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BlueberryCastle

Weil ihr anders seit
von

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Prolog

Das Krachen und Klirren des Fensters klang tief in die Stille des verbotenen Waldes hinein.

Nun konnte man die aufgebrachten Stimmen der Mädchen deutlich hören, die oben im ersten Stock standen und in den Garten hinunter wütende Blicke warfen. Der sauber auf wenige Millimeter getrimmte Rasen hatte einiges abbekommen als der schwere Körper auf ihm gelandet war. Das würde der Hausdame des Waisenhauses gar nicht gefallen. Ihr schöner Rasen!

Es war nicht wirklich ein Waisenhaus. Die Menschen benutzten diese Bezeichnung lediglich um sich selbst etwas vorzumachen und eventuellen neuen Einwohnern oder Besuchern der Stadt einen guten, also falschen, Eindruck von dieser zu geben.

Das Haus, indem etwa 50 Mädchen im Teenageralter lebten, war nichts anderes als eine Besserungsanstalt. Oder wie sie auch gern von den, in ihr beherbergten, Mädchen genannt wurde- die Höhle des Drachen. Besagten Drachen stellte die Hausdame dar. In der Hölle musste es angenehmer sein!
 

Alice war seit einem Jahr eines von diesen Mädchen gewesen. Doch anstatt nun mit ihren Mitbewohnerinnen zu Abend zu essen, lag sie hier unten auf dem kalten, nassen Boden. Sie rappelte sich vorsichtig auf. Eigentlich war sie der festen Überzeugung gewesen, dass ein menschlicher Körper, der aus dem zweiten Stock, zehn Meter in die tiefe stürzte sich vor Schmerzen nicht rühren können müsste. Doch sie spürte, dass sie höchstens blaue Flecken bekommen würde. Sie seufzte, denn genau das war der Grund, warum sie in ihrem ‚zu Hause’ gehasst wurde.

Das wütende Gebell der Mädchen wurde lauter. Alice war sich sicher, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, bis die ersten hier unten auftauchten um so brutal auf sie einzudreschen, dass selbst IHRE Knochen brechen würden.

Was sollte sie tun? Sie kam nicht an gegen eine Meute von zwei Dutzend Gegnern. Links und rechts gab es nichts außer die hohe Mauer, die ihre Hausdame hatte errichten lassen. Hinter ihr war nur der Wald.

Der Wald… Es hatte einen Grund, warum ausgerechnet vor einem Wald keine Betonmauer stand: Würde eines der Mädchen so verrückt sein sich in Besagten zu begeben, wäre sie in wenigen Stunden tot zurück in der Stadt. An einen Baum genagelt und mit weit aufgerissenen Augen. Da die Hausdame ihre Schützlinge nicht besonders leiden konnte, ließ sie ihnen die Wahl den Freitod auf grausame Art und Weise zu wählen. Es juckte sowieso keinen. Alice zögerte. Hier sterben oder dort? Dort hatte sie wahrscheinlich sogar eine größere Überlebenschance…
 

Die Hintertür wurde aufgerissen und gab Alice den entscheidenden Tritt in den Arsch. Sie rannte ins dichte Unterholz um ihr Leben. Als sie ein einziges Mal zurückblickte, stand ihre ‚Familie’ samt der Hausdame starr vor Schreck am Waldrand und wagte keinen Schritt.

Alice lächelte. Nun würde sie wenigstens in Freiheit sterben.

Kapitel 1

Alice wusste nicht wie lange sie schon durch diesen Wald rannte. Es war egal wohin. Hauptsache sie kam so weit wie möglich weg von der Stadt. Ihre Gedanken drehten sich momentan nur noch ums Laufen. Sie hatte zu einem gleichmäßigen Rhythmus gefunden, der ihre Atmung und die Bewegung ihrer Beine in Einklang brachte. So ließ es sich noch eine Weile aushalten. Bisher hatte sie noch nichts Ungewöhnliches bemerkt. Das hier war nichts als ein dunkler, nasser Wald. Dunkel, da es bereits Nacht war und nass, weil es permanent regnete. Unter dem Blätterdach bekam sie allerdings nicht sehr fiel ab.

Alice mochte den Geruch, den ein feuchter Wald verströmte. Und sie mochte die Schreie der Waldkäuze, die sie von irgendwo oben in den Ästen beobachten mussten. Auch die Einsamkeit, die das Mädchen umhüllte, war angenehm.

Wie ein Läufer, der für einen Marathon trainiert, nahm sie die nächste Biegung um eine engstehende Baumgruppe ohne auf dem nassen Laub auszurutschen.

Da stolperte sie plötzlich, sodass sie nach vorn überkippte. Zum Glück konnte sie sich mit den Händen abfangen.

Alice blinzelte überrascht. War sie an einer Baumwurzel hängen geblieben? Wenn ja, dann war es eine sehr bewegliche Baumwurzel. Und sie konnte reden!

„Ein Mensch?! Du wurdest noch nicht erwischt? Egal. Verschwinde hier so lange du noch kannst, Mädchen.“

Alice sah nun endlich auf. Sie wollte gerade etwas Patziges erwidern, doch der sich ihr bietende Anblick ließ sie verstummen. Da auf dem Waldboden, auf dem sie hockte, saß ein Typ. Gegen einen Baum gelehnt und allem Anschein nach verletzt. Sein Hemd war zerschlissen und blutdurchtränkt. Sogar in seinen Haaren klebte Blut.

Er sah sie eindringlich an, wobei ihr das dunkle Rot seiner Iris auffiel. Ihr schauderte.

‚Mensch’, hatte er sie genannt. Das hieß er war keiner!?

Das wichtigste fiel ihr allerdings erst auf, als er sich erhob- in einer einzigen fließenden Bewegung- und sie mit hoch zog.

Er sah einfach unbeschreiblich gut aus! Er erinnerte Alice an ein Supermodel…

Sie konnte sich eins und eins zusammenzählen.

„Ich sagte hau ab“, meinte er ein weiteres Mal. Er schien sehr angespannt zu sein.

„Du bist…. So was wie ein Vampir oder?“, schlussfolgerte sie.

Eine Sumpfkröte hätte nicht besser gucken können. Der vermeintliche Vampir schien erst einmal seine Gedanken sortieren zu müssen, bevor er anscheinend einen Entschluss gefasst hatte.

„Ich bin mir nicht sicher woher du das weißt, aber-“

Alice unterbrach ihn forsch: „Also bitte, dass könnte jeder Dorftrottel, der einmal in seinem Leben eine dieser neuerdings so angesagten Vampirschnulzen gelesen hat, mit einem blinden Auge erkennen! Ich meine das Blut, die Augen, das Supermodelaussehen… Gut deine Zähne habe ich noch nicht gesehen.“

Er schien ein wenig bedrückt.

„Ach du Scheiße… Liest du am Ende auch so was?“

Er ging nicht darauf ein, wurde lediglich ein bisschen rot unter seiner schneeweißen Haut. Bevor Alice jedoch laut loslachen konnte, sprach er hastig weiter, einen kurzen Blick zur Seite werfend. War er nervös?

„Tut mir leid Kleine, aber ich muss dich nun leider aus dem Weg räumen. Ich wollte es eigentlich nicht. Aber erstens weißt du um meine Identität und zweitens würdest du sonst von denen erwischt, die auch die anderen Mädchen getötet haben.“
 

Er packte Alice am Arm bevor sie blinzeln konnte. Diese schaffte es ihre Hand auf seinen Mund zu pressen. „Moment! Du scheinst mir doch ganz nett zu sein.“ Er sah sie ungläubig an, hielt aber inne. „Wie wäre es, wenn ich dich von mir trinken lasse. Als Stärkung. Du siehst nämlich ganz schön mitgenommen aus. Und im Gegenzug nimmst du mich mit zu dir nach Hause.“

Und abermals starrte er sie an wie ein Auto. Er entfernte ihre Hand und lächelte traurig. Es war einen Versuch wert gewesen…

Alice kniff die Augen zusammen, merkte wie sich zwei starke Arme um ihren Körper legten und spürte die spitzen Eckzähne, die sich in ihren Hals bohrten.
 

Ein fahler Streifen Sternenlicht erhellte das ansonsten dunkle Zimmer so weit, dass man die Umrisse einiger Möbel erkennen konnte. Es war gemütlich eingerichtet. Das große Bett, der Ohrensessel und das Bücherregal, welches eine ganze Wand bedeckte, erweckten einen wohnlichen Eindruck. Es roch nach frischen Blumen. Dazu gesellte sich noch ein weiterer Duft, der sich im weichen Stoff des Kissens verfangen hatte, auf dem Alice’ Kopf gebettet war. Ein männlicher und behaglicher Duft. Das alles nahm Alice im ersten Moment ihres Erwachens war. Verwirrt setzte sie sich auf. Und bemerkte wie die Welt sich zu drehen begann. Ihr Mund war wie ausgetrocknet, ihre Glieder schmerzten. War sie tot? Fühlte man Schmerz nachdem man gestorben war? Roch die Hölle tatsächlich dermaßen lecker?

Anscheinend, so erklärte sich das Mädchen die Situation, hatte der Schnulzen lesende Vampir sie doch nicht getötet. Bedient hatte er sich trotzdem reichlich…

Sicher rührte der Schwindel von Blutmangel her. Alice fasste an ihren Hals und stellte fest, dass die Bisswunde verbunden war. Nicht nur das. Als sie vorsichtig aus dem Bett kletterte, bemerkte sie, dass es um die Beine ungewohnt luftig war. Der Kerl hatte sie auch noch umgezogen! Anstatt Shorts und Top trug sie nun ein kurzes weißes Spitzenkleidchen. Ziemlich altbacken… Wer hatte denn heutzutage noch so einen Geschmack? (Außer der Autorin….) Gut, der Perverso hatte also ihre Unterwäsche gesehen. Immerhin hatte er sie auch gerettet. Also sah Alice großzügig über dieses Ärgernis hinweg. Er hatte noch mal Glück gehabt.
 

Sie beschloss zuerst einmal etwas gegen ihren Durst zu tun. Wahrscheinlich hatte sie auch noch Mundgeruch… Sie hätte sich ihre Zahnbürste einpacken sollen…

Innerlich vor sich hinfluchend, trat sie auf den Flur und konnte nicht verhindern, dass sich ihre Augen vor Erstaunen weiteten. Vor ihr befand sich ein Geländer, links neben ihr ein Gang und rechts eine Treppe, die nach unten führte. Sie konnte von hier weit auf die gegenüberliegende Seite der riesigen offenen Halle sehen. Dort gesellten sich zu einem weiteren Geländer einige Türen.

Vorsichtig über das kunstvoll gearbeitete Geländer gebeugt konnte Alice das Erdgeschoss sehen.

In der Mitte der Halle stand auf einem Podest ein schwarz glänzender Konzertflügel. Das war das Erste, was sie in der matten Dunkelheit, die das ganze Gebäude zu füllen schien, erkennen konnte. War das hier etwa ein Schloss?

Wieder schlich sich ihr Durst in den Vordergrund ihrer Gedanken. Wo befand sich hier wohl die Küche? Alice beschloss sich zuerst unten umzusehen. Vielleicht begegnete sie ja einem Bewohner, der ihr den Weg weisen konnte.
 

Wenig später stand sie vor der ersten Tür, auf der ein Schild angebracht war, das einen Hammer zeigte. Sah nicht nach einer Küche, jedoch interessant aus. Außerdem war die Tür nur angelehnt, was das Mädchen dazu brachte in den dahinter liegenden Raum zu spähen. „Halloooo?“

In der Dunkelheit leuchteten zwei rot glühende Augen auf. Alice wich erschrocken ein Stück zurück ohne aber den Blick abzuwenden. Der Ausdruck, der in diesen merkwürdigen Augen lag, war weder bedrohlich noch ängstlich, weshalb das Mädchen sich entspannte. Eher blitzte Neugier darin auf.

Was auch immer dort saß, es antwortete nicht. Alice Augen gewöhnten sich mehr an die Dunkelheit, die auch in diesem Zimmer herrschte und sie erkannte ein Fenster, vor dem sich ein massiger Berg befinden musste. Die roten Augen gehörten wohl dazu.

„Ich suche die Küche. Tut mir leid, wenn ich Sie gestört habe.“

Es blieb still auf Seiten des Berges. Jedoch schien er schwerfällig einen Arm zu heben. Die Umrisse eines dicken Fingers zeigten nach rechts.

„Oh. Da lang also. Ich danke Ihnen.“ Alice wand sich von der Tür ab um ihren Weg in die vom Berg gezeigte Richtung fort zusetzten. Entweder da drin hatte ein extrem dicker Mensch gesessen, der anstatt Augen zwei Laser besaß oder die Dunkelheit hatte ihr einen Streich gespielt. Andererseits… Wenn der perverse Schnulzentyp tatsächlich ein Vampir war, dann war ihr Wegweiser vermutlich ebenso nicht menschlich. Wo genau war sie hier? In einer Geisterbahn?!
 

Sie hatte die Küche recht schnell finde können. Der Raum befand sich tatsächlich in der vom Berg angegebenen Richtung. So unbeschwert sie auch bisher durch dieses riesige Haus spaziert war, umso zögerlicher wurde Alice nun. Ihr waren nämlich die Mädchen wieder eingefallen. Jugendliche in ihrem Alter aber auch Kinder. Sie alle waren, genau wie sie selber, in den Wald gelaufen auf der Suche nach Freiheit und einer Familie. Obwohl Alice nicht wirklich daran geglaubt hatte, dass es so was überhaupt auf dieser Welt gab.

Die Mädchen. Jede Einzelne von ihnen war letztendlich wieder ins Dorf zurückgekehrt. Nur nicht so lebendig wie sie es verlassen hatten. Alice erinnerte sich noch daran wie sie Mary-Ann gefunden hatten. Man hatte rostige Nägel durch ihre Handflächen gejagt und die Unglückliche damit an die große Eiche genagelt, die sich etwas abseits von der Stadt, kurz vor dem Wald, befand. Im Sommer spendete sie den Hirten Schatten. Mutige Jungen kletterten bis ganz nach oben in die alten Äste um den Wald überblicken zu können und vielleicht eines der Untiere zu erblicken, die sie aus Erzählungen und ihren eigenen Albträumen kannten. Doch niemand traute sich näher an den Wald als bis zur alten Eiche. Besonders nicht seit das getrocknete Blut der Mädchen an ihrer Rinde klebte. Der Regen gelange nicht an diese Stelle, da sie sich zu dicht unter dem dichten Blätterdach befand. Und so galten die rostroten Spuren als unmissverständliche Warnung. Mary-Ann war damals vor ihrem Vater geflohen, der sie mit einem Händlerssohn erwischt hatte. Er hatte gedroht sie tot zu schlagen, hatte Alice von dem verängstigten Mädchen erfahren. Sie hatte solche Furcht gehabt, dass sie eines Nachts einfach in den Wald verschwunden war. Bereits am nächsten Morgen wurde Mary-Ann entdeckt. Die leeren Augen ihrer ehemaligen Sitznachbarin in der Schule, so erinnerte sich Alice schaudernd, waren weit aufgerissen gewesen. Das Letzte was das arme Mädchen vor ihrem Ableben gesehen haben musste, war sicherlich unbarmherzlich hässlich gewesen. Ein wildes Tier oder wie sich die Dorfbewohner erzählten ein grausamer Killer, ein furchtbar entsetzliches Monster, ein blutsaugender Vampir…

Und genau hier war der Knackpunkt. Dies hier war schließlich das Haus eines Vampirs. Und der Berg von eben hatte nun wirklich nicht menschlich gewirkt. Was war wenn dies der Ort war, an dem die ermordeten Mädchen gequält worden waren? Allerdings, bemerkte Alice ein wenig erleichtert, hatte der Vampir etwas erwähnt. Er hatte sich gewundert, dass sie ‚noch nicht erwischt’ wurde. Bedeutete das nicht, dass er auf keinen Fall derjenige sein konnte, vor dem sie Angst haben musste?

Doch wenn er sie nur in dieses Kleidchen gesteckt hatte um seinen kranken Spielchen nachzukommen? Immerhin las er diese Schnulzen. Wer wusste schon wie genau er sie interpretierte. Am Ende dachte er, Vampire dürften kleine Menschenmädchen erst aussaugen und dann… Okay, den Rest wollte sie sich gar nicht erst erdenken. Besser sie trank erstmal einen großen Schluck Wasser.
 

Die Küche war relativ groß. Was hatte sie erwartet bei diesem Haus? Es war ziemlich dunkel und Alice beschloss gar nicht ernst nach dem Schalter zu suchen. Wer wusste schon was für Typen sie damit auf den Plan rief? Der Schein des Mondes musste ihr reichen. Sie würde nun zu dem großen Kühlschrank tapsen, etwas trinken und anschließend wieder nach oben schleichen und dort darauf warten, dass sie den Blutsauger ausfragen konnte. Alice roch die verschiedensten Kräuter als sie an der großen Arbeitsfläche in der Mitte des Raumes entlang ging. Und tatsächlich hing darüber eine Platte, auf der sich ein ganzes Beet befinden musste! Basilikum, Salbei, Lavendel und andere Düfte hüllten sie ein. Und dort standen Kerzen, ein Kochbuch, ein Schädel… Ein Schädel?! Was war das hier? Eine Hexenküche? Nun fiel ihr auch die Unordnung auf. Abwaschberge, undefinierbare Kleckse und Krümel waren überall verstreut. Bwäh!, dachte Alice angewidert. So behandelte man doch keine Küche! Da drehten sich doch alle großen Köche der Jahrhunderte in ihrem Grabe herum! Hier musste mal jemand gründlich aufräumen. Gab es denn keine Frau im Hause? Oder so was Ähnliches? Zumindest weiblich könnte es sein…

Am liebsten hätte sie hier ordentlich Klar Schiff gemacht! Aber soweit kam es noch! Zuerst mal eine Aufklärung vom Blutsauger. Danach vielleicht.

Endlich öffnete sie den Kühlschrank, sah sich gar nicht erst genau darin um, aus Angst etwas könnte sie anspringen, dass eigentlich nicht leben sollte, und schnappte sich eine Wasserflasche. Dann wühlte sie in einem der Geschirrberge, fand ein halbwegs brauchbares Glas, spülte es kopfschüttelnd aus.
 

Als sie ungefähr die halbe Flasche ausgetrunken hatte und das Glas absetzte, ragte ganz plötzlich ein hoher Schatten vor ihr auf. Anders als beim Berg erschrak Alice diesmal richtig. Einen Satz nach hinten machend und torkelnd, schaffte sie es gerade noch sich an der Arbeitsfläche abzustützen. Der Schatten hatte sich kein Stück bewegt.

„G-guten Abend. Wohnen Sie hier? Verzeihen Sie, aber Sie kamen so plötzlich daher, da hab ich mich erschrocken…“ Verstand er sie überhaupt? Zumindest zeigte ihr Gegenüber noch immer keine Reaktion, schien sie nur eingehend zu mustern. War das wirklich ein Lebewesen oder nur ein Standbild?

„Äh…Geht es Ihnen gut? Ich wollte nur ein Glas Wa-“

„Wieso hat jemand einen Mensch hierher gebracht? Du bist doch ein Mensch oder?“

Die flüsternde und anscheinend männliche Stimme des Fremden ließ Alice erschauern. Es klang als sprach die Dunkelheit selbst zu ihr. So eine geheimnisvolle und unheilverkündende Stimme hatte sie noch nie zuvor gehört. Seine Frage hatte Alice gar nicht mitbekommen.

„Mh.“, machte der Schatten und war kurz darauf verschwunden.
 

Mit wackeligen Beinen verließ Alice die Küche. Ihre Vermutung war bestätigt. In diesem Haus lebten keine Menschen. Aber was waren sie dann? Sie wollte nur noch zurück ins Bett. Unter den vermeintlichen Schutz der Decke. Sich an etwas klammern. Wie ein kleines Kind, dachte Alice verächtlich über ihre eigenen Gedanken. War sie nicht noch vor kurzem bereit gewesen zu sterben? Sich allem zu stellen Hauptsache es war nicht ihre Hausdame? Das Mädchen straffte ihre Schultern. Von so ein paar Schauergestalten wollte sie sich nicht einschüchtern lassen! Nicht mal wenn diese sie dafür auslachten! Moment… Kicherte da tatsächlich jemand? Und war da nicht auch ein aufgeregtes Wispern zu hören? Hörte sie nun Gespenster oder waren das tatsächlich welche? Angestrengt starrte Alice in die Dunkelheit den Flur hinunter. Hatte sich dort nicht etwas geregt?

„Hallo?“, rief sie nun mutig in die dunkle Leere. Die leisen Laute verschwanden so schnell wie sie gekommen waren.

Auch gut, dachte Alice missmutig. Sollten sie doch versuchen ihr Angst zu machen! Nicht mit ihr! Sie war schließlich den blutrünstigen Klauen ihrer Mitbewohnerinnen entkommen. Da war das hier gar nichts gegen!

Schon fast trotzig stapfte sie wieder nach oben und war beinahe an ihrem Ziel angekommen als eine Stimme sie erneut aufschreckte. Diesmal klang sie sogar durchaus menschlich. Aber vor allem eines: Wütend.

„Hey du! Wer hat dir erlaubt hier herum zu laufen, Mensch?!“ Aha…Also doch kein Mensch. Jedoch kam der Wüterich Alice durchaus bekannt vor! Diese schwarze Lockenpracht, die pechschwarzen Augen und vor allem anderen die rote Mütze!

„Killian? Das Supermodel aus Italien? Moment ich seh’ dich sonst eher in Unterwäsche oder auf Galas, wo du normalerweise Anzüge trägst. Und eigentlich guckst du auch nie so wütend aus der Wäsche“, philosophierte Alice nun vor sich hin. Sie hatte den gut gebauten, zuckersüßen jungen Mann schon oft im Fernsehen gesehen. Er war gerade eines der gefragtesten Models. Die Agenturen waren verrückt nach ihm. Und ihre Mitbewohnerinnen auch. Doch heute trug er nur T-Shirt und Jeans und hatte sein charmantes Lächeln gegen eine angepisste Fratze getauscht. Killian drückte Sie nicht gerade sanft gegen die Wand und lehnte so bedrohlich über ihr. Seltsamerweise bemerkte Alice, dass er nach Zitronenmelisse roch…

„Ich weiß wer ich bin“, zischte er. „Aber wer zum Teufel bist DU?“

„Mein Name ist Alice. Ich-“ Schon zum zweiten Mal in dieser Nacht ließ man sie nicht ausreden.

„Ist ja auch egal. Ich werf’ dich einfach raus. Die da draußen erledigen schon den Rest. Doch ganz praktisch das Pack.“ Er packte sie grob am Handgelenk um sie mit sich zu ziehen. Da sie sich nicht vom Fleck bewegte, warf er sich das aufquiekende Mädchen kurzerhand über seine Schulter.

„Nun warte doch mal! Ich will hier bleiben! Ich hab’s mit ihm so abgemacht!“

„Du willst wohl kaum freiwillig hier bleiben“, meinte der Italiener kopfschüttelnd. „Außerdem mit WEM hast du WAS abgemacht?“

„Mit mir fürchte ich“, erklang nun eine wohl bekannte Stimme und ließ Alice erleichtert aufseufzen. Hinter Killian stand der perverse, Schnulzen lesende und im richtigen Moment erscheinende Vampir. Immer noch mit Blut bespritztem Hemd und verklebtem Haar. Seine Wunden allerdings schienen auf wundersame Weise geheilt.

Glücklich sah er trotzdem nicht aus…

Kapitel 2

Alice wusste wirklich nicht so recht was sie von dieser Situation halten sollte. Sie kam sich vor wie in einem Film. Jeden Moment würde der Regisseur ‚CUT!’, brüllen und ihnen sagen, dass sie das arme Mädchen doch bitte nicht so quälen sollten.

Immernoch hing sie über Killians Schulter, der den Vampir, der ihnen gegenüber stand, ungläubig anstarrte. Alice war schwindelig, da sie schließlich Blut verloren hatte und die letzte halbe Stunde nicht gerade erholsam verlaufen war. Außerdem war so eine trainierte Schulter nicht sehr bequem. Im Gegenteil. Sie piekte gemein in ihre Rippen.

„Victor… Was hat dir Vincent über zugelaufene Tiere als Blutvorrat gesagt? Du kannst sie hier nicht einfach herbringen! Was ist, wenn sie ihre Familie kontaktiert? Dann haben wir hier bald Kamerateams und Spezialisten für alles Übernatürliche vor der Haustür. Oder ein Massaker im Wald. Was wäre dir lieber?“

Der Vampir hieß also Victor und schien durch Killians Strafpredigt durchaus eingeschüchtert. Doch Alice hatte da auch noch ein Wörtchen mitzureden:

„Hey! Ich bin kein zugelaufenes Tier sondern ein zugelaufenes Mädchen! Und eins mit schmerzenden Rippen noch dazu! Wusstest du, dass du furchtbar spitze Schultern hast? Aua!“

Sie wurde mit einem genervten Grummeln abgesetzt, jedoch schien Killian darauf zu achten, dass sie beim Versuch zu flüchten nicht weit kam.

Alice klopfte sich imaginären Staub von der Schulter und zog ihr Kleidchen zu Recht.

„Und macht euch keine Sorgen. Meine Familie werde ich ganz bestimmt nicht und in keinster Weise kontaktieren. Wenn das überhaupt so was war, dann bin ich froh, dass ich sie nun los bin. Und andersrum ist es sicher genauso. Und was heißt hier Blutvorrat?!“

„Du willst also wirklich hier bleiben? Das war kein Scherz? Was immer du nimmst…lass es besser…“ Das Supermodel sah aus, als hätte er Kopfschmerzen, denn er massierte sich die Schläfen und kniff seine Augen zusammen. „Nicht zu fassen. Die Kleine ist doch lebensmüde.“

Endlich meldete sich auch Victor zu Wort. „Also Kleine, das ist so: Wir beide haben einen Pakt. Das bedeutet du kannst hier bleiben, wenn du mir ab und zu dein Blut zur Verfügung stellst. Außerdem-“

„Moment!“ Nun war es an Alice zu unterbrechen. „Es ging hier doch wohl nur darum, dass ich dich einmal trinken ließ als du anscheinend in Gefahr warst.“

„Der Preis um hier wohnen zu dürfen ist leider etwas höher. Und du darfst keiner Seele etwas von uns erzählen. Allein hier weg kannst du auch unter gar keinen Umständen. Sie würden dich sofort töten. Du bist quasi in unserem Revier gefangen, es sei denn jemand von uns nimmt dich mit. Wenn du versuchst wegzulaufen oder zu plappern bist du sofort tot. Ach ja und du musste dich hier nützlich machen. Umsonst können wir dich hier nicht wohnen lassen.“

Das war eine lange Ansprache gewesen. Alice musste zunächst ihre Gedanken sortieren. „Also darf ich hier bleiben?“

„Ich kapier das nicht! Du hast ihr grade erzählt, dass sie hier so gut wie gefangen ist, niemals wieder nach hause kann und obendrein auch noch als Blutkonserve dient. Und sie will trotzdem nicht weg?! Du musst ja sehr verzweifelt sein Kleine.“

„Ach papperlapapp“, meinte Alice schroff. „Hier kann es ja nur besser sein als da wo ich herkomme. Dann geb’ ich dem Perversen da eben ab und zu Blut von mir. Außerdem weiß ich schon wie ich mich ansonsten nützlich machen kann.“

Killian starrte sie erst mit großen Augen an bevor er anfing schallend zu lachen.

„Sie hat deine wahre Natur sofort erkannt Victor!“ Er musste sich sogar an der Wand abstützen vor Lachen.

Victor allerdings sah verletzt aus. „Ich bin kein Perverser…“

„Und was ist mit diesem ultrakurzen Kleid?“, hakte Alice nach, amüsiert über die Reaktion des Models.

