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Loveletter

von

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Der Wartende

Unruhig geht Michael in seinem Wohnzimmer auf und ab. Er ist nervös.

Und dagegen können auch die Zigaretten nicht viel ausrichten. Der Aschenbecher auf dem niedrigen Couchtisch ist schon halb voll.

Er raucht viel weniger, seit er Mia kennt und in ihrer Gegenwart hat er überhaupt noch nie zur Zigarette gegriffen.

Das fällt ihm auch erst jetzt auf. Jetzt, wo er wieder damit anfängt.

Seufzend drückt er die Kippe aus und beschließt es für heute sein zu lassen.
 

Michael öffnet die gläserne Schiebetür des Balkons, um die kühle Nachtluft hereinzulassen. Er muss sich regelrecht dazu zwingen, nicht hinauszutreten und die Straßen unter sich mit ruhelosen Blicken abzusuchen.

Er hatte sie in seinem Brief zwar gebeten, vorbeizukommen, aber es gab keine Garantie, dass sie es tatsächlich heute schon tat oder erst morgen. Oder überhaupt!

Sie könnte den Brief auch lesen, ihn wegschmeißen, Michael selbst für verrückt erklären und nie wieder Kontakt mit ihm aufnehmen!

Bei dem Gedanken wird dem Mann schlecht.

Zudem machen sich bei ihm so langsam leichte Kopfschmerzen bemerkbar.

Er reibt sich die Stirn und lässt sich an seinem Esstisch nieder, der nicht weit von der Sofagarnitur entfernt steht.
 

Würde Mia wirklich so reagieren? Eigentlich kann er sich das kaum vorstellen.

Und trotzdem bleiben die Zweifel.

Die Worte, die er ihr geschrieben hat, waren mehr als nur persönlich. Er hat ihr seine Liebe gestanden, alle seine Gefühle, wie Spielkarten offen vor ihr ausgebreitet.

Der weitere Verlauf der Ereignisse liegt nun ganz allein bei ihr.

Ist es da verwunderlich, dass ihm vor Aufregung die Hände feucht werden?
 

Michael holt tief Luft und wirft einen Blick auf die Uhr ihm gegenüber, ohne die Zeigeranzeige wirklich wahrzunehmen.

Wieder mal verflucht er sich für seine Feigheit.

Hätte er es doch nur gestern geschafft, über seinen Schatten zu springen.
 

~*~*~
 

Michael liebte den Sonntagmorgen. Entgegen der sonstigen Hektik konnte er sich sonntags ein entspanntes und ausführliches Frühstück gönnen. Schon allein das, ließ den Tag gut beginnen.

Doch heute wurde er in seiner Ruhe gestört.

Er war gerade dabei, seine Kaffetasse zum Mund zu führen, als es an der Tür klingelte.

Sich die Lippen an der heißen Flüssigkeit verbrennend, zuckte er zusammen. Missbilligend runzelte er die Stirn, stand dann aber doch auf, um zu öffnen.
 

„Mia!“

Aller Ärger war wie weggeflogen, als er die junge Frau vor sich erkannte. Sogar die Schmerzen waren plötzlich nicht mehr wichtig.

Er freute sich nur, sie so überraschend wiederzusehen.

„Hi!“, leicht beschämt lächelte sie ihn an, „Komme ich ungelegen? Ich hätte ja vorher angerufen, aber mein Handy spinnt gerade irgendwie. Tut mir leid!“

„Unsinn!“, schmunzelnd trat er bei Seite, „Komm rein! Möchtest du mit frühstücken?“

Ihr Gesicht hellte sich auf.

„Ja, gern!“
 

„Hast du heute Zeit?“, fragte sie, nachdem sie einmal von ihrem Honigbrötchen abgebissen hatte.

„Klar! Es ist Wochenende.“, er schenkte ihr Kaffee ein und stellte auch gleich die Milch in ihre Reichweite. Dankend nickte sie ihm zu.

„Ich wollte dir nämlich was vorschlagen.“

Leicht neigte er seinen Kopf zur Seite und sah sie abwartend an. Ein sanftes Lächeln umspielte dabei seine Züge.

Es stand ihm so gut.

