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Medieval Chronicles

von

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Kapitel 1

Der Tag zog vorüber, die Landschaft raste an ihren Augen vorbei und die Schönheiten der Natur wurden unbeachtet zurück gelassen.

Langes, seidiges Haar, das den Strahlen der Abendsonne glich, wogte im Wind und schien sich selbstständig durch die Luft zu schlängeln. Mit Eisen beschlagene Hufe trafen hart auf den bepflasterten Waldweg und ließen jeden Schritt des Pferdes wie Donnerschläge über das Land hinweg fegen.
 

Vögel stiegen in die Lüfte, brachten sich vor dem augenscheinlichen Ungetüm in Sicherheit und sanken keine fünf Minuten später wieder auf ihre Nester nieder.

In einem Tempo, das sie beinahe des Sauerstoffes beraubte jagte die Königstochter zwischen den Bäumen hindurch, lenkte ihren Hengst vom sicheren Pfad weg und nahm Abkürzungen durch das wild gewachsene Dickicht.

Sie kannte diese Wälder nicht, obwohl sie ihr Leben lang in deren Eingeweiden gehaust hatte und darin groß geworden war. Sie war über die Geschehnisse in der Außenwelt unterrichtet worden, aber hatte nie auch nur einen Fuß auf die andere Seite der Burgmauern gesetzt. Ciaras Gedanken wurden schwer und ihr entschlossener Blick schwach und trübe. Wenn sie genau darüber nach dachte, war sie all die Zeit, die sie bereits auf Erden wandelte, im Inneren dieser uneinnehmbaren Festung gefangen gewesen.
 

Einfachen Leuten war es verboten die Länder ihres Herrschers zu betreten und sie waren dazu verdammt weit abseits des Schutz bietenden Waldes ihre Siedlungen anzulegen. Kleine, aus Schilf, Weidenruten und Holz gefertigte Hütten, die sich nebeneinander auf dem weiten Felde reihten, von kaum erwähnenswerten Zäunen umgrenzt und von einfachen Bauern bewohnt.
 

Ringsherum war nichts als der weite Horizont. Von frischer Saat geschwängerte Felder gliederten sich auf der Weide vor dem Tore und inmitten der Keimlinge ragte eine morsche Bockwindmühle, deren Flügel sich in einem gleichmäßigen, langsamen Rhythmus mit dem Wind bewegten und dabei ein quietschendes Geräusch in die Ferne entsandten, in den Himmel. Dieses Bauwerk sprach von den knappen Geldmitteln, die der Unterschicht zur Verfügung gestellt wurden.

Sie hatten gerade das Nötigste bekommen, um Getreide und schließlich Brot herstellen zu können. Dieses musste auch nicht weiter hochwertig verarbeitet sein, immerhin erfreute sich der Adel, besonders der König, an eigens angelegten Feldern und Bediensteten, die ihm alleine zu Diensten waren.
 

Ishtir hob die Arme zurück, zog an den Zügeln, die in einer Trense am Maul des Pferdes endeten und Phoenix somit zu einem langsamen Weiterreiten zwangen. Seine Hufe schleiften über den staubigen Boden des Wanderweges und er rollte kleine Steinchen vor sich hin. Der Hengst war des Reisens müde, seine Muskeln brannten und weigerten sich noch weitere Energie zur Verfügung zu stellen.

Ein brummelndes Schnaufen verließ die Nüstern des Andalusiers und er schleppte sich mit dem letzten Rest seiner Kraft an die rostigen Holzscheite heran, die den einzigen Schutz des ärmlichen Dorfes darstellten. Sanft glitten die Finger der Königstochter über die Stirn ihres Reittieres, ehe sie sich mit der Eleganz einer Katze aus dem ledernen Sattel gleiten ließ und leichtfüßig auf ihren Zehenspitzen landete.
 

Mit wenigen Handgriffen hatte die Elfe ihre Kleider geglättet, sog die Luft tief in ihre Lungen und straffte sie würdevoll die Schultern, immer die Haltung bewahrend, die ihr auf die schmerzvollste Art und Weise gelehrt wurde, die sie je erfahren hatte.
 

Der Gestank von Vieh, Abfällen, Schweiß, Kloake und fauligem Morast drang an ihre Nase und sie hatte sichtliche Schwierigkeiten damit ihren spärlichen Mageninhalt ihre Speiseröhre wieder hinab zu zwingen.