„Das ist nun mal Erins Geschmack! Andere Frauenkleider haben wir hier nicht.“ Offensichtlich musste er sich zusammenreißen um nicht einen Flunsch zu ziehen, was ihn durchaus putzig aussehen ließ.

„Wenn sie weiter so unterhaltsam ist, kann sie meinetwegen bleiben. Ich geh nun schlafen, war ein langer Tag.“ Das Gesagte mit einem Gähnen unterstreichend, taperte Killian nun den Gang entlang und verschmolz mit der Dunkelheit.

„Victor? Ich bin auch müde.“

Der Vampir schien noch immer beleidigt. „Dann geh doch zurück ins Bett.“

„Aber es ist dein Bett.“

„Na und? Ich schlaf da sowieso nur tagsüber drin.“

Stimmt doch, da war etwas gewesen mit Blutsaugern am Tag… Na wenigstens musste sie nicht in seinem Sarg schlafen.

„Mach dir keine Sorgen. Morgen zeigt dir jemand wo du in Zukunft schlafen kannst. Ich möchte mich nun erstmal duschen und umziehen.“

War ihm nicht zu verdenken, dachte Alice. Sie war schon gespannt darauf wie er wohl sauber und mit heilen Klamotten aussah.

Das Mädchen nickte, öffnete die Tür zu seinem Zimmer, drehte sich kurz noch mal um. „Danke Victor. Du hast mir wohl das Leben gerettet.“ Daraufhin schloss sie die Tür hinter sich und ließ den Vampir allein und mit leichter Röte im Gesicht im Flur stehen.
 

Wieder erwachte Alice in Victors Zimmer. Diesmal aber bei Tageslicht und nicht allein. Nachdem sie sich aufgesetzt hatte, bemerkte das verschlafene Mädchen, dass der Vampir neben ihr lag und wie ein Toter schlief. Wie ein Toter… Sie musste hinterfragen ob das wirklich stimmte. Zu atmen schien er jedenfalls nicht. Und…war es normal das schlafende und vermeintlich Untote den Eindruck eines schlummernden Engels erweckten? Sein Haar war honigblond, dass konnte sie, nun wo das Blut herausgewaschen war, staunend feststellen. Es fiel ihm in weichen Strähnen über die blassen Wangen. Sein Gesicht schien Makellos zu sein. War also doch etwas dran an den Geschichten. Er sah so friedlich aus, dass Alice befürchtete ihn mit ihren eigenen, ihr plötzlich furchtbar laut erscheinenden, Atemzügen zu wecken.

Ihre Hand streifte etwas Raschelndes. Ein verblüffter Blick zur Seite zeigte ihr, dass es sich um einen Manga handelte. Mit einem Cover, dass verdächtig nach einer Vampirschnulze aussah. Alice musste grinsen. Irgendwie lustig, dass ein Geschöpft der Nacht etwas las, in dem seine eigene Spezies wahrscheinlich ziemlich veralbert wurde. Doch es machte ihn auch sympathischer.

Etwas wunderte sie an dieser Szene. Vertraute Victor ihr so sehr, dass er sich einfach so neben sie schlafen legte? Oder war er sich sicher, dass er einen Angriff von ihr sofort bemerken würde? Am Ende schlief er gar nicht sondern es war nur ein Test. Wie dem auch sei. Sie hatte nicht vor ihren Vermieter anzugreifen. Vor allem nicht wenn sich in diesem Haus wahrscheinlich hunderte von Monstern befanden, die nur darauf warteten ihre Seele und Eingeweide zu verspeisen.

Schaudernd kletterte Alice aus dem Bett. Sie brauchte jetzt dringend eine Zahnbürste und eine warme Dusche. Allerdings musste sie dafür wohl das Zimmer verlassen. Vielleicht fand sie Killian, der ihr helfen könnte. Er hatte doch einen ganz netten Eindruck gemacht letzte Nacht. Und wenn sie nun dem Eigentümer der kichernden Stimmen begegnete? Sie konnte hier noch lange hin und her überlegen oder einfach suchen gehen. Entschlossen richtete sie ihr Haar so gut es ging und erschrak zum dritten Mal, seit sie in diesem Haus weilte.

Seit wann saß sie schon dort? Eine Frau lehnte in Victors Sessel und lächelte Alice zögerlich zu. Sie hatte langes und glattes schwarzes Haar, trug ein furchtbar altmodisches, aber eng anliegendes Spitzenkleid und eine teuer aussehende funkelnde Kette. Ansonsten war sie barfuss. Außerdem fiel Alice auf, dass auch sie von atemberaubender Schönheit war. Als die Frau sich nun erhob, geschah dies so anmutig, dass Alice glaubte einer Göttin gegenüber zu stehen. Alles in allem war nun klar, dass Victor ihr NICHT vertraute.

„Guten Morgen…“, begann das Mädchen nun zaghaft. „Sind…sind Sie auch ein Vampir?“ Die Frau schüttelte sanft ihren Kopf, noch immer leicht lächelnd.

„Aber ein Mensch sind Sie auch nicht oder? Oh wie unhöflich, ich bin Alice.“

„Erin redet nicht sehr viel. Ihre Stimme klingt auch meist nur melancholisch“, erklang ein Schnurren neben Alice.

„Ein Kätzchen!“, rief das Mädchen freudig aus.

„Ich bin ein Kater!“ Er räusperte sich. „Mein Name ist Toulouse, meine liebe Alice. Sei willkommen in unserem Herrenhaus. Bitte folge mir in den Flur damit wir Victor nicht wecken.“ Leichtfüßig machte Toulouse einen Satz zur Tür, schlüpfte hindurch (besagte Tür war geschlossen!) und begann auf dem Flur sein nachtschwarzes Fell zu putzen.

Wie betäubt folgte Alice. Wunderte sie sich eigentlich noch darüber, dass es hier sprechende Katzen gab, die durch Wände gingen? Oder darüber, dass Erin offenbar die Wand benutzt hatte? Nicht wirklich…

„Du kommst also aus der Stadt nord-westlich des Waldes. Warum bist du geflohen?“, wollte der Kater wissen als Alice die Tür hinter sich geschlossen hatte, einen letzten Blick auf Victor werfend.

„Ach meine Mitbewohnerrinnen in der Besserungsanstalt wollten mich umbringen und ich sah es als angenehmeren Tod an, im Wald von Monstern zerfleischt zu werden. Sie ärgern sich bestimmt.“

„Warum warst du in einer Besserungsanstalt?“ Es schien ihn nicht zu stören, was sie erzählte. Jede anständige Hausfrau hätte eine Panikattacke bekommen.

„Stört es euch, wenn ich das erst erzähle, wenn wir uns besser kennen?“

„Natürlich nicht. Wie unhöflich von meiner Wenigkeit.“ Wieder räusperte sich der Kater. „Wir zeigen dir dein neues Zimmer. Sicher hast du Fragen. Erzähle sie uns doch während du uns folgst.“
 

Alice holte tief Luft um anschließend mit einem Wasserfall aus Fragen auf Toulouse und Erin einzuplappern: „Was ist das für ein Haus? Warum seid ihr alle keine Menschen? Wer ist der große dunkle Schatten und wer der Berg von letzter Nacht? Warum wohnt ein Supermodel bei euch? Und ganz wichtig: Wer sind SIE?“

Toulouse schnurrte amüsiert über so viel Neugier. Außerdem erzählte er gerne.

„Lass mich dir zuerst erklären warum wir keine Menschen sind. Ich verstehe schon, dass eine Kleinstadt wie die deine es nicht an ihre Kinder weitergibt, dass wir existieren. Ihr habt einfach zu viel Furcht vor uns.“ Er nickte wissend. Angst?, dachte sich Alice. Ja, dass würde zu den Bewohnern ihrer Stadt passen.

„Wie dem auch sei. Du kannst dir dieses Herrenhaus als eine Art Flüchtlingslager vorstellen. Damit du gleich bescheid weißt und um eventuellen ungeschickten Bemerkungen deinerseits vorzubeugen, hier wohnen ausschließlich Ausgestoßene ihrer Art.“

„Damit ich dich richtig verstanden habe“, fasste Alice zusammen, „Victor, Killian, du und Erin, der Berg und auch der große Schatten. Ihr seid alle von eurer eigenen Art ausgestoßen worden?“ Der Kater nickte offensichtlich stolz, dass sie verstanden hatte. Erins traurige Augen schienen noch eine Spur an Trauer hinzugelegt zu haben. Ihr Leben, oder ihr Tod?, schien es nicht gut mit ihr gemeint zu haben.

„Na aber dann passe ich doch perfekt hier rein! Das mich die Menschen bei mir zu Hause umbringen wollten, gilt doch als ausstoßen oder?“

„Du bist nicht die Einzige, die dieses Schicksal ereilte. Genaugenommen wärst du eine Ausnahme, wenn es nicht so wäre.“

„Oh.“ Furchtbar intelligenter Kommentar Alice…, bemängelte sich das Mädchen selbst. Es herrschte ein kurzes bedrückendes Schweigen, das von Toulouse unterbrochen wurde als er mit einer Pfote auf eine Tür wies.

„Da wären wir.“

„Bevor du rein gehst…“ Hatte Erin da tatsächlich das Wort ergriffen? Alice hielt gespannt die Luft an.

„…Mit Berg und großer Schatten….Meintest du sicher Egmont und Mouse.“ Was waren das für seltsame Namen? „Mouse hat dich nicht angegriffen nein?“ Was sollte denn nun diese Frage? Aber wahrscheinlich war sie berechtigt. Alice Knie wurden butterweich. „Er hat nichts dergleichen getan. I-ist das…schlimm?“

„Gut aufgepasst Erin! Nein, nein liebe Alice ganz im Gegenteil!“ Der nachtschwarze Kater schien begeistert. Sein Schwanz zuckte aufgeregt. „Das bedeutet du hast sozusagen unseren Aufnahmetest bestanden! Du musst wissen: Mouse ist ein Korred. Er sieht direkt ins Herz seines Gegenübers und stellt fest ob er oder sie uns Böses will oder nicht. Das er dich nicht angriff bedeutet, du hast ein gutes Herz.“

Alice straffte die Schultern. „Supi! Dann bin ich nun Mitglied im Club?“

Toulouse nickte.

„Ähm… Was… ist ein Korred?“

„Oh verzeih, ich nahm an du hättest davon wenigstens gehört. Korred stammen aus der Bretagne. Sie haben einst die Hünengräber auf ihren Rücken nach Europa getragen und wohnen meist auch in ihrer Nähe oder darunter. Aus diesem Grund haben sie magische Kräfte entwickelt“, erklärte der Kater.

Klang alles sehr mystisch. Vielleicht konnte sie sich irgendwo ein Buch über Naturgeister besorgen, überlegte Alice. So ganz verstand sie nämlich noch nicht.

„Also Victor ist ein Vampir und du n’ sprechender Kater. Aber was sind Erin, Killian und der Berg?“

„Du irrst liebe Alice ich bin nicht einfach ein sprechender Kater. Ich bin ein Schattenkater!“ Er war anscheinend mächtig stolz darauf. „Erin ist ein Geist.“

Die Geisterfrau lächelte leicht. „Egmont will uns nicht verraten was er ist. Wir vermuten so was wie ein Bergtroll. Und Killian gehört zur Gattung der Laûru.“

Als der Kater das fragende Gesicht des Mädchens sah, wurde ihm klar, dass er wohl so gut wie alles erklären würde müssen. „Ein nur auf sein eigenes Vergnügen bedachter Schönling und Casanova, der Hausarbeit verabscheut, weil er befürchtet seine Kleidung könnte darunter leiden.“ Alice war sich nicht sicher ob alle Laûru so waren oder ob Killian eine Ausnahme darstellte. Jedenfalls schien sein Charakter dem Schattenkater zu missfallen. „Die Küche sieht Größtenteils wegen ihm so unbeschreiblich eklig aus.“ Alice beschloss es Toulouse gleichzutun…
 

Erin schien dem Kater mit ihrem Blick irgendetwas gesagt zu haben, denn dieser hatte es plötzlich eilig.

„Das Bad ist drei Türen weiter. Sieh dich in Ruhe in deinem Zimmer um. Ich hole dich in einer Stunde wieder ab. Ach und ganz wichtig! Lass erstmal keinen rein. Erin und ich können sowieso allein in das Zimmer gelangen.“ Sollte das nun beruhigend sein? „Geh direkt zum Bad und wieder zurück. Es ist wirklich wichtig, dass du niemandem die Tür öffnest“, sprach Toulouse so eindringlich, dass Alice reflexartig nickte.

Mit einem knappen Abschiedsgruß verschwand der Kater, gefolgt von einer winkenden Erin, durch den Boden des Flurs.

Zu spät viel Alice auf, dass er ihr nun gar nicht gesagt hatte wer SIE waren. Dann musste sie eben später noch einmal fragen.

In ihren Gedanken fasste sie das Gespräch zusammen. Sie wohnte also ab heute in einem Haus voller Wesen mit seltsamen Namen, die ausgestoßen wurden weil sie entweder irgendwie anders waren oder was ausgefressen hatten. So erklärte sich das Mädchen jedenfalls die Situation. Keine beruhigende Information.

Dann war da noch ein magischer Korred, so was wie ein Bergtroll und Killian, der diese wunderbar große Küche verschmutzte.

Was Alice jedoch das größte Unbehagen bereitete, waren die letzten Worte des Katers. Irgendwer konnte ihr anscheinend gefährlich werden. Eines war sicher. Den Rat niemandem die Tür zu öffnen, würde sie befolgen. Plötzlich hing sie nämlich wieder an ihrem Leben, was noch vor einem Tag nicht geglaubt hatte.
 

Hier gab es also heißes Wasser und nicht nur neblige Schwaden, die aus dem Duschkopf quollen um die gruselige Erscheinung einiger Bewohner des Hauses noch zu vollenden. Alice stellte sich direkt unter den Wasserstrahl und schloss die Augen. Endlich konnte sie sich den Schmutz aus dem Wald abwaschen, der teilweise noch an ihr haftete. Sie fühlte sich immer mehr an wie ein zu hause.

Eben hatte sie sich ihr neues Zimmer angesehen. Bestaunt, wäre sogar noch passender. In der Besserungsanstalt hatte sie sich ein 24qm großes Zimmer mit 3 Mädchen geteilt. Und sie hatten sich nicht mal leiden können…

Hier aber besaß sie nun einen gut 40qm Raum, ausgestattet mit riesigem Bett, Kommode, Schrank, Tisch, Stuhl, Sessel und diversen Lichtquellen. Ein Blick an die Decke hatte ihren Verdacht bestätigt, dieses Haus wäre schon ziemlich alt. Sie war verziert mit wunderschönem Stuck und einem hier und da abblätternden Gemälde. Es zeigte allerdings nicht etwa eine Schar Engelchen, die dem Jesuskind von einer flauschigen Wolke aus zulächelten. Die ganze Decke war bemalt mit einem traumhaft schönen Sternenhimmel. Alice hatte sich gar nicht daran satt sehen können so verzückt war sie davon gewesen. Ein bisschen fühlte sie sich wie in einem Hotel, ganz im Stil des 18. Jahrhunderts gehalten. Auf dem Tisch stand ein kleines Frühstück bereit. Alice war zögernd näher getreten. Es gab hier zwar normales Wasser, aber was wenn das Frühstück aus Blutkonserven und Käfern bestand? Doch das Mädchen hatte nur ein Croissant, Marmelade und Kaffee vorgefunden und alles in Windes Eile verschlungen. Die hatte kaum bemerkt wie hungrig sie gewesen war. Nun, sauber und gekämmt, gesättigt und in ein bereitgelegtes, nicht ganz so rüschiges Kleid wie das von Erin, gesteckt, betrat sie den Flur.

Toulouse’ Warnung schwirrte ihr bedrohlich laut im Kopf herum. Mit großen Schritten näherte sie sich ihrem Zimmer. Ihr Herzschlag beschleunigte sich ungewollt. Sie war fast da, noch zwei Schritte, noch Einer. Sie hatte die Klinke bereits in der Hand als ein Kichern sie innehalten und herumfahren ließ. Ganz sicher war dies dasselbe Kichern wie letzte Nacht! Hundertprozentig!

„Hört auf damit und zeigt euch ihr…ihr… Waschlappen!“ Grandiose Beleidigung Alice. Vergleich deine Mitbewohner mit den flauschigen, gut duftenden Wäschestücken, die dort hinten im Bad liegen…

Sie hatte vorhin schon den Weichspüler bewundert, der hier genutzt wurde.

Das Kichern war plötzlich direkt neben ihr. Alice versteifte sich.

„Sie hat dich Waschlappen genannt“, gluckste eine kindliche Stimme.

„Nein, sie hat DICH Waschlappen genannt!“, protestierte eine Weitere.

„Aber du siehst einem Waschlappen FIEL ähnlicher als ich!“

„Red kein Quark! Ich seh’ genauso aus wie du!“

„Ich hab ja wohl einen besseren Geschmack als du was Bekleidung betrifft!“

„Du hast höchstens einen ANDEREN. Außerdem finden die Wanderer mich immer niedlicher als dich.“

„Wie das denn, wenn wir doch komplett gleich aussehen hä?“

Das drohte noch eine Weile so weiterzugehen, wenn sie sich nicht endlich umdrehte, dachte sich Alice. In Anbetracht der Art und Weise, wie die beiden redeten, war Alice’ anfängliche Angst völlig verpufft. Die zwei kleinen Gestalten, die sie erblickte ließen ihr Herz vor Niedlichkeit einen Satz machen. Die beiden Jungs hatten so schaurig herumgekichert? Putzig… Es waren Zwillinge, denn sie ähnelten sich wirklich sehr. Nur ihre Kleidung trugen sie anders. Etwas seltsam waren jedoch ihre silbernen Haare und ihre… ihre Augen! Alice’ Herz entschied sich doch nicht mehr so freudig zu hüpfen… Sie hatte nun schon in der Dunkelheit rot leuchtende Augen und welche mit roter Iris gesehen. Außerdem waren da noch Erins, mit einem unvergleichbaren Hang zur Melancholie. Aber diese… Jeder Junge hatte jeweils ein Blassblaues und ein Schwarzes. Jedoch ohne Pupille oder Iris. Einfach nur diese Farben.

„Hey Clock… Sie starrt uns an.“

Clock richtete seinen Blick auf die neue Mitbewohnerin und grinste. „Hallo Alice. Hat Toulouse dir nicht gesagt, du sollst dich in deinem Zimmer verschanzen? So ein Pech, dass wir dich auf dem Flur erwischen. Weißt du… Wir können Menschen nämlich so gar nicht leiden. Außer als Wild versteht sich.“

„Hey jetzt stell mich endlich vor!“, wurde Clock angezischt.

„Ach so. Das ist Time, mein großer Bruder. Er ist 3 Minuten älter als ich. Aber was bedeutet schon Zeit.“ Seine Augen funkelten unheimlich. Sollte das nun ein Witz sein? Hießen die beiden nicht Zeit und Uhr? Wollte der Kleine damit irgendwas andeuten?

„Hi. Wisst ihr es ist wirklich unhöflich jemandem zu sagen, dass seine gesamte Spezies nicht gemocht wird. Und wir sind ab heute Mitbewohner. Meint ihr nicht es wäre ratsam mich ein wenig kennen zu lernen bevor ihr urteilt?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, die Zwillinge von oben herab musternd.

Die beiden blickten sich an. „Sie hat uns unhöflich genannt Time.“

„Lass uns ihre Augen als Gastgeschenk behalten Clock.“

Kreisch!, dachte Alice einen Schritt zurückweichend. Was waren das denn für Kinder!?

„K-kommt gar nicht in Frage! Ohne Augen kann ich nicht mehr richtig kochen!“ Das Mädchen machte sich bereit durch die Mitte der beiden zu rennen und sich bei Victor in Sicherheit zu bringen.

„Du kannst kochen?!“, fragte die Jungen nun wie aus einem Mund.

„Clock sie kann kochen!“

„Und backen kann sie auch“, warf Alice ein, einen kleinen Hoffnungsschimmer vor Augen, die sie übrigens nicht ohne zu kämpfen aufgeben würde!

„Time, und backen kann sie auch!“

Die Zwillinge schienen sich mit Blicken zu beraten. Es dauerte zehn endlose Sekunden bis sie eine Entscheidung getroffen hatten.

„Du kannst bleiben“, sprachen sie im Einklang. „Wenn du uns Eintopf backst und Kekse kochst!“

„Ihr meint, wenn ich Eintopf koche und Kekse backe.“

Dafür erntete sie nur böse Blicke.

Kurze Zeit später versuchte Alice in dem Chaos, das sich Kühlschrank nannte, Zutaten für einen Eintopf zu finden. Immer darauf bedacht nicht versehentlich in die Klinge des Schwertes zu laufen, dass auf ihren Hinterkopf gerichtet wurde.

„Ich würde euch auch was kochen, wenn ihr mich nicht bedrohen würdet. Und wie kommt ein Zwerg wie du mit dem Schwert eigentlich so hoch? Und wo habt ihr das her?!“

„Es macht viel mehr Spaß so“, war die simple Erklärung von einem der beiden Zwillinge, die Alice nur noch ‚die Dämonenbrut’ nannte. Gedanklich versteht sich. Sie war sich noch immer dem Schwert bewusst.

„Sie mal Clock. Sie hat Angstschweiß auf der Stirn“, kicherte Time.

„Du könntest ja auch versehentlich abrutschen Time.“

„Dann kann ich euch aber nicht mehr bekochen. Und Kekse gibt’s dann erst recht nich’ mehr.“ Das Mädchen konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht nervös klang.

„Auch mit einem abgesäbelten Ohr kann man noch kochen. Das bisschen Blut stört doch keinen.“ Alice hatte es bereits aufgegeben nachzufragen wer gerade sprach. Es spielte eh keine Rolle. Die beiden waren gleich dämonisch. Eben wollten sie noch ihre Augen und nun auch noch das Ohr! Was sollte nur aus ihr werden? Wo war Toulouse wenn man ihn brauchte? Oder Erin? Ihretwegen auch Killian.

„Hört mal ihr beiden. Ich wäre schneller, wenn ihr mich nicht bedrohen würdet. Außerdem könntet ihr mir ruhig dabei helfen ein bisschen aufzuräumen. Wie soll ich denn hier kochen?“ Sie wies mit dem Finger, hektische Bewegungen vermeidend, auf das Gebirge aus Geschirr und die neuartigen Organismen, welche sich darauf zu entwickeln drohten.

„Du findest einen Weg.“

Es war aussichtslos…

„Ich hätte mir denken können, dass sie dich erwischen. Irgendwie hätten sie dich schon aus dem Zimmer gelockt.“ Es war das belustigte Schnurren des Schattenkaters, dass für Alice nun wie ein Engelschor klang. Die Rettung nahte.

„Hau ab Flohball. Wir spielen hier grad.“ Oder konnte Toulouse am Ende gar nichts gegen die beiden ausrichten? Der Verzweiflung nahe massierte Alice sich die Schläfen. Waren alle Kinder so anstrengend?

„Ihr spielt mit Victors Eigentum.“ EIGENTUM?!, wollte Alice protestieren, doch der Blick des Katers bedeutete ihr gerade rechtzeitig den Mund zu halten.

Sie spürte wie die Schwertschneide sich senkte und wagte einen Blick über die Schulter. Time stand auf einem Stuhl. Deswegen hatte er mit dem Schwert ihren Kopf erreicht. Die Zwillinge schienen den Kater nun erschrocken anzusehen. Zumindest waren ihre seltsamen Augen geweitet. Hatten die beiden gar Respekt vor dem Vampir? Aber er las doch Schnulzen…

„Uhm… ER hat sie mitgebracht?“ Die Augen der Kinder richteten sich auf Alice und wie aus einem Munde entschuldigten sie sich.

„Du darfst es ihm auf keinen Fall erzählen! Wir lassen dich ab jetzt in Ruhe.“

Um noch einen drauf zu setzten schienen sie sogar das Weite suchen zu wollen.

„Wartet doch mal. Ich schlage euch einen Pakt vor.“ Das Gesagte ließ die beiden aufhören. „Ich koche euch Eintopf und back’ euch Kekse. Außerdem erzähl ich Victor nichts. Im Gegenzug macht ihr die Küche sauber und erzählt mir ein bisschen was. Ich hätte da nämlich einige Fragen.“

Toulouse schnaubte ungläubig, so als wäre sie völlig lebensmüde den Dämonenzwillingen einen Kompromiss vorschlagen zu wollen. Allerdings waren die beiden entweder ziemlich verfressen oder hatten wirklich die kleinen Hosen voll,

wenn es um den Vampir ging. Denn mit einem knappen Nicken legte Time das Schwert beiseite und beide krempelten sie sich die Hemdsärmel hoch um mit dem Abwasch zu beginnen. Alice grinste siegesgewiss. Dem Kater klappte die Kinnlade nach unten.
 

„Irgendwie scheint mir hier jeder bei dieser Frage auszuweichen. Aber ich will es wissen verdammt!“ Wie eine Besessene schnibbelte Alice die Zutaten für den Eintopf in Würfel. Sie war unglaublich schnell dabei. Die Dämonenzwillinge wuschen eifrig das Geschirr, amüsierten sich zwischendurch über die verschiedenen Käfer und Würmer, die sie dabei ertränkten und bespritzen sich gegenseitig quietschend mit Schmutzwasser und Schaum. Als Alice nun zu Sprechen begonnen hatte, lauschten sie neugierig. Toulouse, der anstatt zu helfen nur sein Fell geputzt hatte, schielte ungläubig zu den beiden rüber. Es konnte doch nicht sein, dass dieses Mädchen erst einen Tag hier war und die beiden schon gebändigt hatte. Na ja er hatte ihr schließlich geholfen. Allein hätte sie es niemals schaffen können.

„Wer sind SIE?“, platzte Alice nun heraus. „Keine Ausflüchte! Ich will es wissen! Schließlich haben die wahrscheinlich einige meiner Klassenkameradinnen auf dem Gewissen.“

Der Kater seufzte. Er hatte diese Frage am Tag zuvor absichtlich übergangen. Die Zwillinge legten bereits los.

„Du bist ihnen nicht begegnet? Dann hast du aber Glück gehabt“, sagte Time.

„SIE sind wir. Na ja nicht genau wir, aber unseresgleichen“, setzte Clock fort.

Als er Alice’ fragendes Gesicht sah, sprang Toulouse seufzend auf den Küchentisch um besser gesehen zu werden.

„So wie es nicht nur gute Menschen gibt, gibt es von jeder Art Leute, die es freut Anderen Leid zuzufügen. Bei manchen Arten überwiegen diese auch. Aber das ist nicht der einzige Grund. Viele fürchten die Menschen. Sie führen die in den Wald Eingedrungenen absichtlich in die Irre oder gleich zu den Vampiren. Die sind es nämlich, welche die sogenannten ‚Warnschilder’ aufhängen.“

„Deine ehemaligen Klassenkameradinnen“, fügten die Zwillinge hinzu.

„Aber… Victor hat mich nicht aufgehängt“, gab Alice zu bedenken. Der Kater wunderte sich, dass sie der Tod der Mädchen, die sie offensichtlich kannte, nicht weiter erschütterte. Dennoch erklärte er weiter.

„Hast du schon vergessen, was ich dir heut Morgen erzählte?“

„Die Ausgestoßenensache?“, erkundigte sich das Mädchen woraufhin Toulouse nickte und mit den Ohren zuckte.