Mia musste plötzlich ebenfalls die Mundwinkel verziehen.
 

Sie griff nach der Zeitung vom Vortag, die praktischerweise gerade auch auf dem Tisch lag, faltete sie auseinander und tippte auf einen der Artikel.

„Das hier!“, sie streckte ihn Michael grinsend entgegen, der sich interessiert darüber beugte.

„Ein Mittelaltermarkt? Heute?“, seine Augen begannen zu leuchten.

„Ja!“, sie stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte, „Davon hätten wir beide was. Du deinen altertümlichen Krempel und ich komme vielleicht zu ein paar guten Fotos!“

„Hast du eine Ahnung, wie wertvoll dieser sogenannte Krempel sein kann?“, Michaels Versuch ihr einen beleidigten Blick zuzuwerfen scheiterte kläglich; die Belustigung behielt die Oberhand, „Zumindest wenn er echt ist. Ich nehme mal an, dass wir da eher auf haufenweise Fälschungen treffen!“

Mia lachte.

„Aber du kommst doch trotzdem mit, oder?“
 

Entspannt lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück. Er freute sich wirklich über die Einladung.

Sie bewies, dass Mia gern mit ihm zusammen war.

Und das ließ wieder diese wohltuende Wärme in ihm aufsteigen.

Eine Wärme, die bei seinen nächsten Worten auch auf seine Stimme übergriff.

„Aber sicher doch!“
 

*
 

Letzte Woche hatte es die meiste Zeit geregnet. Heute war das Wetter auf ihrer Seite.

Vermutlich war das der Grund, warum sich so viele Leute auf dem Marktplatz aufhielten und sich zwischen den Ständen hindurch schlängelten, an denen Lebensmittel, Schmuck, bunte Tücher oder stellenweise Spielzeug für die Kinder verkauft wurde.

Menschen in mittelalterlichen Gewändern liefen durch die Gegend, eine Ritterrüstung und Schwerter wurden ausgestellt. Es gab ein kleines Theater, einen Platz zum Bogenschießen und überall spielte Musik.
 

„Die Kostüme sind schon klasse!“, fasziniert blickte Mia einer Frau, in einem weinroten Leinenkleid hinterher.

Michael konnte ihr nur zustimmen.

„Die haben sich hier alle sehr viel Mühe gegeben!“, sagte er anerkennend.
 

An einem Stand mit Bernsteinschmuck blieben sie schließlich zum ersten Mal stehen.

Ehrfürchtig strich Mia an den aneinandergereihten Ketten entlang. Die Steine klirrten leise und funkelten im Sonnenlicht.

Sie griff mit einer Hand zu ihrer Kamera, die sie um den Hals trug und hielt den Augenblick so auf einem Foto fest.

„Ich traue mich ja kaum nachzufragen, aber …“, grinsend stützte Michael die Hände in die Seiten, „möchtest du eine davon?“

„Das ist sinnlos!“, sie schüttelte den Kopf. Eine ihrer braunen Haarsträhnen fiel ihr dabei ins Gesicht und sie strich sie zurück.

„Dir Geschenke zu machen?“, resigniert richtete der junge Mann seinem Blick zum klaren Himmel, „Ich weiß!“

„Nein, es ist wirklich sinnlos!“, erklärte Mia ernst, „Ich trage keinen Schmuck. Der würde bei mir zu Hause überall rumhängen, nur nicht um meinen Hals!“

„Ach so.“, Michael nahm sich eine der Ketten, legte den großen goldbraunen Stein in seine Handfläche und schlang sich das schwarze Lederband locker um die Finger. Dann streckte er sie Mia entgegen.

Die verstand die Aufforderung und schoss ein Foto.

Als sie jedoch seine Hand zum ersten Mal so gezielt betrachtete, musste sie kurz stocken, bevor sie auf den Auslöser drückte.

Michael hängte das Schmuckstück zurück an seinen Platz, während Mia auf das Bild starrte, welches soeben auf dem kleinen Bildschirm ihrer Kamera erschienen war.
 

Es war ihr vorher nie aufgefallen.

Er hatte wunderschöne Hände. Lange, schlanke Finger. Ebenmäßig. Feingliedrig.

