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Drei Seelen

Wichtelgeschichte für Caliena
von

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Beest stellte sich in einem Sattel auf, als er ein Rascheln hörte und das Gebüsch vor ihm sich leicht bewegte. Er wollte nach seinen Gefährten rufen, biss sich aber noch rechtzeitig auf die Unterlippe, als er seinen Fehler bemerkte; wenn er jetzt zu laut war, würde ihm dieser Fuchs entwischen. Und das durfte nicht passieren! Seit der junge Edelmann alt genug war, um mit auf die Jagd zu gehen, waren schon fünf Jahre vergangen und dabei war es ihm noch nie gelungen, eines dieser Tiere selbst zu erlegen. Wenn er wieder scheiterte, würde er sich ein weiteres Jahr die Schadenfreude seiner Brüder anhören müssen. Also spannte Beest seinen Bogen und drückte seinem Pferd nur leicht die Fersen in die Flanke, damit es sachte einige Schritte nach vorne tat. Mit zusammen gekniffenen Augen starrte er auf das grüne Blattwerk und als sich dahinter ein roter Schimmer bewegte, ließ er den Pfeil von der Sehne schnellen. Als er dann ein leises Jaulen hörte, jubelte der Edelmann auf, sprang von seinem Reittier und eilte hinter den Busch. Doch statt dem erwarteten Fuchs fand Beest ein Mädchen auf dem Boden liegen, das sich vor Schmerzen wand, den Pfeil tief in der Schulter.

„Beim Schöpfer!“, keuchte er und kniete sich sofort neben dem Mädchen nieder. Dieses sah ihn einen Moment an, bevor es seinen Kopf zur Seite drehte und vor Schmerzen aufstöhnte. „Was … Ich dachte du wärst ein Fuchs!“ Hilfesuchend wrang er seine Hände und überlegte fieberhaft, was er machen sollte. Er könnte seine Brüder um Hilfe bitten, doch wenn die erfuhren, dass er einen Fuchs nicht von einem Menschen unterscheiden konnte, würden sie ihn ewig damit aufziehen … Neben ihm regte sich das Mädchen leicht, ihr Gesicht war inzwischen bleich und mit einem Schweissfilm überzogen. Es schien ihm keine andere Wahl zu bleiben. Mit einem Seufzen stand er auf und pfiff laut; das Signal, von dem sie abgesprochen hatte, dass man es als Hilferuf verwenden würde.
 

„Volltrottel!“ Nephalia zog eine Schnute, als ihr Gegenüber sie entschuldigend anlächelte, und berührte kurz ihre Achsel, unter der sich eine helle, rautenförmige Narbe zeigte.

„Wie oft muss ich mich denn noch entschuldigen?“

„Jedes Mal, wenn der Mond ganz am Himmel zu sehen ist bis zu dem Tag, an dem dein erstes Kind zur Welt kommt.“

Beest lachte laut, dann schlang er seine Arme um sie und zog sie weiter zu sich. „Dann sollten wir am besten gleich damit anfangen, meine Liebe“, sagte er leise und jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Anfangs sträubte sich Nephalia jedoch, versuchte standhaft zu bleiben, doch kaum spürte sie seine Lippen auf ihrer Haut, gab sie ihm nach und brachte ihr Gesicht vor seines.

Seit sie sich getroffen hatten, waren nun schon acht Monde vergangen, von denen Nephalia die ersten sieben Tage kaum ansprechbar im Krankenhaus verbracht hatte. Die Wunde hatte sich schnell entzündet, doch die Heilerin hatte in sämtliche Trickkisten gegriffen und es schließlich geschafft, die Infektion zu bekämpfen. Beest war währenddessen kaum von ihrer Seite gewichen und hatte selbst nach ihrer Entlassung darauf bestanden, sich um sie zu kümmern; Erst recht, als er erfahren hatte, dass Nephalias ganze Familie in Sonsae wohnte, welches am anderen Ende des großen Meeres lag. Es war am Anfang ungewohnt gewesen. Seit sie sich erinnern konnte, lebte Nephalia alleine und kümmerte sich dementsprechend auch selbst um sich. Doch schnell hatte sich zwischen der jungen Frau und dem Edelmann eine Freundschaft und daraus wiederum eine Liebschaft entwickelt.

„Auf gar keinen Fall!“, antwortete die junge Frau schließlich, als sie wieder zu Atem kam und stemmte ihre Hände gegen die Brust ihres Geliebten. „Stell dir vor, ich würde schwanger werden als ledige Frau! Wie soll ich das den Klerikern erklären, wenn sie nach dem Vater fragen? Dass ich Unzucht mit einem Edelmann treibe. Als wäre es nicht schlimm genug, dass ich von gemeiner Herkunft wäre.“

Beest jedoch zuckte auf ihren Einwand hin nur die Schultern. „Dann muss ich dich eben zu meiner Frau machen.“

Die junge Frau sah ihn skeptisch an, doch ihre Augen weiteten sich in Erstaunen, als Beest vor ihr niederkniete und ihre Hand in seine nahm. Dann sah er sie einen Moment lang an, bevor er einen silbernen Ring in den ein einfacher, roter Edelstein eingelassen war, aus seiner Hemdtasche zog und ihn ihr an den Finger steckte.

Er hatte sie tatsächlich gefragt … Seit Wochen hatte sie sich den Moment vorgestellt, an dem er sie fragen würde, was sie sagen würde … Wie sie es ihm erklären sollte!

