gefühl, als wäre sie vor höchstens fünf Minuten eingeschlafen, hatte sie jedes Mal, wenn der Wecker sie aus dem Schlaf riss.

„Drrrrrrrrrrrr, drrrrrrrrrr“

Blind tastete sie nach ihrem Telefon, um den Weckmodus auszustellen. Dabei hätte sie beinahe das Glas Wasser umgerissen, das sie immer neben dem Bett stehen hatte. Die Gefahr, ihrem IPhone versehentlich eine Morgendusche zu verpassen, veranlasste Sawako doch noch dazu, zumindest ein Auge zu öffnen und in die Dunkelheit hinein zu blinzeln.

„Drrrrrrrrrrrr, drrrrrrrrrr“

Mit den visuellen Eindrücken kam langsam das Bewusstsein langsam. Die junge Frau richtete sich auf, schnappte sich ihr Telefon und brachte es zum Verstummen, gerade rechtzeitig, bevor das unangenehme Geräusch erneut ertönen konnte. Wie gerne hätte sie eines ihrer Lieblingslieder als Weckton, das wäre eine deutlich freundlichere Art, aus dem Schlaf gezaubert zu werden, jedoch hatte sie die unpraktische Angewohnheit, sich dann einfach umzudrehen und sich in die Schlafphase Teil 2 singen zu lassen. Nur dieser eklig penetrante Klingelton hinderte sie erfolgreich daran, jeden zweiten Tag zu spät zur Arbeit zu kommen, was ihrem Chef gar nicht gefallen hätte.

Arbeit?

„Verdammt!“, fluchte Sawako, als sie auf das Datum auf dem Display schaute, während dessen Licht in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers ihre schlaftrunkenen Augen blendete. Heute war ihr freier Tag, der erste seit Ewigkeiten, und sie hatte natürlich vergessen, den Wecker auszustellen. Na toll, da konnte das IPhone schon fast das ganze Leben organisieren, aber war nicht so gütig zu erkennen, dass heute ihr Urlaubstag war und es daher so rein gar keine Notwendigkeit gab, sie so früh aus dem Schlaf zu reißen.

Frustriert warf sich Sawako zurück auf ihr weiches Kopfkissen und seufzte. Sie hatte sich so auf das Ausschlafen gefreut. Pustekuchen. Sie überlegte kurz hin und her, ob sie sich einfach umdrehen und weiterschlafen oder ganz dynamisch unter die Dusche schwingen sollte, um den Tag voll ausnutzen zu können. Ihr Kopfkissen schien sie bei der Entscheidung bestechen zu wollen, wie es sich so weich und warm an sie schmiegte. Jedoch gewann die Dusche, also schlurfte sie in Richtung Badezimmer.

 

In Gedanken plante sie Ihren Tag, während sie mit doch eher wenig Elan über die Fliesen tappte, die viel zu kalt an den Füßen waren, um sich länger außerhalb des flauschigen Badezimmerteppichs aufzuhalten. Dabei gab es eigentlich gar nicht mehr so viel zu planen. Schuld daran war ihre Mutter und deren über alles geliebte Kreuzworträtsel. Sawakos Mutter kam an keinem Kreuzworträtsel vorbei, ohne dass es ihr in den Fingern kribbelte, sie sich einen Stift schnappte und ganz euphorisch drauf los rätselte. Und wie es sich für einen wahren Rätselfreund gehört, schickte sie jedes Mal das Ergebnis zum Verlag, in der Hoffnung, einen Wasserkocher, ein Abo für eine Kochzeitschrift oder ein Nähkästchen zu gewinnen. Wer so fleißig mitspielte, musste natürlich früher oder später einmal gewinnen und so war es auch. Ein spektakulärer Preis, dachte Sawako, und konnte sich ein ironisches Grinsen nicht verkneifen.

„Herzlichen Glückwunsch, nach 1000 Rätseln und 10000 Stunden des Grübelns gewinnen Sie: tadaaaaa, Tagesausflug zu einem alten Tempelgelände im Aokigahara“, grummelte Sawako ihrem müde drein blickenden Spiegelbild entgegen. Das haute sie ungefähr so sehr vom Hocker, wie es das Nähkästchen getan hätte. Sie hätte auch gar nichts damit zu tun bekommen, wenn ihre Eltern nicht so weit nördlich gewohnt hätten und damit die Anreise zum Aokigahara ein Jahrzehnt gedauert hätte. Denn das brachte ihre Mutter doch auf die geniale Idee, dass ein bisschen frische Luft Sawako ausgesprochen gut tun würde. Zack – schon hatte Sawako den Gutschein im Briefkasten. Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen, ganz anders als die ihrer Mutter, die ganz entzückt war über den Gewinn und welche Freude sie ihrer Tochter damit bereitet hatte, wie sie glaubte.

