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BlueberryCastle

Weil ihr anders seit
von

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Kapitel 2

Alice wusste wirklich nicht so recht was sie von dieser Situation halten sollte. Sie kam sich vor wie in einem Film. Jeden Moment würde der Regisseur ‚CUT!’, brüllen und ihnen sagen, dass sie das arme Mädchen doch bitte nicht so quälen sollten.

Immernoch hing sie über Killians Schulter, der den Vampir, der ihnen gegenüber stand, ungläubig anstarrte. Alice war schwindelig, da sie schließlich Blut verloren hatte und die letzte halbe Stunde nicht gerade erholsam verlaufen war. Außerdem war so eine trainierte Schulter nicht sehr bequem. Im Gegenteil. Sie piekte gemein in ihre Rippen.

„Victor… Was hat dir Vincent über zugelaufene Tiere als Blutvorrat gesagt? Du kannst sie hier nicht einfach herbringen! Was ist, wenn sie ihre Familie kontaktiert? Dann haben wir hier bald Kamerateams und Spezialisten für alles Übernatürliche vor der Haustür. Oder ein Massaker im Wald. Was wäre dir lieber?“

Der Vampir hieß also Victor und schien durch Killians Strafpredigt durchaus eingeschüchtert. Doch Alice hatte da auch noch ein Wörtchen mitzureden:

„Hey! Ich bin kein zugelaufenes Tier sondern ein zugelaufenes Mädchen! Und eins mit schmerzenden Rippen noch dazu! Wusstest du, dass du furchtbar spitze Schultern hast? Aua!“

Sie wurde mit einem genervten Grummeln abgesetzt, jedoch schien Killian darauf zu achten, dass sie beim Versuch zu flüchten nicht weit kam.

Alice klopfte sich imaginären Staub von der Schulter und zog ihr Kleidchen zu Recht.

„Und macht euch keine Sorgen. Meine Familie werde ich ganz bestimmt nicht und in keinster Weise kontaktieren. Wenn das überhaupt so was war, dann bin ich froh, dass ich sie nun los bin. Und andersrum ist es sicher genauso. Und was heißt hier Blutvorrat?!“

„Du willst also wirklich hier bleiben? Das war kein Scherz? Was immer du nimmst…lass es besser…“ Das Supermodel sah aus, als hätte er Kopfschmerzen, denn er massierte sich die Schläfen und kniff seine Augen zusammen. „Nicht zu fassen. Die Kleine ist doch lebensmüde.“

Endlich meldete sich auch Victor zu Wort. „Also Kleine, das ist so: Wir beide haben einen Pakt. Das bedeutet du kannst hier bleiben, wenn du mir ab und zu dein Blut zur Verfügung stellst. Außerdem-“

„Moment!“ Nun war es an Alice zu unterbrechen. „Es ging hier doch wohl nur darum, dass ich dich einmal trinken ließ als du anscheinend in Gefahr warst.“

„Der Preis um hier wohnen zu dürfen ist leider etwas höher. Und du darfst keiner Seele etwas von uns erzählen. Allein hier weg kannst du auch unter gar keinen Umständen. Sie würden dich sofort töten. Du bist quasi in unserem Revier gefangen, es sei denn jemand von uns nimmt dich mit. Wenn du versuchst wegzulaufen oder zu plappern bist du sofort tot. Ach ja und du musste dich hier nützlich machen. Umsonst können wir dich hier nicht wohnen lassen.“

Das war eine lange Ansprache gewesen. Alice musste zunächst ihre Gedanken sortieren. „Also darf ich hier bleiben?“

„Ich kapier das nicht! Du hast ihr grade erzählt, dass sie hier so gut wie gefangen ist, niemals wieder nach hause kann und obendrein auch noch als Blutkonserve dient. Und sie will trotzdem nicht weg?! Du musst ja sehr verzweifelt sein Kleine.“

„Ach papperlapapp“, meinte Alice schroff. „Hier kann es ja nur besser sein als da wo ich herkomme. Dann geb’ ich dem Perversen da eben ab und zu Blut von mir. Außerdem weiß ich schon wie ich mich ansonsten nützlich machen kann.“

Killian starrte sie erst mit großen Augen an bevor er anfing schallend zu lachen.

„Sie hat deine wahre Natur sofort erkannt Victor!“ Er musste sich sogar an der Wand abstützen vor Lachen.

Victor allerdings sah verletzt aus. „Ich bin kein Perverser…“

„Und was ist mit diesem ultrakurzen Kleid?“, hakte Alice nach, amüsiert über die Reaktion des Models.