„Entschuldigt bitte“, sprach sie leise und verneigte sich tief vor dem Familienoberhaupt, das sich, einem Goliath ähnlich, direkt vor ihr aufbaute und mit offener Feindseligkeit die edle Erscheinung der Fremden, die sie darstellte, begutachtete. „Ich bin weit gereist und des rastlosen Reitens müde. Hättet Ihr vielleicht einen Platz für ein müdes Pferd wie meines in Eurem Stall?“

Ciaras Gegenüber, das bestialischer stank als die tote Ratte, die sie einst unter ihrem Bett hervor gezogen hatte, rümpfte missmutig die Nase, kratzte sich am von Bartstoppeln übersäten Hals und schien angestrengt darüber nachzudenken, ob er dieses Risiko einzugehen bereit war. „Was ist Euch das Wohl Eures Pferdes wert?“
 

Die Augen der jungen Frau blitzten auf und in ihre blütenfarbene Iris drang ein Stechen, das ihren Gesprächspartner für einen Moment die Luft scharf in die Lungen ziehen ließ. „So viel, dass Ihr mir glauben könnt, dass dies nicht einmal eine Option für mich darstellte, wäre dies nicht das einzige Dorf im Umkreis einer Meile“, zischte die Elfe leise und richtete sich schließlich wieder auf, obwohl sie der Bauer um beinahe zwei Köpfe überragte. Dennoch wich dieser in weiser Voraussicht ein Stückchen zurück. Ishtir sondierte die nähere Umgebung und kam zu dem Schluss, dass die Söhne des vor ihr Stehenden, mit Heugabeln und Schaufeln bewaffnet, jederzeit dazu bereit waren ihr die Seele aus dem Leib zu prügeln, sollte sie zu weit gehen. „Ich entlohne Euch reichlich für Euren Edelmut.“

Diese Worte erreichten die Ohren des gesamten Dorfes und ein jeder, der der lieblichen Stimme der unerkannten Königstochter lauschen konnte, wandte sich nun ganz offen seiner Prinzessin zu. Allmählich ergriff die einfachen Leute die Erkenntnis dessen, was hier vor sich ging und in ungezügeltem Erstaunen gafften sie die junge Frau an, als hätten sie in ihrem Leben nichts Vergleichbares gesehen.
 

„Eure Majestät“, erklang eine brüchige Stimme und die Angesprochene musste das Haupt neigen, um auf den stattlichen Mann nieder sehen zu können, der sich ihr noch vor wenigen Minuten so eisern entgegen gestellt hatte. „Euch meine Dienste anzubieten, ist das mindeste, das ich zum Ausgleich meiner Dummheit bieten kann.“
 

Nun war es der Reisenden doch unangenehm auf eine solch vorführende Art und Weise erkannt worden zu sein und sie gebot dem Knienden mit einer flüchtigen Handbewegung sich wieder auf seine Beine zu erheben. „Versorgt mein Pferd und gewährt mir Einlass in Euer Dorf und ich war nie hier.“
 

Der süßliche Geruch von warmem Blut mischte sich mit glühender Hitze und kaltem Stahl. Erst war da ein markerschütternder Schrei, der das Herz der Rastenden für mehrere Sekunden aussetzen ließ, ehe es, in erhöhtem Tempo, seine Tätigkeit wieder aufnahm. Dann erdrückende Stille. Schließlich konnte Ciara hören wie eine stumpfe Klinge durch weiches Fleisch glitt und Fell zu Boden fiel. Leises Tropfen ließ Ishtir immer wieder aufs Neue zusammen zucken und sie lauschte der roten Flüssigkeit, wie sie in Sturzbächen von der Schlachtbank rann und sich in mehreren Eimern sammelte.

Jemand hielt die Luft an, dann ein dumpfer Schlag. Noch einer. Immer wieder. So lange, bis der Knochen barst und das zarte Fleisch vom Gerippe gelöst werden konnte, mit einem klatschenden Laut in eine Schüssel geworfen wurde.

Eine dickliche Hand legte sich auf die einzelnen dunkelroten Scheiben, das Behältnis wurde geschwenkt und Druck auf das Gewebe ausgeübt. Der metallisch-süßliche Lebenssaft verließ die Adern, sammelte sich mit dem Rest und hinterließ weißes Fleisch, dem alles Leben fehlte.
 