„Wie toll ist das denn? Da hab ich endlich gewonnen, ist das schön. Ich wusste, dass ich was gewinne, wenn ich nur kein Rätsel ausfallen lasse. Ich wusste es einfach. Stell dir vor, wie idyllisch das wird, hach, ich bin so neidisch, dass ich nicht diese Tour machen kann. Aber dieser Fahrtweg, oje. Der Aokigahara Wald ist einfach zu weit weg und dein Vater bekommt leider nicht frei. Du weißt ja, wie das mit seiner Firma ist, immer das Gleiche. Wie schön, ein Tempelausflug, das hast du als Kind doch immer so geliebt. Oh, oh, du musst unbedingt ein Foto machen. Du, vor diesem hübschen Tempel, das zauberhafte Grün der Wälder herum und der Berg Fuji hinter dir. Das kommt ins Familienalbum.“

Angesichts dieser Begeisterung, die ihre Mutter am Telefon zu hören ließ, brachte Sawako es nicht übers Herz, den Gutschein einfach verfallen zu lassen. Sie schuldete ihrer Mutter dieses Foto. „Für unser Familienalbum“, wiederholte sie mit der Zahnbürste im Mund. Schade nur, dass sie ihren freien Tag nun irgendwo in der Pampa verbringen müsste. Eine Shoppingtour wäre ihr doch deutlich lieber gewesen. Oder ein entspannter Couchtag. Nein, das war ihr dieses Mal nicht vergönnt, also machte sie sich seelisch und moralisch auf einen unangenehm langen, langweiligen und frischluftigen Tag bereit. Wer weiß, vielleicht dauerte es auch nicht so lange und sie könnte am Abend noch mit ihren Freunden in ihre Lieblingscocktailbar. Dieser Gedanke erhellte ihr die Stimmung.

  

Grün, grün, grün. Das „Meer aus Bäumen“ war wirklich eine treffende Bezeichnung für diesen Wald, dachte sich Sawako. Sie war froh, dass sie bei dieser ganzen Wildnis überhaupt den Weg zum Tempel gefunden hatte. Google sei Dank. Was haben die Leute nur früher ohne Smartphones, Navis und dem ganzen schönen Schnickschnack gemacht? Sie hatte nun das Ziel der eineinhalbstündigen Autofahrt erreicht, dennoch kam sie sich hier sehr verlassen vor. Hier war kaum jemand zu entdecken. Kein weiteres Auto, ja nicht mal etwas, das an einen Parkplatz erinnerte. Auch der Weg hierher wirkte sehr verlassen. Alles, was sie gesehen hatte, abgesehen natürlich von tausenden Bäumen, war ein kleines Haus am Wasser, ein nicht sehr vertrauenswürdig aussehender Bootssteg und ein noch weniger freundliches Ruderboot, vor der Kulisse des weiten Saiko Sees, ausgestreckt im Meer aus Bäumen und im Hintergrund Berg Fuji. Also ihre Mutter hätte das eindeutig als idyllisch bezeichnet. Nachdem sie ihr Auto am Straßenrand, oder nein, Wegrand traf es eher, abgestellt hatte, ließ sie ihren blick über das Gelände schweifen. Es kam ihr wirklich einsam vor, zu einsam. Aber immerhin war Sawako eine halbe Stunde zu früh, weil sie nicht gewusst hatte, wie gut sie mit ihrem Auto durch den Wald kam. Es hatte immerhin schon den ganzen Tag geregnet und der Waldboden war sehr aufgeweicht. Auch ein Blick in die Wolken hob ihre Stimmung nicht. Eine noch dunklere Front schien sich in diese Richtung zu bewegen. Zum Glück regnete es nicht, noch nicht. Sie fühlte sich gerade sehr verloren ohne den Lärm der Stadt und deren Trubel und Menschenmassen. Für einen Moment hielt sie die Luft an, um die Geräusche um sie herum besser aufnehmen zu können. Das Rauschen der Bäume, der vielen, vielen Bäume, erschien ihr unglaublich laut, durch den ungewohnten Mangel an Hintergrundlärm. In der Stadt nahm sie das Rascheln der Blätter nie wahr, wenn sie an einem der Parks vorbei schlenderte.