„Das ist nun mal Erins Geschmack! Andere Frauenkleider haben wir hier nicht.“ Offensichtlich musste er sich zusammenreißen um nicht einen Flunsch zu ziehen, was ihn durchaus putzig aussehen ließ.

„Wenn sie weiter so unterhaltsam ist, kann sie meinetwegen bleiben. Ich geh nun schlafen, war ein langer Tag.“ Das Gesagte mit einem Gähnen unterstreichend, taperte Killian nun den Gang entlang und verschmolz mit der Dunkelheit.

„Victor? Ich bin auch müde.“

Der Vampir schien noch immer beleidigt. „Dann geh doch zurück ins Bett.“

„Aber es ist dein Bett.“

„Na und? Ich schlaf da sowieso nur tagsüber drin.“

Stimmt doch, da war etwas gewesen mit Blutsaugern am Tag… Na wenigstens musste sie nicht in seinem Sarg schlafen.

„Mach dir keine Sorgen. Morgen zeigt dir jemand wo du in Zukunft schlafen kannst. Ich möchte mich nun erstmal duschen und umziehen.“

War ihm nicht zu verdenken, dachte Alice. Sie war schon gespannt darauf wie er wohl sauber und mit heilen Klamotten aussah.

Das Mädchen nickte, öffnete die Tür zu seinem Zimmer, drehte sich kurz noch mal um. „Danke Victor. Du hast mir wohl das Leben gerettet.“ Daraufhin schloss sie die Tür hinter sich und ließ den Vampir allein und mit leichter Röte im Gesicht im Flur stehen.
 

Wieder erwachte Alice in Victors Zimmer. Diesmal aber bei Tageslicht und nicht allein. Nachdem sie sich aufgesetzt hatte, bemerkte das verschlafene Mädchen, dass der Vampir neben ihr lag und wie ein Toter schlief. Wie ein Toter… Sie musste hinterfragen ob das wirklich stimmte. Zu atmen schien er jedenfalls nicht. Und…war es normal das schlafende und vermeintlich Untote den Eindruck eines schlummernden Engels erweckten? Sein Haar war honigblond, dass konnte sie, nun wo das Blut herausgewaschen war, staunend feststellen. Es fiel ihm in weichen Strähnen über die blassen Wangen. Sein Gesicht schien Makellos zu sein. War also doch etwas dran an den Geschichten. Er sah so friedlich aus, dass Alice befürchtete ihn mit ihren eigenen, ihr plötzlich furchtbar laut erscheinenden, Atemzügen zu wecken.

Ihre Hand streifte etwas Raschelndes. Ein verblüffter Blick zur Seite zeigte ihr, dass es sich um einen Manga handelte. Mit einem Cover, dass verdächtig nach einer Vampirschnulze aussah. Alice musste grinsen. Irgendwie lustig, dass ein Geschöpft der Nacht etwas las, in dem seine eigene Spezies wahrscheinlich ziemlich veralbert wurde. Doch es machte ihn auch sympathischer.

Etwas wunderte sie an dieser Szene. Vertraute Victor ihr so sehr, dass er sich einfach so neben sie schlafen legte? Oder war er sich sicher, dass er einen Angriff von ihr sofort bemerken würde? Am Ende schlief er gar nicht sondern es war nur ein Test. Wie dem auch sei. Sie hatte nicht vor ihren Vermieter anzugreifen. Vor allem nicht wenn sich in diesem Haus wahrscheinlich hunderte von Monstern befanden, die nur darauf warteten ihre Seele und Eingeweide zu verspeisen.

Schaudernd kletterte Alice aus dem Bett. Sie brauchte jetzt dringend eine Zahnbürste und eine warme Dusche. Allerdings musste sie dafür wohl das Zimmer verlassen. Vielleicht fand sie Killian, der ihr helfen könnte. Er hatte doch einen ganz netten Eindruck gemacht letzte Nacht. Und wenn sie nun dem Eigentümer der kichernden Stimmen begegnete? Sie konnte hier noch lange hin und her überlegen oder einfach suchen gehen. Entschlossen richtete sie ihr Haar so gut es ging und erschrak zum dritten Mal, seit sie in diesem Haus weilte.

Seit wann saß sie schon dort? Eine Frau lehnte in Victors Sessel und lächelte Alice zögerlich zu. Sie hatte langes und glattes schwarzes Haar, trug ein furchtbar altmodisches, aber eng anliegendes Spitzenkleid und eine teuer aussehende funkelnde Kette. Ansonsten war sie barfuss. Außerdem fiel Alice auf, dass auch sie von atemberaubender Schönheit war. Als die Frau sich nun erhob, geschah dies so anmutig, dass Alice glaubte einer Göttin gegenüber zu stehen. Alles in allem war nun klar, dass Victor ihr NICHT vertraute.

