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Ausgerechnet Er...

von

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Auf zur Detektei Mori

Das Blut tropfte auf den Boden und erzeugte einen rhythmischen Klang. Plitsch. Platsch. Plitsch. Nakamuras Hand bewegte sich quälend langsam nach oben. Der kleine Mann keuchte und stöhnte erleichtert auf, als er es endlich geschafft hatte, sie auf dem kleinen Tisch zu platzieren. Er wandte seine ganze Kraft auf, um sich hochzuziehen. Er unterdrückte einen Schmerzensschrei, der nun stattdessen als jämmerliches Fiepen seinen Mund verließ. Endlich hatte er es geschafft, sich aufzurichten. Er stützte sich mit seinen Ellenbogen auf dem Tischchen ab und ergriff den Telefonhörer. Zunächst wollte er eine Notrufnummer wählen, entschied sich dann aber um. Er würde ohnehin sterben. Sein Sohn war bereits tot. Er brauchte keine Hilfe. Er brauchte jemanden, der ihn rächte. Unter Schmerzen wählte er die Nummer, die Uragiri ihm gegeben hatte. Er hatte den Zettel, den Uragiri ihm wortlos in den Hausflur geworfen hatte, erst später bemerkt. Einen Zettel, auf dem Uragiri die Nummer eines gestohlenen Handys notiert hatte. Eine glückliche Fügung hatte dafür gesorgt, dass die Kerle ihn nicht entdeckt hatten. Und eine ebenso glückliche Fügung hatte Nakamura mit einem guten Gedächtnis für Zahlen ausgestattet. Ohne diese Fügungen wäre es wohl niemals zu der telefonischen Verbindung gekommen, die jetzt zwischen den beiden Männern bestand.

„Nakamura?“

„Ura – arrgh – iri“

„Was ist passiert, Nakamura?!“, schallte Uragiris Stimme panisch durch den Hörer.

„D-diese Schweine haben m-mich erwischt! Sie h-haben“, fügte Nakamura mit tränennassen Augen und gebrochener Stimme hinzu „M-MEINEN JUNGEN GETÖTET!“ Der kleine Mann verfiel in eine Mischung aus Schluchzen und Japsen.

„WAS?!“

„Du m-musst s-sie fertigmachen. Mach' diese miesen Hu-hurensöhne fertig! Du k-kannst das, r-richtig? M-mit diesem Zeug, d-dass ich v-verstecken sollte. E-es ist einem Schließfach im To-Toriya-Viertel. Du f-findest die genaue Adresse im Keller. Im Keller v-von“ - ihm blieb kurz die Luft weg - „v-von unserem alten C-club. Mach die Schei-Scheißkerle f-fertig!“

Ein lauter Schmerzensschrei. Dann Stille. Big N fiel rücklings auf den Boden und starb, die glasigen Augen auf die Leichen seiner wenige Meter entfernt liegenden Kinder gerichtet.
 

Ein lautes Krähen zerriss die Stille. Der verantwortliche Hahn warf einen auffordernden Blick in das Esszimmer, bis er schließlich von der Schwärze des ausgeschalteten Fernsehbildschirms geschluckt wurde. Murata legte die Fernbedienung auf den Esstisch und wandte sich wieder genervt seiner Misosuppe zu.

„Dass die nach den Morgennachrichten immer dieses bescheuerte Hahnen-Weckprogramm bringen müssen!“, schimpfte er.

Mori, dem klar war, dass weniger das schlechte Morgenprogramm als vielmehr die durchwachte Nacht für Muratas gereizte Stimmung verantwortlich war, erwiderte nichts. Auch er fühlte sich alles andere als taufrisch, war aber trotzdem froh, nicht mehr im Bett zu liegen. Wenn er alltägliche Dinge tat, wie zum Beispiel frühstücken, konnte er es unterdrücken. Doch sobald sein Körper Ruhe fand, sah er plötzlich wieder alles vor sich: geplatzte Hände, geplatzte Hemden und Blut. Die zwei Stunden Schlaf, in deren „Genuss“ er bisher gekommen war, waren die Hölle gewesen. Lieber wach und todmüde als schlafend und in Todesangst.

Während Kogoro Misosuppe schlürfte und sich derlei düsteren Gedanken hingab, zuckte Murata unentwegt nervös hin und her. Sein Blick wanderte von der Wanduhr zur Tür und wieder zurück zur Wanduhr. Yoko hatte immer noch nichts von sich hören lassen.  

„Die Suppe ist ziemlich gut.“, versuchte Kogoro die angespannte Situation etwas aufzulockern „irgendein besonderes Rezept?“

„Tütensuppe.“

Kogoro lächelte verlegen, gab aber seine Bemühungen, ein halbwegs nettes Gespräch bei Tisch zu führen, noch nicht auf.

