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Medieval Chronicles

von

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Prolog

Das Abendblau des Himmels, durch den sich ein breiter Riss zog, der das kommende Ende eines weiteren Tages ankündigte, ließ die ruhigen Wogen des kleinen Sees schimmern und zeichnete, mit der Ankunft des Mondes, ein Spiel von silbrigem Licht und Schatten auf die ruhige Wasseroberfläche.
 

In einem Atemzug lag der Sonnenuntergang, gleichermaßen wie das Erwachen der Nacht und das Kristallisieren des ersten Tropfens Tau auf einem jungfräulichen Grashalm. Der unverwechselbare, süße Geruch von Blut erfüllte die Umgebung und mischte sich mit dem fauligen Gestank ungewaschener, lebloser Leiber.
 

Und ganz weit weg, jenseits der Hügel, denen die Sonne so eifrig entgegen sank, lag der angenehme Duft von frischer Saat in der Luft.
 

Ein Plätschern durchbrach die anhaltende Stille und ließ die Vögel erschrocken einen Schrei ausstoßen, noch während sie alle zusammen, wie eine Person, aus den Baumkronen empor stiegen. Sich vom Ort des Geschehens, vom kleinen See inmitten einer Waldlichtung, entfernten, wissend, was sich noch wenige Minuten zuvor abgespielt hatte. Die stille Wasseroberfläche wurde von einer Hand durchstoßen, schickte wellige Massen des kühlen Nass zu allen Seiten und wurde durch das Blut Fremder getrübt. Der Stoff sog sich mit der Leben spendenden Flüssigkeit voll und machte das Gewebe schwer, dass es bereits dem Grund entgegen sank.

Zartgliedrige Finger schoben sich unter das Leinen, verhinderten das Verschwinden des Kleidungsstückes und beseitigten die letzten Flecken aus dem Hemd. Mit einem Mal wurde es aus dem Wasser gezogen, ließ große Tropfen kalten Wassers auf die aufgewühlte Oberfläche des Sees fallen und fand sich schließlich, auf einem Ast hängend, in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne.
 

Blut, menschliche Überreste und die feuchten Fußspuren im Gras, die vom Wasser weg führten, zeugten allein vom drohenden Unheil.

Die Vögel erfüllten die windstille Luft mit ihrem Gesang, dass es eine Freude war dieser friedvollen Melodie zu lauschen. Die Baumkronen wölbten sich und bauschten sich auf. Die einzelnen giftgrünen Blätter wurden von einer Böe des warmen Frühlingswindes erfasst, über die trockenen Felder getragen und sanken schließlich auf die rissige Burgmauer nieder.
 

Der Schatten der Ballista fiel in die Zinne, in der eines der Blätter zur Ruhe gekommen war, schwärzte das Grün und kündigte die hereinbrechende Nacht an. Die Hellebarden patroullierten im Gleichschritt im Wehrgang. Die Bogenschützen spähten, auf der Vorburg kauernd, in die Ferne. Mit dickem Leder gesicherte Männer belagerten die Wehrtürme, die heißen Teer und Streitäxte beherbergten und mit Schwertern bewaffnete Ritter liefen den Zwinger auf und ab.
 

Der schwache Schein einer Kerze, die die Dunkelheit erhellte, ließ einen menschlichen Schatten an die Wand fallen, zeichnete die Umrisse einer jungen Frau an den kalten Stein und flackerte schließlich im Wind, der die Flamme zu ersticken drohte. Ciara unterbrach ihre Tätigkeit, die darin bestand ihre Habseligkeiten in eine dafür vorgesehene Ledertasche zu verstauen und hob ihren Blick dem Fenster entgegen.

Die große, hundertjährige Eiche, die vor dem Palais aufragte erzitterte, schien im auffrischenden Wind zu frieren und gab einen Schatten preis, der vom Dunkel der Nacht verschlungen zu werden schien.
 

„Lass es sein.“ Die Stille wurde durchbrochen. Eine Stimme, leise, jedoch nicht wenig eindringlich, hallte unnatürlich laut von dem kalten Gemäuer wieder und drang schließlich an die Ohren der jungen Elfe, deren bronzenes, wallendes Haar knapp über ihren Kniekehlen endete. Ihre Gestalt wandte sich dem kleinen Fenster zu. Ihre fein geschwungenen Augenbrauen zogen sich auf ihrer Stirn zusammen und ihre Augen suchten die Umgebung nach einer bestimmten Person ab.

Misstrauisch trat sie an das Fenster heran, auf dem die Kerze stand und von deren Docht heißer Rauch aufstieg, in kleinen Wolken gegen den Stein prallte und schließlich verpuffte.
 

Anmutig hob die Prinzessin ihren Kopf, schob den vergoldeten Kerzenhalter zur Seite und starrte mit der altbekannten Feindseligkeit in die Nacht hinaus. Ihre Augen begegneten anderen und die Luft schien wie elektrisch aufgeladen.
 

Die Arme vor der Brust verschränkt, am Stamm der Eiche lehnend und ein Bein angewinkelt stand ein junger Mann, als würde der Baum ihn in den Armen halten, auf einem der Äste, der jungen Frau gegenüber.

Missfallen zeichnete sich im lieblichen Gesicht der Elfe ab und sie verengte die Augen, als erhoffte sie sich dadurch mehr von der Gestalt ihres erklärten Erzfeindes erkennen zu können.
 

„Was geht es dich an“, fauchte das Mädchen beinahe, wie ein tollwütiges Tier, das erst gezähmt werden musste.

Der Schein des Mondes, der durch das Blätterdach des altehrwürdigen Baumes fiel, schien die leicht gebräunte Haut des jungen Mannes zu liebkosen, wanderte mit der Bahn des Himmelskörpers an dessen Körper hinab.
 

Death.

Unter diesem Namen war er im ganzen Lande, selbst jenseits der Berge, bekannt. Obwohl niemand seinen wahren Vornamen kannte, leitete sich sein Rufname, an dem so viele Gerüchte hafteten, von diesem ab, klang er doch so ähnlich und war alles, was der junge Drache in Menschengestalt hinterließ, Tod und Verwüstung.

Zumindest berichteten das die Erzählungen der Dorfbewohner. Doch selbst, wenn Ciara diese Geschichten nicht vernommen hätte, so wüsste sie, was es mit diesem Unheilbringer auf sich hatte, suchte er doch mit erschreckender Regelmäßigkeit ihr Heim und das Reich des Elfenkönigs auf, um diesen seines Lebens zu berauben.
 

Ishtir kannte die Beweggründe des anderen nicht, doch es interessierte die Königstochter auch nicht weiter. Er stellte sich gegen ihre Familie, die aus dem König alleine bestand und das war Grund genug, ihm den Tod zu wünschen.
 

„Bisher bist du vor einer offenen Konfrontation mit mir verschont geblieben, doch mit der Sekunde, in der du das Gefängnis, das du zu Hause nennst, verlässt, ändert sich das“, riss der junge Mann, der sich vom Stamm der Eiche gestoßen hatte und langsam auf die Älter wirkende zuging, die Elfe mit den langen, braunen Haaren und der porzellanblassen Haut aus ihren düsteren Gedanken, die sich einer Prinzessin nicht ziemten.
 

Deaths Knie berührten die brüchige Haut der Eiche, seine Finger den kalten Stein, der Ciara schon ein Leben lang begleitete und umhüllte wie ein Kokon aus Eis, stützte sich der Drache mit den Händen gegen die Außenwand und lehnte sich somit unwillkommen nahe über die Elfenprinzessin, die jedoch nicht gewillt war auch nur einen Millimeter vor ihm zurück zu weichen.
 

Sie hütete sich offen ihre Angst vor diesem kleinen Jungen, für den sie ihn hielt, zu zeigen.
 

Und selbst, wenn er die Anspannung in jedem ihrer Muskeln sehen, das Zittern fühlen und ihre Furcht riechen konnte, so gab sie auch dann all diese Dinge nicht zu.
 

„Oh, dann sollte ich dir wohl dankbar sein, dass du mein kümmerliches Leben bisher verschont hast“, konfrontierte sie den Drachen, dem ihr Hass galt, mit einer Frage, die nur so vor Verachtung strotzte, obwohl sie sich in diesem Moment schutzloser und schwächer fühlte, als ein Kleinkind es wohl konnte.
 

Diese Aussage rief eine Reaktion in dem Drachen ihr gegenüber hervor, die die Ishtir nicht erwartet hatte und für einen Moment zog sie, in ihrer Verunsicherung gefangen, die Unterlippe zwischen ihre ebenmäßigen, weißen Zähne.

Ein hinterhältiges - ja - fast verruchtes, Grinsen breitete sich auf den jugendlichen Zügen des vermeindlichen Menschenjungen aus und ein leises, beinahe gehauchtes, Lachen erreichte Ciaras empfindliche Ohren. Death kam der anderen noch ein Stückchen näher, berührte beinahe ihre Porzellanhaut und sprach so leise, dass sie ihn kaum verstand und wohl gedacht hätte, er hätte geschwiegen, hätte sie nicht seinen heißen Atem an ihrem Nacken gefühlt.
 

„Genau.“ Das Herz der Königstochter setzte aus und in ihr begann sich unbändigende Wut aufzubauen, wollte sie ihm doch zeigen, dass er sich eine solche Frechheit nicht heraus nehmen durfte. Er war ihr Feind! Und er sollte ihr nicht so nahe kommen, sollte nicht mit ihr sprechen, wie sie es nur unter Bauern kannte und sollte sie nicht zu einer solch Gottes lästernden Stunde in ihren eigenen Schlafräumen heimsuchen.
 

Doch die Elfe war wie erstarrt, erkannte nur schemenhaft wie sich das todbringende Wesen zurück zog und schließlich in einer eleganten, flüssigen Bewegung vom Ast der Eiche rutschte. Als hätte Death einen Bann über sie gesprochen, blinzelte die junge Frau, schüttelte sie anmutig ihr edles Haupt und versuchte in der Dunkelheit der Nacht etwas erkennen zu können, doch der Drache war verschwunden.

Warum hatte er nicht, wie er es sonst tat, versucht ihren Vater zu töten? Er konnte doch unmöglich nur ihretwegen den weiten Weg zum Schloss des Elfenkönigs aufgenommen, die Sicherungs- und Wehranlagen, die unzähligen Gefolgsleute des Herrschers umgangen und den Baum erklommen haben, nur um ein Gespräch mit ihr zu führen.
 

Regen. Schnell, lautlos und unerwartet brach er über das Reich der Elfen aus. Kein Wind. Die zarte Gestalt einer Elfe neigte ihren Kopf dem Himmel entgegen. Mit geschlossenen Augen genoss Ciara das sanfte, beruhigende Prasseln auf ihrer Haut. Das entspannende Geräusch von dicken Wassertropfen, die, im Bann der Schwerkraft, auf bislang unberührte Blätter trafen, zu allen Seiten perlten und schließlich im lockeren Erdboden versickerten.
 