Ein dicker Kloß bildete sich im Hals der jungen Frau und sie musste einige Male schlucken, bevor sie schließlich wild ihren Kopf schüttelte. „Ich kann nicht“, sagte sie gepresst und im nächsten Moment war sie bereits aus dem Zimmer gestürmt. Der Edelmann blickte ihr ratlos hinterher, dann raffte er sich schnell auf und folgte Nephalia, die gerade durch die schwere Eingangstür des Hauses geschlüpft war.

„Wo will sie hin?“, bellte er den Bediensteten an, obwohl er genau wusste, dass sie nichts gesagt hatte.

Hilflos hob der Diener die Hände. „Ich weiß nicht, Mylord“, antwortete er Beest und neigte den Kopf in einer untertänigen Verbeugung. Der Edelmann schnaubte nur, griff nach seinem Umhang, der ihm bereits entgegen gehalten wurde und warf ihn sich achtlos um, während er auf die Straße vor seinem Haus trat. Doch kaum hatte er einen Schritt getan, hielt er sofort wieder inne und fluchte leise. Denn vor ihm auf der Straße gingen unzählige Menschen mit beladenen Karren und Zugtieren dem geschäftigen Treiben der Mittagszeit nach und versperrten Beest so die Sicht.

Frustriert trat der junge Mann nach einem Kieselstein, der auf dem ansonsten makellos polierten Marmoraufgang des Herrenhauses lag und musste dabei einen lauten Schrei unterdrücken. Was war da gerade geschehen? Er hatte sich lange mit seinen Eltern auseinander setzten müssen, bevor sie ihm endlich ihren Segen erteilten, eine bürgerliche Frau zu heiraten. Allzu lebhaft konnte er sich noch an ihre Proteste erinnern, als ihnen Nephalia das erste Mal vorgestellt wurde Sie hatten noch nicht einmal versucht, ihre Ablehnung ihr gegenüber zu verheimlichen. Doch Beest war unermüdlich gewesen, hatte darauf bestanden, Nephalia zu seiner Frau zu machen, bis den beiden nichts anderes übrig blieb, als zuzustimmen. Und nach all dem, was er für sie durchgemacht hatte, bekam er ein vages Ich kann nicht … ?

Beest schnaubte bei dem Gedanken, zog seinen Umhang zurecht und mischte sich unter das Volk. Es gab nur eine bestimmte Anzahl von Orten, wo Nephalia sich verstecken würde und der Edelmann war sich sicher, dass er sie bis zum Ende des Tages finden würde – denn er war nach wie vor fest entschlossen, dieses Mädchen zu seiner Frau zu machen.
 

Nephalia saß auf dem Stamm einer umgekippten Eiche auf einer kleinen Lichtung eines Waldes nicht unweit der Stadt. Sie wusste nicht, wie lange sie jetzt schon da saß und den Ring an ihrer linken Hand betrachtete, doch das blassrote Licht, in das die Lichtung inzwischen getaucht wurde, sagte ihr, dass es bereits dämmern musste.

Langsam und bestimmt zum hundertsten Mal drehte die junge Frau den Ring um ihren Finger, hielt immer wieder inne, als sie den roten Edelstein sah. Wie ein rotes Auge blickte er ihr entgegen, anklagend, sodass sie ihn schnell wieder weiter drehte, um ihm zu entgehen. Doch die Gewissensbisse blieben und so ließ Nephalia den Ring erneut eine Runde drehen.

Sie wollte Ja sagen. Mehr als alles andere auf der Welt wollte sie seine Frau werden, doch bis zu diesem Augenblick hatte sie nicht gewagt, davon zu träumen; zu groß wähnte sie den Klassenunterschied. Sie hatte befürchtet und im selben Atemzug auch gehofft, dass er ihrer schnell überdrüssig werde und sich nach ein einer passenderen Frau umsehen würde, vom gleichen Stand und Reichtum. Dann wäre sie nicht in die Verlegenheit gekommen, ihn jetzt abzulehnen. Tausend Mal hatte sie den Gedanken durchgewälzt, was passieren würde, wenn sie trotz ihren Umständen Ja sagte, doch jedes Mal kam sie auf denselben Punkt: Es war zu gefährlich. Wenn sie ihn heiraten würde und ein Kleriker käme auf ihren Hintergrund, dann …

Irgendwo hinter ihr knackste es im Unterholz und Nephalia wirbelte herum. Mit grimmiger Miene kämpfte Beest mit einem wilden Busch, in dem sich sein Umhang verfangen hatte. Er wirkte wütend und sie fühlte wieder ihr schlechtes Gewissen, doch als er sich umständlich um sich selbst drehte und dabei wie wild auf die Äste einschlug, konnte sie nicht anders, als zu grinsen. Sie hätte wissen müssen, dass er sie hier findet; am Ort, an dem sie sich kennen gelernt hatten.

Ihr erster Instinkt war, wieder wegzulaufen, doch Nephalia riss sich zusammen, als sie ein Zittern in ihren Knien spürte. Sie war ihm eine Erklärung schuldig. Auch wenn er sie danach garantiert verstoßen, sie … musste ihm die Wahrheit sagen.