„Deine Kinder schickst du heute nicht in die Schule?“

„Nein... Ach Mori, lass das! Ich bin nicht in der Stimmung zu plaudern. Das einzige, abgesehen von der Frage wo zur Hölle meine Frau im Augenblick ist, was mich vielleicht ein klitzekleines Bisschen interessiert, ist, was du auf einmal hier willst. Versteh' mich nicht falsch, aber irgendwie wundere ich mich schon, wenn du total runtergekommen und mit gebrochener Nase hier ankommst. Hast du vielleicht Geldprobleme? Schlimmere als sonst, meine ich.“

Mori hatte mit der Frage gerechnet, sie sogar befürchtet, denn sie war unglaublich schwer zu beantworten. Sagte man die Wahrheit, wurde man nicht ernst genommen. Log man, hatte man neben Gewissensbissen auch das Problem, sich eine glaubwürdige Geschichte auszudenken. Schließlich erinnerte er sich der Erfahrungen mit dem Polizisten und entschied sich für die Lüge.
 

Gin führte solche Gespräche nicht häufig. Gespräche mit ihm, dem großen Ganzen, das alle Fäden in der Hand hielt und als graue Eminenz alles und jeden zu kontrollieren ersuchte. Seine verzerrte Stimme tönte blechern aus den großen Lautsprechern, die an der Wand angebracht waren, und erfüllte den Raum mit einem unfassbaren Gefühl von Omnipräsenz. Selbst Gin, einer der kaltblütigsten Menschen dieser Erde, bemerkte, wie sich eine Gänsehaut auf seinem Körper bildete, als es begann, zu ihm zu sprechen.

„Mir gefällt nicht, wie du diese Operation bisher gehandhabt hast.“

„Das ist nicht meine Schuld.“, erwiderte Gin, dem einmal mehr bewusst wurde, dass er es hasste, Rechenschaft ablegen zu müssen „Das ganze ist auf die Inkompetenz dieser Idioten zurückzuführen. Mit Rum als Ermittler werde ich das Kind schon schaukeln.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob deine Führung nicht ebenfalls zu den unbefriedigenden Ergebnissen beigetragen hat. Außerdem gefällt mir nicht, dass du so gnadenlose Strafen für einige meiner Untergebenen gewählt hast. Für Versager ist bei uns kein Platz, aber ich verlange, dass solch folgenreiche Entscheidungen mit mir abgesprochen werden!“ Es sprach ruhig, nahezu monoton, aber dennoch ließ die Stimme Gin das Blut in den Adern gefrieren.

„Ich habe zu keinem Zeitpunkt unangemessen gehandelt.“

„Dennoch habe ich beschlossen, dass dir die Befehlsgewalt in dieser Angelegenheit zu entziehen ist.“

„W-wer soll es dann tun?“

„Wermut übernimmt weiterhin die Koordination. Und -“ Eine Pause. „- Rum erhält die volle Befehlsgewalt.“

„Was?! Rum ist kein echtes Mitglied. Ohne unser Druckmittel würde er nichts für uns tun. Er ist illoyal!“

Der Einwurf wurde überhört. „Rum ist bereits über die neue Situation informiert. Für dich habe ich andere Aufgaben. Du findest morgen eine Missionsbeschreibung in deinem Handschuhfach.“

Ein quietschendes Geräusch, dann Stille. Die Audienz war beendet. Zorn funkelte wild aus Gins kalten Augen. Er hasste es, Befehle zu bekommen. Und wie er es hasste.
 

Rum betrachtete sein Spiegelbild. Er musste grinsen, denn es sah scheußlich aus. Ein alter Mann, der zu wenig Schlaf und zu viel Stress gehabt zu haben schien, grinste zurück. Aber Rum fühlte sich besser als er aussah. Berücksichtigte man die Umstände, konnte man dies sogar als außergewöhnlich guten Tag bezeichnen. Ein nasser Fleck bildete sich auf Rums Hose und wurde immer größer. Nun ja, so gut war der Tag wohl doch nicht.

„Immer noch inkontinent, hm?“, fragte Wermut die bis eben vor dem Zimmer gewartet hatte „Ich dachte, du nimmst jetzt diese Tabletten.“

„Tabletten sind Gift für den Körper.“, erwiderte er „Könntest du bitte wieder rausgehen, ich würde gerne die Hose wechseln.“

As you wish.“, antwortete sie mit ironischem Unterton und verließ das Zimmer.

Wenige Minuten später öffnete Rum die Tür und wurde von Wermut mit einem „Na endlich!“ begrüßt.

Vor dem Haus wartete ein knallroter Sportwagen.

„Ginge es nicht ein wenig unauffälliger?“, erkundigte er sich mürrisch.

„Was willst du? Es ist schön, schnell und genau geeignet für unsere Mission.“

„Unsere Mission? Das hört sich ja an, als ob ich freiwillig bei euch Dreckskerlen mitmachen würde.“

„Ach, so unterschiedlich sind wir beide nicht. Jeder von uns wird durch ein Blatt Papier angetrieben, nur dass es bei mir der Gehaltsscheck ist, und bei dir diese Patientenverfügung.“

„Diese verdammte Patientenverfügung.“, grummelte Rum.