„So, als würde der Himmel weinen.“

Dieser Satz hatte sich in ihr Gedächtnis gebrannt und er hallte in ihren Gedanken immer dann wieder, wenn sie, wie jetzt, schutz- und reglos auf dem Hof des Burgfriedes, direkt unter der alten Eiche stand und soweit sie konnte in der Zeit zurück dachte, um den Erinnerungen zu erlegen, an denen sie sich festklammerte.
 

Vor ihrem inneren Auge sah sie eine weibliche Gestalt, die mit einem liebevollen Lächeln auf sie hinab sah. Die Augen konnte sie nicht erkennen. Die Haare waren kurz und schmiegten sich an die aschfahle Haut der jungen Frau, die sich nun auf Ciaras Höhe begab. Eine Kapuze versperrte ihr die Sicht auf die obere Gesichtshälfte ihres Gegenübers, das ihr so seltsam vertraut war, dass Ishtir sich bereits davor fürchtete.
 

Eine kalte, schlanke Hand legte sich an ihre Wange und die Elfenprinzessin wusste, dass sie wohl ein kleines Kind war, wenn sie nach der Größe der Finger ging.

Volle, rote Lippen berührten ihre Stirn und hinterließen ein Gefühl von sanftem Kribbeln, das sie aufkichern ließ.
 

„So als würde der Himmel weinen, mein Kind. Als würde er mit mir weinen.“

Kapitel 1

Der Tag zog vorüber, die Landschaft raste an ihren Augen vorbei und die Schönheiten der Natur wurden unbeachtet zurück gelassen.

Langes, seidiges Haar, das den Strahlen der Abendsonne glich, wogte im Wind und schien sich selbstständig durch die Luft zu schlängeln. Mit Eisen beschlagene Hufe trafen hart auf den bepflasterten Waldweg und ließen jeden Schritt des Pferdes wie Donnerschläge über das Land hinweg fegen.
 

Vögel stiegen in die Lüfte, brachten sich vor dem augenscheinlichen Ungetüm in Sicherheit und sanken keine fünf Minuten später wieder auf ihre Nester nieder.

In einem Tempo, das sie beinahe des Sauerstoffes beraubte jagte die Königstochter zwischen den Bäumen hindurch, lenkte ihren Hengst vom sicheren Pfad weg und nahm Abkürzungen durch das wild gewachsene Dickicht.

Sie kannte diese Wälder nicht, obwohl sie ihr Leben lang in deren Eingeweiden gehaust hatte und darin groß geworden war. Sie war über die Geschehnisse in der Außenwelt unterrichtet worden, aber hatte nie auch nur einen Fuß auf die andere Seite der Burgmauern gesetzt. Ciaras Gedanken wurden schwer und ihr entschlossener Blick schwach und trübe. Wenn sie genau darüber nach dachte, war sie all die Zeit, die sie bereits auf Erden wandelte, im Inneren dieser uneinnehmbaren Festung gefangen gewesen.
 

Einfachen Leuten war es verboten die Länder ihres Herrschers zu betreten und sie waren dazu verdammt weit abseits des Schutz bietenden Waldes ihre Siedlungen anzulegen. Kleine, aus Schilf, Weidenruten und Holz gefertigte Hütten, die sich nebeneinander auf dem weiten Felde reihten, von kaum erwähnenswerten Zäunen umgrenzt und von einfachen Bauern bewohnt.
 

Ringsherum war nichts als der weite Horizont. Von frischer Saat geschwängerte Felder gliederten sich auf der Weide vor dem Tore und inmitten der Keimlinge ragte eine morsche Bockwindmühle, deren Flügel sich in einem gleichmäßigen, langsamen Rhythmus mit dem Wind bewegten und dabei ein quietschendes Geräusch in die Ferne entsandten, in den Himmel. Dieses Bauwerk sprach von den knappen Geldmitteln, die der Unterschicht zur Verfügung gestellt wurden.

Sie hatten gerade das Nötigste bekommen, um Getreide und schließlich Brot herstellen zu können. Dieses musste auch nicht weiter hochwertig verarbeitet sein, immerhin erfreute sich der Adel, besonders der König, an eigens angelegten Feldern und Bediensteten, die ihm alleine zu Diensten waren.
 

Ishtir hob die Arme zurück, zog an den Zügeln, die in einer Trense am Maul des Pferdes endeten und Phoenix somit zu einem langsamen Weiterreiten zwangen. Seine Hufe schleiften über den staubigen Boden des Wanderweges und er rollte kleine Steinchen vor sich hin. Der Hengst war des Reisens müde, seine Muskeln brannten und weigerten sich noch weitere Energie zur Verfügung zu stellen.

Ein brummelndes Schnaufen verließ die Nüstern des Andalusiers und er schleppte sich mit dem letzten Rest seiner Kraft an die rostigen Holzscheite heran, die den einzigen Schutz des ärmlichen Dorfes darstellten. Sanft glitten die Finger der Königstochter über die Stirn ihres Reittieres, ehe sie sich mit der Eleganz einer Katze aus dem ledernen Sattel gleiten ließ und leichtfüßig auf ihren Zehenspitzen landete.
 

Mit wenigen Handgriffen hatte die Elfe ihre Kleider geglättet, sog die Luft tief in ihre Lungen und straffte sie würdevoll die Schultern, immer die Haltung bewahrend, die ihr auf die schmerzvollste Art und Weise gelehrt wurde, die sie je erfahren hatte.
 

Der Gestank von Vieh, Abfällen, Schweiß, Kloake und fauligem Morast drang an ihre Nase und sie hatte sichtliche Schwierigkeiten damit ihren spärlichen Mageninhalt ihre Speiseröhre wieder hinab zu zwingen.

„Entschuldigt bitte“, sprach sie leise und verneigte sich tief vor dem Familienoberhaupt, das sich, einem Goliath ähnlich, direkt vor ihr aufbaute und mit offener Feindseligkeit die edle Erscheinung der Fremden, die sie darstellte, begutachtete. „Ich bin weit gereist und des rastlosen Reitens müde. Hättet Ihr vielleicht einen Platz für ein müdes Pferd wie meines in Eurem Stall?“

Ciaras Gegenüber, das bestialischer stank als die tote Ratte, die sie einst unter ihrem Bett hervor gezogen hatte, rümpfte missmutig die Nase, kratzte sich am von Bartstoppeln übersäten Hals und schien angestrengt darüber nachzudenken, ob er dieses Risiko einzugehen bereit war. „Was ist Euch das Wohl Eures Pferdes wert?“
 

Die Augen der jungen Frau blitzten auf und in ihre blütenfarbene Iris drang ein Stechen, das ihren Gesprächspartner für einen Moment die Luft scharf in die Lungen ziehen ließ. „So viel, dass Ihr mir glauben könnt, dass dies nicht einmal eine Option für mich darstellte, wäre dies nicht das einzige Dorf im Umkreis einer Meile“, zischte die Elfe leise und richtete sich schließlich wieder auf, obwohl sie der Bauer um beinahe zwei Köpfe überragte. Dennoch wich dieser in weiser Voraussicht ein Stückchen zurück. Ishtir sondierte die nähere Umgebung und kam zu dem Schluss, dass die Söhne des vor ihr Stehenden, mit Heugabeln und Schaufeln bewaffnet, jederzeit dazu bereit waren ihr die Seele aus dem Leib zu prügeln, sollte sie zu weit gehen. „Ich entlohne Euch reichlich für Euren Edelmut.“

Diese Worte erreichten die Ohren des gesamten Dorfes und ein jeder, der der lieblichen Stimme der unerkannten Königstochter lauschen konnte, wandte sich nun ganz offen seiner Prinzessin zu. Allmählich ergriff die einfachen Leute die Erkenntnis dessen, was hier vor sich ging und in ungezügeltem Erstaunen gafften sie die junge Frau an, als hätten sie in ihrem Leben nichts Vergleichbares gesehen.
 

„Eure Majestät“, erklang eine brüchige Stimme und die Angesprochene musste das Haupt neigen, um auf den stattlichen Mann nieder sehen zu können, der sich ihr noch vor wenigen Minuten so eisern entgegen gestellt hatte. „Euch meine Dienste anzubieten, ist das mindeste, das ich zum Ausgleich meiner Dummheit bieten kann.“
 

Nun war es der Reisenden doch unangenehm auf eine solch vorführende Art und Weise erkannt worden zu sein und sie gebot dem Knienden mit einer flüchtigen Handbewegung sich wieder auf seine Beine zu erheben. „Versorgt mein Pferd und gewährt mir Einlass in Euer Dorf und ich war nie hier.“
 

Der süßliche Geruch von warmem Blut mischte sich mit glühender Hitze und kaltem Stahl. Erst war da ein markerschütternder Schrei, der das Herz der Rastenden für mehrere Sekunden aussetzen ließ, ehe es, in erhöhtem Tempo, seine Tätigkeit wieder aufnahm. Dann erdrückende Stille. Schließlich konnte Ciara hören wie eine stumpfe Klinge durch weiches Fleisch glitt und Fell zu Boden fiel. Leises Tropfen ließ Ishtir immer wieder aufs Neue zusammen zucken und sie lauschte der roten Flüssigkeit, wie sie in Sturzbächen von der Schlachtbank rann und sich in mehreren Eimern sammelte.

Jemand hielt die Luft an, dann ein dumpfer Schlag. Noch einer. Immer wieder. So lange, bis der Knochen barst und das zarte Fleisch vom Gerippe gelöst werden konnte, mit einem klatschenden Laut in eine Schüssel geworfen wurde.

Eine dickliche Hand legte sich auf die einzelnen dunkelroten Scheiben, das Behältnis wurde geschwenkt und Druck auf das Gewebe ausgeübt. Der metallisch-süßliche Lebenssaft verließ die Adern, sammelte sich mit dem Rest und hinterließ weißes Fleisch, dem alles Leben fehlte.
 

Die Prinzessin richtete sich auf, hatte bislang auf dem strohbedeckten Dach des Stalles gelegen und in den Nachthimmel geschaut, kletterte das Bildnis hinab und lief, auf nackten Füßen, aber mit nicht weniger Haltung auf das Gebäude zu, in dem schwacher Kerzenschein das Wachsein der darin Lebenden verkündete.

Härter, als sie es wollte, stieß sie die Tür in den Raum und betrachtete die Familie, die in all ihren Handgriffen inne hielt. Der Elfe mit den braunen Strähnen wurde schlecht, als sie die Bilder erreichten, die bisher zu den Geräuschen gefehlt hatten, um zu bestätigen, was sie vermutete.

„Ihr beklagt Euch über Hunger und Geldnot“, begann die Königstochter arrogant und trat auf die Gemahlin des Bauern zu, der wie ein Iltis stank, immer darauf bedacht den Pfützen auszuweichen, die ihre Haut mit dem Tod eines Tieres benetzen würden.