Die Prinzessin richtete sich auf, hatte bislang auf dem strohbedeckten Dach des Stalles gelegen und in den Nachthimmel geschaut, kletterte das Bildnis hinab und lief, auf nackten Füßen, aber mit nicht weniger Haltung auf das Gebäude zu, in dem schwacher Kerzenschein das Wachsein der darin Lebenden verkündete.

Härter, als sie es wollte, stieß sie die Tür in den Raum und betrachtete die Familie, die in all ihren Handgriffen inne hielt. Der Elfe mit den braunen Strähnen wurde schlecht, als sie die Bilder erreichten, die bisher zu den Geräuschen gefehlt hatten, um zu bestätigen, was sie vermutete.

„Ihr beklagt Euch über Hunger und Geldnot“, begann die Königstochter arrogant und trat auf die Gemahlin des Bauern zu, der wie ein Iltis stank, immer darauf bedacht den Pfützen auszuweichen, die ihre Haut mit dem Tod eines Tieres benetzen würden.

„So sagt mir … Wie könnt Ihr es Euch leisten so einfach euer Vieh zu schlachten?“
 

Die Luft war schwer. Vom Gestank des Ablebens, wie Ishtir es sich einredete. Der Blick des Bauern hielt dem der Königstochter stand und erst, als der Rest seiner Familie die Arbeit wieder aufgenommen hatte und auch er damit fortfuhr dem Vieh den Rumpf zu spalten, erhob er seine Stimme.

„Wir werden nicht sehr oft von solch edelblütigen Reisenden aufgesucht und noch nie hat uns jemand nach einer Unterkunft gebeten. Wir haben nicht viel, um genau zu sein, haben wir gar nichts, aber bitte akzeptiert dieses einfache Mahl als Zeichen unserer Demut.“
 

Der Elfenprinzessin wich alles Blut aus den Wangen und sie starrte die sechsköpfige Familie fassungslos an. Ihre Kehle trocknete aus und ihr Herz hämmerte ihr hart gegen die Brust. Hitze stieg ihr in den Kopf und sie konnte ihren Puls so laut hören, dass sie Schwierigkeiten damit hatte ihre Stimme zu regulieren. Peinlich berührt senkte sie den Kopf. „Bitte verzeiht.“ Sie fühlte sich schäbig.
 

Wenn sie allerdings dachte, dass diese Peinlichkeit von keiner anderen übertroffen werden konnte, so fand sie sich kurze Zeit später an einem Tisch sitzend, umgeben der Dorfbewohner und dem ‚Mahl’ vor Augen wieder.

Diese Brühe, die sich ‚Eintopf’ schimpfte, roch, als wären darin die getragenen Kleider des Familienoberhauptes ausgekocht worden und sie war sich sicher, dass das Tier, das für diesen Fraß sein Leben lassen musste, irgendeine ansteckende Krankheit besessen hatte.

Hinzu kam, dass außer ihr niemand etwas zu essen serviert bekommen hatte. Alle hier Anwesenden starrten sie an und erwarteten wohl ganz offensichtlich, dass sie sich beim Runterwürgen dieses ‚Zeichens von Demut’ bestarren ließ.

Warum nahm niemand von dem Fleisch, das die Hausbewohner in liebevoller Feinarbeit und so gut es ihnen eben möglich war zubereitet hatten? Warum wollte niemand etwas essen? Ishtir senkte den Blick auf das besteckähnliche Werkzeug, das ihr in die Hand gedrückt worden war und sie atmete einmal tief durch.
 


 

Noch immer hatte sie Schwierigkeiten damit sich nicht auf ihren Schlafplatz zu erbrechen. Wie sollte sie bei diesen Magenkrämpfen auch nur ein Auge zu tun? Leise Stimmen erreichten ihre Ohren und von Neugier gepackt richtete sich die Prinzessin, der ein Zacken aus der Krone gebrochen war, auf. Auf leisen Sohlen trat sie an das Tor des Stalles heran, das zu dieser Zeit bereits fest verschlossen war und lauschte am morschen Holz. Das Gespräch, das sie mit verfolgen konnte, brachte sie dazu die Hand auf ihren Mund zu pressen und es schnürte ihr die Kehle zu. Der Jüngste der Familie, erst drei Jahre alt, war vor wenigen Minuten in den Schlaf gesunken und ließ sich nicht wieder wecken.