„Guten Morgen…“, begann das Mädchen nun zaghaft. „Sind…sind Sie auch ein Vampir?“ Die Frau schüttelte sanft ihren Kopf, noch immer leicht lächelnd.

„Aber ein Mensch sind Sie auch nicht oder? Oh wie unhöflich, ich bin Alice.“

„Erin redet nicht sehr viel. Ihre Stimme klingt auch meist nur melancholisch“, erklang ein Schnurren neben Alice.

„Ein Kätzchen!“, rief das Mädchen freudig aus.

„Ich bin ein Kater!“ Er räusperte sich. „Mein Name ist Toulouse, meine liebe Alice. Sei willkommen in unserem Herrenhaus. Bitte folge mir in den Flur damit wir Victor nicht wecken.“ Leichtfüßig machte Toulouse einen Satz zur Tür, schlüpfte hindurch (besagte Tür war geschlossen!) und begann auf dem Flur sein nachtschwarzes Fell zu putzen.

Wie betäubt folgte Alice. Wunderte sie sich eigentlich noch darüber, dass es hier sprechende Katzen gab, die durch Wände gingen? Oder darüber, dass Erin offenbar die Wand benutzt hatte? Nicht wirklich…

„Du kommst also aus der Stadt nord-westlich des Waldes. Warum bist du geflohen?“, wollte der Kater wissen als Alice die Tür hinter sich geschlossen hatte, einen letzten Blick auf Victor werfend.

„Ach meine Mitbewohnerrinnen in der Besserungsanstalt wollten mich umbringen und ich sah es als angenehmeren Tod an, im Wald von Monstern zerfleischt zu werden. Sie ärgern sich bestimmt.“

„Warum warst du in einer Besserungsanstalt?“ Es schien ihn nicht zu stören, was sie erzählte. Jede anständige Hausfrau hätte eine Panikattacke bekommen.

„Stört es euch, wenn ich das erst erzähle, wenn wir uns besser kennen?“

„Natürlich nicht. Wie unhöflich von meiner Wenigkeit.“ Wieder räusperte sich der Kater. „Wir zeigen dir dein neues Zimmer. Sicher hast du Fragen. Erzähle sie uns doch während du uns folgst.“
 

Alice holte tief Luft um anschließend mit einem Wasserfall aus Fragen auf Toulouse und Erin einzuplappern: „Was ist das für ein Haus? Warum seid ihr alle keine Menschen? Wer ist der große dunkle Schatten und wer der Berg von letzter Nacht? Warum wohnt ein Supermodel bei euch? Und ganz wichtig: Wer sind SIE?“

Toulouse schnurrte amüsiert über so viel Neugier. Außerdem erzählte er gerne.

„Lass mich dir zuerst erklären warum wir keine Menschen sind. Ich verstehe schon, dass eine Kleinstadt wie die deine es nicht an ihre Kinder weitergibt, dass wir existieren. Ihr habt einfach zu viel Furcht vor uns.“ Er nickte wissend. Angst?, dachte sich Alice. Ja, dass würde zu den Bewohnern ihrer Stadt passen.

„Wie dem auch sei. Du kannst dir dieses Herrenhaus als eine Art Flüchtlingslager vorstellen. Damit du gleich bescheid weißt und um eventuellen ungeschickten Bemerkungen deinerseits vorzubeugen, hier wohnen ausschließlich Ausgestoßene ihrer Art.“

„Damit ich dich richtig verstanden habe“, fasste Alice zusammen, „Victor, Killian, du und Erin, der Berg und auch der große Schatten. Ihr seid alle von eurer eigenen Art ausgestoßen worden?“ Der Kater nickte offensichtlich stolz, dass sie verstanden hatte. Erins traurige Augen schienen noch eine Spur an Trauer hinzugelegt zu haben. Ihr Leben, oder ihr Tod?, schien es nicht gut mit ihr gemeint zu haben.

„Na aber dann passe ich doch perfekt hier rein! Das mich die Menschen bei mir zu Hause umbringen wollten, gilt doch als ausstoßen oder?“

„Du bist nicht die Einzige, die dieses Schicksal ereilte. Genaugenommen wärst du eine Ausnahme, wenn es nicht so wäre.“

„Oh.“ Furchtbar intelligenter Kommentar Alice…, bemängelte sich das Mädchen selbst. Es herrschte ein kurzes bedrückendes Schweigen, das von Toulouse unterbrochen wurde als er mit einer Pfote auf eine Tür wies.

„Da wären wir.“

„Bevor du rein gehst…“ Hatte Erin da tatsächlich das Wort ergriffen? Alice hielt gespannt die Luft an.