 

Plötzlich klingelte ihr Telefon, und das hier so wenig herein passende Geräusch riss sie aus ihren Gedanken und ließ sie zusammenzucken. Nach dem Schreck musste sie kurz schmunzeln. Typisch Stadtkind, dachte sie, selbst in der Wildnis kam sie keine zwei Minuten ohne Technik aus.

„Schatz, bist du schon da? Ich bin ja so aufgeregt.“ Trällerte ihre Mutter. „Hm, schon da? Also ich bin hier irgendwo im Nirgendwo, aber mein Navi sagt, hier geht es zum Tempel. Ich hoffe, wir gehen bei der Führung rein, sonst werde ich von einem Wolkenbruch weggespült, fürchte ich“, scherzte Sawako.

„Ach was. Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung“, antworte ihre Mutter bestimmt. Sawako hasste diesen Spruch, wo doch die „richtige“ Kleidung immer aussah wie eine Modesünde und sie sich daher doch lieber mit der „falschen“ abgab.

„Wofür gibt es Regenschirme? Aber der Wind macht die Dinger gerade ziemlich nutzlos. Ich bin nicht sicher, ob das Ganze heute überhaupt stattfindet. Das Wetter ist wirklich ziemlich mies. Nicht, dass die Straße zu schlammig wird und ich nicht zurückfahren kann und hier festsitze und als Priesterin rekrutiert werde.“ Sie musste bei dem Gedanken schmunzeln, hatte sie als Kind doch immer davon geträumt, eine Miko zu werden. Wer weiß, wenn es in Strömen zu regnen begann, sie bis auf die Knochen nass wurde, bekäme sie vielleicht von den Priestern und Priesterinnen traditionelle Kleidung als Wechselsachen. Das würde ein interessantes Bild abgeben, für das gute alte Familienalbum.

„Ich bin auch gar nicht sicher, ob ich hier überhaupt richtig bin. Hier ist absolut nichts los. Keine Menschen, kein irgendwas. Ich hätte einen Touristenspot mit Café und Souvenirshop erwartet. Was war das nur für eine Zeitung, die einen an so ein abgelegenes Plätzchen schickt?“

„Das willst du gar nicht wissen, Schatz. Und nun sei mal nicht so negativ. Merkst du schon, wie die frische Luft deinen Kopf frei werden lässt? Du hast so viel gearbeitet in letzter Zeit und bist viel zu viel im Büro. Da brauchst du mal so einen Tag Auszeit. Punkt.“

„Gut, gut, ich atme frische Luft“, erwiderte Sawako und atmete demonstrativ laut, damit ihre Mutter es durch das Telefon hören konnte.

„So ist es richtig. Ich wünsche dir ganz viel Spaß, vergiss das Foto nicht und falls du im Regen wegschwimmst, halte dich an irgendeinem Balken fest“, sagte sie lachend zum Abschied und legte nach den üblichen Machs-gut-Floskeln auf.

 

Schmunzelnd schaute sie auf die Uhr. Viertel vor, noch immer niemand in Sicht und das schlimmste war, dass es jetzt tatsächlich anfing, zu regnen wie aus Eimern. Die Führung sollte bald losgehen. Doch da stand sie nun, Sawako, 22 Jahre alt, langweiliger Bürojob, Single, alleine und verlassen im Wald, mit einem Regenschirm, der mehr Deko war als alles andere und den Wind nicht davon abhielt, ihr immer wieder Regentropfen ins Gesicht zu schleudern. Sie wünschte, eine ihrer Freundinnen hätte mitkommen können. Zwar hätte sie der Ausflug an sich genauso gelangweilt wie Sawako, aber zu zweit kann man sich jede noch so fade Veranstaltung unterhaltsam machen. Leider hatte niemand frei bekommen, oder aufgrund des spannenden Ausflugsziels es gar nicht erst versucht. Sie konnte es ihnen nicht verdenken, es wäre ihr ähnlich ergangen.