„Er hat keinen Grund mehr sich den Regeln des Clans zu fügen. Ich weiß allerdings nicht ob er dir wirklich helfen oder es dem Clan heimzahlen wollte. Wahrscheinlich beides, so wie ich ihn einschätze.“

„Wir warnen dich lieber vor! Wenn du dich weigerst ihm Blut zu spenden, dann wird er dich sicher doch im Wald allein lassen. Dann dürften wir dich auch als Spielzeug haben~“ Dieser Gedanken schien den Dämonen ja ziemlich zu gefallen…

„Warum wurde er ausgestoßen? Und was ist mit euch… Oh…Tut mir leid ich… wollte nicht so direkt fragen.“ Ziemlich taktlos. Sie wollte ja auch nicht jedem ihr trauriges Leben erzählen. Manche Erinnerungen blieben besser verschlossen.

„Es geht dich auch überhaupt nichts an Mensch. Was machst du überhaupt hier in meiner Küche? Und wieso waschen die beiden da ab?!“ Es schien in Killians Natur zu liegen, unfreundlich zu sein. Das Wort ‚Mensch’ spuckte er aus wie ein Stück Dreck. Wieder kam er Alice bedrohlich nah.

„DEINE Küche?“ Das Mädchen begann ein wenig hysterisch zu lachen, was die Zwillinge zu begeistern schien. „Dann hab ich dir mal was zu sagen Mister Supermodell: Das hier ist ein Saustall! Was wolltest du hier züchten, eine Käferfarm?! Hier kann doch niemand kochen, ohne dass sich jemand eine Lebensmittelvergiftung zuzieht. Sei froh, dass ich jetzt hier bin und den Laden etwas aufpoliere. So. Möchtest du auch Eintopf?“ Sie war nach ihrer Strafpredigt, während der sie mit dem Kochlöffel auf ihn gezeigt hatte, wieder dabei Kartoffeln zu würfeln.

Toulouse’ Schwanz zuckte belustigt und die Zwillinge kugelten sich vor Lachen. Killian allerdings schien zu brodeln. „Wenn du unverschämte Rotzgöre nicht unter Victors Fittichen stehen würdest, würde ich dir nun die Gedärme aufschlitzen, nur damit du’s weißt hässliche Pute.“

Das hatte sie ja wohl nicht wirklich gehört?! „Was kuscht ihr nur alle so vor diesem Schnulzentyp? Und ich bin nicht hässlich!“

Bevor Killian sie anbrüllen konnte, erhob der Kater das Wort.

„Nun, wir kuschen nicht. Wir sind ihm mehr als dankbar. Ohne ihn würden die meisten von uns nicht mehr leben… beziehungsweise existieren.“

Schweigen.

„Ach macht doch was ihr wollt. Wehe es geht was kaputt!“ Vor sich hin fluchend, machte sich das Model davon. Was war denn das gewesen? Alice verstand diesen Kerl nicht. Sie sah sich nach den anderen um. Die Dämonenbrut trocknete, den Blick abgewandt, das Geschirr. Der schwarze Kater sprang nun vor Alice auf die Ablage, direkt neben die Kartoffeln.

„Er ist uns allen sehr wichtig. Für ihn würde jeder hier seine Hand, Klaue, Pfote was auch immer, ins Feuer halten. Auch wenn es nicht jeder zugeben würde.“

„…Toulouse?“, fragte Alice nach ein paar Sekunden woraufhin dieser fragend den Blick hob.

„Außer Blut… was isst oder trinkt Victor gern?“

„Pudding“, kam die prompte Antwort von dem Angesprochenen sowie den Zwillingen.

„Und kannst du mir sagen wo ich Killians Zimmer finde?“
 

Den Rest des Tages verbrachte Alice mit Putzen, Kochen, Backen und Essen. Wobei sie sich mehrmals über die Essgewohnheiten der Dämonenzwillinge und deren Themen am Esstisch beschwerte.

Am Abend fand Killian ein Tablett mit einer Schüssel Eintopf vor seinem Zimmer, grunzte abfällig und schlug die Tür hinter sich zu. Nach zwei Minuten holte er das Tablett dann doch rein.

Erin, die das ganze unauffällig beobachtet hatte, lächelte in sich hinein und freute sich auf die kommende Zeit, die einige Veränderungen versprach.

Victor schließlich erwachte mit dem Duft von Vanillepudding in der Nase.

Kapitel 3

Er fand die Schale voller Pudding direkt auf dem Küchentisch. Sie duftete verführerisch, sodass Victor in Null Komma Nichts einen Löffel zur Hand hatte und an den Tisch trat. Als er nach der Schüssel greifen wollte, fiel das Netz auf ihn herab.

„W-was zum?!“

„So einfach ist es also einen Vampir zu fangen“, meinte Alice triumphierend und trat ebenfalls in die Küche. Nun bemerkte Victor auch die Zwillinge, die anscheinend das Netz geworfen hatten.

„Tut uns leid Victor“, sprachen sie im Chor, „aber sie sagte, wenn wir dich nicht fangen, dann bekommen wir nichts von dem Pudding ab.“

Hatte dieses Mädchen wirklich Time und Clock gezähmt?!

„Könntest du mir sagen womit ich das hier verdient habe?“ Der Vampir zeigte auf das Netz. Verdammt, der Pudding hatte sein noch verschlafenes Hirn so zugenebelt, dass er ihren Geruch überhaupt nicht bemerkt hatte.

„Na du sollst mir nicht weglaufen. Ich hab da noch offene Fragen, mein lieber Vermieter.“
 

Kurze Zeit später saßen sie um den Tisch, die Zwillinge und Victor am Puddingfuttern während Alice den Vampir fokussierte.

„Sag mal… Wie hast du dir das eigentlich gedacht?“

„Was gedacht?“, wollte Victor den Mund voller Vanillepudding wissen.

„Na das mit dem ‚Blutspenden’? Um genau zu sein: Wie oft? Wann? Wie viel?“

Widerstrebend ließ Victor seinen Löffel sinken und wischte sich einen Puddingklecks von den Lippen. Alice versuchte nicht zu sehr hinzustarren.

„Nun das ist so: Etwa jeden dritten Tag sollte ich ein bisschen Blut bekommen. Normalerweise komme ich da auch dran. Du musst wissen, dass ich Arzt bin. Im Krankenhaus kann ich mir immer unbemerkt ein bisschen was schmuggeln. Problematisch wird es nur, wenn ich Urlaub habe, mir nichts beschaffen konnte, warum auch immer… oder so geschwächt bin, dass das Krankenhausblut nicht ausreicht. Und da kommst du ins Spiel.“

„Du solltest wissen, dass er ungefähr zweimal die Woche völlig ramponiert nach Hause stolpert.“ Die Zwillinge kicherten.

„Das bedeutet ich werde des Öfteren gebraucht? Sag mal wie hast du eigentlich bisher überlebt?“ Das Mädchen konnte sich einen missbilligenden Blick nicht verkneifen.

Die Dämonenbrut kicherte nun ein Level höher. „Na jetzt bin ich aber gespannt.“

„K-killian…“ Victor versuchte erfolglos nicht rot anzulaufen. Sofort hatte Alice ein filmreiches Bild vor Augen wie zwei wirklich gut aussehende Typen…

„Ich seh’ dir genau an was du denkst!“, begehrte Victor auf. „Lass das gefälligst! .... Gut, hör zu. Es wird nicht lebensbedrohlich für dich, da ich mich unter Kontrolle habe. Viel wichtiger ist jetzt eigentlich auch, dass ich dir ein bisschen mehr über dieses Haus erkläre. Wer hier lebt, wovor du dich in Acht nehmen musst und so weiter.“

Da Alice ihn nur neugierig musterte, beschloss Victor einfach loszulegen. Was Toulouse ihr schon erzählt hatte, wusste er bereits, da der Kater ihm auf dem Flur begegnet war. Offensichtlich fand er seinen neuen Job nicht schlecht, hatte er doch belustigt mit der Schwanzspitze gezuckt, während er erzählt hatte. Die Aufgabe des Schattenkaters bestand ab jetzt darin, auf ihre neue Mitbewohnerin Acht zu geben.

„Du kennst nur zwei Bewohner des Hauses noch nicht. Meinen Bruder Vincent und Coraline. Letztere ist eine Asrai. Sie wohnt allerdings im Garten in einem See und kommt uns nur besuchen, wenn es regnet. Du musst wissen, dass sie es nicht überleben würde längere Zeit trocken zu sein. Im Gegensatz zu ihren Artgenossinnen kann sie sich allerdings tagsüber über Wasser aufhalten. Ich denke, wenn du sie mal besuchst, wird sie dir gern mehr über sich erzählen. Vincent ist nicht sehr glücklich darüber, dass du hier bist. Er wird dich aber dulden, keine Sorge.

Egmont, den du schon kennst, kannst du gern besuchen. Dass du das Zusammentreffen mit Mouse überlebt hast, ist ein Zeichen dafür, dass du dich auch gern mit ihm unterhalten kannst. Und die Zwillinge hast du anscheinend auf deiner Seite. Du bist dementsprechend vor eventuellen Hinterhalten geschützt.“

„Aber nur, weil sie uns bekochen will!“, stellte die Dämonenbrut die Fronten klar.

„Übrigens Respekt, dass du diese Küche so auf Vordermann gebracht hast. Wurde Zeit. Ich wüsste nicht was sich hier sonst so entwickelt hätte…“ Er verzog angeekelt das Gesicht, Alice wurde ein bisschen rot, da sie sich geschmeichelt fühlte.

„Erzähl ihr jetzt von Sophia und Will!“, forderte Clock aufgeregt.

„Dann muss er ihr aber auch von Falken und all den anderen erzählen.“ Nachdem Time diesen Namen genannt hatte, war Clock nicht mehr so begeistert.

Alice konnte sich bereits denken, dass sie nun mehr über die anderen Wesen dieses Waldes erfahren würde.

„Ich sagte dir ja bereits, dass du das Herrenhaus nicht ohne einen von uns verlassen darfst. Nicht mal den Garten solltest du allein betreten!“ Der Vampir sprach richtig eindringlich, blickte Alice fest in die Augen, sodass diese nicht anders konnte als zu nicken. „Gut. Ich will nicht wissen, was sie ansonsten mir dir anstellen würden. Begegnen wirst du ihnen trotzdem recht schnell. Besonders Sophia und William, zwei Vampire, besuchen uns häufig… Falken ist der mächtigste Leshi im Wald. Demnach sehr gefährlich. Und es gibt noch andere, die uns hassen. Du wirst nach und nach mehr über den Wald erfahren. Aber vorerst reicht die Aussage: Bleib im Haus, öffne kein Fenster, wenn du allein bist und öffne vor allem keinem die Tür!“

„Ist ja gut , ist ja gut.“ Beschwichtigend hob Alice die Hände. „Ich werde brav drin bleiben und kochen. Ich find’ mich schon zu recht keine Sorge.“ Sie lächelte, was Wirkung zeigte, da Victor sich wieder etwas beruhigte und seinen Pudding weiterlöffelte.

Offenbar würde es spannend werden.
 

Zwei Stunden später, als Alice gerade ihr Zimmer genauer inspizierte (sie durchwühlte alle Schubladen und Türen, fand jedoch bisher nichts spannendes), wurde es turbulent in der Halle. Das laute Klirren war nicht zu überhören.

Neugierig geworden, schlich Alice sich auf den Flur und lugte über das Geländer.

Eines der höhergelegenen Fenster war zerstört, die Scherben überall auf dem Hallenboden verstreut. Die Schuldigen standen in einer beinahe bedrohlichen Haltung im Haus, der Eine mit verschränkten Armen, die Andere eine Hand trichterförmig an den Mund gelegt und trällernd: „Kommt raus, kommt raus wo immer ihr auch seit. Wir wissen, dass ihr Besuch habt! Gebt sie uns mit und wir machen keinen Ärger.“

Auweia, die wollten sie, dachte Alice zähneknirschend. Sie waren eindeutig auch Vampire, denn sie konnte die spitzen Eckzähne der Frau erkennen. Und das betörende Äußere war ebenfalls verräterisch. Waren das die beiden, die Victor erwähnt hatte?

Besagter war allerdings auf Nachtschicht im Krankenhaus und somit nicht der, hinter dessen Rücken Alice sich hätte verstecken können.

„Haut ab!“ Killian war mürrisch und mit zerzaustem Haarschopf aus seinem Zimmer getreten, was vielleicht hieß, dass sein Rücken als Ersatz dienen konnte. „Ich hab morgen ein Shooting in aller Früh und wenn ich da mit Augenringen auftauche, bekommt ihr es mit mir zu tun!“

„Tu nicht so mutig! Wir wissen genau, dass du dir vor Angst in die-“, begann die Vampirin zu provozieren, wurde jedoch von den Zwillingen unterbrochen, die sich den Spaß wohl nicht nehmen lassen wollten, die beiden Eindringlinge mit einer Wasserbombe, gebaut aus einem aufgeblasenen Froschleichnam, zu befeuern. Die Bombe traf die Vampirin ins Decolté, wo sie sofort zerplatzte. Mit einem fast rasendem Blick, wollte die Getroffene auf die Dämonenbrut zustapfen, wurde aber von ihrem Gefährten aufgehalten. Mit einem einzigen 'Schluss', blieb sie wie angewurzelt stehen, schnaubte verärgert und sammelte die Froschfetzten auf ihr ein.

Der Vampirtyp begann seinen ersten Satz, dessen tief gegrollte Worte Alice durch und durch erschauern ließen vor Unbehagen. „Zeig dich Mädchen und du darfst weiterleben.“
 

Als Alice noch überlegte ob sie es wagen konnte sich zu zeigen und zu Killian rüberschielte, der tatsächlich ein wenig ängstlich wirkte, auch wenn er mit einer stolzen Miene versuchte dies zu überdecken, vernahm sie die unheilvollen Stimme des Fremden noch einmal. Diesmal war sie gebieterisch.

„Du kommst hierher. Andernfalls sehe ich mich gezwungen dich von dort oben mit Gewalt zu holen.“

Alice wusste, dass sie keine Wahl hatte. Was sie nicht verstand war, warum ihr keiner half. War keiner da? Aber was war mit Killian und den Zwillingen? Hatten sie alle solche Angst?

Seufzend und mit etwas zittrigen Knien, stolzierte sie ziemlich ungeschickt die Treppe hinunter. Dafür hatte sie an Killian vorbeigemusst, dessen Hand kurz gezuckt hatte, so als wolle er sie aufhalten, traue sich aber nicht.

„Wieso haben sie dich aufgenommen?“, fragte der Vampir, nun schon normaler im Tonfall.

Alice versuchte ihre Stimme nicht zittern zu lassen, was ihr auch ganz gut gelang. „Ich koche und Victor bekommt Blut von mir.“

Die Vampirin schnaubte belustigt und flüsterte ihrem Begleiter grinsend etwas ins Ohr.

„Das kann nicht alles sein“, entschied dieser.

„Ist es aber! Was wollt ihr von mir? Wenn ihr nur blöde Fragen stellen wollt, verzieht euch.“ Sie redete als würde sie lediglich ihren Mitbewohnerinnen gegenüberstehen. Um sich selbst etwas Mut zu machen. „Ich will nicht, dass ihr hier meinetwegen rumkrakehlt! Dann bin ich nachher noch Schuld und darf alles aufräumen oder werde wieder rausgeworfen oder die Zwillinge dürfen irgendwas an mir ausprobieren oder-“

„Ruhe! Was bildest du dir eigentlich ein, Mensch? Wir hatten doch sowieso vor sie zu töten Will. Warum nicht sofort? Sie nervt.“ Zu Alice´ Bestürzung nickte William, (ihr waren die vollständigen Namen wieder eingefallen, die Victor genannt hatte) auf die Frage von Sophia hin, welche sich zum Sprung bereit machte. Alice wich einen Schritt zurück. „Das ist keine nette Begrüßung für das erste Treffen!“, rief sie verzweifelt, die Hände abwehrend erhoben und ging noch einen Schritt rückwärts. Dabei stieß sie mit dem Rücken an etwas kaltes, weiches. Ein Blick zur Seite verriet, dass es sich um einen dunklen Filzmantel handelte. Einen Mantel, den sie bereits kannte und in dem jemand steckte, dem sie bereits begegnet war.

Mouse´ bitterkalte Stimme flüsterte direkt hinter ihr vor sich hin, aber die Vampire hörten ihn trotzdem. „Verschwindet.“

Wie zuvor bei William, machte auch dieses eine Wort mächtig Eindruck auf alle umstehenden. Alice fühlte sich als würde ihr des Herz mit einer eiskalten Hand zusammengedrückt und die Eindringlinge machte knurrend kehrt. Sie verschwanden wieder in die Nacht, allerdings nicht ohne ein heiles Fenster zur Flucht zu nehmen und somit noch mehr Scherben zu hinterlassen. Wahrscheinlich wollten sie wenigstens etwas Schaden anrichten...

„Das war noch nicht alles Göre!“, rief Sophia durch die Nacht.
 

Mouse Hand pattete Alice´ Kopf, bevor er sich mit raschelndem Mantel zum Gehen wendete.

„Danke!“, rief die Gerettete. „Du hast mir, glaub ich, gerade das Leben gerettet. Und ich hab mich noch gar nicht richtig bei dir vorgestellt.“

„Das ist nicht nötig. Ich weiß bereits alles was ich von dir wissen muss. Dein Herz hat es mir verraten.“

„A-aber-“ Mein Gott, dass war vielleicht gruselig. „Ich weiß ja kaum etwas über dich. Und wir wohnen doch ab jetzt zusammen, da sollten wir uns doch ein wenig kennen. Magst du Pudding?“, versuchte Alice es mit Konversation.

„Ich bevorzuge eine andere Art von Nahrung.“

„Ich koche sie dir gerne!“ Es entstand eine kurze Pause, in der Alice sich fragte ob Mouse darüber nachdachte ob er ihr nun erzählen sollte, dass er Mädchenfleisch bevorzugte oder nicht.

„Kennst du dich mit Schweinefleisch- und Schmalz aus?“

„Aber ja! Und ich üb auch gern noch mehr ein als ich schon weiß! Dafür bin ich nämlich jetzt hier zuständig. Und ich will ja, dass ihr alle auf eure Kosten kommt. Du kannst mir alles aufzählen, was du gerne isst und ich werde es zubereiten! Welcher Tag ist dein Lieblingstag? Dann gibt es da immer dein Lieblingessen Abends. Oder Mittags. Oder morgens, egal!“ Sie hatte sich richtig in Rage geredet, was sie jetzt schon etwas bereute, hörte aber, wie der Korred (sie war stolz sich den Begriff gemerkt zu haben) leise lachte.

„Mittwoch“, flüsterte er und verschwand.
 

„Geh ins Bett und schlaf!“, vernahm Alice die eingeschnappte Stimme Killians, der seine Zimmertür hinter sich zuknallte sodass das Mädchen zusammenzuckte. Ein bisschen mehr Erleichterung hätte er schon zeigen können!

Eine kleine Hand schob sich in die ihrige. Es war Time. Oder Clock? Einer der Zwillinge eben. Der andere daneben. Verwundert blinzelnd, vermochte sie nicht darauf zu reagieren, denn Zuneigung hatte sie nun wirklich nicht erwartet.

„Wir bringen dich ins Bett.“

„Und halten Wache!“

„Und dann petzten wir das Victor!“

„Und Vincent!“

„Und nächstes Mal werfen wir eine Schlange!“

„Und einen Skorpion!“

Alice, gerührt von soviel kindlicher Liebe, ließ sich in Richtung ihres Zimmers geleiten.

„Schlaf gut“, meinte die Zwillinge lächelnd. „Niemand nimmt uns unser neues Spielzeug weg.“ Die Tür viel zu und Alice war allein in ihrem Zimmer. Das mit der kindlichen Liebe nahm sie schaudernd zurück.

Kapitel 4

Sie hatte kaum schlafen können, da sie ständig befürchtete die Vampire würden zurückkehren. Diesmal in ihrem Zimmer wo sie ganz allein war. Auch wenn die Zwillinge draußen Wache hielten, würden die beiden sie schützen können? Wahrscheinlich eher nicht wo sie doch vorhin nicht mal aus dem Schatten getreten waren, als Sophia sich zum Sprung bereit machte.

Alice lag mit offenen Augen auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Sie zählte die dort abgebildeten Sterne um müde zu werden- es gelang ihr aber nicht. Immer wieder wanderte ihr Blick zum Fenster, hinter dem es stockdunkel war. Hatten dort nicht gerade zwei Paare roter Augen aufgeblitzt?

Leise aufquietschend, zog sie die Bettdecke bis unter ihre Nasenspitze. Wo waren nur alle? Was war mit Toulouse oder der Geisterfrau Erin? Was mit dem schweigsamen Bergtroll oder diesem Vincent, dem sie noch nicht begegnet war! Vielleicht wollten sie gar keinen Menschen hier haben. Vielleicht war all die Nettigkeit gespielt. Die Bedrohung, die von den Zwillingen ausging war aber ganz sicher echt...

Da Alice sowieso nicht schlafen konnte, beschloss sie nun das Licht anzuknipsen, sich die Bücher durchzusehen, die in ihrem Zimmer standen und hoffentlich etwas mehr über die Bewohner des Hauses zu erfahren. Das Mädchen hatte noch so viele Fragen, von denen ihr manche offenbar nicht beantwortet werden wollten.
 

Recht schnell zog sie einen dicken Wälzer heraus, der den Titel: 'Enzyklopädie der Naturgeister' trug. Die Seiten waren so dünn wie bei einer Bibel und trotzdem war das Buch bestimmt zehn Zentimeter dick. Als erstes schlug sie Korred nach, denn diesen Begriff hatte sie sich gemerkt und bevor Toulouse in erwähnt hatte, noch nie gehört. Der Kater hatte ein klein wenig erzählt nachdem sie gefragt hatte. Aber bestimmt war das nicht alles gewesen.

Und tatsächlich stand etwas über ihn auf Seite 2054:

Korred (Sammelbezeichnung für Dolmen-Elben)

Sie leben ursprünglich in der Bretagne und bevorzugen Höhlen als Behausung, die sich meistens unter Dolmen befinden. Man findet sie auch in den Pyrenäen und in Cornwall.

Korred besitzen magische und Prophetische Fähigkeiten.

Ihr größtes Vergnügen ist es zu tanzen, dass das Gras unter ihren Füßen verdorrt.

Mittwoch ist bei ihnen ein Feiertag, der mit rauschenden Festen durch gefeiert wird. Die

Menschen, die sie tanzend erblicken, bekommen, sofern sie eine Frau sind, ein Kind, das einem Mann aus ihrem Dorf/ ihrer Stadt ähnelt, der nicht der Vater sein kann. Sofern es sich um einen Mann handelt, wird dieser gezwungen bis zum Tod durch Erschöpfung zu tanzen, was die Korred fürchterlich amüsiert.
 

Kennzeichen:

Die Größe variiert je nach Umgebung. Korred sind bucklig, schwarzhäutig und haarig, ihre Augen von tiefem Rot. Sie haben Katzentatzen und Ziegenhufe.

Sie sprechen stets brüchig und dumpf, lachen aber schallend laut.

Eine neue Mode bei ihnen ist es, ihr Haar unter breit krempigen Hüten zu tragen.
 

Anschließend wurden noch diverse Bezeichnungen der verschiedenen Arten genannt.
 

Darüber musste Alice erst einmal nachdenken. Mouse´ komplette Gestalt hatte sie noch nicht gesehen, aber die Hand, die ihren Kopf gepattet hatte, hatte sich nicht angefühlt wie eine Tatze. Gut, größer und kälter als die Hand eines Menschen, aber wirklich nicht wie eine Pfote!

Und seine Art zu gehen war immer so fließend und leise, sie hörte ihn nie! Dann konnte er doch auch keine Ziegenhufe haben. Oder schwebte er? Sein Umhang war bodenlang also konnte sie das nicht genau sagen. Das mit dem Hut stimmte, was bedeutete, bei Mouse handelte es sich um einen Korred, der sehr modebewusst war. Allerdings wusste sie nicht, wann das Buch gedruckt worden war, denn ein entsprechendes Datum war nicht darin zu finden.

Was Alice jedoch am seltsamsten fand war die Tatsache, dass Mouse TANZEN sollte. Das konnte sie sich nun beim besten Willen nicht vorstellen. Sehen wollte sie es aber auch nicht, weil sie befürchtete dann ein Baby zu haben, dass Kartoffelgesicht Knut aus ihrem Dorf ähnelte.

Neugierig geworden was über die anderen im Buch stand, kuschelte sie sich ins Bett und las weiter, die Angst war vergessen.
 

Lauru

Herkunft: Italien

Der Lauru hat stets einen perfekten Körperbau, schwarze vor Lebensfreude sprühende Augen, langes gelocktes Haar und eine elegante Garderobe.

Hausarbeit ist ihm zu wider, dafür liebt er die Frauen, ist ein Charmeur und Nachtschwärmer.

Frauen, die ihn zurückweisen, verfolgt er in ihren Alpträumen.

Abwehren kann man ihn dann mit Stier- oder Widderhörnern über Tür oder Bett.
 

Kennzeichen:

Neben den oben genannten Merkmalen eine rote Mütze, oft eine Größe von nicht mehr als zwei Fuß.
 

Auch hier passte nicht alles, voran die Größe. Warum?

Erst jetzt, wo sie beinahe einschlief, fiel ihrem trägen Gehirn ein, dass doch jeder hier, sie eingenommen, Sonderfälle waren. Und das schien sich hier nicht nur auf das Innere zu beziehen.

Sie musste mal mit Killian sprechen... und sich.... sie gähnte... Stierhörner besorgen....

Dann war sie eingeschlafen.
 

An diesem Morgen regnete es Bindfäden. Müde rieb sich Alice ihre Augen und trottete ins Bad. Im Flur stolperte sie nicht über die Zwillinge. Die beiden hatten es wohl doch nicht ausgehalten die ganze Nacht vor ihrem Zimmer auszuharren.

Gut gelaunt kam sie etwas später aus dem Badezimmer und stieg die Treppe in der Halle hinab.

Heute wollte sie Frühstück machen.

Ein Frösteln ließ sie innehalten. Es zog hier beträchtlich. Erst jetzt fielen ihr die Ereignisse des gestrigen Abends wieder ein. Die Fenster waren noch immer kaputt, allerdings hatte jemand die Scherben beseitigt. Am Fensterrahmen klebten längliche Zettel mit Gekritzel darauf, die Alice musterte. Sich fragend, welchen Sinn es machte um ein Loch herum Geschmiere zu befestigen. Vielleicht waren die Vampire doch zurückgekehrt und es waren Warnungen an sie. Oder die Dämonenbrut hatte Beschimpfungen aufgeschrieben um ihre Feinde zu ärgern.

„Das sind Bannzettel.“

Sie fuhr herum. Ein paar Treppenstufen weiter oben hockte Toulouse, sich die Pfoten putzend.

„Sie hindern viele unserer Nachbarn daran einfach hier herein zu kommen. Unser Schutzbann ist nun geschwächt da die Fenster zerbrochen sind.“

Hatte eigentlich jeder hier die Angewohnheit plötzlich irgendwo aufzutauchen?

„Es tut mir Leid, dass ihr wegen mir nun solche Probleme habt“, entschuldigte sich Alice.

Der Kater schüttelte kurz den Kopf. „Victor hat gewusst, was es auslösen würde dich aufzunehmen. Und er hat es trotzdem getan also folgen wir seiner Einschätzung der Lage und gehen davon aus, dass er richtig liegt.“

„Ist das nicht... ein bisschen naiv?“

„Vielleicht.“ Der Kater hüpfte geschickt auf das Treppengeländer und rutschte nach unten. Dort kam er behutsam auf den Fliesen auf und schlug den Weg Richtung Tür ein.

Die Antwort reichte Alice eigentlich nicht. Aber ihr war sowieso etwas anderes momentan wichtiger. „Wo wart ihr gestern Abend alle?“

„Ich saß dort hinten.“ Seine Schwanzspitze zeigte auf das Regal direkt neben dem Punkt, an dem Alice gestern gestanden hatte als Sophia und William mit ihr gesprochen hatten. Ungläubig blinzelnd starrte sie nun zu dem Kater.