„…Mit Berg und großer Schatten….Meintest du sicher Egmont und Mouse.“ Was waren das für seltsame Namen? „Mouse hat dich nicht angegriffen nein?“ Was sollte denn nun diese Frage? Aber wahrscheinlich war sie berechtigt. Alice Knie wurden butterweich. „Er hat nichts dergleichen getan. I-ist das…schlimm?“

„Gut aufgepasst Erin! Nein, nein liebe Alice ganz im Gegenteil!“ Der nachtschwarze Kater schien begeistert. Sein Schwanz zuckte aufgeregt. „Das bedeutet du hast sozusagen unseren Aufnahmetest bestanden! Du musst wissen: Mouse ist ein Korred. Er sieht direkt ins Herz seines Gegenübers und stellt fest ob er oder sie uns Böses will oder nicht. Das er dich nicht angriff bedeutet, du hast ein gutes Herz.“

Alice straffte die Schultern. „Supi! Dann bin ich nun Mitglied im Club?“

Toulouse nickte.

„Ähm… Was… ist ein Korred?“

„Oh verzeih, ich nahm an du hättest davon wenigstens gehört. Korred stammen aus der Bretagne. Sie haben einst die Hünengräber auf ihren Rücken nach Europa getragen und wohnen meist auch in ihrer Nähe oder darunter. Aus diesem Grund haben sie magische Kräfte entwickelt“, erklärte der Kater.

Klang alles sehr mystisch. Vielleicht konnte sie sich irgendwo ein Buch über Naturgeister besorgen, überlegte Alice. So ganz verstand sie nämlich noch nicht.

„Also Victor ist ein Vampir und du n’ sprechender Kater. Aber was sind Erin, Killian und der Berg?“

„Du irrst liebe Alice ich bin nicht einfach ein sprechender Kater. Ich bin ein Schattenkater!“ Er war anscheinend mächtig stolz darauf. „Erin ist ein Geist.“

Die Geisterfrau lächelte leicht. „Egmont will uns nicht verraten was er ist. Wir vermuten so was wie ein Bergtroll. Und Killian gehört zur Gattung der Laûru.“

Als der Kater das fragende Gesicht des Mädchens sah, wurde ihm klar, dass er wohl so gut wie alles erklären würde müssen. „Ein nur auf sein eigenes Vergnügen bedachter Schönling und Casanova, der Hausarbeit verabscheut, weil er befürchtet seine Kleidung könnte darunter leiden.“ Alice war sich nicht sicher ob alle Laûru so waren oder ob Killian eine Ausnahme darstellte. Jedenfalls schien sein Charakter dem Schattenkater zu missfallen. „Die Küche sieht Größtenteils wegen ihm so unbeschreiblich eklig aus.“ Alice beschloss es Toulouse gleichzutun…
 

Erin schien dem Kater mit ihrem Blick irgendetwas gesagt zu haben, denn dieser hatte es plötzlich eilig.

„Das Bad ist drei Türen weiter. Sieh dich in Ruhe in deinem Zimmer um. Ich hole dich in einer Stunde wieder ab. Ach und ganz wichtig! Lass erstmal keinen rein. Erin und ich können sowieso allein in das Zimmer gelangen.“ Sollte das nun beruhigend sein? „Geh direkt zum Bad und wieder zurück. Es ist wirklich wichtig, dass du niemandem die Tür öffnest“, sprach Toulouse so eindringlich, dass Alice reflexartig nickte.

Mit einem knappen Abschiedsgruß verschwand der Kater, gefolgt von einer winkenden Erin, durch den Boden des Flurs.

Zu spät viel Alice auf, dass er ihr nun gar nicht gesagt hatte wer SIE waren. Dann musste sie eben später noch einmal fragen.

In ihren Gedanken fasste sie das Gespräch zusammen. Sie wohnte also ab heute in einem Haus voller Wesen mit seltsamen Namen, die ausgestoßen wurden weil sie entweder irgendwie anders waren oder was ausgefressen hatten. So erklärte sich das Mädchen jedenfalls die Situation. Keine beruhigende Information.

Dann war da noch ein magischer Korred, so was wie ein Bergtroll und Killian, der diese wunderbar große Küche verschmutzte.

Was Alice jedoch das größte Unbehagen bereitete, waren die letzten Worte des Katers. Irgendwer konnte ihr anscheinend gefährlich werden. Eines war sicher. Den Rat niemandem die Tür zu öffnen, würde sie befolgen. Plötzlich hing sie nämlich wieder an ihrem Leben, was noch vor einem Tag nicht geglaubt hatte.
 