„So sagt mir … Wie könnt Ihr es Euch leisten so einfach euer Vieh zu schlachten?“
 

Die Luft war schwer. Vom Gestank des Ablebens, wie Ishtir es sich einredete. Der Blick des Bauern hielt dem der Königstochter stand und erst, als der Rest seiner Familie die Arbeit wieder aufgenommen hatte und auch er damit fortfuhr dem Vieh den Rumpf zu spalten, erhob er seine Stimme.

„Wir werden nicht sehr oft von solch edelblütigen Reisenden aufgesucht und noch nie hat uns jemand nach einer Unterkunft gebeten. Wir haben nicht viel, um genau zu sein, haben wir gar nichts, aber bitte akzeptiert dieses einfache Mahl als Zeichen unserer Demut.“
 

Der Elfenprinzessin wich alles Blut aus den Wangen und sie starrte die sechsköpfige Familie fassungslos an. Ihre Kehle trocknete aus und ihr Herz hämmerte ihr hart gegen die Brust. Hitze stieg ihr in den Kopf und sie konnte ihren Puls so laut hören, dass sie Schwierigkeiten damit hatte ihre Stimme zu regulieren. Peinlich berührt senkte sie den Kopf. „Bitte verzeiht.“ Sie fühlte sich schäbig.
 

Wenn sie allerdings dachte, dass diese Peinlichkeit von keiner anderen übertroffen werden konnte, so fand sie sich kurze Zeit später an einem Tisch sitzend, umgeben der Dorfbewohner und dem ‚Mahl’ vor Augen wieder.

Diese Brühe, die sich ‚Eintopf’ schimpfte, roch, als wären darin die getragenen Kleider des Familienoberhauptes ausgekocht worden und sie war sich sicher, dass das Tier, das für diesen Fraß sein Leben lassen musste, irgendeine ansteckende Krankheit besessen hatte.

Hinzu kam, dass außer ihr niemand etwas zu essen serviert bekommen hatte. Alle hier Anwesenden starrten sie an und erwarteten wohl ganz offensichtlich, dass sie sich beim Runterwürgen dieses ‚Zeichens von Demut’ bestarren ließ.

Warum nahm niemand von dem Fleisch, das die Hausbewohner in liebevoller Feinarbeit und so gut es ihnen eben möglich war zubereitet hatten? Warum wollte niemand etwas essen? Ishtir senkte den Blick auf das besteckähnliche Werkzeug, das ihr in die Hand gedrückt worden war und sie atmete einmal tief durch.
 


 

Noch immer hatte sie Schwierigkeiten damit sich nicht auf ihren Schlafplatz zu erbrechen. Wie sollte sie bei diesen Magenkrämpfen auch nur ein Auge zu tun? Leise Stimmen erreichten ihre Ohren und von Neugier gepackt richtete sich die Prinzessin, der ein Zacken aus der Krone gebrochen war, auf. Auf leisen Sohlen trat sie an das Tor des Stalles heran, das zu dieser Zeit bereits fest verschlossen war und lauschte am morschen Holz. Das Gespräch, das sie mit verfolgen konnte, brachte sie dazu die Hand auf ihren Mund zu pressen und es schnürte ihr die Kehle zu. Der Jüngste der Familie, erst drei Jahre alt, war vor wenigen Minuten in den Schlaf gesunken und ließ sich nicht wieder wecken.

Heiße Tränen flossen über dünne Finger und ehe ein Schluchzen ihre Kehle verlassen konnte, flüchtete sich Ciara zu ihrem Weggefährten, der sich bereits zur Ruhe gelegt hatte. Ungehindert gab sie ihrer Trauer, auf dem Boden sitzend, die Beine an ihren Körper gezogen und mit den Armen umschlungen, nach. Warum hatten diese dummen Bauern sie so verköstigt und nicht ihren eigenen Sohn? Wer würde, aufgrund des fehlenden Viehs, noch die Augen zutun?
 


 

Der Nebel lag schwer und erdrückend auf den Feldern, zwängte sich in die Wege zwischen den Holzhütten und verschlang das gesamte Dorf.

Die weißen Schwaden ließen den Morgen heller wirken, als er war. Unzählige, kleine Kristalle, die, wie schwerelos, durch die kalte Morgenluft zogen, sanken auf Haut, so weiß wie Porzellan nieder, hielten der Hitze des Lebens nicht stand und schmiegten sich, zu Wasser geschmolzen, an das seidenweiche Gewebe.

Ein Frösteln ergriff die Königstochter und mit zittrigen Fingern zog sie einen einfachen Umhang aus einer der ledernen Taschen an Phoenix’ Flanken. In einer schwungvollen Bewegung legte Ciara den Stoff um ihre Schultern, knüpfte die losen Enden aneinander und zog sie sich die Kapuze über den Kopf. Ein unangenehmes Taubheitsgefühl ergriff ihre Glieder und sie führte ihre kleinen Hände an die vollen Lippen, um ihr Fleisch mit ihrem heißen Atem zu wärmen.

Geflüsterte Worte, die mit dem ersten Zwitschern der Vögel verklangen, erreichten die wachsam aufgestellten Ohren des frisch erwachten Pferdes. Der schneeweiße Hengst schüttelte schnaufend seinen Kopf, trottete an seine Herrin heran und ließ es sich gern gefallen an der Stirn gekrault zu werden, ehe sich das federleichte Gewicht der Prinzessin auf seinem Rücken verteilte.

Ishtir blickte noch einmal auf das Haus, in dem sie zu Abend gegessen hatte und in dem kurze Zeit später der jüngste der Bauernsöhne gestorben war, weil er an Hunger litt.

Betrübt von diesen Gedanken und der Erkenntnis, dass diesem Kind noch weitere folgen würden, würde das Fehlen des Huhnes, das für sie zu bereitet wurde, doch ins Gewicht fallen, senkte sie den Kopf.

Ihre Finger ertasteten das kalte Erz und mit den Tränen in den Augen warf sie den Beutel, den sie in den Händen hielt, vor die modrige Tür, die bereits unter starkem Wind nachzugeben schien.

Das Geräusch von Münzen, die aufeinander prallten, erklang und als sich die hölzerne Barriere zu dem Heim, in dem die Familie hauste, öffnete, zeugte aufgewirbelter Staub und Schmutz allein von der Abreise der Königstochter.

Sie konnte diesen Menschen nicht mehr in die Augen sehen, trug sie doch mitunter die Schuld am Ableben eines unschuldigen Kindes und war die Reue, die sie empfand, zu schwer zu ertragen, als dass sie ‚Lebwohl’ hätte sagen und sich bedanken können.
 

Die kristallinen Eispigmente, die in der Luft wirbelten, wenn die junge Frau auf ihrem Andalusier darauf zu steuerte, schlugen ihr ins Gesicht. Ein Gefühl wie hundert Peitschenhiebe bis zum nächsten Wimpernschlag ließ sie die Kapuze noch tiefer in die Stirn ziehen. Die Kälte kroch unter den Stoff, schmiegte sich an ihren Körper wie eine zweite Haut und drang bis in ihre Knochen vor. Erst, als ein vereinzelter Sonnenstrahl den Weg über den Horizont fand, atmete die Prinzessin erleichtert auf. Ihr Atem stieg in kleinen Wolken in die Luft, das Eis an ihren Lippen wurde zu Wasser, lief ihr Gesicht hinab und gefror durch den beißenden Wind schließlich wieder.

Ihre Zähne schlugen aufeinander und die Elfe war sich sicher, dass sie sich eine deftige Erkältung holen würde, wenn sie den raren Lichtpunkten, die von der Sonne aus auf die Erde gesandt wurden, nicht folgte.

Phoenix hechtete dem lodernden Himmelskörper entgegen und Ishtir musste die Augen schließen, als der Schein des Sternes wie goldene Flut über ihre Gestalt hinweg zog und sie eine Welle aus purem Licht zu verschlingen schien. Ein Zittern befiehl den Körper der jungen Frau und das Jucken in ihren Muskeln verkündete, dass die Kälte zu weichen begann und wohliger Wärme Platz machte.
 

Ihre Glieder begannen wieder aufzuwachen und die Königstochter fühlte sich um ein Vieles wohler, nachdem sie den Stoff von ihrem Kopf ziehen und ihre Schultern hinab fallen lassen konnte. Bronzenes Haar wurde vom Wind erfasst und hinter ihre Gestalt getragen.

Die vereinzelten Strähnen schienen ihr im Windschatten zu folgen und begannen, vom Morgentau benetzt, in der Sonne zu glitzern. Ihre sonst so bleiche Haut rötete sich unter dem Einfluss der vergehenden Kälte und steigender Wärme und ihre Finger begannen unangenehm zu kribbeln.
 

Ciara wankte unsicher, als sie erneut harten Boden unter den Sohlen ihrer Stiefel fühlen konnte, griff in einer Kurzschlussreaktion nach den Zügeln an Phoenix’ Haupt und hielt sich daran fest. Das Pferd wieherte auf, erhob sich erbost auf seine Hinterläufe und riss der Königstochter das Leder aus den Händen. Empört rannte der Hengst das Feld hinab, schüttelte seinen Kopf und starrte seiner Besitzerin beleidigt entgegen.

Diese verlor nun endgültig das Gleichgewicht, stolperte über ihre eigenen Beine und fiel der Länge nach ins feuchte Gras.

Ihre Beine waren steif, die Muskeln brannten wie Feuer, von den Kopfschmerzen ganz zu schweigen. Und durch den Sturz hafteten Schlamm und die Überreste einer Linde an ihrer Gestalt.

Die Elfe jammerte leise, dachte aber gar nicht daran ihrem Frust Ausdruck zu verleihen, sondern sammelte sich schnell wieder, richtete sich auf ihre Knie auf und ignorierte den lodernden Schmerz in ihren Gliedern. Sie hatte gewusst, dass es nicht so klug gewesen war in dieser Kälte in einem so atemberaubenden Tempo über die Felder des Landes zu hetzen, doch sie wollte ihren Auftrag so schnell wie möglich und zur vollsten Zufriedenheit ihres Vaters erfüllen.

Vielleicht würde er sie dann endlich wahrnehmen …

Ciara verbannte jeglichen Gedanken dieser Art in den hintersten Winkel ihres Verstandes, zog sich an ihrem Reittier, das zurück gekommen war, um seiner Herrin zur Seite zu stehen, hoch, bis sie wieder gerade stand und ging, immer an Phoenix gestützt, auf die Herberge zu, durch deren Fenster sie belustigt beobachtet wurde.

Sie brauchte eine Pause, musste rasten. „Ein Zimmer und einen Platz im Stall bitte“, flüsterte die edelblütige Frau heiser und ihrer Stimme fehlte jede Stärke und Härte. Den Inhaber der Unterkunft, in der die braunhaarige Elfe die nächste Nacht verbringen wollte, erreichte nicht mehr als ein heiseres Krächzen und er zog die Augenbrauen nachdenklich zusammen.