„Es tut mir leid, Beest“, sagte Nephalia leise, als der Edelmann sich befreit hatte und schweigend vor sie trat. In seinen Augen sah sie eine Enttäuschung, die ihr Herz zusammen schrumpfen ließ. Jetzt oder nie …

„Was war da los?“, fragte er mit undurchdringlicher Miene. „Du rennst einfach weg, lässt mich dann den ganzen Nachmittag nach dir suchen und dann kommt von dir nicht mehr als „Es tut mir leid“? Ich dachte, das ist es, was du wolltest!“ In einer energischen Bewegung zeigte er auf ihre linke Hand, die Nephalia daraufhin hinter ihrem Rücken verbarg.

„Das ist es auch, nur … Es gibt Umstände, die es mir unmöglich machen, dich zu heiraten.“ Nephalia musste abbrechen, um schwer zu schlucken, als sie wieder einen Kloß in ihrem Hals spürte. Tief einatmend setzte sie zum Sprechen an, doch Beest unterbrach sie.

„Mir ist der Klassenunterschied egal, das habe ich dir immer wieder gesagt“, sagte er und machte einige Schritte, bis ihn nur noch eine Armlänge von ihr trennte.

„Das ist es nicht …“, murmelte Nephalia leise als Antwort und musste ein Zucken unterdrücken, als Beest den letzten Schritt nahm und nun ganz nah bei ihr stand.

„Was ist es dann?“, fragte er und nicht Wut, wie die junge Frau es erwartet hätte, sondern Verzweiflung schwangen in seiner Stimme mit.

Jetzt oder nie …, hallte es wieder in ihrem Kopf. „Weil ich eine Formwandlerin bin.“

Nephalias Herz schlug so stark gegen ihren Brustkorb, dass sie sich fast sicher war, es würde ausbrechen. Ihr Geliebter sah sie voller Unglauben an, doch als ihr Tränen in die Augen traten, ging ihm auf, dass das kein Scherz war. Beest trat zurück, die Verwunderung wich Entsetzen gepaart mit einer Abscheu, die dem Mädchen den Atem stocken ließ. Sie wollte etwas sagen, sich rechtfertigen, kannte sie doch die Dinge, die man sich über Formwandler sagte.

Die Kirche des Schöpfers verteufelte jene, die ihre Gestalt verändern und beliebig die Form eines bestimmten Tieres annehmen konnten. Man sagte, dass diejenigen eine ihrer beiden Seelen verloren hatten und die Zeremonie, in der die Kleriker des Schöpfers nach der verlorenen Seele suchten, waren schmerzhaft und endeten nicht selten im Tod des Formwandlers. Die Predigten waren effektiv, sodass es kaum einem gelang, den Klauen der Kleriker zu entgehen. Monster war einer der schöneren Begriffe, die Nephalia über sie und ihre Art gehört hatte. Und so sah Beest sie jetzt auch an; als wäre sie vor seinen Augen zu einer missratenen Kreatur mutiert.

Auf dem Gesicht des Edelmanns wechselten sich die verschiedensten Gefühle ab, bis er schließlich die Augen schloss und langsam ein- und auszuatmen begann. Als er sie wieder öffnete, blickte er Nephalia an. „Also warst du damals im Wald … ?“

„Ein Fuchs“, vervollständigte sie seinen Satz und lüftete damit das Geheimnis um ihre erste Begegnung. „Und es tut mir leid, dass ich es dir verheimlicht habe, es ist nur … Ich hatte Angst, du würdest dich von mir abwenden.“ Der junge Edelmann war noch einige Schritte nach hinten getreten und saß nun auf dem umgekippten Baumstamm, den Nephalia zuvor als Sitz benutzt hatte. Seine Miene war nun verschlossen, ließ die Frau nicht teilhaben an seinen Gefühlen, und sie wusste nicht genau, ob sie darüber froh sein sollte oder nicht. Er hatte nicht geschrien, er war nicht davon gelaufen … Das musste doch Gutes bedeuten.

„Ich …“, begann Beest zögerlich und starrte dabei auf den Boden, seine Hände klammerten sich so fest ans Holz, dass seine Knöchel bereits weiß hervortraten. „Das ist zu viel auf einmal, Nephalia. Ich muss jetzt erst einmal alleine sein.“

Die Frau schluckte schwer und konnte sich nur mit viel Mühe ein Nicken abringen. Dann bewegte sie sich nach hinten, verschwand hinter einem dicken Baum und das nächste, was Beest sah, war wie ein kleiner Fuchs kurz hinter der anderen Seite des Baumes auftauchte und schnell im Unterholz des Waldes verschwand.
 

Eine Weile lang war Beest noch auf der Lichtung gesessen, doch die ganze Geräusche um ihn herum hatten ihn nervös gemacht. Jeder Vogel, jedes Eichhörnchen, ja sogar die Insekten ließen ihn zusammen zucken, und er fühlte sich beobachtet. Was, wenn eines dieser Geschöpfe in Wahrheit ein Mensch war? Dieser Gedanke hatte ihn schließlich so gereizt, dass er zurück in die Stadt floh.

Nun saß er in einer für seinen Stand etwas zu dreckigen Spelunke und leerte den letzten Tropfen des schweren Rotweins aus der vierten Karaffe des Abends in sein Glas, aus dem er dann einen großen Schluck nahm. Etwas zu unsanft stellte Beest den Becher wieder auf den Tresen und erweckte so die Aufmerksamkeit des Barmanns.