Heiße Tränen flossen über dünne Finger und ehe ein Schluchzen ihre Kehle verlassen konnte, flüchtete sich Ciara zu ihrem Weggefährten, der sich bereits zur Ruhe gelegt hatte. Ungehindert gab sie ihrer Trauer, auf dem Boden sitzend, die Beine an ihren Körper gezogen und mit den Armen umschlungen, nach. Warum hatten diese dummen Bauern sie so verköstigt und nicht ihren eigenen Sohn? Wer würde, aufgrund des fehlenden Viehs, noch die Augen zutun?
 


 

Der Nebel lag schwer und erdrückend auf den Feldern, zwängte sich in die Wege zwischen den Holzhütten und verschlang das gesamte Dorf.

Die weißen Schwaden ließen den Morgen heller wirken, als er war. Unzählige, kleine Kristalle, die, wie schwerelos, durch die kalte Morgenluft zogen, sanken auf Haut, so weiß wie Porzellan nieder, hielten der Hitze des Lebens nicht stand und schmiegten sich, zu Wasser geschmolzen, an das seidenweiche Gewebe.

Ein Frösteln ergriff die Königstochter und mit zittrigen Fingern zog sie einen einfachen Umhang aus einer der ledernen Taschen an Phoenix’ Flanken. In einer schwungvollen Bewegung legte Ciara den Stoff um ihre Schultern, knüpfte die losen Enden aneinander und zog sie sich die Kapuze über den Kopf. Ein unangenehmes Taubheitsgefühl ergriff ihre Glieder und sie führte ihre kleinen Hände an die vollen Lippen, um ihr Fleisch mit ihrem heißen Atem zu wärmen.

Geflüsterte Worte, die mit dem ersten Zwitschern der Vögel verklangen, erreichten die wachsam aufgestellten Ohren des frisch erwachten Pferdes. Der schneeweiße Hengst schüttelte schnaufend seinen Kopf, trottete an seine Herrin heran und ließ es sich gern gefallen an der Stirn gekrault zu werden, ehe sich das federleichte Gewicht der Prinzessin auf seinem Rücken verteilte.

Ishtir blickte noch einmal auf das Haus, in dem sie zu Abend gegessen hatte und in dem kurze Zeit später der jüngste der Bauernsöhne gestorben war, weil er an Hunger litt.

Betrübt von diesen Gedanken und der Erkenntnis, dass diesem Kind noch weitere folgen würden, würde das Fehlen des Huhnes, das für sie zu bereitet wurde, doch ins Gewicht fallen, senkte sie den Kopf.

Ihre Finger ertasteten das kalte Erz und mit den Tränen in den Augen warf sie den Beutel, den sie in den Händen hielt, vor die modrige Tür, die bereits unter starkem Wind nachzugeben schien.

Das Geräusch von Münzen, die aufeinander prallten, erklang und als sich die hölzerne Barriere zu dem Heim, in dem die Familie hauste, öffnete, zeugte aufgewirbelter Staub und Schmutz allein von der Abreise der Königstochter.

Sie konnte diesen Menschen nicht mehr in die Augen sehen, trug sie doch mitunter die Schuld am Ableben eines unschuldigen Kindes und war die Reue, die sie empfand, zu schwer zu ertragen, als dass sie ‚Lebwohl’ hätte sagen und sich bedanken können.
 

Die kristallinen Eispigmente, die in der Luft wirbelten, wenn die junge Frau auf ihrem Andalusier darauf zu steuerte, schlugen ihr ins Gesicht. Ein Gefühl wie hundert Peitschenhiebe bis zum nächsten Wimpernschlag ließ sie die Kapuze noch tiefer in die Stirn ziehen. Die Kälte kroch unter den Stoff, schmiegte sich an ihren Körper wie eine zweite Haut und drang bis in ihre Knochen vor. Erst, als ein vereinzelter Sonnenstrahl den Weg über den Horizont fand, atmete die Prinzessin erleichtert auf. Ihr Atem stieg in kleinen Wolken in die Luft, das Eis an ihren Lippen wurde zu Wasser, lief ihr Gesicht hinab und gefror durch den beißenden Wind schließlich wieder.

Ihre Zähne schlugen aufeinander und die Elfe war sich sicher, dass sie sich eine deftige Erkältung holen würde, wenn sie den raren Lichtpunkten, die von der Sonne aus auf die Erde gesandt wurden, nicht folgte.

