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Sockentheater

von

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Sockentheater

Einen grummeligen Gruß auf den Lippen warf Rocco (wobei er selbst dann doch lieber bei Rock blieb) seinen Rucksack in eine Ecke. Die abgelaufenen Chucks folgten nur Sekunden später im hohen Bogen.

„Rocco Emanuel Günther!“, ertönte die strenge Stimme seiner Mutter, und insgeheim, besonders angesichts des von ihm so verhassten Namens, stieß er viele kleine Stoßseufzer aus. „Komm schon, wo gehört der Rucksack hin? Wie oft hab ich dich das denn jetzt schon gefragt?“

Siebenhundertfünfundzwanzigtausendundelf Mal. Zumindest, wenn er eine genaue Zahl schätzen müsste. Angefühlt hatte es sich jedoch wie mindestens eine Million Mal, wenn nicht gar mehr. Das Gespräch, das sich jedes Mal nach der Schule abspielte – mittlerweile doch schon seit zehn Jahren – konnte er bald auswendig mitbeten. Doch statt seiner Mutter zuzuhören, schaltete er lieber ab und dachte an Meg, an ihren blonden Lockenschopf, den sie einfach nicht bändigen konnte. Es war ein eindeutig das größere Vergnügen, wenn er sich ihre schokoladenbraunen Augen und das Grübchen, das bei ihrem verschmitzten Lächeln entstand, vorstellte. Oder ihre hellen, weichen Lippen… Eindeutig besser, viel besser.

„… und dann machst du deine Hausaufgaben“, beendete seine Mutter ihre kleine Rede, und seine Gedanken kamen gerade rechtzeitig genug zurück, um mit einem knappen Nicken einfach mal zuzustimmen. Leider war sie dann doch noch nicht fertig und gab einen ihrer variablen Zusätze zur normalen Begrüßung zum Besten: „Und zieh dir wenigstens ein paar vernünftige Socken an, du hast ja bald mehr Loch als Strumpf an deinen Füßen.“

Mit einem schlichten „Okay“ und geschultertem Rucksack stapfte Rocco die Treppen hoch und betrat sein kleines Reich. Manchmal war er über sich selbst erstaunt, wenn er in sein Zimmer kam. So gerne er Rucksack und Schuhe quer durch das Haus verteilte, sein Zimmer musste ordentlich sein. Schon oft hatten seine Freunde ihm ein paar nicht sehr freundliche Spitznamen deswegen verpasst, aber das hatte er ihnen abgewöhnt. Während Rocco nach sauberen Socken suchte, solchen, die nicht gerade wie ein Schweizer Käse aussahen, kam ihm wieder Meg in den Sinn. Ihr wäre ein sauberes Zimmer auch lieber und eines war sicher, sie würde irgendwann bei ihm hier landen. Rocco wusste, was er wollte und hatte auch vor zu kriegen, was er wollte. Und was er wollte, war nun einmal Meg.

„Rocco, träumst du etwa? Komm essen!“

„Komme schon“, rief er hinunter, während er zeitgleich erst den linken und dann den rechten Socken überzog, endlich hatte er ein vollständiges Paar gefunden. Seine Ordnung reichte nicht bis zu seinen Füßen hinunter, das stellte er jeden Morgen aufs Neue an seiner Sockenschublade fest. Um seine Mutter nicht noch weiter zu verärgern, eigentlich war sie ja schließlich schon bis auf ein paar Macken eine gute Mom, eilte er die Treppen herunter und schlitterte dann in die Küche. „Was gibt’s?“

„Schnelle Küche: Nudeln mit Schinken-Käse-Sauce. Heut Morgen kam Oma Lore vorbei und du kennst sie ja.“ Augenverdrehend stellte sie den Topf auf den Tisch und setzte sich zu Rocco. „Lass es dir schmecken.“

Und es schmeckte ihm hervorragend. Er mochte Schinken-Käse-Sauce und heute, nach dem Erlebnis mit Meg, hatte er erst recht großen Appetit. Sie hat seinen Appetit definitiv angeregt, in vielerlei Hinsichten. Während Rocco über den Tag nachdachte, musterte seine Mutter ihn und unterdrückte dann ein leises Seufzen. Ihr Küken war zum Mann geworden, schneller als ihr lieb war. Auch wenn sie dankbar sein musste, dass er sie nicht schon vor zwei Jahren zur Großmutter gemacht hatte, dafür war sie dann doch wieder zu jung. Es war Zeit, mit Rocco zu reden. So wie schon ihre Mutter damals mit ihr geredet hatte. Entschlossen leerte sie den Teller und stand dann auf.