Scheinbar weckte Ishtir das Mitgefühl des alten Mannes, der bereits dem Ende seines langen Lebens entgegen zu steuern schien. Dieser nickte nur knapp, begleitete seinen Gast bis in das Zimmer und verlangte kein Geld im Voraus. Vermutlich hatte der Greis bereits an ihrer Erscheinung erkannt, dass sie wohlhabend war und er sich um seine Bezahlung keine Sorgen zu machen brauchte.

Ein junger Herr, wohl bei dem Alten in der Lehre, brachte das Pferd in den Stall, führte es an den Trog, in dem ihm etwas zu Trinken bereit gestellt wurde und leinte es schließlich in der Box, die ihm zugeteilt wurde, an.
 

Das letzte, das die Adelige mit bekam, war der Geruch von frischem, wenn auch staubigem Laken. Die Kälte, die durch die Spalten zwischen den Holzdielen hindurch kroch. Das Geräusch ihrer Kleider, die nass und schwer zu Boden fielen und das Gefühl von warmem Stoff an nackter Haut. Und dann war da nur noch die verlockende Dunkelheit, die sie einhüllte wie ein Schutz bringender Mantel.

Die klammen Finger, die den Knoten an der Ledertasche lösten, sich in das Innere des Beutels schoben und die unzähligen Münzen ertasteten, die unter normalen Umständen vom Besitzer dieses Behältnisses wie ein Schatz behütet wurden, blieben unbemerkt. Ebenso das verruchte Lächeln.
 

„Lass es sein“, hörte die Prinzessin die Stimme ihres verhassten Feindes und zuckte sie unwillkürlich im Schlaf zusammen, als hätte dieser sie in der realen Welt geschlagen. Das Aufeinandertreffen vor wenigen Tagen spielte sich vor ihrem inneren Auge ein weiteres Mal ab und das Herz hämmerte ihr schmerzhaft gegen die Rippen. Ihr Puls raste, der Schweiß brach ihr aus und Ciara wälzte sich, in ihrem Traum gefangen, von einer Seite auf die andere.

Im Geiste stand sie unbeweglich am Fenster und starrte in die Dunkelheit, die mit jeder verstreichenden Sekunde schwärzer und unheilvoller zu werden schien und sich langsam, aber sicher um sie ausbreitete. Eisige Kälte umklammerte sie, dass sie bereits das Gefühl hatte den Hauch des Todes in ihrem Nacken fühlen zu können.

Vor ihren Augen nahm alles an Größe zu, ihre Kleider sanken an ihrem schrumpfenden Körper zu Boden, ihre Haare wurden kürzer, bis sie ihr nur noch knapp über das Kinn ragten und mit einem Mal löste sich die schmerzvolle Starre, in die sie verfallen war.

Als die Ishtir an sich hinab sah, trug sie ein rosa Kleid mit Rüschen und Schleifchen, das ihr bis über die aufgescheuerten Füße reichte und in ihren noch leicht dunkelbraunen Haaren hafteten Bändchen, die diese zu mehreren Zöpfchen zusammen hielten.

Noch ehe sie sich fragen konnte, was hier geschah, wurde sie zu Boden geschleudert, kroch sie angsterfüllt unter das Bett mit dem im Wind wehenden Himmel und versuchte krampfhaft das Schluchzen zu unterdrücken und die Schmerzen, die vom harten Aufprall her rührten, zu ignorieren.

Schweres Atmen lag ihr in den Ohren und ihre Augen blickten im Zimmer herum, suchten ein Wesen, das das Furcht erregende Geräusch auslöste und wurden schließlich fündig.

Ciara hielt sich die Hände vor den Mund, um einen Aufschrei zu unterdrücken, doch in ihren Ohren klang ein schriller Schrei, der sie schließlich aus dem Schlaf riss und erschrocken hochfahren ließ.

Schweißperlen liefen ihr von der Stirn und sie sog den Sauerstoff hektisch und rasselnd in ihre Lungen. Das Herz raste ihr zum Zerspringen in der Brust und die Angst saß noch tief in ihren Knochen.

Erst, als sie sich unzählige Male selbst davon überzeugt hatte, dass sie alleine in einem fremden Zimmer war, was sie auf makabere Art und Weise beruhigte, ließ die Anspannung in ihren Muskeln nach und sie wagte es die Beine unter der Decke hervor zu strecken.
 

„Einen gefüllten Zuber bitte“, hauchte die Elfenprinzessin leise, während sie darüber nach dachte, wie sie ihre Kleider, die sie notdürftig zusammen gelegt hatte, reinigen sollte und griff im nächsten Moment in ihre Manteltasche. Einige der goldenen Münzen hatte sie noch bei sich, konnte damit das Bad und die Reinigung im Fluss bezahlen, doch für die Unterkunft würde sie zu Phoenix und ihrem geheimen Vorrat, der sich in den Ledertaschen an dessen Flanken befand, laufen müssen.

Der alte Inhaber der Herberge betrachtete die Elfe missmutig, beinahe ein wenig besorgt und rief im nächsten Moment seinen Stallburschen, der wohl eher das Mädchen für alles war, wie es der soeben Erwachten schien.

Die Dampfschwaden verdichteten sich, Wasser sammelte sich am Holz und lief die Wand hinab und die Hitze drängte sich durch die kleine Öffnung direkt über der Badestelle. Ein wohliges Seufzen verließ die Lungen der Königstochter und sie schloss entspannt die Augen. Das parfümierte Wasser reinigte ihren Körper vom Salz des Schweißes und ließen ihre Haare glatt und seidig werden.

Ciara streckte die Hand aus, griff in den ledernen Beutel, den sie für gewöhnlich am Körper trug und zog einen weißen, wohlriechenden Klumpen daraus hervor. Dieses Produkt fand sich in den meisten adeligen Räumlichkeiten wieder, wurde allerdings selten zur Körperpflege als mehr zum Kleiderwaschen benutzt. In solch schäbigen Herbergen wie dieser konnte sie Seife jedoch nicht erwarten.

Und selbst, wenn sie, was sie stark bezweifelte, fündig geworden wäre, so handelte es sich höchstwahrscheinlich um unparfümierte Produkte, aus denen sie keinerlei Nutzen zog. Reisende aus einem fernen Land hatten einst dem König diese Dinge zum Geschenk gemacht und pflegten seither den Handel mit dem Elfenlord.

Ein blumiger Geruch drang an ihre Nase und Ishtir schnurrte leise auf. Es tat gut sich endlich wieder waschen zu können und den Gestank der Wildnis abzulegen, der einem anhaftete, wenn man keine Möglichkeit zur Körperpflege fand.

Die Gedanken der Prinzessin schweiften rastlos umher und blieben schließlich an einem bestimmten Gesicht hängen. Henry. So hatte der Alte den Lernenden genannt. Er sollte wohl in absehbarer Zeit die Herberge an seiner Stelle weiter führen, deswegen auch die Strenge, mit der der alte Herr vorging.

Doch Ciara mochte daran zweifeln, dass es dieser Jüngling jemals schaffte seine Aufgaben gewissenhaft und ordentlich zu erledigen.
 

Das Feuer im Kamin loderte und prasselte vor sich hin, die Flammen züngelten in den Schonstein hinein und hinterließen schwarzen Russ an den Kacheln. Der Geruch von brennendem Holz, das sich zu Asche wandelte, erfüllte die Luft und die Wangen der Elfe glühten angesichts der frontalen Wärme, der sie sich nur zu gerne ergab.

Eine Decke um die nackten Schultern gelegt, sah sie auf den nassen Stoff, der noch immer direkt vor der Feuerstelle auf einen Stuhl aufgelegt war und wohl noch seine Zeit brauchen würde, um zu trocknen.

Ein tiefes, resigniertes Seufzen passierte die Lippen der jungen Frau und sie zog die Enden vor der Brust zusammen. In einem durchsichtigen Unterrock und einem Mieder saß sie auf dem Stuhl, wippte mit den nackten Füßen und fror in der abgekühlten Abendluft. Lange würde sie hier nicht mehr verweilen. Sie würde ihre Kleider wärmen lassen, noch eine Nacht in dem schäbigen Bett schlafen und schließlich beim Morgengrauen das Dorf und auch diese Baracke verlassen, so viel stand fest.
 

„Was soll das heißen, Ihr könnt Euren Geldbeutel nicht finden“, wollte der Inhaber entrüstet wissen und strich sich durch die wenig vorhandenen Zotteln, die sein Haupt bedeckten. Hecktisch kramte die Ishtir in ihren Taschen und durchwühlte ihren Lederbeutel, den sie, wie immer, eng am Körper trug, doch sie hatte keine Goldmünze mehr übrig, um die Verpflegung und die Schlafgelegenheiten zu bezahlen.

Tränen standen der Elfe in den Augen und heiße Röte zeichnete sich in ihren Wangen ab. Die Verzweiflung bahnte sich einen Weg in ihren Verstand und sie wusste nicht mehr weiter. Sie hatte alle Taschen an Phoenix’ Körper gründlich durchsucht, aber nichts gefunden. Jemand musste sie bestohlen haben, anders konnte sie es sich nicht erklären. Die junge Frau stotterte, wusste nicht, was sie sagen oder denken sollte und konnte nur mit Mühe das Schluchzen unterdrücken.

Auch, wenn sie immer stark und unerschrocken auftrat, so war sie tief in ihrem Inneren doch noch eine junge Elfe, die sich noch nie in einem solchen Dilemma befunden hatte und diese Situation überforderte sie maßlos.

Mitleidvoll sah der alte Mann auf die Reisende ihm gegenüber hinab und kratzte sich im Nacken, während er einem Gedanken nach hing, der weder ihr noch ihm sonderlich gefiel, der aber trotz allem die einzige Möglichkeit für sie darstellte aus dieser Bredouille zu gelangen.

„Wenn Ihr kein Geld habt, mit dem Ihr mich bezahlen könnt, müsst Ihr wohl oder übel für mich arbeiten.“
 

Ciaras Augen weiteten sich vor Entsetzen und sie schüttelte stumm den Kopf, zu geschockt, um auch nur ein Wort zwischen ihren Lippen hervor zu pressen. Sie musste weiter. Sie musste ihren Auftrag beenden und so schnell wie nur irgend möglich zu ihrem Vater zurückkehren. Sie durfte sich nicht aufhalten lassen, hatte schon viel zu lange in dieser Gaststätte verweilt. Und jetzt sollte sie auch noch hier arbeiten?