Phoenix hechtete dem lodernden Himmelskörper entgegen und Ishtir musste die Augen schließen, als der Schein des Sternes wie goldene Flut über ihre Gestalt hinweg zog und sie eine Welle aus purem Licht zu verschlingen schien. Ein Zittern befiehl den Körper der jungen Frau und das Jucken in ihren Muskeln verkündete, dass die Kälte zu weichen begann und wohliger Wärme Platz machte.
 

Ihre Glieder begannen wieder aufzuwachen und die Königstochter fühlte sich um ein Vieles wohler, nachdem sie den Stoff von ihrem Kopf ziehen und ihre Schultern hinab fallen lassen konnte. Bronzenes Haar wurde vom Wind erfasst und hinter ihre Gestalt getragen.

Die vereinzelten Strähnen schienen ihr im Windschatten zu folgen und begannen, vom Morgentau benetzt, in der Sonne zu glitzern. Ihre sonst so bleiche Haut rötete sich unter dem Einfluss der vergehenden Kälte und steigender Wärme und ihre Finger begannen unangenehm zu kribbeln.
 

Ciara wankte unsicher, als sie erneut harten Boden unter den Sohlen ihrer Stiefel fühlen konnte, griff in einer Kurzschlussreaktion nach den Zügeln an Phoenix’ Haupt und hielt sich daran fest. Das Pferd wieherte auf, erhob sich erbost auf seine Hinterläufe und riss der Königstochter das Leder aus den Händen. Empört rannte der Hengst das Feld hinab, schüttelte seinen Kopf und starrte seiner Besitzerin beleidigt entgegen.

Diese verlor nun endgültig das Gleichgewicht, stolperte über ihre eigenen Beine und fiel der Länge nach ins feuchte Gras.

Ihre Beine waren steif, die Muskeln brannten wie Feuer, von den Kopfschmerzen ganz zu schweigen. Und durch den Sturz hafteten Schlamm und die Überreste einer Linde an ihrer Gestalt.

Die Elfe jammerte leise, dachte aber gar nicht daran ihrem Frust Ausdruck zu verleihen, sondern sammelte sich schnell wieder, richtete sich auf ihre Knie auf und ignorierte den lodernden Schmerz in ihren Gliedern. Sie hatte gewusst, dass es nicht so klug gewesen war in dieser Kälte in einem so atemberaubenden Tempo über die Felder des Landes zu hetzen, doch sie wollte ihren Auftrag so schnell wie möglich und zur vollsten Zufriedenheit ihres Vaters erfüllen.

Vielleicht würde er sie dann endlich wahrnehmen …

Ciara verbannte jeglichen Gedanken dieser Art in den hintersten Winkel ihres Verstandes, zog sich an ihrem Reittier, das zurück gekommen war, um seiner Herrin zur Seite zu stehen, hoch, bis sie wieder gerade stand und ging, immer an Phoenix gestützt, auf die Herberge zu, durch deren Fenster sie belustigt beobachtet wurde.

Sie brauchte eine Pause, musste rasten. „Ein Zimmer und einen Platz im Stall bitte“, flüsterte die edelblütige Frau heiser und ihrer Stimme fehlte jede Stärke und Härte. Den Inhaber der Unterkunft, in der die braunhaarige Elfe die nächste Nacht verbringen wollte, erreichte nicht mehr als ein heiseres Krächzen und er zog die Augenbrauen nachdenklich zusammen.

Scheinbar weckte Ishtir das Mitgefühl des alten Mannes, der bereits dem Ende seines langen Lebens entgegen zu steuern schien. Dieser nickte nur knapp, begleitete seinen Gast bis in das Zimmer und verlangte kein Geld im Voraus. Vermutlich hatte der Greis bereits an ihrer Erscheinung erkannt, dass sie wohlhabend war und er sich um seine Bezahlung keine Sorgen zu machen brauchte.

Ein junger Herr, wohl bei dem Alten in der Lehre, brachte das Pferd in den Stall, führte es an den Trog, in dem ihm etwas zu Trinken bereit gestellt wurde und leinte es schließlich in der Box, die ihm zugeteilt wurde, an.
 

Das letzte, das die Adelige mit bekam, war der Geruch von frischem, wenn auch staubigem Laken. Die Kälte, die durch die Spalten zwischen den Holzdielen hindurch kroch. Das Geräusch ihrer Kleider, die nass und schwer zu Boden fielen und das Gefühl von warmem Stoff an nackter Haut. Und dann war da nur noch die verlockende Dunkelheit, die sie einhüllte wie ein Schutz bringender Mantel.