Dabei hatte sie sie schon des Öfteren festgehalten. Trotzdem stach es ihr erst jetzt so richtig ins Auge.

Und trieb ihr die Hitze in die Wangen.
 

„Ist es was geworden?“, Michael trat neben sie und holte Mia somit wieder in die Wirklichkeit zurück.

Schnell überspielte sie die anfängliche Verwirrung mit einem Lächeln.

„Ja!“, ein leicht träumerischer Ausdruck trat in ihre Augen, die sie immer noch auf ihre Kamera gerichtet hielt, „Es ist sogar sehr schön geworden!“
 

Sie gesellten sich zu den Leuten, die sich vor der kleinen, hölzernen Bühne versammelt hatten.

„Du kennst dich in der Epoche doch aus …“, Mia stellte sich auf die Zehenspitzen, um einen besseren Blick auf die Schauspieler zu haben, „was wärst du denn gern geworden, wenn du damals gelebt hättest?“

Michael zuckte die Schultern und beobachtete, wie ein Bote dem König gerade eine Schriftrolle aushändigte.

„Vielleicht Schreiber. Oder Sekretär. Für irgendeinen Fürsten, oder Herzog!“, jetzt zog sich ein Grinsen über sein Gesicht.

Sie betrachtete ihn für einen Moment.

„Ritter, könnte ich mir auch noch vorstellen!“, sagte sie dann.

Doch daraufhin schnaubte er nur verächtlich: „Ich? In so einer Rüstung? Das wäre keine fünf Minuten gut gegangen! Und Reiten kann ich auch nicht.“

„Zu schade. Da muss ich mir einen anderen Helden suchen!“, ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen richtete sie ihren Blick wieder nach vorne.

Michael schloss die Augen, um so das – bei ihren Worten aufkommende – flaue Gefühl in seiner Magengegend, besser vertreiben zu können. Dabei wusste er doch, dass sie nur Spaß machte.

„Ja, das wäre für Eure Sicherheit wirklich das Beste, Mylady!“
 

Da sie den Anfang des Stückes verpasst hatten, taten sie sich schwer dabei, in die Geschichte hineinzufinden. Also blieben sie nicht lange, sondern versuchten lieber sich etwas zu trinken zu besorgen. Bei dem reichhaltigen Angebot, ein eigenes Unterfangen für sich.
 

*
 

„Warum so still?“, für einen Moment wandte Michael den Blick von der dunklen Fahrbahn ab, als sie an einer Ampel zum Stehen kamen und sah Mia an, die leicht in sich zusammengesunken, neben ihm saß, „Müde?“

„Ja, ein wenig.“

Dabei war es noch gar nicht so spät. Nur die Sonne ging von Tag zu Tag früher unter.

Mia beobachtete seine Hand, wie sie den Schalthebel betätigte und sah zu, wie sich seine Finger wieder um das Lenkrad schlossen.

Ihre Augen wanderten zu seinem Gesicht, das hin und wieder von Straßenlaternen oder Scheinwerfern kurzzeitig erhellt wurde. Ansonsten war es im Halbdunkeln nur schemenhaft zu erkennen. Völlig emotionslos war sein Blick geradeaus gerichtet. Er musste sich ja schließlich konzentrieren.
 

Über sich selbst erschrocken, wandte Mia ihre Aufmerksamkeit so gut es ging von ihm ab. Nach unten, auf ihre Hände.

Es war doch sonst nicht ihre Art, anderen Leuten ins Gesicht zu starren.
 

Hier im Auto war es warm. Michael fuhr sie nach Hause. Die Leuchtzifferanzeige über den Radioknöpfen, bestätigte ihr, dass sie nicht mehr lange unterwegs sein würden.

Dabei wollte sie doch noch gar nicht aussteigen.

Ihr Blick schweifte zu seinem rechten Knie, das sich gerade leicht nach oben bewegte, als er seinen Fuß vom Gaspedal auf die Bremse setzte.
 

Michael bemerkte die Blicke. Und im Gegensatz zu ihr, war er sich auch der ungewohnten Spannung zwischen ihnen bewusst. Sie ließ seine Muskeln verkrampfen und schnürte ihm den Brustkorb zusammen. Oder machte er sich da nur etwas vor?