Ihr Körper zitterte und sie wusste keinen Ausweg aus dieser Notlage. Sich ihrem Schicksal ergebend ließ sich die Königstochter auf die Knie fallen, umklammerte ihren bebenden Körper mit ihren Armen und gab dem Ärger, der Trauer gleichermaßen darstellte, ungewollt nach. Heiße Tränen liefen über ihre Wangen und trafen auf ihren Unterarm, als sie eine jugendliche Stimme hören konnte, die sich in die bedrückende Stille der Bar, die sich im unteren Teil der Herberge befand, kämpfte.

„Ich bin bereit die Kosten zu übernehmen“, meldete sich Henry ein weiteres Mal zu Wort und hielt dabei seine schmutzige Hand in die Luft, die vom Dreck des Bodens benetzt war, den er gerade im Begriff war zu säubern.

Verständnislos hob die Prinzessin den Kopf und sah in das jugendliche Gesicht ihres Gegenübers, das ihrem sanften Blick kontinuierlich auswich. „Und wie kommst du zu der Annahme, dass du dir das leisten könntest, du Wurm“, schimpfte sein Meister und wollte ihn gerade wieder mit Tritten dazu drängen seine Arbeit wieder auf zu nehmen, als die nächsten Worte des Gepeinigten Ciaras Ohren erreichten und Missmut in ihr hervorriefen. „Keine Sorge, ich habe Geld, Herr.“

Die Prinzessin richtete sich auf, ignorierte die feuchten Spuren an ihren Wangen und trat an den soeben Gesprochenen heran, der einen Schritt vor ihr zurück zu weichen begann. Obgleich sie nun einen sehr viel stärkeren Eindruck machte, als zuvor, so mimte sie weiterhin die verzweifelte Maid, die nichts mit ihrem Schicksal anzufangen wusste. „Und wie soll ich Euch dafür entlohnen“, fragte sie mit einer Unschuld in der Stimme, dass es ihrem Gegenüber bereits eiskalt den Rücken hinunter lief.

„Ihr … Ihr könntet … mir … zu … Diensten sein“, stotterte der Jüngling und keuchte im nächsten Moment schmerzerfüllt auf, als er die unnachgiebige Holzwand des Bauwerkes im Rücken fühlen konnte und an der Wand hinab zu rutschen begann. Ein erdrückender Schmerz verteilte sich in seiner Magengegend und er zuckte unter weiteren Wellen der Qual zusammen, obwohl er keinerlei offene Wunden an seinem Rumpf ausmachen konnte. Doch egal wie sehr er es versuchte, sich an einem Stuhl hochziehen wollte, er schaffte es nicht, sich auch nur annähernd gerade auf zu setzen.

Seine Glieder streikten und der metallische Geschmack von Blut lag auf seiner Zunge.

Verwirrt hob er den Kopf, als die bestohlene Frau, die er sich gefügig zu machen glaubte, ihm jedoch mit einem gezielten Faustschlag eines besseren belehrt hatte, immer weiter auf ihn zu kam und schließlich vor ihm auf ihre Knie nieder sank. Mit einem Griff, der ihn dazu brachte die Tränen zurück zu halten, da sie ihre Fingernägel in seine Haut rammte, sodass er diese bereits platzen hören konnte, richtete sie seinen Blick auf sich und sah ihm tief in die angstgeweiteten Augen.

„Wo ist mein Gold?“

Kapitel 2

Leises Trippeln hallte von den Höhlenwänden wieder. Vier kleine Füße tapsten über den kalten Stein. Ein lederner Schwanz mit vereinzelten, borstigen Härchen schlängelte sich um ein Gelenk, als das weiße Tier auf eine menschliche Hand lief und ein rosa Schnäuzchen stupste an die Nase eines Jungen.

Schmale Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und die Ratte kletterte auf die Schulter ihres Besitzers. Die Dunkelheit, die in der Grotte Einzug hielt, wollte nicht weichen und das kleine Tier hatte sichtliche Schwierigkeiten mit seinen Äuglein etwas erkennen zu können.

„Keine Sorge, Nemesis“, beruhigte der Träger des Nagers den kleinen Racker und kraulte seinen Begleiter sanft an der pelzigen Wange. Genießerisch schloss die Ratte die Augen, ließ ihre Zähne aufeinander schlagen und zeigte dem Jungen, der sie trug, dass ihr diese Liebkosung durchaus gefiel. Das Tropfen von eiskaltem Wasser, das von den Stalaktiten herab fiel und sich in kleinen Pfützen zwischen den Stalagmiten sammelte, verklang gleichmäßig wie das ferne Rauschen eines Flusses. Dieses unterirdische Höhlensystem existierte schon seit Jahrzehnten und diente der schemenhaften Gestalt, die sich zwischen den Bergen von Stein und Eis hindurch schlängelte schon seit geraumer Zeit als Schleichweg durch das verhängnisvolle Gebirge.

Die Kälte war allgegenwärtig und das Tierchen, das wie Espenlaub bebte, verkroch sich, einer Erkältung, die ihm den Tod bringen konnte, vorbeugend in die Manteltasche seines Besitzers.
 

Das Zwitschern von Vögeln hallte kaum hörbar in der Dunkelheit der Höhle wieder und je weiter sich der Wandernde von den Geräuschen der lebenden Welt leiten ließ, desto mehr klarte sich die Finsternis auf, bis sich schließlich die Gestalt eines Jünglings durch einen Spalt in der Gebirgswand hindurch zwängte.

Sein gesamter Körper wurde von einer Böe erfasst, die Kapuze seines Umhanges fiel ihm vom Kopf und sammelte sich um seine Schultern. Helle Haare wogten im Wind, schmiegten sich an leicht gebräunte Haut und eine smaragdgrüne Iris funkelte im Licht der Sonne wie Gift.
 

Death.

Unter diesem Namen war er im ganzen Lande, selbst jenseits der Berge bekannt. Sein Blick glitt in die Ferne und blieb nur kurz an dem kleinen Dorf inmitten der weiten Prärie hängen. Der Drache legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und genoss das Gefühl frischer Luft auf seiner Haut. Tief sog er den lebenserhaltenden Sauerstoff in seine Lungen und atmete anschließend langsam wieder aus.

„Halt dich gut fest“, flüsterte der junge Mann augenscheinlich zu sich selbst, wusste jedoch, dass zwei rosa Ohren seine Worte genau vernommen hatten. Leichte Bewegungen an seiner rechten Seite brachten ihn dazu seinen Blick zu senken und er beobachtete Nemesis, wie er die Ratte getauft hatte, wie sie in seine Hosentasche kroch und sich zu einem Knäuel aus Fell zusammen kauerte.

Ihr würde nichts geschehen. Sie war schon lange sein Gefährte und sie wusste, was sie tun musste, um nicht aus Versehen verloren zu gehen.

Kleine Tropfen klaren Wassers, das vom Gebirgsfluss, den er die ganze Zeit über hatte rauschen hören und der in einem Wasserfall endete, in die Luft geschickt wurden, trafen auf seine Haut und wurden zu kleinen Eiskristallen, die in der Sonne funkelten. An der Gebirgswand kletterte er entlang, zog sich an dem kleinen Vorsprung hoch und sah schlussendlich über die Klippe hinweg in die Tiefe. Ein Sturz aus dieser Höhe würde für jeden normal Sterblichen den sicheren Tod bedeuten. Diese Überlegung verlangte dem einzigen Feind des Elfenlords ein schiefes Lächeln ab und er knackte, sich auf den folgenden Schritt vorbereitend, mit den Halswirbeln. Death schloss die Augen, machte noch einen Schritt in die unendlich scheinende Tiefe und ließ sich dem heranrasenden Felsvorsprung entgegen fallen.
 

Seine bestiefelten Füße setzten auf den Boden auf. Der Stein gab unter dieser Krafteinwirkung nach, riss zu allen Seiten auf und schickte unzählige Staubpartikel in die Luft, die sich um ihn herum sammelten und schließlich vom Wind fort getragen wurden.

Langsam richtete er sich auf, trat aus den Rauchschwaden heraus und schnitt eine Grimasse, als ein schriller Schrei seine empfindlichen Ohren erreichte. Seinen Blick zur Seite gleiten lassend, erkannte der Drache, dass eine Bäuerin direkt neben ihm zu Boden gefallen war und sich nun an die Hauswand an ihrem Rücken drängte, vor ihm fliehen wollte und scheinbar Todesängste ausstand.

Der Schrecken der Berge konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, wandte sich der heranreifenden Frau zu und trat langsam näher, begab sich vor ihr auf die Knie und hob ihr Gesicht, einen Finger an ihr Kinn gelegt, soweit an, dass sie ihm in die Augen sehen konnte. Der Drache blinzelte und mit dem nächsten Lidschlag blickte er die Bedienstete seines Todfeindes aus glühend roten Augen heraus an.

„Macht nicht so einen Lärm, sonst hört Euch vermutlich noch jemand“, hauchte der vermeintliche Jüngling leise und zog seine Hand zurück, wobei er mit den Fingerkuppen über die Haut des verängstigten Menschen strich. Death zwinkerte ihr noch einmal zu, ehe er das Klappern von Rüstungen hören konnte und wusste, dass sein Auftauchen nicht unbemerkt geblieben war.

Ein leises Piepen erreichte die Ohren des Königsfeindes und er sah wachsam auf. Der Nebel aus Dreck lichtete sich und der Himmel wurde dunkel. Ein Regen aus Pfeilen hielt auf ihn und die junge Frau zu und er schnalzte missbilligend mit der Zunge. Mit einem schnellen Handgriff durchbrach er die Stütze eines Vordaches der alten Windmühle direkt neben ihm und sprang im nächsten Moment zurück. Die metallenen Spitzen der Geschosse trafen in den steinigen Boden, auf Holz oder ins Leere und mit dem Aufprall der befiederten Wurfwaffen, berührten seine Füße festen Boden.

Ein kurzer Aufschrei war erklungen und hatte die königliche Leibgarde dazu veranlasst für einen Sekundenbruchteil ihre Aufmerksamkeit von ihrem Feind abzuwenden. Diesen Moment nutzte der junge Drache und hob einen faustgroßen Felsbrocken, der vor ihm im Gras lag in seine Hand, warf ihn ein paar Male hoch, fing ihn wieder auf und holte schließlich aus. Der Stein wurde mit einer solchen Wucht gegen die Mittelschiene der Mühlenflügel geschleudert, dass das Holz unter dieser Krafteinwirkung nach gab und die Räder zu Boden segelten. Der Pfad, der die Ritter, die gerade zum Angriff vorstürmten und die der Steig zu ihm geführt hatte, wurde vom Holz und Leinen verschlungen und der Weg schlussendlich versperrt.

Der Angegriffene dachte darüber nach, dass er Glück hatte, dass er zu einer solch ungewöhnlichen Zeit erschien, waren sie auf einen Überfall zu dieser Stunde doch nicht vorbereitet und stellten sich ihm aus diesem Grund auch nicht allzu viele Wehrmänner entgegen. Hätte er es mit der üblichen Zahl an Untergebenen des Elfenlords zu tun gehabt, hätten die speerähnlichen Waffen mit Leichtigkeit sein Fleisch durchbohren können, obgleich seine Haut widerstandsfähiger war als die eines gewöhnlichen Sterblichen.