„Ich bin ein Schattenkater. Wir werden mit Leichtigkeit von euch Menschen übersehen, wenn wir es wollen. Ich sah Mouse und somit keinen Grund einzugreifen. Erin schwebte übrigens über euch.“

„Wussten die Vampire das?“

„Natürlich.“

„Und warum hat hier jeder so Schiss vor denen?“

Es klopfte an der Eingangstür, was Alice einen Schritt von ihr weichen ließ.

„Würdest du bitte die Tür öffnen?“ Der Kater blickte sie erwartungsvoll an. Es dauerte aber einen Moment bis das Mädchen realisiert hatte was er von ihr wollte.

„Du... bist sicher, dass ICH diese Tür nach DRAUßEN öffnen soll?“ Er nickte nur.

Nach kurzem Zögern ergriff sie also den Türknauf, drehte und zog schnell daran. Fast gleichzeitig machte sie einen hastigen Schritt zur Seite um nicht genau in der Schusslinie zu stehen, erst dann wagte sie einen Blick.

Kapitel 5

Vor der Tür stand ein kleines Mädchen mit grünlichen Locken, die sich um ihren Kopf kräuselten als wäre sie eine Pusteblume. Alice schätze sie auf etwa 12 Jahre. Ihr Hände versteckte das Mädchen schüchtern hinter ihrem Rücken und auch ihre Haltung, eingesunken und nervös, strahlte Zurückhaltung aus. Obwohl es draußen recht kühl war aufgrund des Sauwetters, trug sie lediglich ein durchnässtes langes Hemdchen und ging Barfuß- Genauer gesagt: „Du hast Flossen an den Füßen“, gab Alice geistreich von sich. Als sie Toulouses belustigtes Schnurren hörte, löste sie sich aus ihrer Starre und blickte dem Mädchen zum ersten Mal in die blauen Augen, die so wirkten als schaue sie direkt in einen See. „Ähm... Ich bin Alice, guten Tag. K-komm doch rein?“ Zögernd trat Alice einen Schritt zur Seite.

„Ich kann nicht“, flüsterte das Mädchen, „aber ich wollte dich unbedingt kennen lernen. Ich bin Coraline.“ Schüchtern wackelte sie ein bisschen hin und her, schien unschlüssig was sie nun tun sollte.

Nun viel es Alice wieder ein. „Du bist die, die nur bei Regen hierher kommen kann oder? Da war irgendwas mit einem See, in dem du lebst. Aber du kannst doch nun nicht die ganze Zeit hier draußen stehen bleiben... Was ist, wenn die Vampire zurückkommen oder andere schreckliche Wesen, von denen mir noch nicht erzählt wurde. Oder noch schlimmer: Meine Hausdame findet mich!“ Erschrocken darüber, dass ihr erst jetzt eingefallen war, dass, aller Vernunft entgegen, vielleicht doch jemand einen Suchtrupp losgeschickt haben könnte, wurde Alice Angst und Bange. Der Wald, der sowieso schon Gefahr und unheimliche Stille ausstrahlte, kam ihr nun vor wie eine tickende Zeitbombe. Irgendwas würde sie früher oder später hier finden. Es war für die Vampire ja auch kein Problem gewesen das Haus zu betreten. Waren Victor, Toulouse und die Anderen sich wirklich sicher, dass sie hier bleiben konnte? Oder brauchten ihre neuen Mitbewohner Alice gar für ein... ein Ritual oder eine Opferung?

Was war das denn nun? Warum bekam sie plötzlich solch eine Panik?

„Ich komme eigentlich immer durch das Küchenfenster und klettere in die Spüle wo ich mir dann ein Bad einlasse. Aber ich dachte ich würde dich vielleicht erschrecken“, murmelte Coraline auf Alice´ Frage hin und riss diese damit wieder aus ihren Gedanken. Die Panik ebbte wieder ab, verdrängt von dem entschuldigenden Lächeln Coralines, die, nebenbei bemerkt, ein ganz entzückendes Gesicht hatte. Sogar noch niedlicher als das der Dämonenzwillinge. Alice war durcheinander. Irgendwas stimmte mit dem Mädchen nicht.

„Wir lassen dich in der Küche rein“, beteiligte sich Toulouse nun auch endlich mal an dem Gespräch, bemerkte Alice ein wenig ärgerlich darüber, dass der Kater sie immer nur zu beobachten schien.
 

Ein paar Momente später befanden sich Alice und Toulouse dann auf dem Weg in die Küche.

„Du fragst dich jetzt sicher warum du so durcheinander bist, nicht wahr?“ Der Schattenkater musterte seien Begleitung amüsiert als sie nickte und sich an den Kopf fasste.

„Coraline ist eine Asrai. Sie verfügt über die Bürde Männern dermaßen den Kopf zu verdrehen, dass sie sie unbedingt besitzen müssen. Frauen und nicht menschlichen Wesen bereitet sie bloß Wechselbäder der Gefühle, die zwischen Angst, Freude, Hass und Zuneigung schwanken können. Sie weiß das und ist deswegen stets recht zurückhaltend. Wenn manchmal ihre eigenen Gefühle in Wallung gerieten, ist schon manch einer von uns einfach umgefallen.“

„Ihr seit schon ein seltsamer Haufen... Ich wusste eben gar nicht was mit mir passiert ist. Warum wurde sie ausgestoßen?“

„Normalerweise kann eine Asrai die Wasseroberfläche nur einmal in jedem Jahrhundert durchbrechen, wenn Vollmond ist. Sie wachsen auch nur in dieser einen Nacht, leben folglich sehr lang. Coraline kann aber ihren See verlassen wann immer es regnet. Sie kann an Land gehen und uns besuchen. Daraus folgt, dass sie auch schneller wächst und zwar in jeder verregneten Vollmondnacht. Das machte all ihre Artgenossinnen eifersüchtig und brutal ihr gegenüber. Sie lebt nun allein in einem See im Garten des Hauses.“

„Wie alt ist sie denn dann?“

„Etwa 100.“

Daraufhin klappte Alice die Kinnlade runter. Im selben Moment erreichten sie die Küche, in der die kleine Asrai lächelnd im Waschbecken saß und die Beine über den Rand baumeln ließ.
 

Alice briet gerade Speck und Spiegeleier als die Zwillinge ihre grauen Schöpfe zur Tür reinsteckten. Der Duft des Essens hatte sie sicher hervorgelockt. Sie begrüßten Coraline kurz wie Geschwister, die sich jeden Morgen sahen und setzten sich an den Tisch. „Hunger!“, war die klare Aufforderung an Alice, die gleich darauf einen Löffel nach ihnen warf und „Ihr wartet bis ich fertig bin!“, forderte. Das Besteck flog jedoch meilenweit an den Zwillingen vorbei und landete vor den Füßen von... von wem eigentlich?

„Oh“, entwich es Alice als sie in das mürrische Gesicht von Killian blickte. „Tschuldigung.“

Wie peinlich, dabei hatte sie sich doch vorgenommen in der Küche Ordnung zu halten.

Sie ignorierend und ohne den Löffel aufzuheben, stieg das Model einfach darüber hinweg und öffnete den Kühlschrank. Aus dem Augenwinkel sah Alice wie Coraline, die Zwillinge und Toulouse die Szene neugierig beobachteten. Die Asrai hatte aufgehört mit den Beinen zu wippen und das Kinn auf ihren Knien abgelegt.

Sich wieder Killian zuwendend, musste Alice mit einigem Entsetzten erblicken wie ebendieser eine Packung Milch nahm, sie öffnete und daraus trank.

„Hey! Kannst du kein Glas benutzen? Ich hab sie immerhin extra abgewaschen!“

„Stell dich nicht so an“, war seine einzige und Alice empörende Antwort.

„Sieh mal“, versuchte sie es auf die sanfte Tour, „ich bin hier der einzige Mensch und auch noch unwissend also solltest du es verstehen, dass ich nicht einfach so aus der selben Packung Milch trinke wie du. Denn ich muss befürchten mir irgendwas einzufangen, das mich tötet.“ Wenn das kein Argument war!

Killian jedoch zuckte die Schultern. „Dann lass es.“ Damit stellte er die Milch zurück und schloss den Kühlschrank wieder. Nun war klar, dass sie ihm egal war. Dass sie gestern den Eindruck hatte, er wolle sie zurückhalten als sie zu den Vampiren ging, stellte sich somit als Fehleinschätzung heraus. Beleidigt drehte Alice sich zur Pfanne, verteilte das Essen auf Teller und stellte diese dem Kater und der Dämonenbrut vor die Nase, die sich gleich darüber hermachten. Coraline, so hatte Alice erfahren, ernährte sich vegetarisch. Anscheinend liebte sie Seetang und Schilf. Ob es dafür wohl viele Rezepte gab?

Killian allerdings bekam nichts und Alice blickte ihn herausfordernd an.

„Wenn du glaubst, dass ich das esse, was du kochst dann hast du dich getäuscht, Mensch. Außerdem bin ich Model und muss auf meine Figur achten. Du gefährdest meine Karriere mit so einem Fraß.“

Alice holte tief Luft um das arrogante Individuum vor ihr auf Teufel komm raus zu beleidigen, stoppte aber als sie plötzlich merkte, wie sich eine ungewollte Ruhe in ihr ausbreitete.

„Sie hat einen Namen Killian... Ich glaube sie verdient es genau wie du hier freundlich aufgenommen zu werden“, flüsterte es vom Waschbecken aus. Coraline blinzelte durch ihre langen schwarzen Wimpern und machte so ein entzückend vorwurfsvolles Puppengesicht, dass es Alice sofort das Herz aufging. War das nun ihre realer Empfindung oder spielte ihr Coralines Aura einen Streich?

Man sah es Killian deutlich an, dass es ihm schwerfiel seine arrogante Haltung aufrecht zu erhalten. „Ich dulde sie in meinem Haus nur wegen Victor“, zischte er. „Meiner Meinung nach hat ein Mensch hier nichts verloren, ob verstoßen oder nicht, was wir doch nicht mal sicher wissen! Und wenn dieser Mensch mir dann auch noch Vorschriften machen will, dann braucht sich keiner zu wundern, wenn ich ihr-“

Obwohl Alice es gewohnt war, dass man in ihrem Beisein so über sie sprach, wurde sie immer kleiner. Bisher war es ihr egal gewesen, doch hier wollte sie gemocht werden. Dementsprechend erleichtert war sie als Killian stoppte. Über den Grund jedoch war sie erstaunt, denn die Zwillinge hatten ihre Mahlzeit unterbrochen und schienen mit ihren Blicken Löcher in Killians Stirn brennen zu wollen. „Alice ist unser Spielzeug“, begann Time „und wir wollen nicht, dass du so über sie redest“, beendete Clock den Satz.

Killian stand ruckartig auf, sodass er den Stuhl dabei fast umkippte, er musterte Alice mit ungeschminkter Wut, und stampfte aus der Küche.
 

Seufzend ließ sich das Mädchen auf einen Stuhl sinken. „Ist er immer so oder hab ich irgendwas gemacht? Ich geb zu das mit der Milch war vielleicht ein bisschen pingelig...“ Obwohl sie das eigentlich anders sah.

Sie zuckte leicht zusammen als Toulouse plötzlich neben ihr auf dem Tisch saß. „Es ist mir nicht ganz klar. Er hat einen schwierigen Charakter, aber normalerweise wird er nicht gleich so verletzend.“

„Das war lecker! Bekommen wir das jetzt jeden Tag?“, fragten Clock und Time im Gleichklang.

„Wie?“ Alice musste zuerst ihre Gedanken sortieren bevor sie antworten konnte. „Wenn ihr mögt.“

„Super!“

Sie lächelte über die beiden. Trotzdem bekam sie das schwere ziehen in ihrem Hals nicht los.

„William und Sophia waren hier“, bemerkte nun Coraline und schnitt damit ein neues Thema an, über das Alice sowieso noch hatte reden wollen und sofort auf das sie sofort einging: „Wie kamen sie hier rein? Ist euer Schutzbann denn so leicht zu durchbrechen? Und was wollten die genau?“

„Sie wollen keinen Mensch in ihrem Wald dulden. Sie verachten die Menschen...“, flüsterte Coraline. „Der Bann hält sie nicht auf, aber er schwächt sie. Es war riskant in das Haus zu kommen.“

„Dann wollen sie mit mir das Selbe machen wie mit all den anderen, die gefunden wurde? Mich an einen Baum nageln zum Beispiel? Aber warum verachten sie denn die Menschen?“

„Nun, Alice....“ Aufgrund von Toulouses schwerfälligem Tonfall, ahnte sie, dass nun eine längere und bedauernswerte Erzählung folgen würde.

„Es ist so, dass die Menschen jede Spezies nach und nach verdrängen. Ihr übernehmt die Welt als eine Selbstverständlichkeit, lasst außer Acht, dass sie nicht nur euch gehört und vergesst uns dann. Viele hassen euch deswegen und verteidigen die wenigen Plätze, an denen sie noch ungestört leben können, bis aufs Blut. Vor langer Zeit, als noch jeder wusste, dass wir existieren hattet ihr durch eine Religion die schlimmsten Ängste vor uns, tötet und verfolgtet uns. Ihr habt uns in Märchengeschichten verbannt. Und in Wälder wie diese hier. Viele Wesenheiten sind eigentlich stärker als die Menschen, kommen aber gegen ihre Technologien nicht an.

Heute könnt ihr nur ahnen wer wir sind, unsere Zufluchtsorte abschotten und euer engstirniges Leben weiterführen. Wir sind wenige geworden und es kommt immer wieder vor, dass es Genveränderten Nachwuchs gibt. Durch Inzest, aber auch durch Gifte und Abgase, Verstrahlung und nun ja... Vergewaltigung zwischen den Arten.“ Das Fazit war, dass solche dabei herauskamen wie die hier im Haus Lebenden. Aber obwohl es allen klar war, sprach es keiner aus. So herrschte eine Weile lang Stille bis Alice Mut fasste. „Toulouse? …Aber das wusste ich alles gar nicht, versteht ihr?“

„Ich weiß, dass du nun befürchtest wir würden dir die Schuld geben. Aber jeder von uns weiß, und das gilt auch für Killian, dass du aus einer Generation stammst, die nur die Last ihrer Vorfahren trägt. Keine Sorge Alice. Wir haben dich schon jetzt sehr gerne.“

Erleichtert und auch gerührt vermochte sie nur ein Lächeln und versank dann wieder in Schweigen. Was sie eben gehört hatte war ein Kapitel Geschichte, dass für sie immer im Dunkeln gelegen hatte. Wenn sie im Geschichtsunterricht gesessen und dem Lehrer ausnahmsweise mal zugehört hatte, war ihr mehr als einmal aufgefallen, dass nicht alles so aufging wie er es berichtete. Natürlich war es nicht offensichtlich, eher ein Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Wenn ihr erzählt wurde wie einige Städte entstanden waren, wie seltsame Kreaturen auf Bildern, in Stein gehauen und noch auf viele andere Arten und Weisen gefunden worden waren, wie ganze Horden von Gestalten verehrt und gefürchtet worden waren, dann hatte sie sich stets gefragt ob sich die Menschen wirklich alles hatten ausdenken können.

Und dann die verbotenen Gebiete. Es gab viele Erklärungen: Alte Kriegsmienen, die es zu gefährlich machten einen Fuß hinter die Sperrzonen zu setzten, wilde Tiere, geschützte Reservate, Jagdgebiete, Mörder, Verrückte und viele viele mehr.

Sie ahnte nun, dass sie hier auf etwas gestoßen war, das ihre Vorstellungen weit übertreffen, ihr Weltbild ändern würde. Und sie fragte sich erneut warum Victor sie hergebracht hatte.

Kapitel 6

Den Rest des Tages hatte Alice damit zugebracht mit den Zwillingen zu spielen und nachzudenken. Wobei spielen bei den beiden bedeutete, kleine Tiere zu quälen, die Alice ständig versuchte zu retten und dabei selber ins Visier der Dämonenbrut geriet, Fallen aufzustellen, deren Verstecke sie sich zu merken versuchte um nicht versehentlich hinein zu tappen und gefährliche sowie akrobatische Meisterleistungen zu vollbringen, wie im Handstand das Treppengeländer runter zu rutschen. Eigentlich war es für Alice mehr ein lebensbedrohliches Babysitten, nach dem sie unglaublich müde war und einfach nur ins Bett wollte.

Es gab aber jemanden, mit dem sie sich unbedingt noch unterhalten musste. Victor würde gleich aufstehen und dann, so hatte sie vor, würde sie ihn in die Mangel nehmen. Er war der Auslöser für das alles hier. Er hatte sie hergebracht, dabei aber so einige Details vergessen zu erwähnen.

Sie stand um 21 Uhr als es bereits dunkel wurde vor seiner Tür und wartete. Es dauerte auch nicht lange bis jemand kam. Allerdings nicht aus Victors Zimmer. Alice kannte ihn noch nicht, war sich aber dennoch sicher, dass sie es hier mit Vincent zu tun hatte, Victors Bruder.

Warum hatten die eigentlich so verdammt ähnliche Namen? Hätte sie die beiden nicht nacheinander kennengelernt, hätte sie sich die Namen auf keinen Fall gemerkt und sie ständig verwechselt.

Vincent sah seinem Bruder ähnlich, wirkte aber älter, etwa Dreißig. Gut sah auch er aus, was keinen mehr überraschen sollte. Er machte einen sehr wichtigen Gesichtsausdruck, ordnete gerade sein honigblondes Haar, das wahrscheinlich so lang war wie Victors. Aber er hatte es zurückgegelt weshalb Alice den Drang verspürte einmal kräftig hindurch zu wuscheln damit er nicht so schrecklich brav aussah. So erinnerte er sie an Draco Malfoy aus Harry Potter im ersten Teil, nur in größer natürlich. Außerdem trug er eine modische Nerdbrille in der Hand, was darauf schließen ließ, dass es sich um eine Lesebrille handelte. Er trug einen schwarzen Anzug und sah so schick darin aus, dass er wohl auf dem Weg zu einer Gala oder ähnlichem sein musste.

„Guten Abend“, sprach der Vampir seine neue Mitbewohnerin an und nickte ihr zu.

„Hallo“, antwortete diese, „ich bin Alice, freut mich dich kennen zu lernen.“ Er erweckte den Eindruck als sollte man mehr als höflich zu ihm sein. Und sie hatte das Gefühl er war eine wichtige Persönlichkeit. Wie Premierminister oder so.

Er stellte sich ihr nicht näher vor, was Alice nicht wunderte, denn entweder ging er davon aus, dass sie von ihm gehört hatte oder er hielt sich einfach für höher gestellt, was wohl stimmte, Alice aber dennoch ein wenig wütend machte.

„Du wartest auf Victor, nicht war?“ Allerdings wartete er nicht auf eine Antwort. „Er ist heute am frühen Abend bereits aufgebrochen. Heute hat er keinen Dienst im Krankenhaus, aber einen Dienst hat er dennoch.“

„Du meinst den Dienst, bei dem ich ihm begegnet bin? Den gefährlichen?“

Der Vampir nickte und ging bereits weiter. Offensichtlich hatte er sich nicht auf ein längeres Gespräch eingestellt. Alice aber wollte ihn noch nicht davonlassen.

„Warte mal“, sie lief ihm ein Stück hinterher, denn er war nicht stehen geblieben, „Ich wollte mich auch bei dir dafür bedanken, dass ich hier wohnen kann.“ Er brummte nur etwas Unverständliches. „Und ich wollte Victor etwas fragen, aber da er nun nicht hier ist frag ich einfach dich.“

Noch immer ging er weiter, wohl in der Annahme sie würde irgendwann aufgeben. Sicher hätte er sein Tempo als Vampir extrem beschleunigen können und sie mit spielender Leichtigkeit aufgehängt. Das machte Alice nachdenklich und gab ihr den Ansporn weiter zu reden. „Kannst du dir denken warum dein Bruder mich hierher gebracht hat? Ich meine... Es muss mehr dahinter stecken als einfach nur Schutz für mich und Blut für ihn.“

„Mein Bruder ist ein hoffnungslos weichherziger Idiot, der sich garantiert nicht mehr dabei gedacht hat!“ Sein Ton klang ziemlich harsch und ließ sie kurz stehenbleiben. Sie musste rennen um ihn erneut einzuholen. Niemand hatte bisher in solch harten Worten über ihren Retter geredet, nicht mal Killian. Jeder hier verdankte ihm einiges, aber das galt wohl nicht für seinen Bruder.

„Und ich sage dir: Er hat. Ich bin davon überzeugt.“ Alice ließ nicht so schnell locker.

„Du nimmst dich ein wenig zu wichtig, Mädchen. Deine Rolle hier ist die eines Blutvorrats und der Köchin. Du verlässt dieses Haus nicht und du stellst gefälligst nicht so viele Fragen.“ Der Vampir knurrte richtig mittlerweile.

„Noch ein Fan, na toll...“, seufzte Alice und dachte dabei an das italienische Supermodel, welches heute morgen so liebreizend zu ihr gewesen war. „Wie auch immer. Viel Erfolg bei was auch immer du heute Abend vorhast. Ich hoffe du bist nicht überall so unfreundlich, obwohl du wahrscheinlich einen Ball besuchst bei dem am Ende alle durch deine Hand sterben und dessen Blutbad morgen in allen Zeitungen steht. Der einzige Überlebende wird sich nur noch an eine unglaublich schreckliche Frisur erinnern können und du verschwindest im Wald um hierher zurück zu kommen und weiter gemein zu mir zu sein-“

„Von was faselst du da? Mach das du ins Bett kommst, Mensch.“

„Ach so, jetzt bin ich also kein Mädchen sondern nur noch ein Mensch! Na schönen Dank!“, rief Alice aus dem Fenster, aus dem Vincent gerade verschwunden war. Sie hatte den Eindruck er hatte die Tür benutzten wollen und war vor ihr geflüchtet. Sehr schön. Sie hatte seine Unfreundlichkeit als Herausforderung gesehen noch viel unfreundlicher zu sein. Auch, weil sie wegen Killian noch immer angefressen war. Zufrieden blickte sie in die Nacht hinaus. Bis ein Käuzchen schrie.

Durch den Schrei erschrocken, verschloss sie das Fenster hastig, zog die schweren Vorhänge davor und beeilte sich in ihr Zimmer zu kommen. Hier wurde man zwangsläufig paranoid.
 

Doch sie kam nicht weit. Gerade wollte sie an einer Ecke des Geländers abbiegen, da ging die große Eingangstür auf und jemand taumelte herein. Da sie erstmal davon ausging, dass es sich sowohl um Freund als auch um Feind handeln konnte, versteckte Alice sich wenig geschickt hinter einer Säule, die gerade mal zwei Drittel von ihr versteckte. Aber besser als nichts.

Wenig mutig spähte das Mädchen so nach unten, bereit jeden Moment zu flüchten. Was dort unten das Haus betreten hatte, sah tatsächlich gefährlich aus, aber das konnte auch an dem vielen Blut liegen, mit dem es besudelt war. Es war Victor.

Schön und gut, sie hatte genau ihn gesucht, aber nun war Alice sich nicht mehr so sicher ob er überhaupt ansprechbar war. Ihr Vermieter sah schlimmer aus als in der Nacht, in der er sie aufgelesen hatte. Wieder war seine Kleidung zerrissen, wieder war sie blutdurchtränkt und schmutzig. Nur konnte er sich diesmal kaum auf den Beinen halten, ließ sich auf die unterste Treppenstufe sinken und lehnte so mit dem Gesicht am Geländer, dass Alice sich sicher war, er würde schnell dessen ins Holz geschabte Muster auf der Wange haben.

Gerade als sie überlegte wen sie zu Hilfe holen konnte, denn offensichtlich benötigte Victor diese dringend, grub sich der Gedanke in ihrem Bewusstsein nach oben, dass sie genau deswegen hier war.

Sie hatten einen Pakt, sie und Victor, der Alice verpflichtete ihr Blut zu geben, wenn es ihm schlecht ging. Und gerade war es schwer zu übersehen, dass es ihm schlecht ging...

Sich mitleidig beseufzend, machte sie sich also auf den Weg zu ihm. Wenigstens konnte er ihr so nicht einfach weglaufen, wenn sie ihre Fragen stellte. Allerdings schien es gut möglich, dass der Gute ohnmächtig wurde, denn nun drohte er auch noch nach vorne auf die Marmorfliesen zu kippen. „Victor! Haltung!“, rief Alice und beschleunigte ihre Schritte. „Ich bin schon unterwegs...“

Bei ihm angekommen, hockte sie sich vor den mitleiderregenden Anblick eines Vampirs und schnippte ihm gegen die Stirn. Sein Mundwinkel zuckte leicht, was auch schon alles an Reaktion war. „Es ist ein Wunder, dass du es nach Hause geschafft hast. Hey! Mach die Augen auf! Ich weiß was ich dir schulde, aber dafür musst du zumindest halbwegs wach sein... Oder?“ Konnte ja sein, dass Vampire so was instinktiv konnten. Wäre ein lustiger, wenn auch beängstigender Gedanke so ein Vampirgebiss, dass von selbst losschnappte ohne das der Eigentümer darüber Kontrolle besaß.

Aber das war nicht der Fall. Ohne etwas zu erwidern und ohne jede Vorwarnung, zog Victor sie zu sich und biss zu. Vor Schreck vergaß Alice sogar aufzuschreien, weil es doch ziemlich schmerzte. Ihr Hoffnung bestand darin, dass er sich soweit im Griff hatte sie los zu lassen bevor sie zu viel Blut verlor.
 

Während Victor ihr Blut trank und während sich vor Alice' Wahrnehmung ein Nebel zu bilden schien, dachte sie mit leichtem Unwohlsein daran, WIE schlecht es ihm gehen musste, da er weder zu ihr gesprochen noch irgendeine richtige Reaktion gezeigt hatte, mal von dem Biss abgesehen. Was zum Teufel machte er denn da draußen, dass er alle paar Tage dermaßen zugerichtet war? Und warum? Wenn sie das herausbekam, würde sie dann auch wissen warum er sie hier untergebracht hatte?

Als auch ihre Gedanken träger wurden, beendete Victor sein blutiges Mahl, jedoch ohne sie los zu lassen. Er lehnte seinen Kopf an ihre Schulter.

„...Victor?“, piepte Alice.

„...Danke“, antwortete er ihr mit brüchiger Stimme und wollte aufstehen. Rechtzeitig fiel ihr wieder ein weswegen sie ihn gesucht hatte und hielt ihn fest, sodass er sie verwundert ansah. „Wir müssen ein Pflaster auf deine Wunde kleben damit sie aufhört zu bluten“, drängte er.

„Ich muss mit dir reden, ich hab Fragen und ich lasse dich nicht in Frieden ehe du sie mir beantwortet hast!“

Er sah perplex aus, nickte dann aber. „Dann komm mit in mein Zimmer, da habe ich einen Erste-Hilfe-Kasten und wir sind ungestört. Darf ich vielleicht vorher duschen?“

Sie war erleichtert, dass er wieder recht munter war und obwohl sie ihn nicht gerne aus den Augen ließ, weil sie befürchtete irgendwas könnte ihn davon abhalten mit ihr zu reden, stimmte sie zu. Er hatte auch etwas an sich, das er wirkte wie jemand zu dem man lieb sein wollte. Am Ende konnte auch er Gefühle beeinflussen wie Coraline, die nun wieder in ihrem See darauf wartete, dass es wieder regnete. Aber vielleicht lag es auch an dem Blutmangel.

Alice beschlich das Gefühl, dass sie ihm vertraute.

Und das war ungewöhnlich, denn normalerweise hatte sie allen, die sie nicht hasste, ein gesundes Misstrauen gegenüber. Verflucht.