 

Wieder schaute sie auf ihre Uhr. Zehn Minuten vor geplantem Beginn. Vielleicht fällt ja alles sprichwörtlich ins Wasser? Aber dann hatte sie keine Lust, hier noch eine halbe Stunde im Regen zu stehen und dann unverrichteter Dinge abzuziehen. Also machte sie sich auf den Weg und stiefelte den Weg Richtung Tempel. Der Regen peitschte ihr dabei immer wieder unangenehm ins Gesicht. Was für ein scheußliches Wetter. Wie typisch für sie, dass es gerade jetzt so schlecht wurde. Die Woche bisher war es immer deutlich heiterer gewesen und auch der Wetterbericht hatte ihr mehr versprochen. Naja, auf dem Gutschein war „eine Führung durch das Tempelgelände“ versprochen und jetzt hoffte sie nur noch auf Überdachung. Wenn die Führung aufgrund des schlechten Wetters verkürzt wurde, wäre sie früher in ihrer Bar und würde mit ihren Freundinnen lachen. Daher bahnte sie sich optimistisch ihren Weg. Schnell erreichte sie die Torbögen, die zum Hauptgebäude führten. Trotz des Wetters, das die ganze Anlage in triste Farben hüllte, wirkte alles ziemlich beeindruckend, was Sawako überraschte. Sie blieb einen Moment stehen und betrachtete die schweren, rot bemalten Säulen. Die Farbe strahlte, selbst bei diesem Wetter. Der Tempel musste gut gepflegt sein. Wie alt mochte er wohl sein? Sie beschloss, bei der Führung doch besser als geplant aufzupassen. Fasziniert klemmte sie den Regenschirm zwischen Schulter und Kinn, um mit beiden Händen über das nasse Holz streichen zu können. Ein angenehm warmes Gefühl überkam sie. Dieser Ort hatte etwas Magisches, kam ihr in den Sinn. Sie ging, nun schneller als zuvor, durch die Torbögen, um den eigentlichen Tempel zu erreichen. Ihr Herz raste. Es musste an der kalten Luft, oder ihren schnellen Schritten liegen, vermutete sie. Schnell erreichte sie das Ende und sah die ganze Pracht des Tempels vor sich. Sie hielt für einen Moment die Luft an. Es war atemberaubend. Majestätisch und magisch, wie der Tempel mit seinen roten Wänden, seinen vielen filigranen Details und seinem dunklen Dach dort zwischen den alten, mächtigen Bäumen ruhte. Sie hörte das hypnotisierende Geräusch des Regens, der auf das Dach der Anlage plätscherte. Die Gärten waren kaum gepflegt, ließen aber erahnen, wie die Tempel früher gewirkt haben musste. Und dann fiel es ihr wieder ein. Ihre Mutter hatte es am Telefon schon angedeutet. Als Kind hatte sie solche Tempel immer geliebt. Sie hatten früher, als Sawako noch sehr klein war, eine ähnliche Anlage besichtigt und sie war hin und weg gewesen. Ihr Vater zog sie noch heute gern damit auf, wie schwer sie damals wieder ins Auto zu bekommen war. Sawako hatte sich so gut wie gar nicht daran erinnern können, aber jetzt schossen ihr die Bilder in den Kopf wie bei einer Dia-Show. Sie, wie sie durch die Säulen rannte, gänzlich sorglos und unbeschwert und überglücklich. Sie, wie sie davon schwärmte, eine Miko zu werden und so viel Zeit wie möglich in einem Tempel zu verbringen. Sawako musste lachen. Tatsächlich wäre sie hier heute eher fehl am Platz. Doch leugnen konnte sie nicht, dass ihr Herz fast so sehr raste, wie vor vielen Jahren, als sie mit ihren Eltern einen solchen Tempel besucht hatte.
 

„Hey, junge Frau!“

Der Ruf riss sie jäh aus dem Gedanken. Eine kleine Gruppe stand unter einem Dachvorsprung, vor dem Regen geschützt. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie den Regenschirm hatte sinken lassen und nun ziemlich durchweicht war. Sie fluchte leise, dass sie mit ihren Gedanken so abgedriftet war. So etwas kannte sie gar nicht von sich. Schnell hob sie den Schirm über ihr nun nasses Haar und rannte zu den anderen hinüber. Es waren ein bisschen mehr als ein Dutzend, hauptsächlich ältere Besucher. Sie senkte den Altersdurchschnitt gewaltig. Sawako grüßte höflich, spannte den Schirm ein und stellte sich mit unter. Schnell kam ein Mann, vielleicht Mitte Dreißig, auf sie zu. Er war der Veranstalter dieser Führung, ließ sich ihren Gutschein vorzeigen und verkündete, dass es in fünf Minuten losgehen würde. Zwar fehlten wohl noch ein paar Teilnehmer, er schien darüber aber nicht verwundert, was sie vermuten ließ, dass die Resonanz auf dieses Event zu wünschen übrig ließ. Jetzt, wo sie hier völlig durchnässt zwischen Rentnern stand, war die Magie verflogen, der sie vor wenigen Augenblicken noch verfallen war. Nun war ihr einfach nur kalt und ungemütlich. Aber wie schade, dachte sie, dass der Zauber des Augenblicks immer auf einen so kurzen Moment beschränkt sein musste. Die strich demonstrativ das Wasser aus ihren langen schwarzen Haaren.