Mühsam quälte sich die junge Bäuerin unter dem hölzernen Vordach hervor, besah sich die wunden Stellen an ihrem Arm, mit dem sie gegen die Häuserwand gedrückt wurde und von Furcht gepackt schließlich aufgeschrieen hatte, dachte sie doch, dass das ihr Ende wäre. Im nächsten Moment schreckte sie hoch.

Das alte Stück Gehölz, das dazu gedacht war das Mehl, das von einem Gebäude ins nächste getragen werden musste, vor Regen zu schützen, lag vor ihr. In dessen Eingeweide bohrten sich hunderte von Pfeilen und der Frau traten die Tränen in die Augen.

Diese Männer hatten keine Skrupel gehabt sie für ihren Zweck zu opfern. „Welch ein Glück“, hauchte die Überlebende, als sie darüber sinnte, dass sie nur knapp dem Tode entkommen war und wich im nächsten Moment zurück. „Mit Glück hatte das nichts zu tun, meine Gute“, antwortete ihr eine tiefe Stimme und der Schrecken der Berge verneigte sich in einer höflichen, doch viel mehr spöttischen Geste vor der irritierten Menschenfrau, ehe er mit einem Satz, dass die Erde von dieser Kraft nach unten gepresst wurde und eine tiefe Mulde zurück blieb, über die Burgmauer sprang und noch einmal zu der Festung seines Todesfeindes zurück blickte. „Wir sehen uns, alter Mann“, rief der Vagabund und kehrte den Bogenschützen, die ihn bereits ins Ziel genommen und den Finger von der Sehne genommen hatten, den Rücken zu. Das Geräusch von Federn, die die Luft durchbrachen und das Pfeifen der Pfeile, die sich ihm unaufhaltsam näherten in den Ohren, lief der blonde Jüngling los und wich den Geschossen aus, dass es den Schützen bereits nahezu unmöglich war ihn als Ziel zu erfassen. Lediglich das Eisen eines vereinzelten Geschosses streifte seinen Handrücken, hinterließ einen kleinen geröteten Streifen und bohrte sich schließlich in den Waldboden. Verspottendes Lachen erreichte die Ohren der Soldaten und setzte sie über ihre unausgesprochene Niederlage in Kenntnis.
 

Wenn Death versucht hatte die Burg zu erreichen, den König zu morden und dessen Herrschaft damit endgültig zu beenden, so waren diese Männer allerdings keine zu unterschätzenden Gegner.

Sein Ziel war dieses Mal jedoch nicht der Palast, in dem dieses miese Schwein wie die Made im Speck lebte, sondern der Abkömmling dieses edelblütigen Mistkerls. Er hatte sie gewarnt. Er hatte ihr geraten diesen Auftrag nicht anzunehmen. Sie hätte, wäre sie klug gewesen, das Exil, die Verbannung in Kauf nehmen sollen. Ein Leben außerhalb dieses vergoldeten Gefängnisses wäre eine weitaus vorteilhaftere Aussicht gewesen als der Tod.

Mit der gleichen Geschwindigkeit, wie es Phoenix vermochte, zog der Verhasste des Landes an Büschen und Bäumen vorbei, wich den Stolper- und Grubenfallen aus, die er bereits in sehr viel jüngeren Jahren kennen gelernt hatte und nutzte die unzähligen Schleichwege, die ihn schnellstmöglich aufs offene Feld hinaus trugen. Der Jüngling ignorierte den sicheren Weg, lief über Felder und Weiden und ersparte sich somit den Umweg, der durch die vielen Schlaufen, die der Trampelpfad innehatte, zustande kam.

Rauch stieg am Horizont dem Himmel entgegen und der Reisende verengte die erneut giftgrünen Augen, um etwas erkennen zu können. Mitten auf dem Felde erstreckte sich ein kleines Dorf, das ein vertrauter Geruch wie ein aufregendes Parfum umgab. Death zügelte sein Tempo, bewegte sich schlussendlich wie ein normaler Umherziehender fort und berührte, in seinen Bewegungen nun vollkommen erstarrt, den Holzscheit, an dem sich Ciara angelehnt hatte, als sie nach einer Herberge gebeten hatte. Der Geruch von Tod lag in der Luft und der Rauch stank, als käme er direkt aus der Hölle. Ein markerschütternder Schrei riss ihn aus seinen Gedanken und er tänzelte einen Schritt zurück, ehe der stolze Bauer hätte seinen Schädel spalten können.

Ein überhebliches Grinsen zierte die Lippen des Drachen und er stieß einen Pfiff aus. „Begrüßt Ihr alle Eure Gäste so, mein Herr“, fragte der Vagabund belustigt und wich sogleich dem nächsten Angriff des Größeren aus. Es war nur logisch, dass selbst das einfache Volk großen Groll gegen ihn hegte, immerhin wurden immer mehr Männer in die Kasernen berufen und immer mehr Steuern eingehoben, um die Leibgarde des Königs immer weiter vergrößern zu können. Tapfere Bauern, die in Rüstungen gesteckt wurden, um als Drachenfutter zu dienen, wurden von diesem vermeintlichen Jüngling in Stücke gerissen und das Feuer, das er ausspie, verbrannte ebenso Saat wie jegliche Ernte.

Einmal von der scheinbar angeborenen Angst der Menschen vor metergroßen Reptilien abgesehen, stellte der Drache das perfekte Hassbild eines jeden auf Erden Wandelnden dar.
 

Das Spielchen, das dieser Schrecken der Berge nun mit dem muskelbepackten Bauern austrug, erstreckte sich auf den gesamten Vormittag und weitete sich zu einem lächerlichen Kampf zwischen den gesamten männlichen Dorfeinwohnern und ihm aus. Allmählich war Death des Ausweichens überdrüssig und die Müdigkeit begann sich in die Leiber der Angreifer vor zu arbeiten, als der Drache seine Hand erhob und damit die frisch geschliffene Axt abwehrte, die sich ein paar Millimeter tief in das Fleisch seiner Handfläche bohrte und seine Haut zum Platzen brachte. Seine Finger hielten das kalte Metall fest und der ausgewachsene Mann vor ihm war nicht mehr in der Lage seine ‚Waffe’ zurück zu erobern.

Verängstigt ließen dessen Söhne die Schaufeln und Hacken fallen, liefen zu ihren Müttern zurück und versteckten sich hinter allerhand Gerümpel. Die Frauen hielten sich die Hand vor den Mund und wagten es in aufsteigender Panik nicht mehr zu atmen. Das Familienoberhaupt, das sich der offensichtlichen Gefahr alleine gegenübersah, starrte angsterfüllt in die glühenden und dennoch kalten Augen des überirdischen Wesens und seine klammen Finger rutschten vom hölzernen Griff.

„Ich will wissen, ob in den letzten Tagen ein Fremder bei Euch Unterkunft gesucht hat“, begann der Eindringling langsam und deutlich, als spräche er mit einem dummen Gör und sein Griff um das Eisen verstärkte sich, bis dieses unter dem Druck nachgab und kleine Risse sich von seinen Fingern ausgehend durch die Schneide zogen.

Ungeachtet des Blutes, das in dünnen Rinnsalen über sein Handgelenk floss, ließ er das nun unbrauchbar gewordene Werkzeug fallen und senkte seine Hand, sodass die süßen, roten Tropfen die Grashalme in seinem Schatten tränkten. „Ich weiß nicht, was Ihr meint“, zischte der alte Mann wohl mutiger, als er sich in diesem Moment fühlte, war er sich doch bewusst, dass er keine Chance hatte diese Auseinandersetzung lebend zu überstehen, sollte er nicht die gewünschte Auskunft geben. Dennoch fühlte er sich dazu verpflichtet Stillschweigen über die letzten Tage zu bewahren. Verärgert zog Death die schmalen Brauen über seinen Augen zusammen und schnaufte verächtlich auf, trat noch einen weiteren Schritt auf den Bauern zu, sah dann jedoch überdeutlich an diesem vorbei. Seine Mine hellte sich auf und das Zähneknirschen wich einem nichts Gutes verheißenden Grinsen. „Ich lasse Euch die Wahl, Bauer“, begann der Drache seine Ansprache und flüsterte genau so laut, dass nur der vor ihm Stehende deutlich dessen Worte vernehmen konnte.

„Ihr sagt mir, was ich zu wissen wünsche und ich verlasse Euer Dorf ohne das geringste Anzeichen meiner Anwesenheit zu hinterlassen. Oder Ihr weigert Euch weiterhin mir Auskunft zu erteilen und ich sorge dafür, dass aus dieser Feuerbestattung Eures Sohnes ein Familienbegräbnis wird, bei dem Ihr selbst die letzten Worte an die Toten richten dürft.“

Die Augen des Angesprochenen weiteten sich in purem Entsetzen und ein einziges Wort verließ heiser gekrächzt dessen Lippen. „Schwein“, presste der Bauer zwischen seinen rissigen Lippen hervor und der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn. Das war genau die Reaktion, auf die der Kleinere gebaut hatte, immerhin gab es genügend einfache Familien, die aus reinem Erhaltungstrieb entstanden waren. Dies schien eine der wenigen zu sein, die sich aus Liebe aufgebaut hatten. „Es liegt in Euren Händen, mein Herr“, drängte der Peiniger sein Opfer und sein Blick fiel auf die Familie des Angesprochenen, die sich in einem Winkel des Dorfplatzes verkrochen hatten und wohl meinte, er würde sie hinter einem Karren nicht entdecken. Provokativ leckte sich der Tyrann über die Lippen und erzielte damit genau das, was er wollte. „Eine junge Frau, adelig, vor zwei Tagen, in diese Richtung“, klang es wie Musik in seinen Ohren und mit dieser Antwort durchaus zufrieden bedankte sich der Erpresser mit einer tiefen Verbeugung, ehe er wie ein Blitz über das Feld zog und dabei die Gräser und Weizenhalme beinahe mit sich riss.
 

Knopfaugen hafteten auf seiner Gestalt und Death wusste, dass Nemesis ihn aus seiner Manteltasche heraus anstarrte. Dieses Tier schien ein eigenes Empfinden von Gerechtigkeit zu haben und allem Anschien nach verstieß dessen Besitzer gegen diese Ansichten.