Kapitel 7

Das Zimmer sah immernoch so aus wie vor wenigen Tagen als Alice darin erwacht war. Es lagen lediglich ein paar mehr Manga herum. „Red Fog, wie ich zu dir fand“, las Alice einen der Titel laut vor und schmunzelte. Es machte Victor nur noch sympathischer, dass er nun rot wurde. Er säuberte gerade ihre Wunden am Hals, die fast aufgehört hatten zu bluten, drückte anschließend mit einem sterilen Tuch darauf und klebte ein Pflaster drüber.

„Du liest sowas also wirklich gern, oder? Aber das sind doch alles Liebesgeschichten mit klischeehaften Vampiren. Und furchtbar schnulzig sind die auch.“ Sie hatte, als sie noch im Heim eingesperrt gewesen war, mal so ein Büchlein gelesen, das ihre Mitbewohnerin hatte liegen lassen. Und sie hatte es einfach schrecklich gefunden. Für Romantik hatte Alice nicht viel übrig, da sie nicht an die wahre Liebe und schon gar nicht an die Ewige glaubte.

Victor räusperte sich. Er sah so aus als wäre ihm dieses Thema furchtbar peinlich und als würde er sich dafür verfluchen die Manga hier offen liegen gelassen zu haben.

„Nun ja... Du magst so etwas vielleicht nicht, aber mir gefallen diese Geschichten sehr gut. Und das Vampire darin oft falsch dargestellt sind... nun die realen Vampire sind eigentlich weniger spannend, finde ich. Ich lese lieber über Fiktive.“

„Bis vor ein paar Tagen dachte ich du wärst ebenfalls Fiktion. Aber jetzt hab ich dich leibhaftig vor mir und du klebst mir sogar ein Pflaster auf den Hals. Ich finde das schon ganz schön spannend. Aber dieses ganze Geflirte hier... Ich weiß nicht.“ Sie blätterte in einem Manga herum und verzog das Gesicht.

„Kann es sein, dass du noch nicht verliebt warst?“, wollte Victor mit einem merkwürdig neugierigen Ausdruck im Gesicht wissen.

„Ach, du meinst in die saufenden und grölenden Dorfjungs, deren einziges Thema ist, dass ihnen mein Ausschnitt zu klein ist? Oder in die 'unglaublich gebildeten' Studenten von der Jungenhochschule mit ihren hübschen Mathebüchern unterm Arm, die versuchen mich zu ihren elend langweiligen Treffen mitzuschleppen damit sie damit angeben können, dass sie eine heiße Freundin haben? Oder meinst du doch eher in den jungen Hausmeister meines Heims, der letzten Monat versucht hat ganzen fünfzehn Mädchen an die Wäsche zu gehen?“

„Okay, ich hab verstanden.“ Victor wirkte amüsiert. „Nicht sehr viel Potenzial zum verlieben. Ich sollte dich mal mit in die Stadt nehmen damit du das männliche Geschlecht nicht so völlig verurteilst.“ Nun horchte das Mädchen auf.

„In die Stadt mitnehmen? Ich kann also doch mal raus?“

„Sicher. Wenn du begleitet wirst. Und damit meine ich nicht Toulouse oder die Zwillinge sondern mich, Killian oder Vincent.“

Die Vorstellung mit den beiden Letzteren allein in die Stadt zu müssen, behagte Alice nicht gerade, was man ihr wohl auch ansah, denn der Vampir lächelte nun etwas entschuldigend. „Sie waren nicht gerade Gentlemen dir gegenüber.“ Auf Alice Kopfschütteln hin sprach er weiter. „Gib ihnen etwas Zeit sich daran zu gewöhnen, dass ein Mensch hier wohnt.“

„Toulouse hat mir ein bisschen was über Geschichte erzählt. Ich kann die beiden nun besser verstehen, eine Entschuldigung ist das aber trotzdem nicht!“ Sie schnaubte.

„Ich sollte dir erzählen warum ich wieder in so einem Zustand nach Hause gekommen bin.“

Das hatte Alice schon wieder beinah vergessen. Sie schalt sich dafür.

„Ich möchte aber erst duschen. Nur so viel: Du kennst bereits Sophia und Will, aber wir haben noch mehr Feinde. Leider muss ich mich ab und an mit denen anlegen. Sie sind auch der Grund, warum du nicht mal ein Fenster öffnen darfst. Es ist eine längere Geschichte, die etwas Zeit in Anspruch nehmen wird.“

„Ist okay, geh erst duschen.“ Sie winkte ihn raus, was er mit einem Lächeln quittierte und in Richtung Bad verschwand.
 

Leider kam alles ganz anders. Victor duschte gerade mal zwei Minuten und Alice hatte sich schon gefragt ob er es wohl merken würde, wenn sie spickte, als es in der Halle erneuten Aufruhr gab. Sofort begann Alice's Herzschlag sich zu beschleunigen. Waren die Vampire zurück?

„Komm raus, Mensch!“, tönte Sophias liebliches Stimmchen mit einem Unterton zu ihr hoch, dass die darin mitschwingende Mordlust nicht zu überhören war. Alice versuchte sich zu beruhigen. Diesmal war Victor da, diesmal musste sie nicht allein nach unten, auch wenn er angeschlagen und wahrscheinlich auch sehr müde war, immerhin konnte er ihr zur Seite stehen. Und er war auch der einzige, bei dem sie sich sicher war, dass er genau das tun würde: Dafür sorgen, dass ihr nichts passierte. Sollte sie hier sitzen und auf ihn warten? Hatte er Sophia gehört und eilte schon aus der Dusche? Aber das Wasser lief weiter, es war nicht zu überhören.

Die Vorstellung, die beiden Eindringlinge würde nach oben kommen um sie zu holen, ließ Alice sofort aufstehen und einen Satz zur Tür machen. Hier oben in diesem kleinen Zimmer war sie gefangen. Sie hatte keine Chance zu entkommen außer sie stürzte sich aus dem Fenster. Da Vampire wesentlich schneller waren als Menschen, wären sie bei ihr bevor sie sich hätte aufrappeln können. Damals beim Heim hatte es vielleicht geklappt, aber hier sicher nicht. Und was sollte sie dann tun? Erneut in den Wald flüchten? Dieses Mal hätte sie auf keinen Falle erneut soviel Glück. Nein, sie würde jetzt in die Halle gehen, in der Gewissheit, dass Victor hinter ihr war.

Jetzt erinnerte sie sich auch an Toulouse, der ihr versichert hatte auf sie Acht gegeben zu haben als die Vampire das letzte Mal ungefragt das Haus betreten hatten. Apropos... Wie waren sie denn an den Bannzetteln vorbeigekommen? Wirkten diese nicht auf sie?
 

Mit etwas wackligen Beinen trat Alice nun an das Geländer im Flur und spähte nach unten. Das tat sie ziemlich oft seit sie hier war...

Sofort hatten Sophia und William ihre Bewegung wahrgenommen und sahen in ihre Richtung. „Komm runter. Und bring Victor mit!“

„Der ist beschäftigt.“ Jetzt wo sie ihn mitbringen sollte, bekam Alice plötzlich ein schlechtes Gewissen, welches die Angst ein Stück zur Seite drängte. Wenn sie Victor holte, lieferte sie ihn dann nicht an ihren unfreiwilligen Besuch aus? Sie stieß ihn quasi ins Rampenlicht damit er die Situation rettete und vielleicht erneut schlimm zugerichtet wurde. Und sie saß daneben und aß Popcorn?! Kam nicht in Frage! Mit entschlossener Miene machte sie sich auf den Weg nach unten.

„Hol ihn trotzdem! Wir haben ihm etwas zu sagen. Außerdem schadet es nicht, wenn er mitansieht was wir mit seinem Schützling anstellen.“

„Als ob ihr hier etwas mit mir anstellen würdet!“ Alice blieb unten an der Treppe stehen, den Blick starr auf die beiden Vampire gerichtet. Sie machte sich, obwohl ihre Stimme fest und entschlossen klang, fasst ins Hemd.

Wieder hatte sie das Bild vor Augen wie MaryAnn an einen Baum genagelt hing, wieder sah sie das Blut, die schreckgeweiteten Augen...
 

Da bemerkte sie etwas merkwürdiges in ihrem Schatten, der direkt vor ihr einen kleinen dunklen Fleck bildete. Er schien sich zu bewegen, zwei Katzenaugen blitzen auf, waren aber sofort wieder verschwunden. Ein wenig Erleichterung durchströmte sie. Toulouse war wiedermal ganz in ihrer Nähe.

Schattenkater hatte er sich genannt und nun konnte Alice sich mehr unter diesem Begriff vorstellen. Sie fasste neuen Mut. „Haut ab, ihr habt hier nichts verloren!“ Wenn das keine Ansage war!

Es verging nicht mal eine Sekunde.

Plötzlich war Sophia dicht vor ihr und verpasste ihr eine so heftige Ohrfeige, dass der Schlag im ganzen Haus widerhallte. Ein brennender Schmerz durchzuckte Alice Wange als sie zurück taumelte, über die unterste Treppenstufe stolperte und zum Glück geistesgegenwärtig genug war sich mit den Händen abzufangen. Wahrscheinlich hätte sie sich sonst das Genick gebrochen. Dieser Schlag war um einiges Stärker gewesen als die Ohrfeigen, die sie im Laufe ihres missgebildeten Lebens von ihren Mitschülerinnen, Mitbewohnerinnen und Lehrern und von der Hausdame bekommen hatte. Sogar stärker als die der Männer. Wütend funkelte Alice zu der Vampirin hoch während sie spürte, dass die Wange bereits anschwoll, außerdem schmeckte sie Blut. Wenigstens hatte sie sich nicht auf die Zunge gebissen, was wohl an der jahrelangen Übung lag, wie sie zerknirscht feststellte.

Sie erwartete nun sich das übliche Geschrei und Getobe anhören und schleunigst abhauen zu müssen. Jedoch erblickte sie nur ein überraschtes Gesicht. Sophia sah perplex aus, was sich nun wohl in Alice Mimik widerspiegeln musste.

Im Hintergrund brach es nun los.

Die Schatten an den Wänden verwandelten sich in katzenförmige Gestalten, deren Augen zu glühen und deren weit aufgerissene Münder zu schreien schienen. Die Atmosphäre wandelte sich von bedrohlich zu lebensgefährlich und ließ das Gefühl von Angst und Hysterie quasi greifbar werden. Eine Tür öffnete sich und die Zwillinge betraten den Raum. Sie erweckten den Eindruck als hätten sie heute nicht genügend Insekten die Beinchen ausgerissen, ihre Augen funkelten vor Mordlust.

Während sie all das aufnahm, wichen die Vampire ein Stück zurück. Jedoch nur soweit, dass sie sich gut verteidigen konnten. Sie standen Rücken an Rücken und bleckten die Zähne. Ein tiefes Knurren entkam ihren Kehlen. Hatten sie jetzt Angst? Waren sie plötzlich unterlegen? War Mouse zurück? Oder was geschah hier?

Irgendjemand stellte Alice auf die Füße, was sie erst verzögert mitbekam.

„Was wollt ihr? Ihr wisst, dass es euch nicht gestattet ist dieses Haus zu betreten“, grollte Victor neben dem Mädchen, einen Arm um ihre Taille gelegt um sie zu stützten.

„Dich zur Rede stellen, was denn sonst!“, knurrte Sophia. „Wir wussten ja schon, dass du eines Vampirs nicht würdig bist, weil du in ihrem Krankenhaus dafür sorgst, dass sie leben“, jedes Wort spuckte sie aus wie ein Stück Schlamm, „aber dass du nun einen von ihnen hier aufnimmst, der eigentlich uns zusteht und dass du diesem Mensch auch noch das Blut nimmst, welches uns gehört und welches wir benötigen, geht zu weit! Wir sind hier um sie mitzunehmen. Es wird Konsequenzen haben, wenn du sie uns nicht aushändigst!!“

„Hysterische Kuh“, kommentierte Alice. Sie blickte ein wenig ängstlich zu Victor. Sie wollte hier bleiben, aber ihre Erfahrung hatte sie gelehrt nicht darauf zu hoffen. Hintergangen wurde sie mehr als einmal im Leben, wieso also nicht auch jetzt?

„Ihr bekommt sie aber nicht. Es waren schon oft Clowns hier, die Anspruch auf meine Mitbewohner erhoben haben. Aber sie sind alle noch hier und werden es auch bleiben.“ Das er sie Clowns genannt hatte, fand Alice irgendwie süß.

„Gib Sie uns!“, schrie Sophia nun los. Sie machte Anstalten ihre Formation zu verlassen und sich wütend auf Alice zu stürzten, hielt aber inne, wenn auch rasend vor Wut, als die Schatten sich nun enger um sie schlagen, die Atmosphäre noch erdrückender wurde und die Zwillinge näher traten. Das alles wirkte bizarr und unheimlich auf Alice. Sie wusste, dass sie selbst auf der bizarren und unheimlichen Seite stand, aber gleichzeitig hatte sie Angst davor, dass sich das Blatt ganz schnell wenden konnte. Hatten die Menschen, die den Wald vor ihr betreten hatten, sich diesen Mächten ausgeliefert gesehen? Sie bekam Kopfschmerzen und hatte das Gefühl hintenüber zu kippen, wenn die Luft hier noch bedrückender wurde. War es für die Vampire genauso schlimm, weil sie keine Menschen waren, sich aber alles gegen sie richtete? Oder war es für sie sogar noch schlimmer?

Gab es noch mächtigere Wesen da draußen im Wald?

Die Eingangstür schob sich einen Spalt auf und Mouse huschte herein. Fast zeitgleich öffnete sich eine weitere Tür im Obergeschoss, durch die nun Killian trat und sich oben am Geländer aufbaute.

Die Spannung war fast greifbar, was der kalte Luftzug, der nun von draußen herein wehte, nur noch verstärkte.

„Ich bleibe hier. Haut ab, ihr nervt!“, löste sich Alice' großes Mundwerk und brachte damit die ganze Szene wieder in Bewegung. Grollend sprangen die Vampire zum kaputten Fenster hinauf. Sophia schnaubte beleidigt und verschwand in die Nacht, William aber sagte den ersten Satz, den er an diesem Abend gesprochen hatte. „Wir kriegen sie Victor. Wir kriegen sie, dich, all deine Missgeburten und deine geliebte Stadt.“ Dann war auch er fort, mit der Dunkelheit der Nacht verschmolzen.

„Arschloch“, kommentierte Alice die gemeine Drohung des Vampirs.

Kapitel 8

Sie hatten alle in der Küche Platz genommen. Es gab ein seltsames Familienportrait ab, diese Zusammenstellung aus den verschiedensten Wesen.

Killian lehnte lässig über einem Stuhl und erweckte den Eindruck eines Strandtuches, das man zum Trocknen über das Möbelstück gehängt hatte. Die Arme verschränkt, den Mund verzogen, schien er lieber wieder in sein Zimmer zu wollen.

Toulouse hockte auf dem Küchentisch und putzte sich eine Vorderpfote während er Blicke mit Mouses starren Augen auszutauschen schien, der als dunkle Silhouette vor dem Küchenfenster Stellung genommen hatte. Auch Erin war zu ihnen gestoßen. Sie saß mit traurigen Augen und herunterhängenden Mundwinkeln ebenfalls auf einem Stuhl und beobachtete wie Victor Alice' Wange vorsichtig mit einer kühlenden Tinktur eincremte und danach ein Pflaster auf die kleine Platzwunde klebte, die Sophia ihr verpasst hatte. Alice konnte nicht verhindern, dass ihr dabei die Tränen in die Augen traten, denn es tat doch ganz schön weh.

Die Zwillinge schienen etwas aus dem Inhalt des Kühlschranks zu basteln.

Als erster ergriff nun der Kater das Wort: „Sie haben einen Weg gefunden durch die Bannzettel zu kommen. Wir müssen uns stärkere Flüche aneignen.“ Es folgte zustimmendes Gemurmel. „Ich werde Egmont damit beauftragen. Er ist auch beinahe mit der Reparatur des Fensters fertig.“

Ein paar der Anwesenden nickten. Da niemand Anstalten machte etwas dazu sagen zu wollen, übernahm Toulouse auch das weitere Gespräch. „Ich stelle nun die Fragen, die uns alle beschäftigen: Wie konnten unsere Feinde derart an Stärke gewinnen und wie hat Alice den Schlag einer ausgewachsenen Vampirin so einfach ohne irgendeine Art des Knochenbruchs überstanden?“

Alice blickte auf, sofort wurde sie nervös. Alle Blicke lasteten auf ihr, sogar das Geklapper der Zwillinge im hinteren Teil der Küche war verstummt.

„W-wisst ihr...“, begann sie zögerlich, „das konnte ich schon immer... Also mir nicht die Knochen brechen... Ich kann von einem Dach springen ohne mir etwas ernsthaftes zu tun. Tut natürlich trotzdem weh, aber ich steh einfach wieder auf, klopf mir den Dreck aus den Klamotten und spiel weiter 'Flieh-vor-deinen-Mitschülerinnen'.“

Erstaunen spiegelte sich in den Blicken der anderen wieder. Killian richtete sich auf und pfiff durch die Zähne, als hätte er gerade einen Skandal aufgedeckt. Und wahrscheinlich war Alice genau das für ihn: Ein aufgedeckter Skandal. „Da scheint wohl mehr in die zu stecken als nur ein kleines Menschlein. Wieso hast du davon bisher nichts erwähnt, mh?“

„Niemand hat mich gefragt?“ Sie musste einfach eine schnippische Antwort geben, wenn sie ein Model mit frecher Klappe vor sich sitzen hatte. „Es ist einfach so, dass mich bisher jeder deswegen geächtet hat und da gewöhnt man sich halt an, nicht jedem zu erzählen: Du da, weißt du schon, dass du versuchen kannst mir den Schädel zu spalten, wenn du willst? Es wird nur nicht klappen, weil ich ein Mon-“ Sie hielt inne. Beinahe hätte sie Monster gesagt. Killian schien das nicht entgangen zu sein und er setzte schon zu einer Antwort an, wurde aber von Victors Blick gestoppt. Der Vampir pattete ihren Kopf. „Ist schon gut, vielen von uns ging es genauso.“ „Tschuldigung“, murmelte das Mädchen trotzdem kleinlaut.

Eine Schüssel mit merkwürdigem Inhalt schob sich auf dem Tisch in ihr Blickfeld. Die Dämonenbrut lugte über den Tischrand. „Wir haben dir Eis gemacht.“

Der Inhalt der Schüssel wirkte wie ein wildes Durcheinander an Vanilleeis, Schokosoße, Weingummi, Schokostücken und irgendetwas nicht identifizierbar grünem. Dennoch war diese Geste unglaublich süß. Sie lächelte. „Danke...“ Nach kurzer Überlegung fügte sie hinzu.

„Sterbe ich, wenn ich das esse?“

„Vielleicht“, antworteten Clock und Time unisono.
 

„Zu den Bannzetteln“, schnitt Victor ein neues Thema an. „Es gibt nur eine Möglichkeit, wie die Vampire an Stärke gewinnen. Was bedeutet, dass mir etwas entgangen sein muss...“

Victor sah unglücklich aus. Die anderen wirkten nicht eben fröhlicher. „Wie werden sie denn stärker?“, wollte Alice wissen.

„Also bitte“, spuckte Killian ihr entgegen, „Blut vielleicht!?“

„Oh...“

Victor warf dem Model erneut einen verärgerten Blick zu. „Sie müssen ein Dorf überfallen haben. Normalerweise versuche ich sie davon abzuhalten, indem ich Bannzettel und Knoblauch verteile, Weihwasser in Bäche um das entsprechende Dorf schütte und noch ein paar mehr Maßnahmen ergreife. Aber mir muss ein Fehler unterlaufen sein. Sie haben es geschafft ein Dorf anzugreifen, ohne dass mir davon zu Ohren gekommen ist. Was wiederum bedeutet, dass meinem Spitzel etwas passiert sein muss.“ Er sah besorgt aus, biss sich auf der Unterlippe herum.

„Und warum kommst du immer so ramponiert nach Haus?“, fragte Alice erneut.

„Es gefällt ihnen nun mal nicht, dass sie sich wegen mir von Waldtieren ernähren müssen.“ Jetzt grinste er triumphierend, wurde aber gleich darauf wieder ernst. „Wenn der Vampirclan ein Dorf überfällt, dann lässt er niemanden am Leben. Es darf keine Zeugen geben, verstehst du? Die Menschen dürfen nicht wissen wer es war, weil sie sonst sofort in den Wald einfallen würden. Es ist besser sie glauben an einen menschlichen Mörder. Die Vampire sind sehr geschickt darin einen Massenmord so aussehen zu lassen als wäre er von Menschenhand begangen worden.“

Alice bekam den Mund nicht mehr zu. „Wegen DIR bin ich am Rand des Waldes kurz vor der Besserungsanstalt über Knoblauch gestolpert! Der war nämlich von einem Baum gefallen, denn als ich mich daraufhin umgesehen habe, hingen überall in den nahestehenden Bäumen verteilt Knoblauchstränge... Das heißt du kletterst in den Ästen herum? Aber warte mal...“

„Jetzt ist sie darauf gekommen, dass du merkwürdigerweise nichts gegen Knoblauch, Weihwasser oder Bannzettel auszusetzten hast“, warf Killian dazwischen und schnaubte. „So eine Blitzmerkerin. Ich sag dir was, Mensch: Das ist es was die anderen Vampire an ihm hassen. Er kann sich sogar in der prallen Sonne aufhalten und es würde ihm nichts ausmachen sich einen Cocktail aus Weihwasser zu mixen. Sie sehen in ihm eine ernsthafte Bedrohung... außerdem sind sie neidisch. Ihr könnt euch bei mir bedanken, dass ich das Gespräch etwas angekurbelt habe.“

„Daaaanke Nervian~“, trällerten die Zwilling und kletterten kichernd auf seinen Schoß. „Iss doch auch etwas von unserem Eis“, boten sie dem Model an. „Dann wirst du fett und niemand will dich mehr fotografieren.“ Als nun ein Gerangel zwischen der Dämonenbrut und dem Italiener entstand, nahm Alice die Gelegenheit beim Schopf noch eine Frage zu stellen ohne unterbrochen zu werden.

„Und du machst das ganz allein? Niemand hilft dir?“, wollte sie von Victor wissen, der daraufhin nickte.

„Aber warum kommt keiner von ihnen mit?“ Sie blickte in die Runde.

„Die Zwillinge würden eher ein Chaos anrichten als mir behilflich zu sein, Killian und mein Bruder müssen arbeiten und sind nicht so flexibel wie ich das sein kann. Toulouse hat mir ab und zu geholfen, aber er passt nun auf dich auf. Egmont und Mouse würden jeden, der sie sieht in panische Schreie ausbrechen lassen und Erin... naja...“ Die Geisterfrau lächelte entschuldigend als die Sprache auf sie kam. „Ich darf selber nicht mit Weihwasser in Berührung kommen...“, sprach sie langsam und flüsternd.

„Und was ist wenn ich dir helfe?“

Victor lachte kurz auf. „Hast du schon vergessen wie ich nach Hause komme? Sie würden dich sofort zerfleischen, wenn sie dich erwischen.“

„Hast du schon vergessen, dass ich nicht so verwundbar bin wie ein normaler Mensch?“, konterte Alice.

Der Vampir schien zu überlegen. „Bleib lieber noch ein wenig hier. Du weißt noch viel zu wenig.“

„Aber ich will nicht einfach rumsitzen während du da draußen dein Leben einsetzt! Da hab ich aber was gegen Mister! Vergiss es. Jetzt wo ich weiß wie gefährlich das hier alles ist, werd ich nich einfach die Köchin spielen und sonst nichts tun! Ich wette ihr macht alle irgendwas geheimes und heldenhaftes, wenn ihr nicht hier seit!“

Sie hatte wieder die allgemeine Aufmerksamkeit. Kein Wunder bei der Lautstärke.

Und zu ihrer Bestätigung sah jeder der Anwesenden so aus, als hätte sie ins Schwarze getroffen. Bis auf Mouse, denn dessen Gesicht konnte man aufgrund seiner breiten Hutkrempe nicht sehen.

Victor schienen seine Worte im Hals stecken zu bleiben als sie derart aufbegehrte. Toulouse allerdings blieb die Ruhe selbst. „Wie wäre es dann, wenn du mit in die Stadt kämest um ein paar Dinge herauszufinden? Ich hätte auch schon einen Einfall für die erste Erkundungstour.“

„Schieß los! Ich werd auf jeden Fall mitkommen!“, meinte Alice im Brustton der Überzeugung.

„Dann gehen wir beide morgen Abend mit Killian mit.“

„WAS?!“, riefen nun Genannter und Angesprochene gleichermaßen entsetzt. Die Dämonenbrut fing schallend an zu lachen und kugelte sich auf dem Küchenboden herum.

„Das ist eine Idee, mit der ich leben kann“, gab Victor sich geschlagen. „Reißt euch zusammen ihr zwei.“

Alice erwiderte nichts. Sie hatte gewollt, mitkommen zu dürfen und nun musste sie sich geschlagen geben.

„Sie wird mich bei meiner Arbeit stören! Ich kann mich da bestimmt nie wieder blicken lassen! Vergesst es!“, zeterte Killian, er war sogar aufgestanden was Erin zusammenzucken und sich entmaterialisieren ließ. Mit einem Puffen war sie verschwunden.

„Sei so nett und trag auch etwas dazu bei, dass wir wenigstens hier in Frieden leben können Killian. Du hast Erin verscheucht“, bat Victor und blickte seinen Mitbewohner fast schmollend an. „Nur ein einziges Mal?“

Das Model schien die Luft anzuhalten, alle Muskeln in seinem Körper waren angespannt. Wütend trat er gegen den Stuhl, auf dem er eben noch gesessen hatte und stampfte aus der Küche.

„Er ist einverstanden“, sagte Victor lächelnd.

Obwohl es Alice ganz und gar nicht wie Einverständnis vorkam und obwohl sie überhaupt keine Lust dazu hatte mit Killian zu seiner Arbeit gehen zu müssen, bedankte sie sich bei Victor. Er wollte ihr schließlich bloß entgegenkommen. Es war ihre Chance endlich etwas mehr vom Alltag ihrer skurrilen Mitbewohner kennen zu lernen und sich besser darin zurecht zu finden.

Heute Nacht würde sie definitiv nochmal in dem Buch über Naturgeister lesen.

Kapitel 9

Es war bereits Mitternacht als Alice es sich in ihrem Himmelbett bequem gemacht und das große Buch aufgeschlagen hatte. Sie war so müde, dass sie sicher war nur eine einzige Beschreibung lesen zu können. Als das Mädchen sich dann bis zu der Seite geblättert hatte, auf der der Text über Leshiye, die beiden Zwillinge waren solche, stand, stöhnte sie leicht auf als sie sah wie viel sie zu lesen hatte. Doppelt so lang wie die Beschreibung der anderen war dieser Text, aber auch reich bebildert. Man sah Bäume, in deren Stämme allerlei kleine Höhlen gebaut worden waren, aus denen unheimliche Augen böse funkelten, entdeckte hier und da Gesichter in der Rinde. Das Bild, das den meisten Eindruck auf Alice machte zeigte aber eine schwarz verhüllte, gehörnte Gestalt, welche bedrohlich zwischen den Bäumen auftauchte und einen armen Wanderer in Angst und Schrecken versetzte. Dieses Wesen sah so Furcht einflößend aus und präsentierte sich derart gebieterisch, dass Alice keinen Zweifel mehr daran hatte, dass die Zwillinge WIRKLICH die Brut von Dämonen waren und ihr Spitzname gut gewählt. Neugierig geworden begann Alice zu lesen.
 