Die klammen Finger, die den Knoten an der Ledertasche lösten, sich in das Innere des Beutels schoben und die unzähligen Münzen ertasteten, die unter normalen Umständen vom Besitzer dieses Behältnisses wie ein Schatz behütet wurden, blieben unbemerkt. Ebenso das verruchte Lächeln.
 

„Lass es sein“, hörte die Prinzessin die Stimme ihres verhassten Feindes und zuckte sie unwillkürlich im Schlaf zusammen, als hätte dieser sie in der realen Welt geschlagen. Das Aufeinandertreffen vor wenigen Tagen spielte sich vor ihrem inneren Auge ein weiteres Mal ab und das Herz hämmerte ihr schmerzhaft gegen die Rippen. Ihr Puls raste, der Schweiß brach ihr aus und Ciara wälzte sich, in ihrem Traum gefangen, von einer Seite auf die andere.

Im Geiste stand sie unbeweglich am Fenster und starrte in die Dunkelheit, die mit jeder verstreichenden Sekunde schwärzer und unheilvoller zu werden schien und sich langsam, aber sicher um sie ausbreitete. Eisige Kälte umklammerte sie, dass sie bereits das Gefühl hatte den Hauch des Todes in ihrem Nacken fühlen zu können.

Vor ihren Augen nahm alles an Größe zu, ihre Kleider sanken an ihrem schrumpfenden Körper zu Boden, ihre Haare wurden kürzer, bis sie ihr nur noch knapp über das Kinn ragten und mit einem Mal löste sich die schmerzvolle Starre, in die sie verfallen war.

Als die Ishtir an sich hinab sah, trug sie ein rosa Kleid mit Rüschen und Schleifchen, das ihr bis über die aufgescheuerten Füße reichte und in ihren noch leicht dunkelbraunen Haaren hafteten Bändchen, die diese zu mehreren Zöpfchen zusammen hielten.

Noch ehe sie sich fragen konnte, was hier geschah, wurde sie zu Boden geschleudert, kroch sie angsterfüllt unter das Bett mit dem im Wind wehenden Himmel und versuchte krampfhaft das Schluchzen zu unterdrücken und die Schmerzen, die vom harten Aufprall her rührten, zu ignorieren.

Schweres Atmen lag ihr in den Ohren und ihre Augen blickten im Zimmer herum, suchten ein Wesen, das das Furcht erregende Geräusch auslöste und wurden schließlich fündig.

Ciara hielt sich die Hände vor den Mund, um einen Aufschrei zu unterdrücken, doch in ihren Ohren klang ein schriller Schrei, der sie schließlich aus dem Schlaf riss und erschrocken hochfahren ließ.

Schweißperlen liefen ihr von der Stirn und sie sog den Sauerstoff hektisch und rasselnd in ihre Lungen. Das Herz raste ihr zum Zerspringen in der Brust und die Angst saß noch tief in ihren Knochen.

Erst, als sie sich unzählige Male selbst davon überzeugt hatte, dass sie alleine in einem fremden Zimmer war, was sie auf makabere Art und Weise beruhigte, ließ die Anspannung in ihren Muskeln nach und sie wagte es die Beine unter der Decke hervor zu strecken.
 

„Einen gefüllten Zuber bitte“, hauchte die Elfenprinzessin leise, während sie darüber nach dachte, wie sie ihre Kleider, die sie notdürftig zusammen gelegt hatte, reinigen sollte und griff im nächsten Moment in ihre Manteltasche. Einige der goldenen Münzen hatte sie noch bei sich, konnte damit das Bad und die Reinigung im Fluss bezahlen, doch für die Unterkunft würde sie zu Phoenix und ihrem geheimen Vorrat, der sich in den Ledertaschen an dessen Flanken befand, laufen müssen.

Der alte Inhaber der Herberge betrachtete die Elfe missmutig, beinahe ein wenig besorgt und rief im nächsten Moment seinen Stallburschen, der wohl eher das Mädchen für alles war, wie es der soeben Erwachten schien.

Die Dampfschwaden verdichteten sich, Wasser sammelte sich am Holz und lief die Wand hinab und die Hitze drängte sich durch die kleine Öffnung direkt über der Badestelle. Ein wohliges Seufzen verließ die Lungen der Königstochter und sie schloss entspannt die Augen. Das parfümierte Wasser reinigte ihren Körper vom Salz des Schweißes und ließen ihre Haare glatt und seidig werden.