„Schau mich nicht so an, Nemesis“, begann der Angeklagte leise und wurde langsamer, blieb schließlich an einer kleinen Quelle stehen und begab sich auf die Knie, sodass der Vierbeiner aus seiner Tasche kriechen und an das Ufer heran tapsen konnte. Seine linke Hand zu einer Schale geformt und in das kalte Nass gelegt, sie schließlich an seinen Mund führend, sprach der Drache weiter. „Einen sturen Esel bekommt man auch nur mit heißem Eisen zum Weiterziehen.“ Der soeben Gesprochene schloss die Augen, hielt sein Handgelenk an sein Kinn und neigte den Kopf leicht in den Nacken, um die Flüssigkeit seine Kehle hinab fließen zu lassen. Diese Tätigkeit wiederholte er einige Male, ehe er die Luft aus seinen Lungen stieß und sich mit dem Handrücken über die Lippen strich. Eine Weile, die wie eine Ewigkeit schien, betrachtete der Junge sein eigenes Spiegelbild. Sein Blick glitt in die Ferne, seine Augenbrauen zogen sich auf seiner Stirn zusammen und seine Augen wurden schmal. Die Lippen des Jünglings verzogen sich zu einer schmalen Linie und er beobachtete den Fremden in der Quelle, der unter den Wogen des Wassers tänzelte. Sein Gesicht war ihm so vertraut, wie es einem nur sein konnte und doch fühlte er den Hass auf die Person, die er sah und die nicht er war. Erinnerungen fluteten seinen Verstand, seine Muskeln spannten sich an. Sein Herz hielt den aufkommenden Gefühlen nicht stand, hämmerte hart gegen seine Rippen. Das Blut schien ihm in den Adern zu kochen und sein Blick strahlte so viel Hass aus, dass das kühle Nass selbst vor ihm zurück zu weichen schien.

Die Wogen glätteten sich, die einzelnen Partikel sammelten sich, wölbten sich vor seinen Augen und das Bild, das er mit so viel Hass betrachtete, wie jemand nur empfinden konnte, verzerrte sich. Eine Wolke schob sich vor die Sonne und die Person, die dem Drachen aus dem Wasser entgegen blickte, wurde eine andere.

Ein animalisches Knurren, ein dumpfer Schlag und lautes Plätschern ließen die Tiere des Waldes hektisch die Flucht antreten, sie Schutz suchend zu allen Seiten laufen. Wasser fiel vom Himmel und prasselte in einem kühlen Sprühregen auf die Blätter und Grashalme nieder, die friedlich im Wind wogten.

Rote Fäden klaren Blutes zogen sich durch die klare Gebirgsquelle und trübten das Spiegelbild des Königsfeindes, der noch eine Weile unbeweglich am Ufer saß und in das zerstörte Bild seiner selbst blickte. Der Schlag in das Wasser, der bis zum Grund gereicht hatte, hatte ihn daran erinnert, dass er seine rechte Hand verarzten musste und das Brennen in der Wunde verriet ihm, dass er durch seine Aggressivität Schlamm aufgewirbelt haben musste.

Der Hass war aus seinem Blick gewichen. Was blieb, war grenzenlose Leere.
 

Das Geräusch von Metall, das die Luft durchstieß weckte den jungen Drachen aus seinen Gedanken, die ihn zu verschlingen drohten und er rollte sich gerade noch im letzten Moment zur Seite, das kleine Fellknäuel in seiner rechten Hand. Die blank polierte Schwertschneide bohrte sich in den nachgiebigen Untergrund, grub sich in den weichen Waldboden und stieß schließlich lautstark auf einen vergrabenen Stein.

Death ließ sich abrollen, kam mit einem Bein kniend, das andere angewinkelt, mit der Hand auf den Boden abgestützt wieder zum Stehen, ließ Nemesis von seiner Handfläche laufen und wartete, den Blick starr auf seinen Opponenten gerichtet. Erst, als er sich sicher war, dass dem kleinen Racker nichts passieren konnte, erhob sich der Feind des Königs und all seiner Schergen auf die Beine, klopfte sich den Staub vom Gewand und legte seine dünnen Finger an den Griff seines Schwertes, das bereits Tausende nieder gestreckt hatte. Der Griff des Ritters legte sich um das vergoldete Metall, in dem der Eid des Elfenlords eingraviert war und der junge Angegriffene zog die Augenbrauen bedrohlich zusammen, blieb sein Gesicht jedoch weiterhin bar jeder Emotion. „Ihr wurdet also vom König gesandt“, stellte der Hellhaarige fest und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, das mit jedem Wort breiter zu werden schien, während er sein Schwert langsam aus der Scheide zu ziehen begann und der eisige Stahl in der Sonne zu glänzen schien. „Von diesem bedauernswerten Abbild eines Herrschers, der selbst von seiner eigenen Angst nieder gezwungen wird.“

„Schweig“, unterbrach ihn der Ritter lautstark und knirschte sichtlich mit den Zähnen. Seine Waffe hatte er bereits wieder aus dem erdigen Untergrund gezogen, fest mit beiden Händen den Griff umschlossen und in seinem Blick lag der Wille diesen Heimsucher in Scheiben zu schneiden. „Du suchst das Land heim, tötest unschuldige Bürger und tapfere Ritter. Du wünscht unserem König, der unserem Land den Handel und somit Reichtum gebracht hat, den Tod. Für deine Schuld wird dir niemand Vergebung entgegen bringen. Du wirst niemals Ruhe finden können. Ich werde dich in den Abgrund der Hölle zurück schicken, aus dem du gekommen bist!“

Mit diesen geschrieenen letzten Worten auf den Lippen stürzte der edelmütige Alleinkämpfer auf seinen Feind zu, schwang das Schwert über seinem Kopf und holte zum zweiten Schlag aus. Ein klirrendes Geräusch erklang und im nächsten Moment sprang der Angreifer ein Stück weit zurück. Death hatte seinen Schwerthieb mit seinem eigenen pariert, stand dem Muskelprotz gegenüber und begab sich in eine entspannte Haltung. Sein Schwert hielt er in einer Hand, ließ den Griff in seiner Handfläche rotieren und stieß sich urplötzlich vom Boden ab, nur um im Bruchteil einer Sekunde später auf den Ritter zu zujagen. Das Metall durchstieß die Brust seines Opfers und der edelblütige Mensch keuchte für einen Moment auf, ehe er schwer zu Boden fiel und dabei einzelne Grashalme und Staubpartikel in die Luft wirbelte.

Der Junge wandte sich ab, war ein Stoß in das Herz eines Sterblichen in jedem Falle tödlich und würde diese bemitleidenswerte Kreatur schon bald alles verzehrende Schwärze einhüllen.

Eine Klinge zerteilte Fleisch, schabte an Knochen und grub sich durch den Stoff wieder ins Freie. Nemesis fiepte auf und sah zu ihrem Besitzer, der in seinen Bewegungen, sein Schwert wieder in die Lasche zu schieben, inne gehalten hatte und dessen Finger der glänzende Stahl schließlich entglitt. Sein Mund öffnete sich, doch kein Ton verließ seine Kehle. Rotes, heißes Blut lief über die fahle Unterlippe des Grünäugigen und tropfte schließlich auf die Schneide des Schwertes, das aus seinem Rumpf ragte. Ein angesetztes Keuchen erklang, als der Sinne betäubende Schmerz einsetzte und die Waffe des Königsfeindes schließlich zum Liegen kam. Ein Fuß stemmte sich gegen seinen Rücken und mit einem Ruck wurde er zu Boden geschleudert, die eiserne Waffe aus seinem Rücken gezogen. Reglos lag er im Gras. Unter ihm breitete sich eine Lache dunkler, metallischer Flüssigkeit aus und der Ritter schleppte sich mühsam an die Gebirgsquelle heran, um den königlichen Stahl zu reinigen, ehe er seine Stimme erhob, wissend, dass er den Drachen mit diesem Angriff nicht getötet haben konnte, hatte er doch das Herz dieses Monstrums nicht berührt. „Ich habe dir bereits gesagt, dass dir von niemandem Vergebung entgegen gebracht würde“, begann der junge Mann, ehe er den geschundenen Leib seines Feindes umrundete und schließlich in dessen blutverschmiertes Gesicht sah, das durch den roten Lebenssaft jegliche Jugend vermissen ließ. Deaths Atmung war langsam, setzte ab und zu aus und bis auf ein gelegentliches Husten, gemischt mit Auswürgen des eigenen Blutes, war lediglich sein angestrengtes und schmerzerfülltes Keuchen zu hören.

Glühende Augen richteten sich auf die Gestalt seines Peinigers und der am Boden Liegende betrachtete die klaffende Wunde an der Brust seines Gegners. „Auch Ihr habt Eure Seele dem Teufel verkauft, mein Herr“, krächzte der Bewegungsunfähige und ein hämisches, jedoch zittriges Grinsen umspielte seine aufgerissenen Mundwinkel. Unter dem Vorhang seiner blonden Haare hinweg starrte er den augenscheinlich Unverwundbaren an, als würde sein Blick genügen, um ihn in die Tiefen der Hölle zu befördern, die ihn für seine Sünde erwartete.

„Ihr habt einen Gott getötet und habt dadurch Unsterblichkeit erlangt“, entlarvte der Unterlegene seinen Kontrahenten und spuckte zur Seite. Bitterer, metallischer Geschmack lag ihm auf der Zunge und er hatte das Gefühl sich jeden Moment alleine aus diesem Grund erbrechen zu müssen. Es fiel ihm schwer zu atmen, ihm wurde allmählich schwarz vor Augen, die Sicht verschwamm und er fühlte wie das Blut in die durchstoßene Lunge floss. „Ihr wurdet verbannt, habe ich Recht? Deswegen ist es Euch so wichtig Eure Ehre wiederherzustellen und von Eurem, ach so geliebten, König wieder in dessen Kreise aufgenommen zu werden. Ihr wollt Euch Vergebung erkaufen.“ Ein heiseres Lachen ging von Death aus und er hustete kurz auf. „Das wird Euch nicht gelingen. Diese Ratte kennt keine Gnade oder Vergebung. Er hat Angst vor Euch, weil Ihr die Macht hättet ihn von seinem bereits eingesessenen Thron zu stürzen. Und das macht Euch zu einem noch größeren Feind als ich es jemals sein könnte.“
 

Die Augen des Angesprochenen weiteten sich in ungläubigem Entsetzen und er torkelte ein paar Schritte weit zurück. Er konnte nicht einmal ansatzweise begreifen, was ihm sein Opfer so eben offenbart hatte. Konnte er diesem Bastard Glauben schenken, oder wollte ihn dieser Kerl nur verunsichern? Er hatte nie auch nur daran gedacht sein Schwert gegen den König zu erheben. Seine Loyalität kannte keine Grenzen und er war jederzeit bereit gewesen sein Leben bedenkenlos für den Elfenlord zu opfern. Er war ihm treu ergeben, hatte sich geschworen ihn auf ewig zu beschützen. Oder hatte diese miese Kröte am Ende doch noch Recht? Das konnte alles nur erlogen sein. Es durfte nicht wahr sein! Die Ungewissheit darüber, ob in den Worten des Drachen doch die Wahrheit verborgen lag, oder er ihn nur seines Willens berauben wollte, das unbestimmte Gefühl, dass seine Welt gerade in sich zusammen brach und das Wissen, dass er nichts dagegen tun konnte, ließen tiefe Verzweiflung im Inneren des Ritters aufkeimen. Sein Ziel schien nicht mehr so klar zu sein, wie vor wenigen Minuten und er fragte sich ernsthaft, ob es mit dem Tod des am Boden Liegenden besser werden würde. Würde er seine Ehre wieder bekommen, oder wäre er der nächste Gesuchte? Doch selbst, wenn dem so war, so würde er mit erhobenem Kopf und reinem Gewissen in den Schlund der Hölle treten. Wenn sein König es von ihm verlangte, würde er sich sogar selbst vierteilen. Sein Blick klärte sich und sein Ziel lag erneut klar vor seinen Augen. Er musste diesen Gottlosen zur Hölle schicken. Mit einem Eid dem König gegenüber auf den Lippen zückte der Ritter abermals seine Waffe, rannte auf den Wehrlosen zu und durchstieß mit der Schneide lediglich die Luft, ehe sie auf einen Stein traf und kleine Funken zur Seite flogen.