Leshiye

Den Leshiye bereitet es Vergnügen durch ihren Wald wandernde Menschen durch Gewisper und Geraune, das vom Wind in weite Richtungen getragen wird, vom Weg abzubringen. Sie verwirren oder kitzeln sie bis in den Tod, berauben sie des Verstandes und machen sie krank.
 

Der Leshy herrscht über den Wald und all seine Tiere, darf über sie verfügen, sie verkaufen und verspielen. Menschen, die sich ihrer aneignen ohne mit dem Leshy gehandelt zu haben, müssen bitter dafür bezahlen. Ebenso wenn in seiner Behausung geschlafen wird, die oft eine verlassene Hütte ist.

Da der Leshy über den Wind herrscht, kann er Stürme verursachen und den Wind zum wispern, stöhnen, ächzen und heulen bringen.

Im Winter hält er, zusammen mit seinem Diener dem Bären, Winterschlaf.

Sein Herkunftsland ist Russland.
 

Kennzeichen

Die Größe des Leshy variiert von der eines gewaltigen Baumes zu der eines winzigen Blättchens. Er hat die Beine einer Ziege, Hörner, Klauen und meist ein einziges Auge, das weder Wimper noch Braue schmückt. Seine Haut ist grau, der Pelz darüber moosgrün. Mode ist es sich einen Schafpelz anzulegen und ihn falsch herum zu zuknöpfen. Er liebt es sich zu raufen, zu trinken und zu tanzen.

Vorkommen gibt es auch in Tschechien und der Slowakei.

Kinder der Leshiye heißen weit verbreitet auch Lisunki.
 

Unter dem Text war noch eine Zeile in einer anderen Schrift hinzugefügt worden.
 

Wenn man einem Leshy einen Gefallen erweist, zeigt er sich erkenntlich, denn er ist menschlicher als er aussieht.
 

Die äußerliche Beschreibung passte hier so gar nicht. Grüne Behaarung? Graue Haut? Klauen? Das alles hatten die Zwillinge nicht. Die beiden Jungs waren äußerlich einfach nur Menschen. Bis auf ihre Augen. Alice hatte oft versucht diese unbemerkt zu mustern und ihr war schon beim ersten Mal aufgefallen, dass sie jeweils ein schwarzes und ein blassblaues Auge besaßen. War es möglich, dass sie nur mit einem der beiden sehen konnten, wo ein Leshy doch meist nur eines besitzen sollte?

Sollte sie die beiden darauf ansprechen? Aber was, wenn sie dann zu Tode gekitzelt wurde, was ja nun durchaus realistisch klang... Ging das überhaupt?!

Außerdem hatte sie keine Ahnung gehabt, dass die beiden so mächtig waren! Waren sie? Jetzt hatte sich mal wieder ein Berg an neuen Fragen aufgetürmt, der noch ein wenig weiter wuchs, während Alice immer müder wurde.

Als sie vor sich hindämmerte, fing ihr Blick eine Bewegung auf den Seiten des Buches auf und ließ sie zusammen zucken. Ein Angriff?!

Nein, es handelte sich bloß um einen Marienkäfer, der sich wahrscheinlich durch das zerbrochene Fenster im Eingangsbereich in ihr Zimmer verirrt hatte. Hier würde er definitiv sterben also beschloss Alice ihn nach draußen... zu... bringen...

Mist.

Dafür musste sie das Fenster öffnen. Was also nun? Sollte ihre Tierliebe siegen oder ihre Angst davor, dass ihr der Arm abgebissen wurde, wenn sie ihn kurz an die Luft hielt um dem Käfer die Freiheit zu schenken?

Sie seufzte. Dann musste sie es eben schnell machen. Die Luft anhaltend schlich sie mit dem Marienkäfer auf dem Zeigefinger zum Fenster, öffnete es hastig und warf das Tier gleich einer Kanonenkugel Richtung Wald. Der arme Käfer torkelte ein wenig durch die Luft, fing sich dann aber und summte leise davon. Sofort zog sie den Arm zurück knallte das Fenster zu und spurtete unter ihre Decke. Von dort aus wurde die Dunkelheit draußen wütend angestarrt. Nur falls sie jemand beobachten sollte! Der würde sich hüten sich hier rein zu wagen!

Aber es passierte nichts und Alice wurde wieder müder bis sie schließlich nicht mehr wach bleiben konnte und einschlief.
 

Die Schatten huschten über die Wipfel der Bäume hinweg, verzogen sich zu grinsenden Fratzen, scharfen Klauen, gehörnten Monster und was ihm sonst noch gefiel. Das Wesen, von dem sich all diese Schatten abspaltete, vorauseilten und ab und zu auch zu lustigen Spiralen formten, sprang geschickt von Ast zu Ast, hielt hie und da an um sich umzusehen und vollführte ein paar akrobatische Akte, bei denen er Vögel und Eichhörnchen aufschreckte, die in alle Richtungen davon eilten.

Es schien nach etwas zu suchen, durchkämmte den halben Wald und scheute sich nicht davor die Baumgeister gehörig zu trietzen, indem es gegen die Rinde klopfte, in Löcher pustete und Blätter abriss. Bis es plötzlich das Ziel vor sich sah.

Das Herrenhaus stand auf einer großen Lichtung. Der kleine See schimmerte im Mondlicht und die Sträucher voller saftiger Blaubeeren wiegten sich sanft im Wind. Es war ein idyllischer Anblick und gefiel dem neuen Besucher sofort. Seine Augen blitzen im Schatten gelblich auf als sich eine Wolke vor den Mond schob. Es lag verspielte Neugier darin.

Was ihm fehlte war ein Zugang, den er nun, mit seinen Schatten die Hausfassade abtastend, suchte. Lange dauerte es nicht bis er die lückenhafte Fensterverdichtung fand und kichernd hindurch schlüpfte. Was ihn sofort wunderte war der Geruch nach Mensch, den er hier am wenigsten erwartet hatte. Der Eigentümer des Duftes lag, tief und fest schlafen, in einem gemütlich wirkenden Bett und schien zu träumen. Denn die Augen des Mädchens, wie er nun feststellte als er sich mit der Nasenspitze zuerst auf die Bettdecke wagte war sie eines, huschten unter den Lidern hin und her. Er beobachtete das Schauspiel eine kleine Weile während seine Schatten den Raum untersuchten. Dann beugte er sich über sie. Das hier war ja die perfekte Gelegenheit!
 

Alice schlug abrupt die Augen auf, denn sie hatte bemerkt, dass sich jemand in ihrem Zimmer befand. Mittlerweile war sie ständig auf der Hut, selbst wenn sie schlief. Und das war in diesem Fall auch gut so, denn ihr ungebetener Gast wusste schließlich nicht, wie man sich hier benahm. Nicht von Mitbewohnern essen war die Devise!

Als sie nun die großen gelben Augen direkt vor ihrem Gesicht sah, schrie sie laut auf. Als sie bemerkte, dass sie den, der über ihr lehnte nicht kannte, schrie sie nochmal, diesmal lauter. Und als sie den fies grinsenden Schatten über ihnen beiden bemerkte, der seltsam hungrig wirkte, schlug sie zu.

Mit der Rechten, einen sauberen Kinnhaken, der sein Ziel nicht verfehlte.

Aufjaulend purzelte der Fremde rücklinks vom Himmelbett und kam mit einem dumpfen Plumpsen am Boden auf.

„Wer bist du?! Wie kommst du hier rein? Ich warne dich! Ich habe einen Selbstverteidigungskurs gemacht! Nämlich mein Leben!“, schrie Alice los und griff nach dem schweren Buch der Naturgeister.

Die Zeit, die der Fremde brauchte um sich zu orientieren und seine Wange abzutasten, nutzte das Mädchen um ihn zu mustern. Er war recht menschlich, eigentlich sah er aus wie ein 16 Jähriger. Er war sehr dünn und T-Shirt und Hose schlotterte ein wenig an ihm herum. Seine braunen Haare hingen ihm zerzaust vor das blasse Gesicht. Er sah ein bisschen zu niedlich aus für einen Jungen seines Alters, fand Alice und seine Augen wirkten etwas groß, was aber vielleicht nur an der gelben Farbe lag, die seine Iris füllte.

„Schrei doch nich so...“, murmelte er jetzt mit Tränen in den Augen. „Ich wollte doch nur fragen ob-“

„Du mich fressen darfst?“, unterbrach Alice in, sich vor ihm aufbauend. Tränen wirkten bei ihr nicht... sehr viel.

„Nur deinen Alptraum! Du hattest nämlich einen richtig schön fetten.“ Er rieb sich genießerisch den Bauch.

„Alptraum? ...Woher weißt du das ich... Was genau bist du?“ Vor ihren Augen wandelte sich der Fremde in ein plüschiges Wesen mit spitzen Öhrchen und kleinen krallenbesetzten Pfoten. Die gelben Augen kamen jetzt noch besser zur Geltung. „Die meisten kennen mich in dieser Gestalt.“ Als er merkte, dass Alice ihn nicht erkannte sondern nur noch verstörter drein blickte, wandelte er sich zurück. „Ich bin ein Nachtmahr. Ich fresse und verursache Alpträume. Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich dachte nicht, dass du aufwachst.“ Er besah sich nun seine Wange in einem Spiegel an der Wand. Zu seiner Erleichterung wurde sie nicht dick sondern nur ein bisschen blau.

Das Wort 'Nachtmahr' hatte Alice schon mal gehört. Es gab ein Bild das so hieß, aber der Maler fiel ihr nicht mehr ein.

Der Schatten hinter dem Nachtmahr blinzelte plötzlich. Toulouse? Als es auf einmal zwei blinzelnde Schatten waren, war sie sich nicht mehr sicher.

„Ich bin Lullaby, das ist Englisch und heißt Schlaflied“, erklärte er, seine Haare mit den Fingern ordnend wobei sie bloß noch mehr in sein Gesicht hingen.

„Das ist sehr ironisch“, bemerkte Alice und stellte auch sich vor. „Ich bin Alice, wohne seit kurzem hier.“

„Der Name wurde mir auch gegeben, weil man hoffte ich würde so nicht so viel Schaden mit der menschlichen Psyche anstellten. Aber es hat nicht geklappt“, meinte er grinsend.

„Darf ich bei euch wohnen Alice?“

Es dauerte einige Sekunden bis sie begriffen hatte was Lullaby zu ihr gesagt hatte. „Du willst hier einziehen? Wurdest du auch verstoßen?“

Er nickte, zog dabei eine Schnute.

„Warum?“, wollte Alice wissen.

„Wegen meinen Freunden.“ Er zeigte auf die Schattengestalten, die sich nun aus seinem normalen Schatten wanden und zu kleinen tanzenden Männchen wurden, die einen Kreis um Lullaby bildeten, sich an den Händen fasten und gegen den Uhrzeigersinn tanzten. „Sie folgen mir aus den Träumen heraus und ich werde sie nicht mehr los. Aber sie sind praktisch.“

Gerade als Alice darauf etwas bemerken wollte, wurde die Zimmertür geöffnet. Sie hatte sich schon gefragt warum niemand kam. Es waren Erin und die Zwillinge, wobei Erstere durch die Wand glitt. Jeder der drei wirkte nicht besonders entspannt.

Kapitel 10

Diese Nacht musste er gleich noch ein zweites Mal hinaus.

Es war dieses Mal kein Dorf, dass er beschützen musste, denn es handelte sich nur um eine kleine Gemeinschaft von Baumgeistern, die nach ihm geschickt hatten. Im Gegensatz zu vielen anderen Waldwesen, waren diese ihnen wohlgesonnen und besuchten sie häufig im Garten des Herrenhauses. Victor fühlte sich ihnen verpflichtet, denn sie hatten für ihn immer wieder bespitzelt und ihn vor Angriffen gewarnt. Nun war er auf dem Weg um ihnen zu helfen. Die Vampire hatten sich für diese Nacht bereits zurückgezogen, wahrscheinlich teilten sie gerade ihren Fang untereinander auf. Also waren sie nicht das Problem. Zu seinem Leidwesen durfte er sich wohl mit einem sogenannten kleinen Mönch herumschlagen.

Er hörte den kurzen Übeltäter schon von weitem, was nicht unbedingt an seinem guten Gehör lag. Der kleine Mönch, vom Aussehen her ein Zwerg mit roter Kapuze auf dem kahlen Köpfchen, veranstaltete ein wildes Gekicher, die Baumgeister dagegen klickerten aufgebracht im Chor. Einige Schaulustige hatten sich bereits um den betroffenen Baum versammelt, beobachteten das Schauspiel von Ästen, Blättern und Baumwurzeln aus.

Der kleine Mönch hatte seine helle Freude daran Worte wie 'Furz', 'Dumm' und 'Popel' in die Rinde des Heimatbaumes der armen Baumgeister zu ritzen, sie zu beschimpfen und an den kleinen weißen Ärmchen zu ziehen.

Victor seufzte, seitdem sie aus den meisten Häusern vertrieben worden waren, mussten die kleinen Mönche im Wald ihr Unwesen treiben. Sie hatten auch schon einen im Haus gehabt, der ständig irgendetwas verlegt und es erst wieder raus gerückt hatte, wenn man schon nicht mehr danach suchte. Nicht häufig hatten sie etwas neu anschaffen müssen und nun zwei davon, weil das verlorene Teil wieder aufgetaucht war.

Der Vampir trat neben den Baum und baute sich vor dem Mönch auf. Sofort ließ dieser von seinem Opfer ab und versteckte das kleine Messer hinter seinem Rücken, mit dem er die Worte geritzt hatte. „Ich hab nichts gemacht, hab nichts gemacht! Nein, nein, ich war das nicht!“, plapperte er drauflos, verteidigte sich mit hohem Stimmchen und versuchte Victor nicht in die Augen zu sehen.

„Du weißt genau, dass ihr euch nicht an Wehrlosen vergreifen sollt“, begann der Vampir seine Strafpredigt. „Die Baumgeister und ihr Baum sind eben solche. Ärgere meinetwegen ein paar Gnome!“ Aus dem Dickicht wurde verärgertes Gemurmel laut. Da hatten sich wohl auch ein paar Gnome versteckt. „Oder geh zu den Vampiren, da seit ihr doch oft!“

„Die Vampire klauen uns die Kapuzen weg! Haben Bruder Pauli gefasst und ihn getötet, ihn getötet! Und nun zwingen sie uns zu fliehen, zu fliehen, jawohl!“

Victors Augenbrauen wanderten fragend in die Höhe. „Getötet? Einen von euch?“ Da stimmte etwas nicht. Die Vampire waren normalerweise auf der Seite der Wesen des Waldes. Ihr Hass galt allein den Menschen und auch wenn die kleinen Mönche einen in den Wahnsinn treiben konnten, so hatten sie sich doch gegenüber den Vampiren stets zurückgehalten, weil sie deren Zorn fürchteten. „Habt ihr sie denn zu sehr geärgert?“, wollte er nun von dem kleinen Männchen wissen.

Die Baumgeister hatten sich hinter Victor versteckt, hockten dicht neben ihm auf den Ästen. Einer war sogar auf seine Schulter geklettert. Außerdem merkte der Vampir wie der Kreis der Neugierigen um sie herum enger wurde. Er konnte ihre Ohren quasi vor Wissensdurst wachsen hören.

Der kleine Mönch sah ihn nun direkt an als er seine Brüder verteidigte. „Nein, nein! Nicht mehr als sonst, jawohl! Bruder Pauli hatte gerade einen Bleistift zurückgebracht, gebracht, als sie ihn ergriffen und seine Kapuze stahlen! Die Kapuze verlieren bedeutet Tod, Tod!“

„Ja, das weiß ich...“ Nachdenklich kratzte Victor sich am Kopf. „Wenn ihr sie nicht zu sehr gereizt habt, warum sollten sie euch dann töten? Wieso wollen sie euch plötzlich verjagen?“

„Ralfi weiß es nicht, weiß nicht...“, murmelte der kleine Mönch. Ralfi hieß er also. „Ich entschuldige mich bei dem Baum, jawohl... darf ich gehen und ein Haus finden, in dem ich Schabernack treiben darf, treiben darf?“ Das war typisch für das Volk der kleinen Mönche. Schnell das Weite suchen und sich wenig Gedanken um das Geschehen um sie herum machen.

„Geh ruhig. Aber ich warne dich: Noch EIN verletzter Baum und ich lasse euch alle einfangen! Von Mouse.“ Bei diesen Worten schüttelte es Ralfi von der roten Kapuze bis zu den schmutzigen Füßen. Er huschte davon so schnell er konnte.
 

Victor blieb noch eine Weile, verabschiedete sich ein wenig abwesend von den Baumgeistern, die ihm dankbar eine Hand voll Walderdbeeren brachten und freudig klickerten. Seine Gedanken kreisten um das seltsame Verhalten seiner Artgenossen und er war sich sicher, dass etwas nicht stimmte. Die Schaulustigen um ihn herum hatten sich bereits aus dem Staub gemacht sobald der kleine Mönch Ralfi davon gespurtet war. Lediglich eine große Eule beobachtete ihn noch. Als Victor schon losgegangen war, erhob sich der Vogel um ihn ein Stück zu begleiten und dann voraus zu fliegen. Sie kam vor ihm an dem See an, der in der Nähe des Herrenhauses ruhig vor sich hin zu schlummern schien. Knapp unter der Wasseroberfläche blinzelten zwei große hübsche Augen hinauf zu dem Tier. Victor, der die Eule schon lange bemerkt hatte, blieb am Ufer stehen, winkte dem Augenpaar kurz lächelnd zu und sah dann ebenfalls zu dem nächtlichen Besucher, der sich gerade das Gefieder putzte. „Was kann ich für dich tun?“, wollte der Vampir wissen. Die Eule gurrte auffordernd und als Victor seinen Arm ausstreckte, flatterte sie empor und ließ sich auf diesem nieder bevor sie ein Bein ausstreckte, an dem ein Zettel befestigt war. Sobald er die Eule von der Nachricht befreit hatte, stieß sie sich ab und flog davon. Er blickte ihr kurz nach bevor er den Zettel entfaltete und las. Coraline beobachtete ihn neugierig während sie unter Wasser ein paar kleine silbrig glänzende Fische durch ihre blonden Locken flitzen ließ.
 

„Hier kann nicht einfach jeder Einbrecher gleich einziehen und deswegen bist du nun gefesselt“, erklärte einer der Zwillinge dem Nachtmahr, der erstaunlich leicht zu fangen gewesen war und nun auf einem Sessel in Alice' s Zimmer festgebunden war. Alice beobachtete das alles vom Bett aus während Erin sich neben ihr postiert hatte.

Lullaby hatte wissen wollen warum er wie ein Verbrecher behandelt wurde, wo er doch ihr neuer Mitbewohner war. „Aber ich will hier wohnen..“, quängelte er mit vorgeschobener Unterlippe und versuchte die Fesseln zu lösen, von denen Alice sich fragte wieso die Zwillinge sie mit sich herum trugen.

„Wir müssen Victor erst um Erlaubnis fragen“, meldete sich Erin leise zu Wort.

„Der ist schon wieder unterwegs“, trällerten die Zwillinge im Chor und schienen über diese Tatsache sehr zufrieden.

„Er wird nicht gefoltert, Jungs! Ich finde er macht einen netten Eindruck also können wir doch ein Vorstellungsgespräch abhalten“, schlug Alice vor. Und bevor jemand etwas dagegen einwenden konnte, begann sie schon zu fragen. „Wo kommst du her? Wie lautet dein vollständiger Name? Was hast du für Fähigkeiten, Hobbys und was isst du gern?“

Lullaby war sofort Feuer und Flamme bei diesem Frage-und-Antwort-Spiel. Er beantwortete die Fragen in der richtigen Reihenfolge und mit einem begeisterten Glänzen in den Augen. „Aus der Großstadt, Lullaby der Nachtmahr, Albträume verursachen und Verwandlungen vollziehen, Stricken , Albträume.“

„Stricken?“

„Ich bin dran mit Fragen!“, unterbrach Lullaby und legte dann gleich los. „Wie viele Leute wohnen hier? Bekomme ich auch ein Himmelbett und was muss ich machen um aufgenommen zu werden?“

„11 Personen“, flüsterte Erin.

„Himmelbetten gibt es nur für Leute, die wir mögen“, sagte Clock.

„Dich vom Dach in die Dornenbüsche stürzen“, kicherte Time.

„Das muss er nicht! Musste ich auch nicht!“, beschwerte sich Alice. „Was muss er wirklich machen?“

„Er muss von Mouse geprüft werden.“ Erin schwebte zur Zimmertür und durch sie hindurch. Es dauerte bloß wenige Sekunden bis sie zurück kehrte. Bevor Alice fragen konnte was sie vor der Tür getan hatte, tauchte aus dem Nichts eine schwarze Gestalt im Zimmer auf, die sie mächtig zusammen zucken ließ. Schon wieder!

Lullaby schluckte nervös als er Mouse erblickte und versuchte vergebens seine Fesseln zu lösen. Es war hell im Zimmer und das gab Alice zum ersten Mal die Gelegenheit den Korred wirklich zu sehen. Seine Hände waren wirklich keine Katzenpfoten, so wie das Buch der Naturgeister beschrieben hatte, aber die Hände eines Menschen waren sie auch nicht. Seine Hände waren feingliedrig und lang, mit dunklem Haar auf ihrem Rücken und langen Krallen. Die Haut war pechschwarz. Und als ob das nicht genug Unbehagen in Alice auslöste, konnte sie nun auch noch zwei spitze ebenfalls schwarz-behaarte Ohren aus dem breiten Hut herausragen sehen. Besagter Hut war aus dunkelrotem Stoff genäht und verdeckte die Hälfte vom Gesicht des Korred. Die anderen Hälfte wurden durch den Kragen des dunkelbraunen Umhangs vor Blicken bewahrt. Nur die roten Augen waren zu erkennen und der Ansatz eines breiten Grinsens. War das gerade eine Reihe scharfer Zähne gewesen? Konnte aber auch Einbildung sein, versuchte Alice sich selber zuzureden.

Mouse' s Umhand raschelte leise als er sich Lullaby näherte und sich ein wenig in die Richtung des Gefesselten neigte. Die kleinen Schattenwesen krochen neugierig hervor, huschte aber sofort in den Schatten des Sessels als sie Mouse erblickten.

„Äh-ähm-äh...“, stotterte Alice. „Tu ihm aber nicht weh, ja?“ Das Mädchen bekam eine dicke Gänsehaut als sie beobachtete wie der Korred sich langsam zu ihr wandte. Obwohl sie wusste, dass er ihr nichts antun wollte. Seine Stimme klang so unheilverkündend wie die letzten Male als sie ihn sprechen gehört hatte. „Er wird uns kein Leid antun. Er ist hier um ein Zu hause zu finden.“

„Da habt ihr es gehört, Jungs!“, rief Alice triumphierend. Die Zwillinge verschränkten missmutig die Arme vor der Brust. „Dafür koch ich dir was Schönes Mouse!“
 

Stille.
 

Hatte sie etwas Falsches gesagt? War er wütend? Oh Gott, hoffentlich war er nicht wütend!

„Schweinebraten?“

„Äh... Was?“ Ging das noch peinlicher? Er hatte sie gefragt ob er Schweinebraten bekam, aber sie musste erst mal ihre Hysterie runterfahren. Er hatte nur überlegt was er essen wollte. Kein Grund zur Panik. „Äh- Ja! Gern! Gleich morgen, okay?“

Seine roten Augen musterten sie eine kleine Weile und Alice hätte schwören können, dass sich der unergründliche Ausdruck in ihnen kurz geändert hatte. „Vielen Dank.“ Es verging nur ein kurzer Moment und der Korred war wieder verschwunden.
 

Alice atmete lange aus. Sie konnte ihre neuen Mitbewohner einfach noch nicht richtig einschätzen. Sicher würde sie noch die ein oder andere Panikattacke bekommen...

„Könnt ihr mich jetzt losbinden?“ Lullaby riss sie aus ihren Gedanken.

„Nicht bis Victor da ist! Ist schnurzpiepegal ob du nichts Böses willst solange er nicht seine Erlaubnis gegeben hat!“ Cock und Time schienen Stur zu bleiben. Aber sie hatten damit recht, dass Victor zu entscheiden hatte wer einzog. Und Alice musste sich eingestehen, dass sie dem Nachtmahr auch noch nicht über den Weg traute.

„Dann geht ihr jetzt schlafen, er bleibt dort angebunden. Ich bin müde also los! Sonst mach ich morgen kein Frühstück!“

Auf diese Drohung hin zogen die beiden tatsächlich murrend ab. Doch nicht ohne noch ein paar Mausefallen um Lullaby zu verteilen, die sie wohl wie das Seil mitgebracht hatten. Vielleicht sollte sie mal in das Zimmer der beiden gehen. Nur um zu sehen was für Folterinstrumente die beiden da drinnen hatten, dachte Alice.

Kapitel 11

Huhu! Tut mir leid, dass ich eine Woche aussetzten musste, aber wir suchen gerade zwei neue Mitbewohner und da gab es einfach die ganze Woche so viel zu besprechen und so vielen Leuten die WG zu zeigen und am schlimmsten: so viel zu berechnen(!), dass ich einfach nicht zum Schreiben kam :'(
 

Aber nun hab ich das Kapitel fertig und haue es nur einmal Korrekturgelesen raus xD Ich hoffe es gefällt euch trotzdem :3 (Nicht dass ich sonst keine Fehler übersehen würde xD)
 

Ich wünsche euch eine schöne Woche und viel Spaß beim lesen!
 

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Was für ein herrlicher Tag!

Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten und irgendwo roch es nach frisch gekochtem Kaffee. Herrlich!
 

...Oder auch nicht. Denn neben Alice lief, die Hände in den Manteltaschen vergraben und missmutiger denn je, Killian, der sie in die Stadt zu seinem Arbeitsplatz begleitete.

„Danke, dass du mich mitnimmst“, sagte Alice höflicherweise.

„Ich wurde dazu gezwungen“, antwortete Killian.

„Das ist wirklich eine sehr schöne Stadt“, plapperte Alice weiter.

„Ist es nicht.“

„Ich muss mich unbedingt mal in den Läden umsehen. Aber heute geht es ja zu deiner Arbeit.“

„Mpf.“

„Bin gespannt wie das Modelbusiness so ist, bestimmt anstrengend, oder?“

„Es wäre nur halb so anstrengend, wenn du nicht dabei wärst. Und könntest du bitte aufhören zu reden!? Ich ertrage deine quietschende Stimme nicht mehr!“

„Oh, sieh mal, Killian! Ein Eisladen! Ich kauf mir eines, willst du auch?“

„Nein! Und von welchem Geld überhaupt?!“

„Ich besitze ein Bankkonto und die Karte habe ich bei meiner Flucht schlauerweise eingesteckt. Wie auch den Schlüssel zum Hintereingang meines ehemaligen Wohnheimes. Man weiß ja nie wofür man den noch brauchen könnte.“

„Kauf das Eis! Bitte! Dann hörst du wenigstens auf Unsinn zu reden, der mich nicht interessiert!“

Fröhlich summend begab Alice sich hierauf erst zur Bank und dann in die Eisdiele, wo sie sich gleich fünf Kugel kaufte. Schließlich konnte sie nicht wissen wie oft sie noch in die Stadt durfte.

Sie waren früh aufgebrochen, da Killians Terminkalender vollgestopft war wie eine Weihnachtsgans. Sie hatte einen Blick darauf werfen und sehen können dass eine Seite für einen Tag manchmal nicht ausreichte. Welcher Mensch bzw welcher Naturgeist hielt das aus?
 