Ciara streckte die Hand aus, griff in den ledernen Beutel, den sie für gewöhnlich am Körper trug und zog einen weißen, wohlriechenden Klumpen daraus hervor. Dieses Produkt fand sich in den meisten adeligen Räumlichkeiten wieder, wurde allerdings selten zur Körperpflege als mehr zum Kleiderwaschen benutzt. In solch schäbigen Herbergen wie dieser konnte sie Seife jedoch nicht erwarten.

Und selbst, wenn sie, was sie stark bezweifelte, fündig geworden wäre, so handelte es sich höchstwahrscheinlich um unparfümierte Produkte, aus denen sie keinerlei Nutzen zog. Reisende aus einem fernen Land hatten einst dem König diese Dinge zum Geschenk gemacht und pflegten seither den Handel mit dem Elfenlord.

Ein blumiger Geruch drang an ihre Nase und Ishtir schnurrte leise auf. Es tat gut sich endlich wieder waschen zu können und den Gestank der Wildnis abzulegen, der einem anhaftete, wenn man keine Möglichkeit zur Körperpflege fand.

Die Gedanken der Prinzessin schweiften rastlos umher und blieben schließlich an einem bestimmten Gesicht hängen. Henry. So hatte der Alte den Lernenden genannt. Er sollte wohl in absehbarer Zeit die Herberge an seiner Stelle weiter führen, deswegen auch die Strenge, mit der der alte Herr vorging.

Doch Ciara mochte daran zweifeln, dass es dieser Jüngling jemals schaffte seine Aufgaben gewissenhaft und ordentlich zu erledigen.
 

Das Feuer im Kamin loderte und prasselte vor sich hin, die Flammen züngelten in den Schonstein hinein und hinterließen schwarzen Russ an den Kacheln. Der Geruch von brennendem Holz, das sich zu Asche wandelte, erfüllte die Luft und die Wangen der Elfe glühten angesichts der frontalen Wärme, der sie sich nur zu gerne ergab.

Eine Decke um die nackten Schultern gelegt, sah sie auf den nassen Stoff, der noch immer direkt vor der Feuerstelle auf einen Stuhl aufgelegt war und wohl noch seine Zeit brauchen würde, um zu trocknen.

Ein tiefes, resigniertes Seufzen passierte die Lippen der jungen Frau und sie zog die Enden vor der Brust zusammen. In einem durchsichtigen Unterrock und einem Mieder saß sie auf dem Stuhl, wippte mit den nackten Füßen und fror in der abgekühlten Abendluft. Lange würde sie hier nicht mehr verweilen. Sie würde ihre Kleider wärmen lassen, noch eine Nacht in dem schäbigen Bett schlafen und schließlich beim Morgengrauen das Dorf und auch diese Baracke verlassen, so viel stand fest.
 

„Was soll das heißen, Ihr könnt Euren Geldbeutel nicht finden“, wollte der Inhaber entrüstet wissen und strich sich durch die wenig vorhandenen Zotteln, die sein Haupt bedeckten. Hecktisch kramte die Ishtir in ihren Taschen und durchwühlte ihren Lederbeutel, den sie, wie immer, eng am Körper trug, doch sie hatte keine Goldmünze mehr übrig, um die Verpflegung und die Schlafgelegenheiten zu bezahlen.

Tränen standen der Elfe in den Augen und heiße Röte zeichnete sich in ihren Wangen ab. Die Verzweiflung bahnte sich einen Weg in ihren Verstand und sie wusste nicht mehr weiter. Sie hatte alle Taschen an Phoenix’ Körper gründlich durchsucht, aber nichts gefunden. Jemand musste sie bestohlen haben, anders konnte sie es sich nicht erklären. Die junge Frau stotterte, wusste nicht, was sie sagen oder denken sollte und konnte nur mit Mühe das Schluchzen unterdrücken.

Auch, wenn sie immer stark und unerschrocken auftrat, so war sie tief in ihrem Inneren doch noch eine junge Elfe, die sich noch nie in einem solchen Dilemma befunden hatte und diese Situation überforderte sie maßlos.

Mitleidvoll sah der alte Mann auf die Reisende ihm gegenüber hinab und kratzte sich im Nacken, während er einem Gedanken nach hing, der weder ihr noch ihm sonderlich gefiel, der aber trotz allem die einzige Möglichkeit für sie darstellte aus dieser Bredouille zu gelangen.

