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Die Anstalt

von

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Menschfeind

Zum ersten Mal, seit dieser verfluchte Ort mein unfreiwilliges Zuhause wurde, kann ich richtig lachen: Ich lache am Morgen, wenn meine Augen sich öffnen und am Abend, wenn sie sich wieder schließen. Selbst in diesen überflüssigen Therapiesitzungen kriecht manchmal ein winziges Grinsen über meine Lippen. Aber diese Situation versuche ich zu vermeiden. Die falschen Helfer brauchen nichts von meinen Gefühlen zu wissen, es hätte nur falsche Assoziationen ihrerseits zur Folge. Die Ursache für meine Freude und mein, lang vermisstes, Glück ist der Bewohner der Nebenzelle und heißt Adrian. Ich bin bis über beide Ohren in ihn verliebt und er empfindet genauso. Unsere Beziehung verläuft heimlich, aber glücklich. Dennoch vergesse ich seine Worte nicht: „Wir müssen hier raus, wenn wir tatsächlich leben wollen!“ Ja, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir einen Fluchtversuch unternehmen. Ich bin entschlossener denn je, zumal der legale Weg ausgeschlossen ist. Jede Nacht werden Pläne geschmiedet, die meisten jedoch sofort wieder verworfen.

Das Knarren der Zellentür reißt mich aus seligem Schlummer. Etwas erschrocken blinzele ich. Nanu? Meine Berechnungen haben ergeben, dass es draußen tiefe Nacht sein muss. Vor mir steht einer der Therapeuten, welche zur schlimmeren Sorte gehören und eindeutig ihren Beruf verfehlt haben. Insgeheim kann ich diesen Menschen nicht ausstehen, vermeide aber jegliche Aussprache. Was macht er hier? Und dazu noch um diese Uhrzeit? Ich will mich gerade danach erkundigen, als mein Blick seine gierig leuchtenden Augen trifft. Gleichzeitig rieche ich auch seinen Atem und dieser stinkt nach einem undefinierbaren, alkoholischen Getränk. Kalte Angst steigt in mir auf, ich weiß genau, was dieser Mann will. Lüstern reibt er sich die Hände: „Na, was haben wir denn hier? Ein schönes, junges Stück Fleisch! Schade, das es einen kranken Geist beherbergt!“ Diese Worte verletzen mich tief, doch noch größer ist die Panik. Seine Bewegungen verraten immer deutlicher seine Absicht. Ich will schreien, um Hilfe rufen. Doch die Kehle ist zugeschnürt, denn ich weiß ganz genau; Einer Kranken wird niemand glauben. Als „Abschaum“ besitzen wir keine Rechte. Aber als dieser Mensch seine Hose öffnet, sich auf mich stürzt und die ohnehin schon kaum vorhandene Kleidung gewaltsam in Fetzen reißt, zerbarst diese Blockade, als bestünde sie aus Glas. Mein Schrei hallt in den Mauern wider, jedoch ohne Hoffnung auf Erhörung. Ich schließe die Augen, als der Peiniger zwischen meine Schenkel gleitet. Mein Gehirn will unbedingt ausblenden, was gerade passiert. Ein lautes Krachen reißt mich aus der Trance, es kommt aus der Nebenzelle. Ein kurzes Lächeln streift mein tränennasses Gesicht, Adrian! Er muss meinen Ruf vernommen haben. Im nächsten Augenblick wird der Mensch von mir heruntergerissen und meine Freiheit kehrt zurück. Schnell rappele ich mich auf, verkrieche mich in die hinterste Ecke und verfolge besorgt den Kampf: Die einzige Waffe meines Geliebten ist ein Handtuch, wobei der Peiniger ein Messer bei sich trägt. Zum Glück ist es keiner von denen, welche eine Schusswaffe mit sich führen. Die ungefähr zehn Zentimeter lange Klinge setzt Adrian sehr zu, mehrere Male verletzt sie ihn. Sein Blut tropft auf den Boden und nur seiner Wendigkeit ist es zu verdanken, dass das Herz verschont bleibt. Des Therapeuten Augen geifern im Blutrausch, er ist zu allem bereit. Und ich weiß es auch. Endlich bekommt Adrian ihn von hinten am Genick zu packen, mit dem Handtuch umschlingt er seinen Hals. Obszöne Flüche gleiten in die Nacht, ich verschließe meine Ohren, doch Adrian grinst. Er macht eine Erwiderung, die ich nicht verstehen kann. Ich sehe (und höre), wie der Kortex durchtrennt wird. Mein Geliebter keucht, Schweißperlen rinnen über sein bleiches Angesicht. Nur zögernd schaut er mich an. Ich renne auf ihn zu, meine Wangen glitzern in Freudentränen. Endlich können wir uns umarmen und küssen, so wie es sein sollte. „Inga“, spricht er und deutet auf die Leiche, „bitte denke nicht schlecht von mir. Ich wollte nur helfen.