Sobald sie das Herrenhaus verlassen hatten, war Alice mulmig geworden und sie hatte instinktiv nach Killians Ärmel gegriffen damit er sie nicht einfach stehen ließ. Daraufhin hatte es eine laute Auseinandersetzung zwischen den beiden gegeben, die andauerte bis sie eine Lichtung erreichten wo eine Kutsche auf sie wartete. Auf die Frage hin warum sie denn nicht ein Auto nutzten sondern sich altmodisch von Pferden ziehen ließen, schälte sich plötzlich Toulouse aus Alice' Schatten und erklärte ihr - man merkte ihm wirklich an wie gerne er erklärte - dass sich die Bewohner des Waldes sofort auf ein die Waldluft verpestendes Auto gestürzt und es in seine Einzelteile zerlegt hätten.

Als Alice dann beiläufig zum Kutschbock sah und weit und breit keinen Fahrer erblickte, kam das mulmige Gefühl sofort wieder ihren Rücken hoch gekrochen. Aber auch hierfür gab es eine Erklärung.

„Das ist ein Kobold, der sich unsichtbar macht, wenn ein Mensch anwesend ist. Aber Ernie ist ein sehr charmanter Kobold also versuche doch dich mit ihm anzufreunden.“

Der Vorschlag des Katers fand jedoch keine Umsetzung denn in diesem Moment begann Killian ihr zu erzählen was sie alles zu lassen hatte. „Du wirst weder reden, noch niesen, noch herumlaufen, auf Klo gehen, dir etwas zu essen holen oder auch nur laut atmen bevor ich es dir erlaubt habe! Geh nirgends ohne mich hin, verstanden? Nicht auszudenken, wenn du mich blamierst! Und ich kann mir schon denken, dass du es garantiert trotzdem zu Stande bringst!“

Konnte man noch unsympathischer sein? Es war schwer möglich, dachte Alice und gab contra:

„Ich werde mich auch benehmen ohne dass ich dich für alles um Erlaubnis fragen muss du blöder Idiot.“ Sie sah wie sein Gesicht rot anlief und nahm an, dass er sich gleich in eine Prügelei mit ihr verzetteln würde. Natürlich würde sie die Herausforderung annehmen. Was war der zeternde Lockenkopf schon gegen Bullenmadeleine aus Zimmer 7? „Wir fahren in eine Stadt voller Menschen zu deinem Arbeitsplatz voller Menschen, die für Menschen arbeiten und Menschendinge tun! Und falls du es noch nicht bemerkt hast, ich bin ein M-! MH!“

Killian war vor geschnellt um seine Hand gleich eines Schraubstocks auf ihren Mund zu pressen. „Wenn du laut ausspricht, was du gerade vorgehabt hast auszusprechen, dann wunder dich nicht, wenn du in zwei Sekunden tot bist! Hast du es noch nicht kapiert?! Der Wald wimmelt nur so von Menschenhassern! Und die, die uns bemerkt haben, halten sich nur zurück, weil ich und Toulouse dabei sind!“, zischte er eindringlich. „Provoziere sie nicht! Ich würde dich ihnen ja gerne zum Fraß vorwerfen, aber dann bekomme ich Ärger mit den anderen und leider gibt es Zeugen.“ Das Model ließ sich zurückfallen und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

Alice war den Rest der Fahrt tatsächlich still. Sie konzentrierte sich darauf sich ständig im Wald umzusehen, nach Bewegungen Ausschau zu halten und jedes mal erschrocken zusammen zu zucken, wenn irgendwo ein Ast knackte. Irgendwann setzte sich Toulouse auf ihren Schoß. Er musste gemerkt haben wie angespannt sie nun war und die Nähe seines weichen Fells beruhigte sie tatsächlich etwas.
 

Es dauerte etwa eine Stunde bis sie eine größere Straße erreicht hatten, die auf ein Feld führte, von dem aus man die Stadt schon sehen konnte. Hier stiegen sie in ein schickes, blitzblankes und anscheinend nagelneues Auto ein.

Da die Fahrertür auf- und zu ging ohne dass man jemanden sah, nahm Alice an, dass Ernie dort Platz genommen hatte. Es war ihr nicht geheuer, dass sie ihren Fahrer nicht sehen konnte, aber da er die kleine Gruppe bisher nicht gegen einen Baum gesetzt hatte, durfte er sie ruhig weiterfahren. Nur was würde passieren, wenn jemand in der Stadt in das Auto spähte und niemanden dort sitzen sah? Aber sicher hatten ihre Mitbewohner auch hierfür vorgesorgt.
 

Eine halbe Stunde später erreichten sie die ersten Wolkenkratzer und erst jetzt konnte Alice aufatmen. Sie nahm sich vor jegliche schlechte Laune von Killian ab sofort zu ignorieren, weil sie sauer war, dass er sich einfach zurück gelehnt hatte, während sie tausend Tode in dieser klapprigen Kutsche gestorben war.
 

Später kamen sie im Hauptgebäude von Killians Agentur an, indem heute ein Shooting stattfinden sollte.

Alice fand sich allein auf einem Holzhocker wieder, umringt von eifrig hin- und herlaufenden Visagisten, Assistenten, Kameraleuten und wie die sonst noch alle hießen. Sie hatte so gar keine Ahnung von all dem hier. In ihrem Dorf war wenig davon durchgedrungen wie es in der Großstadt oder auch nur einer erfolgreichen Agentur zuging. Alice beobachtete alles neugierig, flüsterte manchmal aufgeregt etwas zu Toulouse, der sich in ihren Schatten zurückgezogen hatte.

Apropos Schatten! Seit dem frühen Morgen hatte sie einen weiteren Mitbewohner. Lullaby durfte auf Probe bleiben, so hatte sie es jedenfalls verstanden. Sie wusste dass niemand ihm bis jetzt richtig traute, aber dafür war er schließlich auch erst letzte Nacht angekommen.

Sie selber fühlte sich dem Nachtmahr von allen am nächsten, war er doch in der selben Situation wie sie. Außerdem verstanden sie sich prächtig. Den ganzen Morgen hatten sie herum gescherzt. Bis Killian sie angemault hatte endlich mitzukommen, denn würden sie sich verspäten, würde er den Ärger bekommen, wofür sie wiederum würde büßen müssen. Daraufhin hatte sie eine Grimasse geschnitten und Lullaby hatte sich halb tot gelacht, seine Schattenwesen stimmten ein lautloses Gelächter an. Zum Glück unbemerkt vom Griesgrammodel.
 

Alice sehnte sich nun danach draußen herum zu bummeln, zu stöbern und etwas zum Anziehen zu kaufen. Das einzige was sie hatte waren die Klamotten, die Erin ihr lieh. Leider sah sie in dem Kleid, das sie gerade trug zwar niedlich, dennoch nicht besonders angesagt aus.

Hellbeige und mit Rüschen reich verziert hätte es besser auf eine Blumenwiese und zu einem Kaffeekränzchen gepasst. Wenigstens musste sie nicht vor die Kamera.
 

„Igitt, was ist das denn für ein Fetzen! Der müffelt ja nach Mottenkugeln! Warum sitzt du hier im Weg? Gibt es nicht einen Kleiderschrank, in den du dich hängen kannst?“

War das Killian? Nein, dafür war die Stimme viel zu hell und kindlich. Dennoch hätten diese Sätze gut aus seinem Mund kommen können.

Alice blickte nach rechts von wo diese charmanten Worte der Begrüßung zu ihr geflattert waren und sah in das Gesicht eines Jungen. Es konnte sich hierbei durchaus um Killians Bruder handeln, denn das Bürschchen besaß wie er üppige Locken, nur waren seine blond, die einen Rahmen um sein Gesicht bildeten, was ihm die Züge eines kleinen Engelchens verlieh. Er hatte graßgrüne Augen, einen hübschen Schmollmund, der ihm sehr viel Kindlichkeit verlieh obwohl er um die 13 bis 14 sein musste, und war sehr schlank. Garantiert ein Model.
 

„Ich bin mit Killian hier genug gestraft. Du musst mir nich auch noch unter die Nase reiben wie altmodisch dieses Kleid ist, Mädchengesicht! Ich weiß das selber auch, es ist nur geliehen.“

„D-du bist mit Killian hier?“ Der freche Ausdruck auf seinem Gesicht war wie weggewischt.

„Nathanael ist ein heimlicher Verehrer unseres hauseigenen Models, musst du wissen“, erklärte ihr Schatten flüsternd. „Er würde am liebsten auch bei uns einziehen.“

„Toulouse!“, zischte Alice erschrocken, „Er kann dich hören!“

„Ich weiß was Killian ist und ich kenn Toulouse! Aber warum du? Du bist nur ein Mensch! Wohnst du etwa im Wald?!“

Er schien richtig entsetzt, wenn nicht gar wütend zu sein. Alice nickte und fragte sich mit was für einem Wesen sie es nun schon wieder zu tun hatte. Das wurden langsam wirklich viele! Unglaublich wo man sie überall antraf! Und viele Menschen arbeiteten ohne es zu wissen Seite an Seite mit ihnen. Unwillkürlich fragte sie sich wie viele der Naturgeister wohl in ihrem Dorf gelebt hatten.

„Das glaube ich nicht! Wieso du? Wieso darf ich dann nicht?! Du bist nur ein Mensch, da pass' ich doch wohl viel besser rein!“

„Das mag sein, Nathanael, aber du weißt genau dass Victor es nicht will“, maunzte es aus Alice Schatten leise.

„Aber das ist unfair!“ Der Junge stampfte mit dem Fuß auf, blickte sich dann schnell um ob es jemand gesehen hatte und atmete tief durch um sich zu beruhigen.
 

„Was findest du denn so toll an Killian? Ja, er sieht gut aus, aber er ist nun wirklich unausstehlich!“, bemerkte Alice.

„Er ist einer der Besten im Modelbussiness“, flüsterte Nathanael nun. „Alle reißen sich um ihn, wollen ihn um die Welt fliegen, aber er geht nicht mit. Er lässt sie zappeln und macht sich so noch interessanter. Ich werde auch so ein begehrtes Model werden wie er!“

„Und genau so unausstehlich?“

„Sei ruhig, Mensch! Du hast davon keine Ahnung!“

„Du bist ihm schon ganz schön ähnlich, weißt du das?“, meinte Alice schnippisch und musste mit ansehen wie der Frechdachs sich auch noch darüber freute!
 

Bloß nicht aufregen, dachte sie sich. Den konnte man noch formen und sie würde ihr bestes geben, dass er nicht so ein Blödmann wurde wie sein Vorbild. Erstmal musste sie dafür sein Vertrauen gewinnen.

„Was bist du eigentlich? Du siehst aus wie ein Mensch. Warum sehen so viele aus wie Menschen?!“

„Tarnung“, antwortete Nathanael. „Ich bin ein Flussjunge. Die meisten nennen uns Wassermänner oder Neck. Ich kann meine Gestalt ein wenig verändern.“

Mit ihm ließ sich eigentlich ganz normal plaudern, fand Alice und hörte ihm weiter gespannt zu.

Er vergewisserte sich, dass sie noch immer nicht belauscht wurden und fuhr fort. „Ich habe eigentlich Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen, ach und meine Zähne sind so spitz wie die eines Hais.“ Er grinste, zeigte aber bloß eine Reihe perfekter vollkommen menschlicher Zähne.

„Und ich trage eigentlich richtig coole Klamotten“, seufzte Alice. Es wunderte sie schon gar nichts mehr. Spitze Zähne und Schwimmhäute, das ging ja noch. Wenn sie da an Mouse dachte... Aber ein bisschen schade fand sie es schon, dass nicht mal ein paar mehr Monstrositäten dabei waren... Würde das Familienfoto sicher interessanter aussehen lassen. Wenn sie denn Familienfotos machten oder überhaupt darauf gesehen werden konnten.

„Soll ich mal fragen ob ich ein paar Klamotten kriege, die hier nicht mehr gebraucht werden? Ich bekomme manchmal welche geschenkt.“ Sieh mal einer an! Ein nettes Angebot von dem Killian-Nacheiferer. Der musste aber noch üben.

„Klar! Danke! Du rettest mir den Tag!“, rief Alice begeistert und strahlte.

Aber dazu sollte es nicht mehr kommen. Denn in diesem Moment trat jemand durch die Tür des Studios, dem Alice unter gar keinen Umständen begegnen wollte. Er hatte sie sofort entdeckt.

Mit großen Schritten und dennoch geschmeidig, das ließen seine langen Beine zu, kam William auf die Gruppe zu, fixierte Alice dabei mit seinen Blutroten Augen.

Ein leises Fauchen von unten ließ Alice ruckartig aufstehen. „Verschwinde Alice!“, rief Toulouse ihr zu. Ein schwarzer Fleck trennte sich von ihrem Schatten und huschte in den der Scheinwerfer, die kurz darauf krachend umkippten, direkt in Williams Weg.

Erschrocken kamen Menschen angerannt, erkundigten sich nach seinem Wohlbefinden und begannen das Chaos aufzuräumen. Er jedoch beachtete sie gar nicht, sah sie nicht einmal an.

Er hatte die Fährte des Mädchens längst aufgenommen, das gerade mit dem Flussjungen aus dem Raum gespurtet war. Und er würde sie kriegen. Dieses Mal entkam sie ihm nicht!

Stellwände und Leitern krachten ihm in den Weg, aber er wich ihnen aus und erklomm sie mit spielerischer Leichtigkeit.

Ihren Kopf würde er auf einen Stock spießen und in den Garten dieses verfluchten Herrenhauses stanzen, damit Victor endlich das bekam was er verdiente!

Kapitel 12

War sie zuerst in Führung gewesen, überholte Nathanael Alice nun, packte sie am Arm und zog sie mit sich einen Gang hinunter. Sie stellte keine Fragen, dafür war sie viel zu sehr in Panik. Stattdessen ließ sie sich führen. Williams plötzliches Auftauchen hatte sie sofort aus der Bahn geworfen. Was machte der Vampir hier? War er ihnen gefolgt? Wenn er hier jederzeit auftauchen konnte, warum durfte sie dann überhaupt mitkommen? Sie glaubte nicht, dass Victor etwas damit zu tun hatte! Sie wollte es zumindest nicht glauben.

Bei Killian war sie dagegen nicht so sicher.

Wollte er sie vielleicht loswerden? Hatte er sie an die Vampire ausgehändigt? Erklärte das seine jetzige Abwesenheit? Aber das wäre auch Verrat an Victor!
 

Die hinter ihr zuschlagende Tür fokussierte ihre Gedanken wieder auf ihre Flucht. Gehetzt sah sie sich um. Der Raum, in den Nathanael mit ihr geflüchtet war, entpuppte sich als die Herrentoilette der Agentur. Verwirrt suchte sie den Blick des Flussjungen, der sich an dem kleinen Fenster am anderen Ende des Raumes zu schaffen machte.

„Bleib da gefälligst nicht stehen sondern komm hier rüber, wenn du nicht sterben willst!“ Man sah ihm an, dass auch er Angst hatte.

Hektisch öffnete er das Fenster und hebelte es mit einem einzigen Ruck aus der Verankerung bevor er es achtlos in eine Kabine schleuderte.

„Kletter hier durch, los!“

Sie tat einfach was er sagte, erreichte den leeren Fensterrahmen und hievte sich mit Armen weich wie Butter irgendwie hindurch. Als sie es zur Hälfte geschafft hatte, hörte sie hinter sich die Toilettentür knallend zu Boden gehen. Ihr Herz machte einen Satz. So schnell sie konnte schlüpfte sie ganz nach draußen auf einen kleinen Vorsprung, der sich hier aufgrund eines schmalen Wintergartens befand, dessen Dach er bildete.

Die Straße war zehn Stockwerke unter ihr, dass Dach des Gebäudes ungefähr fünf entfernt. Wie zum Teufel sollte sie hier wegkommen?!
 

Im Raum hinter hier knallte und krachte, zischte und blubberte es nun. Mit zitternden Knien bückte sich Alice um zu sehen was drinnen passierte. Nathanael hatte sämtliche Leitungen aus der Wand platzen, Toiletten und Waschbecken hochgehen lassen, sodass der ganze Raum nun voller Wasserfontänen war, die ihn in ein glitzerndes Feuerwerk verwandelten. Irgendwo da drinnen musste William sein und sich durch das Wasser kämpfen. Und es musste ihn nicht gerade glücklich stimmen.

ALice bekam einen gehörigen Schreck als Nathanael ebenfalls durch die Fensteröffnung nach draußen kroch.

„Wohin jetzt?“, fragte sie den tropfnassen Flussjungen panisch.

„Folg' mir einfach!“, rief er zurück, nahm ihre Hand und platzierte eine Fuß an der Hauswand. Als er dasselbe auch noch mit dem Zweiten tat und nun von der Wand ab stand wie ein Wasserspeier, klappte Alice die Kinnlade runter. „W-wie hast du das gemacht?!“

„Mach es ihm nach, Alice!“, miaute eine aufgebrachte Katzenstimme von unten. Toulouse' Augen befanden sich nun in dem Schatten an der Wand unter Nathanaels Füßen. Irgendwie schien der Schattenkater den Flussjungen an der Mauer zu halten.

Alice zögerte. Aber was war die Alternative? Williams Klauen schienen nicht verlockender als gleich eines abstehenden Haares an einer Hauswand zu kleben.

Zuerst stemmte sie einen, dann, mit zugekniffenen Augen, den anderen Fuß gegen die Wand. Zeit um sich zu vergewissern ob es auch bei ihr funktionierte hatte sie nicht, denn Nathanael zog sie sofort weiter. Mit Schrecken musste sie feststellen, wie sie auf der Wand dem Abgrund entgegen rannte wie eine Spinne! Nur eben schreiend.

An ihrer linken Hand zog Nathanael sie mit sich, der rechte Arm flatterte nutzlos in der Luft herum und wahrscheinlich flog ihr Kleid ihr gerade bis über die Hüfte.

Ein langgezogenes 'AH' schreiend, lief sie den Pflastersteinen entgegen. War es möglich, dass sie sich unten schrecklich wehtun würde?
 

Kurz bevor sie in einen Hinterhof prallten, stieß sich Nathanael von der Mauer ab, ließ Alice los und landete etwas in die Knie gehend auf seinen Füßen. Alice klammerte sich an ihn, aber ohne von der Wand abzuspringen. Also hing sie waagerecht zwischen ebendiesen, den Boden eineinhalb Meter unter ihr. „Das... War Wahnsinn!“, keuchte sie und meinte es durchaus positiv. Vorsichtig stellte auch sie sich aufrecht hin.

„Wir müssen Ernie erreichen“, machte Toulouse sie wieder auf ihre prekäre Lage aufmerksam. „Folgt mir!“ Der Schattenkater nahm die Form einer Katze an und rannte voraus. Die beiden anderen folgten ihm keuchend.
 

„Stehen bleiben Alice!“, rief Williams Stimme, die viel zu nah bei ihnen klang. Alice machte den Fehler sich umzudrehen, erblickte den Vampir auf der anderen Seite des Innenhofes, dort wo sie eben gerade selbst gestanden hatte, und kam vor Schreck ins Straucheln. Sie fiel mit beiden Knien und den Händen in den Dreck, der sich hier gesammelt hatte. Sofort fingen ihre Handflächen an zu brennen. Gab es etwas unpraktischeres als sich in einem schattigen Hinterhof vor einem Vampir die Haut blutig zu schürfen?

Sie spürte ihn hinter sich noch bevor sie sich umdrehen konnte und quiekte leise auf. Sie saß gewaltig in der Patsche und wenn ihr nicht schnell was einfiel war es das wohl gewesen. Ade du schnöde Welt!

„K-komm ihr nicht zu nahe!“ Nathanaels Stimme klang genau so quiekend wie ihre eigene, aber Alice war unglaublich dankbar sie nun hinter sich zu hören. Hastig drehte sie sich um. Killians Bewunderer hatte sich zwischen sie und William gestellt was ihr einen kurzen Moment gab um sich ein Stück aufzurichten. Leider schien er William überhaupt nicht zu beeindrucken.

Der Vampir packte ihn am Kragen und hob ihn hoch als wäre er ein naives Säckchen Staub. Dabei zischte er ihm direkt in das hübsche Gesicht. „Du möchtest also heute meine Mahlzeit sein Bürschchen. Dann warte gefälligst bis ich das Mädchen aus dem Weg geräumt habe!“ Und er schleuderte Nathanael in einer übermenschlichen Geschwindigkeit hinter sich. Beeindruckender Weise schaffte der Kleine es eine Pirouette in der Luft zu drehen und auf seinen Füßen zu landen. Hatte Alice sich verhört oder knurrte er bedrohlich? Nur leider schien er ihr nicht helfen zu können, denn warum wäre er sonst mit ihr geflüchtet? Sie stand immerhin wieder, wagte es aber nicht davon zu laufen. William jetzt den Rücken zuzudrehen wäre mehr als lebensmüde gewesen.

Nathanael lief erneut auf ihren Angreifer zu, der ihn sofort ergriff und dieses Mal auch nicht wieder los ließ. „Dann eben du zuerst. Das Blut von Wasserwesen hat immer so eine erfrischende Wirkung“, schnurrte William amüsiert. Alice musste mit ansehen, wie der Flussjunge seine Augen zusammenkniff und die Lippen aufeinander presste. Er hatte doch nicht ernsthaft vor sich für sie zu opfern?! Aber nicht mit ihr! Ihre Lebensgeister waren soeben aus ihrem Mittagsschläfchen erwacht und ließen sie loslegen.

„William!“, rief sie wütend. „Behalt die Beißerchen eingefahren, heute gibt es weder ihn noch mich zum Nachtisch!“ Ja, so war es gut! Heldensprüche schindeten Zeit und machten Mut! William schnaubte belustigt, blieb ihr aber einer Antwort schuldig.

„Ich hab dir nichts getan also lass mich in Ruhe!“

„Du wohnst bei Victor, was als Grund vollkommen ausreichend ist.“

„Nur weil ich ein Mensch bin, dem netterweise Asyl gewährt wurde, heißt das nicht, dass ich dir auf die Füße getreten bin!“

Jetzt lachte er, hob eine Hand, schlug Nathanael damit gegen den Hinterkopf und nockte ihn so aus bevor er ihn einfach auf den Boden fallen ließ. „Sei nicht dumm, Alice. Du bist kein Mensch.“
 

Sie wusste nicht was das zu bedeuten hatte. Sie und kein Mensch? Was wollte er damit sagen? Natürlich war sie ein Mensch! Hatte er keine Augen im Kopf?!

Hinter ihr kam ein Auto mit quietschenden Reifen zum Stehen. Im nächsten Moment standen Killian und Toulouse neben ihr.

„Wie schade. Und es war so knapp“, waren die letzten Worte, die Alice von William hörte, ehe sie in das Auto gezerrt wurde, welches augenblicklich davon raste als der bewusstlose Nathanael den Weg neben sie auf die Rückbank fand. Mit dem Kleinen war Killian eingestiegen.
 

„Was sollte das? Warum hat er so triumphierend gelächelt, Alice?“ Killian lehnte sich vor sie und blickte ihr so forschend in die Augen, dass sie schon fast vergaß was für ein Ekel er war. Denn diese Augen... Hach. Jedoch schüttelte sie nur den Kopf. „Ich hab keine Ahnung.“ Er hatte wohl nicht mitbekommen was der Vampir zu ihr gesagt hatte. Wie hätte er reagiert wenn doch? Sie war im Herrenhaus aufgenommen, weil sie ein verstoßener Mensch war. Wenn das nun nicht stimmte was dann? Würde sie hinausgeworfen werden? Sie musste erst mal ihre Gedanken ordnen. Bestimmt log William bloß um sie zu verunsichern!

„Was ist mit Nathanael?“, fragte das Model weiter.

„William hat ihn auf den Hinterkopf geschlagen und da hat er sich einfach verabschiedet, der Arme...“

„Und was ist mit deinen Händen und Knien?“

„Bin gestürzt.“

„Unglaublich! Das Mädchen immer umfallen, wenn sie verfolgt werden! Als wäre es ein ungeschriebenes Gesetzt!“

„Hey! Dein kleiner Verehrer ist ohnmächtig geworden, nicht ich!“

„Tsss!“

Die beiden starrten sich wütend an während das Auto durch die Straßen der Stadt raste.

„Wir müssen Alice' Wunden versorgen ehe sie den Wald betritt“, warf Toulouse ein, der sich mal wieder aus ihrer Diskussion raus gehalten hatte. „Die Waldwesen werden sich sonst nicht mehr so leicht zurück halten.“

„Ich soll ihre Wunden versorgen obwohl ich wegen ihr mein Shooting abbrechen musste?!“, begehrte das italienische Model auf.

Zur Antwort zeigte Toulouses Schwanzspitze auf ein Fach vor dem Beifahrersitz. Grummelnd kletterte Killian halb nach vorne, öffnete das Fach, angelte darin herum bis er einen Erste-Hilfe-Kasten hervorzog und ließ sich wieder nach hinten fallen.

„Hände her!“, befahl er.

„Guck erst nach Nathanael! Nicht, dass er uns hier wegstirbt.“

„Unkraut vergeht nicht, das siehst du doch an dir!“ Und er packte Alice linke Hand grob, sprühte ein brennendes Desinfektionsmittel darauf, dass Alice Tränen in die Augen trieb und hantierte dann alles andere als liebevoll mit dem Verband herum. „AUA! Geht das nicht vielleicht ein kleines bisschen vorsichtiger!?“

„Nein.“

Während Killian auch ihre andere Hand und die Knie versorgte, schmollte Alice vor sich hin, beobachtet von Toulouse, dessen Schnurrhaare verdächtig zuckten. Fast als würde er kichern.
 

Der Ausflug in die Stadt war also ein völliges Desaster und hatte mehr Fragen heraufbeschworen als Alice sowieso schon gehabt hatte. War sie wirklich kein Mensch? Belog William sie nur um sie zu verunsichern damit sie leichtere Beute war? Wieso wusste er wo sie sich aufhielt?

Warum durfte Nathanael nicht im Herrenhaus wohnen? Wie sah Ernie aus?

Außerdem bemerkte sie erst jetzt, dass sie ihren linken Turnschuh verloren hatte...

Konnte dieser Tag noch schlimmer werden?
 

Er konnte.

Kapitel 13

Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat >__< Aber es ist das Ende des Semesters und da gibt es immer viel zu tun. Nun hab ich aber nur noch eine einzige Woche bevor die Ferien sind und auch wieder etwas Luft. Danke, dass ihr so lange gewartet habt!

Viel Spaß beim Lesen und danke für Kommentare ^^
 

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„Stell dich nicht so blöd! In einem Zweikampf hätte Nathanael keine Chance gegen William gehabt!“

„Ich stell mich nicht blöd! Woher soll ich bitte wissen wer von euch Supermen, Spidermen und Hulks stärker ist als der andere?“

Es waren mal wieder Killian und Alice, die sich stritten. Sie hatten es nicht lassen können, selbst als sie mit der Kutsche durch den Wald zurück zum Herrenhaus gefahren worden waren.

Auf halber Strecke hatten sie deshalb einige kleine Mönche auf sich aufmerksam gemacht, die sie von da an den Rest des Weges mit Eicheln beworfen hatten. Der ohnmächtige Nathanael bekam von alledem nichts mit, auch wenn ihn ab und zu eine der Wurfgeschosse traf. Momentan hing er wie ein nasser Sack über Killians Schulter - Alice wusste genau wie sich das anfühlen musste – und gab noch immer nicht das geringste Anzeichen von Leben von sich.
 

Aber all dies hatte die Stimmung zwischen Alice und William nicht wirklich gebessert sondern eher weiter entflammt. Sie hätten sich mit Blicken getötet, wenn sie es denn gekonnt hätten.

Kaum hatten die kleine Gruppe die Eingangshalle des Herrenhauses betreten, brach erneut ein Chaos aus. Die Zwillinge, die den ganzen Tag nichts zu tun gehabt hatten, was immer ein sehr gefährlicher Zustand war – für alle anderen -, hatten sich einen Vorrat an Wasserbomben angelegt, den sie anscheinend bereits an Lullaby und nun auch an den nach Hause Kommenden ausprobierten. Toulouse jaulte auf, fauchte und sprintete in die obere Etage wo er sich wahrscheinlich an einem sicheren Ort niederließ um sein Fell trocken zu lecken.