Hier gab es also heißes Wasser und nicht nur neblige Schwaden, die aus dem Duschkopf quollen um die gruselige Erscheinung einiger Bewohner des Hauses noch zu vollenden. Alice stellte sich direkt unter den Wasserstrahl und schloss die Augen. Endlich konnte sie sich den Schmutz aus dem Wald abwaschen, der teilweise noch an ihr haftete. Sie fühlte sich immer mehr an wie ein zu hause.

Eben hatte sie sich ihr neues Zimmer angesehen. Bestaunt, wäre sogar noch passender. In der Besserungsanstalt hatte sie sich ein 24qm großes Zimmer mit 3 Mädchen geteilt. Und sie hatten sich nicht mal leiden können…

Hier aber besaß sie nun einen gut 40qm Raum, ausgestattet mit riesigem Bett, Kommode, Schrank, Tisch, Stuhl, Sessel und diversen Lichtquellen. Ein Blick an die Decke hatte ihren Verdacht bestätigt, dieses Haus wäre schon ziemlich alt. Sie war verziert mit wunderschönem Stuck und einem hier und da abblätternden Gemälde. Es zeigte allerdings nicht etwa eine Schar Engelchen, die dem Jesuskind von einer flauschigen Wolke aus zulächelten. Die ganze Decke war bemalt mit einem traumhaft schönen Sternenhimmel. Alice hatte sich gar nicht daran satt sehen können so verzückt war sie davon gewesen. Ein bisschen fühlte sie sich wie in einem Hotel, ganz im Stil des 18. Jahrhunderts gehalten. Auf dem Tisch stand ein kleines Frühstück bereit. Alice war zögernd näher getreten. Es gab hier zwar normales Wasser, aber was wenn das Frühstück aus Blutkonserven und Käfern bestand? Doch das Mädchen hatte nur ein Croissant, Marmelade und Kaffee vorgefunden und alles in Windes Eile verschlungen. Die hatte kaum bemerkt wie hungrig sie gewesen war. Nun, sauber und gekämmt, gesättigt und in ein bereitgelegtes, nicht ganz so rüschiges Kleid wie das von Erin, gesteckt, betrat sie den Flur.

Toulouse’ Warnung schwirrte ihr bedrohlich laut im Kopf herum. Mit großen Schritten näherte sie sich ihrem Zimmer. Ihr Herzschlag beschleunigte sich ungewollt. Sie war fast da, noch zwei Schritte, noch Einer. Sie hatte die Klinke bereits in der Hand als ein Kichern sie innehalten und herumfahren ließ. Ganz sicher war dies dasselbe Kichern wie letzte Nacht! Hundertprozentig!

„Hört auf damit und zeigt euch ihr…ihr… Waschlappen!“ Grandiose Beleidigung Alice. Vergleich deine Mitbewohner mit den flauschigen, gut duftenden Wäschestücken, die dort hinten im Bad liegen…

Sie hatte vorhin schon den Weichspüler bewundert, der hier genutzt wurde.

Das Kichern war plötzlich direkt neben ihr. Alice versteifte sich.

„Sie hat dich Waschlappen genannt“, gluckste eine kindliche Stimme.

„Nein, sie hat DICH Waschlappen genannt!“, protestierte eine Weitere.

„Aber du siehst einem Waschlappen FIEL ähnlicher als ich!“

„Red kein Quark! Ich seh’ genauso aus wie du!“

„Ich hab ja wohl einen besseren Geschmack als du was Bekleidung betrifft!“

„Du hast höchstens einen ANDEREN. Außerdem finden die Wanderer mich immer niedlicher als dich.“

„Wie das denn, wenn wir doch komplett gleich aussehen hä?“

Das drohte noch eine Weile so weiterzugehen, wenn sie sich nicht endlich umdrehte, dachte sich Alice. In Anbetracht der Art und Weise, wie die beiden redeten, war Alice’ anfängliche Angst völlig verpufft. Die zwei kleinen Gestalten, die sie erblickte ließen ihr Herz vor Niedlichkeit einen Satz machen. Die beiden Jungs hatten so schaurig herumgekichert? Putzig… Es waren Zwillinge, denn sie ähnelten sich wirklich sehr. Nur ihre Kleidung trugen sie anders. Etwas seltsam waren jedoch ihre silbernen Haare und ihre… ihre Augen! Alice’ Herz entschied sich doch nicht mehr so freudig zu hüpfen… Sie hatte nun schon in der Dunkelheit rot leuchtende Augen und welche mit roter Iris gesehen. Außerdem waren da noch Erins, mit einem unvergleichbaren Hang zur Melancholie. Aber diese… Jeder Junge hatte jeweils ein Blassblaues und ein Schwarzes. Jedoch ohne Pupille oder Iris. Einfach nur diese Farben.