„Wenn Ihr kein Geld habt, mit dem Ihr mich bezahlen könnt, müsst Ihr wohl oder übel für mich arbeiten.“
 

Ciaras Augen weiteten sich vor Entsetzen und sie schüttelte stumm den Kopf, zu geschockt, um auch nur ein Wort zwischen ihren Lippen hervor zu pressen. Sie musste weiter. Sie musste ihren Auftrag beenden und so schnell wie nur irgend möglich zu ihrem Vater zurückkehren. Sie durfte sich nicht aufhalten lassen, hatte schon viel zu lange in dieser Gaststätte verweilt. Und jetzt sollte sie auch noch hier arbeiten?

Ihr Körper zitterte und sie wusste keinen Ausweg aus dieser Notlage. Sich ihrem Schicksal ergebend ließ sich die Königstochter auf die Knie fallen, umklammerte ihren bebenden Körper mit ihren Armen und gab dem Ärger, der Trauer gleichermaßen darstellte, ungewollt nach. Heiße Tränen liefen über ihre Wangen und trafen auf ihren Unterarm, als sie eine jugendliche Stimme hören konnte, die sich in die bedrückende Stille der Bar, die sich im unteren Teil der Herberge befand, kämpfte.

„Ich bin bereit die Kosten zu übernehmen“, meldete sich Henry ein weiteres Mal zu Wort und hielt dabei seine schmutzige Hand in die Luft, die vom Dreck des Bodens benetzt war, den er gerade im Begriff war zu säubern.

Verständnislos hob die Prinzessin den Kopf und sah in das jugendliche Gesicht ihres Gegenübers, das ihrem sanften Blick kontinuierlich auswich. „Und wie kommst du zu der Annahme, dass du dir das leisten könntest, du Wurm“, schimpfte sein Meister und wollte ihn gerade wieder mit Tritten dazu drängen seine Arbeit wieder auf zu nehmen, als die nächsten Worte des Gepeinigten Ciaras Ohren erreichten und Missmut in ihr hervorriefen. „Keine Sorge, ich habe Geld, Herr.“

Die Prinzessin richtete sich auf, ignorierte die feuchten Spuren an ihren Wangen und trat an den soeben Gesprochenen heran, der einen Schritt vor ihr zurück zu weichen begann. Obgleich sie nun einen sehr viel stärkeren Eindruck machte, als zuvor, so mimte sie weiterhin die verzweifelte Maid, die nichts mit ihrem Schicksal anzufangen wusste. „Und wie soll ich Euch dafür entlohnen“, fragte sie mit einer Unschuld in der Stimme, dass es ihrem Gegenüber bereits eiskalt den Rücken hinunter lief.

„Ihr … Ihr könntet … mir … zu … Diensten sein“, stotterte der Jüngling und keuchte im nächsten Moment schmerzerfüllt auf, als er die unnachgiebige Holzwand des Bauwerkes im Rücken fühlen konnte und an der Wand hinab zu rutschen begann. Ein erdrückender Schmerz verteilte sich in seiner Magengegend und er zuckte unter weiteren Wellen der Qual zusammen, obwohl er keinerlei offene Wunden an seinem Rumpf ausmachen konnte. Doch egal wie sehr er es versuchte, sich an einem Stuhl hochziehen wollte, er schaffte es nicht, sich auch nur annähernd gerade auf zu setzen.

Seine Glieder streikten und der metallische Geschmack von Blut lag auf seiner Zunge.

Verwirrt hob er den Kopf, als die bestohlene Frau, die er sich gefügig zu machen glaubte, ihm jedoch mit einem gezielten Faustschlag eines besseren belehrt hatte, immer weiter auf ihn zu kam und schließlich vor ihm auf ihre Knie nieder sank. Mit einem Griff, der ihn dazu brachte die Tränen zurück zu halten, da sie ihre Fingernägel in seine Haut rammte, sodass er diese bereits platzen hören konnte, richtete sie seinen Blick auf sich und sah ihm tief in die angstgeweiteten Augen.

„Wo ist mein Gold?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  GhostTiger345
2011-12-05T14:31:50+00:00 05.12.2011 15:31
Oi Ciara hat es echt nicht leicht. Kein Wunder so abgeschnitten von der Welt wie sie gelebt hat.
Na ja jetzt hat dieser Henry ein dickes Problem. Er hätte sie nicht beklauen dürfen. >.>


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