„So, es geht los“, erklärte der Mann, der die Führung übernahm. Er sah nicht aus wie ein Priester, eher wie ein Versicherungsvertreter. Es hätte sie kaum gewundert, wenn er allen einen Unfallversicherung verkaufen wollte, um sie bei Unglücken auf durchweichtem Waldweg zu schützen. Der Tempel wurde wohl kaum noch aktiv betreut, dachte Sawako ein wenig wehmütig. Sie folgte der Gruppe um den Tempel herum. So viel zum Thema Überdachung. Es wirkte tatsächlich sehr merkwürdig, wie eine Horde Regenschirme vor diesem altehrwürdigen Gebäude umherschlichen. Der Kontrast schien sich regelrecht zu beißen. Die Anlage war unberührt von allen modernen Extras. Nicht mal elektrische Beleuchtung gab es hier, erzählte der Guide, was Sawako sehr überraschte. Wieso war ihr das nicht aufgefallen? Es wirkte alles so … selbstverständlich hier. Ein merkwürdigen Gefühl.

Sawako lauschte interessiert den Erzählungen. Der Tempel war über 600 Jahre alt und ist in der Vergangenheit mehrmals stark beschädigt worden. Da er aber das einzige Gebäude seiner Art in dieser Provinz war, wurde immer wieder Geld und Energie in die Wiederherstellung gesteckt. Es wäre auch eine Schande gewesen, den Tempel zerfallen zu lassen, dachte Sawako. Besonders in der Sengoku Zeit, als Tumulte und Unruhen das Land durchzogen, nahm der Tempel häufig Schäden. Einmal wurde er fast niedergebrannt. Ein Bild, dass sie sich nur schwer vorstellen konnte. Das ganze Gelände in Flammen, oder der Tempel als verkohlte Ruine, um seinen Glanz beraubt. Wieder strich sie mit den Fingerspitzen über die rote Farbe. Die neueste Renovierung war noch keine fünf Jahre her, daher erstrahlte alles so prächtig.

„Der Schrein da vorne ist das Herzstück des Tempels. Da die meisten Schriften im späten 18. Jahrhundert geraubt wurden, wissen wir wenig darüber. Hier wurde irgendein Heiligtum aufbewahrt, die Forscher konnten bisher aber nicht herausfinden, um es es sich handelte. Es musste vor langer Zeit verschwunden sein.“

Sie legte den Kopf schräg, als sie den kleinen Schrein im Zentrum betrachtete. Er war keine zwei Meter hoch und genau wie der Tempel selbst reich verziert. Wieder überkam sie ein so merkwürdiges Gefühl, dass sie nicht in Worte fassen konnte. Sie versank tief in den Gedanken. Selbst den Vortrag über die Geschichte des Tempels hörte sie nicht mehr.

Plötzlich stieg ihr ein komischer Geruch in die Nase. Sie sah sich um, konnte die Quelle aber nicht ausmachen. Ihr war, als würde es nach Rauch riechen. Machte hier jemand ein Feuer? Das konnte bei der Wetterlage kaum der Fall sein. Doch sie war sich sicher, es roch nach verbrennendem nassen Holz.

„Machen Sie ein Feuer für uns, um uns aufzuwärmen?“, fragte sie begeistert. Sie war überrascht, dass sie dafür so verdutze Blicke erntete.

„Natürlich nicht. Das ist ein altes, geschütztes Gebäude. Feuer aller Art sind hier verboten. Zum Schutze der Geschichte“, erwiderte der Tour-Führer empört. Konnte er es denn nicht riechen? Ihr schien es unmöglich, es nicht zu bemerken. Der Geruch wurde immer stärker, immer beißender. Es war gar nicht mehr wie ein einfaches Feuerchen. Eher wie die gefährliche Art von Brand. Nun bemerkte sie auch den Rauch. Schwarz und Unheil verkündend schien er wie aus dem Nichts die gesamte Anlage zu umhüllen. Es wäre untertrieben, wenn sie sagen würde, sie wäre nervös. Doch die anderen taten, als wäre nichts. Wie konnten sie etwas so Offensichtliches nicht bemerken?