„Hey Clock… Sie starrt uns an.“

Clock richtete seinen Blick auf die neue Mitbewohnerin und grinste. „Hallo Alice. Hat Toulouse dir nicht gesagt, du sollst dich in deinem Zimmer verschanzen? So ein Pech, dass wir dich auf dem Flur erwischen. Weißt du… Wir können Menschen nämlich so gar nicht leiden. Außer als Wild versteht sich.“

„Hey jetzt stell mich endlich vor!“, wurde Clock angezischt.

„Ach so. Das ist Time, mein großer Bruder. Er ist 3 Minuten älter als ich. Aber was bedeutet schon Zeit.“ Seine Augen funkelten unheimlich. Sollte das nun ein Witz sein? Hießen die beiden nicht Zeit und Uhr? Wollte der Kleine damit irgendwas andeuten?

„Hi. Wisst ihr es ist wirklich unhöflich jemandem zu sagen, dass seine gesamte Spezies nicht gemocht wird. Und wir sind ab heute Mitbewohner. Meint ihr nicht es wäre ratsam mich ein wenig kennen zu lernen bevor ihr urteilt?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, die Zwillinge von oben herab musternd.

Die beiden blickten sich an. „Sie hat uns unhöflich genannt Time.“

„Lass uns ihre Augen als Gastgeschenk behalten Clock.“

Kreisch!, dachte Alice einen Schritt zurückweichend. Was waren das denn für Kinder!?

„K-kommt gar nicht in Frage! Ohne Augen kann ich nicht mehr richtig kochen!“ Das Mädchen machte sich bereit durch die Mitte der beiden zu rennen und sich bei Victor in Sicherheit zu bringen.

„Du kannst kochen?!“, fragte die Jungen nun wie aus einem Mund.

„Clock sie kann kochen!“

„Und backen kann sie auch“, warf Alice ein, einen kleinen Hoffnungsschimmer vor Augen, die sie übrigens nicht ohne zu kämpfen aufgeben würde!

„Time, und backen kann sie auch!“

Die Zwillinge schienen sich mit Blicken zu beraten. Es dauerte zehn endlose Sekunden bis sie eine Entscheidung getroffen hatten.

„Du kannst bleiben“, sprachen sie im Einklang. „Wenn du uns Eintopf backst und Kekse kochst!“

„Ihr meint, wenn ich Eintopf koche und Kekse backe.“

Dafür erntete sie nur böse Blicke.

Kurze Zeit später versuchte Alice in dem Chaos, das sich Kühlschrank nannte, Zutaten für einen Eintopf zu finden. Immer darauf bedacht nicht versehentlich in die Klinge des Schwertes zu laufen, dass auf ihren Hinterkopf gerichtet wurde.

„Ich würde euch auch was kochen, wenn ihr mich nicht bedrohen würdet. Und wie kommt ein Zwerg wie du mit dem Schwert eigentlich so hoch? Und wo habt ihr das her?!“

„Es macht viel mehr Spaß so“, war die simple Erklärung von einem der beiden Zwillinge, die Alice nur noch ‚die Dämonenbrut’ nannte. Gedanklich versteht sich. Sie war sich noch immer dem Schwert bewusst.

„Sie mal Clock. Sie hat Angstschweiß auf der Stirn“, kicherte Time.

„Du könntest ja auch versehentlich abrutschen Time.“

„Dann kann ich euch aber nicht mehr bekochen. Und Kekse gibt’s dann erst recht nich’ mehr.“ Das Mädchen konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht nervös klang.

„Auch mit einem abgesäbelten Ohr kann man noch kochen. Das bisschen Blut stört doch keinen.“ Alice hatte es bereits aufgegeben nachzufragen wer gerade sprach. Es spielte eh keine Rolle. Die beiden waren gleich dämonisch. Eben wollten sie noch ihre Augen und nun auch noch das Ohr! Was sollte nur aus ihr werden? Wo war Toulouse wenn man ihn brauchte? Oder Erin? Ihretwegen auch Killian.

„Hört mal ihr beiden. Ich wäre schneller, wenn ihr mich nicht bedrohen würdet. Außerdem könntet ihr mir ruhig dabei helfen ein bisschen aufzuräumen. Wie soll ich denn hier kochen?“ Sie wies mit dem Finger, hektische Bewegungen vermeidend, auf das Gebirge aus Geschirr und die neuartigen Organismen, welche sich darauf zu entwickeln drohten.

„Du findest einen Weg.“

Es war aussichtslos…

„Ich hätte mir denken können, dass sie dich erwischen. Irgendwie hätten sie dich schon aus dem Zimmer gelockt.“ Es war das belustigte Schnurren des Schattenkaters, dass für Alice nun wie ein Engelschor klang. Die Rettung nahte.