Alice quietsche, griff sich einen Blindgänger, der nahe ihrer Füße herum rollte, zielte und traf einen der Zwillinge direkt an die Stirn. Er taumelte ein Stück zurück, lachte und tastete selber nach einem neuen Geschoss. Leider tat dieses Manöver Alices aufgeschürften Handfläche nicht sehr gut, denn sie begann augenblicklich stark zu brennen. Aber so war es im Krieg nun mal. Rücksicht auf Wunden konnte man im Gefecht nicht nehmen und so griff sie nach der nächsten nicht geplatzten Wasserbombe und hob sie um erneut zu feuern.

„SCHLUSS JETZT!!“, brüllte Killian aufgebracht. Die Zwillinge und Lullaby, dessen Schatten eben noch ausgelassen durch die ganze Halle gehuscht waren, zuckten zusammen. Die Schatten zogen sich zurück. „Sei kein Spielverderber Killian!“, rief Clock.

„Du bist so ein miesepetriges Weichei!“, rief Time.
 

„Seht ihr nicht, dass wir einen Verletzten dabei haben!?“, brüllte das Model weiter.

'EINEN Verletzten'?, dachte Alice grummelnd, hütete sich aber es laut auszusprechen, da sie befürchtete Killians ganzen Zorn dann auf sich selbst zu ziehen.

„Wir wurden von William angegriffen und ich will verflucht nochmal mit Victor sprechen, damit er mit erklärt wie das passieren konnte, zum Teufel nochmal!!“ Es war still in der Halle. Bis auf das Echo, welches Killians Wutausbruch hinterließ. Obwohl er tropfend nass war und sein ansonsten lockiges Haar ihm nun in nassen Strähnen am Kopf klebte, wirkte er einfach nur Furcht einflößend.

Erst jetzt schienen die Zwillinge und auch Lullaby, der ganz klein wirkte aufgrund der Standpauke, die Neuankömmlinge richtig wahr zu nehmen. Ihr Blick fiel auf den ausgenockten Nathanael und wanderte über Killians wütende Fratze zu Alice und den Verbänden an ihren Händen und Knien.

„Ihr wurdet angegriffen?“, fragten die Zwillinge im Chor.

„Wer ist William?“, wollte Lullaby wissen, wurde aber ignoriert.

„Und Alice ist verletzt!“, riefen Clock und Time während sie schon auf sie zu rannten, jeder eine Hand nahmen und darauf herumdrückten.

„Aua! Hee!“ Sie entzog den beiden ihre Hände. „Das tut weh verstanden?“ Verblüfft musste sie allerdings feststellen, dass die beiden Jungen bestürzt zu ihr aufblickten. Lullaby hockte mittlerweile neben ihr und beäugte ihre Knie. Ein Hauch von Rührung durchflutete Alice. Jemand machte sich Sorgen um sie.
 

„VICTOR!“, brüllte Killian schon auf dem Weg nach oben. Bebrüllter erschien kurz darauf mit zerwühltem Haar und blinzelte schläfrig. „Mh?“, wollte er, offensichtlich gerade aufgestanden, wissen. Einen Moment später wurde ihm Nathanael in die Hände gedrückt. Er konnte den Flussjungen gerade so festhalten. „Ist das nicht der Kleine, der-“

„... ständig nervt, dass er einziehen möchte, ja. Mach da was. Wenn der drauf geht, hab ich den Ärger am Hals. Er ist einfach schon zu bekannt.“

„Was... ist passiert?“ Man sah Victor an wie verwirrt er war. Alice, die ihre drei besorgten Mitbewohner vorsichtig auf den Kopf gepattet hatte, kam nun zu ihnen um ihrem Vermieter zu erklären, was Killian gerade nur gebrüllt zu beschreiben vermochte.
 

„William hat uns gefunden, verdammt! Das ist passiert! Es war deine Idee, dass ich sie mitnehme und nun musste ich ein wichtiges Shooting abbrechen, weil sie und diese kleine Nervensäge“, Killian wies mit der Hand auf Nathanael, der nun auf Victors Armen lag, „die halbe Agentur unter Wasser gesetzt haben!“

„Er hat mir geholfen zu fliehen, kapiert!? Im Gegensatz zu dir!“, fluchte nun Alice dazwischen.

„Wer hat denn bitte das Auto geholt und euch aus den Klauen des bösen Vampirs entrissen?!“ Er war anscheinend nicht bereit sich so schnell zu beruhigen.
 

Keiner der beiden bemerkte das Pusteblumenköpchen, welches sich neugierig zur Eingangstür hineinschob.
 

„Ohne Nathanael wäre ich da schon mausetot gewesen!“

„Toll! Eine freche Göre weniger, die mich nervt!“

Der arme Victor stand zwischen den beiden und fühlte sich sichtlich unwohl mit der Situation.
 

„Wer bist du?“, fragte Lullaby.

„Ich heiße Coraline... Was ist passiert?“, wisperte sie mit dünnem Stimmchen.

„Das kann ich nicht genau beurteilen, weil die beiden so sehr schreien“, flüsterte der Nachtmahr seufzend.

Coralines blaue Augen fixierten die Gruppe auf der Treppe. Es dauerte nur ein paar Sekunden bis es still wurde. Die eben noch Streitenden verstummten verblüfft und blickten sich mit gekräuselter Stirn forschend ins Gesicht.

Victor atmete auf. Wenn es Coraline nicht gäbe, deren Gegenwart, wenn sie es wollte, so unglaublich beruhigend wirken konnte, wie lange hätten sie dann noch hier gestanden?
 

„Erklärt mir was passiert ist. Und zwar ganz ruhig bitte Killian!“ Victor legte Nathanael auf der obersten Treppenstufe nieder und fühlte seinen Puls. Vorher hatte er Coraline einen dankbaren Blick zugeworfen.

Erwartungsvoll waren alle Blicke auf Killian gerichtet, dem es nun sichtlich unangenehm war wie er eben herumgeschrien hatte. Alice konnte es ihm nachfühlen. Auch ihr war es peinlich derart die Beherrschung verloren zu haben. Warum nochmal mussten sie so streiten? Ihre ganze Wut war einfach verpufft.

„Ich habe sie mit in die Stadt genommen, wie abgesprochen. In der Agentur ist dann William aufgetaucht.“

Alice vervollständigte die Schilderung der jüngsten Ereignisse. „Er hat Nathanael und mich bis nach draußen verfolgt um uns beide zu töten. Aber ich denke er war hauptsächlich wegen mir dort.“

„Er muss eure Fährte verfolgt haben. Das bedeutet sie haben Wachen postiert.“ Victor schüttelte leicht den Kopf. Er hatte sich neben Nathanael gesetzt. „Warum machen sie sich diese Mühe? Alice ist nur ein Mensch von vielen für sie also warum diese Belagerung? Nur um mir eins auszuwischen?“

„Du scheinst ja beliebt bei Vampiren zu sein“, warf Lullaby grinsend in die Unterhaltung ein als er sich auf das Treppengeländer des ersten Stocks hockte.

„Beliebt würde ich das nicht nennen...“, murmelte Alice.

„Aber das ist vielleicht gar nicht so falsch... Irgendetwas wollen sie...“ Während sie Victor dabei beobachtete, wie er sich den Kopf darüber zerbrach was an ihr so besonders sein könnte, haderte Alice mit sich ob sie ansprechen sollte was William zu ihr gesagt hatte. 'Du bist kein Mensch'... Die anderen hatten bereits mitbekommen, dass sie... nun ja robust gebaut war. Jedoch schien daran gerade niemand zu denken. Sollte sie etwas sagen? Aber was wenn sie dann, wie befürchtet, nicht mehr hier wohnen durfte? Außerdem war noch gar nicht klar, dass sie irgendwas anderes war als ein menschlichen Wesen! Zuerst musste geklärt werden, was sie überhaupt sein könnte, denn wenn sie ein geisterfressendes Ungetüm sein sollte, wollte sie das lieber verschweigen.
 

Der Abend verstrich und Alice hatte nichts mehr zu dem Thema gesagt. Killian war auf sein Zimmer und Victor in die Nacht verschwunden.

Sie saß nun mit Lullaby, den Zwillingen und Erin in ihren Zimmer an einem kleinen Kamin und dachte nach.

Nathanael lag in ihrem Bett und blieb weiterhin bewegungsunfähig, Coraline planschte in einer Wanne im Erdgeschoss und unterhielt sich mit Toulouse.
 

„Da stimmt etwas nicht, Coraline...“ Das Fell des Schattenkaters war wieder trocken und glänzte schwarz im Licht des durch das Fenster einfallenden Mondes, der in diesem Moment zwischen zwei Regenwolken hervor lugte.

„Ich habe die Vampire beobachtet. Sie lauern überall um das Haus herum“, flüsterte Coraline ängstlich. „Auf meinem Weg hierher habe ich mindestens drei von ihnen gesehen. Ich traue mich fast nicht mehr in meinen See zurück. Und Victor ist ganz allein unterwegs.“

Es verging eine Weile, in der keiner sprach. Toulouse blickte nachdenklich auf eine Seifenblase, die unter vielen auf dem Badewasser trieb. Dann ergriff er das Wort. „Sollten wir ihm folgen?“

„Vielleicht nehmen wir Mouse mit. Es ist sicher ratsam ihn als Beschützer dabei zu haben.“

Der Kater schnurrte belustigt. „Und du meinst du brauchst ihn dafür?“

Sie erwiderte sein Kichern woraufhin ein Vogel ohnmächtig vom Himmel und direkt in den Garten des Hauses fiel. Auch Toulouse hatte die eine Gefühlsschwankung wahrgenommen, war jedoch weitestgehend resistent gegen solche. Ein Vorteil, wenn man ein Schattenkater war.

„Ich denke es ist trotzdem klug ihn mit zu nehmen. Wer weiß wie viele noch dort draußen sind“, wisperte die Asrai daraufhin mit einer leichten Röte auf den Wangen.
 

Ein schmerzerfülltes Stöhnen von Alices Bett, ließ alle im Zimmer aus ihren Gedanken schrecken. Niemand hatte etwas gesagt in den letzten 20 Minuten. Die Zwillinge waren sogar eingenickt.

Alice stürmte, von ein paar Schattengestalten begleitet zu ihrem Bett. „Nathanael? Bist du wach?“

„Ich werde den Kerl töten“, murmelte der Flussjunge und setzte sich ganz langsam, sich den Kopf haltend, auf. „Wo bin ich? Doch nicht etwa -?“ Sein Gesicht hellte sich auf. „Dann war es ja doch zu was gut.“

„Du musst mir mal erzählen warum dich hier niemand wohnen lassen will. Aber zuerst erzähl ich dir was du verpasst hast.“ Und Alice berichtete die Ereignisse der letzten paar Stunden. Natürlich ließ sie die Information mit dem 'Nicht-Mensch-Sein' aus. Auf Nathanaels Frage hin stellte sie auch Lullaby vor. Die anderen kannte er schon.

„Sagt mal habt ihr vielleicht eine Flasche Wasser? Ich verdurste... Das ist übrigens der Grund.“

„Das du verdurstest?“, wollte Alice zweifelnd wissen.

„Er säuft wie ein Loch und er will einen eigenen Pool“, spottete Time.

„Und darin will er einen Springbrunnen haben! Und einen Wirlpool auch noch!“, vervollständigte Clock die Forderungen ihres Gastes.

„Es würde uns sehr viel Aufwand und Geld kosten. Und es wäre ein Risiko die Materialien hierher zu schaffen“, begründete Erin die allgemeine Empörung leise bevor sie sich mit traurigem Blick wieder zurück zog und das Geschehen von weiter hinten beobachtete.

„Ich brauche das zum Überleben!“, verteidigte sich Nathanael sichtlich gekränkt und sah unglaublich putzig dabei aus.

„Du hast vergessen, dass du pro Woche mindestens ein Huhn oder eine Ziege brauchst“, erinnerten die Zwillinge unisono an die eine Sache, die noch unangenehm dazukam.

„Wofür das denn? Zum... äh... IH!“, rief Alice als sie sich an die Geschichten von der Opferung kleiner Tiere oder Ziegen erinnerte, die ihr streng katholischer Religionslehrer ihnen von satanistischen Ritualen erzählt hatte. Sicherlich hatte er seine Erzählungen auch noch schön ausgeschmückt damit sie besonders furchterregend klangen. Etliche Mitschülerinnen hatten daraufhin nächtelang nicht durchgeschlafen. Alice hingegen freute sich darüber endlich den Schlaf zu bekommen, der ihr so schmerzlich fehlte, denn ihre Mitbewohnerinnen hatten die Nächte ängstlich mit anderen Mädchen im Versammlungsraum der Anstalt verbracht und an Abwehrzaubern gebastelt, anstatt wie sonst lautstark zu schnarchen.

„Ich mag eben blutiges Fleisch, na und? Ich kann mir nicht vorstellen gebratenes zu essen!“

„Führen wir das nicht weiter aus sonst wird mir schlecht“, bat Alice. „Ich bring dir Wasser und dann will ich schlafen.“

„Ich lass mir schon mal eine Badewanne ein.“ Eine hübsche Melodie trällernd, machte Nathanael sich auf den Weg ins Bad. Die Aussicht darauf sich gleich ins Wasser legen zu können, heiterte ihn sichtlich auf.
 

Alice hingegen ging in die Küche, begleitet von Lullaby, der sie so ansah als wollte er sie um etwas bitten. Er machte einen einschleimenden Eindruck. So als wollte er sagen: Du bist heute wieder richtig hübsch, Alice!

„Darf ich bei dir schlafen, Alice?“

„Du willst mir einen Albtraum zusammen werken oder?“, wollte das Mädchen misstrauisch wissen. Der Nachtmahr zog eine Schnute. „Nur einen Kleinen. Ich hab so Huuuunger!“

Alice stöhnte genervt. „Na gut. Aber wehe er ist nicht so klein wie du versprichst! Dann hack ich dich morgen persönlich in -“

Die Tür, an der das Schild mit dem Hammer hing und durch die Alice in der ersten Nacht, die sie im Herrenhaus verbracht hatte gespickt hatte, stand sperrangelweit offen. Noch nie hatte sie diese Tür so weit geöffnet gesehen! „..Egmont?“, fiepte sie beunruhigt, denn sie wusste noch nicht recht was sie von dem... Bergtroll oder so, halten sollte. Lullabys Schatten krochen langsam zu der Tür, lugte um die Ecken und schienen aufgeregt zu flüstern. Im nächsten Moment schob sich etwas großes in den Türrahmen was die Schatten panisch durcheinanderwirbeln und Alice und Lullaby aufschreiend zurückweichen ließ.

Kapitel 14

„Himmel was ist denn hier schon wieder los! Seitdem du hier wohnst, ist es ständig laut. Wie soll ich so bitte diese Stadt regieren? ...Nun sag bitte nicht, dass Egmonts Erscheinungsbild euch so erschreckt hat.“ Es war nicht Killian, der sprach. Ausnahmsweise. Tatsächlich handelte es sich bei dem Meckernden um Vincent, der aus einem Zimmer im Erdgeschoss gekommen war.

Aber es war wirklich Egmonts Anblick, der Alice und Lullaby immer noch wie erstarrt an die gegenüberliegenden Wand gepresst stehen ließ.

Der haarige Koloss in der Tür vor ihnen, füllte diese gänzlich aus, war von einem dunklen Beige und hatte ein langes schmales Gesicht, dass sich vorne wie bei einem Ameisenbären zu einer langen Schnauze nach unten bog. Ansonsten konnte man bloß zwei ovale schwarze Äuglein erkennen und die großen knorrigen Klauen, die nun dabei waren die Tür wieder zu schließen.

„Versteck dich nicht vor ihnen Egmont, sie haben sich nur erschrocken.“

Alice riss sich, noch immer auf der Hut, zusammen und ging einen zögerlichen Schritt auf den Riesen zu. „Es tut mir f-furchtbar Leid... V-vielen Dank nochmal für den Wegweise in der ersten Nacht.“ Sie rang sich zu einem Lächeln durch. Dieser Kerl sah so unglaublich unheimlich aus. Und er hatte rein gar nichts menschliches so wie die meisten anderen. Aber hatte sie sich nicht gewünscht ein interessanteres Familienfoto zu haben?

Lullaby stand direkt hinter ihr. Was für ein Held... Er stellte sich mit piepsender Stimme vor. Egmont sagte und tat gar nichts. Seine schmalen Augen schienen sie nur zu beobachten. „Ähm...“, flüsterte Alice unsicher.

„Er spricht nicht. Du wirst schon noch lernen seine Handlungen zu deuten, da du hier wohl länger leben wirst.“ Durch Vincents Worte schien ein Hauch Missmut zu klingen. Und ob sie hier länger wohnen würde! „Mich wirst du nicht so schnell wieder los. Mach dich darauf gefasst mich bis ans Ende deiner Tage an den Fersen kleben zu haben.“

„Du meinst wohl bis an das Ende DEINER Tage, Mensch. Ich lebe wesentlich länger als du.“ Nun schien der Vampir wieder richtig schlechte Laune zu bekommen.

„Hey, guckt mal! Er macht was!“, wisperte Lullaby ehrfürchtig wobei Alice sich darüber ärgerte, dass der Nachtmahr so tat als würde Egmont sie nicht hören. Der jedenfalls reichte Alice einen Brief, auf dem in elegant geschwungenen Buchstaben stand: Allein lesen. Fragend blickte sie zu ihm auf, nahm den Brief an. „Für mich?“ Der Haarberg nickte schwerfällig, machte kehrt und schloss die Tür.

„Zeig her!“ Lullaby war schon dabei nach dem Umschlag zu angeln, wurde aber von Alice weg geschubst. „Den soll ich allein lesen. Du musst dich schon gedulden. Vielleicht darfst du es ja wissen, aber erst mal wäre es nicht fair seinen Wunsch einfach zu übergehen. Wir holen Wasser für Nathanael und du bringst es ihm während ich lese. Und du darfst den Brief auch nicht sehen Vin....cent?“ Der Vampir war verschwunden.

„Hat der Alte sich verzogen. Na ja, haben wir Ruhe.“ Lullaby huschte vor zur Küche. Er schien zu akzeptieren, dass er nicht mitlesen durfte. Nun musste sie nur dafür sorgen, dass die Zwillinge nichts erfuhren, denn die beiden würden sich nicht so einfach abwimmeln lassen.
 

Zehn Minuten später stand Alice allein in der Küche. Zumindest hoffte sie allein zu sein. Hier wusste man nie. Vorsichtshalber rief sie nach Toulouse und Mouse. Nichts passierte.

Behutsam entfaltete das Mädchen die Nachricht. Sie staunte als sie die unglaublich schöne Handschrift erblickte. Hatte Egmont das geschrieben? Mit seinen Ast-Händen? Schwer zu glauben...

Neugierig begann sie zu lesen.
 

'Sie belagern das Haus, sie suchen nach dir, wollen dich töten. Ich höre sie des nachts um diese Mauern schleichen und auf dem Dache lungern. Ich kann dir helfen, besitze Dinge, die du brauchen kannst. Komm in der nächsten Nacht, aber sage Vincent nichts davon. Behalte ihn im Auge. Du findest meinen nächsten Brief am Morgen. Untersuche den Flügel.

Hochachtungsvoll,

Egmont'
 

Wenn das nichts Spannendes war...

Was war mit Vincent? Warum war er der einzige, der den rief nicht lesen durfte? Sie wusste nun warum sie ihn hatte allein lesen sollen. Egmont wollte sicher gehen, dass der Vampir seine Nachricht nicht fand. Besser sie verbrannte den Brief, dachte Alice, kramte eine Packung Streichhölzer aus einer Küchenschublade und ließ die Flammen ihren Weg durch das Papier graben, bis es sich in Qualm aufgelöst hatte. Als sie sich einen Finger kühlte, der bei der Aktion etwas angekokelt war, huschte ein dunkler Schatten am Küchenfenster vorbei.

Alice nahm die Beine in die Hand.
 

Völlig außer Atem war sie unter ihre Bettdecke gekrochen. Die Zwillinge hatten schon geschlafen, dazu Alice' Zimmer jedoch nicht verlassen... So wurde es eng im Bett, da auch Lullaby bei ihr schlief. Dieses Mal war Alice jedoch heil froh über Gesellschaft. Egmonts Brief hatte ihr Angst gemacht und der Schatten am Küchenfenster hatte sein übriges getan. So kamen die Albträume ohne dass Lullaby damit etwas zu tun hatte.
 

„Ihr seid mir gefolgt?“ Es hatte wieder zu tröpfeln begonnen, sodass der Waldboden gefährlich glatt wurde. Toulouse fühlte sich überhaupt nicht wohl bei all der Nässe. „Wir konnten dich unter diesen Umständen nicht allein lassen, Victor“, erklärte der Kater von einem Ast aus. Hier oben schützten ihn die Blätter ein wenig vor dem Regen.

Coraline hingegen hätte sich nur in einem See wohler gefühlt. „Es sind wirklich viele“, wisperte sie. In den Locken der Asrai glitzerten kleine Wasserperlen als der Mond für einen Moment nicht mehr von den schweren grauen Regenwolken bedeckt wurde. Sie sah bezaubernd aus. Es war kein Wunder, das ihre Spezies jährlich dutzende von Männern in den Bann und somit in den Tod zog.

„Aber sie werden mich nicht angreifen solange ich ihnen gegenüber Vorteile besitze. Ich habe noch genügen Weihwasser bei mir.“ Victor war mulmig zumute, aber das wollte er sich nicht anmerken lassen. Er wollte die Vampire belauschen um heraus zu finden warum sie derart hinter Alice her waren. Und das konnte er besser im Alleingang. Obwohl... „Toulouse, wenn du mir helfen möchtest schleiche dich an sie heran und versuche Informationen zu erhaschen. Mouse könnte ebenfalls belauschen. Aber Coraline...“ Sie war zu auffällig. Leise war sie nicht und ihre Präsens bemerkte selbst ein Mensch aus weiter Entfernung.

„Ich fange dir einen und wir verhören ihn“, flüsterte sie mit der Andeutung eines gemeinen Grinsens auf den Lippen.

Victor fasste sich an den Kopf. Er musste sich an einem Baum abstützen um weitersprechen zu können. „Ähm... Also... Gut. Aber wenn du ihn erwischt möchte ich nicht in einem Umkreis von 500 Metern sein sonst haut es mich um.“

Sie lächelte leicht. „Ich hole dir einen her. Bis gleich.“ Das Mädchen ging gemächlich davon. Ein bisschen tänzelte sie.

„Sie macht mir Angst, wenn sie so gute Laune hat...“, bemerkte Victor.

„Unsere erste Verteidigungslinie kann sich sehen lassen“, stimmte Toulouse ihm zu. „Ich mache mir nur ein bisschen Sorgen um Alice. Die Vampire werden nun bis an das Haus kommen. Ich hoffe sie setzt keinen Fuß vor die Tür.“

Victor nickte.
 

Sie verteilten sich. Mouse, der die ganze Zeit im Schatten gewartet hatte, fand schon bald eine Gruppe von drei weiblichen Vampiren, die offenbar gerade eine Pause einlegten.

„Und ich sage euch die kleine Schlampe ist gefährlich!“, spie eine von ihnen aus. Es war Sophia.

„Wieso? Das ist doch bloß ein dreckiger Mensch!“, keifte eine Kleinere Vampirin mit langem schwarzen Haar und leuchtend roten Augen.

„Ich hab das Biest geohrfeigt. Ich hätte einem Menschen damit das Genick gebrochen! Aber sie ist einfach wieder aufgestanden!“

Sie flüsterten erregt durcheinander.

„Das bedeutet sie ist kein Mensch!“

„Sie muss eine Hexe sein!“

„Sie riecht aber nach Mensch!“

„Vielleicht nur, weil sie lange unter Menschen gelebt hat? Vielleicht tarnt sie sich auch gut. Du hast sie gegen uns aufgebracht Soph! Was ist, wenn sie nun Vergeltung sucht!“ Dies mal sprach die Dritte, die Größte der drei.

„Sag ich doch!“, rief Sophia aufgebracht. „Aber woher sollte ich ahnen, dass sie ein Ass im Ärmel hat!“

Die Größte erschauderte. „Sie hat die Leute aus dem Blaubeerenschloss auf ihrer Seite! Wenn die gegen uns aufmarschieren, dann wird es Krieg geben!“

„Vampire gegen Missgeburten, da werden doch eindeutig wir siegen!“ Die Kleinste war sich ihrer Sache sicher. Sie fuhr sich eitel durch das schwarze Haar und warf den Kopf zurück.

„Das ist NICHT eindeutig!“, schrie Sophia ihre Gefährtin an. „Du weißt wie wenig wir nur noch sind! Sie tun uns nichts, weil sie denken wir sind viele! Aber wenn sie erfahren, dass uns der Hunger dahinrafft, dann warten sie eben noch einen Monat oder zwei und metzeln dann den Rest von uns ab!“

Die Schwarzhaarige schluckte.

Mouse zog sich in den Wald zurück. Er machte sich auf den Weg zum Herrenhaus, dass die Vampire Blaubeereschloss nannten, da der ganze Vorgarten einer Plantage der süßen Beeren glich.
 

Soeben hatten Victor und Coraline von einem um Gnade winselnden, von Wellen des Wahnsinns geschüttelten, Häufchen Vampir dieselben Informationen erhalten. Nun da ihre Geisel ohnmächtig im Laub zusammen gesunken war, blickten sie sich vielsagend an.

„Es wird sich etwas ändern müssen...“ Victor sah große Zeiten auf sie zukommen.

„Sie wird eine entscheidende Rolle dabei spielen“, flüsterte das Mädchen ergänzend.

„Alice? Sollten wir sie nicht lieber da raus halten? Es wird gefährlich und niemand weiß was eigentlich ihre Fähigkeiten sind.“

„Mouse wird ihr dabei helfen können. Wir brauchen sie, wenn wir siegen wollen.“

Nachdenklich nickte Victor. Er wünschte sich er hätte damals einfach hartherzig gehandelt und Alice im Wald zurück gelassen. Was nun auf sie zukam, auf sie alle, war eine Chance und gleichzeitig konnte es ihre Vernichtung bedeuten.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  SayuriShirayuki
2012-02-19T23:44:08+00:00 20.02.2012 00:44
yay ein neues Kapitel *______________________________________*
Mal wieder toll gemacht ^^

Von:  Akai_Tenshi
2012-01-25T22:02:51+00:00 25.01.2012 23:02
Ich freu mich auch schon auf das nächste Kapi :D
Das tue ich im Übrigen jedes mal!
Ehrlich gesagt bin ich normalerweise nicht so die kommi-schreiberin, aber ich finde es sehr schade dass du so wenig feedback bekommst, wobei du es doch verdienst :)
Die Story ist wirklich toll & iwie mag ich Killian x3, auch wenn er ne Zicke ist xD
Also dann, hoffentlich kommt das Kapi bald *-* ;D
Von:  SayuriShirayuki
2012-01-23T19:47:08+00:00 23.01.2012 20:47
Tolles Kapitel ^^
Was wohl Alice für ein Wesen ist?
Bin schon gespannt auf den Ausflug in die Stadt im nächsten kapi :3
(fällt Killian ale berühmtes Model nicht dort auf? x3)
Von:  SayuriShirayuki
2012-01-16T20:56:00+00:00 16.01.2012 21:56
WTC noch kein Kommi Ö.ö?
Dabei ist die Geschichte so toll >w<
Besonders die Idee mit den Schnulzenmangas fand ich genial xD
Entschuldige das kurze Kommie,aber ich weiß nicht was ich sonst noch schreiben soll ^^'
*favo*


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