„Was hat denn dir in Allerwertesten gebissen?“, fragte der bärtige Mann in der kruden Sprache der Unterschicht, sodass der Edelmann die Stirn leicht runzelte, bevor er aber mit den Schultern zuckte. Der Wein zeigte bereits seine Wirkung, denn Beest nahm seine eigenen Gedanken nur noch durch einen feinen Nebel wahr.

„Meine Verlobte … Wenn ich das so bedenke ist sie wohl eher meine ehemalige Verlobte … Beim Schöpfer, diese Frau ist die Erfüllung meiner Träume, aber nachdem was sie mir heute gesagt hat, kann ich sie unmöglich heiraten …“ Er hörte seine eigenen Worte nur dumpf und war sich nicht sicher, ob sie überhaupt Sinn machten, aber in diesem Moment war ihm so gut wie alles egal.

„Was hat sie denn so schlimmes getan? Einen Mann getötet?“ Beest schüttelte den Kopf und der Wirt grunzte. „Mit einem anderen Mann geschlafen?“ Wieder verneinte der Edelmann und stürzte den Rest des Weins seine Kehle runter.

„Nichts dergleichen.“

„Nun, dann würde ich mir an deiner Stelle genau überlegen, was du da aufgibst. Ich weiß nicht wie es bei euch Geldsäcken aussieht, aber wenn ein Weib bei uns keines dieser beiden Dinge verbrochen hat, kann man ihr den Rest verzeihen.“

Beest sah den Mann hinter dem Tresen mit zusammen gekniffenen Augen an. Was wusste er schon? Es ging hier um die Gesetze des Schöpfers und der Edelmann wusste nicht, ob er sie einfach so brechen konnte. Was war mit der Seele, die Nephalia verloren hatte? Vielleicht sollte er mit Kleriker Thomaos reden. Er war nicht nur ein Diener des Schöpfers sondern auch ein jahrelanger Freund der Familie. War es doch Thomaos gewesen, der Beest in den Wegen des Schöpfers unterrichtet hatte.

Aber war Nephalias Geheimnis beim ihm überhaupt sicher? Oder würde er sie sofort festnehmen lassen, um sie auf die Suche nach ihrer Seele zu schicken? Der junge Edelmann hatte schon einige Leute nie wieder zurückkehren sehen und die, die es geschafft hatten, waren … verändert.

Warum hatte der Schöpfer ausgerechnet ihm dieses Schicksal aufgelastet? Diese Frage geisterte ihm durch den Kopf, als er sich schwerfällig erhob, eine silberne Münze auf den Tresen legte und dann wackeligen Schrittes die Spelunke verließ.
 

Vier Tage waren vergangen, ohne dass eine Nachricht von Beest sie erreicht hatte und Nephalia kam nicht umher, nervös zu werden. Als der fünfte Tag anbrach und noch immer kein Bote vor ihrer Türe stand, nahm sie ihren Mut zusammen und suchte ihn in seinem Haus auf. Er hatte nichts gesagt … Im schlimmsten Fall, das wusste das Mädchen, war das seine Antwort.

Ein älterer Mann öffnete ihr die Türe des Herrenhauses. „Nephalia“, grüßte Gart, der Haushälter der Familie Dalington, die junge Frau unterkühlt und begleitete sie in den Salon, in dem sie bereits von Weitem Amerillja, Beests Mutter, schnattern hören konnte. Wahrscheinlich saß ihr Mann Pendragon stumm im Sessel ihr Gegenüber und las die Zeitung, während er vorgab, ihr zuzuhören. Jeden steifen Moment, den die beiden miteinander teilten, ließ Nephalia erleichtert aufatmen, dass ihre Ehe niemals so sein würde.

Dieser Gedanke versetzte ihr wieder einen Stich in der Brust, doch sie fing sich schnell genug, um eine brave, untertänige Miene aufzusetzen, bevor sie in Garts Begleitung den Salon betrat. Der Haushälter räusperte sich vernehmlich. „Lord Dalington, Lady Amerillja.“ Gart musterte Nephalia von der Seite und zögerte, bevor er sie mit einem simplen „Nephalia“ ankündigte. Anfangs hatte es die junge Frau verletzt, dass man ihr, nur weil sie eine Bürgerliche war, weniger Achtung schenkte als Personen gehobener Gesellschaft. Doch inzwischen rang ihr das Verhalten der Oberschicht nicht mehr als ein müdes Lächeln ab.

Wie es die Etikette vorschrieb, sank sie vor den Herrschaften in einen tiefen Hofknicks und verharrte so einige Sekunden, bevor sie sich wieder aufrichten durfte. Begrüßt wurde sie von Amerilljas finsterem Blick und Pendragons immerzu neutraler Miene.

„Nephalia, mit dir hatten wir heute gar nicht gerechnet“, sagte die Hausherrin mit einem Unterton, den die junge Frau mehr als gut kannte, doch heute weckte dieser Satz panische Unruhe in ihr aus. Hatte er ihnen gesagt, dass er sie nicht sehen wollte?

Nephalia räusperte sich. „Ich bin auf der Suche nach Lord Beest, Mylady“, antwortete sie und neigte den Kopf in einer erneuten Verbeugung.