„Hier brennt es doch. Wo ist ein Feuerlöscher?“ Sie sah sich um, um die Quelle auszumachen. Doch der Rauch schien sich überall gleich schnell zu verdichten, sodass nicht zu erkennen war, wo das Feuer lodern müsste.

„Sagen Sie, haben Sie getrunken?“, fragte ein älterer Herr perplex. Was ging hier vor. Unruhig lief sie schnellen Schrittes umher und sah sich weiter um.

„Sehen Sie es denn nicht? Riechen Sie es etwa nicht?“ Sie konnte es kaum fassen, niemand außer ihr schien irgendetwas Merkwürdiges zu bemerkten. Drehte sie nun durch? Ein bisschen frische Luft und schon verlor sie den Verstand? Keine gute Bilanz. Sie kniff die Augen zusammen. Der Rauch wurde immer dichter und brannte so sehr, dass sie die Tränen nicht unterdrücken konnte. Sie begann zu husten, das Atmen fiel ihr schwerer und schwerer. Besorgt kamen die anderen Besucher auf sie zu, klopften auf ihren Rücken und sprachen beruhigende Worte, die sie nicht verstand. Es wurde immer schlimmer. Nun glaubte sie sogar, die Hitze von Flammen zu spüren. Ihre Augen konnte sie kaum mehr offen halten. Schützend riss sie die Arme vor ihr Gesicht, wollte fliehen, wollte wegrennen, riss sich von den anderen los. Dann stolperte sie und fiel. Blind schlug sie auf dem Boden auf. Und der Lärm, der nun um sie tobte, dröhnte in ihren Ohren.
 

War es nicht eben noch ruhig gewesen, abgesehen von den beruhigenden Worten der anderen? Nun hörte sie hektisches Trampeln, das Zischen von Flammen, die gegen den Regen kämpften und das Schreien von vielen Stimmen. Nun hatten sie wenigstens erkannt, dass es wirklich brennt, dachte Sawako bitter. Ihr Husten wollte sich nicht beruhigen. Doch das Chaos um sie herum zwang sie, blinzelnd zu versuchen, die Augen zu öffnen. Und was sie sah, traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Die ganze Anlage stand lichterloh in Flammen. Das Feuer züngelte meterhoch. Sie spürte die Hitze auf ihrer Haut, trotz des kühlen Regens. Wieder erklangen Schreie. Hilfeschreie. Waren Menschen im Tempel gefangen? Grauen packte Sawako. Sie versuchte, ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen. Es fiel ihr unglaublich schwer. Alleine, die Augen geöffnet zu halten verlangte ihr alle Konzentration ab. Sie bahnte ihren Weg. Die anderen waren weg, sie musste sie suchen, also folgte sie den Stimmen.
 

Dann sah Sawako sie. Etwa zwei Dutzend Männer mit Fackeln und Schwertern in den Händen. Sie trugen schwere Rüstungen. Eine Sekunde erinnerte sie das Bild an einen historischen Film. Dann spürte sie einen berstenden Schmerz am Hinterkopf und verlor das Bewusstsein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2013-12-02T22:09:36+00:00 02.12.2013 23:09
Guten Abend :)

Ich habe mir ein wenig Zeit genommen und habe deinen Prolog durchgelesen.
Ich muss sagen, am Anfang habe ich gedacht, dass es mich an InuYasha erinnern wird.
(Ich mochte InuYasha gern, weswegen ich angefangen habe deine FF zu lesen.)
Überrascht gebe ich zu, dass es mich bisher kein Bisschen an InuYasha erinnert.
Dennoch finde ich deinen Prolog sehr gut und vielversprechend.
Es waren ein paar Rechtschreib- und Grammatikfehler zu finden.
(Man kann schon "ein Paar" schreiben.)
Sie haben den Lesefluss aber nicht gestört. Ich bin gut und flott durch deinen Prolog gekommen.
Einfache und klangvolle Sätze haben dabei sehr geholfen. Ich konnte den Tempel die ganze Zeit vor meinem inneren Auge sehen.
Der Umschwung von der Wartezeit zur Tour und von der Tour zum Feuer ging mir ein klein wenig zu schnell.
Dennoch ist es ein echt gelungener Prolog.
Ich werde also auch zu den nächsten Kapiteln meinen Senf abgeben. :D