„Iss zu Ende, ich bin gleich wieder da.“ Schnurstracks ging sie in Richtung Schlafzimmer, zu ihrem Schrank für besondere Gelegenheit, so wie diese nun eine war. Liebevoll packte sie die kleine Kiste aus und zog zwei kleine, verfilzte blaue Gegenstände hervor.

„Rocco, bist du fertig?“

„Ja, ich räum noch schnell ab und geh dann nach oben“, erwiderte ihr Sohn den Ruf aus der Küche.

„Komm doch bitte her, ich mach nachher das Geschirr.“ Innerlich wappnete sie sich auf das nun Kommende, auch wenn es vermutlich schon längst zu spät dafür war. Trotzdem musste sie es durchziehen.

Als Rocco das Wohnzimmer betrat, wäre er am liebsten gleich wieder umgekehrt. Nicht schon wieder! So sehr er seine Mutter mochte, in Moment wie diesem hätte er sie liebend gerne umgetauscht.

„Bitte nicht“, murmelte er leise vor sich hin, den Blick immer fest auf die zwei blauen Gegenstände gerichtet.

„Setz dich, Lulu und Lars haben dir was zu sagen.“ Langsam ging seine Mutter in die Knie, und Rocco ließ sich auf den Sessel fallen, es brachte ja doch nichts, er musste das Sockentheater über sich ergehen lassen, dabei konnte er dann wenigstens bequem sitzen bleiben. Lulu und Lars, die beiden Sockenpuppen waren vielleicht ganz schön gewesen, als er sechs war, aber doch nicht mehr jetzt, er war auf dem Gymnasium, er war schon fast ein Mann und kein kleines Kind mehr. Aber seine Mutter war unerbittlich in der Hinsicht - Lulu und Lars blieben da und lebten weiter. Nun gut, dann sah er sich das Sockentheater eben an:

„Oh, hallo Rocco, wir haben uns ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Du bist ja ganz schön groß geworden, oder Lars?“

„Na ja, ein Mann ist unser Kleiner noch nicht, aber schon ganz okay für sein Alter.“

„Also bitte, er kann dich doch hören! Sei doch etwas netter zu ihm.“

„Na, er ist doch auf dem besten Weg, erwachsen zu werden und was wir ihm heute zu sagen haben, ist eine ernste Angelegenheit. Du verhätschelst den Jungen zu sehr, Lulu.“

„Nur ein kleines bisschen…“

„Egal. Erklär ihm, warum wir hier sind.“

„Ich?“

„Ja, du, du bist doch eine Frau, also mach schon.“

„Ich bin deine Frau, nicht wahr? Rocco, wusstest du, dass wir verheiratet sind? Allerdings… waren wir auch vor unserer Hochzeit schon laaaaaange zusammen.“

„Komm zum Punkt, sag dem Jungen, dass wir mit ihm über Sex reden wollen!“

„Mom!“, rief Rocco entsetzt und sprang auf. Das konnte doch nicht wahr sein, er war im falschen Film, das hier war nicht die Wirklichkeit und seine Mutter wollte mit ihm nicht über Sex reden.

„Ruhe!“

„Lars, brüll ihn nicht so an.“

„Ruhe, allesamt. Rocco, setz dich wieder hin. Wir erzählen dir jetzt etwas über Verhütung und Sex, keine Widerrede.“

Das war wirklich ein ganz schlechter Traum, zwei blaue, uralte Socken wollten ihn über Sex aufklären. Erschüttert ließ Rocco sich wieder in den Sessel fallen. Socken erzählten ihm etwas über Verhütung. Konnten Socken überhaupt Kinder bekommen? Und warum in drei Teufels Namen fragte er sich so einen Schwachsinn? Es waren Socken und dahinter steckte seine Mutter, niemand sonst. Einen Moment lang überlegte Rocco, was schlimmer war: Die Strümpfe oder seine Mutter.