„Hat mein Sohn dir denn eine Nachricht zukommen lassen?“, fragte Amerillja und wollte noch etwas dazu setzen, als sie von einem Poltern unterbrochen wurde. Zögerlich sah sie sich um, dann wurde die Türe zum Salon aufgestoßen und Beest betrat den Raum. Er strebte ohne ein Zögern Nephalia an und das Lächeln, dass er dabei auf den Lippen trug, ließ ihr für einen Moment den Atem stocken. Dann legte er leicht einen Arm um ihre Hüfte, nahm ihre linke Hand, an der noch immer der Ring steckte, in seine und präsentierte sie seinen Eltern.

„Da bist du ja, ich habe schon auf dich gewartet“, sagte er immer noch lächelnd und wandte sich schließlich seinen Eltern zu. „Ich habe um Nephalias Hand angehalten und sie hat der Heirat zugestimmt.“

Das Herz der jungen Dame schlug inzwischen so heftig gegen ihrer Brust, dass sie sich sicher war, es würde jeden Moment aus ihrem Körper treten. Sie sah Beest an, in der Hoffnung, er würde die Verwirrung in ihrem Blick erkennen, während ihr tausend Fragen durch den Kopf jagten.

Doch Beest lächelte nur wieder und begegnete dem abschätzigen Blick seiner Mutter gelassen. Diese schwieg einige Augenblicke lang, bevor sie leicht den Kopf schüttelte und Gart zu sich winkte. „Wohl an, Sohnemann, du scheinst dir deiner Sache ja sicher zu sein … Gart, sende eine Einladung an Thomaos, er möchte uns doch bei Gelegenheit beim Abendmahl Gesellschaft leisten, dann können wir weitere Details der Trauung klären.“ Amerillja winkte müde mit der Hand und entließ damit die beiden, die zusammen mit Gart den Salon verließen.

„Schlag ihm doch bitte aus dem Kopf, diese Gemeine zu heiraten“, murmelte Amerillja, doch ihr Mann sah nur kurz von seiner Zeitung auf, bevor er mit den Schultern zuckte.
 

„Wir müssen darüber reden, Neph.“

„Nein, müssen wir nicht.“

„Neph …“ Beest verstummte, als der flehende Blick seiner Gefährtin den seinen traf und erst da bemerkte er, dass in ihren Augen Tränen schimmerten.

Kein ganzer Mondlauf war vergangen, seitdem Beest seinen Eltern die Verlobung mit Nephalia verkündet hatte. Amerillja hatte wie selbstverständlich die ganze Planung der Trauung auf sich genommen, kam jedoch nur müßig voran, was wiederum Nephalia in die Hände spielte. Denn seit dem Abend, an dem er sich für sie entschieden hatte, der drohenden Gefahr der Kirche zum Trotz, ging sie jedem Gespräch über sich und das Problem, das sie beide hatten, aus dem Weg.

„Ich will, dass wir noch ein wenig glücklich sind. So lass uns doch schweigen.“ Das Mädchen schmiegte sich an ihn und barg ihr Gesicht in seiner Brust, doch Beest widerstrebte es, das Thema weiterhin herauszuschieben. Er konnte die Gefahr spüren, in die sie sich begaben, je länger sie nichts unternahmen. Wenn der Kleriker am Tag ihrer Trauung merken würde, dass ihr eine Seele fehlte …

„Auf die Dauer wird das so nicht funktionieren, wir müssen darüber reden, was wir machen, Neph. Wenn ein Kleriker dich entdeckt …“

„Doch, das wird funktionieren. Wir dürfen nur nicht zulassen, dass uns jemand unser Glück nimmt.“

Beest runzelte die Stirn, fasste seine Verlobte an beiden Schultern und schob sie ein Stück von sich. „Vielleicht müssen wir auch jetzt ein bisschen unglücklich sein, damit wir später umso glücklicher sein können.“ Es klopfte an der Tür und kurz darauf betrat eine Bedienstete das Gemach und verkündete, das Essen sei serviert. Beest sah Nephalia noch einmal ernst an, dann nahm er sie bei der Hand und ließ sich von der Dienerin in den Speisesaal begleiten.
 

Nephalia stand nicht der Sinn nach noch einem Abendessen mit ihren Schwiegereltern, bei dem sinnlose Details der Trauung abgeklärt wurden. Zum einen, weil Amerillja einen ganz anderen Geschmack zu pflegen schien als sie, und zum anderen, weil ihre Meinung sowieso nicht zählte. Im Stillen fragte sich das Mädchen manchmal, um wen es bei dieser Hochzeit eigentlich wirklich ging.

„Da seid ihr ja!“, rief ihre Schwiegermutter aus, als die beiden den Speisesaal betraten. „Wir haben heute einen Gast bei uns, da geziemt es sich nicht, so spät zu erscheinen!“ Nephalia musste ein Seufzen unterdrücken, als Amerillja wieder einmal nicht darauf verzichten konnte, auf ihre niedere Herkunft hinzuweisen. Wie es sich also geziemte, ließ sie ihrem Verlobten den Vortritt, um den Gast zu begrüßen und wartete darauf, vorgestellt zu werden. Doch als Beest vortrat, verstärkte sich sein Griff um ihre Hand in einer Art Warnung und sie hob den Blick an.

Ihr Gast war ein hochgewachsener, älterer Mann mit schwarzen Haaren, die am Ansatz bereits ergraut waren, gehüllt in eine elfenbeinfarbene Robe, die von einem scharlachroten Gürtel zusammen gehalten wurde. Das Blut schien in ihren Adern gefroren zu sein, denn es rann ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken und ihr stockte der Atem. Ein Kleriker des Schöpfers!