„Hau ab Flohball. Wir spielen hier grad.“ Oder konnte Toulouse am Ende gar nichts gegen die beiden ausrichten? Der Verzweiflung nahe massierte Alice sich die Schläfen. Waren alle Kinder so anstrengend?

„Ihr spielt mit Victors Eigentum.“ EIGENTUM?!, wollte Alice protestieren, doch der Blick des Katers bedeutete ihr gerade rechtzeitig den Mund zu halten.

Sie spürte wie die Schwertschneide sich senkte und wagte einen Blick über die Schulter. Time stand auf einem Stuhl. Deswegen hatte er mit dem Schwert ihren Kopf erreicht. Die Zwillinge schienen den Kater nun erschrocken anzusehen. Zumindest waren ihre seltsamen Augen geweitet. Hatten die beiden gar Respekt vor dem Vampir? Aber er las doch Schnulzen…

„Uhm… ER hat sie mitgebracht?“ Die Augen der Kinder richteten sich auf Alice und wie aus einem Munde entschuldigten sie sich.

„Du darfst es ihm auf keinen Fall erzählen! Wir lassen dich ab jetzt in Ruhe.“

Um noch einen drauf zu setzten schienen sie sogar das Weite suchen zu wollen.

„Wartet doch mal. Ich schlage euch einen Pakt vor.“ Das Gesagte ließ die beiden aufhören. „Ich koche euch Eintopf und back’ euch Kekse. Außerdem erzähl ich Victor nichts. Im Gegenzug macht ihr die Küche sauber und erzählt mir ein bisschen was. Ich hätte da nämlich einige Fragen.“

Toulouse schnaubte ungläubig, so als wäre sie völlig lebensmüde den Dämonenzwillingen einen Kompromiss vorschlagen zu wollen. Allerdings waren die beiden entweder ziemlich verfressen oder hatten wirklich die kleinen Hosen voll,

wenn es um den Vampir ging. Denn mit einem knappen Nicken legte Time das Schwert beiseite und beide krempelten sie sich die Hemdsärmel hoch um mit dem Abwasch zu beginnen. Alice grinste siegesgewiss. Dem Kater klappte die Kinnlade nach unten.
 

„Irgendwie scheint mir hier jeder bei dieser Frage auszuweichen. Aber ich will es wissen verdammt!“ Wie eine Besessene schnibbelte Alice die Zutaten für den Eintopf in Würfel. Sie war unglaublich schnell dabei. Die Dämonenzwillinge wuschen eifrig das Geschirr, amüsierten sich zwischendurch über die verschiedenen Käfer und Würmer, die sie dabei ertränkten und bespritzen sich gegenseitig quietschend mit Schmutzwasser und Schaum. Als Alice nun zu Sprechen begonnen hatte, lauschten sie neugierig. Toulouse, der anstatt zu helfen nur sein Fell geputzt hatte, schielte ungläubig zu den beiden rüber. Es konnte doch nicht sein, dass dieses Mädchen erst einen Tag hier war und die beiden schon gebändigt hatte. Na ja er hatte ihr schließlich geholfen. Allein hätte sie es niemals schaffen können.

„Wer sind SIE?“, platzte Alice nun heraus. „Keine Ausflüchte! Ich will es wissen! Schließlich haben die wahrscheinlich einige meiner Klassenkameradinnen auf dem Gewissen.“

Der Kater seufzte. Er hatte diese Frage am Tag zuvor absichtlich übergangen. Die Zwillinge legten bereits los.

„Du bist ihnen nicht begegnet? Dann hast du aber Glück gehabt“, sagte Time.

„SIE sind wir. Na ja nicht genau wir, aber unseresgleichen“, setzte Clock fort.

Als er Alice’ fragendes Gesicht sah, sprang Toulouse seufzend auf den Küchentisch um besser gesehen zu werden.

„So wie es nicht nur gute Menschen gibt, gibt es von jeder Art Leute, die es freut Anderen Leid zuzufügen. Bei manchen Arten überwiegen diese auch. Aber das ist nicht der einzige Grund. Viele fürchten die Menschen. Sie führen die in den Wald Eingedrungenen absichtlich in die Irre oder gleich zu den Vampiren. Die sind es nämlich, welche die sogenannten ‚Warnschilder’ aufhängen.“

„Deine ehemaligen Klassenkameradinnen“, fügten die Zwillinge hinzu.

„Aber… Victor hat mich nicht aufgehängt“, gab Alice zu bedenken. Der Kater wunderte sich, dass sie der Tod der Mädchen, die sie offensichtlich kannte, nicht weiter erschütterte. Dennoch erklärte er weiter.