In der Hoffnung, dass es so gut bleibt...
Frühlingsliebe ❤
Von: abgemeldet
2012-11-18T21:30:45+00:00 18.11.2012 22:30
interessanter Einstieg. Ich bin gespannt, in welche Richtung sich die Geschichte entwickelt
Von:  Thuja
2012-10-12T16:04:15+00:00 12.10.2012 18:04
Ich bin gerade eigentlich zu geschockt um ein Kommi zu schreiben
Wow
Ist das ein grandioser Anfang.
Dein Stil ist wahnsinnig toll, abwechslungsreich, anschaulich, lebendig. Wie bei einem Profi
Allein wie du die Tempelanlage beschrieben hast. Das hat richtig Bilder vor meinen Augen erzeugt.
Ebenso eindrucksvoll war die Szene, als sie den Rauch wahrnimmt. Ihre Gedanken und Handlungen sind so authentisch
Das ist klasse
Diese Story steigt wirklich gleich mit einem tollen Kapitel ein,
Und sie hat gedacht, es würde ein langweiliger Ausflug werden O_o
Pustekuchen

Von:  RaMonstra
2012-08-29T15:22:10+00:00 29.08.2012 17:22
Ich hab zwar erst das erste Kapitel gelesen, aber bisher gefällt es mir ganz gut.
Sawako ist mir dennoch momentan etwas unsympathisch, weil sie mir persönlich zu oft erwähnt, dass sie ohne Technik nicht auskommen kann.

Dann hab ich noch was zu bemängeln, da es zumindest meinen Lesefluss beeinflusst. Undzwar solltest du bei der Wörtlichen Rede immer eine neue Zeile anfangen, wenn die Person wechselt.

"texttexttext", Person 1
"texttexttext", Person 2

An manchen Stellen hast du das eingehalten, aber bist immer wieder auf diese Schiene gerutscht ["texttexttext", Person 1 "texttexttext", Person 2], was es mir etwas schwer gemacht hat nachzuvollziehen, wer denn gerade redet.
Ebenso ist bei manchen Wörtlichen Reden der Übergang vom Gesprochenen zum Beschriebenen ohne klare Formatierung.

"texttexttext." Sagte Person 1.

Wenn das Gesprochene einen Punkt zur Folge hat empfiehlt es sich eher so:
"texttexttext", sagte Person 1.

Anders wäre es bei Frage- und Ausrufesätze:
"texttexttext?", sagte Person 1.
"texttexttext!", sagte Person 1.

Da scheint bei dir noch nicht so die klare Struktur drin zu sein.

Ansonsten hast du einen sehr lockeren Stil, der mir gut gefällt und ich les mir die weiteren Kapitel noch durch.

Gruß
Von:  AshtrayHeart
2012-08-28T21:46:54+00:00 28.08.2012 23:46
So meine Liebe, du bekommst jetzt zu deiner neuen Geschichte den typischen Vany-Kommi, ganz wie in alten Zeiten :D

» […]aber dieses Gefühl, als wäre sie vor höchstens fünf Minuten eingeschlafen, hatte sie jedes Mal, wenn der Wecker sie aus dem Schlaf riss. «
Dieses Gefühl kommt mir irgendwie sehr bekannt vor D:

» „Drrrrrrrrrrrr, drrrrrrrrrr“ «
Irgendwie kommt beim Lesen und der bloßen Vorstellung schon Hass in mir auf XD

» Wie gerne hätte sie eines ihrer Lieblingslieder als Weckton genommen, […]Nur dieser eklig penetrante Klingelton hinderte sie erfolgreich daran, jeden zweiten Tag zu spät zur Arbeit zu kommen. «
Also ich lass mich von beidem wecken, doppelt hält besser :D Und die Lautstärke vom Handy ist so laut, dass ich dabei nicht wieder einschlafen kann und da es auf dem Tisch liegt, bin ich gezwungen aufzustehen, um es auszuschalten XD

» Heute war ihr freier Tag, der erste seit Ewigkeiten, und sie hatte natürlich vergessen, den Wecker auszustellen. «
Also ich könnte sofort wieder einschlafen, nachdem ich das bemerkt hätte ^^

» Und wie es sich für einen wahren Rätselfreund gehört, schickte sie jedes Mal das Ergebnis zum Verlag, in der Hoffnung, einen Wasserkocher, ein Abo für eine Kochzeitschrift oder ein Nähkästchen zu gewinnen. «
Ich frage mich dabei grad unwillkürlich, ob sie auch wie diese Verrückten dann ihre Umschläge verziert und so, um aufzufallen und somit die Chancen auf einen Gewinn zu steigern ^^

» Eine Shoppingtour wäre ihr doch lieber gewesen als eine Bootstour. Oder ein entspannter Couchtag. «
Ich hätte mich eindeutig für die Couch entschieden :D

» Was haben die Leute nur früher ohne Smartphones gemacht? «
Ach herrje, so eine Smartphone-Abhängige, die würde tatsächlich nicht eine Stunde ohne überleben, schon gar nicht in der ‚Wildnis’.