Wieder spürte sie, wie Beests Hand sie fester umklammerte, sie zur Ruhe ermahnte. „Meister Thomaos“, begrüßte Beest den Kleriker mit einer Verbeugung und Nephalia tat es ihm gleich. „Das hier ist meine Verlobte Lady Beest.“ Nephalia versuchte so unbeschwert wie möglich zu lächeln, als sie dem Kleriker vorgestellt wurde. „Thomaos ist ein alter Freund der Familie“, fügte Beest hinzu und das Mädchen wusste nicht, ob sie darüber glücklich sein sollte oder nicht. Vielleicht erwartete er nicht, das Beest so ein Geheimnis für sich behielt …

Sie wurden zu Tisch gebeten und einige Momente danach wurde bereits der erste Gang serviert. Die Tischetikette zu erlernen hatte Nephalia nicht viel Zeit gekostet, doch mit ihrem durch die Verlobung erworbenen Titel umzugehen fiel ihr noch immer schwer. Deswegen sah sie erst beim zweiten Mal auf, als sie angesprochen wurde. „Wie bitte?“, murmelte sie verwirrt und erntete dabei einen herablassenden Blick von Amerillja. Doch Thomaos lächelte ihr nur freundlich zu.

„Ich fragte, woher Ihr stammt, Mylady. Euer Name ist mir gänzlich unbekannt.“

Nephalia warf Beest einen vorsichtigen Blick zu, doch dieser lächelte nur. „Ich komme ursprünglich aus Sonsae und der Großteil meiner Familie lebt noch dort“, sagte die Frau mit einem Räuspern und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Weinglas, um das Zittern ihrer Lippen zu verbergen. Zu ihrem Glück nickte der Kleriker nur verstehend, bevor Amerillja weitere Details besprach, die Nephalia in dem Moment kaum unwichtiger hätten sein können. Immer wieder warf sie ihrem Verlobten Blicke zu, der wiederum ruhig lächelte und sich hier und da am Gespräch beteiligte. Nur seine Hand, die unter dem Tisch manchmal ihren Schenkel berührte, sprach von seiner Rastlosigkeit.

Doch zu Nephalias Glück wurde während dem Essen kaum auf sie geachtet. Thomaos sah sie manchmal an und sie bekam dabei jedes Mal eine Gänsehaut, doch waren es weder auffällige noch verdächtige Blicke. Der Kleriker schien wirklich nur ehrliches Interesse an der Hochzeit des Sohnes seiner alten Freunde zu haben, ahnte nicht, was Nephalia mit ihrer Zurückhaltung verbarg. Auch sonst lief das Essen so gut, dass Nephalia beim Ende des Desserts Zuversicht verspürte. Es würde alles gut gehen, redete sie sich ein. Er hatte nichts gemerkt, das würde auch so bleiben und alles würde gut gehen.
 

Leichtfüßig durchquerte Nephalia ihr Schlafgemach, als sich die Türe mit einem Knarren öffnete und das Mädchen ihren Verlobten erblickte, und begrüßte ihn mit einer Umarmung. Seit dem Abendmahl mit dem Kleriker waren bereits mehrere Tage vergangen, ohne das sie irgendetwas von ihm gehört hatte. All die Sorgen waren umsonst gewesen und Nephalia fühlte sich grenzenlos erleichtert.

Mit Überschwung drückte sie sich an Beest, bis sie seine Hände auf ihren Schultern spürte, die sie von ihm wegschoben. Verwirrt runzelte sie die Stirn und als sie den seltsam ernsten Blick in seinen Zügen erkannte, schwand ihre Freude schlagartig. Er hatte doch nicht etwa …

„Meister Thomaos hat mich heute zu sich gebeten“, begann Beest, doch das Mädchen drehte sich sofort um.

„Fang nicht schon wieder davon an“, sagte sie und ihr Herz begann zu rasen.

„Er sprach über die Beichte vor der Trauung“, fuhr der Edelmann fort, ohne auf Nephalias Einwand zu achten. Stattdessen packte er sie am Oberarm und zwang sie, wieder in seine Richtung zu sehen. „Und er meinte auch, dass meine Verlobte ihm wohl einiges zu beichten haben würde. Auch dass du das lieber früher als später machen solltest, sonst würde vielleicht etwas bei der Hochzeit schief gehen.“ Sein Ton wurde mit jeden Wort immer leiser und schneidender, sodass Nephalia beim Letzten zusammen zuckte und heftig den Kopf schüttelte.

„Nein, es wird alles gut gehen, er weiß nichts“, antwortete sie leise, doch Beest verstärkte nur den Druck auf ihren Arm.

„Er weiß es, Neph! Wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr funktioniert. Es wird an der Zeit, dass wir reinen Tisch machen.“ Das Mädchen sah ihn mit großen Augen an, als ihr dämmerte, was er von ihr verlangte.

„Du willst, dass ich mich einer Reinigung unterziehe?“, flüsterte sie und versuchte dabei, seinem Griff zu entkommen.