“ „Das weiß ich, Liebster“, erwidere ich und streichele seinen Kopf, „und ich denke nicht schlecht von dir. Wenn es hier einen kranken Verbrecher gibt, dann ist er es.“ Adrian lächelt, er ist beruhigt. Dennoch zittert seine Hand: „Wir müssen jetzt fliehen. Die Tat wird nicht lange ungesehen bleiben!“ Ich nicke und erhebe mich, während mein Liebster den Körper nach den Schlüsseln durchsucht. Zum Glück wird er fündig. Wir nehmen uns beide an die Hand und rennen los. Endlos erscheinen die Gänge, welche wir durchqueren. Und immer mit der Angst im Nacken. Mühevoll unterdrücke ich die Tränen, wie Feuer brennen sie in meinen Augen. Aber ich höre nicht auf zu laufen, denn wenn wir jetzt hier nicht raus kommen, tun wir es nie. Hinter einer Ecke erwarten uns bereits bewaffnete Männer. Einer trägt ein Messer, der andere eine Pistole. Letzterer stürzt sich auf mich, es ist ein ungleicher Kampf. Durch einen Biss in das Handgelenk schaffe ich es dennoch, ihm die Waffe zu entreißen. Schläge in den Bauch und ins Gesicht sind die Folge. Meine Lippe blutet, trotzdem platziere ich einen Tritt zwischen seinen Beinen. Der nächste Schlang (in den Nacken) schickt ihn ins Koma. Für Adrian sieht es schlechter aus, sein Gegner ist größer und kräftiger. Ich zittere wie Espenlaub, bis ein Schmerzensschrei die Stille zerreißt. Meine Haut erbleicht; Das Messer ist tief in Adrians Schulter gedrungen. Wimmernd liegt er am Boden, doch Gnade ist nicht zu erwarten. Wie betäubt greife ich zu der Pistole und betätige den Abzug. Obwohl ich noch niemals zuvor eine Waffe geführt habe, kenne ich jeden Griff genau. Ich ziele, meine Augen und das Ziel bilden eine gerade Linie. Es knallt…einmal…zweimal…dreimal. Der Rückstoß schleudert mich gegen die Wand, während der Peiniger tödlich getroffen zusammensinkt. Schnell hole ich einen Verband und lege ihn auf Adrians Schulter. Er lächelt: „Danke. Ich dachte schon, es ist vorbei. Jetzt sind wir quitt.“ Wir eilen weiter, bis das heißersehnte Licht erscheint. Zum ersten Mal seit Jahren befinde ich mich jenseits dieses verfluchten Ortes. Die Straßen sind gesäumt von hektischen Menschen. Adrian und ich sind ein Teil der Masse…Und doch wieder nicht. „Wir sind frei“, murmele ich und lehne mich an seine Brust. Seine blonden Haare glänzen im Sonnenlicht. „Unsere Körper sind frei“, erwidert er und küsst mich, „doch im Innern sind wir der Menschheit fremd. Und du weißt ja: Alles Fremde ist feindlich!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2012-01-31T19:50:28+00:00 31.01.2012 20:50
Wie schon im Chat gesagt, mir fehlen ein wenig die Worte, aber gerade deswegen will ich ein Kommi hinterlassen.
Dass mir die Worte fehlen, ist in jedem Fall positiv zu werten.

Dein Text berührt mich auf einer Ebene, die schwer zu beschreiben ist, er transportiert eine unmissverständliche Botschaft, die dem Leser unwideruflich in Erinnerung bleibt.
Die Charaktere, das Setting, sind nur die Boten.

Obwohl ich normalerweise ein Logikfreak bin, bei der Flucht der Beiden aus der Anstalt habe ich gar nicht über Logik nachgedacht.
Es war mehr als würde ich wie ein Vogel mit dem Wind reisen.

Und der letzte Satz brennt sich in das Bewusstsein, erinnert mich an etwas, das in der Öffentlichkeit nicht genannt werden darf.

Danke für die FF und die Botschaft, die denen, die im Herzen anders sind Gewissheit verschafft, sie sind nicht allein.

Von: abgemeldet
2011-10-26T19:08:02+00:00 26.10.2011 21:08
oh, spannend... du hast recht, ich stimme dir absolut zu... die Gesellschaft kann einen nicht einsperren, und irgendwann wehren ihre "Opfer" sich...
mal wieder eine tolle Geschichte zum Verarbeiten dieses Themas...^^


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