„Hast du schon vergessen, was ich dir heut Morgen erzählte?“

„Die Ausgestoßenensache?“, erkundigte sich das Mädchen woraufhin Toulouse nickte und mit den Ohren zuckte.

„Er hat keinen Grund mehr sich den Regeln des Clans zu fügen. Ich weiß allerdings nicht ob er dir wirklich helfen oder es dem Clan heimzahlen wollte. Wahrscheinlich beides, so wie ich ihn einschätze.“

„Wir warnen dich lieber vor! Wenn du dich weigerst ihm Blut zu spenden, dann wird er dich sicher doch im Wald allein lassen. Dann dürften wir dich auch als Spielzeug haben~“ Dieser Gedanken schien den Dämonen ja ziemlich zu gefallen…

„Warum wurde er ausgestoßen? Und was ist mit euch… Oh…Tut mir leid ich… wollte nicht so direkt fragen.“ Ziemlich taktlos. Sie wollte ja auch nicht jedem ihr trauriges Leben erzählen. Manche Erinnerungen blieben besser verschlossen.

„Es geht dich auch überhaupt nichts an Mensch. Was machst du überhaupt hier in meiner Küche? Und wieso waschen die beiden da ab?!“ Es schien in Killians Natur zu liegen, unfreundlich zu sein. Das Wort ‚Mensch’ spuckte er aus wie ein Stück Dreck. Wieder kam er Alice bedrohlich nah.

„DEINE Küche?“ Das Mädchen begann ein wenig hysterisch zu lachen, was die Zwillinge zu begeistern schien. „Dann hab ich dir mal was zu sagen Mister Supermodell: Das hier ist ein Saustall! Was wolltest du hier züchten, eine Käferfarm?! Hier kann doch niemand kochen, ohne dass sich jemand eine Lebensmittelvergiftung zuzieht. Sei froh, dass ich jetzt hier bin und den Laden etwas aufpoliere. So. Möchtest du auch Eintopf?“ Sie war nach ihrer Strafpredigt, während der sie mit dem Kochlöffel auf ihn gezeigt hatte, wieder dabei Kartoffeln zu würfeln.

Toulouse’ Schwanz zuckte belustigt und die Zwillinge kugelten sich vor Lachen. Killian allerdings schien zu brodeln. „Wenn du unverschämte Rotzgöre nicht unter Victors Fittichen stehen würdest, würde ich dir nun die Gedärme aufschlitzen, nur damit du’s weißt hässliche Pute.“

Das hatte sie ja wohl nicht wirklich gehört?! „Was kuscht ihr nur alle so vor diesem Schnulzentyp? Und ich bin nicht hässlich!“

Bevor Killian sie anbrüllen konnte, erhob der Kater das Wort.

„Nun, wir kuschen nicht. Wir sind ihm mehr als dankbar. Ohne ihn würden die meisten von uns nicht mehr leben… beziehungsweise existieren.“

Schweigen.

„Ach macht doch was ihr wollt. Wehe es geht was kaputt!“ Vor sich hin fluchend, machte sich das Model davon. Was war denn das gewesen? Alice verstand diesen Kerl nicht. Sie sah sich nach den anderen um. Die Dämonenbrut trocknete, den Blick abgewandt, das Geschirr. Der schwarze Kater sprang nun vor Alice auf die Ablage, direkt neben die Kartoffeln.

„Er ist uns allen sehr wichtig. Für ihn würde jeder hier seine Hand, Klaue, Pfote was auch immer, ins Feuer halten. Auch wenn es nicht jeder zugeben würde.“

„…Toulouse?“, fragte Alice nach ein paar Sekunden woraufhin dieser fragend den Blick hob.

„Außer Blut… was isst oder trinkt Victor gern?“

„Pudding“, kam die prompte Antwort von dem Angesprochenen sowie den Zwillingen.

„Und kannst du mir sagen wo ich Killians Zimmer finde?“
 

Den Rest des Tages verbrachte Alice mit Putzen, Kochen, Backen und Essen. Wobei sie sich mehrmals über die Essgewohnheiten der Dämonenzwillinge und deren Themen am Esstisch beschwerte.

Am Abend fand Killian ein Tablett mit einer Schüssel Eintopf vor seinem Zimmer, grunzte abfällig und schlug die Tür hinter sich zu. Nach zwei Minuten holte er das Tablett dann doch rein.

Erin, die das ganze unauffällig beobachtet hatte, lächelte in sich hinein und freute sich auf die kommende Zeit, die einige Veränderungen versprach.

Victor schließlich erwachte mit dem Duft von Vanillepudding in der Nase.



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