„Wie auch immer,“ Wermut öffnete die Beifahrertür. „jetzt sollten wir beide was aus dieser Situation machen. Du fährst.“

„Ich fahre?“

„Du hast die volle Befehlsgewalt – du fährst.“

„Wohin?“

„Das musst du wissen.“

Rum überlegte kurz: „Gut, dann auf zur Detektei Mori.“

Er ließ den Motor an.
 

Der Wagen bog nach rechts ab. Rum gab einen nachdenklichen Seufzer von sich.

„Was ist?“, fragte seine Beifahrerin ihn.

„Moris Detektei wird doch immer noch von unseren Leuten bewacht?“

„Ja.“

„Ich will, dass wir sie abziehen. Wenn Mori tatsächlich in die Nähe der Detektei kommt, sollte er besser niemanden Verdächtiges entdecken. Gib deinen Leuten den Befehl weiter, dass sie sie sich etwa zwei Kilometer entfernt von Detektei einen hohen Beobachtungsposten suchen sollen. Beobachtung, wohlgemerkt. Sie sollen nicht ohne Befehl eingreifen.“

„Aber -“

„Habe ich die volle Befehlsgewalt, oder habe ich sie nicht?“

Widerwillig griff Wermut zu ihrem Mobiltelefon.

Als sie das Gespräch beendet hatte, begann Rum wieder, zu sprechen.

„Außerdem wäre aufgrund der Brisanz der Angelegenheit ein guter Scharfschütze von Vorteil. Ich will einen der drei Besten. Chianti, Korn oder Calvados.“

„Die drei sind im Augenblick allesamt damit beschäftigt, die Regierung eines Dritte-Welt-Landes zu stürzen.“

Rum zog eine Augenbraue hoch. „Dann will ich Rye.“

„Rye?“

„Ja, er ist zwar kein offizieller Scharfschütze, aber soweit ich weiß, ist er dennoch außergewöhnlich begabt in dieser Hinsicht. Kontaktiere ihn.“

Wermut verdrehte die Augen und wählte die Nummer.

„Gut. Sorg' dafür, dass er unsere Leute an den Beobachtungsposten schnellstmöglich ablöst. Wir sind fast da, ich steig hier aus. Fahr du zurück zum HQ und erledige die Koordinationsarbeit.“, befahl Rum und hielt am Straßenrand.

Er stieg aus, lief zum Kofferraum, holte einen alten deutschen RIMOWA-Koffer daraus hervor und stapfte los.
 

Nachdem sich Kogoro Mori eine Geschichte voller Wasserrohrbrüche, Wohnungsbrände und ähnlicher Problemchen aus den Fingern gesaugt hatte, sah Murata ihn stirnrunzelnd an.

„Wenn du mir nicht die Wahrheit sagen willst, ist das in Ordnung, Kogoro. Du musst dir deshalb nicht gleich so einen Quatsch ausdenken.“

Bevor der Detektiv zu einer Antwort ansetzen konnte, klingelte das Telefon. Sekundenbruchteile später war Murate bereits aufgestanden und hatte das Gespräch angenommen.

„Yoko?! Bist du's?“

Für einen kurzen Moment sagte er nichts, dann blickte er irritiert in Moris Richtung.

„Mori. Es ist für dich.“

Kogoro erwidert den Blick vollkommen verdattert.

„Wer?!“

„Deine Frau.“

„Aber woher kennt sie...?“

„Komm einfach her!“

Mori folgte der Anweisung und nahm Murata den Hörer aus der Hand.

„Eri?!“

„Kogoro, ihr habt noch den Staubsauger, den ich Ran geliehen hab. Könntest du ihn bitte bei mir vorbeibringen?“

„Nein, das geht jetzt nicht!“

„Schon klar, du Schluckspecht! Bist zu sehr damit beschäftigt mit deinem Kumpel Mahjongg zu spielen, stimmt's? Dann hole ich ihn mir eben selbst, ich habe den Schlüssel ja.“

„Nein! Eri! Lass das!“

„Hat man da noch Töne? Wie redest du denn bitteschön mit mir?!“

„Nein! Die Detektei ist...“

„...der reinste Saustall, ich weiß.“, entgegnete sie schnippisch und legte auf.

„NEIN! VEDAMMTE SCHEISSE!“, brüllte Kogoro mit verzweifelter und knallte den Hörer auf die Gabel.

„Was ist denn los?“, wunderte sich Murata.

„Ich muss weg! Gib mir dein Auto!“, befahl Kogoro panisch und rannte auf die Glastür zu.

„Das geht nicht. Das hat Yoko.“, antwortete sein Kumpel, dessen Verwunderung immer weiter anwuchs. „Ich brauche doch keins mehr, seit wegen dieser Verletzung nicht mehr arbeiten kann.“

„Dreck! Dann eben zu Fuß.“, rief Kogoro noch und entschwand durch die Tür...



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