» […]und ein noch weniger freundliches Ruderboot, vor der Kulisse des weiten Sees, ausgesteckt im Meer aus Bäumen und im Hintergrund war der Fuji zu sehen. Also ihre Mutter hätte das eindeutig als idyllisch bezeichnet. Nun, das „richtige“ Boot war bestimmt noch auf dem Wasser mit der vorherigen Tour unterwegs. «
Also ich kann mir vorstellen, dass ihre Mutter das mit dem Ruderboot noch viel idyllischer und romantischer findet als eine Touristenfähre :D

» Typisch Stadtkind, dachte sie, selbst in der Wildnis kam sie keine zwei Minuten ohne Technik aus. «
Das bestätigt meine Aussage von vorhin :D

» Da stand sie nun, Sawako, 22 Jahre alt, langweiliger Bürojob, Single, alleine und verlassen im Wald, mit einem Regenschirm, der mehr Deko war als alles andere und den Wind nicht davon abhielt, ihr immer wieder Regentropfen ins Gesicht zu schleudern. «
Das gäbe echt ein tolles Bildmotiv ab, wäre ich nicht so unsagbar langsam, würde ich deiner FF jetzt schon glatt ein Fanart widmen ^^

» […]Der Verläger ist ein Freund von mir und weiß, mit welchem Elan die Leute hierher fahren. Bezahlen muss er nur, wenn die Gewinner tatsächlich auftauchen. Ist doch clever, was? «
Was für eine dreiste, aber in der Tat clevere Geschäftsidee!

» Einmal kurz raus, ein Foto für’s Familienalbum und dann kann es auch schon wieder zurück gehen. «
Okay, mit dem Seebären an der Seite, wird das Foto wohl nicht mehr so schön, aber er muss ja wahrscheinlich auch selbst das Foto schießen. Ich frag mich grad nur, ob der Gutschein auf 2 Personen begrenzt ist, da ich bezweifle, dass mehr als 3 Leute in das Ruderboot passen…

» Es schaukelte so sehr, dass sie ihre Kamera fast ins Wasser hätte fallen lassen. Familienalbum hin oder her, das gute Stück wollte sie hier nicht riskieren. «
Ich hätte wohl ein Foto vom stürmischen See gemacht und Mutti dann gesagt, dass es unmöglich war, ein hübsches Bild für das Familienalbum zu schießen.

» Hätte sie bloß die Rettungsweste mitgenommen, die er ihr an Land noch angeboten hatte. «
Ich kriege langsam den Eindruck, dass sie ein wenig arrogant und oberflächlich ist, da sie so auf ihr Äußeres bedacht ist, immerhin kleidet sie sich ja auch nicht der Situation entsprechend. Macht sie aber dennoch nicht gleich unsympathisch.

» Eine weitere Welle traf das kleine Boot, das nun gefährlich wankte. Und noch eine folgte. Und eine Weitere. «
Die kurzen Sätze gefallen mir hier sehr gut, das trägt zur Dramatik und Hektik in dieser Szene bei und unterstreicht diese gut ^^
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So und nun noch ein paar allgemeine Worte.
Ich finde deinen Schreibstil einfach angenehm, so locker und ungezwungen. Hier und da vielleicht ein paar saloppe, umgangssprachliche Redewendungen, aber das gefällt mir persönlich gut, während es für Andere evt. ein No-Go ist.
Die Protagonistin ist mir bisher auch sehr sympathisch, trotz der oben erwähnten Arroganz, allein schon wegen der Morgenmuffeligkeit, die sie mit mir gemeinsam hat. Außerdem mag ich ihren trockenen Humor und ihren Sarkasmus sowie die unpassende Situationskomik, dadurch bekommt deine Geschichte noch den nötigen Pepp ;)
Da hast du dir die Messlatte selbst schon sehr hoch gelegt, hoffe du kannst dadurch meine Erwartungen auch weiterhin erfüllen, aber ich glaub an meine Lisi :D

Liebe Grüße, Vany


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