Er hatte es Mia heute eigentlich sagen wollen. Dass er sie liebte. Nur war er nicht dazu gekommen, hatte es nicht über sich gebracht.

Das hier war seine letzte Chance. Zumindest für heute.

Doch wie lange vermochte er es noch vor sich herzuschieben, bis ihn der Mut endgültig im Stich ließ und er aufgab?

Je näher sie ihrem Ziel kamen, umso größer wurde der Kloß in seiner Kehle.

Tausend Worte und Formulierungen schwirrten ihm durch den Kopf, doch er bekam keine einzige davon zu fassen.
 

Langsamer, als es eigentlich nötig gewesen wäre, parkte Michael seinen Wagen am Straßenrand. Direkt vor Mias Hochhauskomplex.

Lange würde er hier nicht stehenbleiben dürfen.

Mia schnallte sich los.

„Danke für’s Herbringen!“, meinte sie zaghaft und klang dabei leicht wehmütig, „War richtig schön heute!“

Er brachte ein gequältes Lächeln zustande, ballte seine eiskalten Finger zur Faust.

Mit klopfendem Herzen beobachtete Michael, wie sie ausstieg.
 

„Mia?“, brach es plötzlich aus ihm heraus. Gerade in dem Moment als sie die Tür zuschlagen wollte.

Doch als die junge Frau sich zu ihm beugte, versagte ihm erneut die Stimme. Und sein Kopf war leer. Er wusste was er sagen wollte. Er hatte nur keine Ahnung, wie er anfangen sollte!

Mia sah ihn abwartend an, aber immer noch geduldig. Vermutlich hätte ihn das ermutigen sollen, doch das genaue Gegenteil war der Fall:

Ihm wurde unter diesem Blick so unsagbar heiß, dass es schmerzte und sich wirklich anfühlte, als würde sein Innerstes in Flammen stehen.
 

Verwirrt schüttelte er den Kopf.

„Ich hab zu danken!“, murmelte er so leise, dass sie es eigentlich kaum hören konnte, „Deine Idee war wirklich spitze!“

Mia lächelte geschmeichelt.

„Tschüss!“, sie hob noch einmal die Hand und verschwand dann in der Dunkelheit.

Das Zuschlagen der Autotür hallte seltsam laut in Michaels Ohren nach.
 

Wie festgefroren saß er für ein paar Sekunden regungslos auf seinem Sitz. Die Hitze in seinem Körper war abgeflaut.

Ihm war eiskalt.

Schließlich legte er seine Unterarme auf das Lenkrad und ließ die Stirn darauf sinken.

Ihm war mit einem Mal zum Heulen zumute.
 

~*~*~
 

Die Türklingel lässt ihn so heftig zusammenfahren, dass ihm der Aschenbecher aus den Fingern gleitet und mit im Papierkorb landet. Eigentlich will Michael sofort loshasten, zieht ihn dann aber doch noch daraus hervor, bevor er sich betont langsam und ruhig auf den Weg Richtung Tür macht.

Sein Hals ist staubtrocken.

Er schluckt.

Es muss nicht unbedingt Mia sein.
 

Aber es ist Mia.

In ihrem schwarzen Kurzmantel und dem beigefarbenen Schal. Ein vertrautes Bild.

Ihre Wangen sind leicht gerötet. Ihre Augen strahlen.

Sie ist ihm nie zuvor schöner vorgekommen.
 

Doch sehr viel Zeit sie zu bewundern bleibt ihm nicht.

Er kommt noch nicht mal dazu etwas zu sagen.

Denn Mia fällt ihm von einer Sekunde auf die andere um den Hals. Sie drückt Michael an sich, küsst ihn auf die Wange und vergräbt ihre kalte Nase anschließend an seiner Schulter.

Und während der, perplex wie er ist, im Zeitlupentempo die Hände hebt, dringen drei Worte an sein Ohr, die ihn letztendlich dazu bringen, sie ebenso fest in seine Arme zu schließen. Die ihm einen Stein vom Herzen fallen lassen.
 

„Ich dich auch!“
 

Ende



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