„Rocco, wir wissen, dass es da jemanden gibt, der dir gefällt. Oder, Lars?“

„Allerdings, ne hübsche Kleine will ich hoffen. Und du willst sicher mehr von ihr, ne? Sexuelle Begierde in deinem Alter ist normal, Kleiner. Hatte ich früher auch.“

„Aber trotzdem, pass auf, ob sie wirklich nett ist und gut ist und die Richtige für dich ist, ja?“

„Nun mach dir mal keinen Kopf, Lulu, unser Junge macht das schon. Und wir helfen ihm dabei.“

Schlagartig schossen Rocco Bilder in den Kopf, wie er mit Meg knutschend auf seinem Bett lag und seine Mutter im Hintergrund mit den beiden Sockenpuppen Tipps und Anweisungen gab.

„Irgendwann, Lars, wird er sie nicht mehr nur anschauen und küssen wollen, irgendwann möchte er mehr von ihr.“

„Richtig. Aber darum sind wir ja hier. Wir gehen jetzt einmal davon aus, dass du weißt, wie du deinen Penis einsetzen musst. Sex habt ihr in der Schule durchgenommen, von dem her…“

„Aber da sind ein paar Dinge, die wir dir unbedingt auf den Weg mitgeben wollen: Begierde ist nicht gleich Begierde. Manchmal fühlt man sich zu einer Person nur wegen dem Aussehen hingezogen, tu das nicht. Der Charakter zählt auch.“

„Ach Lulu, das weiß der Junge schon. Denk lieber an Verhütung, Kleiner. Und schenk der Frau deines Herzens mal ein bisschen Aufmerksamkeit, sei lieb zu ihr, verwöhn sie und nicht nur im Bett.“

„Verhütung ist wichtig. AIDS ist eine große Gefahr und du musst jetzt auch nicht unbedingt schon Vater werden.“

„Wir wollen dir nichts erzählen zum Sex, die Erfahrung musst du selber machen, aber denk an die Verhütung.“

„Besorg dir Kondome, Rocco, das ist unser Ernst. Lass dich nicht von deiner Begierde überrumpeln, lass dich nicht von deiner Erregung ausschalten. Lass dich nicht darauf ein, wenn du nicht vorbereitet bist.“

„Das war auch schon alles, Kleiner. Wir sehen uns sicher mal wieder. Lulu, bei all dem Gerede… lass uns kuscheln gehen.“

Sprachlos sah Rocco zu, wie seine Mutter die Socken wieder in der kleinen Kiste verstaute. Er wusste wirklich nicht, was er groß dazu sagen sollte, so sprachlos war er.

„Hier, Kondome. Verwende sie. Ich geh jetzt die Küche machen.“ Mit einer knappen Bewegung ließ seine Mutter die Schachtel in seinen Schoß fallen und ging zurück zum Geschirr, wo sie pfeifend das Abräumen begann.

Hatte seine Mutter ihm gerade wirklich eine Packung Kondome gegeben? Woher wusste sie das? Und… hatten ihn tatsächlich Socken dazu ermahnt, Safer Sex zu praktizieren? Das war wirklich ein Alptraum der obersten Klasse…