„Wir haben keine andere Wahl. Der Schöpfer wird dich heilen, wenn du dich jetzt an ihn wendest.“

„Der Schöpfer wird mich umbringen!“, schrie Nephalia und ihr Gesicht zeigte blanke Angst, als ihr Bilder von Menschen durch den Kopf geisterten, die sich einer Reinigung unterzogen haben. „Was ist, wenn ich gereinigt nicht der Mensch bin, der ich mal war? Oder wenn ich es gar nicht überlebe? Du willst mein Leben riskieren für einen Gott, der die Frau, die du liebst, zu einem Monster erklärt hat?“

Inzwischen zitterte Nephalia am ganzen Körper. Ihre Gedanken rasten und ihre Brust wurde von einem unsichtbaren Faden zugeschnürt. Er konnte sie nicht opfern wollen … Seine Liebe zu ihr musste einfach größer sein als die Angst vor dem Schöpfer. Er war doch zurück gekommen!

„Neph, ich … Der Schöpfer wird dich bewahren, wenn du dich ihm anvertraust. Aber ich kann mich nicht länger davor verschließen. Ich will nicht vor dem Altar stehen und mir dabei nichts sehnlicher wünschen, als wegzurennen.“ Sein Ausdruck war weicher geworden, seine Stimme leiser, als er seine verängstigte Verlobte zu beruhigen versuchte.

Doch die Frau sah die ganzen Menschen vor ihrem inneren Auge vorbei ziehen, die im Tempel verschwanden und nie wieder aufgetaucht waren. Noch immer zitternd trat sie zurück, nicht fähig, den Sinn hinter Beests Worten zu verstehen. Er wollte sie tatsächlich opfern … „Ich muss hier raus“, flüsterte sie und legte dabei die Hand auf die Brust, als die Luft knapper wurde. Sie spürte noch, wie Beests Griff zögerlich wieder fester wurde, bevor sie sich endlich von ihm wegriss und eilig das Zimmer verließ. Hinter ihr hörte Nephalia noch, wie ihr Name gerufen wurde, und seltsame Blicke folgten ihr, als sie durch das Anwesen stürmte, doch die junge Frau hatte nur eines im Kopf: Dieses Haus mit all ihren Bewohnern so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.

Das war das erste Mal in Nephalias Leben, dass sie das Gefühl hatte, in ihrem Inneren würde ihr etwas fehlen.
 

Als Beest die Hochzeit absagte, hatte seine Mutter keinerlei Regung gezeigt, jedoch auch keine weiteren Fragen gestellt, worüber der Edelmann mehr als nur froh war. Fast ein ganzer Mondlauf war vergangen, seitdem er Nephalia gebeten hatte, sich einer Reinigung zu unterziehen, und heute zeigte der Mond sich in seiner vollen Form am nächtlichen Sternenhimmel. Heute hätte er sich wieder entschuldigen müssen …

Rastlos streifte er durch sein Zimmer, seine Gedanken überschlugen sich dabei. Sie war nicht zurückgekehrt, wie er gehofft hatte, und hatte ihm keine Nachricht zukommen lassen, dass es ihr zumindest gut ging. Aber auch Thomaos hatte sich nicht zu Worte gemeldet, woraus Beest schloss, dass Nephalia sich nicht zu der Reinigung hatte drängen lassen. Denn inzwischen war sich der Edelmann sicher, dass seine Bitte an sie einer der größten Fehler seines Lebens gewesen war. Er hatte sich selber geschworen, ihr immer beizustehen, nur um ihr dann so in den Rücken zu fallen. Und jetzt war sie weg, wahrscheinlich für immer. Was er nicht alles dafür geben würde, sich ein letztes Mal entschuldigen zu dürfen …

Ein Klopfen an der Türe riss Beest aus seinen Gedanken und sein Kammerdiener betrat den Raum. „Mylord, Meister Thomaos wünscht Euch zu sprechen“, sagte er mit einer Verbeugung.

„Er ist hier?“, fragte der junge Edelmann und seine Hände wurden mit einem Mal ganz kalt und taub. Der Kammerdiener nickte und Beest drehte sich kurz weg, während in seinem Kopf alle Alarmglocken losgingen. Er versuchte ruhig zu atmen, bevor er sich wieder umwandte und den Diener mit einem Nicken anwies, den Kleriker herein zuführen. Beest setzte sich in einen großen Sessel bei der Feuerstelle und wartete dort auf seinen Gast. Das er hier war, hatte noch gar nichts zu bedeuten, sagte er sich wieder und wieder und schaffte es damit, sich selber zu überzeugen, bis Thomaos zu ihm geführt wurde, einen bedauernden Ausdruck auf dem Gesicht. Der Kleriker neigte den Kopf leicht, dann setzte er sich in den Sessel gegenüber.

„Lord Dalington, ich …“, begann Thomaos, doch Beest schüttelte sofort den Kopf.

„Was ist passiert, Thomaos?“, fragte er, zu nervös, um die ganzen Höflichkeitsfloskeln auszutauschen. Der Geistliche warf ihm einen seltsamen Blick zu, dann räusperte er sich schließlich.

„Lady … Nephalia kam heute morgen in den Tempel und bat darum, mich zu sehen. Sie war endlich dazu bereit, das Böse in ihr zu bekämpfen“, erklärte Thomaos ihm dann ohne Umschweife und ein unangenehmes Gefühl entstand dabei in Beests Bauch. „Leider blieb die Reinigung erfolglos, das Böse saß zu tief in dem armen Mädchen.“ Der Kleriker schüttelte den Kopf mit einem so überzeugenden Bedauern, dass der Edelmann es ihm fast geglaubt hätte.