Gerade noch rechtzeitig hatte sich Death zur Seite gerollt, sich ins Wasser fallen und mit der Strömung mit ziehen lassen. Die Wellen stießen zur Seite, die Oberfläche wölbte sich auf und die Wogen schienen seinen Körper zu verschlingen, ehe das Wasser über ihm wieder zusammen schlug, ihn mit sich nahm. In seinem momentanen Zustand hatte er keine Chance gegen diesen übermächtigen Gegner und selbst, wenn er nicht verletzt gewesen war, war es schwer einen Kampf zu überleben und sogar noch als Sieger daraus hervor zu gehen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als den Fluchtweg anzutreten und sich erst einmal um seine Wunde zu kümmern. Wenn er klug war, würde er eine offene Konfrontation mit diesem Mann, der es geschafft hatte ein höheres Wesen zu Fall zu bringen, in Zukunft meiden.
 

Der Drache dachte daran, dass ihm einst gelehrt worden war, dass es nicht möglich war, einen Allmächtigen zu töten, doch mittlerweile wusste er es besser. Selbst hatte er sich noch keinem Gott entgegen gestellt, war noch keinem begegnet und hatte es auch nicht vor. Diese Länder wimmelten von Unheil stiftenden Geistern oder Irrwichten, wurden regiert von Illusionen und gestellten Fallen und dienten Göttern, die die Menschen nicht kannten, als Spielwiese. Die Natur selbst stellte sich einem in den Weg und man musste starke Nerven haben, um in der Wildnis überleben zu können.

Die Sterblichen verhielten sich in dieser Hinsicht verhältnismäßig klug. Sie legten Siedlungen an Orten an, an denen sie sich relativ sicher fühlten und verließen diese nur, um ihrer Tätigkeit auf dem Felde nach zu gehen. Das Handeln, übernahm eine ritterliche Eskorte.

Doch er war in der Wildnis aufgewachsen, war sein Leben lang alleine gewesen und hatte sich unter den Erscheinungen und Fallenlegern Respekt erkämpft. Des Öfteren hatte er sich Kobolden entgegen stellen und sich gegen einen Waldgeist behaupten müssen, die meinten ihn in ihren Bann ziehen und ihn seines Lebens erleichtern oder ihn zumindest ärgern zu müssen.
 

Ein Husten drang aus dem Dickicht und das Rauschen von Wasser wurde von den Tropfen, die in dieses zurück fielen, übertönt. Death griff nach der Wurzel eines am Ufer stehenden Baumes, zog sich entkräftet daran aus dem kalten Nass und verschnaufte eine Weile, ehe er warmes Fell an seiner Hand fühlen konnte. Schwer atmend neigte der Drache seinen Kopf und erkannte seine Gefährtin, die, völlig außer Atem, auf seinem Handrücken saß und besorgt das Schnäuzchen in die Luft streckte, um den Zustand ihres Herren zu analysieren. „Nemesis“, keuchte der Junge, dem das Blut vom Körper gewaschen worden war und lächelte zittrig. Er sprach so leise, dass selbst die kleine Ratte aufhorchen musste, um ihn verstehen zu können. „… los“, setzte der Verletzte noch an seine vorhergehenden Worte und hievte sich am Stamm der großen Buche, die ihr Blätterdach über ihm auszubreiten schien, auf seine Beine. Wankend und sich seiner Schritte nicht sicher, lief der Schrecken der Berge, der an Glaubwürdigkeit verloren hatte, hinter seinem Haustier her und hatte sichtliche Schwierigkeiten damit das Gleichgewicht zu halten.

Das Schlagen von Hufen, das sich von dem Geräusch unterschied, das er kannte, wenn Ritter des Königs durch die Berge zogen, erweckte seine Neugier und Death sah auf, bedeutete dem kleinen Racker, der ihn geführt hatte, dass er in seine Tasche klettern sollte und schlich lautlos zwischen den Bäumen hindurch, die sich mit jedem weiteren Schritt zu verdichten schienen.

Kurzes, silbriges Fell, das unter den vereinzelten Sonnenstrahlen zu glitzern begann, eine Mähne, die sich bis über die Schulter des Tieres in langen, schneeweißen Locken erstreckte, ein Schweif, ebenso hell und wellig, der bis an den Boden reichte und Hörner aus geschwungenem Elfenbein, die ebenso wie die Hufe des Einhorns durch ein helles Gold auffielen. An den Beinen des Tieres erstreckten sich helle und dunkle Streifen und die Schnauze des pferdähnlichen Wesens schien im Licht zu leuchten.

Dunkle Augen sondierten die Umgebung und der Hengst stieß die Luft aus seinen Nüstern. Er hatte ihn schon lange entdeckt, lag der Geruch von Blut doch zu allgegenwärtig in der Luft.

Zweige brachen und die Blätter sanken zur Seite, enthüllten die Gestalt des geschundenen Drachen und offenbarten ihn dem Blick des himmlischen Tieres. Dessen Augen blitzten auf und es hob abwartend den Kopf, nahm eine festere Position ein und ließ den Schweif unbeweglich von seinem Hinterteil hängen. „Verzeiht mein forsches Eindringen“, flüsterte der von Blut Besudelte und begab sich unter größter Anstrengung und wissend, dass somit nur noch mehr des Leben spendenden Saftes aus seiner Wunde floss, auf die Knie. „Ich bitte Euch untertänigst Euch meiner bemitleidenswerten Gestalt anzunehmen, Wächter des Waldes.“

Die Gestalt, die weder Mensch, noch sonst ein Lebender hatte erblicken dürfen, ohne dabei den Verstand verloren zu haben, sah auf den Knienden herab und schabte mit dem Huf über den harten Waldboden. Die Augen des Einhorns wurden schmal und sein alles durchdringender Blick haftete auf Deaths Manteltasche. Nemesis reagierte sofort, kam aus ihrem Versteck und senkte demütig den Kopf.

Das himmlische Geschöpf setzte sich in Bewegung, trat auf die kleine Ratte zu und betrachtete sie mehrere Minuten lang schweigend. Die Äuglein des kleinen Tieres fielen zu und ihr pelziger Körper sackte zur Seite. Der Drache bewegte sich nicht, verharrte ungerührt auf seinem Platz und hielt weiterhin den Kopf gesenkt. Misstrauisch umrundete der Gott den Jungen und betrachtete ihn von allen Seiten. Eine tiefe, eindringliche Stimme erreichte seine Ohren und er hatte das Gefühl, dass sie mit seiner Seele sprach. Er vernahm einen Befehl und obwohl er wusste, dass er es nicht durfte, wollte er sein Leben nicht auf der Stelle aushauchen, hob er den Kopf. Sein Blick begegnete schwarzer Tiefe und sein Herz setzte für einen Moment aus.

Deaths Augen weiteten sich und sein Körper verfiel in eine Starre, die seine Glieder schmerzen ließ. Ein Gefühl, als würde alles Leben aus seinem Körper gezogen, als würde alle Energie aus jeder Zelle seines Seins geschöpft, erfasste ihn und der Hellhaarige hatte große Mühe damit nicht die Augen zu zutun und dem gleichen Schicksal zu erliegen wie seine Begleiterin.

Dieselbe Stimme wie zuvor erklang ein weiteres Mal, doch in diesem Moment konnte der Angesprochene die Worte seines Gegenübers kaum ertragen. Mit jeder Sekunde, die er dieser Tonlage lauschte, zog sich sein Herz weiter zusammen, fühlte es sich an, als würde jeder Knochen in seinem Inneren bersten und brannte es in seiner Lunge, als atmete er Feuer. Durch seine Adern zog flüssige Lava und seine Muskeln schienen zu zerspringen, sein Schädel zu explodieren. Doch er wandte sich nicht ab. Er hielt dem Blick stand. Die Stelle unter seiner Nase begann zu kribbeln und als er einen verräterischen süßen, metallischen Geschmack auf der Zunge bemerkte, wusste er, dass er blutete. Es fühlte sich wie Sterben an und der Drache war sich sicher, dass er dieses Aufeinandertreffen nicht lebend überstehen würde.

Dann, ganz plötzlich, ließ er los. Death sackte zu Boden, atmete stoßweise und zitterte unter der Spannung in seinen Muskeln, die mehreren starken Stromstößen glich, während ein dünnes Rinnsal seines eigenen Speichels an der Seite seines Gesichtes hinab lief. Nemesis zuckte einmal kurz zusammen, richtete sich wankend auf und schüttelte schließlich den Kopf. Die Hufe, die der Drache erkennen konnte, entfernten sich und das letzte, was der junge Vagabund noch in Gedanken hörte, war doch die ganze Zeit kein Wort in die Realität gedrungen, war das verklingende Geräusch von hartem Horn, das auf festen Stein traf, dann verschlang ihn die alles einnehmende Finsternis.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  GhostTiger345
2011-12-05T15:16:22+00:00 05.12.2011 16:16
Ui das war ganz schön knapp. Beinah wäre er gestorben.
*aufatme*
Dem Einhorn sollte nicht jeder begegnen.
Von:  GhostTiger345
2011-12-05T14:31:50+00:00 05.12.2011 15:31
Oi Ciara hat es echt nicht leicht. Kein Wunder so abgeschnitten von der Welt wie sie gelebt hat.
Na ja jetzt hat dieser Henry ein dickes Problem. Er hätte sie nicht beklauen dürfen. >.>
Von:  GhostTiger345
2011-12-05T13:46:47+00:00 05.12.2011 14:46
Hab grad gesehen das zu dem RPG eine FF existiert und musste doch gleich mal reinschauen.
Also die Geschichte fängt doch mal spannend und interessant an. Mir gefällt der Prolog schon mal, vor allem die Beschreibungen sind gut.
*FF zu den Favos nehm*
Weitere Kommis folgen ;)


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