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Votani
2011-09-28T03:40:33+00:00 28.09.2011 05:40
Waehrend des Lesen wusste ich nicht genau, ob ich es seltsam finden oder einfach darueber schmunzeln sollte. Das weiss ich immer noch nicht genau. Armer Rocco, das ist wohl das Peinlichste, was einem passieren kann. Und obwohl seiner Ma hoch anzurechnen ist, dass sie es durchzieht, wuerde ich meine Ma danach nie wieder mit denselben Augen sehen. Erklaeren einem das Eltern ueberhaupt noch in der heutigen Gesellschaft, wo man mit dem Thema schon in der Grundschule konfrontiert wird? Auf jeden Fall hast du das Thema auf interessante Weise aufgefasst und auch das des Schreibturniers getroffen, keine Frage. Anfangs war es zwar wirklich etwas holprig, aber ab der Mitte hat sich das wieder gefangen.
Von: Arianrhod-
2011-09-26T08:20:48+00:00 26.09.2011 10:20
Okay, Rocco tut mir jetzt wirklich leid. XD Man hat sein Alter jetzt nicht direkt erfahren, aber ich tippe mal, dass er ~16 ist und in dem Alter ist man wirklich zu alt für Sockenpuppen.
(Allerdings fand ich seine Mutter insofern klasse, dass sie akzeptiert, dass er erwachsen wird, und gewisse Erfahrungen da einfach dazugehören.)

Das Thema 'Socken' hast du auch herrlich umgesetzt. *lach* Ich glaube, an Roccos Stelle hätte sich vermutlich jeder gern aus dem Staub gemacht, aber Mama ist ja ziemlich ... forsch. Kein Wunder, dass er nicht entkommen ist, so hart er sich auch gibt.
(Die Namen Lulu und Lars für die Socken find ich übrigens richtig passend.)

Was Meg angeht, muss ich auch sagen, dass der 2. Einschub mit ihr nicht so gelungen ist wie der erste. Wie kommt man von durchlöcherten Socken auf seine Angebetete?

ich weiß, etwas dürftig. wenn mir noch was einfällt, meld ich mich nochmal.
Sorca~
Von:  Ditsch
2011-09-25T14:35:55+00:00 25.09.2011 16:35
Hihi, die Idee gefällt mir <3 Dieses Sockentheater ist echt süß xD Auch wenn ich mir vorstellen kann, wie peinlich Rocco die ganze Geschichte ist :D

Am Anfang fand ich Roccos Gedanken allerdings ein bisschen gezwungen. Er hat an Meg gedacht und es passte für mich nur, weil ich wusste, dass das eine Thema "Begierde" war. Natürlich kann es sein, dass seine ganzen Gedanken davon beherrscht werden, aber mir fehlte trotzdem der Bezug ^^

Am Stil ist mir aufgefallen, dass du häufig Einschübe verwendest. An sich nicht schlecht, aber an manchen Stellen fand ich sie unpassend bzw. kamen sie mir zu überraschend.
Beispiele:
"warf Rocco (wobei er selbst dann doch lieber bei Rock blieb) seinen Rucksack in eine Ecke"
-> Ich musste einen Moment überlegen, was du mit dem Einschub in der Klammer überhaupt ausdrücken wolltest. Vielleicht hättest du seinen Spitznamen lieber an anderer Stelle erwähnen können, z.B., als seine Mutter ihn mit seinem ganzen Namen ruft.
"während er zeitgleich erst den linken und dann den rechten Socken überzog, endlich hatte er ein vollständiges Paar gefunden. "
-> Das Komma vor dem letzten Satzteil hat dafür gesorgt, dass ich den Satz einfach weitergelesen habe, ohne eine Pause zu machen, und das fand ich satzbautechnisch recht verwirrend. Ich würde da eher ein Semikolon, einen Doppelpunkt oder einen Punkt verwenden, um den Leser darauf vorzubereiten, dass es sich um einen angefügten zweiten Hauptsatz und nicht um einen Nebensatz handelt.
"Um seine Mutter nicht noch weiter zu verärgern, eigentlich war sie ja schließlich schon bis auf ein paar Macken eine gute Mom, eilte er die Treppen herunter und schlitterte dann in die Küche."
-> Hier ging es mir ähnlich wie beim letzten Beispiel. Ich hätte hier entweder vor dem "eigentlich" noch ein "denn" eingefügt oder den Einschub in Klammern gesetzt.

Fazit: Teilweise, besonders am Anfang, ein wenig holprig, aber zum Ende hin (mit dem Einsatz der Socken) hat mir die Geschichte immer besser gefallen und hat mich auch zum Schmunzeln verführt ;)

Ditsch


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