„Wo ist sie?“, fragte er aber nur und spürte dabei, wie der Geistliche zögerte. „Beim Schöpfer, Thomaos, Ihr sagt mir jetzt lieber, wo sie ist!“

„Sie floh, als sie merkte, dass ihre Seele nicht zu ihr zurück gekehrt war. Doch mit den schweren Nachwirkungen der Reinigung ist zu bezweifeln, dass sie lange überleben wird.“

Das war alles, was Beest zu hören brauchte. Im nächsten Moment war er bereits aufgesprungen. Er stürmte aus dem Zimmer und an Gart vorbei aus dem Haus, ohne seinen Mantel entgegenzunehmen. Während er sich durch die Straßen drängte, verfluchte er sich im Stillen. Wie hatte er ihr das antun können? Was, wenn Thomaos Recht hatte? Was, wenn sie es nicht überlebte … Bei dem Gedanken drehte sich Beests Magen um. Achtlos rempelte er die Passanten auf der Straße an, bis er schließlich die Stadt verließ und in ein kleines Waldstück kam. Er wusste zumindest, wo er sie finden würde.

Eilig zwängte er sich durch das Gestrüpp und fühlte sich dabei an das erste Mal erinnert, an dem er sie auf der Lichtung aufsuchen musste. Dass dieser Wald auch niemals lichter wurde! Ächzend und stöhnend stolperte der Edelmann über Wurzeln und tückische Löcher im Boden, die sich durch Laub verdeckt seinem Blick entzogen, was Beests Verzweiflung nur noch mehr steigerte, die schließlich zu Wut umschlug.

Was war er doch für ein Idiot! Wenn ihr etwas geschah, konnte er nur sich selbst dafür verantwortlich machen … Bei dem Gedanken kam wieder dieses Gefühl in seinen Bauch, dass er schon gespürt hatte, als Thomaos sich zu ihm gesetzt hatte, und er beschleunigte seinen Gang, sodass er schließlich fast rannte. Mit einem Satz überwand Beest einen umgekippten Baumstamm und erklomm die kleine Erhebung, auf der sich die Lichtung befand.

Das Licht der untergehenden Sonne tauchte die Lichtung in einen seltsam gedämpften Schein. Der junge Edelmann musste die Augen zusammen kneifen, während er sich umsah, doch er konnte nichts entdecken. „Nephalia!“, rief er und bekam als Antwort nur ein leises Heulen des Windes. Mehrmals überquerte er die Lichtung auf der Suche nach einem Körper, ob nun Mensch oder Fuchs war ihm inzwischen einerlei, solange er sie fand! „Es tut mir leid, Neph!“, rief er wieder und erneut blies ihm ein Windstoß ins Gesicht, sodass er sich umdrehte und die kleine Blume entdeckte, die einsam in der Mitte der Lichtung wuchs.

Langsam näherte sich Beest ihr und kniete vor ihr nieder. Sie hatte eine seltsame Farbe, ein Ton, von dem man nicht genau sagen konnte, ob es jetzt braun oder rot war. Genau wie bei einem Fuchs … Gerade als dieser Gedankenfetzen aus seinem Unterbewusstsein auftauchte, sah der Edelmann, dass etwas um den Stängel der Blume gewunden war. Vorsichtig griff er nach dem fremden Objekt und ein eiskalter Schauer rann ihm den Rücken runter, als er unter seinen Fingern feinen Metall spürte. War das etwa … ? Behutsam zog Beest den Gegenstand über den zarten Kopf der Blume, die bei der Berührung sanft wippte und einen Moment seine Handfläche zu liebkosen schien.

„Beim Schöpfer …“, flüsterte der Edelmann, als er den Gegenstand mit zitternden Fingern hielt. Es war tatsächlich Nephalias Verlobungsring. Ungläubig starrte er zwischen der Blume und dem Ring hin und her, während er zu verstehen versuchte, was mit ihr geschehen war.

Sacht berührte Beest die rotbraunen Blätter der Blume und spürte dabei, wie etwas in seinem Inneren zerbrach. Er würde sie nach Hause mitnehmen und dort neu einpflanzen. An einem schönen Ort, an dem die Sonne schien und sie voll erblühen konnte. Da er ihr ihrer Chance beraubt hatte, von alleine aufzublühen … „Ich komme wieder, Nephalia, und dann bringe ich dich nach Hause“, sagte Beest mit einem Zittern in der Stimme und streifte ihr wieder den Ring über den Stängel. Dann stand er auf und verließ die Lichtung in Richtung der Stadt. Was er dabei übersah, war das Paar bernsteinfarbener Augen, die ihn aus dem Unterholz heraus beobachteten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-07-09T15:19:56+00:00 09.07.2011 17:19
Ich kopier noch mal das, was ich beim ersten Mal gesagt habe, denn das hat einfach meine Reaktion am besten getroffen:

Ich fand die Geschichte sehr schön, so schön ausgearbeitet und durchdacht :)
Ich mag das Motiv des wiederkehrenden Mondverlaufs.

Das Konzept dieser Reinigung klingt furchtbar, erinnert mich sehr an Exorzismus.

Zuerst dachte ich beim Ende: Wie wird denn ein Fuchs zu ner Blume? Oo Aber dann kam die Auflösung und ich muss sagen, mir gefällt das Ende sehr gut :)

Vielen Dank für diese Geschichte noch einmal :)


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